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einfach mit beschreiben.« Das tut er<br />
sehr genau und klar in seinem »Hollywooder<br />
Liederbuch« (1942/43). Elegien<br />
von Brecht, die Eisler vertonte, geben<br />
dem Zyklus das gedankliche Rückgrat.<br />
Es sind Prosaverse, welche die Exil-Situation<br />
spiegeln. Daneben stehen Gedichte<br />
Brechts aus früheren Jahren,<br />
auch solche aus der Zeit vor 1933. Den<br />
Reigen der insgesamt 49 Lieder für Gesang<br />
und Klavierbegleitung komplettieren<br />
klassische Dichtungen von Goethe,<br />
Hölderlin, Möricke, Pascal, Rimbaud<br />
und Anakreontik.<br />
Dass in Kalifornien Eisler und Brecht<br />
einander wieder näher rücken, macht<br />
zugleich ein enges gemeinsames Arbeiten<br />
wieder möglich, ein Produzieren<br />
unter identischen Bedingungen, nämlich<br />
in der Kälte und Einsamkeit einer<br />
Landschaft, von der Eisler rückblickend<br />
sagt, sie sei der klassische Ort, wo man<br />
Elegien schreiben muss.<br />
Musikalisch wichtig ist: Mit den<br />
rasch hingeworfenen, plötzlichen,<br />
spontanen Kompositionen knüpft Eisler<br />
wieder mehr an Schönberg, Schubert,<br />
Schumann, Brahms an, und zwar<br />
innovativ. Frei gehandhabte Dodekafonie<br />
(Zwölftonmusik) vertreibt aus bekannten<br />
Liedmodellen die schwere,<br />
muffi ge Luft, der Rekurs auf ältere tonale<br />
Verfahren lockert die Sprödigkeit<br />
und Abstraktheit moderner Kompositionstechniken.<br />
Was zusammenkommt,<br />
sind kleine, bescheidene, meisterlich<br />
geformte Gebilde, deren Geltung weit<br />
über den Entstehungsanlass hinausreicht.<br />
Eislers US-Exilerfahrungen sprechen<br />
allen seinen bisherigen Erfahrungen<br />
als Komponist und Bürger Hohn. Er<br />
muss sich mit Brotarbeiten in der Filmindustrie<br />
verdingen. Auf der Grenze<br />
zu diesem monumentalen Räderwerk,<br />
das Illusionen produziert, ist der Komponist<br />
Schräubchen, so beliebig einsetzbar<br />
wie wegwerfbar. Eine Form des<br />
Erwerbs, die durch subversive Experimente,<br />
fi nanziert durch die Rockefeller<br />
Foundation, und theoretische Refl exion<br />
auf die Hollywood-Filmmusikpraxis zusammen<br />
mit Theodor W. Adorno nicht<br />
verschwindet.<br />
Brechts Erfahrungen liegen keinen<br />
Deut anders. Was die beiden in den<br />
USA erleben, ist eine noch raffi niertere<br />
Herrschaft des Marktes, eine noch größere<br />
Bereitschaft zur Anpassung, eine<br />
noch ausgeprägtere Geltung von Kategorien<br />
des Erfolgs, der Stellung, des<br />
Geldes, als davor in Europa schon erlebt.<br />
Mehr als vordem fühlen sie sich<br />
als Verlorene, als Teil einer Gesellschaft<br />
vereinzelter Ohnmächtiger, ja sie müssen<br />
sich so fühlen.<br />
Für die Musik als »Fortsetzung<br />
des Lebens«<br />
Wie Brecht hat Hanns Eisler, wo immer<br />
er sich aufhielt, den Verhältnissen<br />
unterschiedlich erwidern müssen. Ein<br />
Großteil seines unvergleichlichen Werkes<br />
wendet sich den Impulsen des großen<br />
Weltentwurfs seiner Zeit zu und geißelt<br />
demgegenüber die ganze Schmach<br />
der Oberklassen deutscher Herkunft<br />
Hanns Eisler starb am 6. September 1962. Er wurde auf dem Dorotheenstädtischen<br />
Friedhof in Berlin-Mitte, in der Nähe von Bertolt Brecht, beigesetzt.<br />
KUNST<br />
und Herrschaft, des deutschen Besitzes<br />
vom Kaiserreich bis zum Hitlerreich<br />
– ästhetische Protokolle über ein Versagen,<br />
das, mit nichts vergleichbar, jedem<br />
deutschen Bürger noch hundert<br />
Jahre die Sprache verschlagen müsste.<br />
Eisler, voller Erwartung auf ein gegenteiliges<br />
deutsches Zukunftsmodell,<br />
musste sich nach seiner Rückkehr aus<br />
dem Exil entscheiden: entweder westliche<br />
Demokratie oder östlich-kleinbürgerlich-proletarische<br />
Diktatur. Er<br />
wählte den Anti-Nazismus und ein gerechteres<br />
Dasein der Unterklassen, er<br />
entschied sich für die Musik als »Fortsetzung<br />
des Lebens«, wohl begreifend,<br />
dass es ohne Härten und Ungerechtigkeiten<br />
nicht abgehen würde. Der Kalte<br />
Krieg war für den scharfsinnigen weltgewandten<br />
Mann unweigerliches Zerwürfnis<br />
und Menschheitsunglück in einem.<br />
Kurz vor seinem Tode, 1962, vollendet<br />
Eisler die »Ernsten Gesänge«, die<br />
den Charakter eines Vermächtnisses<br />
tragen. Sie weisen auf Vergangenheit,<br />
die noch zu bewältigen ist, und auf Zukunft.<br />
Eisler scheut sich nicht, einem<br />
Lied den ganz unpoetischen Titel »XX.<br />
Parteitag« zu geben, dessen letzte Zeile<br />
das Begehren ausdrückt, ein Leben<br />
zu führen, ohne Angst zu haben.<br />
Aus seinen letzten Tagebuchaufzeichnungen<br />
erfahren wir: »Wenn ich<br />
1990 vergessen sein werde, wird es eine<br />
gute Zeit sein, voll des Überfl usses,<br />
des Spaßes und der Denkkraft.« Einem<br />
genialeren Irrtum als diesen kann man<br />
heute kaum unterliegen.<br />
© Gert Gampe (2)<br />
DISPUT August 2012 44