franziskus-bote März 2012 (PDF 1,3 MB - Stiftung St. Franziskus ...
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Ein weiteres Projekt war die<br />
Einführung der „Bienchendienste“<br />
– kurzen, wertschätzenden<br />
Kontakten zu Bewohnern mit<br />
Demenz. Sie können z.B. darin<br />
bestehen, ein vertrautes Lied<br />
zu summen oder ein Gebet zu<br />
sprechen.<br />
sind im Alltag eines der wichtigsten Instrumente<br />
für eine lernende Organisation. Sie<br />
helfen dabei, das Verhalten von Bewohnern<br />
auf dem Hintergrund ihrer Lebensgeschichte<br />
und ihres Krankheitsbildes zu verstehen und<br />
angemessen darauf zu reagieren. Fallbesprechungen<br />
werden in allen Einrichtungen<br />
eingeführt und finden regelmäßig in den<br />
Bezugspflegeteams statt. An den Fallbesprechungen<br />
nehmen alle Mitglieder eines<br />
Teams teil (Fachkräfte, Helfer/innen, Alltagsbegleiter/innen,<br />
Schüler und Praktikanten).<br />
„Hier sind alle blöd, sieht man doch“<br />
Eine Mitarbeiterin bereitet sich dazu als<br />
„Fallbringerin“ vor. Sie stellt den Bewohner,<br />
seine Biographie und die Probleme und<br />
Ressourcen kurz und präzise dar. Beispiel:<br />
Frau P., die schon seit fast zwei Jahren im<br />
Altenzentrum lebt, hat sich verändert. Sie<br />
fordert in den letzen Wochen von den Mitarbeitern<br />
der Pflege sehr viel Hilfe ein, ruft<br />
und klingelt häufig und beklagt sich, dass sie<br />
zu wenig Unterstützung bekommt. Sie nutzt<br />
ihre eigenen Ressourcen kaum und weigert<br />
sich, wie bisher am Rollator zu gehen. Sie<br />
ist misstrauisch gegenüber den Mitarbeitern<br />
und äußert den Verdacht, bestohlen worden<br />
zu sein. Ihre Essmanieren haben sich verschlechtert:<br />
sie verschüttet viel und spuckt<br />
das Essen häufig aus. Frau P. geht davon<br />
aus, dass sie sich völlig adäquat verhält:<br />
„Hier sind alle blöd, sieht man doch.“<br />
Nach der Fallvorstellung tragen die beteiligten<br />
Mitarbeiter ihre Eindrücke und Erfahrungen<br />
zusammen. Anschließend werden Lösungsvorschläge<br />
erarbeitet und dokumentiert.<br />
Das Team vereinbart verbindlich, wie zukünftig<br />
auf schwierige Verhaltensweisen des<br />
Bewohners reagiert wird. Nach vier Wochen<br />
wird eine Evaluation durchgeführt, d.h. das<br />
Team bespricht, ob die vereinbarten<br />
Lösungsansätze die erwünschte Wirkung<br />
hatten. Gegebenenfalls werden andere<br />
Lösungsvorschläge erarbeitet.<br />
<strong>franziskus</strong>-<strong>bote</strong> 1/12<br />
Fallbesprechungen sind für Bewohner wie Mitarbeiter hilfreich. Hier Sabrina Zermiani (links), gerontopsychiatrische<br />
Fachkraft, bei einer Fallbesprechung mit Mitarbeiterin Melanie Burhanli im Rottweiler<br />
Altenzentrum <strong>St</strong>. Elisabeth. Foto: Marchfeld<br />
Team will Unsicherheiten nehmen<br />
Im Fall von Frau P. wird deutlich, dass ihr<br />
Kurzzeitgedächtnis in den letzten Monaten<br />
nachgelassen hat. Folge davon sind vermutlich<br />
die Unsicherheit bei den täglichen Verrichtungen,<br />
das Misstrauen und die Angst<br />
vor vermeintlich Unbekanntem. Das Team<br />
legt fest, dass Frau P. zukünftig eindeutige,<br />
immer gleich bleibende Informationen zum<br />
Tagesablauf erhält. Um die Gehfähigkeit zu<br />
erhalten, wird Frau P. dazu motiviert, den<br />
Weg von ihrem Zimmer zum Aufenthaltsbereich<br />
in Begleitung von zwei Pflegekräften zu<br />
gehen (gibt Sicherheit). Bei den Mahlzeiten<br />
werden Frau P. versuchsweise einzelne Kom -<br />
ponenten passiert ange<strong>bote</strong>n. Möglicherweise<br />
hat sie Probleme beim Kauen. Arthro -<br />
sebedingt hat sich die Bewegungsfähigkeit<br />
ihrer Arme reduziert, Frau P. wird daher<br />
ein speziell gebogener Löffel ange<strong>bote</strong>n.<br />
Fallbesprechungen haben positive Auswirkungen<br />
auf die Bewohner, die Mitarbeiter<br />
und den Ablauf auf dem Wohnbereich. Sie<br />
nehmen Ängste, vermitteln Regeln, geben<br />
Handlungssicherheit und erleichtern so das<br />
komplexe tägliche Miteinander.<br />
Orientierung durch Milieugestaltung<br />
Die Arbeitstagungen finden in verschiedenen<br />
Altenzentren statt. Die Hausführung bei den<br />
Arbeitstagungen ist stets eine willkommene<br />
Gelegenheit zum Austausch über die Möglichkeiten<br />
der Gestaltung der Wohnbereiche.<br />
In den Wohngruppen für Menschen mit<br />
19<br />
Demenz sind Beschäftigungsmöglichkeiten<br />
mit hohem Aufforderungscharakter ebenso<br />
wichtig wie gemütliche Sitzplätze und interessant<br />
gestaltete Flure, die zum Laufen<br />
anregen. Marc <strong>St</strong>robel, Gerontofachkraft in<br />
Ausbildung, hat sich im Rahmen seiner Projektarbeit<br />
vorgenommen, die Türschilder der<br />
Zimmer zusammen mit den Bewohnern indi -<br />
viduell und biografieorientiert zu gestalten.<br />
Schulungen für das Gemeinwesen<br />
Je intensiver das Thema Demenz in der<br />
Öffentlichkeit diskutiert wird, desto häufiger<br />
werden die Einrichtungen als Kompetenzzentren<br />
für Schulungen von Ehrenamtlichen,<br />
Mitgliedern von Besuchskreisen und Gemein -<br />
demitgliedern nachgefragt.<br />
Ziel der nächsten Arbeitstagung ist es, bereits<br />
vorhandene Schulungsmaterialien zu sammeln,<br />
zu bewerten und auszutauschen. Susi<br />
Rehm aus dem Altenzentrum <strong>St</strong>. Ulrich in<br />
Wehingen bietet z.B. regelmäßig Beratungs -<br />
nachmittage für Angehörige und interessierte<br />
Gemeindemitglieder an. Mehrere Fachkräfte<br />
haben bereits Schulungen für Mitarbeiter<br />
und Ehrenamtliche durchgeführt.<br />
In den kommenden Arbeitstagungen wird<br />
es unter anderem um neue wissenschaftliche<br />
Erkenntnisse und die Aktualisierung des<br />
Demenzkonzepts gehen, um vorbildliche<br />
Beispiele aus der Praxis und noch umzusetzende<br />
Wünsche der gerontopsychiatrischen<br />
Fachkräfte. Ursula Bacher