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Du bist Bundesgeschäftsführer<br />
– und du bist Abgeordneter<br />
im Landtag Sachsen-<br />
Anhalt. Mich interessiert zunächst,<br />
wie schwer denn das<br />
Arbeiten dort ist, speziell im Bildungsausschuss.<br />
Unser Ausschussvorsitzender neigt<br />
zu kurzen knappen Sitzungen, was dazu<br />
beiträgt, dass die Koalition aus CDU<br />
und SPD noch weniger zur Bildungspolitik<br />
sagt, als sie ohnehin zu sagen hat.<br />
Insofern ist die Arbeit im Ausschuss<br />
nicht so aufwendig, wie es dem Thema<br />
eigentlich zustehen würde.<br />
Du ahnst, warum ich das frage?<br />
Ob ich das neben meiner neuen<br />
Funktion noch schaffe …<br />
Falsch.<br />
Sondern?<br />
Das Protokoll der Landtagssitzung am<br />
7. Juni 2012 zitiert dich mit einem bemerkenswerten<br />
Satz: »Vielleicht könnte<br />
man auch sagen, dass mich zehn<br />
Jahre im Bildungsausschuss hart genug<br />
gemacht haben für die Arbeit, die<br />
vor mir liegt.«<br />
Ach so …! – Der Ausschussvorsitzende<br />
hatte gemeint, er müsse mir zur<br />
Wahl und zu meiner nicht ganz einfachen<br />
Aufgabe gratulieren. <strong>Die</strong> Debatten<br />
im Ausschuss sind manchmal kontrovers<br />
und ruppig, weil die Bildungspolitik<br />
eines der wenigen Themen ist, die<br />
den Ländern in ihrer klassischen Hoheit<br />
geblieben sind und die mit ideologischen<br />
Debatten verknüpft werden.<br />
Und das schult schon ein bisschen im<br />
politischen »Nahkampf«.<br />
Du bist ein Freund ideologischer Debatten?<br />
Nein, aber sie bleiben nicht aus, zumal<br />
wenn man als Sozialist unterwegs<br />
ist. Zur Auseinandersetzung gehören<br />
auch ideologische Debatten.<br />
Wann und wie bist du zur Politik gekommen?<br />
Politisch gesehen bin ich ein »Wendekind«.<br />
Im Herbst ’89 war ich 14, in einem<br />
Alter, in dem viele beginnen, sich<br />
politisch zu interessieren und zu betätigen<br />
– über das klassische Maß dessen<br />
hinaus, was es zu DDR-Zeiten ohnehin<br />
in Schulen an politischer Betätigung<br />
gab.<br />
Für mich (wie für viele andere) war<br />
das eine große Chance: Über Nacht<br />
schien alles möglich zu sein. Ich erinnere<br />
mich, wie wir im Unterricht anfi ngen,<br />
mit den Lehrern politische Debatten<br />
zu führen – etwas, was heute wieder<br />
undenkbar erscheint.<br />
PARTEI<br />
<strong>Die</strong> Auseinandersetzungen darüber,<br />
ob man die Perspektive in der BRD-alt<br />
und im kapitalistischen System sieht<br />
oder ob man für eine sozialistische Alternative,<br />
sprich: eine reformierte DDR<br />
kämpft, war 1989/90 eine zentrale<br />
Auseinandersetzung. Über die bin ich<br />
in die politische Debatte gekommen.<br />
Damals schloss ich mich einer Jugendgruppe<br />
in meiner Heimatstadt<br />
Sangerhausen an. Der Volkskammerwahlkampf<br />
1990 war mein erster Wahlkampf,<br />
1992 trat ich in die PDS ein.<br />
20 Jahre darauf bist du Bundesgeschäftsführer<br />
geworden. Wie erinnerst<br />
du dich an das Votum des Parteitages<br />
in Göttingen?<br />
Am Montag nach der Nordrhein-<br />
Westfalen-Landtagswahl hatte ich<br />
mich endgültig entschieden, zu kandidieren<br />
und die Kandidatur öffentlich zu<br />
machen. Es wurde ein in vielerlei Hinsicht<br />
sehr komplizierter Bundesparteitag,<br />
erst recht, wenn man selbst Kandidatin<br />
oder Kandidat war. Der Parteitag<br />
war mit Zumutungen verbunden, die<br />
zum Teil inakzeptabel waren. Ich hatte<br />
fast stündlich das Gefühl, die Dinge ändern<br />
sich noch mal. Das war ein Wechselbad<br />
der Gefühle. Umso erleichterter<br />
war ich nach der Wahl, zumal mit so<br />
einem Ergebnis (80,9 Prozent Ja-Stimmen<br />
– d. Red.).<br />
Doch ich bin lange genug dabei,<br />
um zu wissen, auf was ich mich einlasse.<br />
Der häufi gste Spruch, den ich gehört<br />
oder gemailt bekommen habe,<br />
war: Ich bin nicht sicher, ob ich dir gratulieren<br />
soll … Das war immer mit einem<br />
Schmunzeln gemeint, aber da ist<br />
ja auch was dran mit dem Wissen, welcher<br />
Aufgabe man sich gestellt hat.<br />
Wofür ist der Geschäftsführer einer<br />
Partei verantwortlich?<br />
Prinzipiell heißt es, dass Bundesgeschäftsführer<br />
für die politische Attacke<br />
zuständig sind. Das ist so. Aber<br />
die meiste Zeit ist man damit beschäftigt,<br />
die Partei zu organisieren und zu<br />
strukturieren. Das fängt bei den Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeitern des Karl-<br />
Liebknecht-Hauses an und hört bei der<br />
Vorbereitung des Bundesparteitages<br />
auf. Dazu gehören die Planung von öffentlichen<br />
Aktionen und von Materialien,<br />
die wir verwenden wollen, sowie<br />
– sehr aktuell – die Vorbereitung der<br />
Bundestagswahl und des Wahlkampfes.<br />
Also insgesamt ein sehr breites<br />
Feld, bei dem man keine Sorge haben<br />
muss, den Tag auszufüllen.<br />
Worin besteht die Arbeitsteilung zwischen<br />
dem Geschäftsführer und den<br />
Vorsitzenden der Partei?<br />
<strong>Die</strong> Vorsitzenden sind gewählt, die<br />
Partei politisch zu führen – und das<br />
tun Katja (Kipping) und Bernd (Riexinger);<br />
beide haben sowohl nach innen<br />
als auch nach außen einen guten Start<br />
hingelegt. Der Bundesgeschäftsführer<br />
leitet das operative Geschäft.<br />
Meine Aufgabe besteht zu einem<br />
großen Teil darin, das, was die Vorsitzenden<br />
und der Parteivorstand festlegen,<br />
umsetzbar zu machen und mit den<br />
Gliederungen der Partei zu kommunizieren.<br />
Aber natürlich geht es auch um<br />
eigene Anstöße und Initiativen.<br />
Wir haben ein Jahr Zeit, der Partei so<br />
viel Stabilität zu geben, dass sie mit einer<br />
starken Fraktion aus der Bundestagswahl<br />
hervorgeht. Daran wird man<br />
uns messen, auch wenn wir das nicht<br />
alleine bewerkstelligen können.<br />
Was nimmst du dir also vor für die (vorerst)<br />
zwei Jahre Amtszeit?<br />
Es gibt zwei zentrale politische Aufgaben<br />
und eine, die die innerparteiliche<br />
Verfasstheit betrifft.<br />
Erstens: Wir müssen die Wahlen<br />
2013 bestehen: im Januar in Niedersachsen<br />
und im Herbst die Bundestagswahl<br />
und die Landtagswahl in Bayern,<br />
danach in Hessen, und Kommunalwahlen<br />
gibt es auch.<br />
Der Fixpunkt Bundestagswahl ist<br />
ein großer Brocken, zumal wir als Partei<br />
erst jetzt, nach Göttingen, mit den<br />
Vorbereitungen beginnen konnten. Insofern<br />
ist die Zeit relativ knapp, selbst<br />
wenn wir im Bundeswahlbüro und mit<br />
den Ländern einen guten Start hatten.<br />
Zweitens, und das haben wir permanent<br />
zu leisten: die Parteientwicklung<br />
oder wie wir es nennen: das Projekt<br />
LINKE 2020. Also die Fragen, wie<br />
wir mit den unterschiedlichen Strukturnotwendigkeiten<br />
in Ost und West umgehen:<br />
Im Osten schrumpft die Partei<br />
aus demografi schen Gründen, wir<br />
müssen die Strukturen in den Landesverbänden<br />
weiter anpassen. Im Westen<br />
ist weiterhin Aufbau- und Stabilisierungsarbeit<br />
zu leisten, auch bei<br />
hauptamtlichen und logistischen<br />
Strukturen. Wir müssen darüber reden,<br />
wie wir Mitglieder stärker in den<br />
politischen Prozess einbinden können<br />
und welche Angebote wir für Neumitglieder<br />
haben, damit sie nicht gleich<br />
wieder verloren gehen.<br />
Das alles gehört zum Projekt LINKE<br />
2020 und hat auch fi nanzielle Auswirkungen<br />
bei Beiträgen und Spenden.<br />
Und welche innerparteiliche Herausforderung<br />
meinst du?<br />
In den vergangenen ein, zwei Jahren<br />
haben wir fast jede wichtige politische<br />
Entscheidung in einem konfrontativem<br />
DISPUT August 2012 10