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PORSCHS PORTAL<br />
<strong>Die</strong> Fußballeuropameisterschaft<br />
haben wir vor Kurzem<br />
überstanden. <strong>Die</strong> Olympiade<br />
ist, wenn diese Zeilen bei<br />
den geneigten Leserinnen<br />
und Lesern ankommen, schon wieder<br />
Geschichte.<br />
Internationale Meisterschaften und<br />
zumal Olympiaden sind die Zeiten von<br />
Nationalfl aggen und Nationalhymen.<br />
Sie markieren die Lager, Freund und<br />
Gegner. Man singt die Hymne, möglichst<br />
als Renommiergebärde vor dem<br />
Kampf, und man zeigt eben Flagge.<br />
Oder man singt und zeigt Flagge, weil<br />
man den Sieg, den eine Person oder<br />
Mannschaft (kann auch eine Frauschaft<br />
sein) errungen hat, als Sieg der ganzen<br />
Nation gefeiert wissen will. Wehe dem<br />
oder der, der oder die nicht singt. Wehe,<br />
wenn man den Sieg durch allzu<br />
auffällige Missachtung von Hymne und<br />
Flagge nicht an die Nation weitergibt.<br />
Das kann ganz böse enden, wie zum<br />
Beispiel in Mexico 1968 für die dunkelhäutigen<br />
US-Amerikaner Tommie Smith<br />
und John Carlos, die die Siegerehrung<br />
nutzten, um auf die Situation der Afroamerikaner<br />
in den USA aufmerksam zu<br />
machen und »black power« zu demonstrieren.<br />
Ich habe so manche eigene Erlebnisse<br />
in Schule, Sport und Politik mit Hymnen<br />
und auch Fahnen. Eines scheint mir<br />
berichtenswert: Es war an einem sonnigen<br />
Samstagnachmittag im Mai des<br />
Jahres 1967 im Wiener Hockeystadion,<br />
als die Nationalmannschaften Österreichs<br />
und der DDR im Feldhockey ihre<br />
Kräfte messen sollten. Bei solchen Anlässen<br />
war es normal, die Flaggen der<br />
beiden Länder zu hissen; einfach normal<br />
– außer mit der DDR-Flagge. Hisste<br />
man diese Flagge damals, so zeigte<br />
man auch Flagge – die Flagge der<br />
Meinung, dass es diese DDR gibt, dass<br />
man dieses erkannt und anerkannt hat.<br />
Mit dem »anerkannt« war das aber so<br />
ein Problem. Es gab nämlich noch eine<br />
Bundesrepublik Deutschland. Sie wollte<br />
das einzige Deutschland dieser Zeit<br />
sein. Also sollte das Hissen der Flagge<br />
der DDR verboten sein und auch das<br />
Spielen ihrer Hymne.<br />
Freunde und Verbündete hielten<br />
sich daran. Sportereignisse litten darunter,<br />
weil sie den Brauch einfach nicht<br />
umsetzen durften. So war eben die La-<br />
FEUILLETON<br />
ge, auch im erwähnten schönen Mai.<br />
Doch gab es eine Besonderheit! Feldhockey<br />
spielten in Österreich damals<br />
eine Hand voll Leute; begeistert, aber<br />
kaum beachtet. Also war auch das<br />
Länderspiel nur von Eingeweihten besucht.<br />
Sie waren voller Spannung auf<br />
das Sportereignis. <strong>Die</strong> Sache mit der<br />
Fahne und der Hymne interessierte sie<br />
weniger. Man war nicht auf Streit aus,<br />
sondern auf Sport, welches Wort be-<br />
Fest gemauert in<br />
der Erden<br />
Von der Normalität der<br />
Flaggen und Hymnen im<br />
Sport<br />
kanntlich über das Englische vom lateinischen<br />
»disportare« zu uns kam und<br />
etwas mit Zerstreuung und Kurzweil zu<br />
tun hat.<br />
Ich war als Student zum Nebenverdienst<br />
im Sekretariat des Hockeyverbandes<br />
angestellt und sollte die Sache<br />
mit Flaggen und Hymnen regeln. Natürlich<br />
hatten wir die österreichische Flagge<br />
und die Bundeshymne als Tuch und<br />
auf Schallplatte parat, die Gegenstücke<br />
aus der DDR jedoch nicht. Da half freigiebig<br />
und pfl ichtgemäß die Handelsvertretung<br />
der DDR in Wien aus. Jene<br />
Institution war der Ersatz für die fehlende<br />
Botschaft. Ihr Chef überreichte<br />
mir die entsprechenden Utensilien –<br />
Fahne und Schallplatte –, mit denen<br />
ich dem Ritual Genüge tun sollte. Und<br />
warum auch nicht? Der Vorstand hatte<br />
nichts Gegenteiliges beschlossen, sondern<br />
war an einem reibungslosen Ablauf<br />
interessiert. Ich hatte sogar den<br />
Eindruck, manche wussten gar nicht,<br />
dass es Ärger mit österreichischen Behörden<br />
geben könnte, wenn man den<br />
Ärger mit der DDR einfach vermied.<br />
Wie auch immer: Ich schritt zur Tat. <strong>Die</strong><br />
Flagge war gezeigt, die Hymne gespielt.<br />
Das Match konnte beginnen und Österreich<br />
bekam die erwartete Packung –<br />
4:0 war der Endstand zugunsten der<br />
DDR. Sie hatte an diesem Tag eigentlich<br />
auf allen Linien gewonnen – das Spiel<br />
und alle Normalität der Symbolik beim<br />
Sport. Im Grunde hatten wir Geschichte<br />
geschrieben im Kalten Krieg der sechziger<br />
Jahre. Aber wir hatten die Rechnung<br />
ohne den ostdeutschen Wirt gemacht<br />
bzw. seine Kellner in Österreich.<br />
<strong>Die</strong> Fahnenmasten, auf denen die<br />
Flaggen aufgezogen wehen sollten und<br />
schließlich ja auch wehten, standen<br />
fest gemauert in der Erden etwas entfernt<br />
vom Spielfeld. Man kann schon<br />
sagen, etwas am Rand der gesamten<br />
Anlage, von außen und von den Zuschauerplätzen<br />
kaum – naja, eigentlich<br />
gar nicht – zu sehen. Wir hatten<br />
aber keine anderen Masten, und keinen<br />
Länderspielgegner hatte dies bisher<br />
gestört. Sie waren das Ritual gewohnt<br />
und nahmen es deshalb einfach<br />
gar nicht mehr wahr. Der DDR-Vertreter<br />
registrierte im Gegensatz dazu jedoch<br />
jedes Detail und kam zu dem Schluss,<br />
dass die so entlegen aufgezogene Flagge<br />
eine Missachtung der Souveränität<br />
seines Landes sei, und wurde entsprechend<br />
mit harscher Kritik vorstellig.<br />
Das Normale ist eben das, was so<br />
schwer zu machen ist. Wahrscheinlich<br />
konnte der Arme sich selbst nicht vorstellen,<br />
dass man sein Land normal behandelt.<br />
Kann sein, solches war überhaupt<br />
der tiefe Grund des Verschwindens<br />
der DDR aus der Geschichte. Als der<br />
Vorsitzende des Staatsrates die einfache<br />
Normalität weltweiter diplomatischer<br />
Anerkennung für etwas ganz<br />
Besonderes hielt, begann er sich darin<br />
zu sonnen. Er ließ sich von Hof zu<br />
Hof, von Präsidialkanzlei zu Präsidialkanzlei<br />
herumreichen und wurde ja<br />
auch herumgereicht. Selbst die einst in<br />
der Sache so autistische Bundesrepublik<br />
wollte da nicht zurückstehen und<br />
lud ihn in ihr Bonn ein. Solcherart hofi<br />
ert übersah der Staatsratsvorsitzende,<br />
dass dem Volk das normale Leben<br />
in der DDR zunehmend schwieriger und<br />
schließlich einfach unnormal und unerträglich<br />
geworden war. Das Ende ist bekannt.<br />
Peter Porsch<br />
DISPUT August 2012 40