Katholiken in Lienen seit der Reformation

Katholiken in Lienen seit der Reformation Katholiken in Lienen seit der Reformation

23.11.2012 Aufrufe

Gunst des Volkes haschenden Mannes! Im Haus des Pastors ist alles ähnlich unordentlich, so dass man wahrlich von einem Saustall sprechen kann. In seinem Schlafzimmer waren mehrere irrgläubige Bücher und Mieder seiner unrechtmäßigen Frau. In seinem Bett waren zwei Lie- gestellen zu erkennen, die sich durch ausgedrückte Gruben abzeichneten.“ 32 In Glandorf 33 fand Lucenius ähnliche Zustände vor: Der Pfarrer Johann Geistemann, Sohn des ehemaligen Pfarrers in Milte, hatte drei Kinder mit seiner Köchin. Im Ritus waren starke pro- testantische Einflüsse zu finden. Lucenius attestierte dem Pastor mangelnde Bildung. Ferner räumte der Pastor selber ein, sieben Jahre nicht gebeichtet zu haben. Als er den Nachweis seiner Legitimation, also seiner Weihe, vorweisen sollte, präsentierte Geistemann eine plumpe Fälschung. Auch in Hagen 34 verwaltete ein Pastorensohn die Pfarrei. Konrad Kruse, Sohn des Hagener Pfarrers Heinrich Kruse, hatte wiederum selbst eigene Kinder, seine Frau war jedoch bereits verstorben. Seine Unenthaltsamkeit wollte er gegenüber dem Visitator mit der Ge- wohnheit des Landes (!), der Schwachheit des Fleisches und der Sorge um die Hausarbeit entschuldigen. Das Sakrament des heiligen Abendmahles wurde nach lutherischem Brauch in beiderlei Gestalt nach der heiligen Messe gespendet. Nur im Kirchspiel Glane 35 fand der Visitator alles nach „katholischem Brauch und Ritus“ vor. Über die Einwohner urteilte er jedoch: „Das Volk ist unwissend und hat einen Glauben, wie ihn Ansteckung mit dem Irrglauben und die vorausgehenden Zeiten hinterlassen haben.“ 36 Erst nach dem Westfälischen Frieden wurde in der sogenannten „Capitulatio perpetua Osnab- rugensis“ – dem immerwährenden Vertrag –, dem 1650 verabschiedeten Grundgesetz des gemischtkonfessionellen Fürstbistums Osnabrück, für jedes Kirchspiel die Konfession ver- bindlich festgelegt. 37 Daher kommt es, dass das Bistum bis heute aus einem bunten Flicken- teppich der verschiedenen Konfessionen besteht. 32 Ebd., S. 15. Übersetzung nach Pabst. 33 Ebd., S. 16-17. 34 Ebd., S. 17-20. 35 Ebd., S. 13. 36 Ebd. 37 Artikel 21 der Capitulatio, Abdruck bei: Fink, Erich, Die Capitulatio perpetua Osnabrugensis oder Immerwährende Kapitulation vom 28. Juli 1650, in: 350 Jahre Capitulatio perpetua Osnabrugensis (1650-2000). Entstehung – Folgen – Text, hrsg. v. Wolfgang Seegrün u. Gerd Steinwascher, Osnabrück 2000, S. 57-77. 10

Abb. 5: Der Osnabrücker Südkreis in seiner konfessionellen Gliederung 1650 (Dunkelgrau: über 75 % Katholiken; hellgrau: unter 25 % Katholiken). Ähnlich, wie es in den heute katholischen Nachbargemeinden Anfang des 17. Jahrhunderts aussah, wird es anfänglich auch in Lienen gewesen sein. Der in der Zeit der beginnenden Re- formation wirkende Pfarrer war Konrad Meyer, der noch als katholischer Pfarrer von der Her- forder Äbtissin, die in Lienen das Recht zur Besetzung der Pfarrstelle besaß (s.o.), eingesetzt wurde. 38 Später beanspruchten Graf Konrad von Tecklenburg († 1557) und sein Schwieger- sohn und Nachfolger Eberwin von Bentheim-Steinfurt (1536-1562) bzw. Konrads Tochter Anna (1532-1582) als Regentin von 1562 bis 1573 dieses Recht, was zu erbitterten Konflikten mit der Herforder Äbtissin führte. 39 Erst Graf Arnold von Bentheim-Tecklenburg-Steinfurt (Sohn Annas und Eberwins) gestand 1573 der Äbtissin wieder das Patronats- und Kollations- recht in Lengerich und Lienen zu, unter der Bedingung, dass nur eine „Berufung guter, ehrba- rer, bequemer Personen reiner Lehre Augsburgischer Konfession und guten Wandels“ 40 aner- kannt werde. Die anfängliche Ritenunsicherheit des Lienener Pfarrers ist auch in einer Erzählung erhalten geblieben, die Wilhelm Wilkens für die Nachwelt aufgezeichnet hat: Der im Jahre 1958 im Alter von 100 Jahren verstorbene Bauer Ernst Pietig aus Meckelwege gab aus den Erzählungen seiner Vorfahren wieder, dass zur Zeit der Reformation Unzufrie- 38 Hunsche, Lienen (wie Anm. 3), S. 118. 39 Ebd. 40 Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Westfalen, Fürstabtei Herford, Nr. 437, zit. nach Hunsche, Lienen (wie Anm. 3), S. 118. 11

Gunst des Volkes haschenden Mannes! Im Haus des Pastors ist alles ähnlich unordentlich, so<br />

dass man wahrlich von e<strong>in</strong>em Saustall sprechen kann. In se<strong>in</strong>em Schlafzimmer waren mehrere<br />

irrgläubige Bücher und Mie<strong>der</strong> se<strong>in</strong>er unrechtmäßigen Frau. In se<strong>in</strong>em Bett waren zwei Lie-<br />

gestellen zu erkennen, die sich durch ausgedrückte Gruben abzeichneten.“ 32<br />

In Glandorf 33 fand Lucenius ähnliche Zustände vor: Der Pfarrer Johann Geistemann, Sohn des<br />

ehemaligen Pfarrers <strong>in</strong> Milte, hatte drei K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit se<strong>in</strong>er Köch<strong>in</strong>. Im Ritus waren starke pro-<br />

testantische E<strong>in</strong>flüsse zu f<strong>in</strong>den. Lucenius attestierte dem Pastor mangelnde Bildung. Ferner<br />

räumte <strong>der</strong> Pastor selber e<strong>in</strong>, sieben Jahre nicht gebeichtet zu haben. Als er den Nachweis<br />

se<strong>in</strong>er Legitimation, also se<strong>in</strong>er Weihe, vorweisen sollte, präsentierte Geistemann e<strong>in</strong>e plumpe<br />

Fälschung. Auch <strong>in</strong> Hagen 34 verwaltete e<strong>in</strong> Pastorensohn die Pfarrei. Konrad Kruse, Sohn des<br />

Hagener Pfarrers He<strong>in</strong>rich Kruse, hatte wie<strong>der</strong>um selbst eigene K<strong>in</strong><strong>der</strong>, se<strong>in</strong>e Frau war jedoch<br />

bereits verstorben. Se<strong>in</strong>e Unenthaltsamkeit wollte er gegenüber dem Visitator mit <strong>der</strong> Ge-<br />

wohnheit des Landes (!), <strong>der</strong> Schwachheit des Fleisches und <strong>der</strong> Sorge um die Hausarbeit<br />

entschuldigen. Das Sakrament des heiligen Abendmahles wurde nach lutherischem Brauch <strong>in</strong><br />

bei<strong>der</strong>lei Gestalt nach <strong>der</strong> heiligen Messe gespendet.<br />

Nur im Kirchspiel Glane 35 fand <strong>der</strong> Visitator alles nach „katholischem Brauch und Ritus“ vor.<br />

Über die E<strong>in</strong>wohner urteilte er jedoch: „Das Volk ist unwissend und hat e<strong>in</strong>en Glauben, wie<br />

ihn Ansteckung mit dem Irrglauben und die vorausgehenden Zeiten h<strong>in</strong>terlassen haben.“ 36<br />

Erst nach dem Westfälischen Frieden wurde <strong>in</strong> <strong>der</strong> sogenannten „Capitulatio perpetua Osnab-<br />

rugensis“ – dem immerwährenden Vertrag –, dem 1650 verabschiedeten Grundgesetz des<br />

gemischtkonfessionellen Fürstbistums Osnabrück, für jedes Kirchspiel die Konfession ver-<br />

b<strong>in</strong>dlich festgelegt. 37 Daher kommt es, dass das Bistum bis heute aus e<strong>in</strong>em bunten Flicken-<br />

teppich <strong>der</strong> verschiedenen Konfessionen besteht.<br />

32<br />

Ebd., S. 15. Übersetzung nach Pabst.<br />

33<br />

Ebd., S. 16-17.<br />

34<br />

Ebd., S. 17-20.<br />

35<br />

Ebd., S. 13.<br />

36<br />

Ebd.<br />

37<br />

Artikel 21 <strong>der</strong> Capitulatio, Abdruck bei: F<strong>in</strong>k, Erich, Die Capitulatio perpetua Osnabrugensis o<strong>der</strong> Immerwährende<br />

Kapitulation vom 28. Juli 1650, <strong>in</strong>: 350 Jahre Capitulatio perpetua Osnabrugensis (1650-2000). Entstehung<br />

– Folgen – Text, hrsg. v. Wolfgang Seegrün u. Gerd Ste<strong>in</strong>wascher, Osnabrück 2000, S. 57-77.<br />

10

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!