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Gentle Rebels

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<strong>Gentle</strong><br />

<strong>Rebels</strong><br />

Austria is burning with “Jamie Oliver fever”.<br />

And not just in home kitchens, but in the<br />

country’s top-flight restaurants as well. Five<br />

first-rate young chefs describe how they’ve<br />

broken with tradition in order to optimise it. /<br />

Das „Jamie-Oliver-Fieber“ hat Österreich<br />

erfasst. Nicht nur in den Haushalten,<br />

vor allem in der Top-Gastronomie<br />

wird dynamischer, aufmerksamer<br />

und lustvoller gekocht denn je.<br />

Fünf junge Spitzenköche erzählen,<br />

wie sie mit der Tradition brechen,<br />

um diese zu optimieren.<br />

Text II Michaela Ernst / Fotos II Nikolaus Similache<br />

AUSTRIAN COOKS


AUSTRIAN COOKS<br />

72<br />

Aurelio Nitsche, 28, was fortunate enough to have<br />

teachers who noticed his unconventional ideas and<br />

supported him. / Der 28-jährige Nitsche ist schon<br />

während seiner Ausbildung mit seinen unkonventionellen<br />

Ideen aufgefallen und wurde kräftig unterstützt.<br />

Photo: PR<br />

Most of us are familiar with the conventional<br />

clichés associated with people who have<br />

attended one of Rudolf Steiner’s Waldorf<br />

Schools: they’re bound to be happy, but they<br />

probably start falling apart at the first sign<br />

of stress. “There’s some truth to that,” laughs<br />

Aurelio Nitsche, who attended a Waldorf<br />

school himself. “It required a huge adjustment<br />

when I started going to cooking<br />

school. For the first time in my life I had to<br />

sit down and really learn; that was pretty<br />

difficult at first.” But he made it. Nothing<br />

was going to keep him from pursuing his<br />

childhood dream. By the time he was five,<br />

the now 28-year-old was absolutely certain:<br />

“I was going to be a chef.” He underscored<br />

that determination at every fancy-dress<br />

party, always showing up in a chef’s toque<br />

and white apron, which back then extended<br />

all the way to the floor. Still no one realised<br />

just how serious he was about it all.<br />

Nitsche kept his playful approach to<br />

cooking in later years as well, for example<br />

when he was attending the restaurant<br />

school on Vienna’s Judenplatz. He didn’t<br />

serve his curried chicken with rice as the<br />

rules required but with mango rice instead.<br />

“I was never one to stick to the rules,”<br />

he says. He took the same easy-going<br />

approach to making the transition between<br />

graduation and the job he has today –<br />

apart from one failed attempt at being a<br />

hotelier: “Mostly it was my friends who told<br />

me that someone somewhere was looking<br />

for a chef.” Not only has he maintained<br />

his affinity for fruit over the years, it has<br />

actually become even stronger. Because if<br />

there’s one thing that has stuck with<br />

Aurelio Nitsche from his Waldorf years, it’s<br />

this: he knows he’s at his best when he’s<br />

being authentic.<br />

AURELIO NITSCHE<br />

THE FREE SPIRIT / DER FREIGEIST<br />

Man kennt sie, diese Klischees, die sich durch<br />

den Kopf arbeiten können, sobald man von<br />

einer Person erfährt, dass sie in der Rudolf-<br />

Steiner-Schule war: Mag bestimmt ein glücklicher<br />

Mensch sein, dieser Mensch, heißt es<br />

dann, aber strauchelt doch bestimmt beim<br />

ersten Anflug von Stress. „Stimmt irgendwie“,<br />

lacht Aurelio Nitsche, der in einer Steiner-<br />

Schule war, „die Umstellung auf die Fachhochschule<br />

war gigantisch. Zum ersten Mal<br />

in meinem Leben musste ich mich richtig<br />

hinsetzen und lernen, anfangs war das recht<br />

schwierig.“ Aber er meisterte den Sprung.<br />

So einfach sollte ein Kindheitstraum nicht<br />

von einer Jugendlaune torpediert werden.<br />

Denn schon im Alter von fünf Jahren stand<br />

für den heute 28-Jährigen fest: „Ich werde<br />

einmal Koch.“ Wie zur Untermauerung<br />

dieses Wunsches erschien er bei jeder<br />

Faschingsparty in hoher Mütze und weißer<br />

Schürze, die damals noch bis zum Boden<br />

reichte. Keiner ahnte, wie ernst es ihm damit<br />

war. Die Symbiose von Spielen und Kochen<br />

behielt Nitsche auch in späteren Jahren bei,<br />

als er in der Gastgewerbeschule am Wiener<br />

Judenplatz nicht einfach nur Curryhuhn mit<br />

Reis, sondern – entgegen der Bestimmungen –<br />

Curryhuhn mit Mangoreis kochte: „Ich wollte<br />

nie die vorgegebenen Bahnen befahren.“ Auch<br />

den Hürdenlauf zwischen Schulabgang und<br />

seiner heutigen Wirkungsstätte erledigte er –<br />

abgesehen von einer zwischenzeitlichen<br />

Bruchlandung als Hotelier – eher locker:<br />

„Es waren meist Freunde, die mich darauf<br />

aufmerksam gemacht haben, dass irgendwo<br />

ein Koch gesucht wird.“ Seine Affinität zu<br />

Obst ist ihm in all den Jahren nicht nur<br />

geblieben, sondern hat sich sogar verstärkt.<br />

Denn auch das hat Aurelio Nitsche aus den<br />

Steiner-Jahren mitgenommen: Er weiß, dass<br />

er am besten ist, wenn er authentisch ist.<br />

BORDEAUX, 1090 Wien, Servitengasse 2, Tel.: 01/315 63 63, www.bordeauxbar.at<br />

73


AUSTRIAN COOKS<br />

74<br />

His journeyman years took him to some<br />

of the great chefs of Europe. Heinz<br />

Reitbauer Jun. first spent two years<br />

with the Obauer brothers in Werfen:<br />

“They were extremely critical, but thank<br />

God for that! It’s where I learned<br />

what it means to be a perfectionist.”<br />

He applied six times to work for the<br />

culinary king of the Rhône Valley, Alain<br />

Chapel. Each time he failed to get an<br />

answer. But when the indefatigable<br />

young man sent a seventh letter asking<br />

for a simple yes or no answer to his<br />

request for a position as a trainee, the<br />

answer was yes. Without pay. Without<br />

lodging. But his reward was getting<br />

nine months of experience, learning<br />

to see basic ingredients in a different<br />

light: “The naturalness and sincerity<br />

of Chapel’s cuisine left such a deep<br />

impression on me that I still profit from<br />

it today.” Then he went to London to<br />

learn more from Anton Mosimann,<br />

another pioneer among top international<br />

chefs. “The 12 months there<br />

were extremely encouraging, because<br />

for the first time I realised that things<br />

come easily to me.” In addition,<br />

Mosimann’s catering business taught<br />

Reitbauer to cook for large events.<br />

Then came Vienna and a job at his<br />

parent’s restaurant, which has played<br />

a pioneering role among the best in<br />

Austria and is considered to be one of<br />

the country’s top culinary establishments<br />

today. For his son, Heinz Sen.<br />

invented “Steirereck Light”: with a short<br />

menu and reduced prices Heinz Jun.<br />

served a rising generation of gourmets.<br />

“Our chef of many years, Helmut Österreicher,<br />

and I were not really happy<br />

together in the kitchen, primarily<br />

because of lack of space,” says Heinz<br />

Jun. with a smile and completely<br />

devoid of any malice. Finally his<br />

parents – both of whom come from<br />

Styria – bought an old farmhouse near<br />

Turnau. With devotion to detail and<br />

the help of local craftsmen, the family<br />

converted it into an inn with seating for<br />

200. And Heinz Jun. was finally able<br />

to unpack all the stuff he’d collected<br />

during his travels: the perfect skills of<br />

his trade, the keen eye for the quality of<br />

his ingredients and the cordiality with<br />

which he greets his many, many guests.<br />

HEINZ REITBAUER JUN.<br />

THE WORLD TRAVELLER / DER WELTBEWEGTE<br />

Seine Wanderjahre haben ihn zu den<br />

Großen Europas geführt: Heinz Reitbauer<br />

jun. lernte zwei Jahre bei den Obauer-<br />

Brüdern in Werfen – „die waren derart<br />

kritisch! Gottseidank. Dort habe ich<br />

erfahren, was Perfektionismus bedeutet.“<br />

Er sandte sechs Mal seine Bewerbung<br />

an den kulinarischen König des Rhône-<br />

Tals, Alain Chapel. Jedes Mal blieb diese<br />

unbeantwortet. Als der Unermüdliche in<br />

einem siebten (!) Brief lediglich um ein<br />

schlichtes Ja oder Nein betreffend eines<br />

Praktikums bat, erhielt er einen positiven<br />

Bescheid. Ohne Bezahlung. Ohne Dienstwohnung.<br />

Sein Lohn bestand darin, neun<br />

Monate lang eine neue Sichtweise auf das<br />

Grundprodukt geschenkt bekommen zu<br />

haben: „Diese Natürlichkeit und Herzlichkeit<br />

von Chapels Küche waren dermaßen<br />

prägend, dass ich heute noch von<br />

dem damals aufgesogenen Wissen profitiere.“<br />

Danach wechselte er zu Anton<br />

Mosimann nach London, einem weiteren<br />

Wegweiser in der internationalen Top-<br />

Liga der Köche. „Die zwölf Monate dort<br />

waren extrem aufbauend, weil ich zum<br />

ersten Mal merkte, dass ich mir leicht<br />

tue.“ Außerdem lernte Reitbauer in<br />

Mosimanns Catering-Betrieb für große<br />

Gesellschaften zu kochen. Schließlich<br />

kam Wien und damit die Arbeit im elterlichen<br />

Betrieb, der in Österreichs Spitzen-<br />

Gastronomie die Vorreiterrolle spielt und<br />

als eines der besten Lokale des Landes<br />

gilt. Heinz sen. erfand für den Heimgekehrten<br />

das „Steirereck Light“: Mit<br />

einer kleinen Karte und erschlankten<br />

Preisen sollte der Sohn Nachwuchs-<br />

Gourmets bedienen. „Vor allem aus<br />

räumlichen Gründen wurden der<br />

langjährige Küchenchef Helmut Österreicher<br />

und ich nicht richtig glücklich<br />

miteinander“, schmunzelt Heinz jun.<br />

freundlich und ohne jede Häme. Schließlich<br />

erwarben die Eltern – beide stammen<br />

aus der Steiermark – einen alten Bauernhof<br />

auf einer Alm bei Turnau. Voller<br />

Detailliebe und unter Einbeziehung des<br />

regionalen Handwerks baute die Familie<br />

daraus ein Wirtshaus mit 200 Sitzplätzen.<br />

Dort konnte Heinz Reitbauer jun. dann<br />

endlich auspacken, was in seinem Reise-<br />

Koffer gehortet lag: die handwerkliche<br />

Perfektion, das scharfe Auge fürs Produkt<br />

und den herzlichen Umgang mit vielen,<br />

wirklich sehr vielen Gästen.<br />

WIRTSHAUS STEIRERECK, 8625 Turnau, Pogusch 21, Tel.: 03863/20 00, www.steirereck.at<br />

Photo: Thomas Apolt<br />

Young and old, unbridled and bourgeois, urbane and rural:<br />

Heinz Reitbauer Jun. serves all of them his heavenly cuisine at<br />

down-to-earth prices. / Jung neben alt, wild neben spießig,<br />

ländlich neben städtisch – bei Heinz Reitbauer jun. delektieren<br />

sich alle an Speisen auf Sterne-Niveau zu irdischen Preisen.<br />

75


AUSTRIAN COOKS<br />

76<br />

One thing was foremost in her parents’ plans for their daughter: for her<br />

to learn to do something practical with a secure future. Like cooking, for<br />

example, because people, after all, will always have to eat. So she trained<br />

at the Kirchenwirt Inn in Austria’s Mühl district, where she comes from.<br />

Then she moved to a simple Salzburg restaurant because she felt change<br />

was important, and from there to Fuschl Castle because simplicity didn’t<br />

offer enough of a challenge. “I was determined to learn more about haute<br />

cuisine and realised for the first time how little I really knew.” Truffles?<br />

She’d never seen one. Making noodles from scratch? A hopeless<br />

proposition. But the celebrated Rudolf Grabner, who was chef in Fuschl at<br />

the time, recognised the potential of his young helper, and within a very<br />

short time she had worked her way up through the ranks to become his<br />

sous-chef. “He gave me opportunities to realise my ideas, and at the end<br />

of the day, that strengthened my self-assurance.”<br />

With that new confidence she soon learned to assert herself in a culinary<br />

world dominated by men. “As a woman you have to prove yourself at least<br />

twice as often as a man.” Soon she had become a “sovereign of the stove”<br />

in her own right. Firmly, but with less severity than one might think, she<br />

says: “A 21-year-old woman who knows exactly what I want helps me in<br />

the kitchen. We do it all together, because I like to keep a firm grip on<br />

things.” And that’s the kind of trait that has taught Martina Eitzinger’s<br />

parents that there’s more to being a chef than just calling yourself one.<br />

She’s proud of that, even though there’s a lot they still don’t understand.<br />

MARTINA EITZINGER<br />

THE FIGHTER / DIE KÄMPFERIN<br />

TANGLBERG, 4655 Vorchdorf, Pettenbacherstraße 3–5, Tel.: 07614/83 97, www.tanglberg.at<br />

Ihre Eltern wollten vor allem eines: Dass die Tochter später etwas Sicheres<br />

macht. Etwas Sicheres wie Kochen, denn Essen werden die Menschen immer<br />

müssen. Also lernte sie beim „Kirchenwirt“ in dem Mühlviertler Ort, aus<br />

dem sie stammt. Wechselte dann nach Salzburg in ein schlichtes Lokal,<br />

weil das Wechseln irgendwie zum Lernen gehört und zog dann bald, weil<br />

ihr die Schlichtheit zu wenig Reibungsfläche bot, weiter ins Schloss Fuschl<br />

am Fuschlsee. „Da war ich bereits von dem Wunsch beseelt, in die höhere<br />

Gastronomie vorzudringen und habe zum ersten Mal gemerkt, wie wenig<br />

ich eigentlich wusste.“ Trüffel? Noch nie gesehen. Drainiertes Gemüse?<br />

Trainiertes …? Frische Nudeln aus der Nudelmaschine? Hmmm – Ratlosigkeit.<br />

Doch der ehemalige Küchenchef Rudolf Grabner erkannte das Potenzial<br />

seiner jungen Küchengehilfin – innerhalb kürzester Zeit wurde sie Entremetier,<br />

dann Demi-Chef, dann Sous-Chef. „Er hat mir Möglichkeiten geboten,<br />

meine Ideen zu verwirklichen, letztendlich hat das mein Selbstbewusstsein<br />

gestärkt.“ Derart gestählt lernte sie, sich in der von Männern dominierten<br />

Welt der Pfannenschwinger zu behaupten – „als Frau musst du mindestens<br />

zwei Mal so oft dein Können unter Beweis stellen wie ein Mann“ und mutierte<br />

schließlich selbst zum „Herr am Herd“. Sehr bestimmt, aber weniger<br />

hantig, als es klingen mag, erzählt sie: „In der Küche hilft mir ein 21-jähriges<br />

Dirndl, die weiß genau, was ich will. Wir machen alles gemeinsam, denn ich<br />

hab’ überall meine Hand gerne drauf.“ Genau an diesen Kleinigkeiten haben<br />

Martina Eitzingers Eltern gelernt, dass Köchin nicht gleich Köchin ist.<br />

Das macht sie stolz. Auch wenn ihnen vieles wie ein Rätsel vorkommt.<br />

Photo: Luzia Ellert<br />

Martina Eitzinger is a perfectionist<br />

who realises that it’s important<br />

not to focus so much on perfection<br />

that you end up being<br />

alone, despite running a popular<br />

restaurant. / Martina Eitzinger<br />

ist Perfektionistin und weiß,<br />

dass man als solche aufpassen<br />

muss, nicht eines Tages trotz<br />

vollen Lokales allein dazustehen.<br />

ONCE UPON A TIME, little boys dreamed of growing up to become firefighters,<br />

airforce pilots or at least car mechanics. But now that Jamie Oliver and<br />

his Berlin counterpart, Ralf Zacherl, have become TV stars, other professions<br />

seem to have lost their charm. The new dream job is chef.<br />

The new sex appeal of the profession lies in its fresh image: the sweat has<br />

disappeared from brows, heightened complexions have given way to healthier<br />

coloration, and joie de vivre is the order of the day. Everything that the first<br />

celebrity chef in history, Paul Bocuse, “made possible and later regretted has<br />

been perfected and democratised by his pupils over the past 30 years,” noted<br />

the daily Frankfurter Allgemeine in a recent article.<br />

Today’s chefs differ from their predecessors in one important point: instead<br />

of being restricted to the role of culinary expert, they have become philosophers<br />

of the good things in life. They have just as much fun promoting wellbeing<br />

as they do plucking a free-range chicken, and the beneficiary is the<br />

grateful diner. “The interest in culinary enjoyment is no longer a question of<br />

money. To an entire generation – the 30- to 40-year-olds – it is now accepted<br />

as a matter of course,” says Christian Grünwald, editor-in-chief and co-publisher<br />

of the gourmet guide Austria A la Carte. He adds, “There’s no looking back.<br />

People have become more conscious of what they eat and drink: for health<br />

reasons, for the sheer pleasure of it, and because it is socially acceptable. Good<br />

food and drink have gone from being a fashion trend to a creature comfort<br />

that many people would not want to live without.”<br />

A survey by the Fessel-GfK research institute confirms this development:<br />

43 per cent of those surveyed said they cook almost daily, and 23 per cent put<br />

their culinary skills to the test several times a week. In 1994 the comparable figures<br />

were 41 and 13 per cent respectively. The percentage of males who cook has also<br />

risen sharply: from 46 to 61 per cent in only four years. Demographer Helene<br />

Karmasin sees a relationship between the new pleasure derived from cooking<br />

and a growing need for self-expression: “Cooking is increasingly seen as an art<br />

form in which the individual can distinguish himself from the broader masses.”<br />

And the same motivation that gets amateurs started often<br />

provides professionals with their only chance of standing out from<br />

the competition. “During my training, I was already making a name<br />

for myself with unconventional ideas,” remembers Aurelio Nitsche,<br />

who denies that a desire to be provocative had anything to do<br />

with it. He simply wanted the curriculum to include the things that<br />

were important to him personally, for example, the inventive use<br />

of fruit. It was his good fortune that he had teachers who appreciated<br />

his efforts to integrate it into every possible recipe. Today<br />

the menu of the 28-year-old chef at Vienna’s Bordeaux restaurant<br />

is the logical continuation of his student days: among the hors<br />

d’oeuvres are “sautéed goose-liver on spiced apricots and balsamico<br />

shallots” and “carrot mango soup with shrimp” while the<br />

main courses include “guinea-fowl à l’orange.” Imagination has<br />

never been an impediment to success in this profession, and<br />

Nitsche’s attitude is another plus: “I’m happy if my guests are.”<br />

It hasn’t always been that way: insiders still roll their eyes<br />

over the legendary capriciousness of Marco Pierre White. The<br />

former enfant terrible of the British restaurant scene is said to<br />

have cared most about personal happiness, self-realisation and<br />

appearances. If he didn’t like the looks of his diners, he might<br />

throw them out of his restaurant in the middle of their meal. In<br />

the early 1990s, when affectation was not only tolerated but even<br />

welcomed, such whims were accepted. But today, that kind of<br />

behaviour is tantamount to professional suicide.<br />

A restaurant meal these days is supposed to be good not only<br />

for the stomach but also for the soul: in addition to a first-class<br />

meal, diners expect a certain degree of intimacy with the owners<br />

and personnel. “To be successful, a restaurant has to offer more<br />

than just perfect food in a chic ambience. If the human element<br />

isn’t right, no one will keep coming back”, says A la Carte editor<br />

Grünwald, describing the unforgiving nature of diners hungry<br />

fora bit of TLC.<br />

Gerhard Fuchs, whose culinary skills attract both foreign and<br />

Austrian gourmets to Straden in the southern Austrian province<br />

of Styria, has found a solution that personally suits him better. The<br />

32-year-old talent, who began collecting awards the moment he<br />

had a kitchen to call his own, is employed by the Neumeister family,<br />

who have won their share of awards for the wines they make. He<br />

prefers to devote his passion to his pots, sharing the pleasure with<br />

his friends in the kitchen, two sous-chefs and three assistants,<br />

who in turn share his enthusiasm for the work. But contact<br />

with the guests is entrusted to other hands – Matthias Neumeister<br />

and his mother, Anna – who provide a wonderful dining atmosphere.<br />

“I don’t really think it’s important for the chef to wander<br />

around the dining room,” says Fuchs, almost defiantly. But he has<br />

a point to make that confirms his congeniality and modesty: “You<br />

shouldn’t let yourself be swept away by the whole thing.”<br />

Providing personal attention has always been a profitable<br />

concept. To the customer, regardless of social standing, being on<br />

close terms with the owner has always been a sign of success. In<br />

Austria the concept has a name: Pogusch, which is actually a hill<br />

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78<br />

AUSTRIAN COOKS<br />

in Styria. But it has become famous because of the<br />

Steirereck Inn run by the Reitbauer family there. When<br />

someone today talks about driving up to Pogusch,<br />

they don’t mean a drive in the country; they mean<br />

paradise. The warm welcome written in chalk on the<br />

blackboard is sincere and is immediately repeated by<br />

the Reitbauers themselves, standing inside the door<br />

and flanked by fine wines and elegant cheeses, a<br />

signal to the visitor that this is a top restaurant of the<br />

friendly (and not the dimly lit) variety. The Steirereck<br />

is a place where the diners are young and old, unbridled<br />

and bourgeois, urbane and rural, and all of<br />

them enjoy cuisine that is already been awarded with<br />

three stars, and that at down-to-earth prices.<br />

“We want everyone to feel equally comfortable<br />

here. On Thursdays and Fridays, diners from the local<br />

region account for 60 per cent of the guests,” says<br />

Heinz Reitbauer Jun., who is responsible for the<br />

outstanding quality of the cuisine. “On Saturdays and<br />

Sundays 80 to 90 per cent come from Vienna.” The<br />

Steirereck serves some 1500 guests on those four days.<br />

That they all go home happy is due to more than just<br />

On the telephone Gerhard Fuchs sounds like<br />

a business executive: an appointment here,<br />

another there, and 90 minutes free in between.<br />

And because, as we later find out, even<br />

that seemed too long to devote to a single<br />

interview, he has packed another into his<br />

already tight schedule. But though this might<br />

seem like a case of the “today Paris, tomorrow<br />

Madrid, and the day after that New York”<br />

mentality, it all takes place in and around<br />

Straden, an idyllic village in Austria’s southern<br />

province of Styria. The man with so much on<br />

his plate is one of the country’s youngest<br />

and most highly regarded chefs.<br />

Your impression of the 32-year-old doesn’t<br />

change completely when you finally find yourself<br />

sitting across from him, but some aspects<br />

certainly do: he detests any attempt to attach<br />

importance to his person: “I shouldn’t be the<br />

focus of the diners’ attention. That’s the job of<br />

the service staff.” His contributions are to be<br />

found in the kitchen, on the plates, and in his<br />

dealings with the local farmers who supply his<br />

kitchen. The cuisine (Mangalitza pork with<br />

lavender, for example) is statement enough.<br />

“I don’t really think it’s important for the chef<br />

to wander around the dining room.” Time is<br />

too precious to a chef who prefers to peel the<br />

potatoes himself. “It’s true that we do it all ourselves.<br />

Our pheasants arrive with the feathers<br />

still on, and we bake our own bread. That’s why<br />

our workday starts at eight a.m. It’s fine to have<br />

confidence in people, but it’s even better to<br />

keep tabs on them. How do you think I’d feel if<br />

my customers complained about the food?”<br />

GERHARD FUCHS<br />

THE TACITURN / DER VERSCHLOSSENE<br />

Am Telefon klingt Gerhard Fuchs wie ein<br />

Top-Manager: dort ein Termin, hier ein Termin,<br />

zwischendurch anderthalb Stunden frei – und<br />

weil ihm auch diese, wie man später merken<br />

wird, offenbar für ein einziges Gespräch zu lang<br />

erscheinen, hat er noch rasch einen weiteren in<br />

seinen strikt geregelten Tag geklopft. Was dem<br />

Beobachter, leicht überspitzt, wie heute Paris,<br />

morgen Madrid, übermorgen New York vorkommt,<br />

spielt sich in Wirklichkeit in und um<br />

Straden ab, einem kleinen, idyllischen Ort in der<br />

südlichen Steiermark. Der Mann, um den sich so<br />

viel dreht, ist einer der jüngsten unter den höchst<br />

bewerteten Köchen des Landes. Sitzt man dem<br />

32-Jährigen schließlich gegenüber, ist nicht alles,<br />

aber zumindest einiges anders: Jedwede Wichtigkeit<br />

um seine Person erscheint ihm als Gräuel:<br />

„Ich muss nicht im Vordergrund stehen. Diesen<br />

Job erledigen die Leute im Service.“ Das, was er<br />

zu sagen hat, geschieht in seiner Küche, auf den<br />

Tellern oder bei den zuliefernden Bauern aus der<br />

Umgebung. Die Perfektion, mit der ein Gericht<br />

(etwa das Mangalitza Wollschwein mit Lavendel)<br />

den Raum verlässt, muss als Statement reichen.<br />

„Ich finde es nicht wirklich wichtig, dass der<br />

Küchenchef durchs Lokal geht.“ Die Zeit ist zu<br />

kostbar für einen wie ihn, der am liebsten auch<br />

noch selbst die Kartoffel schälte. „Es stimmt:<br />

Wir machen alles aus eigener Hand. Wir lassen<br />

uns die Fasane in Federn anliefern, backen das<br />

Brot. Deshalb fangen wir jeden Tag schon um<br />

acht Uhr früh an. Vertrauen ist gut, aber<br />

Kontrolle ist besser. Wie würde ich sonst<br />

dastehen, wenn es zu einer Reklamation<br />

seitens des Gastes kommt?“<br />

SAZIANI-STUB’N, 8345 Straden 42, Tel.: 03473/86 51, www.neumeister.cc<br />

Photo: Luzia Ellert<br />

Hanging out in the dining room, Jamie-Oliver style, is not<br />

Gerhard Fuchs’s cup of tea. He’d rather hover over his pots,<br />

where his true passion is simmering. / Jamie-Oliver-like<br />

mit Gästen zu chambrieren ist nicht die Sache von<br />

Gerhard Fuchs. Sein Platz ist an den Töpfen, dort<br />

brodelt seine Leidenschaft.<br />

the cuisine. “We take notes on what people like and<br />

dislike, and how long a group typically occupies a table,<br />

so that we don’t overbook or make people wait too long.”<br />

The same kind of perfection is essential at Hanner’s,<br />

says its owner, Heinz Hanner. His notes were used as<br />

the basis for a special computer program that keeps<br />

track of the preparation time for a given dish and the<br />

preferences of individual customers. “We have noticed,<br />

for example, that smokers finish their meal more quickly<br />

than non-smokers – perhaps because they are looking<br />

forward to their next cigarette,” says Hanner.<br />

He has focused his attention not only on the comfort<br />

of his guests but also of his personnel. “We take our<br />

meals together around a big table, like a family.” Those<br />

who are not in the mood for conversation can watch a<br />

huge screen that is always tuned to the music channel<br />

MTV. Heinz Hanner realises that he benefits from anything<br />

that makes his employees happy.<br />

Martina Eitzinger has the same ambition and goals<br />

as Reitbauer and Hanner, although her Tanglberg<br />

restaurant in Vorchdorf in Upper Austria is much smaller<br />

and does not have the same resources. She also takes<br />

copious notes. Like her colleagues, she realises that<br />

systems need to be much more carefully thought out<br />

than only a few years back. Customers still want to be<br />

king, but they also want to be treated with greater<br />

familiarity. She also recognises the danger that is lurking<br />

for all the Austrian Jamies trying to do everything better<br />

than it was done by the generations before them,<br />

expressing an idea that several of her colleagues only<br />

hint at: “You have to be careful not to neglect the people<br />

who are near and dear to you, your family and friends.<br />

Otherwise you wake up one morning and realise that<br />

you are more or less alone, despite running a popular<br />

restaurant.”<br />

SANFTE REBELLEN Es gab einmal Zeiten,<br />

da träumten die Knaben davon, Lokführer,<br />

Kampfjet-Pilot oder zumindest Automechaniker<br />

zu werden. Doch seit Jamie Oliver oder sein<br />

Berliner Pendant, Ralf Zacherl, sich mit ihrer<br />

generationsübergreifenden Bubencharmeoffensive<br />

TV-Star-Status erkochten, zählt das alles<br />

nichts mehr. Der neue Traumberuf ist Koch.<br />

Schuld am frischen Sexappeal dieses Berufs<br />

ist seine neue Positionierung: Er hat sich den<br />

Schweiß von der Stirn gewischt, die bedenklich


AUSTRIAN COOKS<br />

80<br />

Without wanting to appear presumptuous,<br />

it seems safe to say that Heinz Hanner’s<br />

duck-liver tart is among the finest dishes<br />

being served in Austria this year: paper-thin<br />

puff pastry with apricots from the Wachau<br />

with a layer of liver that, hmmm, melts in<br />

your mouth and on top of that a millimetrethin<br />

layer of curd cheese. It is accompanied<br />

by roasted, caramelised almonds that<br />

simply have to be eaten simultaneously<br />

with the tart. Some will object that this is<br />

all a matter of opinion, but no one complains<br />

about a writer saying that the British<br />

group Coldplay made one of last year’s<br />

finest CDs. And fortunately for diners, the<br />

duck-liver tart, like the CD, will be around<br />

for a while longer. Because as Heinz<br />

Hanner says, with almost reverent delight:<br />

“So far, everyone who has tried this dish has<br />

been bowled over by it.” His new restaurant<br />

is also designed to bowl diners over: simple<br />

elegance inside, with a view of the rolling<br />

hills of the Vienna Woods beyond the<br />

generously dimensioned windows.<br />

The dining room is divided into separate<br />

areas for non-smokers, smokers and cigarsmokers.<br />

Nothing has been left to chance:<br />

neither the materials (wood from the<br />

Vienna Woods was used almost exclusively)<br />

nor the design. In his efforts to find the<br />

optimal height for the backs of his chairs,<br />

Hanner had three prototypes made by<br />

a designer. “Top-notch restaurants are<br />

like top-notch athletes,” explains the<br />

perfectionist, who orders nothing and takes<br />

delivery of nothing before giving it a great<br />

deal of thought. “We have to try to offer<br />

the best products at the best price.”<br />

HEINZ HANNER<br />

THE PHILOSOPHER / DER PHILOSOPH<br />

Es mag vermessen klingen – aber Heinz<br />

Hanners Entenlebertarte zählt bestimmt<br />

zum Besten, was 2003 im Land an Gerichten<br />

aufgetischt wurde: hauchdünner Blätterteig<br />

mit Wachauer Marillen, darauf die, hmmm,<br />

zergehende Leber, welche wiederum mit einer<br />

millimeterdünnen Topfenschicht überzogen<br />

ist. Dazu werden angeröstete, karamellisierte<br />

Mandeln serviert, die gleichzeitig mit der<br />

Tarte einzunehmen sind. Mögen andere<br />

jetzt aufschreien – man muss diese Feinheit<br />

so drastisch verdeutlichen, schließlich darf<br />

man auch schreiben, dass die britische Gruppe<br />

Coldplay eine der schönsten CDs des vergangenen<br />

Jahres veröffentlicht hat. Tröstlich in<br />

diesem Zusammenhang: Wie die CD wird es<br />

auch die Entenlebertarte noch länger geben,<br />

denn, so Heinz Hanner – und er sagt es mit fast<br />

andächtiger Freude –, „dieses Gericht hat bisher<br />

jeden umgehauen.“ Umwerfend erscheint auch<br />

das Lokal in seinem neuen Gewand: Voll<br />

schlichter Eleganz und unter Einbeziehung<br />

der sanft-hügeligen Wienerwald-Landschaft,<br />

die sich hinter den großzügigen Glasfassaden<br />

erstreckt, teilt es sich in ein Nichtraucher-,<br />

Raucher- und Zigarrenraucher-Segment. Nichts<br />

wurde hier dem Zufall überlassen: nicht die<br />

Materialien (es wurde fast ausschließlich mit<br />

Wienerwald-Hölzern gearbeitet), nicht das<br />

Design. Allein um die optimale Rückenlehnenhöhe<br />

eines Stuhls zu ermitteln, ließ<br />

Hanner von einem Designer drei Prototypen<br />

anfertigen. „Spitzengastronomie ist wie<br />

Spitzensport“, erklärt der Perfektionist, dem<br />

nichts ins Haus kommt, worüber er sich nicht<br />

vorher ordentlich den Kopf zerbrochen hat,<br />

„wir müssen versuchen das beste Produkt<br />

zum besten Preis anzubieten.“<br />

HANNER, 2534 Mayerling 1, Tel.: 02258/23 78, www.hanner.cc<br />

Photo: PR<br />

geröteten Backen gegen einen gesunden<br />

Teint getauscht und das Lamentieren über<br />

den undankbaren Gast in Lebensfreude erstickt.<br />

Was der erste Koch-Popstar der<br />

Geschichte, Paul Bocuse, in den 70er-Jahren<br />

„möglich machte und später immer wieder<br />

lautstark bedauerte, perfektionieren und<br />

demokratisieren seit dreißig Jahren seine<br />

Schüler“, notierte kürzlich die Frankfurter<br />

Allgemeine. Die heutige Generation unterscheidet<br />

sich von ihren Vorgängern in einem<br />

wesentlichen Punkt: Die jungen Köche reduzieren<br />

sich nicht auf die Rolle der Experten<br />

hinterm Herd, sondern geben sich als<br />

Genuss-Philosophen zu erkennen, denen die<br />

Denkarbeit an der Optimierung von Wohlgefühl<br />

genauso viel Freude zu machen<br />

scheint wie das Rupfen eines Hand gefütterten<br />

Huhns. Auf der anderen Seite sitzt<br />

der Gast, der den Ball dankbar aufnimmt.<br />

„Qualitätsbewusstes Genießen ist nicht<br />

mehr allein eine Sache des Geldes. Vielmehr<br />

ist in einer ganzen Generation – konkret<br />

bei den 30- bis 40-Jährigen – ein selbstverständlicher<br />

Umgang mit dem Thema<br />

geschehen“, weiß Christian Grünwald, Chef-<br />

The year of Heinz Hanner was 2003: he re-opened his restaurant<br />

with new chic design and created a fantastic duck-liver tart likely<br />

to become a classic. / 2003 war das Jahr des Heinz Hanner:<br />

1. eröffnete er sein Restaurant in bestechend schickem<br />

Design erneut und 2. kreierte er eine umwerfende<br />

Entenlebertarte mit dem Zeug zum Klassiker.<br />

redakteur und Co-Herausgeber des Gourmet-<br />

Guides Österreich A la Carte, „diese Entwicklung<br />

ist nach unserer Ansicht unumkehrbar.<br />

Man isst und trinkt bewusster: wegen der<br />

Gesundheit, wegen des Lustgefühls, weil es<br />

gesellschaftlich akzeptiert ist. Gutes Essen und<br />

Trinken ist vom Modetrend zu einer Annehmlichkeit<br />

geworden, auf die viele nicht mehr<br />

verzichten wollen.“<br />

Was für Koch-Laien die Antriebsfeder ist,<br />

stellt für den Profi, vor allem für den angehenden,<br />

oft die einzige Möglichkeit dar, sich<br />

von den Mitbewerbern abzuheben. „Schon<br />

während meiner Ausbildung bin ich durch<br />

unkonventionelle Ideen aufgefallen“, erinnert<br />

sich Aurelio Nitsche – wobei es ihm nicht um<br />

die Provokation ging. Er wollte einfach nur das,<br />

was ihm persönlich wichtig war und nahe stand,<br />

in den allgemeinen Lehrplan einbringen. Zum<br />

Beispiel nicht einfach nur Reis zum Curryhuhn<br />

kochen, sondern diesen mit Mangoscheiben<br />

veredeln. Heute liest sich die Karte des 28-jährigen<br />

Küchenchefs des Bordeaux, im schicken<br />

Wiener Serviten-Viertel, wie die logische Fortsetzung<br />

des damals eingeschlagenen Weges:<br />

Unter den Vorspeisen findet sich eine „Gebratene<br />

Gänseleber auf Gewürzmarillen und Balsamico-Schalotten“,<br />

bei den Hauptspeisen ein<br />

„Seeteufel im Bananenblatt“ gebraten. Dass<br />

manche Kreation zuweilen ebenso als Dessert<br />

durchgehen könnte, leistet seinem Erfolg keinen<br />

Abbruch: Fantasie, gekonnt inszeniert, hat in<br />

diesem Beruf noch nie geschadet.<br />

Einem gelungenen Restaurant-Besuch<br />

kommt mittlerweile auch eine Seelenwärmerfunktion<br />

zu: Der Gast erwartet sich neben einer<br />

erstklassigen Verköstigung einen gewissen<br />

Austausch mit Betreibern und Personal.<br />

„Erfolgreiche Gastronomie ist mehr als nur<br />

perfektes Essen in schickem Ambiente. Wenn<br />

es nicht menschelt, geht auf Dauer keiner hin“,<br />

beschreibt Christian Grünwald die Gnadenlosigkeit<br />

der Zuwendungshungrigen.<br />

Gerhard Fuchs, dessen Künste Feinspitze<br />

ins steirische Straden locken, hat sich diesem<br />

heiklen Punkt mit Geschick entzogen. Das


AUSTRIAN COOKS<br />

82<br />

32-jährige Talent ist Angestellter der Winzerfamilie Neumeister. Seinen<br />

Platz sieht der nach außen hin Verschlossene an den Töpfen, dort brodelt<br />

seine Leidenschaft. Aber die Betreuung des Gastes liegt in anderen Händen,<br />

nämlich bei dem Junior der Familie Neumeister, dem rührigen Matthias,<br />

und bei dessen Mutter Anna, die den Gästeraum mit leichter Hand in<br />

wunderbare Atmosphäre taucht. „Ich finde es nicht wirklich wichtig, dass<br />

der Küchenchef durchs Lokal geht“, erklärt Gerhard Fuchs fast trotzig,<br />

sammelt aber sogleich wieder Sympathien: „Man muss schauen, dass man<br />

am Boden bleibt mit diesen ganzen Geschichten.“<br />

Persönliche Nähe, das wissen vor allem jene, die am Boden geblieben<br />

sind, war seit jeher ein Gewinn bringendes Konzept. Kein vernünftiger<br />

Gastronom platziert an exponierter Stelle eine Person, für die er sich genieren<br />

muss, sondern einen Stimmungsbringer, der den Geist des Hauses<br />

auf die weiteren Tische transportiert.<br />

Diese Idealvorstellung trägt in Österreich einen Namen: Pogusch, eine<br />

Anhöhe in der Steiermark, berühmt durch das Wirtshaus Steirereck der<br />

Familie Reitbauer. Das herzliche „Griaß Di“, das in weißer Kreide auf<br />

einer schwarzen Tafel entgegenlacht, hält, was es verspricht: Die warme<br />

Begrüßung durch die Reitbauers, die gleich im Eingang zwischen aufgebahrten<br />

Topweinen und ansehnlich drapierten Käse-Sorten erfolgt, signalisiert<br />

dem Besucher, dass er sich hier in der freundschaftlich gesinnten<br />

(und nicht in der Dünkel behafteten) Spitzengastronomie aufhält. Im<br />

„Wirtshaus Steirereck“ wird dem „Du“, das sich nicht in der direkten<br />

Anrede, aber in allem Schriftlichen niederschlägt, ein neuer Glanz beschert.<br />

Jung neben alt, wild neben spießig, ländlich neben städtisch delektiert<br />

sich zu irdischen Preisen an einer Küche, die man mit Fug und Recht auf<br />

höchstem Sterne-Niveau bewertet.<br />

„Wir wollten keine Trennung in Restaurant und Wirtshaus, bei uns<br />

soll es allen gleich gut gehen. Donnerstag und Freitag liegt der Anteil der<br />

Gäste, die aus der Region stammen, bei 60 Prozent“, freut sich Heinz<br />

The real dream of an ambitious<br />

chef is to invent a new dish. It’s<br />

like the search for the sunken<br />

island of Atlantis, the Fountain<br />

of Youth or the Holy Grail. / Der<br />

große Traum ehrgeiziger Köche<br />

ist es, ein ganz neues Gericht<br />

zu erfinden. Das ist wie die<br />

Suche nach dem Bernsteinzimmer,<br />

Atlantis oder König<br />

Salomons Diamanten.<br />

Reitbauer jun., der für die herausragende Kochleistung<br />

verantwortlich ist, „Samstag und Sonntag<br />

stammen 80 bis 90 Prozent unserer Besucher<br />

aus Wien.“ Dass die rund 1500 Gäste, die in diesen<br />

vier Tagen das Lokal besuchen, rundum<br />

glücklich wieder nach Hause fahren, geht nicht<br />

nur auf das Konto der Küche. „Wir führen auch<br />

permanent Aufzeichnungen darüber, was gefällt,<br />

was beanstandet wird, wie lange sich eine Runde<br />

durchschnittlich im Wirtshaus aufhält, so dass<br />

es zu keinen Überbuchungen oder längeren<br />

Wartezeiten für den Gast kommen kann.“<br />

Ohne diese Perfektion im Hintergrund<br />

möchte auch Heinz Hanner mit seinem Hanner<br />

nicht mehr auskommen. Auf Basis seiner Notizen<br />

wurde ein eigenes Computerprogramm<br />

erstellt, in welchem die Zubereitungszeiten für<br />

einzelne Gerichte vorgegeben oder Vorlieben<br />

einzelner Kunden festgehalten sind. „So stellten<br />

wir zum Beispiel fest, dass Raucher schneller<br />

als Nichtraucher essen – vielleicht, weil sie sich<br />

schon so auf die Zigarette danach freuen“,<br />

schmunzelt Hanner. Nicht nur den Gast, auch<br />

den Mitarbeiter versteht Hanner durch Aufmerksamkeiten<br />

an das Haus zu binden. „Wenn<br />

wir essen, sitzen wir gemeinsam um einen<br />

großen Tisch wie eine Familie“ – und wer gerade<br />

keine Lust auf ein Gespräch hat, lenkt sein Auge<br />

auf eine riesige Bildschirmwand, auf der den<br />

ganzen Tag MTV läuft. Denn was dem Mitar-<br />

beiter gut tut, kommt auf Dauer auch Heinz<br />

Hanner zugute: „Gewohnheit ist der stärkste<br />

Klebestoff, deshalb schaue ich, dass meine<br />

Leute in ihren freien Minuten möglichst viel<br />

Abwechslung genießen. Im Gegenzug dafür<br />

verlange ich von jedem einmal im Monat einen<br />

Verbesserungsvorschlag. Klammert sich einer<br />

aus, fällt er bei der nächsten Prämienrunde um.“<br />

Martina Eitzinger hat in dem räumlich<br />

kleiner angelegten Tanglberg im oberösterreichischen<br />

Vorchdorf nicht dieselben Mittel zu<br />

Verfügung, aber den gleichen Ehrgeiz, die gleichen<br />

Ziele wie Reitbauer jun. oder Hanner. Ihre<br />

Beobachtungen wertet sie in einem dicken Buch<br />

aus, ihre Lieferanten sucht sie im zuverlässigen<br />

Umfeld ihrer Heimat, in und um Ried. „Ich<br />

war naiv, als ich hier begonnen habe“, blickt<br />

sie lächelnd zurück, „aber ich bereue es nicht,<br />

denn es war meine große Chance.“ Auch sie<br />

weiß: Systeme müssten viel detaillierter, viel<br />

härter durchdacht werden als noch vor wenigen<br />

Jahren, denn einerseits möchte der Kunde<br />

als König, andererseits aber auch wieder als<br />

Vertrauter behandelt werden. Umso besser<br />

erkennt sie die Gefahr, der die heimischen<br />

Jamies aufzusitzen drohen – nämlich für die<br />

Gäste so viel zu tun, dass für einen selbst nur<br />

recht wenig übrig bleibt. Sie spricht aus, was<br />

ihre Kollegen nur vorsichtig andeuten: „Man<br />

muss aufpassen, dass man nicht die Familie und<br />

die Freunde vernachlässigt. Sonst wacht man<br />

eines Tages auf und ist trotz eines vollen Lokals<br />

ziemlich allein.“<br />

„Der größte Traum ehrgeiziger Köche ist,<br />

ein neues Gericht zu erfinden. Es ist aber so<br />

gut wie alles erfunden. Der Spanier Ferran<br />

Adrià hat sogar schon so Absonderlichkeiten<br />

wie Spaghetti aus geliertem Rinderfond in seine<br />

kulinarische Werkschau gestellt“, umfasst<br />

Christian Grünwald diesen ewigen Fluch des<br />

Getriebenseins, „trotzdem geht die Suche nach<br />

dem Neuen weiter: So wie die Suche nach dem<br />

Bernsteinzimmer, Atlantis oder König Salomons<br />

Diamanten.“ Und die Kunst dabei ist,<br />

einerseits so entspannt, andererseits so wissend<br />

auszusehen wie ein Frühstückskoch, der zwei<br />

Eier aufschlägt, um eine Eierspeis’ anzurühren.<br />

BUCHTIPP Die besten Restaurants des Landes findet man im<br />

brandneuen Guide „Österreich A la Carte 2004“ um E 21,–;<br />

bestellen@alacarte.at; www.alacarte.at

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