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Aktion & Reflexion Heft 2 - Paulo Freire Zentrum

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Andreas Novy// Barbara Beinstein// Christiane VoßemerMethodologie transdisziplinärerEntwicklungsforschung<strong>Aktion</strong> & <strong>Reflexion</strong>Texte zur transdisziplinären Entwicklungsforschung und Bildung<strong>Heft</strong> 2Wien: <strong>Paulo</strong> <strong>Freire</strong> <strong>Zentrum</strong>, Dezember 20081 // Methodologie transdisziplinärer Entwicklungsforschung // <strong>Aktion</strong> & <strong>Reflexion</strong>


Abstracts// Andreas Novy// Barbara Beinstein// Christiane VoßemerMethodologie transdisziplinärerEntwicklungsforschung<strong>Aktion</strong> & <strong>Reflexion</strong>Texte zur transdisziplinärenEntwicklungsforschungund Bildung<strong>Heft</strong> 2Wien: <strong>Paulo</strong> <strong>Freire</strong> <strong>Zentrum</strong>, Dezember 2008finanziell unterstützt vonDieser Artikel bietet einen Einstieg für Feldforschungenzum Themenfeld Entwicklungsforschung, die dieTrennung von Objekten und Subjekten der Forschungüberwinden wollen. In einem ersten Teil werden dreiverschiedene Zugänge zum Themenfeld Entwicklungsforschungdargestellt, wobei der Ansatz betont wird,der eine breitere, auch Europa und die USA integrierendeSichtweise von Entwicklungsforschung verfolgt. Derzweite Teil widmet sich der interpretativen Sozialforschungund hierbei den beiden Methoden der teilnehmendenBeobachtung und des ero-epischen Gesprächs.Dabei wird die Variante von interpretativer Sozialforschungbetont, die als Teamarbeit und im Rahmen einerkumulativ-zirkulären Forschung organisiert ist. Hinzukommen praktische Hilfestellungen für Forschende, diemit diesem Forschungszugang noch nicht vertraut sind.Der dritte Teil widmet sich der Transdisziplinarität alseinem Forschungsprogramm, das Wissen über die Mauernder Universität hinaus organisiert, indem es dasErfahrungswissen der AkteurInnen vor Ort aktiviert undin den Lern- und Forschungsprozess einbringt. Auchin diesem Kapitel, in dem es um die gesellschaftlicheVerantwortung der Wissenschaft geht, werden nebengrundlegenden Überlegungen zur Organisation derForschung praktische Hinweise für transdisziplinäresForschen gegeben.This article offers an introduction into fieldwork indevelopment studies that aims to overcome the subject -objects divide in research. In the first part three differentapproaches to development research are described,while a broad approach, which includes Europe and theUSA as sites of development, is especially pointed out.The second part of the article addresses interpretativesocial science and looks particularly at the methods ofparticipant observation and ero-epic dialogue. A versionof interpretative social science, which is organised asteam-work in the context of cumulative-circular researchprocesses, is especially emphasised. In addition a additionalsupport is offered for researchers without profoundexperience with these approaches and methods. Thethird part highlights the topic of transdisciplinarity asa research program that exceeds the academic fieldby invoking the experience-based knowledge of localagents and integrating it into the learning and researchprocess. Again, in this chapter practical advice for theorganisation and execution of transdisciplinary researchis offered in addition to a reflexion on the social andethical responsibility of science.2 // Methodologie transdisziplinärer Entwicklungsforschung // <strong>Aktion</strong> & <strong>Reflexion</strong>


Inhalt1. Einleitung ....................................................... 42. Entwicklungsforschungin europäischen Städten ................................. 52.1. Drei Zugänge zu Entwicklungsforschung ....... 52.2. Stadtentwicklung und Produktionvon Raum ....................................................... 72.3. Das Beispiel „Wien in Zentraleuropa“ ........... 93. Methodologieinterpretativer Sozialforschung .................... 103.1. Lernende und offene Haltungder Forschenden ........................................... 123.2. Teamarbeit ................................................... 143.3. Forschungsprozess ....................................... 153.3.1. Zirkulärer Forschungsprozessund Hypothesengenerierung .......................... 153.3.2. Die Organisierung der Feldforschung .............. 163.3.2.1. Planungsphase ..........................................................163.3.2.2. Orientierungsphase ...................................................173.3.2.3. Zyklische Hauptforschungsphase ...............................183.3.2.4. Phase der Ergebnisdarstellung ...................................183.4. Methoden .................................................... 183.4.1. Beobachtung ................................................. 193.4.2. Teilnehmende Beobachtung ........................... 193.4.3. Gespräch ...................................................... 203.4.4. Andere Methoden ......................................... 223.5. Dokumentation ............................................ 223.5.1. Protokolle ..................................................... 233.5.2. Memos ......................................................... 233.5.3. Forschungsexposée ....................................... 243.5.4. Aufnahmen und Transkripte ........................... 243.6. Interpretation ............................................... 253.6.1. Interpretation systematisieren ........................ 263.6.2. Reduktionsorientiertes Codierverfahren .......... 283.7. Darstellung der Ergebnisse ........................... 303.7.1. Seminararbeiten ............................................ 303.7.2. Feedback an die Mit-Forschenden .................. 303.7.3. Publikationfür eine interessierte Öffentlichkeit ................. 304. Methodologietransdisziplinären Forschens ........................ 314.1. Wissenschaftin gesellschaftlicher Verantwortung ............. 314.2. Transdisziplinärer Forschungsprozess ........... 324.2.1. Interpretative Sozialforschungund Transdisziplinarität .................................. 324.2.2. Defi nition ...................................................... 334.2.3. Ziele ............................................................. 344.2.4. Organisierung von Transdisziplinarität ............ 344.2.4.1. Anforderungen an die Beteiligten ..............................344.2.4.2. Prozessgestaltung .....................................................354.2.4.3. Rahmenbedingungen ................................................364.2.5. Evaluationskriterien ....................................... 374.3. Transdisziplinäres Forschen konkret ............. 384.3.1. Wisse, was du tust – kenne deine Grenzen! ... 384.3.2. Kooperationsvereinbarung ............................. 384.3.3. Gemeinsame Themensuche ............................ 394.3.4. Gemeinsame Organisierung der Forschung..... 394.3.5. Gemeinsame Ergebnispräsentation ................ 395. Literaturverzeichnis ...................................... 403 // Methodologie transdisziplinärer Entwicklungsforschung // <strong>Aktion</strong> & <strong>Reflexion</strong>


1. EinleitungDer vorliegende Reader zur Methodologie transdisziplinärerEntwicklungsforschung soll Studierende unterstützen,Feldforschung in Wien, einer reichen Stadt,zu betreiben. Im Mittelpunkt dieses Forschungsfeldesstehen ihre Ränder – Außenseiterinnen 1 , Minderheitenund benachteiligte Stadtteile. Wie kann Armut in einerreichen Stadt wahrgenommen werden? Was fördert,was behindert den sozialen Zusammenhalt? Wie erlebenMigrantinnen die fremde Heimat und welche Konflikteergeben sich im Zusammenleben von Menschenunterschiedlicher Herkunft (Novy et al. 2008)? DieseProbleme erfordern eine ganzheitliche Herangehensweise:Armut muss in Beziehung zu Reichtum gesetztwerden; Kulturaustausch ist Chance und Gefahr; derWechsel der Heimat kann Wurzeln zerstören oder neueIdentitäten schaffen. In diesem Sinne handelt es sichbei städtischen Problemen immer auch um Entwicklungsprobleme.Entwicklung passiert nicht nur in derDritten Welt, sondern ereignet sich im <strong>Zentrum</strong> genauso wie an der Peripherie. Entwicklung beschreibt dieVeränderung des Bestehenden, das Werden von Stadt,Wirtschaft und Gesellschaft.Universitäre Seminare finden oftmals bloß hinter denMauern der Universität statt. Aktivitäten erschöpfensich im Lesen und Schreiben. Doch Universitäten, geradedann wenn sie aus Steuergeldern finanziert werden,haben eine Verpflichtung gegenüber der Allgemeinheit.Es gilt, den Austausch der Universitäten mit gesellschaftlichenAkteurinnen zu fördern, um einen Beitragzur Entwicklung vor Ort, in der Schule oder der Stadt zuleisten.Eine Herangehensweise, die Phänomene zueinanderin Beziehung setzt, erfordert eine spezifische Organisationdes Forschungsprozesses, denn eine integrierteAnalyse städtischer Entwicklungsprobleme ist nurmöglich, indem verschiedene Perspektiven eingebracht1Aus Gründen der semantischen Vereinfachung, und um denLesefluss nicht zu beeinträchtigen, wurde weitgehend nur dieweibliche Wortendung gewählt. Alle personenbezogenen Aussagengelten jedoch stets für Frauen und Männer gleichermaßen.werden: von Betroffenen, Fachleuten und Forschenden.Transdisziplinarität ist die Form von Wissenschaft, dieErfahrungswissen und wissenschaftliches Wissenverbindet. Damit werden elitäre und abgehobeneAnalysen vermieden, mit denen das Denken undHandeln derjenigen, die unter ungerechten Strukturenleiden, nicht verstanden werden kann. Das <strong>Paulo</strong> <strong>Freire</strong><strong>Zentrum</strong> fördert seit 2006 derartige Kooperationen.„Hauptschule trifft Hochschule“ ist eine Form derZusammenarbeit von Universitäten und städtischenAkteurinnen, konkret der Wirtschaftsuniversität Wien(WU-Wien) und der Kooperativen Mittelschule 18 (KMS18). Die Kooperation der WU-Wien mit der WienerIntegrationskonferenz (WIK) zur <strong>Reflexion</strong> über Konfliktund Dialog der Kulturen ist ein weiteres diesbezüglichesPilotprojekt, um Entwicklungen in Wien besser zuverstehen und vielleicht sogar einen Beitrag zu leisten,um - Galileo Galilei in Brechts gleichnamigen Theaterstückfolgend – durch Wissenschaft die Mühseligkeitder menschlichen Existenz zu erleichtern.Der Frage nach der gesellschaftlichen Relevanz (sozial)wissenschaftlicher Forschung schließt sich die Fragenach der Position der Forschung im gesellschaftlichenMachtgefüge an: Welche Verantwortung hat dieWissenschaft? Wie unabhängig ist sie beziehungsweisesoll sie sein? Wer definiert ihre Ziele und Forschungsfragen?Diese Fragen lassen sich nicht eindeutig beantworten,es gab und gibt zu jeder Zeit unterschiedliche,neben einander existierende Auffassungen von derRolle der Wissenschaft.Der Reader gliedert sich in drei Teile. Im ersten Teil werdenverschiedene Zugänge zu Entwicklungsforschungdargestellt und ihre Bedeutung zur Erforschung vonEntwicklungsproblemen in Industriestaaten herausgearbeitet.Im zweiten, umfangreichsten Teil werdenverschiedene Methoden der interpretativen Sozialforschungvorgestellt. Dabei geht es neben philosophischenGrundlegungen insbesondere um die Befähigungvon Studierenden zum systematischen Forschen. Dendritten Teil bilden Überlegungen zum transdisziplinärenForschen. Hierbei steht die Beziehung der Forschendenzu den Alltags-Expertinnen im <strong>Zentrum</strong> der <strong>Reflexion</strong>über eigenständiges und respektvolles Forschen. Damitsteht Studierenden eine Grundlage zur Verfügung,Entwicklungsprozesse anhand von Methoden der interpretativenSozialforschung in einem transdisziplinärenForschungskontext zu ergründen.4 // Methodologie transdisziplinärer Entwicklungsforschung // <strong>Aktion</strong> & <strong>Reflexion</strong>


2. Entwicklungsforschung in europäischen StädtenIm Laufe des Studiums erwerben Studierende verschiedeneFertigkeiten, gleichsam Handwerkszeug. An derWirtschaftsuniversität Wien zum Beispiel befähigt daserworbene Wissen, betriebliche Aufgaben zu erfüllen:Marketing, Personalentwicklung, Kostenrechnung.Doch gleichzeitig bedarf es im Beruf und im Lebender Fähigkeit, in Zusammenhängen zu denken unddas Unternehmen als Teil eines komplexen Systemszu verstehen (Altvater/Mahnkopf 2002; Novy 2007a).Hierbei ist die Entwicklungsforschung eine besondershilfreiche Forschungsrichtung, denn sie vermittelt keineeinfachen Rezepte, sondern Orientierungswissen ineiner komplexen und widersprüchlichen Welt. Entwicklungsforschungproduziert politisch-ökonomischesAllgemeinwissen, dessen Sinn sich nicht auf sofortverwertbare Nützlichkeit reduziert. Sie füllt damit einVakuum, das von einer zunehmend fragmentierten undspezialisierten Ausbildung zurückgelassen wird. Sie istkein Ersatz für eine gute betriebswirtschaftliche Ausbildung,wohl aber eine wichtige Ergänzung, denn sieerweitert den Horizont, indem sie auch die Peripherieder Weltwirtschaft und die Ränder der eigenen Gesellschaftin den Blick nimmt (Novy 2007a).Dieses Kapitel gibt einen kurzen Überblick über dieZugänge, Inhalte und Methoden der Entwicklungsforschungund begründet, warum diese nicht nur aufanderen Kontinenten, sondern auch in europäischenStädten ein bedeutsames Forschungsfeld vorfindet. Umdies zu illustrieren bildet ein Exkurs zur EntwicklungWiens innerhalb Zentraleuropas den Abschluss diesesKapitels.2.1. Drei Zugänge zuEntwicklungsforschungEntwicklungsforschung wird gemeinhin mit der Erforschungvon Problemen der Unterentwicklung gleichgesetzt,das heißt der Suche nach den Gründen für dasAusbleiben von Entwicklung, wie sie Europa und dieUSA im 19. und 20. Jahrhundert durchgemacht haben.Als eigenständige Disziplin entstand Entwicklungsforschungnach dem zweiten Weltkrieg und widmete sichder Frage, wie Entwicklung auch in den vermeintlichunterentwickelten Regionen Afrikas, Asiens und Lateinamerikasmöglich wird. Dabei blieben normative undanalytische Fragen eng verwoben (Streeten 1997; Sen2001; Fischer/Hödl 2007).Der erste Zugang zur Entwicklungsforschung konzentriertsich auf die Erforschung der sozioökonomischenDynamik in Ländern der Peripherie (Ray1998). Das Augenmerk liegt auf der Besonderheit dieserEntwicklung im Unterschied zur vermeintlich normalenEntwicklung von Industriestaaten. Dabei wurdenInformalität, strukturelle Heterogenität, Slums, derTeufelskreis der Armut und vieles mehr als Phänomeneidentifiziert, die als typisch für unterentwickelte Ländergalten. Gleichzeitig wurde nicht nur von Modernisierungstheoretikerinnen,sondern auch von Abhängigkeitstheoretikerinnernakzeptiert, dass die Zentrenentwickelt seien. Diese tief sitzende Grundannahmeüber gesellschaftlichen Fortschritt unterstellt eineHöherentwicklung, sei es in Bezug auf Produktivkräfte,Lebenserwartung oder Alphabetisierung. Das zugrundegelegte naive Fortschrittsdenken sieht die liberale Gesellschaftwestlicher Ausprägung als Endpunkt der Geschichte.Entgegen der Hoffnung auf widerspruchsfreieHöherentwicklung lassen die zumindest vorübergehenderfolgreichen Modelle autoritärer kapitalistischer Entwicklungin China und Russland Zweifel aufkommen,ob wir schon am Ende der Geschichte angekommensind. Und die Brüche in vermeintlich entwickeltenGesellschaften, hervorgerufen durch Wirtschaftskrisen,Arbeitslosigkeit und ansteigendem Rechtsextremismus,verstärken diese Zweifel. Entwicklung ist einwidersprüchlicher Prozess, der Fortschritt und Rückschrittgleichzeitig bringen kann, der für die einenvorteilhaft, für andere von Nachteil ist. Sie kann zuwirtschaftlichem Aufschwung, aber auch ökologischemDesaster führen, unternehmerische Freiheit fördern undgleichzeitig Demokratie abschaffen. Bis vor kurzem5 // Methodologie transdisziplinärer Entwicklungsforschung // <strong>Aktion</strong> & <strong>Reflexion</strong>


schien es, als ob sich periphere Länder wie Brasilien imZuge eines Modernisierungsprozesses an die Zentrenannähern. Wiewohl dies teilweise passiert, zeigt sichdie Annäherung auch in umgekehrter Richtung: Sonehmen in Österreich Teilzeitbeschäftigungen, prekäreund illegale Beschäftigungsverhältnisse kontinuierlichzu und das Normalarbeitsverhältnis eines 8-Stunden-Tags von 9.00 bis 17.00 Uhr ist immer weniger normal.Fragmentierte und gespaltene Arbeitsmärkte, bestehendaus einem formellen und informellen Segment,galten lange Zeit als Merkmale von Entwicklungsökonomien– strukturelle Heterogenität als ihr Hauptmerkmal.Moderne und prekäre Sektoren, reiche undarme Wohngegenden können gleichzeitig wachsen unddie interne Fragmentierung von Regionen und Städtenerhöhen. Keineswegs durchlaufen alle Länder diegleichen Stufen, von unterentwickelten zu entwickeltenÖkonomien. Entwicklung ist kein Selbstlauf und folgtkeinen Naturgesetzen.Der zweite Zugang zu Entwicklungsforschung untersuchtdas Problem der ungleichen Entwicklung,sowohl zwischen Ländern als auch innerhalb vonLändern. Es gibt vielfältige Diskussionen darüber, obes sinnvoll und möglich ist, dass westliche Modernisierungsprozesseals nachholende Entwicklung stattfindenoder ob Abhängigkeitsstrukturen bestehen, die <strong>Zentrum</strong>–Peripherie–Beziehungenstabilisieren (Seligson/Passé-Smith1998). Im Jahr 2000 eignete sich das reichsteFünftel der Weltbevölkerung 75% des Welteinkommensan, das ärmste einzig zwei Prozent(http://hdr.undp.org/statistics/data/). Dies gibt eineOrientierung über das Ausmaß an weltweiter Ungleichheit.Die Schlüsselfrage hierbei ist, ob der Reichtumder einen Folge der Armut der anderen ist oder ob eseigenständige Dynamiken des Wohlstands und Teufelskreiseder Armut gibt. Außer Streit steht einzig, dass dieUrsachen dieser ungleichen Entwicklung vielfältig undmulti-dimensional sind.Doch neben diesen beiden klassischen Zugängen zuEntwicklungsforschung gibt es noch eine breitere,auch Europa und die USA integrierende Sichtweisevon Entwicklungsforschung. Als klassischeBeispiele nachholender nationaler Entwicklung geltenDeutschland, Russland, Japan und die USA am Endedes 19. Jahrhunderts; als frühe Beispiele für regionaleEntwicklungsprobleme wurden im 20. Jahrhundert derSüden der USA und Italiens angeführt. Entwicklung hatimmer schon eine breitere Bedeutung als bloß die verengteSichtweise, wie sie nach dem Zweiten Weltkriegvom US-amerikanischen Präsidenten Truman vertretenwurde. Entwicklung ist ein viel benutzter, aber unscharfdefinierter Begriff (Fischer et al. 2006), der einerseitseinen positiv bewerteten Idealzustand, andererseitseinen Prozess beschreibt.Veränderung als Prozess ungleicher und ungleichzeitigerEntwicklung ist das einzige Gewisse. Die Bezeichnungals sozioökonomische Dynamiken zeigt esschon – Entwicklung ist raum-zeitliche Veränderung.Daher gibt es einen Vorrang des Werdens gegenüberdem Sein, von Prozessen gegenüber Zuständen. Umbruchist das Wesen von Entwicklung, denn die Weltist nicht, sie wird. Dies bedeutet, dass wir unsere Formdes Denkens grundlegend in Frage stellen müssen,denn es ist in unserer Sprache üblicher, Zustände alsProzesse zu beschreiben. Entwicklung zu analysierenbedeutet aber, vermehrt Prozesswörter zu verwendenund Entwicklung als Prozess so laut zu denken:Strukturierung statt Struktur, Institutionalisierungstatt Institution, Ermächtigung statt Macht. Dies istnicht einfach, aber notwendig, denn Wirklichkeit wirdständig von sozialen Akteurinnen produziert, selbstwenn es diesen gar nicht auffällt. Mit Entwicklung wirddas Bild der Entfaltung eines Prozesses verbunden: vonder Entstehung über eine Reifephase zum Ende. Lebenund Tod. In den Naturwissenschaften beschreibt dieEvolutionstheorie die Entstehung und Entwicklung vonLeben. In den Sozialwissenschaften gibt es ebenfallsVorstellungen von Evolution als Höherentwicklung: vonBauern- zu Industriegesellschaften, von EntwicklungszuIndustrieländern, von traditionellen Kulturen zumodernen Zivilisationen. Faschismus, Atomwaffen undUmweltkatastrophen haben gezeigt, dass nicht jedeVeränderung, auch nicht jeder technische Fortschritt zueiner gesellschaftlichen Höherentwicklung führt. DieArt sozioökonomischer Dynamiken variiert vielmehrstark in Raum und Zeit. Entwicklungsforschung legt diegeographischen und historischen Wurzeln sozioökonomischerProzesse offen und verortet ganz konkreteFragestellungen in einen größeren Zusammenhang.Beispielsweise wird die Bedeutung der Auslagerungsozialer Dienste in europäischen Großstädten nurvor dem Hintergrund weltweiter politökonomischerVeränderungen erklärbar. Die Preisentwicklung vonImmobilien und Mieten vor Ort ist ohne die Prozesseauf den Finanzmärkten und deren Regulierung nichtzu verstehen. Es ist dieser Zugang, der im Folgendenals theoretische Grundlage für die Feldforschung ineuropäischen Städten dient.6 // Methodologie transdisziplinärer Entwicklungsforschung // <strong>Aktion</strong> & <strong>Reflexion</strong>


2.2. Stadtentwicklungund Produktion von Raum 2Grundgedanke der Erforschung von Entwicklung alseiner Gesamtheit widersprüchlicher Dynamiken istder Umstand, dass Raum und Kultur nichts Statischessind, sondern in bestimmten Kontexten produziert undkonstruiert werden. Entwicklung benennt Veränderung,sei es in der Natur, in Kulturen oder Städten. Es ist eineDynamik, die als Spirale beschrieben werden kann,d.h. als kumulativ-zirkulärer Prozess. Nicht nurweltweit, auch in Regionen und Städten findet ungleicheEntwicklung statt. In der Stadt- und Regionalentwicklungwird dies mit dem Konzept der Polarisationerfasst, wonach es keinen Rand ohne ein <strong>Zentrum</strong> gibt.Reiche und arme Räume sind aufeinander bezogen undes bestehen Wechselwirkungen und Konflikte. Schon inantiken griechischen Städten waren Städte gespaltenund es herrschte laut Platon Krieg zwischen der reichenund der armen Stadt: „Any city, however small, is infact divided into two, one the city of the poor, the otherof the rich: these are at war with one another, and ineither there are many smaller divisions, and you wouldbe altogether beside the mark if you treated themall as a single state“ (Platon. Zitiert in Hamnett 2001:162). In der Tat finden sich historisch immer arme und2Doch nicht nur Raum, auch Kultur wird produziert, wie ananderer Stelle genauer herausgearbeitet wird (Novy et al. 2008).reiche Gegenden nebeneinander, seien es Stadtteileoder Städte, Regionen oder Reiche. Mit dem Kapitalismuswurde dieses Nebeneinander von Armut undReichtum nicht erfunden, wiewohl es sich verschärft.Joseph Schumpeter hat kapitalistische Entwicklungals einen Prozess kreativer Zerstörung bezeichnet(Schumpeter 1947: Kap. 7). Dabei bezog er sich auf dieBedeutung von Innovationen, die zu langen Wellen desAuf- und Abschwungs in der Wirtschaftsentwicklungführen. Geographinnen haben diese Überlegungenweitergeführt und gezeigt, dass hierbei dem Raum einebesondere Bedeutung zukommt, denn Menschen produzierenRaum, wobei Zerstörung und Kreation Handin Hand gehen. Ein neues Haus entsteht, nachdem dasalte abgerissen ist. Aus einer alten Fabrikshalle wirdein Entertainment-Center, aus einem Gaswerk eineWohnsiedlung. Innovationen beenden alte Routinen,das Alte geht unter, Neues entsteht. Developer, privateBetreiber von Immobilienprojekten, entwickeln einenRaum, indem sie ein Grundstück verwerten: Sie planendie Nutzung, errichten Gebäude und verkaufen diese.Eine Vielzahl unverbundener Entwicklungen dieser Artformt eine Stadt – und macht jede Stadt einzigartig.Stadtentwicklung ist daher das Wechselspiel zwischeneiner Stadtstruktur, durch die mit der Infrastruktur undder Bausubstanz die Vergangenheit, das Beharrlicheund Fixe verkörpert wird, und den Veränderungen, diesich aus den in der Gegenwart stattfindenden Investitionenund Rauminterventionen ergeben. Diese Dialektikvon Wandel und Beharrung zeigt sich anschaulichin Wien (Becker/Novy 1999, Novy et al. 2001). Wienhat eine Bausubstanz, die zu wesentlichen Teilen in derGründerzeit (1870 bis 1914) entstanden ist. Dies wardie Phase rasanten städtischen Wachstums in Wien, inder auf engem Raum eine Vielzahl an Wohnungen errichtetwurde. Anfang des 20. Jahrhunderts hatte Wienüber zwei Millionen Einwohnerinnen, die einerseits inMietskasernen, andererseits in Bürgerhäusern lebten.Erst relativ spät setzte in Wien die Suburbanisierungein, das Wohnen in Einfamilienhäusern am Stadtrand.Bis 1989 zeichnete Wien, obwohl sozialdemokratischregiert, seine konservierende Stadtentwicklung aus. Diesanfte Stadterneuerung, die auf kleinräumige, gewerblicheSanierung von Gründerzeithäusern und der Respektierungeines umfassenden Mieterschutzes basierte,war ein Markenzeichen der Wiener Kommunalpolitik.Sie verhinderte sozialräumliche Polarisierungen, wiesie in anderen Städten üblich ist: Sei dies die Ballungder Armen am Stadtrand, wie in Frankreich, oder in denInnenstädten, wie in den 1960er und 1970er Jahren in7 // Methodologie transdisziplinärer Entwicklungsforschung // <strong>Aktion</strong> & <strong>Reflexion</strong>


angelsächsischen Ländern. In Wien aber gibt es sogareine Besonderheit: Nicht-österreichische Staatsbürgerinnendurften sich bis vor kurzem nicht in den rund220.000 Gemeindewohnungen einmieten. Deshalbwaren sie auf ein Niedrigmietsegment, die so genanntenKategorie-D-Wohnungen (kein Bad und WC amGang) angewiesen. Diese wiederum ballen sich in denGründerzeitvierteln rund um den Gürtel. In diesen zentralgelegenen Stadtteilen wohnen in Wien die ärmstenBevölkerungsgruppen. In der Inneren Stadt und in derNähe des Wienerwalds wohnen die Reichen; aber auchin den Stadterweiterungsgebieten nimmt die Höhe desEinkommens zum Stadtrand hin leicht zu (Steinbach etal. 2005).Schon dieser kurze Exkurs erlaubt es, allgemeineÜberlegungen anzustellen. Er zeigt, dass sich strukturelleEntwicklungen an konkreten Orten auswirken unddass historisch-geographisch konstituierte KontexteEntwicklungspfade prägen. In Raum und Zeit ausdifferenzierteInstitutionen, die kulturell bedingteRegelmäßigkeiten sozioökonomischen Handelnsbeschreiben, sind deshalb wichtig, um verschiedeneModelle kapitalistischer Entwicklung, wie das japanischeUnternehmensmodell, die österreichische Sozialpartnerschaftund den marktzentrierten angelsächsischenKapitalismus, zu untersuchen und miteinander zuvergleichen. Es sind dies unterschiedliche kulturellpolitischeOrdnungen, die das Wirtschaftslebenstrukturieren. Karl Polanyi zeigte im Bewusstsein derdurch die Weltwirtschaftskrise nach 1929 hervorgerufenenKatastrophen, dass Marktwirtschaft ohne einesoziale Sicherheit ermöglichende soziokulturelle undpolitische Einbettung keinen Bestand hat (Polanyi 1978).Ansätze, die den jeweiligen Kontext ernst nehmen,sind in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften inder Minderheit, gewinnen aber an Bedeutung. Es sindinstitutionelle Ansätze, die auf die Verschiedenheiträumlicher Entwicklung aufmerksam machen (Hodgson2001). In Deutschland waren dies im 19. Jahrhundertdie Historische Schule der Nationalökonomie und derMarxismus. Heute werden diese Überlegungen in derinstitutionellen und evolutionären Ökonomie und in derRegulationstheorie weiter verfolgt (Moulaert/Mehmood2008). Diese durch Kontext und Institutionen geprägteProduktion von Raum soll nun ein bisschen systematischeranhand eines Beispiels dargestellt werden.8 // Methodologie transdisziplinärer Entwicklungsforschung // <strong>Aktion</strong> & <strong>Reflexion</strong>


2.3. Das Beispiel„Wien in Zentraleuropa“Entwicklungsforschung nähert sich den gegenwärtigenDiskussionen um Entwicklung und Wohlstandsgefällein Zentraleuropa aus einer historisch-geographischenPerspektive, basierend auf dem Konzept der „langenDauer“. Nach 1945 trennte der Eiserne Vorhang Europain Ost und West. Seit 1989 ist diese ideologischeTeilung überwunden und die Länder Ostmitteleuropassind mittlerweile Mitglieder der Europäischen Union.Doch ist die ungleiche Entwicklung zwischen Ost- undWesteuropa ein Phänomen, dessen Ursachen bis insJahr 800 zurückreichen, als die Elbe-Leitha-Grenze dieöstliche Grenze des Karolingerreiches wurde (Szücs1990). Zwischen Westeuropa und Russland entstand imzweiten Jahrtausend Ostmitteleuropa als Zwischenregion.Ihr zentrales Merkmal war die geringe Bedeutungder Städte, die fehlende bäuerliche Selbstverwaltungund die zweite Leibeigenschaft, die die Bauern zu einerZeit unterdrückte, als sie in Westeuropa begannen, sichaus den Banden des Lehenswesens zu befreien. DerWesten wurde zum <strong>Zentrum</strong> des weltweit dominantenIndustriekapitalismus, der Osten wurde zur landwirtschaftlichenPeripherie, die dem Westen das notwendigeGetreide lieferte (Berend 2003).Entwicklung als ein historisches und geographischesPhänomen wird oft mit dem Begriff der Pfadabhängigkeiterfasst. Dazu bedarf es der Kenntnis von Geschichteund Geographie. Es waren wesentlich österreichischeBanken, die vor 1918 die Entwicklung imHabsburgerreich finanzierten (Cowen/Shenton 1996: Kap.7). Der Zerfall der Monarchie führte zur Krise des österreichischenFinanzkapitals, die im Konkurs der Bodencreditanstalt1931 gipfelte. Erst nach dem 2. Weltkriegfand die österreichische Volkswirtschaft einen eigenständigenEntwicklungsweg. Die nun verstaatlichtenGroßbanken finanzierten die nationale Industrie undeine binnenzentrierte Entwicklung. Nach 1989 schlossenÖsterreichs Banken erfolgreich an ihre Tradition vor1914 an und sind heute wichtige Finanzinstitutionen inOstmitteleuropa. Einen anderen Aspekt von Pfadabhängigkeitbezogen auf Zentraleuropa zeigt eine Analyseder Investitionsverflechtungen. Österreichs Wirtschaftinternationalisierte nicht nur stark, österreichischeKapitalgruppen konnten sich hierbei besonders gutbehaupten. Wien ist ein Brückenkopf zwischen WestundOstmitteleuropa und vermittelt zwischen diesenTeilen. 2004 war der Bestand an österreichischenDirektinvestitionen in Zentral-, Ost- und Südosteuropamit 38% höher als in den EU-15-Ländern mit 33%. Vonden 370.500 Beschäftigten sind 266.200 in Zentral-,Ost- und Südosteuropa. Alleine in der Slowakei sindin österreichischen Betrieben fast so viele Menschenbeschäftigt wie in allen außereuropäischen Standortenösterreichischer Firmen zusammen (Nationalbank 2006).Während westeuropäische, vor allem deutsche Firmenin Wien Direktinvestitionen tätigen, investieren WienerFirmen in Zentral- und Osteuropa, vor allem in denGrenzregionen. Die Zusammensetzung der Städte, vondenen aus in Wien investiert wurde und wohin WienerInvestitionen gingen, hat sich in den 1990er Jahren, diegemeinhin als Dekade der Globalisierung bezeichnetwerden, grundlegend verändert. Nur fünf Städte –München, Paris, Budapest, Rotterdam und Amsterdam– scheinen in beiden Rankings auf. Neu hinzugekommensind London, Prag, Madrid, Mailand und Bratislava.Tokio und New York scheinen nicht mehr auf. Dieszeigt, dass bezogen auf die Wiener Investitionsverflechtungeneine Europäisierung mit Akzentverschiebungnach Osten stattfindet (Musil 2005). Die neue Form derTerritorialität unternehmerischen Handelns schließtan alte Strukturen Zentraleuropas und an historischeInvestitionsmuster vor dem 1. Weltkrieg an. Erst imWissen um diese historischen und geographischen Zusammenhängekönnen die EntwicklungsperspektivenZentraleuropas realistisch eingeschätzt werden. Wienist erneut in einer besonderen Rolle, denn mit dem Falldes Eisernen Vorhangs ist das Gebiet des einstmaligenHabsburger Reichs wieder <strong>Aktion</strong>sraum für österreichischeUnternehmen. Diese nutzen die Chance fürDirektinvestitionen und verdichten in Zentraleuropa dieökonomischen Verflechtungen. Die Wiener Stadtpolitikunterstützt diese Bemühungen, indem sie politischeInstitutionen regionaler Kooperation fördert. Die vonRegional- und Kommunalregierungen 2003 geschaffeneEuropa Region Mitte CENTROPE soll zu einem zentraleuropäischenWirtschafts- und Kulturraum werden.CENTROPE umfasst neben der Vienna Region (Wien,Niederösterreich und Burgenland) auch den tschechischenKreis Südmähren mit Brno, die Westslowakei mitden Kreisen Bratislava und Trnava und Westpannonienmit den Komitaten Györ und Vas. Centrope ist eine „relativwohlhabende Region“, wiewohl eine „geteilte“,mit ungleichem Lebensstandard (Palme/Feldkircher 2005;Coimbra de Souza/Novy 2007).9 // Methodologie transdisziplinärer Entwicklungsforschung // <strong>Aktion</strong> & <strong>Reflexion</strong>


3. Methodologie interpretativer SozialforschungDer breite, weiter oben dargestellte Zugang zu Entwicklungsforschungermöglicht, die Konzepte undTheorien der Entwicklungsforschung für die Analysevon Problemen des sozialen Zusammenhalts in Europaeinzusetzen. Die konkrete Analyse im Rahmen empirischerSozialforschung ist Voraussetzung für kompetentesAgieren vor Ort und in der eigenen Organisation.Gerade weil Entwicklung ein umfassender Prozessist, ist konzeptuelle Klarheit und die Erarbeitung einerfür das zu untersuchende Problem relevanten Theoriewichtig. Theorien sind keine Gebäude von Gesetzen,vergleichbar den Naturgesetzen, sondern Theorienbieten einen Orientierungsrahmen. Jede Theorieeröffnet einen bestimmten Blick auf einen konkretenSachverhalt, verschiedene Theorien ermöglichen horizonterweiterndeEinblicke. Wissenschaftliches Arbeitenbereichert den Alltagsverstand, indem es mehrereDeutungsangebote liefert und ein differenzierteres Bildder Wirklichkeit vermittelt. Es ermöglicht, mit Menschenzusammenzukommen, die die Widersprüchlichkeitsozioökonomischer Dynamiken tagtäglich erlebenund bearbeiten. Migrantinnen sind Expertinnen ihresAlltags, deren Erfahrungswissen genutzt werden kann.Doch bevor das transdisziplinäre Forschen, das demDialog mit den Alltags-Expertinnen besonderen Raumgibt, vorgestellt wird, gilt es, bewährte Methoden derSozialwissenschaften darzustellen. Für das Anliegen,Entwicklung als widersprüchlichen Prozess zu erfassen,sind Methoden der interpretativen Sozialforschungbesonders hilfreich. Diese beschäftigt sich mit derUm- und Mitwelt, in der Menschen leben und arbeiten,wobei das besondere Interesse dem Alltag gilt. Wieleben Menschen? Wie gestalten sie ihre Beziehungenund wie organisieren sie ihre Kommunikation? WelcheFormen von Konflikt und Kooperation gibt es und wiewird damit umgegangen? Die Herangehensweise derinterpretativen Sozialforschung ist die Feldforschung:Die Forscherin verlässt den Schreibtisch und begibt sichan die Orte, an denen die Menschen leben und arbeiten,über die sie mehr erfahren will. Diese Annäherungan die Lebenswelt der Menschen strebt nicht einzigdanach, nachzuerzählen, wie Menschen leben undarbeiten. Für die interpretative Sozialforschung stelltsich die Welt als Wechselbeziehung zwischen den Sichtweisender Menschen und ihrer jeweiligen sozialen undphysischen Welt dar. Die Menschen konstruieren ihreWirklichkeit, doch erfolgt dies im Rahmen gegebenerMöglichkeiten. Schülerinnen müssen sich den Regelnder Schule unterwerfen, Aufgaben machen, Prüfungenablegen, rechtzeitig erscheinen und bestimmte Höflichkeitsregelnbefolgen. Doch sie gehen mit diesenRegeln kreativ um, sie gestalten, nutzen und verändernsie. Ganz so wie Harry Potter. Nicht nur durch Zaubern,Schwindeln und Raufen hinter dem Rücken der Lehrerin,auch mit der Teilnahme an Projekten, bei denenkeine Noten vergeben werden, wird den Routinen desschulischen Alltags entkommen.Die interpretative Sozialforschung versucht zu verstehen,wie und warum Menschen auf bestimmte Weisehandeln und welche Konsequenzen dies zur Folge hat.Sie unterscheidet sich deshalb von der <strong>Aktion</strong>sforschung,die versucht, die Wirklichkeit zu verändern, indemMissstände erkannt und behoben werden. Lueger(2000: 43, 54) und Girtler (2001: 121) problematisierenden Ansatz der <strong>Aktion</strong>sforschung mit unterschiedlicherArgumentation: Während Girtler in ihr ein illegitimesMaß an direkter Intervention in die Lebenswelt desFeldes sieht, befürchtet Lueger, dass der entstehendeHandlungsdruck zu verkürzten Sichtweisen verleitet.Ergebnisorientiertes Forschen erleichtert die Teilnahmeam Feld, bleibt jedoch leicht auf der Ebene der gängigenAlltagsinterpretationen des Feldes verhaftet undbehindert so Tiefgang und Radikalität der Analyse.Die zu rasche Suche nach Lösungen verhindert, sich inRuhe damit zu beschäftigen, um welche Phänomenees sich eigentlich handelt. Sind Konflikte zwischeneinem türkischen Buben und einer Wiener PensionistinKonflikte zwischen Kulturen, Geschlechtern oderGenerationen? Je nachdem, ob die Brille von Kultur,Geschlecht oder Generation aufgesetzt wird, werdenandere Probleme identifiziert und sich in der Folgeandere Problemlösungen anbieten.Der Vorzug der interpretativen Sozialforschung ist es,nicht unter dem Druck kurzfristiger Ergebnisse undLösungen zu stehen. Dies beginnt damit, dass es nichtnotwendig ist, ein Problem zu formulieren, sondernein soziales Phänomen zu identifizieren, dem sichdie Forschung widmet. In Bezug auf den Konflikt undDialog der Kulturen ist ein interessantes Phänomen,dass die Zweisprachigkeit in öffentlichen Pflichtschulenals Problem und in Eliteschulen und Universitäten alsChance und Vorteil angesehen werden. Das zu unter-10 // Methodologie transdisziplinärer Entwicklungsforschung // <strong>Aktion</strong> & <strong>Reflexion</strong>


suchende Phänomen ist in diesem Falle festzustellen,wann und unter welchen Bedingungen Eigenschaftenund soziale und kulturelle Kompetenzen von Kindernund Jugendlichen einmal ein Problem, ein andermaleine Chance sind und nach welchen Schemata die eineoder andere Bewertung getroffen wird.Anhand von konkreten Beobachtungen werden in derinterpretativen Sozialforschung Alltagswirklichkeitenund Alltagsphänomene re-konstruiert – hierzu einweiteres Beispiel: Girtler, der bei seinen Feldforschungenzum sozialen Phänomen des Sandlertums einemSandler im Westbahnhof begegnete, der den Rest desvor ihm stehenden Biers schal werden ließ. Der Sinnliegt laut Girtler darin, dass der letzte Schluck Bier alsAlibi funktioniert, um einen Rausschmiss zu vermeiden.Das der Bierrest unter Sandlern den festen Namen„Alibi-Krügerl“ besitzt spricht dafür, dass derjenigetypisch handelt (Girtler 2001: Anhang). Um den tiefergehenden Sinn dieser Situation zu verstehen: In derAlltagswirklichkeit der Sandler hat eine warme Stubescheinbar eine höhere Priorität als das Prickeln desBiers. Dieser Alltagswirklichkeit steht die von der Polizeigeschützte Alltagswirklichkeit des Wirts entgegen, fürden ein Kunde Umsatz einbringen muss und – insbesonderewenn man weiß, dass er ein Sandler ist - rausgeschmissenwird, sobald er nicht mehr konsumiert.Der Sandler umgeht seinen Konflikt zwischen diesersozialen Norm und seinem Geldbeutel, indem er nichtaustrinkt. Gleichzeitig spiegelt sich in dieser Reaktionein weiterer Aspekt der Alltagswirklichkeit des Sandlerswider, der in Konflikt zur Sinnordnung der Mehrheitsgesellschaftgerät: Ein Kunde mit dicker Brieftasche hättees vermutlich in der Situation als sinnvoll befunden,durch ein weiteres Bier abzuhelfen oder wäre nachHause gegangen – womit den Vorstellungen des Wirtsund der allgemeinen Sinnordnung über Verhaltenin Stehbierhallen gerecht geworden wäre. Aus derAlltagswirklichkeit des Sandlers heraus betrachtet undden Strukturen die diese begrenzen (geringes Budget,Wohnungslosigkeit, Isolation), ergeben sich jedochdie sozial erwünschten Optionen nicht und er mussden Konflikt durch einen von Wirt, Polizei und anderenGästen sozial tolerierten Trick kaschieren.Während Problemdefinitionen a) immer bereits eine oftpolitisch gefärbte Bewertung einer Beobachtung als(zu lösendes) soziales Problem beinhalten und b) dasSpektrum des zu Beobachtenden auf die Erklärung desProblems einschränken, erleichtert die Fokussierungsozialer Phänomene einen breiteren und unvoreingenommenerenAnalyse-Zugang. Wäre das Problemdes sozialen Ausschlusses von Sandlern zu analysierengewesen, hätte die obige Situation kaum Aufmerksamkeitauf sich gezogen. Erst durch die breite Betrachtungder Alltagswirklichkeit des Sandlers, einer Perspektive,die durch die Bedingungen von Wohnungslosigkeit/Frieren, Armut und Isolation geprägt ist, lässt sichnachvollziehen, dass andere Prioritäten und Verhaltensstrategieneingesetzt werden. Das „Alibikrügerl“erweist sich zum Beispiel als Ausdruck einer sozialenUnterordnung des Sandlers aus der Situation einesBenachteiligten heraus. Die Welt, in der Menschen sichbewegen, die sie sich erklären und gestalten und dieden Fokus der Sozialforschung bildet, ist „nicht einfacheine objektiv als Realität vorgegebene, sondern immerbereits eine subjektiv konstruierte und sozial vorinterpretierte“(Novy 2002: 8). Lueger fordert daher, manmüsse sich als Sozialforscherin „von der Vorstellungverabschieden, ein Objekt so zu erkennen, wie es ohnedie Anwesenheit eines beobachtenden Objekts existiert“(Lueger 2000: 16).Soziale Phänomene sind eingebettet in einen konkretenLebenszusammenhang, sind Ausdrucksformeneiner sozialen Ordnungsleistung und Sinnproduktion.Es gilt zu identifizieren, welchen Strukturierungen derProzess folgte, durch den die Alltagswirklichkeit alssozial anerkannte Sinn-Ordnung konstruiert wurde(Lueger 2000: 26). Die zu ergründende Sinn-Ordnungbezieht sich also auf einen abstrakten, strukturierten,Individuen-übergreifenden Sinn, einen „objektivenSinn“, der (in Abgrenzung vom individuellen Sinngebäude)die gesellschaftliche, kollektiv konstruierteWirklichkeit strukturiert. Der Prozess der Re-Konstruktionvon Alltagswirklichkeit durch die Forscherinist eine theoretisierende Aufarbeitung im Sinne einerwissenschaftlich-argumentativen Konstruktion (Lueger2000: 17), die versucht, die zugrunde liegenden Konstruktionsmustereiner bestimmten Alltagswirklichkeitbegrifflich abzubilden. Dabei können der subjektunabhängigenRealität zwar bestimmte Eigenschaftenunterstellt werden, rekonstruierbar wird sie jedochnicht. Durch die abstrahierende Re-Konstruktion vonAlltagsrealitäten unterscheidet sich die wissenschaftlicheSinnkonstruktion, das Interpretationswissen, vonderjenigen eines handlungsorientierten Alltagswissens,wie es die Akteure im Feld nutzen (Lueger 2000: 43 f.).Herunter gebrochen besteht die Aufgabe der Forscherinim Feld darin, die sozialen Regeln und die hinterden Handlungen stehenden Alltagsideologien, Vorannahmenund Perspektiven zu erfassen (Girtler 2001:11 // Methodologie transdisziplinärer Entwicklungsforschung // <strong>Aktion</strong> & <strong>Reflexion</strong>


149). Sozialwissenschaftliche Methoden helfen dabei,Alltags- und Vorwissen zu schärfen, indem es systematischproblematisiert wird.Eine interpretative Analyse gesellschaftlicher Strukturierungenträgt der Komplexität sozialer Phänomenedurch eine dialektische Herangehensweise Rechnung,in der (a) das Handeln von Subjekten nicht alseinfaches Resultat individueller Planung, sondern als ineinen lebensweltlichen Horizont eingebetteter Prozessanalysiert, zugleich aber (b) auch das Nutzen individuellerSpielräume durch die Akteurinnen erhellt wird. DerSuche nach einer endgültigen Wahrheit widersetzt sichnicht nur der ständige soziale Wandel, sondern auchdie individuelle Formung und soziale Prägung unsererWahrnehmung (Corbin/Strauss 1990: 418).Ausgehend von einer Weltsicht, die die soziale undsubjektive Konstruktion von Wirklichkeit betont, nähertsich die interpretative Sozialforschung ihren Untersuchungsgegenständen,den Strukturierungen sozialerAlltagswelten eines Forschungsfelds. Eine breite undoffene Herangehensweise, die die Menschen im Forschungsfeldals Expertinnen und soziale Akteurinnendes Feldes adressiert, bildet das methodische Gerüst,um soziale Phänomene in ihrer Komplexität und Widersprüchlichkeitin den Blick nehmen zu können.3.1. Lernende und offene Haltung derForschendenForschen wird oftmals mit Arbeiten im stillen Kämmerchengleichgesetzt. Lesen und schreiben sind dieTätigkeiten, die im studentischen Arbeiten die meisteZeit in Anspruch nehmen. Feldforschung stellt andereHerausforderungen. Sie ist eine offene Form des Forschens,die Neues entdecken will. Es geht darum, neueEntwicklungen zu verstehen. Im Bereich der städtischenKulturforschung sind durch die über Jahrzehnteanhaltende Migration neue Phänomene entstanden.Es gibt Stadtteile in Wien, in denen Deutsch nicht dieam meisten gesprochene Sprache ist, es gibt Märkte,auf denen die Mehrzahl der Kundinnen keine „echten“Wienerinnen sind. Wie sind diese Phänomene zuverstehen: Handelt es sich um ein Nebeneinander derKulturen im Sinne einer multikulturellen Gesellschaftoder um einen Kulturaustausch im Sinne der Interkulturalität?Die Forschungshaltung, die für diese Art desForschens notwendig ist, ist eine lernende und zurückhaltende.Unsere soziale Umwelt ist komplex undvielseitig. Niemand weiß alles über sie, auch Sozialforscherinnennicht. Niemand kennt nichts von ihr, auchdie nicht, die der deutschen Sprache nicht mächtig odersogar in gar keiner Sprache alphabetisiert sind – auchwenn ihre Erfahrung seltener nachgefragt wird.Forschen heißt neugierig sein. Ohne Neugier undInteresse am Tun und Denken anderer ist kein gutesForschen möglich. Respektvolles und zurückhaltendesAgieren zeichnen eine Feldforscherin aus. Die eigeneRolle zu klären und im Forschungsprozess immer neuzu reflektieren, wird damit von Anfang an zu einerwichtigen Herausforderung, denn das Selbstverständnisder Forschenden ist ausschlaggebend dafür, wie siesich im Feld bewegen, welche Erfahrungen sie machenund wie sie diese interpretieren und nutzen werden.Selbstreflexion und Selbstkritik sind wichtigeEigenschaften guter Forscherinnen. Forschende, diesich in fremde soziale Milieus bewegen, um „von innenheraus“ ein Verständnis über diese zu entwickeln,treten mit Vormeinungen und Perspektiven in das Feld,die durch ihr eigenes gesellschaftliches Umfeld geprägtwurden. Dies ist nicht nur unvermeidbar, sondern erlaubtdie Orientierung in fremden Situationen. Deshalbsind Vormeinungen nicht zu ignorieren, sondern kritischin den Forschungsprozess einzubinden. Wie alle Menschen,stehen Forschende nicht außerhalb der sozialenBeziehungen, die sie beschreiben, sondern sind Teileiner sozialen Realität und damit eingebunden in sichtbareoder verschleierte soziale Machtverhältnisse.Die von Bourdieu analysierte „symbolische Macht“spielt in solchen Begegnungen eine subtile, aber bedeutsameRolle: Bourdieu versteht unter symbolischerMacht „jegliche Macht, die es ermöglicht, Bedeutungendurchzusetzen und diese durch Verschleierungder dahinter stehenden Machtverhältnisse als legitimdarzustellen“ (Bourdieu/Passeron 1970, zitiert in: Cot/Mounier1974: 86, eigene Übersetzung). Sie entzieht sich leichtunserer Wahrnehmung und kann so unterschwellig dieSituation und die Ergebnisse der Forschung verzerren.So kann aus der Position der Wissenschafterin leichtsymbolische Macht auf Gesprächspartnerinnen ausgeübtwerden. Aus der allgemeinen Vorstellung heraus,Wissenschafterinnen kennten sich mit dem Forschungsthemabesonders gut aus, werden die Aussagen derGesprächspartnerinnen dem eigenen Denkschemaleicht durch eine hierarchische Rollenverteilunguntergeordnet: Eine Interviewsituation, die das Gegenüberin die reaktive Rolle der Antwortenden bringt, gibtdurch Fragestellungen ein begrenztes Antwortspektrumvor. Dieses Spektrum begrenzt indirekt die Darstel-12 // Methodologie transdisziplinärer Entwicklungsforschung // <strong>Aktion</strong> & <strong>Reflexion</strong>


lungsmöglichkeiten der Antwortenden und damit denSinngehalt dessen, was sie zu transportieren vermögen.Die Kommunikation bleibt in solch einer Situationeingeschränkt auf das, was im Denkhorizont derfragenden Forschenden liegt. Dieser Denkhorizont istmaßgeblich geprägt durch den Habitus der forschendenPersonen, d.h. ihre statusspezifischen Denk-,Handlungs- und Wahrnehmungsschemata, die sieverinnerlicht haben, unbewusst anwenden sowie reproduzieren.Unbewusste Ausübung symbolischer Machtund Anwendungen des eigenen Habitus auf andereerschweren ein Verständnis fremder Lebenswelten„von innen heraus“ und führen zu Verzerrungen derForschungsergebnisse.Nicht nur von Forschenden können solche Verzerrungenausgehen, sondern gleichermaßen von ihrenGesprächspartnerinnen: Menschen, die einen anderensozialen Status und Habitus besitzen, tragen diesenunwillkürlich in die Kommunikationssituation derForschung hinein – als Randgruppen, die aus einerPosition sozialer Benachteiligung heraus ihre Ansichtendem Forschenden gegenüber „klein reden“ oder alsFührungskräfte, die ihre soziale Machtposition in derBegegnung unterschwellig ausspielen. Die <strong>Reflexion</strong>der Forschenden über die Forschungssituation – ergänztdurch eine einfühlsame Gesprächsführung,die den Gesprächspartnerinnen weitreichende Gestaltungsräumeüberlässt – soll Verzerrungen eindämmen.Auch das Einbeziehen von Personen mit gleichem Habitusund gleicher sozialer Herkunft als Beobachtendeoder Interviewerinnen oder die Besprechung von Ergebnissenmit Expertinnen aus dem Feld können hierzudienlich sein (Girtler 2001: 140). Das Arbeiten in einemheterogenen Forschungsteam kann weitere Anregungenzur <strong>Reflexion</strong> und Korrektur der Herangehensweisebieten. Aus diesem Grund ist es insgesamt zielführend,die Subjekte des Forschungsfeldes nicht zu Objektendes Forschungsprozesses zu degradieren, sondern inden Prozess der Wissensgenerierung einzubinden. Einsolches integratives Vorgehen bringt heterogene Sichtweisenzusammen und hilft einen aus verschiedenenPerspektiven zusammengefügten Blick auf das Ganzezu erwerben.Um sich in die Denk- und Lebensweisen einer sozialenGruppe einzufühlen, sollten sich die Forschenden denAkteurinnen im Feld gegenüber vorwiegend als Lernendeverstehen, die offen, authentisch und bescheidenErfahrungen über das Feld suchen (Vgl. Girtler 2001:72, 150). In <strong>Paulo</strong> <strong>Freire</strong>s dialogischem Ansatz sinddie Begegnungen auf gleicher Augenhöhe, in die sichMenschen als Lernende und Lehrende einbringen, einSchlüssel zum gegenseitigen Lernen (<strong>Freire</strong> 1984; Novy2007b). Indem Forschende nicht als Befragerinnen auftreten,sondern das Gespräch im Sinne eines empathischenDialogs suchen, tragen sie zur Herstellung einesfruchtbaren Lern- und Forschungsklimas bei. Empathiebedeutet die Fähigkeit, sich gedanklich an die Stelledes beobachteten oder erzählenden Gegenübers zuversetzen, um die Welt aus seiner Perspektive zu erfahren(Bourdieu 1993: 1406f). Es gilt, die eigene Meinungdiplomatisch zurückzunehmen, um dem Gegenübermehr Raum zur Darstellung seiner Sicht zu geben (Girtler2001: 123). Im Sinne einer solchen Gesprächsführunggeht es auch darum, warten zu lernen und demGesprächsfluss mit seinen Pausen und Umwegen geduldigzu folgen. Die Gesprächspartnerinnen aus demFeld profitieren von einem solchen Gespräch, „indemsie Zeit und Raum bekommen Gedanken und Meinungenzu artikulieren, die sie im Alltag nicht so bewusstwahrnehmen.“ (Bourdieu 1993) Doch auch ehrlicheDiskussionen in Sinne offener und respektvollerKonfrontationen der Sichtweisen von Forschendenund Akteurinnen des Feldes können dem Verstehenzuträglich sein und zugleich die Forschende als „ganznormalen Menschen mit einer eigenen Meinung“greifbar und vertrauenswürdig werden lassen (Girtler2001: 122f.).Girtler sucht während seinen Forschungen bewusstden persönlichen Kontakt von Mensch zu Mensch.Das Bemühen um den Aufbau und die Pflege vonFreundschaften ist Bestandteil seiner Beziehungenins Feld. Er leugnet die Möglichkeit einer striktenTrennung von Forschersein und privatem Menschsein.Das Auftreten und die Anerkennung einer Forschendenals offener und aufrichtiger Mensch liefert laut GirtlersErfahrung den Schlüssel zu ethischer und erfolgreicherFeldforschung.Erst der Aufbau persönlicher Beziehungen schaffeVertrauen, das wiederum eine unschätzbar wertvolleGrundlage für „wahre“ Information bilde und verantwortungsbewusstzu pflegen sei (Girtler 2001: 108-111).Forschende sollten derart gewecktes Vertrauen nichtnur menschlich aufrichtig durch ethisches Verhaltenhonorieren, sondern auch im Umgang mit den gewonnenenInformationen deren mögliche Vertraulichkeitbehalten. Dies kann bedeuten, dass sensible Informationenso anonymisiert werden, dass den Informantin-13 // Methodologie transdisziplinärer Entwicklungsforschung // <strong>Aktion</strong> & <strong>Reflexion</strong>


nen kein Schaden entstehen kann. Forscherinnen sindgleich einer Ärztin oder einem Priester Vertrauenspersonen,die unter einer „Schweigepflicht“ stehen (Girtler2001: 108-111).Es ist eine Frage des Taktgefühls und Einfühlungsvermögens,die richtige Balance zwischen Distanz undEngagement zu finden. Es gibt hierzu keine Patentrezepte,denn richtiges Handeln ist auch beim Forschenimmer vom Kontext abhängig. So gibt es neben dervon Girtler propagierten ethischen Selbstbegrenzungvon Forschenden, auch die engagierte Wissenschaft,wie sie Bourdieu vertritt (Bourdieu et al. 1998; Bourdieu2002). Beide Ansätze liefern Möglichkeiten, zu Gunstendes Feldes zu agieren.Girtler sieht sich als Dolmetscher, der der Wissenschaft,aber auch der Politik und Gesellschaft zuübersetzen versucht, welche Wirklichkeiten er im Felderfahren hat. Insbesondere gesellschaftlich marginalisiertenGruppen fehlen häufig solche Übersetzerinnenin die Mehrheitsgesellschaft, weshalb Stigmata undMythen anstelle von Verständigung und Verständnistreten. Die Rolle der Dolmetscherin ist in diesem Kontextimmanent mit derjenigen einer Fürsprecherin undAnwältin verknüpft. Gelingt es Sozialforschenden, ausder Perspektive der Menschen eine vernachlässigte Alltagswirklichkeitanderen erfahrbar zu machen, so kanndies im Sinne Bourdieus eine ermächtigende Wirkungentfalten, es kann Menschen Gehör verschaffen, diesonst nicht gehört werden (vgl. Bourdieu 1993). So stelltGirtler seine Sichtweisen nicht nur im wissenschaftlichenKontext, sondern auch in Tageszeitungen wie derKronenzeitung einer breiten Leserschaft zur Diskussionund trägt damit zu einer öffentlichen Auseinandersetzungmit Randgruppen bei.3.2. TeamarbeitGirtler und mit ihm viele Sozialforscherinnen sehensich als Einzelforscherinnen, so wie auch das Studiumvielfach als Selbststudium organisiert ist. DieserIndividualismus stößt bei komplexen und umfassendenPhänomenen – wie Kulturkonflikten, Segregation odersozialem Zusammenhalt – an seine Grenzen. GemeinsamesErforschen von Neuem braucht Methode,Organisation und Kommunikation. Teamarbeit leisteteinen wichtigen Beitrag zur Qualität und Verlässlichkeitder Forschung (Lueger 2000: 43-54). Lueger sieht dabeiden engen Austausch mit Forscherinnen und anderenPersonen außerhalb des Feldes als wichtige Komponenteeiner vielseitig reflektierten Forschung an. ExternePersonen können durch strategischen, fachlichen undemotionalen Beistand den Feldforscherinnen in der Verarbeitungihrer Erfahrungen (als Supervisorinnen) zurSeite stehen oder auch aus ihrer externen Perspektiveungewöhnliche Fragen formulieren, die die Denkhorizonteder Forschenden erweitern und blinde Fleckenaufzudecken vermögen. „Opening up one´s analysis tothe scrutiny of others not only helps guard against biasbut discussions often lead to new insights and increasedtheoretical sensitivity” (Corbin/Strauss 1990: 422).Gleichzeitig profitieren heterogene, interdisziplinäreTeams von einer größeren Breite an relevanten Qualitäten:Hierzu zählen unterschiedliche wissenschaftlicheFähigkeiten (Analysefähigkeit, Einfühlungsvermögenund geschickte Gesprächsführung), aber auch imFeldzugang vorteilhafte persönliche Talente (Jonglieren,Gitarre spielen, Computerfreak sein, den Wortschatzdes Feldes beherrschen etc.) oder – bei zugangsbeschränktenFeldern – sozial relevante Merkmale wieGeschlecht oder Alter. In Universitätsseminaren kanndiese Interdisziplinarität hergestellt werden, indem Studierendeverschiedener Studienrichtungen gemeinsamarbeiten und die unterschiedlichen Zugänge nicht alsBelastung, sondern als Bereicherung wahrgenommenwerden. Es ist für den Erfolg der Forschung wichtig, dieAufgaben im Forschungsteam so zu verteilen, dass dieinternen kreativen und kritischen Potentiale freigelegtwerden und der Qualität des Forschungsprozesseszugute kommen.Wichtige Voraussetzung einer fruchtbaren Arbeitsteilungbildet dabei die teaminterne Kommunikation,die durch gemeinsame Sitzungen und die Verschriftlichungder Ergebnisse mittels Protokollen undMemos gewährt wird. Durch gemeinsame <strong>Reflexion</strong>von Konzepten und Wahrnehmungen wird die Sensibilitätdes Teams für komplexe Zusammenhängegeschärft und intern, im Sinne einer intersubjektivenÜberprüfung, die Legitimität der Ergebnisse gestärkt.Eine solche Zusammenarbeit im Team setzt sozialeKompetenzen der Mitglieder voraus und muss sichmit gruppendynamischen Effekten auseinandersetzen(Lueger 2000: 54 ff.). Die Arbeitsteilung kann leichtergerecht und effektiv erfolgen, wenn ein gut strukturiertesForschungs-Exposée vorliegt, das Arbeitsschritteklar auflistet.Transdisziplinäres Forschen definiert sich wesentlichüber die Arbeit in Teams, die nicht nur Wissenschafts-14 // Methodologie transdisziplinärer Entwicklungsforschung // <strong>Aktion</strong> & <strong>Reflexion</strong>


felder überspannen, sondern auch die Integration vonPraktikerinnen in einen partnerschaftlichen Forschungsprozesssuchen. Wie und unter welchen Bedingungenein solches Vorgehen gestaltet werden kann, wird imletzten Kapitel dieses Readers genauer erläutert.3.3. ForschungsprozessSozialforschung ergründet sozioökonomische Entwicklungen,die immer multi-dimensional und historischgeographischeingebettet sind, in ihrer Komplexitätund Bedingtheit. Dies erfordert den Einsatz verschiedenerTheorien und Methoden. Eine offene Herangehensweisean das Forschen arbeitet mit mehrerenMethoden, um zu einem Gesamtbild über das zuuntersuchende Phänomen zu kommen. Diese Art derForschung kann nicht im Detail geplant, muss aber klarstrukturiert sein, um auf unerwartete Ereignisse raschreagieren zu können. Die zentralen Fragen, denen sichdie Feldforschenden frühzeitig stellen sollten, sind derZugang zum Feld, die Aufgabenverteilung und Organisationim Forschungsteam und Vorüberlegungen zurProtokollierung des Materials und der Dokumentationder Ergebnisse. Weitere methodische Fragen betreffendie Auswahl der Orte, Situationen und Personen, die fürdie Feldforschung wichtig sind.3.3.1. Zirkulärer Forschungsprozessund HypothesengenerierungFeldforschung, die sich auf die Besonderheiten desuntersuchten Milieus, dessen Menschen und Organisationeneinlässt, führt zu sich ständig änderndenEinschätzungen und Annahmen. Sie folgt einem Hypothesen-generierendenVerfahren, da die Erarbeitungvon Hypothesen Teil eines zyklisch aufgebautenForschungsprozesses ist, der sich zwischen Beobachtungenim Feld, deren abstrahierender <strong>Reflexion</strong> unterZuhilfenahme von Theorien und sich hieraus ergebendenFragen aufspannt. Hypothesen werden nicht getestet,sondern generiert, indem Anfangsüberlegungenim Laufe des Forschungsprozesses Schritt für Schrittmodifiziert werden. Durch das schrittweise Erfassendes Phänomens und der Verschriftlichung, die in Formsich konkretisierender Forschungsfragen wieder in dieFeldforschung zurückgespiegelt werden, kann eine präziseHypothese schrittweise Substanz annehmen. DieVerwebung von Hypothesen in einem Theoriegebäudeist deshalb das Ergebnis, nicht der Ausgangspunkt derForschung 3 . Das hypothesengenerierende Verfahrenermöglicht innovative Anstöße und das Entdeckenneuer Zusammenhänge. In einem Forschungsprozess,der sich ständig an das Forschungsfeld anpasst, erfolgtdie Ausrichtung auf der Grundlage der <strong>Reflexion</strong> desbisherigen Forschungsprozesses. 4Diese Herangehensweise erhebt einen hohen Anspruchan die Kreativität und Anpassungsfähigkeit derForschenden: Das Datenmaterial soll nicht nur deduktivdurch empirisches Material bestehende Theoriegerüstebestärken oder erweitern. Die Auseinandersetzung mitbestehenden Theorien wird nur als permanenter Inputund Reibungsfläche zur Anregung neuer Theoriegenerierunggesehen. Diese gründet sich dabei nicht – wierein induktive Verfahren – auf die häufig untauglicheVerallgemeinerung von empirischem Datenmaterial,sondern ergänzt das angewandte methodologischeSpektrum um das Verfahren der Abduktion. Der BegriffAbduktion bezeichnet ein kreatives Moment in derAnalyse, indem „Gedankenblitze“ provoziert undweiterentwickelt werden, die zwar logisch abgesichertsind, aus dem Blickwinkel bisheriger Theoriegebäudeund Alltagstheorien jedoch herausfallen.3Dieses Verfahren unterscheidet sich vom Forschungsprogrammdes Kritischen Rationalismus, der Hypothesen-prüfend vorgehtund den Forschungsprozess linear organisiert. Am Beginn derForschung steht die Fokussierung eines sozialen Problembereichs,über den Hypothesen aufgestellt werden, die aufAnnahmen und Wissen basieren, die aus dem Literaturstudiumerworben wurden. In der Folge kann das Forschungssettingdetailliert geplant wird. Auf die Hypothesenbildung folgt dieDatenerhebung, Datenauswertung und Anwendung.4„Data collection and analysis are interrelated processes. Ingrounded theory, the analysis begins as soon as the first bit ofdata is collected. […] In order not to miss anything that may besalient to the area under study, the investigator must analyzethose first bits of data for cues, and incorporate all seeminglyrelevant issues into the next set of interviews and observations”(Corbin/Strauss 1990: 419).15 // Methodologie transdisziplinärer Entwicklungsforschung // <strong>Aktion</strong> & <strong>Reflexion</strong>


Grafik 1: Die zirkuläre Forschungslogik (vgl.Lueger 2001: 249)3.3.2. Die Organisierung der FeldforschungEine exakte Planung des Forschungsprozesses ist in derinterpretativen Sozialforschung aufgrund der bereitsbeschriebenen Charakteristika ihrer Untersuchungsgegenständenicht möglich. Dies darf jedoch nicht imSinne einer methodischen Willkür und Unbedachtheitals Forschungskonzept ausgelegt werden. Ganz imGegenteil. „Je sorgloser die Forschungsorganisierungstattfindet, desto schwieriger gestaltet sich die Produktionverlässlicher Erkenntnisse“ (Lueger 2000: 50).Es sollte daher ein für Überraschungen offenerAblaufplan der Forschung erstellt werden, der auchPufferzeiten vorsieht. Dies geschieht durch das Erstelleneines Forschungs-Exposées. Eintretende unerwarteteEreignisse führen dann zwar zu einer Adaption derForschung, ohne aber das Gesamtprojekt zu gefährden.Lueger unterscheidet vier Phasen.// Planungsphase (ca. zwei Wochen)// Orientierungsphase (ca. drei Wochen)// Zyklische Hauptforschungsphase (ca. sechs Wochen)// Phase der Ergebnisdarstellung (ca. vier Wochen)Der vorliegende Methodikreader unterstützt einsemestrigeLehrveranstaltungen, die über vier Monate stattfinden.Aus diesem Grund ist nur ein oberflächlichesDurchlaufen der vier Phasen möglich. Der Forschungszyklusder Lehrveranstaltung bettet sich aber ein ineinen auf Dauer angelegten Forschungszyklus zurErforschung kultureller Entwicklungen in Städten undderen Auswirkungen auf den sozialen Zusammenhalt.3.3.2.1. PlanungsphaseAm Anfang jeder Forschung steht die intensive Auseinandersetzungmit dem Forschungsbereich. Dabeigeht es um theoretische, methodische und kontextuelleFragen. Die Beschäftigung mit der Theorie soll wichtigeKonzepte und Zusammenhänge liefern; die Kenntnisder passenden Methoden soll das Forschungsverfahrenerleichtern und wissenschaftliche Standards erfüllenund schließlich ist es notwendig, das Umfeld zu kennen,in dem die Forschung stattfindet. Im Bereich derstädtischen Kulturforschung betrifft dies z.B. migrantischeMilieus oder Institutionen, wie Schulen oder Vereine,in denen kultureller Dialog und Konflikt auftritt.In dieser Einstiegsphase geht es darum, sämtliche ver-16 // Methodologie transdisziplinärer Entwicklungsforschung // <strong>Aktion</strong> & <strong>Reflexion</strong>


fügbaren Materialien zu sammeln und Informationenaufzunehmen. So ist es wichtig, sich mit der historischenEntstehung eines sozialen Untersuchungsfeldeseingehend zu befassen und zu versuchen,ein möglichst genaues Vor-Bild über dieses Feld undseine bisherige Rezeption zu gewinnen. Die im Vorfeldgesichteten Materialien – von älteren Studien überZeitungsberichte und Selbstdarstellung der untersuchtenGruppen – sind selbstverständlich nicht als „Wahrheiten“den Aussagen im Feld überzuordnen, sondernbilden einen Teil der zu analysierenden Re-Konstruktionenüber die Wirklichkeit des Feldes. Zugleich dient dieEinstiegsanalyse der bewussten Auseinandersetzungmit unterschwelligen oder im Rahmen der Vorarbeiterworbenen Vormeinungen, Erwartungen und Annahmenin Bezug auf das Feld und die vorerst bloß grobfokussierte Thematik.Bourdieu (Bourdieu 1993: 1400f) betont die Bedeutungeines breiten, reflektierten Vorwissens, um Fehlinterpretationenaufgrund des eigenen Habitus vorzubeugen.Bei Forschungsvorhaben in Gruppen kann esaufschlussreich sein, die Auseinandersetzung über solcheVorannahmen offen im Team zu führen, um unterschiedlicheBlickwinkel bereits von Beginn an bewusstzu machen und die <strong>Reflexion</strong> über Standpunkte durchDiskussion anzuregen. Dem Selbstverständnis derinterpretativen Sozialforschung entspricht es darüberhinaus, einen breiten Pool möglicherweise relevanterTheorien zu sichten. So bedarf eine Forschungsarbeitdarüber, wie Migrantinnen in Wien Kultur leben einerbreiten Auseinandersetzung mit dem Begriff „Kultur“,mit unterschiedlichen Modellen über die Beziehungenzwischen Kulturen und mit dem historischen Umgangmit kulturell Fremdem in Wien, mit Begriffen wie Rassismus,Integration und Segregation (Novy et al. 2008).3.3.2.2. OrientierungsphaseInterpretative Sozialforschung sieht in erfolgreicherKommunikation den Schlüssel zur Generierung einesfruchtbaren Forschungsprozesses, der Herstellungeines intensiven Dialogs zwischen dem Feld und denForschenden. Dies setzt voraus, bereits in der Zugangsphase,Impulse aktiver Mitgestaltung aus dem Feldwahrzunehmen und zu fördern. Es gibt keine Forschungsobjekte,die beforscht werden, sondernnur Mit-Forschende, die als Expertinnen vor Ort ihrErfahrungswissen in den Forschungsprozess einbringen.Auch wenn die ersten Strukturierungsansätze oft vonden Forschenden ausgehen, sollten Interventionen vonSchlüsselpersonen aus dem Feld diese so früh wiemöglich ergänzen können. Es gilt in mehrerer Hinsichtdaran zu arbeiten, dass auf gleicher Augenhöhe kommuniziertund geforscht wird. Dies gilt eingangs für dieBeziehung Forschende und Schlüsselpersonen, späterdann auch für die Beziehung Forschende und Expertinnenvor Ort, seien dies Schülerinnen oder Aktivistinnenin Vereinen: Die Vorschläge der Schlüsselpersonen inBezug auf geeignete Kontaktpersonen, Diskussionenüber die Themenstellung aber auch Feedbacks zumgeplanten Zugang nehmen auf die Gestaltung desForschungsprozesses Einfluss, indem sie Vorannahmender Forschenden früh korrigieren. Welche Personenfür den Erstkontakt in Frage kommen, hängt oft vonäußeren Bedingungen ab, innerhalb derer Forschendennur eine geringe Auswahl bleibt. Dies ist der Fall, wennbehördliche Bewilligungen vonnöten sind oder Institutionenihre Zustimmung zur Forschung geben müssen.Bei Forschungen mit Schulen ist dies die Direktion, beiVereinen der Vereinsvorstand. Soziale Hierarchien desFeldes – wie zum Beispiel die Lehrerinnen-Schülerinnen-Beziehung– spielen im Hinblick auf die Bedeutungder ersten Kontaktpersonen eine zentrale Rolle: Kontaktpersonenwerden im Regelfall die Forschenden indas Feld einführen, weshalb potentielle Forschungsteilnehmerinnendie Forschenden zunächst mit diesen Personenund den Einstellungen und Empfindungen, diesie ihnen gegenüber hegen, verbinden. Handelt es sichnun um Kontaktpersonen, die im Feld Außenseiterinnensind oder denen aufgrund ihrer Rolle als Vorgesetzte,Aufseherinnen oder Anführerinnen geringes Vertrauenentgegengebracht wird, so wird sich diese Haltungauch den Forschenden gegenüber zunächst in einerhöheren Skepsis niederschlagen. Andererseits solltenVorgesetzte im Zugang zum Feld nicht umgangenwerden. Einerseits könnten sie sich in ihrer Autoritätuntergraben sehen und als Reaktion den Ablauf desForschungsprozesses behindern. Andererseits sind siemöglicherweise genaue und einflussreiche Beobachterinnenihres Umfelds, deren Perspektive die Forschungbereichern kann.Lueger betont die Bedeutung einer reflektierendenGestaltung der Forschung von Beginn an, die über denProzess hinweg zu neuen Zugängen verhelfen kann.„Die Wahl des Tores zum Feld bemisst sich nicht an derMühelosigkeit eines sofortigen Zugangs, sondern amHandlungsspielraum, den ein Zugang für die weitereArbeit verschafft und bedarf entsprechender Vorerkundungen.“(Lueger 2000: 60). Damit erfordert der Zugangzum Feld zum Einen diplomatisches Geschick, zum An-17 // Methodologie transdisziplinärer Entwicklungsforschung // <strong>Aktion</strong> & <strong>Reflexion</strong>


deren Frustrationstoleranz, Geduld und <strong>Reflexion</strong>svermögen,wenn die Zielgruppe sich den Forschenden nurzögerlich zu öffnen bereit ist (Girtler 2001: 83-89). DieAuswahl guter Kontaktpersonen durch die Forschendenist nicht einfach, aber umso wichtiger. Forschende tendierendazu, „Gatekeeper“ zu wählen, die sich durchein Naheverhältnis zum eigenen sozialen, kulturellenoder institutionellen Hintergrund auszeichnen (Girtler2001: 62). Ihre Information ermöglicht dementsprechendnur eine bedingte Innensicht auf das Feld. GuteKontaktpersonen zeichnen sich dadurch aus, dass sieselbst gut informierte und kompetente Teilnehmendeund aufmerksame Beobachterinnen sind (Blumer zitiertin Lueger 2000: 61) – Personen also, die sich bewusstmit ihrer Alltagswelt auseinanderzusetzen verstehen.Auch die Aussagen der besten Kontaktperson sindjedoch als subjektive und situativ geprägte Sichtweisenzu analysieren.Der Zugang im Sinne des Einfindens und der Integrationder Forscherin in ihr Untersuchungsfeld, der Identifikationmit diesem und der Pflege vertrauensvollerKontakte begleitet Feldforschende notwendigerweisedurch weite Strecken, möglicherweise durch den gesamtenFeldforschungsprozess hindurch. Die Zugangswegesind daher mit Blick auf den jeweiligen Stand derForschung zu überdenken (Lueger 2000: 53). Die Entwicklungdes Zugangs bildet einen wichtigen Bestandteildes Forschungsprozesses und sollte entsprechenddokumentiert, reflektiert sowie in der Bewertung spätererErgebnisse mitberücksichtigt werden. Dabei sindnicht nur die Reaktionen des Felds auf die Forschenden,sondern auch deren eigene Gefühle, Bedenken undErfahrungen zu berücksichtigen.3.3.2.3. Zyklische HauptforschungsphaseDiese dritte Phase ist die zentrale in der Feldforschung.Forschen vor Ort und Reflektieren wechseln sich ab undführen zu Forschungszyklen, deren Erkenntnisse kumulativ-zirkulärzu einem vertieften Verständnis des zu untersuchendenPhänomens führen sollen. Involviert-Seinim Forschungsprozess und distanzierte <strong>Reflexion</strong> wechselneinander ab. Folgende Überlegungen sind hierbeibesonders wichtig (Lueger 2000: 66): Das Ineinandergreifenvon Erhebung und Interpretation, die <strong>Reflexion</strong>von Theorien und Methoden, die permanente Prüfungund Modifikation der vorläufigen Ergebnisse. Um denkumulativ-zirkulären Forschungsprozess intersubjektivüberprüfbar zu gestalten, ist neben der Protokollierungdie Darstellung von vorläufigen Teilanalysen sinnvoll.3.3.2.4. Phase der ErgebnisdarstellungDie Phase der Ergebnisdarstellung schließt den Forschungszyklusab. Sie ist entscheidend dafür, ob dieErgebnisse auch in Wissenschaft und Gesellschaftgewürdigt werden (Lueger 2000: 66ff.). Daher ist eswichtig, sich geeignete Formen der Ergebnisdarstellungzu überlegen. Dies wird innerhalb des Wissenschaftsbetriebsanders sein als gegenüber dem Forschungsfeldund der interessierten Öffentlichkeit. Ganz besondere,der Öffentlichkeit und kritischen Grundhaltung oftmalszuwiderlaufender Konsequenzen können mit Auftragsforschungeinhergehen. In Kapitel 2.6. wird genauerauf die Ergebnisdarstellung eingegangen, wie sie imRahmen von Lehrveranstaltungen möglich und sinnvollist.3.4. MethodenAlle Menschen verfügen über Alltagswissen, das sichbei weitem nicht nur aus dem Wissen speist, das inBildungseinrichtungen wie Kindergarten, Schule undUniversität erworben wird. Zu angelernten Routinengehören das Schnüren von Schuhbändern und dasPutzen von Maschinen genau so wie das Aufräumendes Schreibtischs oder die Fähigkeit, zuzuhören undgleichzeitig Kinder zu beaufsichtigen. Erfahrungswissenspeist sich aus erlebten und erzählten Ereignissen derVergangenheit und wird nur selten verschriftlicht. Eswird durch Reden und Nachahmung weitergegeben.Die Wissenschaft benutzt eine andere Form von Wissen,nämlich ein systematischeres, das auch Kriteriender Überprüfbarkeit aufweist. In der interpretativenSozialforschung stellt das Interpretationswissen dasWissen dar, das zwar das Erfahrungswissen respektiert,aber nicht als einzige Wissensform akzeptiert. Diewissenschaftliche Aufgabe der interpretativen Sozialforschungist es, einen höheren Grad an Distanzierungzu den beobachteten Phänomenen anzustreben, alsdies im Alltag üblich ist. Alltagshandeln strebt nachHandlungsfähigkeit und daher nach Vereinfachung.Interpretative Sozialforschung will verstehen und suchtdaher nach tiefliegenden Ursachen von soziokulturellenund ökonomischen Phänomenen. Es ist die Aufgabeder Wissenschaft, scheinbar Selbstverständlichesanzuzweifeln. Die Art und Weise, wie dieser Zweifelgeäußert wird und wie neue Ideen generiert werden,steht im Mittelpunkt der Methoden, die die interpre-18 // Methodologie transdisziplinärer Entwicklungsforschung // <strong>Aktion</strong> & <strong>Reflexion</strong>


tative Sozialforschung einsetzt. Im Folgenden werdennicht alle sozialwissenschaftlichen Methoden vorgestellt,sondern nur einzelne Methoden der interpretativenSozialforschung, sogenannte qualitative Methoden(Atteslander 2008), allen voran die teilnehmendeBeobachtung und das Gespräch.3.4.1. BeobachtungDie Beobachtung bildet eine der klassischen Methodender Sozialwissenschaften. „Unter Beobachtungverstehen wir das systematische Erfassen, Festhaltenund Deuten sinnlich wahrnehmbaren Verhaltens zumZeitpunkt seines Geschehens“ (Atteslander 2008: 67).Beobachten ist eine alltäglich übliche Aktivität. Dochals wissenschaftliche Tätigkeit ist sie schwierig, weildie Systematisierung der Vielfalt dessen, was bei einerBeobachtung passiert, unsere Wahrnehmungsfähigkeitüberfordert. Es kann nie alles zugleich wahrgenommenwerden, da der beobachtbare Augenblick zunächst einflüchtiges Material ist (Lueger 2000: 98). Was Beobachtendeaufnehmen, wie sie es durch ihre persönlicheund soziale „Brille“ wahrnehmend einordnen und woransie sich erinnern, ist subjektiv vorstrukturiert undgesellschaftlich geprägt. Die Ergebnisse einer Beobachtungsind folglich allgemein charakterisierbar durcheine hohe Selektivität und eine relative Beliebigkeit.„Sozialwissenschaftliche Beobachtung interessiert sichin der Regel nicht ausschließlich für das unmittelbaraugenfällige, sondern vielfach gerade für die subtilenRegulierungen alltäglicher Verhaltensweisen“ (Lueger2000: 9).Die Gegenstände, die interpretative Forschung zu analysierensucht, sind Strukturierungen von Alltagswirklichkeitenund Sinnordnungen einer sozialen Gruppe.Diese sind „unserer Beobachtung nicht direkt zugänglich,sondern müssen als Konstruktionen aus einerspezifischen wissenschaftlichen Perspektive unseremVerständnis zugänglich gemacht werden“ (Lueger 2000:40). Den beobachtenden Sozialwissenschafterinnenhaftet nicht zu unrecht der Vorwurf an, es sich durchihre „Verandasoziologie“ (vgl. Girtler 2001: 67 f.) zueinfach zu machen. Es wird beobachtet, ohne sich zubeteiligen, in der Hoffnung nicht involviert zu werdenund „ungestört“ forschen zu können. Es bleibt unklar,ob Wissenschafterinnen aus einer weitgehendenAußenperspektive heraus (von der Veranda herab)eine ihnen fremde Lebenswelt zutreffend wahrnehmenund beschreiben können. Die Beobachtung kann aberim Rahmen der Feldforschung ergänzend eingesetztwerden, wenn sich die Möglichkeit ergibt, unerwarteteSituationen als außen stehende Person mitzuerleben.Die Grenze von Beobachtung und teilnehmender Beobachtungist fließend.3.4.2. Teilnehmende BeobachtungDie freie teilnehmende Beobachtung greift die Vorwürfean die „Verandasoziologie“ auf: Sie schickt dieForschenden von der Veranda ins Feld und fordert siezur Teilnahme an dem Alltag auf, den sie ergründenwollen. Damit trägt teilnehmende Beobachtung auchder engen Verwebung von Beobachtung und Interaktionin der menschlichen Auseinandersetzung mitder Welt Rechnung: Piaget, ein viel rezipierter Entwicklungspsychologe,verweist darauf, dass dem Menschenvon Kindheit an die Welt erst dadurch „erfahrbar“werde, dass er in ihr handle, seine Grenzen und dieKonsequenzen seines Handelns „begreife“ und seinenWahrnehmungen entsprechend ein Bewusstsein, eineWirklichkeit konstruiere (Piaget in Lueger 2000: 19).Anhand sinnlicher kognitiver und emotionaler Kriterienbewertet der Einzelne seine Erfahrungen als verlässlichoder als Täuschung. Dieser aktive Prozess der „Welterzeugung“(Lueger 2000: 21) ist jedoch immer auch alsein sozialer Prozess zu betrachten: Was wir beobachtenkönnen, ist sozial konstruiert, denn die individuelleWirklichkeitskonstruktion entsteht als Abstraktionaus der Interaktion mit der physischen und sozialenUmwelt. Vice versa prägt die Wirklichkeitskonstruktiondes Einzelnen vermittelt durch sein Handeln in dersozialen Welt rückwirkend die gesellschaftliche Realität,reproduziert oder konfrontiert deren Normen undsoziokulturelle Alltäglichkeit (Lueger 2000: 20 f.).Gilt aktive „Welterzeugung“ als Voraussetzung dafür,ein Bewusstsein über die Welt erlangen zu können,betrifft dies immanent auch die sozialwissenschaftlichForschenden, deren Ziel es ist, sich in einer nicht vertrautenLebenswelt soweit zu sozialisieren, dass sie eintiefergehendes Verständnis der dortigen Alltagswirklichkeitenentwickeln können. Eine solche Sozialisationentsteht durch die intensive Teilnahme an den Lebensbereichender Alltagswelt, in denen die beforschteWirklichkeit präsent ist und baut eine enge Beziehungzu dieser auf – vermittelt durch die Gruppe derer, die inihr zu handeln gewohnt sind und deren Perspektive dieForschenden zu übernehmen versuchen sollten (Girtler2001: 117). Es gilt nicht nur, dieser Gruppe in ihrergewöhnlichen Lebenswelt zu begegnen, um Verfremdungendurch ein nicht vertrautes Forschungssetting19 // Methodologie transdisziplinärer Entwicklungsforschung // <strong>Aktion</strong> & <strong>Reflexion</strong>


zu entgehen. Vielmehr wird eine Verfremdung derForschenden, ein vorübergehendes „going native“gefordert, bei dem sie soweit ins Feld eintauchen, dasssie sich integrieren bzw. mit den Wertmaßstäben undAnsichten der dort Lebenden teilweise identifizieren(Girtler 2001: 120). Die Gefahr dieses Eintauchens infremde Welten ist jedoch, dass die Sympathie mit denBeforschten, die als Mit-Forschende akzeptiert werden,zu einer Identifikation und Distanzlosigkeit führt, dieKritik ausblendet (Novy 2007c: 31).Die teilnehmende Beobachtung zählt zu den Methoden,die in sich eine große Offenheit der möglichenForschungssettings birgt. Damit unterliegt sie grundsätzlichebenfalls dem oben dargelegten Problem relativerBeliebigkeit von Beobachtungen. Dennoch kanndieser Beliebigkeit auf zwei Arten konstruktiv begegnetwerden: Zum Einen findet diese Methode in ihrer Reinformhauptsächlich zu Beginn von Forschungen, in ihrerexplorativen Phase also, Anwendung, in der eine fokussierteBeobachtung einer willkürlichen Reduktion desThemenspektrums nahe kommen würde. Auch Girtler,der die Qualität dieses Forschungsverfahrens herausstreicht,arbeitet zu späteren Zeitpunkten in seinerForschung mit einer Kombination aus teilnehmenderBeobachtung, ero-epischem Gespräch und Gruppendiskussionen,wodurch die Möglichkeiten einer vorsichtigenEinschränkung des Blicks auf sich andeutendeBeobachtungsschwerpunkte gegeben ist. Darüberhinaus ist auf die permanente Analyse und Anpassungder Forschungsperspektive im Datenerhebungsprozesszu verweisen, die Beobachtung in ihrer explorativenQualität nutzt, sich aber zu einer bewusst fokussiertenWahrnehmung vortastet. Um diesen Prozess zu stärken,bilden eine sorgfältige Dokumentation und <strong>Reflexion</strong>des Beobachtungsprozesses entscheidende Werkzeuge.Lueger empfiehlt das Beobachtungsinteresse möglichstfrüh von der rein deskriptiven Ebene auf die latentenInhalte von Situationen auszurichten. Damit meint erInhalte, die unbewusst oder auf unklare Art und Weisemitschwingen. Latente Inhalte sind nicht direkt derErfahrung zugänglich, sondern erfordern eine Analyse,die erlaubt, Tiefenstrukturen wahrzunehmen. WelcheBedeutungen weisen Kinder der Familie und der Schulezu? Welches Verhalten wird in welchen Kontextengewählt und welche Spannungen und Ergänzungenergeben sich im Wechsel der Kontexte? Welche Phänomenewerden als kulturell verstanden, welche nichtund welche Konsequenzen hat dies (Lueger 2000: 113 ff.)?3.4.3. GesprächIn der Methodenlehre werden Gespräche und Interviewsals Formen von Befragungen bezeichnet. „Befragungbedeutet Kommunikation zwischen zwei odermehreren Personen. Durch verbale Stimuli (Fragen)werden verbale Reaktionen (Antworten) hervorgerufen:Dies geschieht in bestimmten Situationen und wirdgeprägt durch gegenseitige Erwartungen. Die Antwortenbeziehen sich auf erlebte und erinnerte sozialeEreignisse, stellen Meinungen und Bewertungen dar.Mit dem Mittel der Befragung wird nicht soziales Verhalteninsgesamt, sondern lediglich verbales Verhaltenerfasst“ (Atteslander 2008: 101). Diese breite Definitionder wissenschaftlichen Befragung zeigt, dass es sichhier tendenziell um eine Hierarchie handelt, die eineder beiden teilnehmenden Personen zum Objekt, dieandere zum Subjekt macht. Dies widerspricht einerForm von Gespräch als gleichberechtigtem Austausch,wie es die Intention interpretativer Sozialforschung undauch transdisziplinären Forschens ist. Atteslanders Definitionzielt vor allem auf Interviews ab, die tendenziellGespräche mit Einbahncharakter sind.Demgegenüber ist es das Anliegen der interpretativenSozialforschung, Dialoge in Gang zu setzen. InterpretativeSozialforschung ist eine Form der Kommunikation,die fremde Lebenswelten verstehen will. Siesetzt Methoden ein, die offene und dialogisch geführteGespräche ermöglichen. Dialog und Respekt sindwichtige Prinzipien ihrer Gesprächsführung. Der Begriff„ero-episches Gespräch“ wurde von Roland Girtlerzur deutlichen Abgrenzung seines Forschungsstilsgegen die sozialwisschenschaftliche Tradition derInterviewführung geprägt. Dem sozialwissenschaftlichenInterview ist anzulasten, dass es am Aufbau klarerRollen von Interviewerin und Antwortender festhält.Dies hat Auswirkungen auf die Qualität der entstehendenInformation, die tendenziell Vorwissen bestätigtoder verwirft, aber kein neues Wissen kreieren kann. ImVordergrund steht schnell zu erwerbendes Wissen unddas Abhaken von präzisen Fragen nach vorstrukturiertenRastern. Wie Hopf (Hopf 2007: 359) problematisiert,bleiben auch qualitative Interviews oft hinter ihremAnspruch zurück, einen offenen Gesprächsraumund eine nicht-direktive Haltung des Forschendenzu gewährleisten. So falle es gerade Anfängerinnenschwer, auf bewertende und kommentierende Aussagen,suggestiven Fragestil und andere dominierendeKommunikationsstile zu verzichten, auf die leicht aus20 // Methodologie transdisziplinärer Entwicklungsforschung // <strong>Aktion</strong> & <strong>Reflexion</strong>


Unsicherheit oder zur vermeintlichen Unterstützung derGesprächspartnerinnen zurückgegriffen wird.Eine gute Planung des Gesprächsrahmens kannnicht nur zur Linderung der allgemeinen Aufregungeinen wichtigen Beitrag leisten – Hopf stellte inzahlreichen Interviewanalysen fest, dass insbesondereeine knappe Zeitplanung oder eine zu große Mengevon Themen (in einem Leitfaden oder im Hinterkopf) zueiner Überlastung des Gesprächs führen. Forschendenerschwert diese Situation ein geduldiges und konzentriertesZuhören. Die vorformulierten Fragen „Fragensein zu lassen“ und sich stattdessen auf Wendungenim Gespräch einzulassen, „mittreiben zu lassen“,wird dann schnell zum Problem. Es gilt aber gerade,nicht von Beginn an dem Dialog durch Fragen eineLenkung zu geben. Nur eine solche Herangehensweisevermag aus „Befragten“ „soziale Akteurinnen derForschung“ zu machen, die in einen Dialog mit derGesellschaft treten und ermöglicht es, die Perspektivedieser Akteurinnen als Ausgangspunkt wissenschaftlicherAbstraktion und Erklärung zu verankern. Diese Herangehensweiseinterpretativer Sozialforschung öffnetsich für transdisziplinäres Forschen wie es in Kapitel 3dargestellt wird.Girter sieht ein gelungenes Forschungsgespräch alsKunst, erzählen zu lassen, aber zugleich als Herausforderung,die Erzählung als ein Gespräch zu gestalten,in dem sich Fragen und Erzählungen von Forschendenund Personen des Felds „kunstvoll“ verweben. DieGestaltung des Gesprächs von beiden Seiten rückt dieangestrebte „gleiche Augenhöhe“ in der Begegnungin den Vordergrund: Beide Seiten sind Lernende überdie Alltagswirklichkeit der jeweils anderen. In einemsolchen Gespräch gilt es nicht als Maßstab, schnelle,spezifische Information auf bestimmte Forschungsfragenzu erlangen, sondern durch genaue Berichte Zusammenhängein die Tiefe zu ergründen. Da eine tiefgreifendeGesprächsführung meist mit der persönlichenAuseinandersetzung mit Themen einhergeht, bedarf eseiner vertrauensvollen und angenehmen Gesprächsatmosphäre,was in der Auswahl des Gesprächssettingsbeachtet werden sollte. Meist ist ein Gespräch aneinem gemütlichen Ort, möglicherweise im gewohntenUmfeld der Gesprächspartnerin einem Institutsgebäudevorzuziehen. Darüber hinaus legt Girtler aufgrund derpersönlichen Gesprächsebene großen Wert auf dasaufrichtige Bemühen der Forschenden, jeglichen Druck,erzählen, antworten, fragen zu müssen, zu vermeidenbzw. auszuschalten (Girtler 2001: 148f.). Insbesondere inder explorativen Anfangsphase von Forschungen, in derAnsätze zur Formulierung einer ersten, vorübergehendenFragestellung generiert werden, sind solche offenenund ungelenkten Verfahren deutlich zu bevorzugen(Lueger 2000: 64).Die Forschungen, die die Studentinnen innerhalb dieserLehrveranstaltungen gestalten werden, bewegen sichaufgrund der zeitlichen Rahmenbedingungen und derkleinen Untersuchungsgruppe zwangsläufig überwiegendin dieser explorativen Phase. Auch wenn diesprinzipiell zur Vorsicht im Umgang mit vorstrukturiertenForschungsverfahren mahnt, können sich Kontexteergeben, die ihre bedachte Verwendung nahe legen.Einen dieser Kontexte bildet die Rückversicherung imFeld über Annahmen, die das Forschungsteam aus denersten Begegnungen mit diesem generiert hat oderüber Ergebnisse der Forschung in einer abschließendenZusammenkunft. Ein weiterer Kontext liegt in derArbeit mit unterschiedlichen, grob umrissenen Beobachtungsschwerpunktennach dem ersten Treffen. DieseSchwerpunktsetzung ermöglicht, dass sich verschiedeneTeams mit unterschiedlichen Aspekten einer Alltagswirklichkeitvertiefend auseinandersetzen. Um dieseAuseinandersetzung zu stärken, kann es sinnvoll sein,ein Treffen unter ein bestimmtes, mit den Akteurinnenim Feld abgestimmtes Thema zu stellen, dass offensichtlichfür die Akteurinnen interessant und für ihreAlltagswirklichkeit bedeutsam ist. Girtler beschreibt,dass weiters eine geschickte Gesprächsführung inzentralen Momenten auch innerhalb eines partnerschaftlichenGesprächs möglich sein kann. So kannbeispielsweise eine Suggestivfrage gestellt werden, umWiderspruch zu provozieren oder eine Forscherin kannein ihr aus der bisherigen Forschung heraus interessanterscheinendes Thema nochmals aufgreifen und nachfragen.Grundsätzlich erscheint es hilfreich, folgende Regelnzur Gesprächsgestaltung vor Augen zu behalten, diesowohl in Einzel- als auch in Gruppengesprächen vonRelevanz sind (orientiert an Hopf 2007: 354 und Bohnsack2007: 380 ff.): Die Forscherin sollte die Rolle derModeration bewusst und demonstrativ NICHTwahrnehmen, um die Strukturierung des Gesprächsder Gesprächspartnerin zu überlassen. Dies impliziert,Gesprächspausen zuzulassen und das Schweigendes Gegenübers oder der Gruppe auszuhaltenund Impulse und Wendungen im Gespräch abzuwarten.Auch wenn Fragen gestellt werden, sollten diesedurch eine demonstrative Unbestimmtheit die Rolle21 // Methodologie transdisziplinärer Entwicklungsforschung // <strong>Aktion</strong> & <strong>Reflexion</strong>


der Forschenden als (milieuspezifisch) Fremde undUnerfahrene zum Ausdruck bringen. In diesem Sinnesind offene, unpräzise Fragestellungen gelegentlich vonVorteil. Das Spektrum der im Gespräch angeschnittenenThemenbereiche sollte nicht zu eng sein, um denGesprächspartnerinnen Assoziations- und Reaktionsräumemöglichst weit offen zu lassen. Werden Fragenvon Forschenden formuliert, sollten diese so gestelltsein, dass sie dazu anregen, konkrete Einschätzungen,Erinnerungen, Gefühle etc. zu thematisieren und nichtauf der Ebene globaler Wertungen zu verharren. Indiesem Sinne kann die Forscherin durch eine spiegelnde,empathische Gesprächsführung den „Tiefgang“des Gesprächs unterstützen. Auch direkte Nachfragenkönnen darauf gerichtet sein, detaillierte Darstellungenzu generieren. Grundsätzlich sollten Fragen zunächstoffen gestellt werden und zum freien, breiten Erzählenund Abschweifen einladen.Erst gegen Ende eines Gesprächs sind vertiefendeNachfragen der Forscherin gegebenenfalls anzuraten.Dabei sollten zunächst Fragen gestellt werden, diesich direkt aus dem Gespräch ergeben haben, um dieeigenen Gesprächsthemen der Gesprächspartnerinnennochmals zu vertiefen oder Missverständnisse zuklären. Erst ganz am Schluss sollten Fragen der ForschendenPlatz finden, die auf Annahmen oder Interessenberuhen, die sich den Forschenden außerhalb desGesprächs oder als Allgemeineindrücke ergeben. Auchder Verweis auf widersprüchliche Aussagen und andereAuffälligkeiten im Gespräch sollte erst an das Endegestellt werden, da er ein stark strukturierendes Settingschafft.Ist eine Forscherin Teil eines Gruppengesprächs undinterveniert durch Fragen, erzählgenerierende Anmerkungenoder eigene Sichtweisen, sollte sie sich ehernicht an eine konkrete Adressatin wenden. So werdenReihenfolge und Verteilung von Redebeiträgen möglichstwenig gesteuert. Aus den Gesprächen sollte sichergeben, in welchem persönlichen Kontext Aussagenstehen, um den breiteren Kontext der Situation späterklarer rekonstruieren zu können.3.4.4. Andere MethodenDer Anspruch der transdisziplinären Entwicklungsforschung,durch methodische Vielfalt komplexe Wirklichkeitenund Entwicklungsprozesse ganzheitlicher undgenauer zu erfassen, lädt dazu ein, die methodischenQualitäten neuer Settings in den neuen Kanon zuintegrieren und methodisch explorativ zu forschen.Ein Beispiel für einen solchen methodisch innovativenForschungsprozess dokumentierten zwei sozialwissenschaftlichForschende aus Vancouver, die in der Methodedes Forumstheaters nach Augusto Boal wichtigeQualitäten für eine partizipative aktionsorientierteForschung fanden: Einerseits kann der Körper (ein inder Sozialforschung sonst vernachlässigtes Medium)als Sprachrohr und Medium mobilisiert werden, umErfahrungen und Einstellungen über das Verbale hinauszu kommunizieren. Gleichzeitig vermag die partizipativeGestaltung des Forumtheaters Menschen unterschiedlichstersozialer Hintergründe in einen offensivengesellschaftspolitischen Dialog zu bringen, ohne ihnenpersönliche Entblößung abzuverlangen: „Theatretechniques were used to elicit narratives – using bodiesto evoke stories in ways that allowed economicallymarginal, and in some cases socially and psychologicallyvulnerable, individuals to maintain there privacy[…]. And because it is ludic and staged, theatre hasalso been seen as an especially effective and safe placein which to tell difficult stories Practicing democracy[– so der Name des untersuchten Theaterprojekts,Anmerkung der Verf.] is an especially interesting casebecause it brought people who live very different socialpositions into (sometimes tense) relationships” (Pratt/Johnston 2007: 75.72).3.5. DokumentationDie gute Dokumentation individueller Arbeitsschritteist für Teamarbeit zentral. Um das Beobachtete undErfahrene analytisch nutzbar zu machen und nichtdem Vergessen zu überlassen, welches sich schon nachwenigen Tagen schleichend, nach Wochen rasant einstellt,stellt sich die Herausforderung, dieses in Sprachezu „übersetzen“, in geeignete Worte zu fassen. Diese„Übersetzung“ stellt den ersten, aber bedeutsamenSchritt der Bearbeitung und Abstraktion des Erfahrenenaus der Sicht der Forschenden dar. Gerade Beobachtungen,Beziehungen, räumliche, zeitliche oderhierarchische Zusammenhänge sperren sich gerne derdirekten Übersetzung in Sprache. Alle Forschungsgruppensollten sich frei und angeregt fühlen, in jedwederDokumentation die für sie anschaulichste und nachvollziehbarsteDarstellungsform zu wählen bzw. ihreErklärungen um Ordnungsraster verschiedenster Art(kontrastierende Tabellen, Soziogramme, Netzwerkeoder andere Schemata) zu ergänzen – dies betrifft dieim Folgenden dargestellte Arbeit mit Protokollen wieMemoranden gleichermaßen. Unterschiedliche Verfah-22 // Methodologie transdisziplinärer Entwicklungsforschung // <strong>Aktion</strong> & <strong>Reflexion</strong>


en der Dokumentation eröffnen unterschiedliche Möglichkeitender Analyse, was ebenso im Vorfeld bedachtwerden sollte wie der Zeitaufwand, der beispielsweisemit dem Erstellen von Transkripten verbunden ist. DieMethode der Dokumentation sollte so ausführlich seinwie nötig, um die angestrebte Analyse durchzuführen,aber zugleich zielführend fokussiert, sodass ausreichendeRessourcen bestehen, die erstellten Dokumentationenintensiv zu bearbeiten.3.5.1. ProtokolleProtokolle rekonstruieren Wahrnehmungen aus demFeld und rütteln nicht nur die Erinnerung der Forscherinan eine Situation wach, sondern machen auch anderenGruppenmitgliedern und Außenstehenden Reflektionenund Eindrücke nachvollziehbar, sodass es allenForschenden im Team zu einem späteren Zeitpunktmöglich ist, das Datenmaterial zu diskutieren und zuanalysieren. Wie Protokolle verfasst werden, solltedeshalb in der Gruppe besprochen werden. Protokolleeiner gemeinsamen Felderfahrung können eine hervorragendeGrundlage für die Auseinandersetzung imTeam liefern, wenn eine Person ihre Wahrnehmungenund Überlegungen niederschreibt und die anderen gekennzeichneteErgänzungen, Kommentare und abweichendeSichtweisen einfügen.Das Protokollieren von teilnehmenden Beobachtungenstellt eine besonders große Herausforderungdar, da diese in der Regel erst im Nachhinein verschriftlichtwerden können, um die Beobachtungssituationselbst nicht zu stören, aus der der Forschende als Mithandelnderimmer wieder hinaustreten müsste, um Notizenzu machen. Girtler empfiehlt Forschenden dahera) Wartephasen oder Wege zur Notiz von Schlüsselwortenzu nutzen b) anhand von BuchstabenverbindungenGedächtnisstützen zu schaffen (z.B. A- Aufmerksamkeitauf mir, B- Bleistiftkauen, C- Computer-Diskussion)und c) das Protokoll recht bald, möglichst am Abenddes selben Tages weitgehend fertig zu stellen. Girtler,der insgesamt strukturierende Vorgehensweiseneher meidet, empfiehlt zur Erstellung von Protokollendennoch, einige grobe Grundregeln einzuhalten: Diewesentlichen Daten wie Zeitpunkt, Ort und beteiligtePersonen sollte sich in allen Protokollen am gleichenOrt gut sichtbar finden. Das Einfügen von Anmerkungenwird durch einen breiten Rand erleichtert (Girtler2001: 143). Werden Anmerkungen und Veränderungenmit dem Computer eingefügt, sollten sie als Kommentareoder durch Farben gekennzeichnet und neuabgespeichert werden. Das Protokoll dient dem Ziel,die Situation in ihrer Gesamtheit als komplexe Einheitzu re-konstruieren. Um dies zu ermöglichen, empfiehltGirtler die Oberfrage „Wie handelt das Mitglied[die Mitglieder, m. E.] der zu beobachtenden Gruppe,aufgrund welchen Alltagswissens wird gehandelt, wiesehen die Interaktionen zwischen den Mitgliedernaus“? (Girtler 2001: 132) anzusetzen. Um diese Bereichegenauer aufzuschlüsseln, sollte der Blick beim Verfassendes Protokolls gezielt auf folgende Fragen gerichtetwerden:// Welche Teilnehmerinnen haben in welchen Rollen ander Situation teilgenommen (auch passiv Anwesendesind als Teilnehmerinnen zu berücksichtigen)?// Welche Strategien wendeten die Handelnden an, umin der beobachteten Situation ihre Ziele zu erreichen?// Welchen Einfluss hatten kontextualisierende Bedingungen(Lokalität…) auf die Struktur der sozialenSituation?// Welche Bedeutungen weisen sie durch ihr Handelnund ihre Worte bestimmten Elementen ihrer Alltagswirklichkeitzu?// Können das Handeln und die Bedeutung, die Sinn-Ordnung, die es zum Ausdruck bringt, als typischfür den soziokulturellen Rahmen gelten, in den dieSituation eingebettet ist? Im Zuge explorativer Forschung,wie sie im Rahmen einer Lehrveranstaltungerfolgt, ist Typenbildung nur in Ansätzen möglichund mit ausreichender Vorsicht und Bescheidenheitaufzustellen. Sie ist in aller Regeln nur nach langenFeldaufenthalten möglich.3.5.2. Memos„Memos“ sind eine wichtige Gedächtnisstütze undStrukturierungshilfe bei der theoretischen <strong>Reflexion</strong>des Materials. Corbin/Strauss und Lueger betonen denWert von Memoranden zur Zusammenfassung der bisherigenAnalyseergebnisse, die im Sinne von Zwischenberichtenden Forschungsprozess transparent machenund darüber hinaus entscheidende Zwischenschritteauf dem Weg zur Generierung von Theorie-Bausteinenbilden. „Memos are not just about „ideas“. They arerelated to the formulation of theory and its revisionduring the research process“ (Corbin/Strauss 1990: 422).Solche Memos spiegeln den Fortschritt, Wendungenund Knackpunkte der Analyse wieder. Während dieersten Memos daher zwangsläufig noch „einfachgestrickt“ und bruchstückhaft sein werden, bilden gut23 // Methodologie transdisziplinärer Entwicklungsforschung // <strong>Aktion</strong> & <strong>Reflexion</strong>


elaborierte späte Memos meist schon Versatzstückeder Gesamtanalyse, in denen ein zusammenhängenderThemenabschnitt umfassend (aber vorläufig) ausgearbeitetist (Lueger 2000: 86). Werden Memos oder andereDokumentationen zur <strong>Reflexion</strong> in der Forschungsgruppeoder zur Darstellung von Zwischenergebnissen nachaußen genutzt, so sollte die Darstellung auf folgendedrei Aspekte Wert legen, um die herausgearbeitetenSinnzusammenhänge nachvollziehbar kommunizierenzu können: „[…] die Gestalterschließung (worum esgeht), die Kondensierung (Heraushebung der wichtigstenArgumente) und Detaillierung (hinreichendePräzision der Argumentation)“ (Lueger 2000: 85).Lueger empfiehlt weiters mit „Ideenmemoranden“zu arbeiten, um „querschießende“ Deutungsansätzeoder spekulative Zusammenhänge festzuhalten, diesich zum Zeitpunkt noch nicht in die Analyse integrierenlassen, aber für einen späteren Analysezyklus oderzur Vertiefung von Gedankenblitzen zur Verfügungstehen sollten. Darüber hinaus können auch emotionaleEindrücke wie Betroffenheit, Enttäuschung oderErstaunen der Forschenden über die Entwicklung desForschungsprozesses und Ereignisse im Feld relevantsein für die Interpretation. Solche persönlichen oder imTeam entstandenen Eindrücke lassen sich ebenfalls inMemo-Form festhalten.3.5.3. ForschungsexposéeDas Forschungsexposée ist die wesentliche Orientierungshilfefür die Organisierung des Forschungsprozessesund damit der Teamarbeit. Auf ein bis drei Seitenwird das Phänomen vorgestellt, das untersucht werdensoll. Weiters erfolgt eine kurze Beschreibung der theoretischenKonzepte, die verwendet werden, ebenso wieder gewählten methodischen Zugänge. Schließlich wirdin groben Zügen der Zeitplan vorgestellt, dem die Forschungfolgen soll. Das Forschungsexposée dient in ersterLinie dem Team, es ist aber auch eine Möglichkeit,externes Feedback sowohl von Expertinnen im Feld alsauch Leiterinnen der Lehrveranstaltung einzuholen.3.5.4. Aufnahmen und TranskripteGrundsätzlich besteht die Möglichkeit, bei der Dokumentationvon Situationen im Feld mit der Unterstützungvon Tonband- oder Videoaufnahmen zu arbeiten.Es ist jedoch gut abzuwägen, ob dies aus ethischenGründen vertretbar und für den methodischen und situativenKontext stimmig ist. Aufnahmen bedürfen injedem Fall einer Zustimmung der Forschungsteilnehmerinnen!Damit wird das Aufnahmegerät zumTeil der Forschungssituation: Es kann verunsicherndund einschüchternd wirken oder zu einer schärferenSelbstzensur der Gesprächsteilnehmerinnen führen, ausdem Gefühl heraus „vor der Kamara“ nicht umgangssprachlichreden zu dürfen. Lueger weist darüberhinaus darauf hin, dass Tonbandaufnahmen leicht alsneutrale Darstellungen von Situationen missverstandenwerden, die sie nicht sind. Sie haben den Vorteil, direktund detailliert Personen aus dem Feld in ihrer Sprachewiedergeben zu können.Dennoch reduzieren sie die Situation auf die beschränkteAuffassung ihrer technischen Aufzeichnungsmöglichkeiten:Das Tonbandgerät bildet Sprache und(in verzerrter Form) Stimme ab, nicht hingegen Mimikund Gestik der Gesprächspartnerinnen noch den situativenKontext ihres Gesprächs (vgl. Lueger, 2000: 116).Zur Dokumentation teilnehmender Beobachtungen sindAufnahmen daher eher nicht empfehlenswert. Darüberhinaus sind sie laut Girtler oft störend, behindern dieTeilnahme der Forschenden und die Eigendynamik derSituation. Hilfreich sieht er hingegen die Aufnahmevon Gesprächen und Gruppendiskussionen; sie seienunproblematischer, da das Gerät in der Regel nach denersten Minuten ausgeblendet werde (vgl. Girtler, 2001:168).Geht es um sensible oder persönliche Themen ist besondersgenau zu überlegen, ob Aufnahmen a) vertretbarsind und in welcher Form sie weiterverwendet werdendürfen und b) ob ausreichendes Vertrauen besteht,um ein vertrauliches Gespräch mit Aufnahme zu führenohne seine Qualität maßgeblich zu beeinträchtigen.Entscheidet sich ein Forschungsteam dazu, Aufnahmenim Feld anzufertigen, ist zu berücksichtigen, dass dieTranskription und ihre Bearbeitung einen erheblichenZeitaufwand bedeuten, den das Forschungsteambewältigen muss. Gleichzeitig regt transkribierenErinnerung und <strong>Reflexion</strong> des Erlebten an und ist keineverlorene Zeit.Es können Textpassagen oder komplette Aufnahmentranskribiert und Transkripte unterschiedlicher Genauigkeitangefertigt werden. In jedem Fall ist derGesprächsausschnitt im Transkript sinngemäß undvollständig, in verteilten Rolle abzubilden. Dies kannwortgetreu, d.h. in der Originalsprechweise, oder als„Übersetzung“ in Schriftsprache geschehen. Nebeninformationenwie „wir lachen“, „er stockt“, „mit leiser24 // Methodologie transdisziplinärer Entwicklungsforschung // <strong>Aktion</strong> & <strong>Reflexion</strong>


Stimme“ o.ä. sollten nach einheitlichem Schema (z.B:in eckigen Klammern) eingefügt werden. Welche Formder Niederschrift gewählt wird, richtet sich nach derMethode und dem inhaltlichen Ziel der Auswertung:Wenn anhand von Textpassagen umfassende Interpretationender Sinn- und Beziehungsstruktur einerSituation geplant werden oder die Redeweise derAufgenommenen im Mittelpunkt steht, sind genaueTranskripte sinnvoll.3.6. InterpretationDie interpretative Sozialforschung geht davon aus,dass es keine Wirklichkeit ohne Interpretation gibt.Jede Darstellung und Beobachtung ist „interpretationsimprägniert“(Lueger 2000: 11). Die Interpretationbegleitet den gesamten Prozess der Feldforschungund dient der Ordnung, dem Tiefenverständnis undder Abstraktion der gesammelten Information. Ziel derInterpretation ist es, nicht nur die manifesten Erfahrungen,Handlungen und Aussagen von Personen zuverstehen; ihre Aufgabe liegt vielmehr darin, aufzudeckenund herauszuarbeiten a) welche latenten Inhalteeine Information enthält sowie b) innerhalb welchesEntstehungskontextes sie steht, innerhalb welcherBedingungen sie verständlich wird.Die Re-Konstruktion der verschiedenen Aspekte einerSituation oder Information ist komplex, aber wichtig.Denn der Forschungskontext lässt sich nicht wegdefinieren,weil das Erkenntnisprodukt durch diesenKontext geformt wird. Um die Strukturen der Alltagswirklichkeiteiner Gruppe adäquat zu interpretieren,müssen Ereignisse daher immer eingebettet in ihrenKontext untersucht werden.Um herauszufinden, worin die relevanten Kontexteeiner Situation bestehen, ist nach Froschauer/Luegerder Blick auf folgende Gesichtspunkte ratsam: a) dieangewandte Forschungsmethode, b) zeitliche undräumliche Aspekte und c) den Sinnkontext.Verschiedene Forschungsmethoden schaffen Entstehungs-und Bedeutungskontexte unterschiedlicherArt: Während in einem Gespräch Regeln undGrenzen sprachlicher Kommunikation wirksam werden,sind die Bedingungen einer Beobachtungssituation vorallem durch die Selektivität und Subjektivität unsererWahrnehmung geprägt und dadurch, dass sich einbeobachteter Moment nur ausschnitthaft dokumentierenlässt. Raum und Zeit wirken auf vielfältigen Ebenenauf die Forschung insgesamt und Situationen im Feldein. In ihnen und durch ihre Einwirkung werden sozialeStrukturen reproduziert und der äußere Rahmen derForschung beschränkt.Am Aspekt der Zeitlichkeit kann beispielhaft veranschaulichtwerden, wie vielfältig Einfluss und Bedeutungdes Kontextes dafür sind, wie wir eine Situationerleben und interpretieren: Zeit ist offensichtlicheine Komponente des sozialwissenschaftlichen Forschungskontextes.Da Strukturierungen sich ständig imSpannungsfeld von Stabilität und Wandel entwickeln,wird Zeitlichkeit zum zentralen Charakteristikum jedessozialen Untersuchungsgegenstands. GesellschaftlicheEntwicklungen lassen sich nur durch Analysen überlängere Zeiträume hinweg adäquat einordnen. Dieserfordert, den historischen Kontext zu re-konstruieren,der die Momentaufnahmen aus der Feldforschungeinbettet. In einer Gesprächssituation kann Zeit zumAnalysegegenstand werden, wenn auffällige Gesprächspausenentstehen, die Reihenfolge von ThemenVerbindungen erkennen lässt oder wenn ein Gesprächspartnerin seinen Aussagen eine der Forscherinunbekannte Vergangenheit konstruiert und diese sichals Schlüsselelement seiner aktuellen Alltagsrealitätzeigt. Wie Zeit erlebt wird, welche Rolle Pünktlichkeit,Zukunft und Vergangenheit in unserer täglichen Wahrnehmungspielen, ist kulturell verschieden. Und auchForschende interpretieren ihre Beobachtungen innerhalbihres derzeitigen Sinnhorizonts, der begrenzt, wasfür sie denkbar und was noch oder wieder undenkbarist (Lueger 2000: 149). Letztlich sieht sich die konkreteForschung selbst in den gesellschaftlichen Prozess einerpermanent entschwindenden Gegenwart eingebunden,wenn in Protokollen versucht wird, einen vergangenenFeldaufenthalt abzubilden oder der Analyseansatz vongestern durch die heutigen Ereignisse im Feld maßgeblichin Frage gestellt wird. Aber Zeit ist auch wichtig,wenn Forschende um die Aktualität ihrer Forschungenbemüht sind oder eine Deadline naht. Zeitlichkeit bildetdamit einen wesentlichen Kontext der Notwendigkeit,wissenschaftliche Ergebnisse einem ständigen Prozesskritischer <strong>Reflexion</strong> und Rekonstruktion zu unterziehen.Lueger betont darüber hinaus die Bedeutung einergenaueren Betrachtung des Sinnkontextes: Um diesozial relevanten Aspekte von Handlungen und Aussagenanalysieren zu können, muss versucht werden,zwischen dem individuellen Handlungssinn und dersozial verankerten Bedeutung einer Handlung möglichstgenau zu differenzieren. Um eine stabile Veror-25 // Methodologie transdisziplinärer Entwicklungsforschung // <strong>Aktion</strong> & <strong>Reflexion</strong>


tung einer Situation in ihrem Kontext zu schaffen, sindauch Zusammenhänge zu berücksichtigen, die nichtauf der „mikroskopischen“ Ebene direkt in die Situationeinwirken, also „makroskopische“ Bedingungen,wie die ökonomische Situation der sozialen Gruppe,gesamtgesellschaftliche Veränderungen und Werttraditionen.Diese beiden Ebenen können anhand derBegriffe des Kontextwissens und des Strukturwissensgetrennt werden: „Interpretieren heißt, sowohl denKontext als auch die Struktur zu kennen. Kontextwissenliefert das notwendige Wissen für das konkreteMilieu, die konkrete Situation vor Ort, die zu deuten ist.Strukturwissen wiederum liefert das Wissen, das denkonkreten Kontext in den größeren Zusammenhangeinbettet, nämlich in die gesellschaftliche Totalität“(Novy 2002: 10).Eine wichtige Aufgabe der Analyse und Interpretationbesteht dann darin, den Kontext als Ganzes zu re-konstruierenund zu visibilisieren, sodass die Einordnungder zu interpretierenden Situation in dieses Ganzestattfinden kann. Letztliches Ziel ist die Integrationdes Kontextes in die Gesamtanalyse: „ […][Contextual conditions] must not simply be listed asbackground material but directly linked to the phenomenathrough their effect on action/interaction, andthrough these latter to consequences. […] [Otherwiseany grounded theory publication] fails to explicatetheir specific connections to the phenomen(a) underinvestigation, falls short in its empirical grounding.“[eigene Hervorhebung] (Corbin/Strauss 1990: 426).Für das Verstehen sozialer Phänomene ist die Kritikan herkömmlichen Erklärungen wichtig. Daher gehtes im Zuge interpretativer Sozialforschung wesentlichdarum, Alltagswissen in systematischer Weise zudekonstruieren. Dazu ist ein hohes Maß an <strong>Reflexion</strong>erforderlich, der das Forschungsteam daher über dengesamten Prozess hinweg ausreichenden Raum gebensollte. Das impliziert einerseits <strong>Reflexion</strong>szeiten einzuplanen,andererseits auf Störungen einzugehen. SolcheStörungen, die sich durch die Bedingungen im Feld,Unstimmigkeiten in der Analyse oder aus verschiedenenSichtweisen im Team ergeben, nicht zu ignorieren,sondern als Anlass zur <strong>Reflexion</strong> aufzugreifen. DennStörungen bringen den Prozess wissenschaftlicherRekonstruktion der Strukturierungen des Feldes insStocken und machen darauf aufmerksam, dass die Ausrichtungender Forschung anzupassen oder alternativeInterpretationsmuster zu berücksichtigen sind. Sie sindwertvoll, da sie die voreilige Anwendung leicht verfügbarerSchemata und eingefahrenen Alltagswissensdes Feldes ins Wanken bringen und Anstöße zu einerkreativen Generierung von Interpretationswissengeben. Störungen können auch im Feld entstehen odervon den Forschenden provoziert werden, beispielsweiseüber Akteurinnen des Feldes, von denen bekannt ist,dass sie der Lebensweise in ihrem Umfeld besonderskritisch gegenüberstehen. Die bewusste Konfrontationmit kritischen Stimmen ist insbesondere im Kontextvon Forschungen hilfreich, die auf Anregungen einerInstitution stattfinden, sei dies ein Unternehmen, eineSchule oder ein Verein (Girtler 2001: 106).3.6.1. Interpretation systematisierenZiel der Interpretation ist es, die Information aus demFeld umfassend und genau zu betrachten, um zu einemtieferen Verständnis dieser Information zu gelangen,die Strukturen einer Alltagswirklichkeit oder sozialeProbleme deutlicher werden lässt. In den Sozialwissenschaftenwurden zahlreiche unterschiedliche Methodenentwickelt, um diesen Prozess der Analyse und Interpretationzu systematisieren.Im Folgenden werden die grundsätzlichen Anforderungenin der Herangehensweise an das Informationsmaterialskizziert. Anschließend werden einige ausgewählteVerfahrensschritte durchgespielt, die besondershilfreich sind für schwerpunktmäßig explorativeForschungsprojekte, wie sie innerhalb der Lehrveranstaltungstattfinden sollen. Um klare Ergebnisse zuerhalten, muss eine Analyse a) reduzierend arbeiten,d.h. zentrale Aspekte herauskristallisieren, Schlüsselthemenpriorisieren und ihre Bedeutung mit besondererAufmerksamkeit behandeln. Dies setzt voraus,dass Information zusammengefasst und hierarchisiertwird, um solche zentralen Themen sichtbar werden zulassen. Das gesamte Material wird hierzu in den Blickgenommen und thematisch neu geordnet. Deutet sichbeispielsweise an, dass die Sorge um eine Arbeitsstelleeine Gruppe jugentlicher Migrantinnen sehr beschäftigt,werden alle Aussagen, die sie zu dem Thematreffen, zusammengestellt und analysiert. AngrenzendeThemen oder solche für die eine Beziehung zumzentralen Thema vermutet wird (z.B. Benachteiligungin Familie und Freundeskreis durch Arbeitslosigkeit,Zukunftsängste, Berufswunsch Selbstständigkeit) wer-26 // Methodologie transdisziplinärer Entwicklungsforschung // <strong>Aktion</strong> & <strong>Reflexion</strong>


den ebenfalls zusammengestellt und in Beziehung zumzentralen Thema gesetzt.Während die Inhaltsanalyse nach Mayring dieses Verfahrenan den Anfang des Bearbeitungsprozesses stellt,wird es von der grounded theory erst in einem späterenStadium angesetzt.Lueger/Froschauer stellen unter der Bezeichung Themenanalyseeine Analyseform zur Zusammenschauder Gesamtheit aller Materialien vor, die auch Beobachtungsprotokolleund Memos etc. einbeziehen kann.Auf ihre Verfahrensweise werden wir später zurückkommen.Sozialwissenschaftliche Analysen beinhalten andererseitsb) expandierende bzw. explizierende Verfahren(Begriffe nach Mayring 2007: 473; Böhm 2007:478), die eine kleine Menge „Originaltext“ (i.d.R.Transkriptauszüge) vertiefen. Strukturen, Kontexte undSinnzusammenhänge hinter den Aussagen werden insolchen Verfahren genau re-konstruiert und erklärt.Damit wird dem Protokolltext ein ausführlicher „Interpretationstext“hinzugefügt. Auch eine expandierendeHerangehensweise zielt darauf ab, Schlüsselthemenund Schlüsselbegriffe, die in der Sprache des Feldesformuliert werden, aufzuspüren und zu benennen.Explizierende Verfahren setzen generell eine genauereDokumentation von Situationen voraus als zusammenfassendeVerfahren. So arbeitet die Feinanalyse nachFroschauer/Lueger nur mit Zitaten aus Transkripten, diedie Ausdrucksweise der Akteurinnen, Betonungen undZwischenlaute wortgetreu abbilden. Die Tiefenstrukturendes Gesprächs werden minutiös re-konstruiert,weshalb die Methode ein hohes Potential zur Dekonstruktionvon vordergründigen Sinnzusammenhängenbirgt.Derartige Feinheiten können nur anhand genauerTranskriptausschnitte aufgedeckt werden, nicht jedochauf der Grundlage von Beobachtungsprotokollen. ExplizierendeVerfahren stehen nicht im Mittelpunkt desForschungsprojektes der Lehrveranstaltung, was bereitsdurch seine explorative Ausrichtung nahegelegt wird.Dennoch ist der Grundgedanke des Ansatzes auch inunserem Interpretationskontext nützlich und sollte inabgewandelter Form als Ergänzung zu reduzierendenVerfahren berücksichtigt werden:Forschungsteams sollten einige kleine, interessanterscheinende Ausschnitte des entstandenen Materials(bspw. eine kurze Sequenz einer Beobachtungssituation,die gemeinsam erlebt und dokumentiert wurde)recht bald detaillierter untersuchen. Löste bspw. eineSituation oder Frage heftige Diskussionen aus, bietet essich an zu fragen:Was war genau der Auslöser der Diskussion – das Thema,die Wortwahl/Gestik oder der Zeitpunkt? WelcheInteraktionsmuster und Argumentationsstrukturen wurdenin den ersten Wortwechseln von wem angewandtund warum? Wurden Hierarchien oder Parteinahmeräumlich sichtbar und spiegelte sich dies im Gesprächsverlauf?Welche Rolle nahmen die Forschenden indieser kurzen Sequenz ein und zu welchen Reaktionenführte dies? Solche Fragen, die sich zunächst nur aneine konkrete Situation richten lassen, bieten wichtigeGrundlagen für ein genaueres Verständnis einerGesamtsituation und letztlich der weiterreichendensozialen Strukturen im Feld. Sie helfen dabei, sich vonder Oberfläche des Erlebten zu lösen, das Offensichtlichezu dekonstruieren; sie stärken den Tiefenblick derForschenden und verhindern vorschnelle Schlüsse.Die Interpretation zielt darauf ab, einen abstrakterenund klareren Blick auf Eigenheiten und Zusammenhängeim Feld zu gewinnen: Zentrale Aspekte einerAlltagswirklichkeit zu identifizieren, ihre (gleicheoder widersprüchliche) Wiederkehr in verschiedenenKontexten aufzuspüren und daraus Schlussfolgerungenüber Bedeutungszusammenhänge und Sinnstrukturenabzuleiten. Diese Schlussfolgerungen gilt es zu ordnenund zu verknüpfen, sodass schlüssige Aussagenüber Zusammenhänge auf einer theoretischen Ebeneformuliert werden können. So geht es zunächst darum,Schlüsselthemen und -wörter in Protokollen u.ä.aufzuspüren, die Anhaltspunkte dafür liefern, wasbesonders wichtig ist. Das Material wird nach Schlüsselbegriffendurchforstet, zerlegt und neu geordnet:Finden sich im anfänglichen Protokoll bspw. zahlreicheAussagen über die Bedeutung der Eltern, Geschwisterund Onkel für einen Jugendlichen werden diese Aussagenunter dem Themenblock „Bedeutung der Familie“zusammengestellt. Gemeinsamkeiten aber auch Widersprüchezwischen Aussagen werden so übersichtlichaufgeführt und unter Berücksichtigung der jeweiligenGesprächssituation gedeutet.Die aufgespürten Schlüsselthemen werden in einemnächsten Schritt allgemein, aber präzise beschrieben:Was macht das Thema „Familie“ aus? Welche Bedeutungbesitzt es für die Person und für den Beobach-27 // Methodologie transdisziplinärer Entwicklungsforschung // <strong>Aktion</strong> & <strong>Reflexion</strong>


tungsschwerpunkt der Forschungsteams? Wie wirdes bewertet? Und in welchem Verhältnis steht es zurTheorie über Integration und Kultur? Ziel des nächstenSchrittes ist es, Begriffe und Formulierungen zu finden,die das Schlüsselthema und seine Bedeutung theoretischbeschreiben und die Zusammenhänge zwischenverschiedenen Schlüsselthemen transparent machen.Hierzu muss es zunächst eingebettet betrachtet werden,sodass es als Teil seines Kontextes verständlichwird:Grafik 2: Adaptiertes Codierparadigma für sozialwissenschaftlicheFragestellungen, basierend auf Böhm(2003: 479).Die generierten Theorien (oder Teilaspekte von Theorien)müssen sich nachvollziehbar begründet aus demMaterial herleiten lassen, um sowohl a) im Sinne einerintersubjektiven Überprüfbarkeit durch andere Forschendeerschlossen werden zu können und sich b) aufdie Praxis anwenden zu lassen – worin die wesentlicheÜberprüfung der Theorie im Sinne eines transdisziplinärenWissenschaftsverständnisses besteht.3.6.2. Reduktionsorientiertes CodierverfahrenFroschauer/Lueger stellen zur Analyse qualitativer Interviewsu. a. ein Verfahren vor, welches auch in Forschungenmit schwerpunktmäßig explorativem Charakteranwendbar ist und den methodischen Möglichkeitender Studierenden entspricht.Das Verfahren aus dem Bereich der bereits erwähntenThemenanalyse zielt nicht auf eine Betrachtung in dieTiefe, sondern darauf eine Gesamtsicht auf das Materialzu gewinnen, aus der Themenschwerpunkte oderTextstellen für eine genauere Analyse hervorgehen. Eslässt sich auf Protokolle und Memos ebenso anwendenwie auf Transkripte und andere Dokumente. Im Folgendenwird dieses Verfahren schrittweise dargestellt.In einer gebündelten Kurzbeschreibung wird die Bedeutungsessenzdes Themas griffig gefasst. Die auf diesemWege generierten ersten Grundannahmen spiegelnsich in der Feldforschung in Form fokussierter Beobachtungsschwerpunkteund erster Fragestellungen zurück.Dieser Analyseschritt sollte für alle Themen durchgespieltwerden, die im Kontext der Forschung besondersbedeutsam erscheinen. Abschließend ist zu klären, inwelcher Beziehung die gewählten Schlüsselthemen undGrundannahmen zueinander stehen. Möglicherweiseergeben sich enge Verwebungen oder ein Thema lässtsich als zentraler Bereich identifizieren, dem andereThemen zu- und untergeordnet werden können.Diese Zusammenschau von Schlüsselthemen in ihreInterrelation untereinander und eingebettet in ihrenjeweiligen und gemeinsamen Kontext bietet dieGrundlage für eine fundierte theoretische Betrachtung,die Formulierung theoretischer Zusammenhänge underste Schlussfolgerungen im Bezug auf eine zentraleFragestellung. Da dieser Weg der Interpretation seinenAusgang im empirischen Material nimmt, ermöglichter es, neue theoretische Erklärungen zu konstruieren,ohne dabei die bestehende Theorielandschaft zu ignorieren– eine grounded theory zu schaffen.28 // Methodologie transdisziplinärer Entwicklungsforschung // <strong>Aktion</strong> & <strong>Reflexion</strong>


Verfahrensschritte des reduktionsorientierten Codierverfahrens (angelehnt an Froschauer/Lueger 2003: 163 ff.)Verfahrensschritt Beschreibung Leitgedanken / FragenThemencodierung/Formulierung vonThemenkategorienSubkategorienbildungCodierung von Textpassagen* nach denenthaltenen zentralen Aussagen (Themenkategorien)Hierzu empfiehlt es sich, die Texte inThemenblöcke zu zerlegen bzw. neu zuordnen, indem Wiederholungen einesThemenbereichs an anderer Stelle dem jeweiligenThemenblock zugeordnet werden.Themenkategorien werden in Subkategorienund weitere untergeordnete Kategorienuntergliedert, sodass hierarchischeNetzwerke entstehen, die u. U. auf latenteSinnstrukturen verweisen.Mit welchen Begriffen lassen sich einzelneTextpassagen bezeichnen?Welche zentralen Begriffe oder Komponentencharakterisieren ein Thema?Welche Eigenschaften oder Bewertungentauchen im Kontext dieser Begriffe auf?Strukturierung derThemenkategorienHierarchisierungInterpretation desKategoriensystemsVergleichendeAnalyseThemenkategorien werden nach ihrerrelativen Bedeutung im Text bzw. für dieForschungsfrage miteinander verbundenund Zentralkategorien bestimmt.Verknüpfung von Themenkategorien mitSubkategorien (Begriffen, Merkmalen etc.von Themen) zu einem hierarchischenSystem.Aus dem hierarchischen Kategoriensystemwerden Thesen zur Forschungsfrageabgeleitet, wobei die Textpassagen einereingehenden Interpretation unterzogenwerden können.Verschiedene Texte werden mit dem Zielder Theoriebildung nach vielfältigen Gesichtspunktenverglichen.*Passagen eines Gesprächs- oder Beobachtungsprotokolls oder eines TranskriptsWelche Themen sind im Textzusammenhangbesonders zentral?Welche Themen sind für die bearbeiteteForschungsfrage besonders wichtig?(Zentralkategorien)Wie hängen die Themenkategorien zusammen(Vernetzung)?Wie lässt sich der Text zusammenfassendals hierarchisches Netzwerk von Kategoriendarstellen?Wie lässt sich – auf der Basis des entwickeltenKategoriensystems und derTextinterpretationen – eine theoretischeKonzeption des Textes in Hinblick auf dieForschungsfrage entwickeln?Wo sind strukturelle und/oder thematischeÄhnlichkeiten, wo Unterschiede?Welche Schlüsselkategorien erweisensich über mehrere Textstellen hinweg alsbedeutsam?Wo lassen sich über mehrere Textehinweg die gleichen Substrukturen undVernetzungen finden?Welche konkreten Inhalte von Kategorienlassen sich über verschiedene Textehinweg zusammenfügen?29 // Methodologie transdisziplinärer Entwicklungsforschung // <strong>Aktion</strong> & <strong>Reflexion</strong>


3.7. Darstellung der ErgebnisseEs liegt im Aufgabenbereich der Forschung, Kontextezu schaffen, in denen eine Rezeption der Forschungsergebnissedurch die vor Ort Agierenden und darüberhinaus ermöglicht wird. Innerhalb solcher Kontextekann eine Rückversicherung über die Ergebnisse desForschungsprozesses durch Feedback erreicht werden.Weiters können mögliche Implikationen und Konsequenzender Ergebnisse diskutieren werden. WelcheWege und Darstellungsformen gewählt werden, richtetsich nach dem Kontext der Publikation, insbesonderenach dem antizipierten Informationsbedürfnis und denAufnahmekanälen des Publikums.3.7.1. SeminararbeitenZiel der Ergebnisdarstellung gegenüber anderenWissenschafterinnen ist es, die Forschungsergebnissevor dem Hintergrund der Herangehensweise und derEntwicklung des Forschungsprozesses nachvollziehbarzu machen. Um diesem Anspruch nachkommen zukönnen, ist die Dokumentation des Prozesses und dasExplizieren von Vorannahmen und Zwischenergebnissenunverzichtbar, denn den Kern der Wissenschaftlichkeitbildet die intersubjektive Überprüfbarkeit.Seminararbeiten sind der wissenschaftliche Teil derErgebnisdarstellung, der in diesem Skriptum dargestelltenForschungsprojekte. In ihnen ist der gesamteForschungsprozess zu dokumentieren. Im Mittelpunktsteht die fokussierte Darstellung der Ergebnisse, eingebettetin eine kurze Präsentation der eingesetztenMethoden und der verwendeten Theorien, Konzepteund Kategorien. Auf diesen Hauptteil, der 25 Seitennicht überschreiten sollte, folgt ein Anhang, in demumfangreich die sonstigen Forschungsschritte dokumentiertwerden, angefangen von Protokollen, überMemos, Transkripte, Statistiken usw.3.7.2. Feedback an die Mit-ForschendenMit den Mit-Forschenden werden die erarbeitetenvorläufigen Thesen noch am Ende der Phase 3 (zyklischeHauptforschungsphase) diskutiert. Dies gibt einFeedback und ermöglicht, allfällige Rückmeldungenin die Endfassung der Seminararbeit einzuarbeiten.Weiters wird vom <strong>Paulo</strong> <strong>Freire</strong> <strong>Zentrum</strong> nach Ende derLehrveranstaltung ein Abschlussworkshop angebotenund Interessierten die Seminararbeit zur Verfügunggestellt.3.7.3. Publikationfür eine interessierte ÖffentlichkeitIm Sinne eines Forschungszugangs, der zu einembreiten gesellschaftlichen Dialog beitragen will,besteht die abschließende Herausforderung an dasForschungsteam darin, ihre <strong>Reflexion</strong>en in eine „Alltagssprache“zu übersetzen, die die Ergebnisse demöffentlichen Diskurs zugänglich werden lässt. DiePublikation auf der Website des <strong>Paulo</strong> <strong>Freire</strong><strong>Zentrum</strong>s ist eine der Möglichkeiten, Forschungsergebnissezu veröffentlichen. Auf ihr wird Wissen,das gemeinsam mit sozialen Akteurinnen vor Ort imRahmen von Forschungsarbeiten erarbeitet wurde,öffentlich zugänglich gemacht. Dies soll die Diskussionum soziale Innovationen fördern und die Kreativität fürneue Formen von Handeln, Forschen und Lernen anstacheln.Im Jahre 2008 und 2009 wurde diese Initiativevon der Magistratsabteilung 7 der Stadt Wien (MA7)gefördert.30 // Methodologie transdisziplinärer Entwicklungsforschung // <strong>Aktion</strong> & <strong>Reflexion</strong>


4. Methodologie transdisziplinären ForschensDieses Kapitel rundet die Überlegungen zu Entwicklungsforschungund Feldforschung ab. Die bisherigenAusführungen haben eine Ausrichtung des Forschensangezeigt, die sich von herkömmlichen Herangehensweisenunterscheidet. Die beiden wesentlichenAbgrenzungen sind die Betonung der interdisziplinärenZusammenarbeit, wie es für komplexe Entwicklungsproblemenotwendig ist, und das Bemühen, dietiefsitzende Hierarchie zwischen Wissenden und Unwissendenzu überbrücken. Letztere drückt sich in denSozialwissenschaften in Methoden aus, die zwischenden Subjekten der Forschung, den Forschenden, undden Objekten, die beforscht werden, unterscheiden, alshandle es sich um eine selbstverständliche Über- undUnterordnung. Kapitel 2 hat Methoden der interpretativenSozialforschung vorgestellt, die bemüht sind, dieseHierarchie aufzuweichen. Die vorgestellten Ansätze,die sich stark an den Überlegungen von Girtler, Luegerund Bourdieu anlehnen, versuchen, die Kernthese <strong>Paulo</strong><strong>Freire</strong>s, des brasilianischen Befreiungspädagogen, umzusetzen:Es gibt niemanden, der nichts weiß, und niemanden,der alles weiß. Daher lernen in einem echtenDialog alle voneinander. Transdisziplinäres Forschen,wie es nun in diesem Kapitel vorgestellt wird, versucht,die Wissensproduktion so zu organisieren, dass einechter Dialog über die Mauern der Universitäthinaus möglich wird. Transdisziplinarität als eine Formder Organisation von Wissen ermutigt zum ganzheitlichenDenken. In diesem Sinne ist sie dem Kernanliegender Entwicklungsforschung verwandt, der es ebenfallsum integrierte Analysen gesellschaftlicher Dynamikenund deren Wechselwirkungen geht.4.1. Wissenschaft in gesellschaftlicherVerantwortungDie Bedeutung der normativen Dimension für denwissenschaftlichen Bereich wird häufig unterschätzt.Bei der Festsetzung von Forschungszielen bedarf esnormativer Grundsatzentscheidungen, angefangen beider Formulierung der Forschungsfrage. Die Beantwortungder Frage, was denn eine nähere Untersuchungwert sei, ist Ergebnis einer Bewertung. Noch bedeutsamerist dies für anwendungsnahe Forschung, die sichdem Ziel verschreibt, gesellschaftlich relevante Ergebnissezu produzieren. Zweckrationalität betrachtet nurden Prozess, der effektiv und effizient sein soll, nichtaber die Ziele, die angestrebt werden. WissenschaftlicheForschung umfasst aber auch die Diskussion umvernünftige Ziele. Wie gefährlich die Gleichsetzung derProzess- und der Ziel-Dimension sein kann, beschreibenTheodor Adorno und Max Horkheimer in ihrem Buch„Dialektik der Aufklärung“: In der Absolutsetzung derRationalität ist ein destruktives Element angelegt, dennreine, zweck- und wertfreie Rationalität dient nur zuleicht dem eigenen Machtwillen oder dem Willen derHerrschenden (Horkheimer/Adorno 2003). Es ist kein Zufall,dass diese Abhandlung 1944 verfasst wurde, denngerade im Nationalsozialismus wurde die Dialektikder Aufklärung, die auf die Perversion der Zweckrationalitäthinweist, auf die Spitze getrieben. Der Faschismusverwendete moderne und rationale Elemente undOrganisationsformen, um mit dem Holocaust eine derbarbarischsten Taten der Menschheit zu verwirklichen.Der Widerspruch, mit rationalen Mitteln irrationaleund menschenverachtende Zwecke zu verfolgen,beschränkt sich nicht auf den Faschismus, sondern istein gesellschaftliches Grundproblem, das immer dannauftritt, wenn Rationalität und Ethik getrennt werden.Der Gefahr einseitig zweckrationalen Denkens kannnur entkommen werden, indem versucht wird, Vernunftund Ethik wieder zusammenzubringen. Dies nicht nurim Denken, sondern praktisch umzusetzen, wäre dieAufhebung der Dialektik der Aufklärung: Wissenschaftbeteiligt sich daran, dass die Gesellschaft vernünftigeZiele anstrebt und verwirklicht. In demokratischen Gemeinwesenmuss über Werte und Ziele offen diskutiertwerden. Für die Wissenschaft beinhaltet das eine neueRolle: sich in aller Bescheidenheit als eine Akteurinunter mehreren am gesellschaftlichen Dialog zu beteiligen.Ihr Beitrag besteht darin, die eigene Gesellschaft,in unserem Fall die eigene Stadt, besser zu verstehen.Die Wissenschaft braucht demnach keine Wahrheitenzu liefern. Ihre Autorität ergäbe sich aus der Kraft ihrerArgumente und nicht ihrer Stellung in der Gesellschaftund im Bildungssystem. Mit dieser neu gewonnenenBescheidenheit könnte die Sozialwissenschaft, transdisziplinärorganisiert, einen Beitrag zur Schaffungeiner Lernkultur in Organisationen, Schulen und derGesellschaft leisten und Lernpotentiale von Menschenfördern.Schon unter den Aufklärern des 18. Jahrhunderts gabes die Enzyklopädisten, die eine zentrale Aufgabe derIntellektuellen in der Verbreitung von Wissen sahen.Doch diese volksbildnerische Tradition fand kaumEingang in die Universitäten des 20. Jahrhunderts.Akademikerinnen verstanden sich meist als Expertin-31 // Methodologie transdisziplinärer Entwicklungsforschung // <strong>Aktion</strong> & <strong>Reflexion</strong>


nen, deren Wissen die Gesellschaft anzuwenden habe.Offene und öffentliche Diskussionen über Sinn und Unsinndieses Wissens gab es kaum. Gerade solche tragenaber dazu bei, dass Entscheidungen, die alle angehen,breiter diskutiert und vernünftiger getroffen werdenals in abgeschotteten Räumen von Bürokratinnen oderManagerinnen. Wenn Wissen für alle zugänglich istund breit diskutiert wird, kommen Sichtweisen andie Öffentlichkeit, die von vorherrschenden Interpretationenin den Medien und anderen Interessengruppenabweichen. Im Rahmen des Forschungsseminarssind die Ränder der Stadt die Orte des Forschens. DieArbeits- und Lebensbedingungen benachteiligterMenschen und ausgegrenzter Gruppen sind derUntersuchungsgegenstand, den es gemeinsam mit denBetroffenen zu verstehen gilt. Der Erkenntnisgewinnüber ungerechte Strukturen soll einen Beitrag zur Aufklärung,zu gemeinsamen Lernprozessen leisten, umNaivität und Borniertheit zu überwinden.4.2. TransdisziplinärerForschungsprozessDie vorgestellten Methoden der interpretativen Sozialforschungerfordern eine respektvolle Beziehungzwischen den Forschenden und den vor Ort lebendenMenschen, die als Mit-Forschende betrachtet werden.Damit sind sie mit transdisziplinärem Forschen vereinbar,dessen Kern im Dialog von Forscherinnen undMenschen vor Ort besteht, welche im Folgenden alsAlltags-Expertinnen bezeichnet werden. Die verbleibendenSeiten dieses Readers widmen sich der Frage,auf welche Art und Weise Wissenschafterinnen undAlltags-Expertinnen in einem transdisziplinären Prozesszusammenarbeiten mit dem Ziel gemeinsamen Forschensum bedeutsame Aspekte der Welt zu verstehen.4.2.1. Interpretative Sozialforschung undTransdisziplinaritätEs ist nicht einfach, die Grenze zwischen transdisziplinärerForschung und normaler empirischer Sozialforschungzu ziehen. Der Unterschied zwischenPraxispartnerinnen und Wissenschafterinnen istaber, wie man so schön sagt, „a difference that makesa difference“ den es konstruktiv und erkenntniserweiterndzu nützen gilt. Wie können Wissenschafterinnenund Alltags-Expertinnen gleichberechtigt zusammenarbeiten– und somit die hierarchisierte Rollenverteilungder traditionellen empirischen Sozialforschungdurchbrechen – und trotzdem ihre Eigenheiten, ihreUnterschiedlichkeiten ausreichend berücksichtigtsehen? Welche gemeinsamen Methoden findet man?Sind es die Wissenschafterinnen, die sich Fragenüberlegen, die sie an die Praxispartnerinnen stellenwollen, um sie dann in weiterer Folge zu diskutieren,weil die Wissenschaft noch keine ausreichendenAntworten darauf findet? Sind es vielleicht umgekehrtdie Praxispartnerinnen, die sich Fragen überlegen, diedann in Zusammenarbeit mit den Wissenschafterinnendiskutiert werden und auf die man versucht Antwortenzu finden? Überlegen sich alle gemeinsam Fragen, diesowohl für die Wissenschaft als auch für die Praxisrelevant wären? Wie weit arbeiten die Wissenschafterinnendisziplinär in ihrem Bereich und wieweit begibtman sich in neues Terrain? Inwieweit findet man neueMethoden der Zusammenarbeit bzw. des Erkenntnisgewinns?Das sind alles wichtige Fragen, die nur von Fallzu Fall beantwortet werden können, denn es lässt sichnicht eindeutig festmachen: „An diesem Punkt, dashier ist transdisziplinäres Arbeiten und sonst nichts“.Transdisziplinäres Forschen bewegt sich auf einemKontinuum: Es gibt mehr und weniger Einbezug derPraxispartnerinnen, mehr und weniger gemeinsames,gleichberechtigtes Zusammenarbeiten. Eines ist jedenfallsklar: Praxispartnerinnen sind keine reinen Datenlieferantinnen.Ansonsten würde es sich einzig umeine Form empirischer Sozialforschung handeln, die dieSubjekt-Objekt-Beziehung im Forschungsprozess nichtproblematisiert. Praxispartnerinnen als anerkannteAlltags-Expertinnen sind mehr, sie sind aktiver, habeneine gestaltende Rolle im Forschungsprozess (Büttner/Schophaus 2004: 21; Büttner et al. 2004a: 171). Wie genaudiese Rolle aussehen kann, wie groß die Überschneidungensind, wie viel eigenen Raum die Wissenschaft,sei es disziplinär oder interdisziplinär, braucht, ist injedem Projekt neu zu verhandeln.32 // Methodologie transdisziplinärer Entwicklungsforschung // <strong>Aktion</strong> & <strong>Reflexion</strong>


4.2.2. DefinitionTransdisziplinarität ist ein schlecht fassbarer Begriff,denn es gibt viele verschiedene Definitionen. Wenn esaber darum geht, die Definition anzuwenden und zuversuchen zu entscheiden „Was ist ein transdisziplinäresProjekt? Ist dieses konkrete Projekt ein transdisziplinäresProjekt?“ dann sind sie alle wenig hilfreich. Siesind nicht bestimmt genug, um solche Entscheidungentreffen zu können. Unsere Definition von Transdisziplinaritätumfasst drei Kriterien (vgl. Scholz/Marks 2001:237; Karl-Trummer et al. 2007: 5):// Ist es interdisziplinär – arbeiten verschiedene Disziplinenzusammen?// Ist es problemorientiert?// Werden Praxispartnerinnen gleichberechtigt miteinbezogen?Transdisziplinär bedeutet erstens interdisziplinär, dasheißt, Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen, einschon länger propagierter Schritt in Richtung integrierterund ganzheitlicher Forschung. Im unverbindlichenReden ist Interdisziplinarität heute weitgehend akzeptiert,auf die Organisation der Wissenschaft hat dieswenig Auswirkungen. Wenn Interdisziplinarität ernstgenommen wird, dann muss dies zu einer nicht anDisziplinen orientierten Organisation der Universitätführen, Zusammenarbeit und Integration wären universitäreLeitprinzipien (vgl. Mittelstraß 2005). Tatsächlichgilt als Spitzenforschung aber nach wie vor, vor allemin den Sozialwissenschaften, weiterhin, was in einerDisziplin zum Besten gehört.Zweitens geht es um problemorientiertes Arbeitenund um ein Forschen, das sich mit relevanten Fragenbeschäftigt. Forschen soll dazu beitragen, wichtigegesellschaftliche Phänomene zu verstehen. TransdisziplinäreForschung sucht sich relevante Themen aus undbeschäftigt sich mit wichtigen Problemen (Karl-Trummeret al. 2007: 5). Doch geht der Veränderungswunschnicht bis zur <strong>Aktion</strong>sforschung. Letztere sucht Formengemeinsamen Handelns, mit denen die Ergebnisse derForschung gleich direkt umgesetzt werden können. Im<strong>Zentrum</strong> der Transdisziplinarität steht der bescheidenereAnspruch, durch das Zusammenfügen von Wissenschaftswissenund Praxiswissen Phänomene „bloß“besser verstehen zu können.Drittens geht es um die Erweiterung der Wissensgrenzenüber den wissenschaftlichen Bereichhinaus, indem nichtwissenschaftliche Akteurinnen inden Forschungsprozess einbezogen werden. Dies istder kritischste Aspekt transdisziplinären Forschens. Esist nämlich in der einschlägigen Literatur unklar, in welcherForm die Praxispartnerinnen in den Forschungsprozessintegriert sein sollten. Sind sie Forscherinnen,genauso wie die Wissenschafterinnen? Oder habensie eine eigene Rolle, eine eigene Funktion? Und wiekönnte diese in einem gleichberechtigten Forschungsprozessaussehen? Es ist nicht sinnvoll, Praxispartnerinnenals Wissenschafterinnen im engen Sinneeinzusetzen, ihre Kernkompetenzen liegen schließlich ineinem spezifischen, in Erfahrungen erworbenen Wissen.Dieses soll nutzbar gemacht werden, um das begrenztewissenschaftliche Wissen zu erweitern. TransdisziplinäresForschen strebt eine gleichberechtigte Zusammenarbeitan, wobei dies immer mit gewissen Einschränkungenzu begreifen ist, weil Gleichberechtigungstrukturell bedingt schwierig ist, wenn es sich um dieMitarbeit von Praxispartnerinnen in einem Forschungsprojekthandelt. Die Wortwahl allein zeigt schon, dassdie Hauptakteurinnen in der Regel die Wissenschafterinnensind und diese die Praxispartnerinnen freiwilligin ein bestimmtes Projekt, einen von ihnen definiertenProzess, hereinholen. Das heißt, es ist immer einHineinholen der Praxis in die Wissenschaft undweniger ein Hineinholen der Wissenschaft in die Praxis(Karl-Trummer et al. 2007: 6f).Es soll an dieser Stelle aber auch darauf verwiesenwerden, dass die hier vertretene Definition im wissenschaftsinternenDiskurs keineswegs unumstritten ist– manche Autoren fassen Transdisziplinarität schlichtals besser integriertes interdisziplinäres Arbeiten auf,der Dialog mit nicht-wissenschaftlichen Akteurinnenist in diesen Entwürfen nicht explizit vorgesehen (vgl.Mittelstraß 2001) 5 . In diesem eng gefassten Verständnis5While scientific co-operation means in general a readinessto co-operation in research, and thus interdisciplinarity in thissense means a concrete co-operation for some definite period,transdisciplinarity means that such co-operation results in alasting and systematic order that alters the disciplinary orderitself. […] Put otherwise: transdisciplinarity is – and remainsdeliberately – a science-theoretical concept which describesparticular forms of scientific co-operation and problem-solving,as opposed to forms lying outside of scientific boundaries. […]transdisciplinarity is a principle of scientific work and organisationthat reaches out beyond individual fields and disciplines forsolutions, but it is no trans-scientific principle. (Mittelstraß 2001:497f)33 // Methodologie transdisziplinärer Entwicklungsforschung // <strong>Aktion</strong> & <strong>Reflexion</strong>


von Transdisziplinarität verschwindet die Grenze zuähnlichen Forschungspraxen allerdings weitgehendund es stellt sich die Frage, welchen analytischen Zusatznutzeneine derartige Definition bringt.4.2.3. ZieleEin wichtiges Ziel transdisziplinären Arbeitens istdie Lösung oder Bearbeitung gesellschaftlichrelevanter Fragestellungen. Dies schafft ein Spannungsfeldzwischen gesellschaftlicher Relevanz aufder einen und wissenschaftlicher Unabhängigkeit aufder anderen Seite. Wer definiert, was gesellschaftlichrelevant und wichtig ist? Eine vollständige Abhängigkeitder Forschung von politischen Entscheidungsträgerinnenist nicht wünschenswert. Umgekehrt kannes, wenn die Wissenschaft unabhängig entscheidet,was sie beforscht, passieren, dass ihre Fragestellungenund folglich ihre Ergebnisse gesellschaftlich nichtrelevant und anschlussfähig sind. Es ist nämlich imWissenschaftsbetrieb an sich, solange er autonom ist,nicht zwangsläufig angelegt, relevante Ergebnisse zuproduzieren. Die wissenschaftliche Forschung kann sichwunderbar selbst mit theorieinternen Fragestellungenund Diskursen füttern – mit anderen Worten, sichvollständig in den vielbeschworenen Elfenbeinturmzurückziehen – ohne dass dies den Wissenschafterinnen,so sie nicht intrinsisch motiviert sind, sich mitrelevanten Problemen zu befassen, schaden würde. Umim wissenschaftlichen Bereich erfolgreich zu sein, istes nicht zwingend notwendig, relevant zu sein. Dortspielen andere Kriterien eine Rolle. Gesamtgesellschaftlichist eine völlige Unabhängigkeit der Wissenschaftdaher nicht wünschenswert. Gewisse Kontroll- undLegitimationsinstanzen sind sinnvoll, so wie das invielen gesellschaftlichen Feldern, wie der GesundheitsoderSozialpolitik, der Fall ist. Auch Feyerabend hat inseinem Text „How to defend society against science?“auf die Problematik hingewiesen, indem er betont,dass die Wissenschaft nicht die alleinige Definitionsmachtbesitzen sollte. Auch wissenschaftliches Wissenist immer nur unter Einschränkungen richtig und wahr,es gibt keinerlei endgültiges Wissen, endgültige Wahrheiten.Daher ist es wichtig und sinnvoll, wissenschaftlichesWissen durch andere Wissensarten zu ergänzen,Wissenschafterinnen in die gesellschaftliche Verantwortungzu nehmen und ihnen zu sagen „Ihr habtgesellschaftliche Probleme zu lösen“. Das wäre einkonstruktiver Einsatz der wissenschaftlichen Energien.4.2.4. Organisierung von Transdisziplinarität4.2.4.1. Anforderungen an die BeteiligtenDadurch, dass transdisziplinäre Arbeit immer auchdisziplinäre und interdisziplinäre Elemente beinhaltet,erfordert sie vielfältige Methodenkompetenz(disziplinär, interdisziplinär, transdisziplinär). Voraussetzungfür transdisziplinäres Arbeiten ist einerseits,dass die beteiligten Akteurinnen in ihrem Bereich gutsind. Es braucht eine disziplinäre Verankerung umgute transdisziplinäre Forschung zu machen. TransdisziplinäresArbeiten kann die Notwendigkeit, in dereigenen Disziplin gut verankert zu sein und im eigenenForschungsfeld kompetent zu sein, nicht aufheben.Ebenso ist es im Praxisbereich. Eine Praxispartnerin, diein ihrem Bereich nicht besonders erfolgreich ist – nichtgut eingebettet oder informiert ist –, wird auch in dietransdisziplinäre Forschung wenig einbringen können,weil ihr der Einblick fehlt und sie eben keine Alltags-Expertin ist.Die Herausforderung für transdisziplinäre Projekte bestehtdarin, den Spagat zwischen den unterschiedlichenHerangehensweisen von Wissenschaft und Alltagshandelnzu schaffen. Es gilt, sowohl den transdisziplinärenAnforderungen genüge zu tun als auch solide disziplinäre– und interdisziplinäre – Forschung zu leisten, inunserem Fall Feldforschung über städtische Entwicklungsprobleme.Zu den Fragen, welche es zu klären gilt,gehören z.B.: Welchen Platz haben die Methoden derinterpretativen Sozialforschung im transdisziplinärenProzess? Wie weit kann und soll man den Forschungsprozessstrukturieren und wie ergebnisoffen soll ersein? Die Arbeit in einem transdisziplinären Projekt, mitseinen vielseitigen, heterogenen Akteurinnen, ist genausoanspruchsvoll wie sie lohnend sein kann. Schondie Zusammenarbeit von Wissenschafterinnen verschiedenerDisziplinen ist schwierig, da es fachspezifischeKulturen – unterschiedliche Denkweisen, Konzepte undBegrifflichkeiten – gibt. Schon in solchen Fällen kanndie Verständigung schwierig sein, geht es aber um dieVerständigung zwischen Wissenschaft und Praxis wirdes noch einmal herausfordernder (Büttner/Schophaus2004: 23; Schmithals/Berkenhagen 2004: 80). Insbesondereda die Wissenschaft in den letzten Jahrzehntenoft selbstgenügsam wissenschaftsinterne Diskursegeführt hat und sich wenig um den Austausch mit derbreiten Öffentlichkeit bemüht hat. Die Wissenschaftssprachenhaben sich so entwickelt, dass sie für Nicht-Wissenschafterinnen kaum mehr verständlich sind (sie34 // Methodologie transdisziplinärer Entwicklungsforschung // <strong>Aktion</strong> & <strong>Reflexion</strong>


sind selbst für Wissenschafterinnen aus angrenzendenBereichen oft nur schwer verständlich) – den Wissenschafterinnenfehlt es aber auch an Übung im Übersetzenin eine allgemein verständliche Sprache.<strong>Reflexion</strong>s- und Aushandlungsprozesse spielen imtransdisziplinären Arbeiten eine wesentliche Rolle. Mankann nicht sofort in medias res gehen und anfangen,inhaltlich thematisch zu arbeiten, weil zuerst gewissegruppeninterne Entwicklungsschritte stattfinden müssen,um als Gruppe überhaupt konstruktiv arbeitsfähigzu sein. Die Konfliktfähigkeit ist daher eine zentraleEigenschaft der Akteurinnen im transdisziplinären Arbeitsprozess.Wenn unterschiedliche Menschen zusammentreffen,tauchen unterschiedliche Denkweisen undWidersprüche auf. Umso mehr, wenn ein Prozess – wiedie transdisziplinäre Arbeitsweise – von vornhereindarauf ausgelegt ist zu provozieren, weil er davon lebt,Unterschiede und Widersprüche produktiv nutzbar zumachen. Es hebt die transdisziplinäre Arbeit von derrein disziplinären oder auch interdisziplinären Arbeitab, dass verschiedene Kulturen aufeinandertreffen,was zu Konflikten führt, die es auszuhalten gilt. Für dieBeteiligten ist es wichtig, selbstreflektiert zu sein undsich mit sich selbst und seinen Hintergründen auseinanderzusetzen;sich gleichzeitig mit den Hintergründender anderen auseinanderzusetzen und zu versuchen,einen gemeinsamen Nenner zu finden (Büttner/Schophaus2004: 23ff; Büttner et al. 2004a: 178).4.2.4.2. ProzessgestaltungEine der größten Herausforderungen beim transdisziplinärenArbeiten ist es also einen gemeinsamen modusoperandi zu finden. Das ist ein wichtiger Unterschiedzu disziplinären Projekten, bei denen die scientificcommunity schon auf lange bewährtes Know-How zurückgreifenkann. Dort haben sich bereits gemeinsameSprachen etabliert, die die Zusammenarbeit vereinfachen,bzw. überhaupt erst möglich machen. DieserSchritt wurde im transdisziplinären Bereich noch nichtvollzogen. Es gibt Wissenschaftssprachen aus diversenDisziplinen, es gibt Sprachkulturen im Praxisbereich,aber keine gemeinsame transdisziplinäre Sprache.Daher sind zu Beginn jedes Projektes erst einmal Zeitund Ressourcen für den Aufbau einer gemeinsamenVerständigungsbasis und das Aushandeln einer allgemeinakzeptierten Kommunikations- und Projektkulturaufzuwenden. Es gilt, gemeinsame Arbeitsweisenzu entwickeln, gemeinsame Grundannahmen zufinden, von denen man ausgehen kann. Transdisziplinärzu arbeiten bedeutet, gemeinsam Ergebnisse zuerarbeiten. Mitsprache für alle, auf gleicher Ebene.Im Idealfall von vornherein. Das vorher angesprochenePrimat der Wissenschafterinnen über die Praxispartnerinnenist zwar in aller Regel der forschungspraktischeStatus-quo, widerspricht aber dem Idealtypus transdisziplinärerForschung (Schophaus et al. 2004: 9). Eintransdisziplinäres Projekt hieße eigentlich im IdealfallBeteiligung der Alltags-Expertinnen von Beginn an, dasheißt, von der Projektidee, vom Überlegen „wo gibt esBedarf?“, „was sind relevante Fragestellungen?“, überdie Projektkonzeption, über die Einreichung etc. Ebensoist es notwendig, Rechte und Pflichten aller Beteiligtenklar festzulegen, Zielkonflikte zu klären, gemeinsameZiele auszuhandeln, sowie einen Modus zur projektinternenEntscheidungsfindung festzulegen (Schmithals/Berkenhagen 2004). Diese klärende Phase zu Beginn desProjektes ist zwar unabdinglich für eine gute transdisziplinäreZusammenarbeit aber nicht hinreichend: Es istebenso wichtig, im Prozessverlauf regelmäßig <strong>Reflexion</strong>sphasenund Feedbackschleifen zur Kurskontrolleund gegebenenfalls –korrektur einzuplanen (Büttner/Schophaus 2004: 17; Karl-Trummer et al. 2007: 5).Die prozessualen Herausforderungen im transdiszplinärenArbeiten sind wohl auch der Punkt, der in derPraxis das größte Problem macht, da sie in der Projektplanungin der Regel nicht ausreichend berücksichtigtwerden. Es ist kaum bzw. nur eingeschränkt möglich,für derartige Prozesse Finanzierung zu bekommen,da transdisziplinäre Arbeiten zwar inzwischen schonstark nachgefragt werden, dass dies auch bedeutet,ausreichend Budget und Zeit vorzusehen, um dieGruppe arbeitsfähig zu machen und zu einer gemeinsamenSprache zu kommen wird noch nicht ausreichendberücksichtigt. Es kommt in der Regel zu einem Auseinanderklaffendes mit der Prozessorganisation und–moderation verbundenen Aufwands und der dafürvorgesehenen Ressourcen (Häberli et al. 2001: 13). Dader Aufwand für Kommunikations- und Prozessgestaltungin transdisziplinären Projekten ungleich höher ist,ist es unabdingbar, die Forschungsfrage entsprechendeng zu fassen, um eine ausreichend in die Tiefe gehendeAnalyse gewährleisten zu können. Wird dies nichtbeachtet, besteht die Gefahr, nie über den Austauschvon Allgemeinplätzen hinauszukommen.35 // Methodologie transdisziplinärer Entwicklungsforschung // <strong>Aktion</strong> & <strong>Reflexion</strong>


4.2.4.3. RahmenbedingungenDa transdisziplinäre Prozesse heikel sind, ist es wichtig,die Rahmenbedingungen ausreichend zu berücksichtigen.Die Antwort auf die Frage „Wer finanziertdas Ganze? Ist es eine wissenschaftsfördernde Stelleoder ist es eine Stelle aus der Praxis?“ macht einengewichtigen Unterschied. Dann gibt es aber auchnoch die Frage „Wer wird finanziert im Rahmen diesesProjektes? Wer erhält Mittel und wer muss Mitteleinsetzen?“ (Büttner/Schophaus 2004: 36). Zurzeit ist eshäufig so, dass in transdisziplinärer Projektarbeit, diein der Regel über Forschungsförderungsinstitutionengefördert wird, die Wissenschaftspartnerinnen Mittelerhalten und die Praxispartnerinnen unbezahlt mitarbeiten.Von einem gleichberechtigten Projekt, einergleichberechtigten Zusammenarbeit sollten jedochalle Partnerinnen gleichberechtigt profitieren. Das isteine Grundvoraussetzung dafür, dass transdisziplinäreZusammenarbeit funktioniert. Nur wenn es gemeinsameZiele gibt und alle Beteiligten in ausreichendemMaße von dem Projekt profitieren sind alle in gleicherWeise bereit, sich einzubringen. Nur wenn die PraxispartnerinnenSinn und Gewinn in ihrer Mitarbeit sehen,werden sie das auch tun (Häberli et al. 2001: 12ff). Engmit der Frage der relativen Ressourcenausstattung derBeteiligten verbunden, ist die Frage, wie viel Arbeitszeitjeweils finanziert wird. Wer hat wie viel Zeit, um sichder Projektarbeit zu widmen? All das sind entscheidendeRahmenbedingungen, die keineswegs außer Achtgelassen werden sollten.Hinzu kommen auf einer anderen Ebene die räumlichenRahmenbedingungen (Dienel 2004). Wo trifftman sich? Wo finden die Besprechungen statt? In denRäumlichkeiten einer der beteiligten Partnerinnen?Auf „neutralem“ Gebiet? Auch die Entscheidungenbezüglich der räumlichen Rahmenbedingungen solltenbewusst vor dem Hintergrund der projektinternenMachtstruktur gefällt werden. Es ist wichtig, sich mitfolgenden Fragen auseinanderzusetzen: Welche Symbolwirkungenhaben verschiedene mögliche räumlicheArrangements? Was heißt das für einen gleichberechtigtenForschungs- und Arbeitsprozess? Sensibilität undwertschätzende Kommunikation sind wichtig, wennman das Ziel verfolgt, zu einer gleichberechtigten,demokratischen Zusammenarbeit zu finden. Im Projekt„Hauptschule trifft Hochschule“ fanden die Treffen auspraktischen Gründen vorwiegend in der KooperativenHauptschule statt. Es kann aber auch sinnvoll sein, diegute Ausstattung von Universitäten für Projekttreffenzu nutzen. Richtige Entscheidungen sind hierbeiimmer vom jeweiligen Kontext abhängig. Ein weitererräumlicher Aspekt ist die Frage nach der räumlichenIdentität der Gruppe. Eine solche kann gruppeninterneIdentifikationsprozesse fördern. IdentitätsstiftendeMaßnahmen wären z.B. regelmäßige Treffen an einembestimmten Ort, der dann mit der Gruppe in Verbindunggebracht wird, und sei es das Hinterzimmer ineinem bestimmten Lokal. Dies kann umso wichtigersein, weil dadurch, dass in transdisziplinären ProzessenMenschen mit unterschiedlichen Hintergründenzusammentreffen, nicht automatisch eine gemeinsameGruppenidentität entsteht.Machtfragen spielen in transdisziplinären Projekteneine gewichtige Rolle: Wie groß sind die Machtunterschiedezwischen den beteiligten Akteurinnen? Werkann sich durchsetzen? Wer nicht? Wer wird gehört,wer nicht? Diese Fragen tauchen selbstverständlichauch in disziplinären Projekten auf, dort ist aber die Heterogenitätder Partnerinnen nicht so groß (Schmithals/Berkenhagen 2004).36 // Methodologie transdisziplinärer Entwicklungsforschung // <strong>Aktion</strong> & <strong>Reflexion</strong>


4.2.5. EvaluationskriterienTransdisziplinäre Arbeit funktioniert anders als disziplinäresoder interdisziplinäres Forschen und dahersind auch die Qualitätskriterien verschieden. Vor allemgeht es darum, der Bedeutung der prozessualenDimension in solchen Projekten gerecht zu werden.Im transdisziplinären Arbeiten spielen Prozesse(Gruppenprozesse, Verständigungsprozesse, …) eineebenso wichtige Rolle wie inhaltliche Fragestellungen.Es braucht daher nicht nur eine inhaltliche Evaluierung,sondern auch eine Prozessevaluierung. Wie gut hatder transdisziplinäre Prozess funktioniert? Wie guthaben die einzelnen Partnerinnen zusammengespielt?Konnte sich jeder verständlich machen? Konnte jedergehört werden? Wurden alle Standpunkte ausreichendberücksichtigt oder gab es zu große Machtgefälle, sodass dann erst wieder sich zum Beispiel die Wissenschaftdurchgesetzt hat und die Praxispartnerinnen nurals Datenlieferantinnen berücksichtigt wurden? Zusätzlichhaben transdisziplinäre Projekte dadurch, dass sieeine andere Funktionslogik verfolgen auch andere Ergebnisseals rein disziplinäre Projekte. Es ist ja schließlichauch das Ziel transdisziplinärer Forschung, aus demrein disziplinären Gefüge hinauszugehen und andere,näher an der Praxis liegende Ergebnisse zu erhalten.Dadurch sind rein wissenschaftsinterne Evaluationskriteriennicht ausreichend (Büttner et al. 2004b).Gesamtgesellschaftlich lässt sich der Erfolg transdisziplinärenArbeitens an zwei Fragen festmachen:Erstens daran, ob es gelingt, einen Schritt in Richtungdessen zu tun, was man als öffentliche Intellektuelle(public intellectuals) bezeichnet – Intellektuelle, diesich mit relevanten Fragestellungen auseinandersetzen,diese öffentlich thematisieren und hiermit Multiplikatorenrollenwahrnehmen. In diesem Sinne könnenauch Studierende Intellektuelle sein, die sich nicht inihren Elfenbeinturm zurückziehen, um dort untereinanderzu diskutieren, sondern die in Interaktion mitder Öffentlichkeit treten, um wichtige Themen anzuredenund zu diskutieren. Diese wichtige Rolle könntentransdisziplinäre Forscherinnen durchaus ausfüllen,wenn die Zusammenarbeit konstruktiv und gewinnbringendfunktioniert (Büttner/Schophaus 2004: 39). Sohaben gerade Studierende öffentlicher Universitäten,die staatlich finanziert werden, eine Verpflichtung,zur Sozialisierung von Wissen beizutragen und dasErlernte der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen. Dieskann durch kurze Artikel, wie sie zum Beispiel auf derWebsite des <strong>Paulo</strong> <strong>Freire</strong> <strong>Zentrum</strong>s publiziert werden,über Zeitungen der Hochschülerschaft, aber auch überandere Kanäle erfolgen.Zweitens misst sich der Erfolg daran, ob „neugierigeforschende Menschen“ Raum bekommen, ihr eigenesLeben, ihre Lebensumwelt und ihren Stadtteil besserzu verstehen und in der Folge vielleicht auch gestaltenzu können. Dieses Ziel stimmt mit dem der Befreiungspädagogikin der Tradition <strong>Paulo</strong> <strong>Freire</strong>s überein, denn<strong>Freire</strong> ging es um Menschen, die mit offenen Augendurchs Leben gehen, Neues entdecken, das eigeneLebensumfeld erforschen – und verändern. Dabei sindgleichermaßen Intuition, Engagement und Fachwissenzu schärfen, wie auch die Fähigkeit zu erlernen, mitWidersprüchen, Veränderungen und Unsicherheitenumzugehen (Novy 2007b).37 // Methodologie transdisziplinärer Entwicklungsforschung // <strong>Aktion</strong> & <strong>Reflexion</strong>


4.3. Transdisziplinäres ForschenkonkretIn diesem abschließenden Abschnitt werden konkreteAnregungen für das Erforschen städtischer Entwicklungenim Rahmen transdisziplinärer Projekte erstellt. Eshandelt sich hierbei um Lern- und Forschungsprojekte,die vom „<strong>Paulo</strong> <strong>Freire</strong> <strong>Zentrum</strong> für TransdisziplinäreEntwicklungsforschung und dialogische Bildung“ unterstütztwerden. Diese organisatorische Unterstützungverhindert Überlastung und erleichtert es den beteiligtenAkteurinnen, ihre jeweiligen Ziele zu erreichen.4.3.1. Wisse, was du tust –kenne deine Grenzen!Das didaktische Oberziel des Forschungsseminars„Entwicklungsforschung“ ist es, einen Beitrag zur Aufklärungim Sinne des Ausstiegs aus der selbstverschuldetenUnmündigkeit zu leisten, wie dies ImmanuelKant vor über 200 Jahren formulierte. Dieser bildungsbürgerlicheAnspruch beinhaltet das Bemühen, überden eigenen Tellerrand der liebgewonnenen Selbstverständlichkeiteneines Mittelschichtslebens in einerreichen Stadt hinauszublicken und Phänomene kennenzulernen,die die eigene Weltsicht und Gewohnheitenbereichern oder auch in Frage stellen. Obwohl dasSeminar stark in Teamarbeit organisiert ist, steht der individuelleLernprozess, bei dem es um den Erwerb einerselbstkritischen Grundhaltung geht, im Vordergrund.Die Universität als öffentliche Bildungseinrichtung hat,neben ihrem Auftrag Fachkenntnisse zu vermitteln undspezialisierte Expertinnen auszubilden, auch die Aufgabe,zu dieser ganzheitlichen Bildung beizutragenund die öffentliche Diskussion zu bereichern. Es gehtdarum, eine Lernkultur zu fördern, die für Neues offenist. Das gilt gleichermaßen für die Universität, derenMitglieder sich wesentlich aus dem Milieu der MittelundOberschicht zusammensetzen. Zu erfahren, dassdas eigene Umfeld nicht die ganze Welt ist, erlaubteinen realistischen Blick auf sozioökonomische Veränderungen.Migrantische Milieus sind zumeist Teil derurbanen Unterschicht, mit den bekannten Schwierigkeiten,Zugang zu guter Bildung und guten Arbeitsplätzenzu finden. Indem diese beiden Milieus zusammenarbeiten,lernen beide Seiten etwas über die Stadt, die sie– auf unterschiedliche Weise – bewohnen.Aus universitär-studentischer Sicht ist der Kern desForschungsseminars das Üben von Methoden interpretativerSozialforschung im Rahmen einer Lehrveranstaltungan der Wirtschaftsuniversität Wien. Dies gilt es imAuge zu behalten, wenn zu anspruchsvolle Anforderungenan die Studierenden oder andere Beteiligte gestelltwerden. Das Forschungsseminar darf nicht mit Zielenüberfrachtet werden, die nur mit weit überdurchschnittlichemAufwand zu erbringen sind. Es gehörtzu den Lernaufgaben der Studierenden, hier Grenzenzu ziehen und diese auch gegenüber den Lehrveranstaltungsleiterinnenund den Praxispartnerinnen zukommunizieren. Allfällige notwendige Verhandlungensind Teil des Forschungsprozesses. Praktische Problemeder Praxispartnerinnen zu lösen, ist keine Aufgabe, dieim Rahmen des Projekts erbracht werden kann. Führtdas Forschungsprojekt zu einem Engagement über dasnormale Ziel einer Lehrveranstaltung hinaus, so ist dieszu begrüßen, aber nicht erforderlich. Die Studierendensollen vielmehr lernen, Zeit und Ressourcen so zuplanen, dass der Forschungszyklus in einem Semesterabgeschlossen werden kann. Es ist daher sinnvoll, amEnde der Lehrveranstaltung kurz ein persönliches Resümeeüber den eigenen Lernprozess zu ziehen.4.3.2. KooperationsvereinbarungEs ist vorteilhaft, wenn die Feldforschungen in Zusammenarbeitmit Institutionen erfolgen, die den Feldzutritterleichtern und gemeinsame Lernprozessemittragen. Im Rahmen des Projekts „Hauptschuletrifft Hochschule“ besteht die Kooperation zwischeneiner Universität und einer Kooperativen Mittelschule.Im Wintersemester 2008 fand eine Kooperation zwischender Wirtschaftsuniversität Wien und der WienerIntegrationskonferenz (WIK) statt. Die Lehrveranstaltungsleiterinnenund die für die Institution – sei es eineSchule oder Vereine – verantwortlichen Personen vereinbarenein Kooperationsprojekt, von dem sich beideTeile Ergebnisse erwarten können. Diese sollen klar undbescheiden definiert sein. Es ist wichtig, dass es aufbeiden Seiten verantwortliche Ansprechpersonen gibt.38 // Methodologie transdisziplinärer Entwicklungsforschung // <strong>Aktion</strong> & <strong>Reflexion</strong>


Die Studierenden und Schülerinnen beteiligen sichin der Regel nicht freiwillig, sondern im Rahmen vonSchulstunden oder Lehrveranstaltungen. Es gilt zuberücksichtigen, dass die jeweilige Arbeitsleistung denRahmen des für normale und vergleichbare Lehrveranstaltungenoder Lerneinheiten Vorgesehenen nichtübersteigt. Die mit der Universität kooperierende Institutionwiederum ist daran interessiert, dass Ergebnisseproduziert werden, die für die Institution und die mitihr verbundenen Menschen hilfreich sind. TransdiziplinäresForschen ermöglicht ein besseres Verstehen. Diesgelingt, indem Menschen, die normalerweise nicht amWissenschaftsbetrieb teilhaben, zu Mit-Forschendenwerden, die als Alltags-Expertinnen wertgeschätztwerden. Die Begegnung unterschiedlicher gesellschaftlicherGruppen soll als Bereicherung erlebt werden, diebei den Beteiligten und ihren Institutionen Lernprozesseermöglicht, die über die Lehrveranstaltung hinausNeugier weckt und Offenheit für Experimente zulässt.4.3.3. Gemeinsame ThemensucheDie gemeinsame Themensuche ist der erste undvielleicht wichtigste Aushandlungsprozess. In einerfrühen Forschungsphase treffen sich die Studierendenund die Gruppe von Praktikerinnen, die mit diesenzusammenarbeiten werden. Im Falle von „Hauptschuletrifft Hochschule“ sind dies Treffen von Studierendenund Schülerinnen. Ausgehend von einem allgemeinenThema obliegt es nun dieser Forschungsgruppe, eininteressantes Phänomen zu benennen, das gemeinsamerforscht wird. Die kollektive Themensuche ist wichtig,weil hierbei eine erste Abstimmung unterschiedlicherVorstellungen erfolgt. Die Praktikerinnen wollen einThema, das sie interessiert; vor allem dann, wenn sieihren Beitrag in ihrer Freizeit leisten. Studierende sindzwar auch an spannenden Fragen interessiert, siebenötigen aber ein Phänomen, das sie wissenschaftlichbearbeiten können. Wie in jedem Forschungsschritt istes sinnvoll, ausreichend Zeit zu verwenden, sich aberauch nicht zu lange aufzuhalten.4.3.4. Gemeinsame Organisierungder ForschungEs ist eine klare Arbeitsteilung vorzunehmen, umdie Teamarbeit bestmöglich zu nutzen. Es gilt,die richtige Mischung aus zentraler Absprache unddezentraler Ausführung von Arbeiten zu finden. Zu vielund mühsame Koordinierungsarbeit kann zu Lasten derFeldforschung gehen. Umgekehrt kann fehlende KoordinierungLeerläufe zur Folge haben und zu unabgestimmtemForschen führen. Spätestens beim Verfassender Seminararbeit wird diese Unstimmigkeit offensichtlich.Die Studierenden benennen eine Verantwortlichefür die Forschungsgruppe, um sich gegenseitigzu informieren und die Lehrveranstaltungsleiterinneninformiert zu halten. Sie ist auch für die Abstimmungder Feldforschung mit den Erfordernissen der erforschtenInstitution wichtig.Die Überwindung von sozialen Hierarchien ist einlanger und mühsamer Prozess, der in kleinen Schrittenerfolgt. Bei unseren Forschungsprojekten liegt zumBeispiel die Hauptverantwortung bei den Studierenden,wobei diese von Lehrveranstaltungsleiterinnen, Tutorinnen,Lehrerinnen und anderen kompetenten Personenbestmöglich unterstützt werden. Diese müssen durchrespektvolles und engagiertes Arbeiten eine Formfinden, die Mit-Forschenden zu motivieren. Es gilt herauszufinden,was und wie Forschen auch für Menscheninteressant ist, die damit nicht vertraut sind.4.3.5. Gemeinsame ErgebnispräsentationWie schon im Rahmen der interpretativen Sozialforschungbeschrieben, werden die vorläufigen Ergebnisseder Feldforschung gemeinsam diskutiert.Hierbei geht auch das transdisziplinäre Forschen nichtüber das hinaus, was im Rahmen guter interpretativerSozialforschung üblich ist. Ziel ist einerseits das gemeinsameLernen, andererseits das Veröffentlichen desGelernten, um andere an den gewonnenen Erkenntnissendieser explorativen Forschung teilhaben zu lassen.39 // Methodologie transdisziplinärer Entwicklungsforschung // <strong>Aktion</strong> & <strong>Reflexion</strong>


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