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Arbeitssuchenden, prekär Beschäftigten<br />
und Rentnerinnen und Rentnern<br />
überdurchschnittlich verloren. 4 Offenkundig<br />
haben sie bei der vergangenen<br />
Wahl Hoffnungen in uns gesetzt, die<br />
wir nicht erfüllen konnten. <strong>Die</strong> Frage<br />
der Kompetenz und Fähigkeit, die Probleme<br />
der Menschen auch lösen bzw.<br />
die Lebenslage deutlich verbessern zu<br />
können, ist für uns von entscheidender<br />
Bedeutung. Einerseits konnten wir zwar<br />
zeigen, dass »links wirkt«, insofern die<br />
aktuelle politische Debatte originär linke<br />
Themen (wie Mindestlohn, Reichensteuer,<br />
Finanztransaktionssteuer, Abzug<br />
der Bundeswehr aus Afghanistan)<br />
umfasst. Andererseits hat sich aber<br />
doch real nichts geändert. Das heißt:<br />
Eine zentrale strategische Problemstellung<br />
ist daher die Frage, wie DIE LINKE<br />
für die Wählerinnen und Wähler als politische<br />
Option, die aus einer bestimmten<br />
Machtkonstellation heraus auch<br />
Dinge verändern kann, wieder erkennbar<br />
wird. Allein das Versprechen, nach<br />
der Wahl eine gute und die einzig wahre<br />
Opposition zu sein, wirkt über einen<br />
längeren Zeitraum augenscheinlich<br />
nicht vielversprechend.<br />
Methode und Politikstil<br />
Eine weitere Erkenntnis der Wahlstatistik<br />
ist, dass wir bei den Wahlberechtigten<br />
unter 45 Jahren und bei den Nichtwählerinnen<br />
und -wählern stark rückläufige<br />
Zustimmung erfahren 5 . Das<br />
deutet auf ein weiteres Problem hin:<br />
Auf der einen Seite fehlt uns die Kompetenz,<br />
»etwas verändern zu können«.<br />
Auf der anderen Seite fehlt uns die Attraktivität,<br />
junge Wählergruppen bzw.<br />
Nichtwählerinnen und -wähler anzusprechen.<br />
Woran kann das liegen? Gewiss,<br />
zum einen scheint das Neue und<br />
Aufregende nach den Anfangsjahren<br />
verfl ogen zu sein, zum anderen haben<br />
wir aber akuten Nachholbedarf im Aufbau<br />
von Methoden und Strukturen, die<br />
einer pluralen linken Partei angemessen<br />
sind.<br />
Seit dem Programmparteitag im Oktober<br />
vergangenen Jahres wurde in der<br />
Partei eine Personaldebatte geführt,<br />
die leider nie eine war. Aus Gründen,<br />
die im Nachhinein die Bundesschiedskommission<br />
der Partei verwarf, wurde<br />
eine Mitgliederbefragung über die<br />
künftige Parteiführung verhindert. Ohne<br />
die innerparteilichen Vorgänge zwischen<br />
Erfurt und Göttingen im Einzelnen<br />
zu rekonstruieren, können wir sagen,<br />
dass wir aus dieser Zeit Lehren<br />
für einen Neuanfang als moderne linke<br />
Mitgliederpartei ziehen müssen.<br />
Das bedeutet, dass wir künftig Personaldebatten<br />
(und nicht Personende-<br />
33 DISPUT August 2012<br />
batten) unter weitestgehender Beteiligung<br />
der Mitgliederschaft organisieren<br />
müssen, in der es nicht zuvorderst um<br />
die Personen, sondern um deren politisch-strategische<br />
Konzepte geht. Den<br />
unweigerlich daraus resultierenden<br />
Streit dürfen wir dabei aber selbst nicht<br />
als Zerstrittenheit erfahren.<br />
<strong>Die</strong> landläufige Behauptung, die<br />
Wählerin oder der Wähler mag keinen<br />
Streit in einer Partei, ist äußerst<br />
fraglich. (Fraglos ist dagegen, dass<br />
die Wählerin bzw. der Wähler wissen<br />
möchte, von welcher Person die Partei<br />
ihrer Wahl in den nächsten Jahren vertreten<br />
wird.) Allenfalls können wir generell<br />
sagen, dass zerstrittene Parteien<br />
an Zustimmung verlieren. Es geht<br />
aber hier um Streit und nicht um Zerstrittenheit.<br />
Wir benötigen ein Verständnis<br />
dieser Unterscheidung. Streit<br />
und Widersprüche können als Gewinn<br />
erlebt werden, Zerstrittenheit bedeutet<br />
Blockade. <strong>Die</strong> entscheidende Frage<br />
ist, worüber denn eigentlich gestritten<br />
wird. Geht es um Personen oder<br />
um die Sache? Wir brauchen zukünftig<br />
wieder den konstruktiven und solidarischen<br />
Streit um die Sache. Derzeit erleben<br />
wir doch eine rasant zunehmende<br />
Sympathie in der Bevölkerung für eine<br />
Partei, die den Streit nicht nur aushält,<br />
sondern lebt, ja zum Teil institutionalisiert.<br />
Damit signalisiert sie nach außen<br />
Offenheit, Modernität und die Botschaft,<br />
mitmachen zu können. 6 In diesem<br />
Zusammenhang müssen wir beispielsweise<br />
lernen, dass der Begriff der<br />
»Kampfkandidatur« überholt ist (vor allem,<br />
wenn es noch nicht einmal zu dieser<br />
kommen darf).<br />
Ob die unter anderem mit der Eigentor-Theorie<br />
abgewürgte Personaldebatte<br />
den Wahlausgang in Schleswig-Holstein<br />
und Nordrhein-Westfalen negativ<br />
beeinfl usste, lässt sich nicht gesichert<br />
sagen. Dass dieses Vorgehen aber<br />
nicht zum Erfolg geführt hat, kann nicht<br />
ernsthaft bestritten werden. Eigentor-<br />
Theorien und Einteilungen der Partei<br />
in destruktive und nicht-destruktive<br />
Kräfte sind das Destruktivste schlechthin<br />
– sie spalten. <strong>Die</strong>s darf sich unter<br />
der neuen Parteiführung nicht wiederholen.<br />
Es widerspricht der Idee einer<br />
pluralen, demokratischen und emanzipatorischen<br />
<strong>Linke</strong>n. Es widerspricht<br />
letztlich dem Ziel, Attraktivität auf vor<br />
allem junge kritische, von der Politik<br />
enttäuschte und auch depolitisierte<br />
Menschen auszustrahlen.<br />
Strategiedebatte<br />
Eine Folge der parteiinternen Vorgänge<br />
der vergangenen Monate war, dass<br />
eine längst überfällige Debatte um die<br />
Sache, nämlich um eine Strategie, wie<br />
auf die Herausforderungen und Problemlagen<br />
der Partei zu reagieren ist,<br />
unterblieb.<br />
<strong>Die</strong> in der Tat unterschiedlichen Vorstellungen<br />
in der Partei über wesentliche<br />
strategische Fragen, wie beispielsweise<br />
das Verhältnis zur SPD und die<br />
Position zu einer möglichen Regierungsbeteiligung,<br />
müssen in einer solidarischen<br />
Diskussionskultur erörtert<br />
werden. Hierzu benötigen wir aber<br />
auch eine Debatte über die Methoden.<br />
Strategie ist nicht nur auf die »richtige«<br />
Beantwortung der Frage der Regierungsbeteiligung<br />
bzw. der Führung eines<br />
Bundestagswahlkampfs zu reduzieren.<br />
Es geht darum: Können wir als<br />
linke Partei überhaupt Erfolg haben –<br />
ohne solidarisch, demokratisch und<br />
anti-autoritär zu sein?<br />
Eine Erfolgsstrategie müsste demzufolge<br />
zuallererst die Methodenfrage<br />
klären.<br />
Jan Marose ist Mitarbeiter der Bundesgeschäftsstelle,<br />
Bereich Strategie und<br />
Grundsatzfragen.<br />
1 Der Text ist die Kurzfassung eines Essays<br />
zu strategischen Fragen der Partei<br />
DIE LINKE. <strong>Die</strong>s ist der erste Teil. Der<br />
zweite – mit den Schlussfolgerungen –<br />
erscheint im September-»DISPUT«.<br />
2 Stichwort: Mövenpick-Partei FDP<br />
3 Vgl.: Kriese/Hoff/Kahrs (Mai 2012):<br />
DIE LINKE erneut rausgewählt. Wahlnachtbericht-Spezial:<br />
DIE LINKE nach<br />
der NRW-Wahl, S.8<br />
4 Vgl.: ebd., S. 4–5<br />
5 Insbesondere unsere schwindende<br />
Anziehungskraft auf Nichtwähler halte<br />
ich für äußerst problematisch. Vgl.:<br />
ebd., S.6, 7<br />
6 Obgleich der Gegenstand des Streits<br />
(spezifi sche politische Inhalte) oft nebulös<br />
bleibt.<br />
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