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3 disput - Die Linke

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Wanderer auf Zeit<br />

Hanns Eisler durchquert die Welt. Zum 50. Todestag des Komponisten<br />

am 6. September Von Stefan Amzoll<br />

Er muss oft Grenzen passieren, sich<br />

Pässe, Visa besorgen, die Sprachen<br />

wechseln. Zwänge regieren, persönliche,<br />

gesellschaftliche, geschichtliche.<br />

Hemmen sie die Produktivität? Stets<br />

Acht geben, sich umschauen, zugleich<br />

nach vorn blicken. Ein halbes Leben<br />

verbringt Hanns Eisler damit. Wo bin<br />

ich? Wohin geht die Reise? Schon das<br />

Kleinkind, geboren 1898 in Leipzig, erlebt<br />

dies, als Zwang. <strong>Die</strong> jüdische Familie<br />

Eisler übersiedelt alsbald nach Wien.<br />

Der Jugendliche studiert dort Komposition<br />

bei dem berühmten Arnold Schönberg.<br />

Der ist sowenig sesshaft wie der<br />

Schüler. Beide ziehen während der<br />

Weimarer Zeit, als hätten sie sich abgestimmt,<br />

nach Berlin und gehen politisch<br />

getrennte Wege. Schönberg komponiert<br />

Zwölftonwerke, sein renitenter Schüler<br />

nonkonformistische Lieder, später, unterdes<br />

der revolutionären <strong>Linke</strong>n zugehörig,<br />

Kampfmusik und eingreifende<br />

Filmmusiken. 1933. Nacht der langen<br />

Messer. SA-Mordkommandos machen<br />

Jagd auf Kommunisten, Juden, radikale<br />

Demokraten, Sozialdemokraten. Eisler<br />

exiliert nach Paris, organisiert dort unter<br />

Musikern antifaschistischen Widerstand.<br />

Wie Brecht geht er, aus welchen<br />

KUNST<br />

4. bis 11. September 2012<br />

Hanns-Eisler-Tage in Berlin<br />

www.hanns-eisler.de<br />

Gründen immer, nicht in die UdSSR,<br />

stattdessen in die USA. Dort gleichfalls<br />

Zwänge – unter anderen Vorzeichen.<br />

Einreiseprobleme. Zwischenstation<br />

Mexiko City. Der sozial engagierte<br />

Komponist Silvestre Revueltas, Mexikaner,<br />

ermöglicht dem Deutschen, beruflich<br />

Fuß zu fassen. In den USA fortgesetzte<br />

Existenzsorgen. Arbeiten für Hollywood<br />

schaffen Erleichterung. Nach<br />

dem Krieg, Churchill läutet in seiner Fulton-Rede<br />

den Kalten Krieg ein: McCarthy-Kommunistenfresser<br />

machen Jagd<br />

auf Hanns Eisler, seinen Bruder Gerhart,<br />

Brecht, Chaplin und viele andere.<br />

Zurück in Europa, wählt der Komponist<br />

zunächst Wien als denkbaren Wohnort.<br />

Wien verprellt ihn. <strong>Die</strong> Stadt ermöglicht<br />

dem Kommunisten und Komponisten<br />

keine berufl iche Perspektive.<br />

Was bleibt? Brecht ist unterdes Leiter<br />

des Schiffbauerdamm-Theaters in Ostberlin<br />

geworden. Wo der Dichter ist, will<br />

auch er sein.<br />

© Gert Gampe (4), Repro (2)<br />

Uneingeschränkt Ja zur<br />

Revolution<br />

<strong>Die</strong> Oktoberrevolution hat Hanns Eisler<br />

uneingeschränkt bejaht. Bis zum<br />

Epochenbruch seit Zerschlagung der<br />

Trotzki‘schen Opposition, spätestens<br />

seit Majakowskis Selbstmord ist das<br />

Verhältnis ungespalten.<br />

In den frühen dreißiger Jahren reist<br />

der Komponist mehrmals in die UdSSR<br />

und produziert Filmmusiken (zum Beispiel<br />

»<strong>Die</strong> Jugend hat das Wort«). Er<br />

begrüßt die Stalin‘sche Verfassung,<br />

schreibt Grußadressen, übersieht indes<br />

nicht den für ihn unsäglichen sowjetischen<br />

Volkskitsch und romantischen<br />

Symphonismus sozialistisch-realistischer<br />

Provenienz. Eisler muss von<br />

den geheim gehaltenen Toden (oder<br />

gar den Ermordungen?) seiner Freunde<br />

Tretjakow und Kolzow, auch denen Babels<br />

und Meyerholds gewusst haben.<br />

Über die Moskauer Prozesse gibt es keine<br />

direkten Äußerungen, wohl aber zu<br />

den Verzerrungen der Musikpolitik des<br />

Unionskomponistenverbandes. In der<br />

Bewertung des Stalinismus der Nachkriegszeit<br />

bezog Eisler ähnliche Positionen<br />

wie Brecht. Sein Faustus-Libretto,<br />

»Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt,<br />

lass uns dir zum Guten dienen, Deutschland einig Vaterland«:<br />

<strong>Die</strong>ses Becher’sche Pathos! Aber ich glaube, dass<br />

der Eisler da eine ganz gute musikalische Entsprechung<br />

gefunden hat. Zumindest musikalisch wird dieses Pathos<br />

nicht noch verstärkt. Da bin ich nicht unbedingt veranlasst,<br />

aus dem Sessel zu springen und stramm zu stehen.«<br />

Dr. Jürgen Schebera, Musikhistoriker<br />

DISPUT August 2012 42

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