Gentle Rebels
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AUSTRIAN COOKS<br />
82<br />
32-jährige Talent ist Angestellter der Winzerfamilie Neumeister. Seinen<br />
Platz sieht der nach außen hin Verschlossene an den Töpfen, dort brodelt<br />
seine Leidenschaft. Aber die Betreuung des Gastes liegt in anderen Händen,<br />
nämlich bei dem Junior der Familie Neumeister, dem rührigen Matthias,<br />
und bei dessen Mutter Anna, die den Gästeraum mit leichter Hand in<br />
wunderbare Atmosphäre taucht. „Ich finde es nicht wirklich wichtig, dass<br />
der Küchenchef durchs Lokal geht“, erklärt Gerhard Fuchs fast trotzig,<br />
sammelt aber sogleich wieder Sympathien: „Man muss schauen, dass man<br />
am Boden bleibt mit diesen ganzen Geschichten.“<br />
Persönliche Nähe, das wissen vor allem jene, die am Boden geblieben<br />
sind, war seit jeher ein Gewinn bringendes Konzept. Kein vernünftiger<br />
Gastronom platziert an exponierter Stelle eine Person, für die er sich genieren<br />
muss, sondern einen Stimmungsbringer, der den Geist des Hauses<br />
auf die weiteren Tische transportiert.<br />
Diese Idealvorstellung trägt in Österreich einen Namen: Pogusch, eine<br />
Anhöhe in der Steiermark, berühmt durch das Wirtshaus Steirereck der<br />
Familie Reitbauer. Das herzliche „Griaß Di“, das in weißer Kreide auf<br />
einer schwarzen Tafel entgegenlacht, hält, was es verspricht: Die warme<br />
Begrüßung durch die Reitbauers, die gleich im Eingang zwischen aufgebahrten<br />
Topweinen und ansehnlich drapierten Käse-Sorten erfolgt, signalisiert<br />
dem Besucher, dass er sich hier in der freundschaftlich gesinnten<br />
(und nicht in der Dünkel behafteten) Spitzengastronomie aufhält. Im<br />
„Wirtshaus Steirereck“ wird dem „Du“, das sich nicht in der direkten<br />
Anrede, aber in allem Schriftlichen niederschlägt, ein neuer Glanz beschert.<br />
Jung neben alt, wild neben spießig, ländlich neben städtisch delektiert<br />
sich zu irdischen Preisen an einer Küche, die man mit Fug und Recht auf<br />
höchstem Sterne-Niveau bewertet.<br />
„Wir wollten keine Trennung in Restaurant und Wirtshaus, bei uns<br />
soll es allen gleich gut gehen. Donnerstag und Freitag liegt der Anteil der<br />
Gäste, die aus der Region stammen, bei 60 Prozent“, freut sich Heinz<br />
The real dream of an ambitious<br />
chef is to invent a new dish. It’s<br />
like the search for the sunken<br />
island of Atlantis, the Fountain<br />
of Youth or the Holy Grail. / Der<br />
große Traum ehrgeiziger Köche<br />
ist es, ein ganz neues Gericht<br />
zu erfinden. Das ist wie die<br />
Suche nach dem Bernsteinzimmer,<br />
Atlantis oder König<br />
Salomons Diamanten.<br />
Reitbauer jun., der für die herausragende Kochleistung<br />
verantwortlich ist, „Samstag und Sonntag<br />
stammen 80 bis 90 Prozent unserer Besucher<br />
aus Wien.“ Dass die rund 1500 Gäste, die in diesen<br />
vier Tagen das Lokal besuchen, rundum<br />
glücklich wieder nach Hause fahren, geht nicht<br />
nur auf das Konto der Küche. „Wir führen auch<br />
permanent Aufzeichnungen darüber, was gefällt,<br />
was beanstandet wird, wie lange sich eine Runde<br />
durchschnittlich im Wirtshaus aufhält, so dass<br />
es zu keinen Überbuchungen oder längeren<br />
Wartezeiten für den Gast kommen kann.“<br />
Ohne diese Perfektion im Hintergrund<br />
möchte auch Heinz Hanner mit seinem Hanner<br />
nicht mehr auskommen. Auf Basis seiner Notizen<br />
wurde ein eigenes Computerprogramm<br />
erstellt, in welchem die Zubereitungszeiten für<br />
einzelne Gerichte vorgegeben oder Vorlieben<br />
einzelner Kunden festgehalten sind. „So stellten<br />
wir zum Beispiel fest, dass Raucher schneller<br />
als Nichtraucher essen – vielleicht, weil sie sich<br />
schon so auf die Zigarette danach freuen“,<br />
schmunzelt Hanner. Nicht nur den Gast, auch<br />
den Mitarbeiter versteht Hanner durch Aufmerksamkeiten<br />
an das Haus zu binden. „Wenn<br />
wir essen, sitzen wir gemeinsam um einen<br />
großen Tisch wie eine Familie“ – und wer gerade<br />
keine Lust auf ein Gespräch hat, lenkt sein Auge<br />
auf eine riesige Bildschirmwand, auf der den<br />
ganzen Tag MTV läuft. Denn was dem Mitar-<br />
beiter gut tut, kommt auf Dauer auch Heinz<br />
Hanner zugute: „Gewohnheit ist der stärkste<br />
Klebestoff, deshalb schaue ich, dass meine<br />
Leute in ihren freien Minuten möglichst viel<br />
Abwechslung genießen. Im Gegenzug dafür<br />
verlange ich von jedem einmal im Monat einen<br />
Verbesserungsvorschlag. Klammert sich einer<br />
aus, fällt er bei der nächsten Prämienrunde um.“<br />
Martina Eitzinger hat in dem räumlich<br />
kleiner angelegten Tanglberg im oberösterreichischen<br />
Vorchdorf nicht dieselben Mittel zu<br />
Verfügung, aber den gleichen Ehrgeiz, die gleichen<br />
Ziele wie Reitbauer jun. oder Hanner. Ihre<br />
Beobachtungen wertet sie in einem dicken Buch<br />
aus, ihre Lieferanten sucht sie im zuverlässigen<br />
Umfeld ihrer Heimat, in und um Ried. „Ich<br />
war naiv, als ich hier begonnen habe“, blickt<br />
sie lächelnd zurück, „aber ich bereue es nicht,<br />
denn es war meine große Chance.“ Auch sie<br />
weiß: Systeme müssten viel detaillierter, viel<br />
härter durchdacht werden als noch vor wenigen<br />
Jahren, denn einerseits möchte der Kunde<br />
als König, andererseits aber auch wieder als<br />
Vertrauter behandelt werden. Umso besser<br />
erkennt sie die Gefahr, der die heimischen<br />
Jamies aufzusitzen drohen – nämlich für die<br />
Gäste so viel zu tun, dass für einen selbst nur<br />
recht wenig übrig bleibt. Sie spricht aus, was<br />
ihre Kollegen nur vorsichtig andeuten: „Man<br />
muss aufpassen, dass man nicht die Familie und<br />
die Freunde vernachlässigt. Sonst wacht man<br />
eines Tages auf und ist trotz eines vollen Lokals<br />
ziemlich allein.“<br />
„Der größte Traum ehrgeiziger Köche ist,<br />
ein neues Gericht zu erfinden. Es ist aber so<br />
gut wie alles erfunden. Der Spanier Ferran<br />
Adrià hat sogar schon so Absonderlichkeiten<br />
wie Spaghetti aus geliertem Rinderfond in seine<br />
kulinarische Werkschau gestellt“, umfasst<br />
Christian Grünwald diesen ewigen Fluch des<br />
Getriebenseins, „trotzdem geht die Suche nach<br />
dem Neuen weiter: So wie die Suche nach dem<br />
Bernsteinzimmer, Atlantis oder König Salomons<br />
Diamanten.“ Und die Kunst dabei ist,<br />
einerseits so entspannt, andererseits so wissend<br />
auszusehen wie ein Frühstückskoch, der zwei<br />
Eier aufschlägt, um eine Eierspeis’ anzurühren.<br />
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