10.07.2015 Aufrufe

Menschen | zuMdorf - daniela schwegler

Menschen | zuMdorf - daniela schwegler

Menschen | zuMdorf - daniela schwegler

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN
  • Keine Tags gefunden...

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

| Migros-Magazin | Nr. 49, 2. Dezember 2013 | <strong>Menschen</strong> | <strong>zuMdorf</strong>| 33Suisse ganzminiatureEin Restaurant, eine Kapelle, zwei Ställe, zweiFerienhäuser und vier Einwohner – das ist Zumdorf imUrner Urserental, das kleinste Dorf der Schweiz.Zumdorf, kleinstes Dorf derSchweiz» wirbt die Tafel an derHauptstrasse selbstbewusst für diekleine Häusergruppe auf 1500 Metern.Eine Kapelle, ein Restaurant, zweiFerienhäuser und zwei Ställe. Mehr gibtes nicht. Hier, im Urner Urserental,wohnt die vierköpfige WirtefamilieSchmid, die einzigen ganzjährigenBewohner von Zumdorf.«Weisst du eigentlich, dass du imkleinsten Dorf der Schweiz wohnst?»,hätten ihn die Urner immer wiedergefragt. Irgendwann wollte es AndreasSchmid (43) genau wissen. Er klopftebeim Basler Geschichtsprofessor MartinSchaffner an, der die Geschichte desUrserentals über Jahrzehnte erforschthat (siehe Interview Seite 37). Als genügendFakten auf dem Tisch lagen,schrittder Wirt zur Tat und stellte besagte Tafelauf.um 1900 war zumdorf komplettausgestorbenStattliche 50 Einwohner zählte dasZumdörfli, ehe es 1851 unter einergewaltigen Lawine verschüttet wurde.Drei Einwohner kamen dabei ums Leben.Andere zogen weg, sodass das Dörfchen20 Jahre später gemäss Volkszählung auf13 Seelen geschrumpft war. Immer mehrBewohner zogen ins benachbarte Hospental,dem Zumdorf 1888 per neuerKantonsverfassung politisch zugeteiltwurde. Und um 1900 herum war Zumdorfkomplett ausgestorben.Bis die Familie Schmid es wieder ausdem Dornröschenschlaf erweckte. DieSchmids gehören seit je zum Dorf wie dieKirche. Ihr Vorfahre, der ArchitektBartholomäus Schmid,hatte die Kapellemit dem wertvollen Ritz-Altar 1720 errichtet.Jahrhunderte später verliebtesich sein Nachkomme Peter Schmid,Gastwirt in Hospental, wieder in denunterdessen verlassenen Flecken, wo erschon als Bub Kühe gehütet hatte. Undso erbauten er und seine Frau Hildegarddort 1981 das Restaurant «Zum Dörfli».«Meinen Eltern hatte der Ort gefallen»,sagt Andreas Schmid,«sie wollten etwasmachen. Gerade auch für die vielenLangläufer, die im Winter am Dörfchenvorbeikommen.» 1993 übergaben dieEltern Kochlöffel und Betrieb ihremSohn, dem leidenschaftlichen Koch,eingefleischten Jäger und damals noch


| Migros-Magazin | Nr. 49, 2. Dezember 2013 | <strong>Menschen</strong> | <strong>zuMdorf</strong>| 35Im alten Stallhaben Schmids«Schlafen imStroh» eingerichtet(links).Zumdorf liegtim Urserental,zwischenHospental undRealp (unten).HospentalAndermattKarte WSGrafikHildegard und Peter Schmid-Portmann,Andreas Schmids Eltern, bauten 1981 dasRestaurant «Zum Dörfli».Junggesellen. Als drei Jahre später IsabellaSteinbauer (37), die charmanteServiertochter aus der Steiermark, mitdem Glacierexpress anreiste,war es baldum den Wirt geschehen.Die österreichischeVerstärkung wollte zwar auf derStelle umkehren. «Als ich Ende Juni inHospental aus dem Zug stieg, lag zentimeterhochSchnee. Ich hatte nur Sommerkleiderdabei und wäre am liebstengleich wieder in den Zug gestiegen.» DieWirtin in der rot-weissen Dirndlbluselacht herzhaft. Um den jungen GastwirtAndreas herum wurde es ihr dann aberbald warm ums Herz. «Andreas warLiebe auf den ersten und das UrserentalLiebe auf den zweiten Blick», sagt sieund schmunzelt. Und so blieb Isabella.Inzwischen 17 Jahre.erste Taufe eines zumdorfersnach 103 JahrenSohn Eric kam im Juni 2001 zur Welt.«Nach 103 Jahren wurde er als ersterEinwohner wieder in unserer prächtigenBarockkapelle getauft», erzählt dieMutter stolz. «Dass ein neuer Zumdörflerhier aufwächst, kommt einemJahrhundertereignis gleich.» Vier Jahrespäter wurde Janik geboren. WomitZumdorf wieder auf vier Bewohnerangewachsen war.«Einzig im Winter bei grosser Lawinengefahrmüssen die Buben manchmalin Hospental übernachten», sagt Isabella.Die Heimfahrt nach der Schuleunter den steilen, schneebeladenenNordhängen des stotzigen WinterhornsZumdorfRealpBlick auf Zumdorf im Süden Uris: Eine Kapelle, ein Restaurant, zwei Ferienhäuser und zwei Ställe.1 kmURTIGotthard-PassURTI


| Migros-Magazin | Nr. 49, 2. Dezember 2013 | <strong>Menschen</strong> | <strong>zuMdorf</strong>| 37hindurch wäre dann zu gefährlich. Umein Haar gerieten die Buben vorletztenWinter in eine Lawine, die auf dieHauptstrasse niederdonnerte, kurzbevor der Schulbus die Strasse passierte.Vor gut 100 Jahren ist Zumdorf in einemReiseführer als «schlimmes Rüfen- undLawinengebiet» beschrieben worden.Heute jedoch stemmt sich oberhalb desDorfs ein dichter Waldkeil gegen dieSchneemassen am Berg. Und in der Kapellewacht der Heilige St.Nikolaus, derSchutzpatron vor Lawinen, Bergstürzenund Feuer, über die Zumdorfer. Die FamilieSchmid hofft auf weitere Unterstützungsmassnahmen,darunter die500 Meter lange Strassengalerie zwischenHospental und Zumdorf, die alsPlan schon längst in den Schubladen derKantonsregierung ruht. Und zu derenRealisierung nur noch die Geldergesprochen werden müssen.Denn Zumdorf soll weiterhinGeschichte schreiben.Als Dorf, das lebt.Mit einer Gastwirtschaft im Herzen, diedereinst vielleicht von den Söhnen derFamilie übernommen wird. «Aber dasist Zukunftsmusik», sagt Vater Schmidund lacht sein verschmitztes Lachen.Texte: Daniela SchweglerBilder: Samuel TrümpyAndreas Schmid,der auch Kirchendienerist, in derKapelle, dieBartholomäusSchmid, einerseiner Vorfahren,1720 gebaut hat.Isabella Schmidam Taufstein, woihre beiden Kindergetauft wurden.www.migrosmagazin.chLesen sie onLineDas grösste, grösstflächige oder höchstgelegene:die rekorddörfer der Schweiz.Kennen auch Sie eines?«Für die Bevölkerung ist das Dörfli ein Dorf»Martin Schaffner(73) ist emeritierterGeschichts-Professor der UniBasel. Er hat dieGeschichte derTalschaft Urserenerforscht.Martin Schaffner, mit vierEinwohnern sei Zumdorf daskleinste Dorf der Schweiz, sagendie Zumdörfler. Stimmt das?Ja, für die Bevölkerung imUrserental ist das Dörfli, wiesie die Häusergruppierungmeist im Diminutiv nennt,klar ein Dorf.Ist Zumdorf somit nicht eigentlichein Weiler?Auch das ist richtig, gehörtZumdorf doch seit der neuenUrner Kantonsverfassungvon 1888 politisch zumbenachbarten Hospental.Auspolitischer Sicht ist Zumdorfdamit keine eigenständigeGemeinde, sondern einunselbständiger Weiler. Aberein Dorf definiert sich nichtnur über politische Aspekte,sondern auch über seine Geschichte,die Architektur undden Selbstbehauptungswillender Bevölkerung.Dann hat Familie Schmid alsorecht, wenn sie von Zumdorf alskleinstem Dorf der Schweizspricht?Hat sie. Die im 12.Jahrhundertvon Walsern gegründeteSiedlung war einst politischautonom. Und im Kollektivgedächtnisder Talbevölkerungist Zumdorf nach wievor als Dorf verankert.Ein Dorf mit vier Einwohnern ‒das klingt jedenfalls gut!Klar steckt hinter der Tafelam Ortseingang «Zumdorf,kleinstes Dorf der Schweiz»auch das Interesse der WirtefamilieSchmid,ihren Gastrobetriebim Dorf schweizweitals etwas Besonderes darzustellen.Aber das ist legitim.Und ich hab auch Sympathiedafür. Haben sie doch mitdem Bau des Restaurants«Zum Dörfli» viel ins Dorfinvestiert und es wieder inSchwung gebracht. Dass dasRestaurant nun läuft und sieim Dorf bleiben können, istden Schmids von Herzen zuwünschen.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!