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Für Mannesmann in Saudi-Arabien und Kolumbien - Des Pudels Kern

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Kapitel 5 des Buches „<strong>Des</strong> <strong>Pudels</strong> <strong>Kern</strong>“ von Georg Zipfel. !Weitere Informationen f<strong>in</strong>den Sie auf: georgzipfel.de5. Für <strong>Mannesmann</strong> <strong>in</strong> <strong>Saudi</strong>-<strong>Arabien</strong> <strong>und</strong> <strong>Kolumbien</strong>Wie erhofft, wurde ich umgehend zu e<strong>in</strong>em Vorstellungsgesprächnach Düsseldorf e<strong>in</strong>geladen <strong>und</strong> erhielt auch prompt e<strong>in</strong>en Vertragals Bauleiter für e<strong>in</strong>e der 6 riesigen Pumpstationen. Von diesen waren3 mit je 6 Pumpen <strong>und</strong> 3 mit je 8 Pumpen ausgestattet, die jeweilsvon Elektromotoren mit 13 000 PS respektive 10 000 PS angetriebenwurden. Damit sollten täglich über 800 000 Kubikmeter entsalztesMeerwasser von Al Jubail am persischen Golf durch zwei parallelverlegte, 460 Kilometer lange Hochdruck-Pipel<strong>in</strong>es aus Stahl mit e<strong>in</strong>emDurchmesser von 60 Zoll (1,60 Meter) <strong>in</strong> das knapp 600 Meterhöher gelegene High Po<strong>in</strong>t Term<strong>in</strong>al mit 6 r<strong>und</strong>en Wasserreservoirsaus Beton mit je 95 Meter Durchmesser am östlichen Stadtrand vonRiyadh gepumpt werden.Die Auftragssumme für den schlüsselfertigen Bau dieses Systems betrug904 Millionen US-Dollar. Die Lieferung der etwa 500 000 TonnenStahlrohre erfolgte unter e<strong>in</strong>em separaten Vertrag, wobei <strong>Mannesmann</strong>etwa 150 000 Tonnen lieferte. Als Bauzeit standen 30 Monatezur Verfügung. Das vere<strong>in</strong>barte Monatsgehalt betrug ca. 8 500Mark netto; alle 90 Tage war e<strong>in</strong> Heimaturlaub von 14 Tagen vorgesehen.Aufgr<strong>und</strong> des bis dah<strong>in</strong> sehr wechselhaften Verlaufs me<strong>in</strong>esBerufslebens schätzte ich mich natürlich sehr glücklich, dass ich zujenen Bewerbern gehörte, die man für e<strong>in</strong>e bauleitende Tätigkeit andiesem Jahrh<strong>und</strong>ertprojekt auswählte.Ende August rief dann jemand von der Personalabteilung <strong>Mannesmann</strong>sbei me<strong>in</strong>er Frau <strong>in</strong> Kenz<strong>in</strong>gen an <strong>und</strong> teilte ihr mit, dass ichumgehend noch e<strong>in</strong>mal nach Düsseldorf kommen müsse, weil derzuständige Projektleiter mit mir sprechen wollte. Als me<strong>in</strong>e Fraumich <strong>in</strong>formierte, klang das so, als ob Zweifel an me<strong>in</strong>er Eignungaufgekommen wären.Der Projektleiter hieß Horst Schreyger. Er war e<strong>in</strong> Mann <strong>in</strong> se<strong>in</strong>enbesten Jahren, studierter Masch<strong>in</strong>enbauer, so um die 50 Jahre alt,groß, schlank, eloquent <strong>und</strong> sehr erfahren im Pipel<strong>in</strong>ebau. Nach kurzemBegrüßungs-Smalltalk kam er gleich zur Sache. Zu me<strong>in</strong>er totalenÜberraschung sagte er mir, dass er für die Position des Oberbau-89


leiters für den Bau aller sechs Pumpstationen <strong>und</strong> des High-Po<strong>in</strong>t-Term<strong>in</strong>als noch nicht den richtigen Mann gef<strong>und</strong>en hätte <strong>und</strong> be<strong>in</strong>ochmaliger Durchsicht der e<strong>in</strong>gegangenen Bewerbungen zumSchluss gekommen wäre, dass ich möglicherweise <strong>in</strong> Frage käme.Und da ich se<strong>in</strong>e Frage, ob ich mir diesen Job zutrauen würde, mite<strong>in</strong>em schnörkellosen Ja beantwortete, hatte ich den Job – <strong>und</strong> bewältigte<strong>in</strong> den kommenden zweie<strong>in</strong>halb Jahren alle damit verb<strong>und</strong>enenHerausforderungen zur vollen Zufriedenheit Schreygers <strong>und</strong> se<strong>in</strong>erVorgesetzten bis h<strong>in</strong>auf zu Dr. Egon Overbeck, der damals alsChef des Konzernvorstands fungierte. Und so kam es denn auch,dass me<strong>in</strong> gerade e<strong>in</strong>mal drei Wochen alter Vertrag als Bauleiter füre<strong>in</strong>e Pumpstation wieder aufgehoben <strong>und</strong> ich <strong>in</strong> den Kreis der jungenFührungskräfte aufgenommen wurde. Zwar erhielt ich wegen dieserBeförderung ke<strong>in</strong>e nennenswerte Gehaltserhöhung. Dafür waren aberdie Weisungsbefugnisse für die erfolgreiche Bewältigung der anstehendenAufgaben umso wichtiger. Außerdem hatte diese Beförderungdie angenehme Nebenwirkung, dass ich nunmehr <strong>in</strong> der von Lebenpulsierenden Hauptstadt von <strong>Saudi</strong>-<strong>Arabien</strong> stationiert war <strong>und</strong>nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em der zwar sehr gut ausgestatteten, aber dennoch ziemlichunwirtlichen Camps entlang der Trasse durch die Wüste.Wie vere<strong>in</strong>bart, nahm ich bereits am 1. Oktober 1980 me<strong>in</strong>e Tätigkeitfür <strong>Mannesmann</strong> <strong>in</strong> Düsseldorf auf. Zunächst befasste ich mich mitder bereits weitgehend fertigen Bauablaufplanung für die Pumpstationen<strong>und</strong> das High-Po<strong>in</strong>t-Term<strong>in</strong>al <strong>und</strong> schlug schließlich e<strong>in</strong>ige erheblicheÄnderungen zur Entflechtung der e<strong>in</strong>zelnen Gewerke vor,um e<strong>in</strong>en reibungslosen Ablauf der Arbeiten zu gewährleisten. Zwarstieß ich mit me<strong>in</strong>en Vorschlägen – wie schon <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> – zunächstauf sehr großen Widerstand, vor allem seitens der bis dah<strong>in</strong> tonangebendenManager unseres französischen Jo<strong>in</strong>t-Venture-Partners Spie-Capag. Dank me<strong>in</strong>er zwischenzeitlich sehr prof<strong>und</strong>en Berufserfahrung<strong>und</strong> der bei der Firma Pegel erworbenen Kenntnisse <strong>in</strong> der computergestütztenTerm<strong>in</strong>planung gelang es mir jedoch, diese Widerstände<strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen ziemlich heißen Diskussionsr<strong>und</strong>en zu überw<strong>in</strong>den.Nachdem bis Ende Dezember die auf Basis dieser Planung ausgehan-90


delten Verträge mit unseren Subunternehmern vergeben waren, nahmich dann Anfang Januar 1981 me<strong>in</strong>e Arbeit als Oberbauleiter <strong>in</strong><strong>Saudi</strong>-<strong>Arabien</strong> auf.Selbstverständlich bedarf es manchmal e<strong>in</strong>es robusten Durchsetzungsvermögens,um beruflich zu avancieren. So war ich beispielsweisebereits wenige Wochen nach Beg<strong>in</strong>n me<strong>in</strong>er Tätigkeit <strong>in</strong><strong>Saudi</strong>-<strong>Arabien</strong> mit e<strong>in</strong>em Kollegen, der aus Südafrika stammte <strong>und</strong><strong>in</strong> den Diensten unseres französischen Jo<strong>in</strong>t-Venture-Partners stand,<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e heftige Ause<strong>in</strong>andersetzung geraten, weil er sich <strong>in</strong> unfairerWeise auf me<strong>in</strong>e Kosten profilieren wollte. Da ich mich zu wehrenwusste <strong>und</strong> se<strong>in</strong> Profilierungsversuch kläglich scheiterte, rastete eraus <strong>und</strong> beschimpfte mich schließlich als perfiden Nazi. Ohne jedesZögern drohte ich ihm daraufh<strong>in</strong> an, ihn zum geschlossenen Fensterh<strong>in</strong>auszuwerfen, falls er nicht sofort me<strong>in</strong> Büro durch die Tür verlassensollte. Weil er wohl fürchtete, ich würde Ernst machen, verließ eres fluchtartig <strong>und</strong> g<strong>in</strong>g zu Herrn Pierre Fortuné – e<strong>in</strong>em Franzosen,der als unser Resident Project Manager fungierte – um me<strong>in</strong>e Entlassungzu erwirken. Dieser ließ mich prompt kommen <strong>und</strong> wollte vonmir hören, was vorgefallen war. Nachdem ich ihm den Verlauf dieserAuse<strong>in</strong>andersetzung erklärt hatte, zeigte er volles Verständnis fürme<strong>in</strong> Verhalten <strong>und</strong> entließ me<strong>in</strong>en Kollegen fristlos.Im Mai 1981 geriet ich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e noch heiklere Ause<strong>in</strong>andersetzung mitunserem türkischen Subunternehmer Tekfen. <strong>Des</strong>sen örtliche Projektleitunghatte mich wiederholt davon überzeugen wollen, dass es ke<strong>in</strong>Problem wäre, den beim Bau des High-Po<strong>in</strong>t-Term<strong>in</strong>als bereits entstandenenTerm<strong>in</strong>verzug von etwa sechs Wochen wieder aufzuholen.Weil dies jedoch aufgr<strong>und</strong> der unzureichenden Ausstattung der Baustellemit Kränen, Schalmaterial <strong>und</strong> Personal me<strong>in</strong>es Erachtens offenk<strong>und</strong>igunmöglich war, hatte ich auf dem wöchentlich stattf<strong>in</strong>dendenMeet<strong>in</strong>g auf der Baustelle <strong>in</strong> Anwesenheit unserer drei örtlichenBauleiter <strong>und</strong> drei Vertretern der Bauherrschaft e<strong>in</strong> ordentliches Donnerwetterveranstaltet, um me<strong>in</strong>er Sicht der D<strong>in</strong>ge endlich Geltung zuverschaffen, nachdem me<strong>in</strong>e Bedenken abermals abgetan wordenwaren. Statt <strong>in</strong> die Puschen zu kommen, schickten me<strong>in</strong>e Kontrahen-91


ten nun e<strong>in</strong> Telex nach Ankara an Herrn Necati Akçaglılar, den CEOTekfens (der mit unserem Vorstandsvorsitzenden Dr. Egon Overbeckpersönlich gut befre<strong>und</strong>et war) <strong>und</strong> verlangten, me<strong>in</strong>e sofortige Abberufungals Oberbauleiter zu erwirken, weil ich sie schwer beleidigthätte.Als ich nach dem Donnerwetter am späten Nachmittag me<strong>in</strong> Büro <strong>in</strong>Riyadh betrat, lag bereits e<strong>in</strong> Telefax von Dr. Overbeck auf me<strong>in</strong>emSchreibtisch, <strong>in</strong> dem ich um e<strong>in</strong>e Stellungnahme zu den gegen micherhobenen Vorwürfen gebeten wurde. In Reaktion auf me<strong>in</strong>e unverzüglicheStellungnahme empfahl Dr. Overbeck daraufh<strong>in</strong> se<strong>in</strong>emFre<strong>und</strong> <strong>in</strong> Ankara, se<strong>in</strong>e Leute <strong>in</strong> <strong>Saudi</strong>-<strong>Arabien</strong> anzuweisen, me<strong>in</strong>eSicht der D<strong>in</strong>ge künftig zu respektieren. Und weil Herr Akçaglılardieser Empfehlung umgehend entsprach <strong>und</strong> me<strong>in</strong>e Kontrahentensich fortan strikt an diese Anweisung hielten, gelang es schließlich,den bereits entstandenen Term<strong>in</strong>verzug <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es Jahres wiederaufzuholen. Außerdem sollte sich im Verlauf der Zeit e<strong>in</strong> fast schonfre<strong>und</strong>schaftliches Verhältnis zwischen uns entwickeln.Etwa Mitte 1982, e<strong>in</strong> knappes Jahr vor dem geplanten Fertigstellungsterm<strong>in</strong>,zeichnete es sich ab, dass dem Jo<strong>in</strong>t-Venture, bestehendaus der französischen Firma Spie-Capag, der holländischen FirmaNacap <strong>und</strong> der deutschen <strong>Mannesmann</strong> Anlagenbau AG, e<strong>in</strong> Gew<strong>in</strong>n<strong>in</strong> der Größenordnung von etwa 150 Millionen US-Dollar <strong>in</strong>s Hausstand. Weil laut Bauvertrag 45 Prozent Gew<strong>in</strong>nsteuern an den saudischenFiskus zu entrichten waren, wurde somit für unsere Bilanzexpertendie Frage relevant, wie dieser Gew<strong>in</strong>n elegant versteckt werdenkann. Und weil die Vorlage e<strong>in</strong>er von der WirtschaftsprüfungsgesellschaftArthur Andersen testierten Projektbilanz genügte, um dieseSteuern zu h<strong>in</strong>terziehen, kamen diese Experten – unter der Federführung<strong>Mannesmann</strong>s – auf die verwegene Idee, im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> aufTausenden von Importdokumenten die tatsächlichen Warenwertedrastisch zu erhöhen, um e<strong>in</strong>en nur noch marg<strong>in</strong>alen Profit ausweisenzu können <strong>und</strong> darauf zu spekulieren, dass die Wirtschaftsprüfer dieseManipulation der Bilanzgr<strong>und</strong>lagen nicht bemerkten.92


Zur Umsetzung dieses Vorhabens wurde <strong>in</strong> der Projektbuchhaltungim Head-Office des Jo<strong>in</strong>t-Ventures <strong>in</strong> Riyadh e<strong>in</strong>e Fälscherwerkstatte<strong>in</strong>gerichtet. Die benötigten Mitarbeiter hat man zur strengsten Diskretionverpflichtet <strong>und</strong> über Monate h<strong>in</strong>weg mit der Fälschung vonZolldokumenten beschäftigt. Leider flog der Schw<strong>in</strong>del Anfang Januar1983 aber trotz aller Diskretion auf <strong>und</strong> führte zur Verhaftung vonsieben Leuten, darunter der Leiter der örtlichen Projektbuchhaltung,der Resident Project Manager <strong>und</strong> der Resident Commercial Manager.Bereits am Tag nach der Razzia, die <strong>in</strong> den saudischen Medienfür fette Schlagzeilen sorgte, trafen drei Krisenmanager <strong>in</strong> Riyadhe<strong>in</strong> – e<strong>in</strong>er von <strong>Mannesmann</strong>, e<strong>in</strong>er von unserem französischen Jo<strong>in</strong>t-Venture-Partner Spie-Capag <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er von der Deutschen Bank, derals Chef des Krisenteams fungierte.Wie mir mitgeteilt wurde, hatte das B<strong>und</strong>eskanzleramt aufgr<strong>und</strong> e<strong>in</strong>erBitte unserer Konzernleitung über den deutschen Presserat e<strong>in</strong>eNachrichtensperre verfügt, damit die Arbeit der Krisenmanager nichtdurch kontraproduktive Berichte <strong>in</strong> deutschen Medien bee<strong>in</strong>trächtigtwürde. Und da die Krisenmanager zunächst davon ausg<strong>in</strong>gen, denFall elegant <strong>und</strong> ohne größere Komplikationen lösen zu können, wurdeauf den Baustellen die Parole „Bus<strong>in</strong>ess as usual“ ausgegeben.In der Erwartung, die <strong>Saudi</strong>s dazu veranlassen zu können, Gnade vorRecht walten zu lassen, legte mir das Krisenteam mehrmals ansHerz, ke<strong>in</strong>e Mühen <strong>und</strong> Kosten zu scheuen, um die auf den 22. Februar1983 vorverlegte feierliche Inbetriebnahme des Projekts durchKönig Fahd am High-Po<strong>in</strong>t-Term<strong>in</strong>al möglichst e<strong>in</strong>drucksvoll zu gestalten.Trotz der extrem kurzen Vorbereitungszeit gelang mir diesglücklicherweise sogar – vor allem dank der ebenso pragmatischenwie kooperativen Haltung von Herrn Issam Jamjoon <strong>und</strong> anderenführenden Leuten der Sal<strong>in</strong>e Water Conversion Corporation(SWCC), die Bauherr<strong>in</strong> war.Wegen der großen Bedeutung dieses Projekts für die weitere Entwicklungder Hauptstadt <strong>Saudi</strong>-<strong>Arabien</strong>s waren alle Herrscher derGolf-Emirate samt Entouragen zugegen, als König Fahd persönliche<strong>in</strong>e der beiden Pipel<strong>in</strong>es mittels e<strong>in</strong>es vergoldeten Handrads öffnete93


<strong>und</strong> sich daraufh<strong>in</strong> e<strong>in</strong> mächtiger Wasserstrahl mit e<strong>in</strong>em Durchmesservon 60 Zoll (1,5 Meter) <strong>in</strong> hohem Bogen <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Tosbecken ergoss.Die E<strong>in</strong>weihungsfeierlichkeiten wurden vom saudischen Fernsehenmehrere St<strong>und</strong>en lang live übertragen. Und weil die saudischen TV-Programmgestalter von dem grandiosen Anblick total begeistert waren,das dieser mächtige Wasserstrahl mitten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er der heißestenWüsten der Erde vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> e<strong>in</strong>er langsam untergehenden<strong>und</strong> rot glühenden Abendsonne bot, änderten sie spontan das Programmfür den Rest dieses denkwürdigen Tages <strong>und</strong> sendeten bisweit nach Mitternacht auf allen Kanälen nichts anderes als diesenmächtigen Wasserstrahl <strong>und</strong> die Textzeile „Water for Riyadh“.König Fahd beim Öffnen der Pipel<strong>in</strong>e*Me<strong>in</strong>er guten Mutter konnte ich leider nicht mehr von der grandiosenE<strong>in</strong>weihung unseres Projekts erzählen <strong>und</strong> die vielen Fotos von dieserFeier zeigen, weil sie <strong>in</strong> der Osternacht 1982, also e<strong>in</strong> knappesJahr zuvor, im Alter von nur 62 Jahren an Herzversagen verstarb. Da94


ich am Karfreitag auf Heimaturlaub nach Kenz<strong>in</strong>gen gekommen war<strong>und</strong> wir am späten Samstagnachmittag bei herrlichem Abendsonnensche<strong>in</strong>im Garten ihres Nachbarn Werner Zorn noch e<strong>in</strong> GläschenWe<strong>in</strong> zusammen getrunken <strong>und</strong> über das Für <strong>und</strong> Wider e<strong>in</strong>er Bypass-Operationzur Behebung ihrer Herzprobleme gesprochen hatten,wusste ich, dass es um ihre Ges<strong>und</strong>heit ziemlich schlecht stand, obwohlsie nicht klagte. Und so beschlich mich denn auch gleich e<strong>in</strong>sehr mulmiges Gefühl, als Werner Zorn mich am Ostersonntag kurzvor 12 Uhr besorgt anrief, weil die Rollläden ihrer Wohnung nochimmer unten waren. Wir wohnten etwa drei Autom<strong>in</strong>uten entfernt,<strong>und</strong> als ich bei me<strong>in</strong>er Mutter e<strong>in</strong>traf, lag sie <strong>in</strong> ihrem Bett <strong>und</strong> warbeim Lesen der Zeitschrift Die Bunte friedlich e<strong>in</strong>geschlafen – fürimmer.Wegen der sehr bitteren Zeiten, die sie nach dem Krieg durchlebenmusste, war me<strong>in</strong>e Mutter natürlich mächtig stolz darauf, dass ausmir trotz des unrühmlichen Endes me<strong>in</strong>er Tätigkeit als Bauunternehmerdoch noch „etwas“ geworden war. Und da sie ihrer SchwesterElsa <strong>und</strong> deren Mann nie verzeihen konnte, was sie ihr e<strong>in</strong>st angetanhatten, war dieser Stolz auf ihre erzieherische Leistung um so größer,als deren ältester Sohn Josef ‚nur‘ Schre<strong>in</strong>er geworden war, <strong>und</strong> derzweitälteste Sohn Adolf ‚nur‘ Bauer. Dass der jüngste Sohn der FamilieFehrenbach, der 1949 geborene Nachzügler Franz, e<strong>in</strong>es Tagesmal Chef des Bosch-Konzerns werden sollte, war damals noch nichtabsehbar <strong>und</strong> konnte den wohlverdienten Seelenfrieden me<strong>in</strong>er gutenMutter nicht mehr stören. Erfreulicherweise erwies die Familie Fehrenbachihr trotz des irreparablen Zerwürfnisses am Grab die letzteEhre, sodass ich an jenem Tag auch die tiefsitzenden Ressentimentsbeerdigte, die ich selbst bis dah<strong>in</strong> gehegt hatte.Nachdem Ilse <strong>und</strong> ich aus dem Haus waren, arbeitete me<strong>in</strong>e Mutterab Mitte der 1960er Jahre als Stationsgehilf<strong>in</strong> im Krankenhaus derNachbargeme<strong>in</strong>de Herbolzheim <strong>und</strong> wäre im Mai 1982 <strong>in</strong> Rente gegangen,wenn sie ihn noch erlebt hätte. Ihr Lebensgefährte Karl Kaiser,der seit e<strong>in</strong>em Schlaganfall 1963 an Sprachstörungen <strong>und</strong> Läh-95


mungsersche<strong>in</strong>ungen litt, war schon im April 1977, zwei Tage nachme<strong>in</strong>er Abreise nach Nigeria, an e<strong>in</strong>em Herz<strong>in</strong>farkt gestorben.Me<strong>in</strong>e Schwester Ilse hatte nach der Volksschule zunächst die 3-jährigeHöhere Handelsschule <strong>in</strong> Emmend<strong>in</strong>gen besucht, brach sie abernach dem zweiten Jahr ab, weil sie sich zur Krankenschwester berufenfühlte. Nach dem Abschluss dieser Ausbildung hatte sie zunächste<strong>in</strong> Verhältnis mit e<strong>in</strong>em Lehrer aus dem Schwarzwald, der sie heiratenwollte. Dann lernte sie e<strong>in</strong>en Italiener namens Roberto Coppakennen, der als Autoelektriker beim Bosch-Dienst <strong>in</strong> Baden-Badenarbeitete <strong>und</strong> künstlerische Ambitionen hegte. Selbstverständlich hätteMutter es lieber gesehen, wenn Ilse den Lehrer geheiratet hätte,sodass es zu e<strong>in</strong>em temporären Zerwürfnis zwischen Mutter <strong>und</strong>Tochter kam, als sie sich für Roberto entschied. Nach der Geburt ihresersten K<strong>in</strong>des wanderten sie 1967 nach Australien aus, bekamen2 weitere K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> lebten bis 1976 hauptsächlich vom E<strong>in</strong>kommenaus Ilses Tätigkeit als Krankenschwester, weil Roberto als KunstmalerKarriere machen wollte. Im Januar 1977 kehrten sie wieder zurücknach Kenz<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> lebten weiterh<strong>in</strong> mehr schlecht als rechtvon Ilses Tätigkeit als Krankenschwester, während Roberto als Hausmannfungierte <strong>und</strong> den verkannten Künstler mimte.Elisabeth sollte eigentlich auch auf die Realschule, bestand aber leiderdie Aufnahmeprüfung nicht. Nach Abschluss der Volksschulemachte sie e<strong>in</strong>e kaufmännische Lehre <strong>in</strong> den Kaiser-Radio-Werken,arbeitete anschließend <strong>in</strong> Emmend<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zahnarztpraxis, heiratete1975 me<strong>in</strong>en ehemaligen Kommilitonen August Matheis <strong>und</strong>zog dann nach Buffenhofen bei Messkirch. <strong>Des</strong>sen Familie besaß e<strong>in</strong>modernes Sägewerk <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Straßenbaufirma, <strong>in</strong> der er als Juniorcheffungierte.Weil ich – im Gegensatz zu me<strong>in</strong>en beiden Schwestern – mit me<strong>in</strong>erMutter stets e<strong>in</strong>en respektvollen Umgang pflegte, herrschte zwischenuns auch stets e<strong>in</strong> gutes Verhältnis, während Ilse <strong>und</strong> Elisabeth leiderh<strong>in</strong> <strong>und</strong> wieder <strong>in</strong> heftigen Streit mit ihr gerieten.*96


Doch nun zurück zu <strong>Mannesmann</strong>: Leider erfüllten sich die vom Krisenteamgehegten Hoffnungen, die zuständigen <strong>Saudi</strong>s durch e<strong>in</strong>ebesonders e<strong>in</strong>drucksvolle Ausgestaltung der E<strong>in</strong>weihungsfeierlichkeitenfür das Riyadh Water Transmission System dazu veranlassenzu können, Gnade vor Recht walten zu lassen, nur teilweise – obwohlwir etwa fünf Millionen US-Dollar <strong>in</strong> dieses Fest <strong>in</strong>vestiert hatten.Zwar wurden alle Inhaftierten <strong>in</strong>nerhalb von sieben Monatenwieder freigelassen. Misslungen war jedoch das Bemühen der Krisenmanager,die drohende Aufnahme <strong>Mannesmann</strong>s <strong>in</strong> die SchwarzeListe zu verh<strong>in</strong>dern. Dies bedeutete, dass <strong>Mannesmann</strong> drei Jahrelang die Teilnahme am Wettbewerb um Aufträge <strong>in</strong> <strong>Saudi</strong>-<strong>Arabien</strong>verwehrt blieb. H<strong>in</strong>zu kam der Verlust von großen, schon sicher geglaubtenAnschlussaufträgen der SWCC, die an türkische Firmenvergeben wurden, die wir als Subunternehmer engagiert hatten. ZuverlässigenQuellen zufolge musste das Konsortium außerdem e<strong>in</strong>Bußgeld <strong>in</strong> Höhe von 100 Millionen US-Dollar entrichten.Was die saudischen Behörden so sehr erbost hatte, war weniger dieversuchte Steuerh<strong>in</strong>terziehung als die Tatsache, dass die führendenLeute dieses Steuerh<strong>in</strong>terziehungsprojekts sich erdreistet hatten, Falsifikatedes sogenannten Köngssiegels von <strong>Saudi</strong>-<strong>Arabien</strong> anfertigenzu lassen, um damit die gefälschten Zolldokumente abzustempeln<strong>und</strong> ihnen somit den Ansche<strong>in</strong> von Orig<strong>in</strong>alen zu vermitteln. Da dieseFalsifikate des saudischen Staatssiegels es außerdem ermöglichten,die sehr strengen Zollkontrollen <strong>in</strong> den saudischen Seehäfen zuumgehen <strong>und</strong> ganze Conta<strong>in</strong>er unkontrolliert <strong>in</strong>s Land zu br<strong>in</strong>gen,waren die saudischen Sicherheitsbehörden natürlich sehr daran <strong>in</strong>teressiert,diesen Fall bis <strong>in</strong>s Detail aufzuklären, um der Gefahr desSchmuggels von Waffen, Alkohol <strong>und</strong> Rauschgift <strong>in</strong> großem Stil vorzubeugen.Wie mir e<strong>in</strong>er der Inhaftierten später erzählte, war se<strong>in</strong>eFreilassung vor allem der Tatsache zu verdanken, dass er se<strong>in</strong> anfänglichesLügen nach der Androhung von Stockschlägen aufgegeben<strong>und</strong> schließlich die saudischen Behörden sogar dar<strong>in</strong> beraten hatte,wie sich diese Sicherheitslücke <strong>in</strong> den saudischen Seehäfenschließen ließ.97


Am 22. März 1983 hatte ich mit Horst Schreyger, der aufgr<strong>und</strong> se<strong>in</strong>esansonsten erfolgreichen Projektmanagements zum Leiter derHauptabteilung General Contract<strong>in</strong>g aufgestiegen war, <strong>in</strong> Düsseldorfe<strong>in</strong> längeres Vieraugengespräch. Da wir <strong>in</strong> <strong>Saudi</strong>-<strong>Arabien</strong> <strong>in</strong>zwischenauf der Schwarzen Liste standen <strong>und</strong> die SWCC sich bereits dafürentschieden hatte, die zur Ausführung anstehenden Projekte an unserebisherigen türkischen Subunternehmer Enka <strong>und</strong> Tekfen zu vergeben,sprach ich den zu befürchtenden Imageschaden an, falls deutscheMedien trotz der Nachrichtensperre über diese Begebenheiten<strong>und</strong> ihre üblen Folgen berichten sollten. Hierauf erwiderte Schreyger,dass die Konzernleitung aufgr<strong>und</strong> von Berichten <strong>in</strong> französischenMedien über die Entsorgung der Seveso-Giftfässer durch e<strong>in</strong> italienischesTochterunternehmen des Konzerns momentan noch weitausgrößere Sorgen hätte. Und da er sich se<strong>in</strong>erseits sehr besorgt um unserenguten Ruf zeigte, falls die Wahrheit über die Art <strong>und</strong> Weise derEntsorgung dieser Giftfässer publik werden sollte, bezweifelte ichnun die Wirksamkeit der Nachrichtensperre, falls beispielsweise derSpiegel Informationen über die Ursache <strong>und</strong> Dimension unseres Fiaskos<strong>in</strong> <strong>Saudi</strong>-<strong>Arabien</strong> erhalten sollte.Zur Beseitigung me<strong>in</strong>er diesbezüglichen Zweifel wies Schreygermich darauf h<strong>in</strong>, dass e<strong>in</strong>e Missachtung dieser Nachrichtensperre e<strong>in</strong>schwerwiegender Verstoß gegen den Ehrenkodex im deutschenMedienwesen wäre <strong>und</strong> für den Spiegel sehr schmerzhafte E<strong>in</strong>bußenim Anzeigenaufkommen zur Folge haben würde. Daraufh<strong>in</strong> gab ichzu bedenken, dass der Spiegel doch wohl kaum auf die E<strong>in</strong>nahmenaus unseren Anzeigen angewiesen wäre <strong>und</strong> außerdem Pressefreiheitherrschte. In Erwiderung auf diese Bedenken klärte Schreyger michnun darüber auf, dass selbstverständlich nicht nur das Anzeigenaufkommendes <strong>Mannesmann</strong>-Konzerns zur Disposition stünde, sonderndas des gesamten Werbepools der sogenannten Deutschland AG, demaußer <strong>Mannesmann</strong> <strong>und</strong> der Deutschen Bank auch andere Flaggschiffeder Sozialen Marktwirtschaft wie Daimler Benz, Siemens, Bosch,BASF <strong>und</strong> die Allianz angehörten.98


Da somit <strong>in</strong> der Tat nicht zu befürchten war, dass der Spiegel oderandere Pr<strong>in</strong>tmedien, die auf E<strong>in</strong>nahmen aus der Anzeigenwerbungvon Mitgliedern der Deutschland AG angewiesen waren, über denFall berichten würden, <strong>und</strong> ich außerdem davon ausg<strong>in</strong>g, dass dasB<strong>und</strong>eskanzleramt gute Gründe für die Verhängung dieser Nachrichtensperrehatte, konnte ich me<strong>in</strong>e leisen Befürchtungen um den Verlustme<strong>in</strong>es Arbeitsplatzes also getrost vergessen. Über die enormedemokratische Relevanz dieser Art von Medienkontrolle <strong>und</strong> Konspirationmachte ich mir damals noch ke<strong>in</strong>e Gedanken.*Weil wegen des Fiaskos <strong>in</strong> <strong>Saudi</strong>-<strong>Arabien</strong> weit <strong>und</strong> breit ke<strong>in</strong> Projekt<strong>in</strong> Sicht war, bei dem ich zum E<strong>in</strong>satz kommen konnte, bat ich zumAbschluss dieses Gespräches darum, mir bis Dezember unbezahltenUrlaub zu gewähren, um es mir ermöglichen, e<strong>in</strong>es der mir e<strong>in</strong>st vonTante Liesel „geschenkten“ Gr<strong>und</strong>stücke, aus dem <strong>in</strong>zwischen Baulandgeworden war, mit zwei Reihenhäusern zu bebauen.Außerdem verspürte ich damals große Lust, mal wieder e<strong>in</strong>ige Monateam Stück im herrlichen Breisgau zu verbr<strong>in</strong>gen – zumal ich mir99


im Frühjahr 1982 e<strong>in</strong> flottes Motorrad (die damals brandneue MotoGuzzi Le Mans III mit 76 PS) gegönnt hatte, das natürlich noch sehrviel mehr Spaß machte als die famose Bella von Zündapp, mit derich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>en jungen Jahren 1964/65 die Gegend verunsichert hatte.Da me<strong>in</strong>e Bitte wegen des akuten Auftragsmangels nicht ungelegenkam, gewährte Horst Schreyger mir den unbezahlten Urlaub unterder Bed<strong>in</strong>gung, dass ich im Bedarfsfall für kurzzeitige E<strong>in</strong>sätze zurVerfügung stehen würde. In der Hoffnung, dass dieser Fall wegen dervielen Ingenieure <strong>und</strong> Bauleiter, die aufgr<strong>und</strong> des Fiaskos <strong>in</strong> <strong>Saudi</strong>-<strong>Arabien</strong> für neue Aufgaben zur Verfügung standen, nicht e<strong>in</strong>tretenwürde, akzeptierte ich diese Bed<strong>in</strong>gung ohne jedes Wenn <strong>und</strong> Aber<strong>und</strong> erstellte umgehend das Baugesuch. Weil ich als Architekt, Statiker<strong>und</strong> Bauherr <strong>in</strong> Personalunion fungierte <strong>und</strong> sowohl dem Kreisalsauch dem Stadtbaumeister persönlich bekannt war, erhielt ichschon wenige Tage nach E<strong>in</strong>reichung des Baugesuchs die Genehmigung<strong>und</strong> begann noch im April mit den Bauarbeiten. Als Gehilfenbeschäftigte ich zunächst drei arbeitslose Bauhandwerker aus Kenz<strong>in</strong>gen<strong>und</strong> drei Freigänger aus der örtlichen Justizvollzugsanstalt.Ende April, als bereits die ersten Kellerwände betoniert waren, erhieltich zu me<strong>in</strong>er unangenehmen Überraschung e<strong>in</strong>en Anruf vonHorst Schreyger <strong>und</strong> wurde mit der Ausarbeitung e<strong>in</strong>es Angebots fürden Bau e<strong>in</strong>er knapp 400 Kilometer langen Pipel<strong>in</strong>e zur Versorgunge<strong>in</strong>es Kraftwerks bei Lagos mit Gas aus dem Nigerdelta beauftragt.Um die örtlichen Gegebenheiten zu erk<strong>und</strong>en, war es unumgänglich,mich Anfang Mai auf e<strong>in</strong>e zehntägige Nigeria-Reise zu begeben, sodasssich me<strong>in</strong>e Gatt<strong>in</strong> solange um die Baustelle kümmern musste.Wie vielen anderen Menschen, so blutete selbstverständlich auch mirdas Herz wegen des extrem rücksichtslosen Umgangs mit den Belangender örtlichen Bevölkerung <strong>und</strong> der Natur <strong>in</strong> der Region zwischenLagos <strong>und</strong> Warry. Als wir den Hafen von Koko <strong>in</strong> der Nähe von Ben<strong>in</strong>City besichtigten, über den wir unsere Röhren <strong>und</strong> Baumasch<strong>in</strong>enimportieren wollten, hätte ich sogar am liebsten laut geflucht, als ichdort große Mengen an Industrieabfällen vorfand, die skrupellose europäischeMüllentsorger wohl <strong>in</strong> Komplizenschaft mit nicht m<strong>in</strong>der100


skrupellosen e<strong>in</strong>heimischen Geschäftemachern dorth<strong>in</strong> verfrachtethatten <strong>und</strong> die nun <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ansonsten paradiesischen Natur vor sichh<strong>in</strong> rotteten.Nach der Rückkehr von dieser Trassenbesichtigunghatte ich noch e<strong>in</strong>igeTage <strong>in</strong> Düsseldorf zu tun <strong>und</strong> lerntee<strong>in</strong>es Abends im „Rustica“, e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>enOldie-Disko <strong>in</strong> der Altstadt, dieFrau me<strong>in</strong>es Lebens kennen. Sie hießSigrid <strong>und</strong> war mit zwei Fre<strong>und</strong><strong>in</strong>nenunterwegs. Ich saß alle<strong>in</strong> am Tresen<strong>und</strong> hatte gehofft, e<strong>in</strong>e nette Bekanntschaftmachen zu können. Kurz nachdemdie drei Grazien Platz genommenhatten, legte der Diskjockey e<strong>in</strong> Stückvon Roger Whittaker auf <strong>und</strong> ich holte sie zum Tanz. Nach zehn Sek<strong>und</strong>enwar alles klar. Wir ließen ke<strong>in</strong>en Tanz mehr aus <strong>und</strong> blieben,bis der Laden zumachte. Sie stammte aus Mönchengladbach <strong>und</strong> wargeschieden – <strong>und</strong> me<strong>in</strong>e Ehe war schon seit langem scheidungsreif.Am nächsten Abend trafen wir uns wieder <strong>und</strong> schmiedeten bereitsPläne für e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Zukunft. Me<strong>in</strong> Bauvorhaben <strong>in</strong> Kenz<strong>in</strong>genwar zwischenzeitlich bis zur Kellerdecke gediehen. Wären wiruns e<strong>in</strong>ige Wochen früher begegnet, hätte ich es selbstverständlichnicht mehr begonnen. Da Sigrid Verständnis dafür hatte, dass ichnicht alles stehen <strong>und</strong> liegen lassen konnte, war sie damit e<strong>in</strong>verstanden,dass me<strong>in</strong>e Nochgatt<strong>in</strong> nichts von unserer Beziehung mitbekommensollte, bis das Dach e<strong>in</strong>gedeckt war.Im Juni 1983 musste ich wegen des Pipel<strong>in</strong>eprojekts e<strong>in</strong> zweites Malnach Nigeria reisen. Danach stellte sich heraus, dass die Vergabe diesesAuftrags wegen F<strong>in</strong>anzierungsproblemen verschoben werdenmusste. Im August schickte mich Schreyger zur Trassenbesichtigung<strong>in</strong> den Nordjemen, wo e<strong>in</strong>e Pipel<strong>in</strong>e für Benz<strong>in</strong>, Dieselöl <strong>und</strong> Keros<strong>in</strong>vom Roten Meer nach Sanaa gebaut werden sollte. Im Septemberwar ich e<strong>in</strong> zweites Mal für zwei Wochen im Jemen, aber auch hier101


stellten sich unlösbare F<strong>in</strong>anzierungsprobleme e<strong>in</strong>. Zwar war ich wegenme<strong>in</strong>es privaten Bauvorhabens <strong>und</strong> der häufigen Geschäftsreisensehr stark ausgelastet, aber irgendwie gelang es mir trotzdem, sowohlSigrids als auch Schreygers Erwartungen gerecht zu werden.Am Samstag den 29. Oktober 1983, kurz vor Fertigstellung des Rohbaus,filzte me<strong>in</strong>e wohl misstrauisch gewordene Gemahl<strong>in</strong> me<strong>in</strong>enAktenkoffer <strong>und</strong> entdeckte so e<strong>in</strong> schönes Foto von Sigrid <strong>und</strong> mir,das während e<strong>in</strong>es Ausflugs auf der berühmten Karlsbrücke <strong>in</strong> Pragaufgenommen worden war. Als ich kurz vor 11 Uhr von der Baustellenach Hause kam, konfrontierte sie mich <strong>in</strong> Gegenwart des elfjährigenAlexanders mit diesem eigentlich völlig unverfänglichen Foto<strong>und</strong> wollte wissen, was das zu bedeuten hätte. Total überrascht <strong>und</strong>ziemlich verlegen, aber auch sehr erbost darüber, dass sie das Zahlenschlossme<strong>in</strong>es Aktenkoffers geknackt hatte, stellte ich die Gegenfrage,ob sie nichts Besseres zu tun hätte, als <strong>in</strong> me<strong>in</strong>en Sachen herumzukramen.Zu ihrer Verteidigung verwies sie auf Alexander, derangeblich aus Langeweile am Zahlenschloss herumgespielt <strong>und</strong> ihrdann dieses Foto gegeben hätte.Obwohl wir uns schon seit e<strong>in</strong>igen Jahren komplett ause<strong>in</strong>ander gelebthatten, mimte sie vor dem K<strong>in</strong>d nun die schmählich betrogeneMutter <strong>und</strong> forderte mich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Gegenwart zur Beichte auf. Alsich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er großen Verlegenheit spontan erwiderte, dass es nichtszu beichten gäbe, verlangte sie von mir, sofort auszuziehen, weil sieso nicht weiter leben wollte. Zwischen dem Moment, da sie mich mitdiesem Foto konfrontierte <strong>und</strong> der Aufforderung zum Auszug lagenallenfalls zwei M<strong>in</strong>uten. Zugetragen hat sich diese pe<strong>in</strong>liche Begebenheit<strong>in</strong> unserem Schlafzimmer. Offenk<strong>und</strong>ig hatte also auch siesich bereits mit Scheidungsgedanken befasst <strong>und</strong> nutzte diese Gelegenheit,um mir <strong>in</strong> Gegenwart Alexanders die Schuld am Scheiternunserer Ehe zuzuschieben.Selbstverständlich akzeptierte die Aufforderung zum Auszug auf derStelle, legte den Koffer auf das Bett, öffnete ihn <strong>und</strong> begann Wäschee<strong>in</strong>zupacken. Daraufh<strong>in</strong> klappte sie den Kofferdeckel zu, sagte:„Halt, so e<strong>in</strong>fach geht das nicht!“, <strong>und</strong> wollte von mir wissen, wie102


viel Unterhalt ich zu zahlen bereit wäre. Da ich mir hierüber schonlängst Gedanken gemacht hatte <strong>und</strong> wollte, dass es ihr <strong>und</strong> somitauch beiden K<strong>in</strong>dern nach der Scheidung an nichts fehlen sollte, botich spontan 3 000 Mark pro Monat für sie <strong>und</strong> die K<strong>in</strong>der an.Dieses Angebot entsprach <strong>in</strong> etwa den Kosten, die wir zur Bestreitungunserer fraglos achtbaren Lebensführung samt aller Nebenausgabengebraucht hatten. Nachdem ich diesen Betrag genannt hatte,erklärte sie sich prompt mit me<strong>in</strong>em Auszug e<strong>in</strong>verstanden, klappteden Kofferdeckel wieder auf <strong>und</strong> fuhr anschließend mit den K<strong>in</strong>dernfür zwei Tage zu me<strong>in</strong>er Schwester Elisabeth nach Messkirch, wo siedie bitter enttäuschte Schwäger<strong>in</strong> mimte – während ich umgehendme<strong>in</strong>e Sachen packte <strong>und</strong> schon drei Tage später bei Sigrid e<strong>in</strong>zog.Als ich Elisabeth e<strong>in</strong>ige Wochen später besuchte, um Sigrid mit me<strong>in</strong>erVerwandtschaft bekannt zu machen, zeigte sie, wie erwartet, vollesVerständnis für me<strong>in</strong> Verhalten, weil auch sie Sigrid sehr sympathischfand.Da die beiden K<strong>in</strong>der – Volker war <strong>in</strong>zwischen zwölf – bis dah<strong>in</strong>nichts davon mitbekommen hatten, dass unsere Ehe eigentlich schonlängst scheidungsreif war, war ihre Enttäuschung natürlich groß, alsich auszog. Außer me<strong>in</strong>en persönlichen D<strong>in</strong>gen nahm ich nur jeneSachen mit, die von me<strong>in</strong>er Mutter <strong>und</strong> Herrn Kaiser stammten. Obwohlsich zunächst e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>vernehmliche Trennung abzeichnete, entwickeltesich das Scheidungsverfahren jedoch zu e<strong>in</strong>er dermaßen üblenAngelegenheit, dass ich es später sehr bereute, die Scheidung derK<strong>in</strong>der wegen so lange vor mir hergeschoben zu haben.Wohl im Bestreben, ihre Vorstellungen von e<strong>in</strong>em bequemen Lebenauf me<strong>in</strong>e Kosten zu verwirklichen, versuchte me<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>gebildeteExgemahl<strong>in</strong> nämlich schon bald, gerichtlich r<strong>und</strong> 6 000 Mark an monatlichemUnterhalt für sich <strong>und</strong> die K<strong>in</strong>der zu erstreiten. Weil dasnicht klappte, mimte sie fortan die bedauernswerte Hausfrau <strong>und</strong> opferbereiteMutter, die angeblich die besten Jahre ihres Lebens dafürh<strong>in</strong>gegeben hätte, damit ich Karriere machen konnte – <strong>und</strong> das, obwohlsie stets sehr glücklich darüber gewesen war, dass sie schon seit1972 nicht mehr als Friseuse zu arbeiten brauchte.103


*Während ich für <strong>Mannesmann</strong> arbeitete, suchten wagemutige Geologen<strong>und</strong> Ingenieure des US-Konzerns Occidental Petroleum imsumpfigen Flachland der Llanos del Or<strong>in</strong>oco <strong>in</strong> <strong>Kolumbien</strong> nachErdöl <strong>und</strong> entdeckten im Sommer 1983 <strong>in</strong> der Prov<strong>in</strong>z Arauca amCaño Limón e<strong>in</strong> sehr großes Vorkommen. Da <strong>Mannesmann</strong> wegendes Fiaskos <strong>in</strong> <strong>Saudi</strong>-<strong>Arabien</strong> unbed<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>en großen Pipel<strong>in</strong>e-Auftragbrauchte, um dem selbstverschuldeten Zwang zur Entlassunghervorragender Fachleute zu entkommen, setzte sich der damaligeVorstandssprecher der Deutschen Bank, Herr Dr. F. Wilhelm Christians,der zugleich als Chef des Aufsichtsrats der <strong>Mannesmann</strong> AGfungierte, beim schon hoch betagten Chef von Occidental Petroleum,dem legendären Dr. Armand Hammer, dafür e<strong>in</strong>, dass der Auftrag fürden Bau der benötigten Pipel<strong>in</strong>e über die Anden freihändig, alsoohne zeitraubendes Ausschreibungsverfahren, an <strong>Mannesmann</strong> vergebenwird. Weil sowohl Dr. Hammer als auch die staatliche kolumbianischeÖlgesellschaft Ecopetrol <strong>und</strong> die dortige Regierung davonüberzeugt waren, dass <strong>Mannesmann</strong> über die erforderliche Kompetenz<strong>und</strong> Kapazität verfügt, um die geplante Inbetriebnahme dieserPipel<strong>in</strong>e am 7. Dezember 1985 gewährleisten zu können, wurde<strong>Mannesmann</strong> im November 1983 als e<strong>in</strong>ziges Unternehmen zur Ausarbeitunge<strong>in</strong>es Preisangebots aufgefordert. Damals konnten sich alsonicht nur viele Bürger <strong>Kolumbien</strong>s fraglos berechtigte Hoffnungenauf e<strong>in</strong>e nachhaltige Verbesserung ihrer Existenzbed<strong>in</strong>gungen machen.Auch zahlreiche Mitarbeiter der <strong>Mannesmann</strong> Anlagenbau AGkonnten dank der Entdeckung dieses gigantischen Bodenschatzesnun wieder hoffen, dass der wegen des Fiaskos <strong>in</strong> <strong>Saudi</strong>-<strong>Arabien</strong>drohende Verlust ihrer Arbeitsplätze doch noch abzuwenden war.Als die frohe Botschaft e<strong>in</strong>traf, dass der Auftrag für den Bau dieserPipel<strong>in</strong>e freihändig an <strong>Mannesmann</strong> vergeben werden sollte, bearbeiteteich gerade e<strong>in</strong> Angebot für e<strong>in</strong> Gaspipel<strong>in</strong>eprojekt im Iran, dessenAngebotssumme sich auf 800 Millionen US-Dollar belief. Sokam es, dass Horst Schreyger me<strong>in</strong>en Kollegen Hajo Hesmert damitbeauftragte, den Masch<strong>in</strong>en-, Material- <strong>und</strong> Personalbedarf für den104


Bau der <strong>Kolumbien</strong>-Pipel<strong>in</strong>e zu ermitteln. Hesmert war e<strong>in</strong> studierterMasch<strong>in</strong>enbauer im Alter von etwa 45 Jahren, arbeitete seit dem Abschlussse<strong>in</strong>es Studiums für <strong>Mannesmann</strong> <strong>und</strong> fungierte außerdem alsMitglied des Betriebsrats.Im Januar 1984 stellte sich heraus, dass der Bau der Gaspipel<strong>in</strong>e imIran wegen des Kriegs mit dem Irak auf unbestimmte Zeit verschobenwerden musste. Daraufh<strong>in</strong> beauftragte mich Schreyger mit derTrassenbesichtigung <strong>und</strong> der Bearbeitung e<strong>in</strong>es Angebots für e<strong>in</strong>eGaspipel<strong>in</strong>e <strong>in</strong> Tunesien, die im H<strong>in</strong>terland der Küste von Tunis bisGabes <strong>und</strong> von dort etwa 180 Kilometer <strong>in</strong>s Landes<strong>in</strong>nere verlief. ImApril schickte er mich für zwei Wochen <strong>in</strong>s Emirat Qatar <strong>und</strong> AnfangMai wurde mir die Ausarbeitung e<strong>in</strong>es Angebots für e<strong>in</strong> Bewässerungsprojekt<strong>in</strong> Ägypten übertragen. Zwar war ich <strong>in</strong> <strong>Saudi</strong>-<strong>Arabien</strong>„nur“ für den Bau der Pumpstationen <strong>und</strong> des High-Po<strong>in</strong>t-Term<strong>in</strong>alszuständig gewesen. Da ich jedoch über zwei Jahre h<strong>in</strong>weg praktischtäglich sehr genau beobachtet hatte, worauf es beim Bau von Pipel<strong>in</strong>esankommt, waren mir alle relevanten Besonderheiten bestens vertraut.Um die örtlichen Gegebenheiten <strong>und</strong> lokalen Ressourcen <strong>in</strong> <strong>Kolumbien</strong>zu erk<strong>und</strong>en, hatte Hesmert sich im Januar auf e<strong>in</strong>e vierwöchige<strong>Kolumbien</strong>reise begeben. Nach dieser Reise <strong>und</strong> über zweimonatigenStudien, Planungen <strong>und</strong> Kalkulationen waren er <strong>und</strong> se<strong>in</strong> Team AnfangApril 1984 zum unumstößlichen Schluss gekommen, dass es unmöglichwäre, diese Pipel<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nerhalb des e<strong>in</strong>geräumten Zeitraumsfertigzustellen. Vom Caño Limón <strong>in</strong> den Llanos del Or<strong>in</strong>oco auf e<strong>in</strong>emNiveau von etwa 300 Meter über dem Meer bis an den Fuß derAnden waren zahlreiche Sumpfstrecken zu bewältigen. In den Andenwaren drei Pässe auf 1 700, 2 200 <strong>und</strong> 2 700 Meter Höhe zu überw<strong>in</strong>den<strong>und</strong> elf Hängebrücken zur Überquerung tiefer Schluchten zubauen. Auf den letzten 30 Kilometern lag das Terra<strong>in</strong> wieder etwa300 Meter über dem Meer. <strong>Des</strong> Weiteren musste auf e<strong>in</strong>er Streckevon <strong>in</strong>sgesamt etwa 50 Kilometern dichter Dschungel gerodet werden.Zwar hatte diese Pipel<strong>in</strong>e nur e<strong>in</strong>en Durchmesser von 50 Zentimetern<strong>und</strong> war <strong>in</strong>sgesamt auch nur 300 Kilometer lang, aber trotz105


des geplanten E<strong>in</strong>satzes von <strong>in</strong>sgesamt 2 500 Mann hielten Hesmert<strong>und</strong> se<strong>in</strong> Team es aufgr<strong>und</strong> der genannten Schwierigkeiten für erforderlich,die ursprünglich vorgesehene Bauzeit um e<strong>in</strong> volles Jahr zuverlängern.Nachdem Hesmert Schreyger von der Notwendigkeit dieser Bauzeitverlängerungüberzeugt hatte, wurde ab April 1984 versucht, auchdie zuständigen Leute von Occidental Petroleum zu überzeugen, damitder Vertrag für den Bau dieser Pipel<strong>in</strong>e endlich unter Dach <strong>und</strong>Fach gebracht werden konnte, um die wegen des Fiaskos <strong>in</strong> <strong>Saudi</strong>-<strong>Arabien</strong> zwischenzeitlich höchst prekär gewordene Auftragslücke zuschließen. Obwohl ich <strong>in</strong> derselben Hauptabteilung arbeitete, bekamich von diesen Überzeugungsversuchen jedoch nur relativ wenig mit.*Inzwischen hatte ich mich <strong>in</strong> Mönchengladbach gut e<strong>in</strong>gelebt. Sigrid<strong>und</strong> ich bewohnten das Erdgeschoss im Haus ihrer noch kernges<strong>und</strong>en70-jährigen Mutter, das 1956 gebaut <strong>und</strong> 1981 mit großem Aufwanderweitert <strong>und</strong> renoviert worden war. Sigrids Mutter bewohntedas Obergeschoss <strong>und</strong> imDachgeschoss logierte Sigridsneunzehnjährige Tochter, die1984 das Abitur machte.Sigrids Vater hatte schon vordem Krieg e<strong>in</strong> Reisebüro betrieben,das er zu Kriegsbeg<strong>in</strong>njedoch schließen musste. Nachdessen Wiedereröffnung entwickeltees sich rasch zum führendenReisebüro von Mönchengladbachmit etwa 20 Angestellten. Bevor ihr Vater Ende 1968nach vierjähriger Krankheit gestorben ist, hatte er die Firma <strong>in</strong> e<strong>in</strong>eKG umgewandelt <strong>und</strong> 25 Prozent der Geschäftsanteile e<strong>in</strong>em leitendenAngestellten übertragen, der fortan als geschäftsführender Gesellschafterfungierte. Nach Erreichen des Pensionsalters mussten dieGeschäftsanteile an die Familie zurückgegeben werden.106


Zu dieser Regelung war es gekommen, weil Sigrid zwar e<strong>in</strong>e Lehreals Reisebürokauffrau absolviert hatte, aber nach Me<strong>in</strong>ung ihres Vatersnicht als Geschäftsführer<strong>in</strong> geeignet war. Sie selbst g<strong>in</strong>g nurhalbtags <strong>in</strong>s Büro. Da die Reisebranche schon seit Mitte der 1950erJahre boomte <strong>und</strong> die Firma über viele Jahre h<strong>in</strong>weg sehr gut geführtwurde, hatte sich diese Regelung jedoch bestens bewährt, sodass dieFamilie f<strong>in</strong>anziell ziemlich gut situiert war. Ihre Tochter hatte sichdafür entschieden, nach dem Abitur ebenfalls e<strong>in</strong>e Lehre als Reisebürokauffrauzu machen, um die Firma e<strong>in</strong>es Tages übernehmen <strong>und</strong>führen zu können. Sigrid war also jederzeit problemlos abkömmlich<strong>und</strong> freute sich darauf, mich bald auf e<strong>in</strong>em Auslandse<strong>in</strong>satz begleitenzu können. H<strong>in</strong> <strong>und</strong> wieder meckerte sie zwar, weil ich <strong>in</strong> jenenMonaten e<strong>in</strong> sehr großes Arbeitspensum zu bewältigen hatte. Allerd<strong>in</strong>gshielt sich dieses Gemecker <strong>in</strong> erträglichen Grenzen.Da ich für ihre Reklamationen durchaus Verständnis hatte <strong>und</strong> dieBearbeitung des Angebots für das Bewässerungsprojekt e<strong>in</strong>e vierzehntägigeÄgyptenreise zur Erk<strong>und</strong>ung der örtlichen Gegebenheitenerforderte, wies ich Horst Schreyger darauf h<strong>in</strong>, dass me<strong>in</strong>e neue Lebensgefährt<strong>in</strong>sich darüber beklagte, dass ich so wenig Zeit für siehatte <strong>und</strong> erbat se<strong>in</strong>e Zustimmung, dass sie mich auf dieser Ägyptenreisebegleiten konnte. Unter der Bed<strong>in</strong>gung, dass hierdurch ke<strong>in</strong>eKosten für <strong>Mannesmann</strong> entstünden, stimmte Schreyger me<strong>in</strong>er Bitteverständnisvoll zu, <strong>und</strong> so flogen wir am Donnerstag, dem 11. Mai1984, geme<strong>in</strong>sam nach Kairo, quartierten uns im Hotel Ramses-Hiltone<strong>in</strong> <strong>und</strong> freuten uns auf die kommenden zwei Wochen. Das Projektwurde von der Weltbank f<strong>in</strong>anziert <strong>und</strong> sollte auf etwa halberStrecke zwischen Kairo <strong>und</strong> Luxor gebaut werden.Noch am Donnerstagnachmittag besuchten wir den Repräsentantendes Baukonzerns Hochtief <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Büro <strong>in</strong> der Innenstadt – e<strong>in</strong>enetwa 80-jährigen Deutschen, der schon seit vielen Jahren <strong>in</strong> Kairolebte <strong>und</strong> mir von Schreyger als Ratgeber empfohlen worden war.Danach bummelten wir zwei St<strong>und</strong>en lang durch das <strong>in</strong>nerstädtischeMenschengewimmel. Abends lernten wir im Hotel e<strong>in</strong>ige Leute ausBayern kennen, die sich um den Auftrag für den Neubau e<strong>in</strong>er Eisen-107


ahnstrecke von Kairo nach Alexandria bemühten, <strong>und</strong> verbrachtenmit ihnen e<strong>in</strong>ige sehr unterhaltsame St<strong>und</strong>en. Am Freitag besichtigtenwir nach e<strong>in</strong>em ausgiebigen Frühstück die Pyramiden von Gizeh<strong>und</strong> absolvierten den obligatorischen Kamelritt.Am Samstagmorgen g<strong>in</strong>g ich <strong>in</strong>s Landwirtschaftsm<strong>in</strong>isterium, umdie 12 500 US-Dollar teuren Ausschreibungsunterlagen abzuholen<strong>und</strong> am Prebid-Meet<strong>in</strong>g teilzunehmen. Da Sigrid sich nicht wohlfühlte, war sie im Hotel geblieben. Um mir e<strong>in</strong>en Überblick über unsereKonkurrenz zu verschaffen, hatte ich dem Beamten e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>esBakshish gegeben, um die Liste der Firmen durchsehen zu können,die bereits die Angebotsunterlagen abgeholt hatten. Insgesamt warenes 65 Firmen, davon zwei aus Deutschland, e<strong>in</strong>e aus Frankreich,zwei aus Italien, e<strong>in</strong>ige aus Griechenland, mehrere aus der Türkei<strong>und</strong> dem Libanon, die meisten aus Ägypten selbst. Da das Projekt <strong>in</strong>technischer H<strong>in</strong>sicht ke<strong>in</strong>e besondere Herausforderung darstellte,standen unsere Chancen, die Ausschreibung zu gew<strong>in</strong>nen, folglichziemlich schlecht.Während des fast schon chaotischen Prebid-Meet<strong>in</strong>gs g<strong>in</strong>g ich so nebenherdie ziemlich dürftigen Ausschreibungsunterlagen durch <strong>und</strong>kam nach etwa zwei St<strong>und</strong>en zum Schluss, dass ich hier auf derfalschen Veranstaltung war. Wäre es nicht Samstag gewesen, hätteich Schreyger umgehend angerufen, um ihm mitzuteilen, dass ichschon am Mittwoch wieder zurückkäme.Wie erwartet, hatte Sigrid zunächst absolut ke<strong>in</strong> Verständnis für me<strong>in</strong>eEntscheidung, diese Geschäftsreise aufgr<strong>und</strong> der extrem ger<strong>in</strong>genErfolgsaussichten vorzeitig abzubrechen. Um sie zu besänftigen, hatteich mir deshalb bereits auf der Taxifahrt <strong>in</strong>s Hotel vorgenommen,ihr vorzuschlagen, vor unserer Rückreise noch e<strong>in</strong>en Abstecher nachLuxor zu machen <strong>und</strong> erst am Dienstag wieder nach Deutschland zurückzufliegen.Nach e<strong>in</strong>igem Gezeter stimmte sie schließlich zu, <strong>und</strong>so g<strong>in</strong>gen wir kurz vor 13 Uhr zur Rezeption, um den Concierge zubitten, uns bei der Buchung des Fluges <strong>und</strong> Hotels <strong>in</strong> Luxor behilflichzu se<strong>in</strong>. Zwar war der 15-Uhr-Flug ausgebucht, aber dennochgelang es ihm, uns noch zwei Plätze zu ergattern.108


Um 16:30 Uhr checkten wir bereits <strong>in</strong> unserem Hotel <strong>in</strong> Luxor e<strong>in</strong>,<strong>und</strong> 30 M<strong>in</strong>uten später kutschierte uns e<strong>in</strong>e Pferdedroschke <strong>in</strong> leichtemTrab über die grandiose Palmenpromenade entlang des Nils biszum Tempel von Luxor. Dort machten wir kehrt <strong>und</strong> ließen uns biszum Tempel von Karnak kutschieren, den wir kurz vor E<strong>in</strong>bruch derDunkelheit erreichten. Hier ließen wir den Kutscher etwas auf unswarten, um e<strong>in</strong>en ersten R<strong>und</strong>gang durch die phänomenale Säulenhalledieses Weltw<strong>und</strong>ers zu machen. Am Sonntagmorgen besuchtenwir den Tempel der Hatschepsut <strong>und</strong> das Tal der Könige, wo wir dieprachtvoll ausgemalten Gräber der Pharaonen Sethos <strong>und</strong> Tutenchamunbesichtigten. Nachmittags g<strong>in</strong>gen wir noch e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> den Tempelvon Karnak <strong>und</strong> bestaunten dieses zentrale Heiligtum der altenÄgypter etwa zwei St<strong>und</strong>en lang <strong>in</strong> aller Ruhe. Um 19 Uhr flogenwir wieder zurück nach Kairo.Noch immer zutiefst bee<strong>in</strong>druckt von dem, was wir <strong>in</strong> den vergangenen27 St<strong>und</strong>en alles gesehen hatten, <strong>und</strong> sehr ermattet von diesemBesichtigungsmarathon, standen wir am Gepäckband <strong>in</strong> der Ankunftshalledes Flughafens <strong>und</strong> warteten auf unsere Koffer – als ichplötzlich e<strong>in</strong>en älteren Mann im Kaftan erblickte, der durch die Ankunftshallespazierte <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e ziemlich große Tafel mit der AufschriftMR. ZIPFEL vor sich her trug. Da er ke<strong>in</strong> Englisch sprach, übergaber mir wortlos e<strong>in</strong>en Zettel, auf dem e<strong>in</strong>e mir unbekannte Telefonnummer<strong>in</strong> Düsseldorf geschrieben stand, die ich sofort anrufen sollte.Kurz vor 21 Uhr waren wir wieder im Ramses-Hilton <strong>und</strong> als ichdie Nummer anrief, meldete sich Horst Schreyger am anderen Ende.Weil man uns doch noch rechtzeitig aufgespürt hatte, begrüßte ermich mit e<strong>in</strong>em lauten Stoßseufzer der Erleichterung. Ohne mir auchnur den Hauch e<strong>in</strong>er Chance zu lassen, ihn über me<strong>in</strong>e Entscheidungzur vorzeitigen Rückkehr zu <strong>in</strong>formieren, wies er mich an, me<strong>in</strong>eReise sofort abzubrechen, mit der nächsten Masch<strong>in</strong>e der Lufthansavia Frankfurt nach Düsseldorf zu fliegen <strong>und</strong> morgen um 14 Uhr <strong>in</strong>se<strong>in</strong> Büro zu kommen. Den Flug für mich <strong>und</strong> Sigrid hatte er bereitsbuchen lassen. Wie er mir <strong>in</strong> dem e<strong>in</strong>stündigen Telefonat erzählte,war <strong>in</strong> den vergangenen vier Wochen folgendes passiert:109


Herr B. Larsen, der für den Bau der Pipel<strong>in</strong>e zuständige Managervon Occidental Petroleum, hatte sich strikt geweigert, uns die vonHajo Hesmert als unabd<strong>in</strong>gbar erachtete Bauzeitverlängerung um e<strong>in</strong>volles Jahr zu gewähren. Nachdem se<strong>in</strong>e <strong>und</strong> Hesmerts Überzeugungsversucheerfolglos geblieben waren, habe es Kurt Schwarzbach,der Chef der <strong>Mannesmann</strong> Anlagenbau AG, versucht. Weilauch dessen Bemühungen nicht fruchteten, habe sich Dr. Franz Weisweiler(der im Mai 1983 den bisherigen Vorstandschef Dr. Overbeckabgelöst hatte) an den mittlerweile schon 86 Jahre alten Dr. ArmandHammer gewandt <strong>und</strong> sich bei ihm über den etwa 65 Jahre alten B.Larsen beschwert, weil er die weltweit anerkannte Kompetenz derPipel<strong>in</strong>ebauer <strong>Mannesmann</strong>s <strong>in</strong> Frage stellte. Und nachdem Dr. Hammersich geweigert habe, sich <strong>in</strong> Larsens Verantwortungsbereich e<strong>in</strong>zumischen,habe Dr. Weisweiler schließlich Herrn Dr. F. WilhelmChristians <strong>in</strong> dessen Eigenschaften als Chef des Aufsichtsrats der<strong>Mannesmann</strong> AG <strong>und</strong> des Vorstands der Deutschen Bank gebeten,sich mit Dr. Hammer <strong>in</strong>s Benehmen zu setzen. Aber leider war esauch diesem nicht gelungen, den alten Herrn umzustimmen.Offenk<strong>und</strong>ig sollte diese m<strong>in</strong>utiöse Schilderung der Intensität der Bemühungenum die Erwirkung der Bauzeitverlängerung dazu dienen,Sigrids <strong>und</strong> me<strong>in</strong> Verständnis für die Unabd<strong>in</strong>gbarkeit des sofortigenAbbruchs unserer Ägyptenreise zu wecken. Aber es sollte noch dickerkommen: Denn trotz des erforderlichen Zeitaufwandes habe B.Larsen sich nunmehr dafür entschieden, e<strong>in</strong> ordentliches Bieterverfahrenunter Beibehaltung des ursprünglich festgesetzten Fertigstellungsterm<strong>in</strong>sdurchzuführen <strong>und</strong> sechs andere Firmen zur Abholungvon Angebotsunterlagen, zur Teilnahme an e<strong>in</strong>em Prebid-Meet<strong>in</strong>g <strong>in</strong>Bogotá <strong>und</strong> an e<strong>in</strong>er Trassenbesichtigung per Helikopter e<strong>in</strong>geladen.Dies habe man leider erst am Freitag auf Umwegen erfahren. Nachdemman diese Hiobsbotschaft an Dr. Christians weitergeleitet habe,habe der sich am Samstag abermals an Dr. Hammer gewandt <strong>und</strong>darum gebeten, auch uns an diesem Bieterverfahren teilnehmen zulassen – obwohl es ja alle Experten von <strong>Mannesmann</strong> für unmöglichgehalten hatten, diese Pipel<strong>in</strong>e im vorgesehenen Zeitrahmen zu bau-110


en. Nachdem Dr. Hammer dieser Bitte überraschenderweise dochnoch entsprochen habe, habe Dr. Christians die Konzernleitung zusammengerufen,se<strong>in</strong>er Verärgerung mit e<strong>in</strong>em krachenden DonnerwetterLuft gemacht <strong>und</strong> die Schließung unserer Hauptabteilung angedroht,falls dieser Auftrag verloren gehen sollte. Daraufh<strong>in</strong> hättener <strong>und</strong> Schwarzbach entschieden, mich mit der Bearbeitung unseresAngebots zu beauftragen, <strong>und</strong> folglich müsste ich schon am Dienstagmittagnach <strong>Kolumbien</strong> fliegen, weil das Prebid-Meet<strong>in</strong>g bereitsam Mittwochmorgen stattf<strong>in</strong>den würde.Die Schilderung dieser Begebenheiten dauerte m<strong>in</strong>destens 15 M<strong>in</strong>uten.Da Schreyger offenk<strong>und</strong>ig befürchtete, ich könnte mich se<strong>in</strong>erAnweisung widersetzen, musste ich ihm mehrmals versichern, dassich die Wichtigkeit dieser Angelegenheit begriffen hatte <strong>und</strong> se<strong>in</strong>erAnweisung garantiert Folge leisten würde. Dann schilderte er mir e<strong>in</strong>igeder großen Probleme, die beim Bau dieser Pipel<strong>in</strong>e zu bewältigenwaren. Nachdem ich schließlich sagte, dass B. Larsen doch wohlkaum am ursprünglich festgelegten Datum zur Inbetriebnahme festgehaltenhätte, wenn es unmöglich wäre, diesen Term<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zuhalten,fühlte sich Schreyger dank dieser spontanen Me<strong>in</strong>ungsäußerung offenk<strong>und</strong>igsehr erleichtert <strong>und</strong> f<strong>in</strong>g an, mir e<strong>in</strong>ige Episoden aus demLeben des mir noch völlig unbekannten Dr. Armand Hammer <strong>und</strong>von dessen unternehmerischen Aktivitäten <strong>in</strong> den USA, Libyen <strong>und</strong><strong>in</strong> der Sowjetunion zu erzählen. Zwischendurch sagte ich Sigrid, dasssie schon mal mit dem Packen unserer Koffer beg<strong>in</strong>nen sollte.Nach dem Ende des e<strong>in</strong>stündigen Telefonats erläuterte ich zunächstSigrid die Situation <strong>und</strong> g<strong>in</strong>g dann zur Rezeption, um auszuchecken<strong>und</strong> e<strong>in</strong> Taxi für 4:30 Uhr für die Fahrt zum Flughafen zu bestellen.Anschließend aßen wir im Roof-Top-Restaurant des Hotels noch e<strong>in</strong>eKle<strong>in</strong>igkeit – mit Blick über das magische Lichtermeer von Kairo beiNacht – <strong>und</strong> besprachen nebenher die Chancen, die sich für uns beideaus me<strong>in</strong>er völlig unerwarteten Beförderung zum Hoffnungsträgerder Hauptabteilung General Contract<strong>in</strong>g der <strong>Mannesmann</strong> AnlagenbauAG ergaben. Weil davon auszugehen war, dass es sich <strong>in</strong> <strong>Kolumbien</strong>sehr gut leben lässt, bat Sigrid schließlich trotz ihres anfängli-111


chen Gezeters sogar <strong>in</strong>ständig darum, mich bei nächster Gelegenheitnach <strong>Kolumbien</strong> begleiten zu dürfen.Dass man mich zum sofortigen Abbruch dieser Reise aufgefordert<strong>und</strong> mit dieser <strong>in</strong>teressanten Mission beauftragt hatte, empfand ichlogischerweise als e<strong>in</strong> Zeichen der hohen Wertschätzung me<strong>in</strong>er beruflichenKompetenz. Und da es mir bis dah<strong>in</strong> gelungen war, me<strong>in</strong>eberuflichen <strong>und</strong> privaten Interessen relativ gut unter e<strong>in</strong>en Hut zubr<strong>in</strong>gen, schätzte ich mich folglich auch sehr glücklich, mich e<strong>in</strong>stals Schüler dafür entschieden zu haben, Bau<strong>in</strong>genieur zu werden –zumal me<strong>in</strong> Jugendtraum, auch e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> die große weite Welt h<strong>in</strong>auszuziehen,auf e<strong>in</strong>e dermaßen erfolg- <strong>und</strong> erlebnisreiche Weise <strong>in</strong>Erfüllung gegangen war. Zwar hatte me<strong>in</strong> Werdegang mich h<strong>in</strong> <strong>und</strong>wieder <strong>in</strong> ziemlich heikle Situationen geführt. Dass bis dah<strong>in</strong> allesgut gegangen war, lag jedoch sicherlich weniger an glücklichen Fügungen,sondern wohl eher daran, dass me<strong>in</strong>e gute Mutter mich h<strong>in</strong><strong>und</strong> wieder darauf h<strong>in</strong>gewiesen hatte, dass Vorsicht ke<strong>in</strong>e Feigheit sei<strong>und</strong> dass ich diesen H<strong>in</strong>weis stets beherzigte, wenn es wirklich gefährlichwurde.*Nachdem wir <strong>in</strong> Düsseldorf angekommen waren, nahm Sigrid e<strong>in</strong>Taxi nach Mönchengladbach <strong>und</strong> ich ließ mich <strong>in</strong> unser Büro <strong>in</strong> Düsseldorf-Unterrathbr<strong>in</strong>gen, wo ich mich um 14 Uhr mit Horst Schreygertraf. Zunächst wies er se<strong>in</strong>e Sekretär<strong>in</strong> an, dass wir <strong>in</strong> den kommendendrei St<strong>und</strong>en nicht gestört werden dürften. Dann g<strong>in</strong>gen wirvon se<strong>in</strong>em Büro <strong>in</strong> das angrenzende Besprechungszimmer, wo diesehr detaillierten Trassenpläne für die Pipel<strong>in</strong>e <strong>und</strong> die Baupläne fürdie vier Pumpstationen <strong>und</strong> die Tankfarm bei der Ortschaft Arauquita,unweit des Ölfelds Caño Limón auflagen. Das Systemlayout, derTrassenverlauf <strong>und</strong> die Baupläne waren von der Firma Bechtel Eng<strong>in</strong>eer<strong>in</strong>g,e<strong>in</strong>er Tochter des berühmten US-Baukonzerns Bechtel, entworfenbzw. festgelegt <strong>und</strong> ausgearbeitet worden.Die Motoren für die Pumpen wurden mit Erdöl aus der Pipel<strong>in</strong>e betrieben,das zu diesem Zweck nur gefiltert werden musste. Ausgelegtwaren die Systemkomponenten auf e<strong>in</strong>e tägliche Förderleistung von112


200 000 Barrel Öl <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Nutzungsdauer von 20 Jahren. DerDurchmesser der Rohre betrug 20 Zoll respektive 50 Zentimeter, dieWandstärken variierten zwischen 14 <strong>und</strong> 28 Millimeter. Bis zum 7.Dezember 1985 mussten die komplette Rohrleitung, die Tankfarm<strong>und</strong> die Pumpstationen bei Arauquita <strong>und</strong> Samoré betriebsbereit se<strong>in</strong>.Die Pumpstationen bei Saravena <strong>und</strong> San Bernardo, die Werkstätten,Magaz<strong>in</strong>e <strong>und</strong> Restarbeiten mussten 6 Monate später fertig se<strong>in</strong>. LautPlan betrug die Gesamtlänge der Pipel<strong>in</strong>e 298 Kilometer.Die ersten 60 Kilometer bis etwa zur Ortschaft Saravena verliefenparallel zum Rio Arauca, e<strong>in</strong>em der großen Zuflüsse des Or<strong>in</strong>oco,<strong>und</strong> bestanden etwa zur Hälfte aus Sumpfstrecken, die <strong>in</strong> der Regenzeitkomplett überflutet wurden. Zwischen Saravena <strong>und</strong> dem Fußder Anden lagen etwa 30 Kilometer relativ trockenes Gelände, wo jedoche<strong>in</strong>ige Zuflüsse des Rio Arauca zu kreuzen waren, die währendder Regenzeit zu reißenden Strömen anschwollen. Ihr E<strong>in</strong>zugsgebietgehörte mit über 8 000 Millimeter Niederschlag pro Jahr zu den regenreichstenRegionen der Erde. Während der Trockenzeit führtensie jedoch nur wenig Wasser, sodass sie relativ e<strong>in</strong>fach zu unterquerenwaren. Auf e<strong>in</strong>er Länge von etwa 30 Kilometern waren Rohremit e<strong>in</strong>er Betonummantelung vorgesehen, was die E<strong>in</strong>richtung e<strong>in</strong>erFeldfabrik erforderlich machte. Gebaut werden konnte <strong>in</strong> dieser Regionnur <strong>in</strong> der Trockenzeit.Die Trasse verlief auf ihrer ganzen Länge <strong>in</strong> etwa parallel zur Grenzezu Venezuela. Die ersten 90 Kilometer waren nahezu topfeben; dannkamen etwa 180 Kilometer <strong>in</strong> den Anden mit e<strong>in</strong>igen extrem schwierigenSektionen; die letzten 30 Kilometer bis zum Rio Zulia warenleicht wellig <strong>und</strong> trocken. Aufgr<strong>und</strong> der klimatischen <strong>und</strong> geographischenGegebenheiten <strong>und</strong> der logistischen Probleme war es nachSchreygers Me<strong>in</strong>ung e<strong>in</strong>e der kühnsten Pipel<strong>in</strong>es, die jemals gebautwurden.Nach etwa e<strong>in</strong>er St<strong>und</strong>e war mir klar, warum es alle großen Expertenvon <strong>Mannesmann</strong> für unmöglich erachtet hatten, diese Pipel<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nerhalbder verfügbaren Zeit zu bauen: Sie hatten schlicht <strong>und</strong> e<strong>in</strong>fachignoriert, dass den f<strong>in</strong>anz- <strong>und</strong> volkswirtschaftlichen Aspekten113


Vorrang gebührte gegenüber den betriebswirtschaftlichen Aspektene<strong>in</strong>er Firma, die Pipel<strong>in</strong>es baut. So hatten sie es als völlig uns<strong>in</strong>nigerachtet, wegen dieser relativ kurzen Strecke mehr Masch<strong>in</strong>en <strong>und</strong>Personal um die halbe Welt zu schicken, als für zwei komplette Baukolonnen(im Pipel<strong>in</strong>er-Jargon Spreads genannt) notwendig waren –<strong>und</strong> mit nur zwei Kolonnen war der verlangte Term<strong>in</strong> <strong>in</strong> der Tat nichtzu schaffen. Also schlug ich den E<strong>in</strong>satz von vier Kolonnen vor, jedemit allem ausgestattet, was nötig war, um unter üblichen Bed<strong>in</strong>gungenjeden Tag r<strong>und</strong> 1000 Meter Pipel<strong>in</strong>e bauen zu können. Zwar verdoppeltesich hierdurch der Masch<strong>in</strong>en- <strong>und</strong> Personalbedarf, aberweil sich die Bauzeit <strong>in</strong> etwa halbierte, erhöhten sich die Kosten unterdem Strich nur unwesentlich. Die gleiche Logik galt auch für denBau der 11 Hängebrücken <strong>und</strong> der Steilstrecken im Hochgebirge.Weil ke<strong>in</strong>er unserer Wettbewerber zaubern konnte, mussten alle mitden entsprechenden Kosten kalkulieren. Grob geschätzt ergaben sichdurch diese Verdoppelung der Kapazität allenfalls Mehrkosten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>erGrößenordnung von 20 bis 30 Millionen US-Dollar.Zog man <strong>in</strong> Betracht, dass es sich um e<strong>in</strong>e Pipel<strong>in</strong>e handelte, durchdie tagtäglich 200 000 Barrel Erdöl der besten Sorte fließen sollten,<strong>und</strong> setzte man e<strong>in</strong>en Preis von 20 US-Dollar pro Barrel an, so ergabsich, dass dieses Pipel<strong>in</strong>esystem Jahrese<strong>in</strong>nahmen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Größenordnungvon 1,5 Milliarden US-Dollar ermöglichte. Wie <strong>in</strong> Anbetrachtdieser E<strong>in</strong>nahmen wohl jeder kle<strong>in</strong>e Kaufmann auf Anhiebversteht, war es fraglos richtig, diese 20 bis 30 Millionen US-Dollarzusätzlich zu <strong>in</strong>vestieren, damit die Pipel<strong>in</strong>e, wie ursprünglich vorgesehen,am 7. Dezember 1985 <strong>in</strong> Betrieb genommen werden konnte<strong>und</strong> nicht erst e<strong>in</strong> Jahr später – zumal <strong>Kolumbien</strong> <strong>in</strong> jenen JahrenErdöl importieren musste <strong>und</strong> es somit an dr<strong>in</strong>gend benötigten Devisenfür die Verbesserung der Infrastruktur <strong>und</strong> die Behebung von sozialenMissständen fehlte.Kurz vor 17 Uhr ließ Schreyger Hesmert kommen <strong>und</strong> klärte ihnüber das Resultat unserer fast dreistündigen Diskussion der Problemeauf, die beim Bau dieser Pipel<strong>in</strong>e zu bewältigen waren. In etwas gew<strong>und</strong>enenWorten teilte er ihm mit, dass wir zum Schluss gekommen114


waren, dass es e<strong>in</strong>e durchaus realistische Chance gäbe, diese Pipel<strong>in</strong>e<strong>in</strong>nerhalb der noch verfügbaren Zeit zu bauen, <strong>und</strong> dass er beschlossenhatte, mich mit der Leitung unseres Projektteams zu beauftragen.Da Hesmert <strong>in</strong> den vergangenen Monaten den großen Pipel<strong>in</strong>e-Zampanogemimt hatte, fühlte er sich offenk<strong>und</strong>ig düpiert <strong>und</strong> quittiertediese Entscheidung mit der Bemerkung, dass Dr. Hammers starrs<strong>in</strong>nigesFesthalten am ursprünglich geplanten Term<strong>in</strong> doch wohl <strong>in</strong> allerE<strong>in</strong>deutigkeit auf dessen altersbed<strong>in</strong>gte Senilität schließen ließe.Erstaunlicherweise ignorierte Schreyger diese Bemerkung – die e<strong>in</strong>deutigihm <strong>und</strong> mir gegolten hatte – <strong>und</strong> bat Hesmert, mir nach bestenKräften zuzuarbeiten.Wohl aus Angst um se<strong>in</strong>en Job akzeptierte Hesmert se<strong>in</strong>e faktischeDegradierung trotz se<strong>in</strong>es unübersehbaren Unmuts ohne weiteresMurren. Da er von Januar 1981 bis Dezember 1982 <strong>in</strong> <strong>Saudi</strong>-<strong>Arabien</strong>als Assistent des Pipel<strong>in</strong>e-Construction-Managers fungiert hatte, hatteich damals praktisch täglich mit ihm zu tun <strong>und</strong> kannte se<strong>in</strong>e persönlichenStärken <strong>und</strong> Schwächen folglich ziemlich gut. Und weilich Schreygers Entscheidung, Hesmert im Projektteam zu belassen,für richtig befand, ignorierte ich ebenfalls diese abfällige Bemerkung– vor allem, weil er e<strong>in</strong> exzellenter Schweißfachmann <strong>und</strong> ich aufdiesem Gebiet e<strong>in</strong> Laie war.Am Dienstag, dem 16. Mai 1984 hob um 14 Uhr e<strong>in</strong> Jumbo der Lufthansa<strong>in</strong> Frankfurt ab, der die Mannesmänner Hesmert, Arndt, Schumacher<strong>und</strong> mich sowie John Foster, e<strong>in</strong>en Pipel<strong>in</strong>e<strong>in</strong>genieur der britischenFirma IMEG, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em 13-stündigen Flug nach <strong>Kolumbien</strong>brachte. Als ich 16 Tage später wieder nach Düsseldorf zurückkehrte,wusste ich, dass B. Larsen die Kompetenz der Pipel<strong>in</strong>eexperten von<strong>Mannesmann</strong> zurecht bezweifelt hatte – <strong>und</strong> dass es beim Bau dieserPipel<strong>in</strong>e e<strong>in</strong> Problem zu bewältigen gab, zu dem Schreyger nochnicht e<strong>in</strong>mal den Hauch e<strong>in</strong>er Andeutung gemacht hatte, obwohl eres mit an Sicherheit grenzender Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit kannte:Die Pipel<strong>in</strong>e führte mitten durch e<strong>in</strong>e Region, die von befreiungstheologisch<strong>in</strong>spirierten Rebellen verunsichert wurde, die sich dazuberufen fühlten, der örtlichen Bevölkerung <strong>in</strong> Rob<strong>in</strong>-Hood-Manier zu115


e<strong>in</strong>em besseren Leben zu verhelfen. Diese litt zwar ke<strong>in</strong>e Not im herkömmlichenS<strong>in</strong>n, lebte aber aufgr<strong>und</strong> der Abgeschiedenheit der Region<strong>in</strong> ziemlich primitiven Verhältnissen. Die Campes<strong>in</strong>os bewirtschaftetenkle<strong>in</strong>e F<strong>in</strong>cas <strong>und</strong> die wenigen Fluss<strong>in</strong>dianer fristeten e<strong>in</strong>noch weitgehend unziviliertes Dase<strong>in</strong>.Als Occidental 1980 begann, <strong>in</strong> der Prov<strong>in</strong>z Arauca nach Öl zu suchen,lebten <strong>in</strong> dieser Region, die mit r<strong>und</strong> 25 000 Quadratkilometeretwa so groß ist wie das deutsche B<strong>und</strong>esland Mecklenburg-Vorpommern,weniger als 100 000 Menschen. Damit die Explorationsarbeitentoleriert wurden, hatte Occidental Petroleum die von diesen Rebellen<strong>und</strong> der Bevölkerung geforderten Maßnahmen zur Verbesserungder Verhältnisse stets bereitwillig durchgeführt, sodass es bisdah<strong>in</strong> ke<strong>in</strong>e nennenswerten Konflikte gab <strong>und</strong> berechtigte Hoffnungengehegt wurden, die Region durch e<strong>in</strong>e zügige Umsetzung vonweiteren karitativen <strong>und</strong> sozialen Hilfsmaßnahmen nachhaltig befriedenzu können. Und weil es aufgr<strong>und</strong> der örtlichen Gegebenheitenals unmöglich erachtet wurde, das Rebellenproblem mit polizeilichenoder militärischen Mitteln bewältigen zu können, wurde vom künftigenAuftragnehmer erwartet, dass er sich ebenso verhalten wird.Um ke<strong>in</strong>e Missverständnisse über die enorme Relevanz dieser Erwartungaufkommen zu lassen, referierte B. Larsen im Prebid-Meet<strong>in</strong>gam 17. Mai 1984 zunächst sehr ausführlich über die Unabd<strong>in</strong>gbarkeitvon karitativen <strong>und</strong> sozialen Hilfsmaßnahmen <strong>und</strong> die Folgene<strong>in</strong>er unzureichenden Beachtung dieser Befriedungsstrategie: Solltees zu Anschlägen der Rebellen auf Personal, Masch<strong>in</strong>en, Camps oderbereits fertiggestellte Bauabschnitte zur Erzw<strong>in</strong>gung von Hilfsmaßnahmenkommen, so würden solche Anschläge automatisch als e<strong>in</strong>Indiz dafür gewertet, dass der Auftragnehmer se<strong>in</strong>e diesbezüglichenvertraglichen Pflichten nicht erfüllt hatte. Somit würden solche Anschlägealso auch nicht als Akte Höherer Gewalt anerkannt <strong>und</strong> denAuftragnehmer folglich auch nicht zu Nachforderungen an den Auftraggeberberechtigen. Und falls solche Anschläge oder Androhungenden Baufortschritt bee<strong>in</strong>trächtigen sollten, wäre der Auftragnehmerverpflichtet, Verzögerungen durch den E<strong>in</strong>satz von zusätzlichen Ma-116


sch<strong>in</strong>en <strong>und</strong> Arbeitern auf se<strong>in</strong>e Kosten wieder aufzuholen, um diePipel<strong>in</strong>e wie vorgesehen am 7. Dezember 1985 <strong>in</strong> Betrieb nehmen zukönnen. Für Störungen <strong>in</strong>folge von Bürgerprotesten galt die gleicheRegelung. Nachdem B. Larsen alle diesbezüglichen Fragen aus demAuditorium <strong>in</strong> unmissverständlicher Weise beantwortet hatte, kam erauf die sorgfältig auf die örtlichen Verhältnisse abgestimmten Vertragsstrafen<strong>und</strong> die Bonusregelung zu sprechen, die im Wesentlichenfolgendes vorsahen:Sollte die Pipel<strong>in</strong>e am geplanten Datum die Ölförderung aufnehmenkönnen, hätte der Auftragnehmer Anspruch auf e<strong>in</strong>e Bonuszahlung <strong>in</strong>Höhe von 10 Millionen US-Dollar. Dieser Anspruch wäre aber selbstdann verwirkt, falls sich die Inbetriebnahme auch nur um e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>zigenTag verschieben sollte. Für die darauf folgenden 30 Verzugstagewar e<strong>in</strong>e Konventionalstrafe von durchschnittlich 330 000 US-Dollar pro Tag vorgesehen – also <strong>in</strong>sgesamt 10 Millionen US-Dollar.Am 31. Verzugstag sollten dem Auftragnehmer der Auftrag entzogen<strong>und</strong> die vorhandenen Camps <strong>und</strong> Masch<strong>in</strong>en beschlagnahmt werden,damit die Bauherrschaft die Pipel<strong>in</strong>e <strong>in</strong> eigener Regie fertigstellenkönnte.Def<strong>in</strong>iert war das Ganze <strong>in</strong> sehr präzise formulierten Paragraphen derbesonderen Auftragsbed<strong>in</strong>gungen, die Bestandteil der sehr umfangreichenAusschreibungsunterlagen waren, die den anwesenden Firmenschon vor Beg<strong>in</strong>n des Prebid-Meet<strong>in</strong>gs ausgehändigt wurden.Am folgenden Tag fand die Trassenbesichtigung mit zwei Helikopternstatt, an der aus Platzgründen nur zwei Vertreter je Firmateilnehmen konnten. Von uns nahmen John Foster <strong>und</strong> ich teil. Dergenaue Verlauf der Trasse war sehr gut aus der Luft erkennbar, mitMarkierungen alle paar 100 Meter <strong>und</strong> großen Flaggen bei Richtungsänderungen.An den schwierigsten Stellen wurden Zwischenlandungene<strong>in</strong>gelegt.Zwei Tage später fuhren Hesmert, Arndt, Schumacher, Foster <strong>und</strong> ichdie ganze Trassenlänge <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Jeep auf der halsbrecherischen Pisteab, die durch die Region führte. Bevor wir uns auf den Weg machten,statteten wir dem Bischof von Arauca e<strong>in</strong>en Besuch ab. Weil er nicht117


anwesend war, setzte se<strong>in</strong>e Sekretär<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ige Funksprüche an diePriester <strong>in</strong> der Region ab, damit uns die Rebellen unterwegs nicht behelligten.Diese Fahrt wurde zwar zu e<strong>in</strong>er Tortur, lohnte sich aberdennoch, weil ich mir danach ziemlich sicher war, diese Pipel<strong>in</strong>e term<strong>in</strong>gerechtbauen zu können, sofern es gel<strong>in</strong>gen sollte, die Rebellenzur Tolerierung unserer Arbeiten zu bewegen <strong>und</strong> neue Baumasch<strong>in</strong>enangeschafft würden, weil unser Masch<strong>in</strong>enpark überaltert war<strong>und</strong> den Anforderungen dieses Projekts auch sonst nur sehr bed<strong>in</strong>gtgenügte.Nach me<strong>in</strong>er Rückkehr aus <strong>Kolumbien</strong> erläuterte ich Schreyger me<strong>in</strong>enBef<strong>und</strong>, <strong>und</strong> weil me<strong>in</strong>e Ausführungen ihn überzeugten, wurdeich damit beauftragt, diesen Auftrag um jeden Preis here<strong>in</strong>zuholen,um die andernfalls drohende Schließung unserer Hauptabteilung abzuwenden,<strong>und</strong> davon auszugehen, dass es den zuständigen Leutenvon <strong>Mannesmann</strong> gel<strong>in</strong>gen werde, das erforderliche Stillhalteabkommenmit den Rebellen zu arrangieren. So kam es, dass ich <strong>in</strong> den folgendenfünf Monaten e<strong>in</strong> größeres Arbeits-, Reise- <strong>und</strong> Verantwortungspensumals jemals zuvor bewältigen musste <strong>und</strong> im Alter von39 Jahren den Zenit me<strong>in</strong>er Karriere als Bau<strong>in</strong>genieur erreichte.An der Ausarbeitung der sehr detaillierten Bauablaufplanung, dersonstigen Angebotsunterlagen <strong>und</strong> der Preiskalkulation waren <strong>in</strong>sgesamtetwa 20 Leute beteiligt. Unter anderem sah me<strong>in</strong> Project-Execution-Plandie Errichtung von 6 Camps für je 800 Mann vor. Weildurch das Hickhack um die Bauzeitverlängerung bereits viel Zeitverloren gegangen war <strong>und</strong> der Import von Camp-Conta<strong>in</strong>ern m<strong>in</strong>destens10 Wochen gebraucht hätte, entschied ich, die Camps von e<strong>in</strong>erkolumbianischen Firma <strong>in</strong> landestypischer Low-Cost-Bauweiseerrichten zu lassen <strong>und</strong> die Erdarbeiten komplett <strong>in</strong> eigener Regieauszuführen anstatt sie an Subunternehmer zu vergeben. Neben demE<strong>in</strong>satz von je 16 brandneuen Caterpillar-D8-Planierraupen, CAT-225 Raupenbaggern, Rohrlegern, Radladern, Rough-Terra<strong>in</strong>-Mobil-Kränen <strong>und</strong> Gradern sah me<strong>in</strong> Plan des Weiteren den E<strong>in</strong>satz e<strong>in</strong>esTransporthubschraubers vor sowie von 4 Lastenseilbahnen für dieSteilstrecken im Hochgebirge. Der ermittelte Personalbedarf belief118


sich auf <strong>in</strong>sgesamt 3 600 e<strong>in</strong>heimische <strong>und</strong> 400 ausländische Arbeitskräfte.Für den Transport der Rohre <strong>und</strong> Masch<strong>in</strong>en war e<strong>in</strong>e Flottevon über 300 LKWs <strong>und</strong> für den Personaltransport e<strong>in</strong>e Flotte von 60Mannschaftsbussen <strong>und</strong> 120 Toyota Land Cruisern vorgesehen. Daauch längere Felsstrecken zu bewältigen waren, kalkulierte ich außerdemden E<strong>in</strong>satz von 8 Bohrlafetten samt Kompressoren <strong>und</strong> 50Tonnen Dynamit e<strong>in</strong>.E<strong>in</strong>e der 16 Caterpillar-D8-Planierraupen im E<strong>in</strong>satz bei Ch<strong>in</strong>acotá(Bild von Johann Schieble, 1985)Weil B. Larsen im Zuge der Angebotsbearbeitung unsere Referenzenfür den Bau der sehr schwierigen Hochgebirgsstrecken als ungenügendmoniert hatte, wurde hierfür die italienische Firma SICIM ausBusseto <strong>in</strong> der Emilia Romagna als Subunternehmer engagiert, nachdemsich Larsen auf e<strong>in</strong>er sehr kurzfristig anberaumten Inspektionsreisenach Italien von deren Kompetenz vergewissert hatte. (DenAuftrag für den Bau dieser Strecken vergaben wir bereits kurz nachUnterzeichnung des Letters of Intent <strong>und</strong> dem Erhalt der Anzahlungzum pauschalen Festpreis von 26 Millionen US-Dollar an SICIM.)Für die Durchführung von sozialen Projekten zugunsten der örtlichen119


Bevölkerung <strong>und</strong> zur Befriedung der Rebellen wurde e<strong>in</strong> Betrag von7,5 Millionen US-Dollar (damals etwa 22 Millionen Mark) veranschlagt.Als Chef der Baustelle war ich vorgesehen, als me<strong>in</strong> Stellvertreterwurde der Engländer Mike McGovan nom<strong>in</strong>iert.Um möglichst dicht am Baugeschehen zu se<strong>in</strong>, wählte ich Cúcuta,die Hauptstadt der Prov<strong>in</strong>z Norte de Santander, als Sitz für unserHead-Office <strong>in</strong> <strong>Kolumbien</strong>. Die von mir streng vertraulich ermittelteAngebotsendsumme belief sich auf r<strong>und</strong> 172 Millionen US-Dollar.Da wir die Ausschreibung unbed<strong>in</strong>gt gew<strong>in</strong>nen mussten, um dieSchließung unserer Hauptabteilung abzuwenden, wurde ke<strong>in</strong> Gew<strong>in</strong>ne<strong>in</strong>kalkuliert. Obwohl ich mir ziemlich sicher war, dass uns ke<strong>in</strong> Mitbewerberunterbieten würde, verfügte Schreyger im abschließendenVieraugen-Meet<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>e Reduzierung der Summe auf 169 MillionenUS-Dollar. Da für die term<strong>in</strong>gerechte Fertigstellung e<strong>in</strong> Bonus <strong>in</strong>Höhe von zehn Millionen US-Dollar ausgelobt war, hofften wir jedoch,dennoch auf unsere Kosten zu kommen.Die etwa 100 Kilogramm schweren Angebotsunterlagen brachtenMike McGovan <strong>und</strong> ich am 30. Juli 1984 <strong>in</strong> drei großen Zarges-Boxennach Bogotá <strong>und</strong> gaben sie am nächsten Tag bei Oxy ab.Mike war <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Alter, hatte e<strong>in</strong>e Ausbildung als Quantity Surveyor,arbeitete seit Sommer 1980 als Freelancer für <strong>Mannesmann</strong><strong>und</strong> hatte sich im Rahmen der Ausführung des Riyadh Water TransmissionProjekts als ausgezeichneter Contract Adm<strong>in</strong>istrator erwiesen.Folglich war mir se<strong>in</strong>e Nom<strong>in</strong>ierung durch Schreyger, die erstkurz vor dem abschließenden Vieraugen-Meet<strong>in</strong>g vorgenommenwurde, sehr willkommen – zumal er mit e<strong>in</strong>er Spanier<strong>in</strong> verheiratetwar <strong>und</strong> fast perfekt Spanisch sprach. Ich selbst hatte bei der Inl<strong>in</strong>gua-Sprachschule<strong>in</strong> Düsseldorf e<strong>in</strong>ige St<strong>und</strong>en E<strong>in</strong>zelunterricht genommen<strong>und</strong> bei jeder sich bietenden Gelegenheit Spanisch gepaukt.Zwar waren me<strong>in</strong>e Spanischkenntnisse noch rudimentär, aber <strong>in</strong> alltäglichenD<strong>in</strong>gen konnte ich mich schon ziemlich gut verständlichmachen.Wie erwähnt, hatte Sigrid schon <strong>in</strong> Kairo e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glich darum gebeten,mich bei nächster Gelegenheit nach <strong>Kolumbien</strong> begleiten zu dür-120


fen. Da ich zwischenzeitlich zwei weitere Male für 14 Tage <strong>in</strong> <strong>Kolumbien</strong>war, hatte sie mich e<strong>in</strong>ige Tage vor dem Abgabeterm<strong>in</strong> anme<strong>in</strong>e damalige Zusage er<strong>in</strong>nert, sodass wir zu dritt nach <strong>Kolumbien</strong>flogen. Weil Sigrid als Mit<strong>in</strong>haber<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es der führenden Reisebürosam l<strong>in</strong>ken Niederrhe<strong>in</strong> bei der Lufthansa lediglich 10 Prozent des üblichenTicketpreises bezahlen musste <strong>und</strong> umsonst <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Suite imHotel La Fontana wohnen konnte, spielten die Kosten ke<strong>in</strong>e Rolle.Selbstverständlich hatte ich auch dieses Mal vorher Schreygers Zustimmunge<strong>in</strong>geholt.Die Angebote wurden noch am 31. Juli <strong>in</strong> Anwesenheit von Vertreternaller sieben Anbieter geöffnet. Wie erhofft, war unser Angebotdas billigste. Zweiter war der US-Baukonzern Bechtel mit knapp 180Millionen US-Dollar, die anderen Anbieter lagen alle über 200 MillionenUS-Dollar. Am Tag darauf mussten Mike <strong>und</strong> ich die Fragender Projektkommission unter Vorsitz von B. Larsen bezüglich unseresAngebots beantworten. Dieser Kommission gehörten jeweils vierLeute von Oxy <strong>und</strong> Ecopetrol an. Auf die Frage, wie wir die Rebellenbefrieden <strong>und</strong> Protestaktionen der Campes<strong>in</strong>os zuvorkommenwollten, erklärte ich, dass wir für die Befriedung <strong>und</strong> soziale Projektee<strong>in</strong>en Betrag von 7,5 Millionen US-Dollar e<strong>in</strong>kalkuliert hätten, der jenach Bedarf verwendet würde. Nach kurzer Beratung wurde dieserBetrag von der Kommission als angemessen beurteilt <strong>und</strong> abgenickt.Dann kamen die besonderen Kriterien für Force Majeure (HöhereGewalt) zur Sprache, die aufgr<strong>und</strong> der Rebellenproblematik deutlichvon den sonst im <strong>in</strong>ternationalen Vertragsrecht üblichen Kriterien abwichen.Da Mike der falschen Me<strong>in</strong>ung war, dass der Force-Majeure-Fall gegeben sei, falls die Rebellen sich von uns nicht dazubewegen ließen, den Bau der Pipel<strong>in</strong>e zu tolerieren, entwickelte sichdieses Problem zum Knackpunkt der Befragung.Obwohl ich Mike mehrmals darauf h<strong>in</strong>wies, dass wir dieses Risikoübernommen hätten, blieb er – wohl weil Schreyger ihn nicht h<strong>in</strong>reichendgebrieft hatte – zunächst eisern bei se<strong>in</strong>er Sicht der D<strong>in</strong>ge.Nach e<strong>in</strong>er etwa zehnm<strong>in</strong>ütigen Diskussion schlug B. Larsen schließlichvor, Mike möge das Telefon im Sitzungssaal benutzen <strong>und</strong>121


Schreyger <strong>in</strong> Düsseldorf anrufen, um die Situation zu klären. Alsorief er Schreyger an <strong>und</strong> wurde prompt <strong>in</strong>struiert, se<strong>in</strong>e Bedenkenfallen zu lassen, weil def<strong>in</strong>itiv zu erwarten wäre, dass die Rebellenden Bau der Pipel<strong>in</strong>e tolerieren würden. Dann sprach B. Larsen nochkurz mit Schreyger, <strong>und</strong> nachdem wir alle weiteren Fragen zur Zufriedenheitder Kommission beantwortet hatten, wurde <strong>Mannesmann</strong>zu abschließenden Auftragsverhandlungen mit Dr. Hammer im Oxy-Build<strong>in</strong>g <strong>in</strong> Los Angeles e<strong>in</strong>geladen.Anberaumt wurden diese Verhandlungen auf den 11. August 1984.Außer uns wurde nur die Firma Bechtel e<strong>in</strong>geladen. Obwohl unserAngebot um 10 Millionen US-Dollar billiger war, konnten wir alsonoch ke<strong>in</strong>esfalls sicher se<strong>in</strong>, mit dem Bau dieser Pipel<strong>in</strong>e beauftragtzu werden. Me<strong>in</strong> erster Gang nach dieser E<strong>in</strong>ladung führte mich zurUS-Botschaft <strong>in</strong> Bogotá, um e<strong>in</strong> Visum für die USA zu beantragen.Somit blieben Sigrid <strong>und</strong> mir glücklicherweise e<strong>in</strong>ige Tage Zeit zumAusspannen, die wir natürlich auch nutzten, um die SehenswürdigkeitenBogotás zu besichtigen. Unter anderem besuchten wir dasGoldmuseum, wo die nicht geraubten Reste der legendären GoldschätzeEl Dorados ausgestellt wurden, <strong>und</strong> die Firma Greenfire, denberühmten Vermarkter von Smaragden aus <strong>Kolumbien</strong>, wo ich fürSigrid e<strong>in</strong> sehr schönes <strong>und</strong> mit 600 US-Dollar sogar relativ preiswertesSouvenir erstand: e<strong>in</strong>en Smaragd-R<strong>in</strong>g mit e<strong>in</strong>em sehr dekorativenungeschliffenen Ste<strong>in</strong>.Da sich im Verlauf der Angebotsbearbeitung e<strong>in</strong> sehr gutes E<strong>in</strong>vernehmenzwischen B. Larsen <strong>und</strong> mir e<strong>in</strong>gestellt hatte, wurden wirvon ihm <strong>und</strong> se<strong>in</strong>er Gatt<strong>in</strong> auf e<strong>in</strong> Abendessen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em exzellentenRestaurant <strong>in</strong> der Stadtmitte e<strong>in</strong>geladen, <strong>in</strong> dem drei musizierendeSänger von Tisch zu Tisch wanderten, um die anwesenden Damenmit late<strong>in</strong>amerikanischen Liedern im Stil der ehedem auch <strong>in</strong>Deutschland sehr bekannten Los Paraguaios auf ebenso kultiviertewie romantische Weise zu beehren. Zwar sprach Sigrid nur rudimentäresEnglisch, aber trotzdem verbrachten wir e<strong>in</strong>en herrlichen Abendzusammen. Bei dieser Gelegenheit erzählte B. Larsen auch ausführlichvon se<strong>in</strong>en Erfahrungen mit den Rebellen <strong>und</strong> der e<strong>in</strong>heimischen122


Bevölkerung <strong>und</strong> zeigte sich sehr zuversichtlich, dass sie den Bauder Pipel<strong>in</strong>e tolerieren werden – zumal wir als Deutsche nicht vonden <strong>in</strong> <strong>Kolumbien</strong> weit verbreiteten Ressentiments gegen Nordamerikanerbetroffen waren.Die abschließenden Verhandlungen <strong>in</strong> Los Angeles begannen wievere<strong>in</strong>bart am 11. August, kurz nach 19 Uhr. Unsere Delegation bestandaus Kurt Schwarzbach, Horst Schreyger, Mike McGovan <strong>und</strong>mir sowie je zwei Leuten der Firma IMEG, der Morgan GrenfellBank <strong>und</strong> der Deutschen Bank. Wohl wegen des zeitraubenden Hickhacksim April <strong>und</strong> Mai um die Verlängerung der Bauzeit um e<strong>in</strong> vollesJahr <strong>und</strong> trotz B. Larsens Bef<strong>und</strong>, dass wir es dank der üppigenAusstattung der Baustelle mit Masch<strong>in</strong>en <strong>und</strong> Personal mit großer Sicherheitschaffen würden, diese Pipel<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nerhalb der nunmehr extremkurzen Bauzeit soweit fertigzustellen, dass am 7. Dezember1985 Öl fließen könnte, verlangte Dr. Hammer zur großen Überraschungaller Anwesenden dennoch e<strong>in</strong>e zusätzliche, unwiderrufliche<strong>und</strong> auf erste Anforderung zur Auszahlung fällige Bürgschaft derDeutschen Bank <strong>in</strong> Höhe der Angebotssumme von 169 MillionenUS-Dollar – das waren damals immerh<strong>in</strong> etwa 520 Millionen Mark –für die term<strong>in</strong>gerechte Ausführung des Projekts. Wäre die Übernahmedieser Bürgschaft nicht prompt zugesichert worden, hätte wohldie Firma Bechtel noch <strong>in</strong> dieser Nacht den Zuschlag erhalten.Angenommen, <strong>Mannesmann</strong> hätte den Bau dieser Pipel<strong>in</strong>e im Aprilzu e<strong>in</strong>em Preis von 250 Millionen US-Dollar angeboten, statt dasHickhack um die Bauzeitverlängerung auf die Spitze zu treiben, hätteDr. Hammer sich sicherlich damit begnügt, uns um 10 oder 20 MillionenDollar herunterzuhandeln, <strong>und</strong> wir hätten e<strong>in</strong>en sehr lukrativenGroßauftrag gehabt. Da wegen der extrem kurzen Bauzeit nunmehraber alles Spitz auf Knopf geplant <strong>und</strong> kalkuliert war, standenuns also ziemlich spannende Zeiten bevor. Was die nachträglich verlangteBürgschaft der Deutschen Bank betraf, so war diese Forderungim Licht der Diskussionen um die Bauzeitverlängerung fraglosalles andere als unfair, zumal Dr. Hammer damit offenk<strong>und</strong>ig lediglichsicherstellen wollte, dass die 7,5 Millionen US-Dollar, die wir123


zur Befriedung der Rebellen <strong>und</strong> Verbesserung der örtlichen Lebensbed<strong>in</strong>gungene<strong>in</strong>kalkuliert hatten, auch tatsächlich gemäß der bereitsim Prebid-Meet<strong>in</strong>g am 16. Mai 1984 sehr ausführlich erörterten Befriedungsstrategiee<strong>in</strong>gesetzt <strong>und</strong> die prognostizierten Jahrese<strong>in</strong>nahmen<strong>in</strong> Höhe von ca. 1,5 Milliarden US-Dollar plangemäß fließenwürden. Da diese Bürgschaft bei e<strong>in</strong>em Term<strong>in</strong>verzug von nur 30Kalendertagen auf erste Anforderung ausbezahlt werden musste,drohte uns bei e<strong>in</strong>em entsprechenden Verzug also e<strong>in</strong> noch größeresFiasko als <strong>in</strong> <strong>Saudi</strong>-<strong>Arabien</strong>.Nachdem alles <strong>in</strong>s Re<strong>in</strong>e geschrieben war, die ziemlich umfangreichenAnlagen zum Extended Letter of Intent paraphiert waren <strong>und</strong>Kurt Schwarzbach die Anzahlung <strong>in</strong> Höhe von 34 Millionen US-Dollar<strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>es Schecks entgegengenommen hatte, lud er uns gegen0:30 Uhr zu e<strong>in</strong>em Umtrunk im Hotel Westwood im gleichnamigenStadtteil von Los Angeles e<strong>in</strong>, wo unsere Delegation logierte.Glücklicherweise hatte das Hotel nur noch sechs Flaschen Champagnervorrätig, sodass der Umtrunk so gegen 1:30 Uhr beendet werdenmusste. Inzwischen war ich nämlich todmüde, weil ich erst kurzvor 19 Uhr von Bogotá aus <strong>in</strong> Los Angeles angekommen war. Sigridwar am gleichen Tag nach Hause geflogen.Vor dem E<strong>in</strong>schlafen dachte ich noch an me<strong>in</strong>e leider allzu früh verstorbeneMutter <strong>und</strong> fand es sehr schade, ihr nicht mehr erzählen zukönnen, unter welch abenteuerlichen Umständen dieser eigentlichbereits verlorene Auftrag doch noch an <strong>Mannesmann</strong> vergeben wurde.Selbstverständlich hegte ich damals nicht die ger<strong>in</strong>gste Befürchtung,dass überhebliches Fehlverhalten der Konzernleitung gegenüberder Guerilla, den kolumbianischen Staatsorganen, dem Auftraggeber<strong>und</strong> auch mir, <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Funktion als Chef der Baustelle, me<strong>in</strong>eChancen auf e<strong>in</strong>e erfolgreiche Fortsetzung me<strong>in</strong>er beruflichenKarriere als Bau<strong>in</strong>genieur nachhaltig ru<strong>in</strong>ieren <strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong>Kolumbien</strong>e<strong>in</strong>e fürchterliche terroristische S<strong>in</strong>tflut auslösen könnte.Am 13. September 1984 wurde mir <strong>in</strong> Düsseldorf die notarielle Generalvollmachtder <strong>Mannesmann</strong> Anlagenbau AG für <strong>Kolumbien</strong> erteilt<strong>und</strong> noch vor me<strong>in</strong>em Abflug e<strong>in</strong> Bankkonto bei der Banco del124


Comercio <strong>in</strong> Cúcuta mit h<strong>in</strong>reichendem Guthaben e<strong>in</strong>gerichtet. Dereigentliche Bauvertrag wurde erst e<strong>in</strong>ige Tage später von KurtSchwarzbach, Dr. Hammer <strong>und</strong> Belisario Betancur, dem Staatspräsidenten<strong>Kolumbien</strong>s, im Rahmen e<strong>in</strong>er aufwendigen Festveranstaltungunterzeichnet.Bis Ende September hatte unser Bauleiter Werner Schött die für dieCamps benötigten Gr<strong>und</strong>stücke ausgesucht <strong>und</strong> zusammen mit unseremRechtsanwalt Dr. Jorge Zurek Mesa aus Cúcuta Pachtverträgefür e<strong>in</strong>e Dauer von drei Jahren mit sehr üppigen Vergütungen abgeschlossen<strong>und</strong> im Voraus bezahlt. Anfang Oktober begann der Bauder Camps durch die kolumbianische Firma Sidelan. Der Auftrag zurReparatur <strong>und</strong> Verstärkung der Brücken im Gebirge wurde an e<strong>in</strong>eStahlbaufirma aus Bogotá vergeben. Mitte Oktober 1984 wurden imHafen von Barranquilla die etwa 200 brandneuen Baumasch<strong>in</strong>en entladen,die bereits Ende August beim Caterpillar-Händler John Fabick<strong>in</strong> Houston, Texas, bestellt worden waren. Den Auftrag für die Zollabfertigung<strong>und</strong> alle Inlandstransporte hatte e<strong>in</strong>e kolumbianischeSpedition erhalten, deren deutschstämmiger Besitzer FriedrichSchorr Don Frederico genannt wurde. Aus Deutschland waren30 000 Tonnen Stahlrohre mit Wandstärken bis zu 22 Millimeter unterwegs<strong>und</strong> aus Japan 8 000 Tonnen mit e<strong>in</strong>er Wandstärke von 28Millimeter, weil <strong>Mannesmann</strong> diese Rohre nicht <strong>in</strong> der gefordertenStahlgüte herstellen konnte.Zu Beg<strong>in</strong>n me<strong>in</strong>er Tätigkeit <strong>in</strong> <strong>Kolumbien</strong> bat ich den Direktor derBanco del Comercio <strong>in</strong> Cúcuta, Herrn Dom<strong>in</strong>go Alberto Monsalve,mir bei der Suche nach e<strong>in</strong>em geeigneten Gebäude für unser Head-Office behilflich zu se<strong>in</strong>. So fuhren wir geme<strong>in</strong>sam durch die Straßenam südlichen Stadtrand von Cúcuta, das etwa 500 000 E<strong>in</strong>wohnerhatte, um nach e<strong>in</strong>em geeigneten Objekt Ausschau zu halten. Me<strong>in</strong>eerste Wahl fiel auf e<strong>in</strong>e schöne zweigeschossige Villa aus der Jahrh<strong>und</strong>ertwendemit e<strong>in</strong>em geräumigen Anbau auf e<strong>in</strong>em großenGr<strong>und</strong>stück. Wie sich herausstellte, wurde sie von e<strong>in</strong>em alten Ehepaarbewohnt. Nachdem Dom<strong>in</strong>go den alten Herrschaften gesagt hatte,dass wir das Haus eventuell mieten möchten, durften wir es be-125


sichtigen. Nach etwa 15 M<strong>in</strong>uten hatte ich genug gesehen <strong>und</strong> batDom<strong>in</strong>go, ihnen vorzuschlagen, uns das komplette Anwesen für dieDauer von drei Jahren gegen e<strong>in</strong>e Mietvorauszahlung <strong>in</strong> Höhe von75 000 US-Dollar zu überlassen. Weil die alten Leutchen, die offenk<strong>und</strong>igverarmt waren, ihr Glück kaum fassen konnten, zogen sieschon am übernächsten Tag zu e<strong>in</strong>em ihrer Söhne. Innerhalb e<strong>in</strong>erWoche hatten unsere E<strong>in</strong>käufer Hans Ettel <strong>und</strong> Chris Hodnett dienotwendigen Büromöbel <strong>und</strong> den Telefon- <strong>und</strong> Faxanschluss organisiert,sodass wir Anfang Oktober bereits über e<strong>in</strong> voll funktionsfähigesBüro verfügten.Nicht weit entfernt von diesem Objekt besaß der Eigentümer e<strong>in</strong>erkle<strong>in</strong>en Teigwarenfabrik e<strong>in</strong>en großzügigen Bungalow. Weil ich fürmich e<strong>in</strong> angemessenes Domizil brauchte <strong>und</strong> Dom<strong>in</strong>go wusste, dassdessen Frau mit ihren drei K<strong>in</strong>dern nach Florida gezogen war <strong>und</strong>der Eigentümer e<strong>in</strong>en Mieter suchte, fuhren wir anschließend zu diesemBungalow. Wie es der Zufall wollte, war der Hausherr geradeanwesend, <strong>und</strong> da mir das unauffällige Anwesen sehr gut gefiel <strong>und</strong>ich mir sicher war, dass es auch Sigrid gefallen würde, mietete ich es,komplett möbliert, für 2 000 US-Dollar pro Monat für 2 Jahre an.Der Bungalow hatte fünf sehr geräumige Schlafzimmer, jedes mit eigenemBad, e<strong>in</strong> Wohnzimmer, e<strong>in</strong> Esszimmer <strong>und</strong> e<strong>in</strong> Musikzimmermit Konzertflügel. Alle Räume waren klimatisiert <strong>und</strong> bestens möbliert.Im Garten gab es e<strong>in</strong>en Swimm<strong>in</strong>gpool, e<strong>in</strong> Häuschen für dieMuchacha <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en H<strong>und</strong>ezw<strong>in</strong>ger für die beiden furchte<strong>in</strong>flößendenDänischen Doggen, die das Ganze bewachten. <strong>Des</strong> Nachts musstee<strong>in</strong>e der beiden <strong>in</strong>s Haus, um es von <strong>in</strong>nen zu bewachen.Die Muchacha, e<strong>in</strong>e sehr gute Haushälter<strong>in</strong> im Alter von etwa 50Jahren, bekam ebenfalls e<strong>in</strong>en Zweijahresvertrag. Drei Tage späterkonnte ich schon e<strong>in</strong>ziehen. Bis dah<strong>in</strong> hatte ich, wie alle me<strong>in</strong>e Kollegen,im Hotel Tonchalá logiert. Als ich die erste Nacht <strong>in</strong> diesemBungalow verbrachte, er<strong>in</strong>nerte ich mich daran, e<strong>in</strong>st gelesen zu haben,dass Alexander von Humboldt während der ersten Monate se<strong>in</strong>erberühmten Südamerikareise ebenfalls von e<strong>in</strong>er Dänischen Dog-126


ge bewacht wurde – bis diese e<strong>in</strong>es Nachts im dichten Dschungel amOr<strong>in</strong>oco von e<strong>in</strong>em Jaguar gerissen <strong>und</strong> verschleppt wurde.*Das schöne Cúcuta wurde 1733 von den Spaniern gegründet <strong>und</strong>1813 von Simon Bolivar, dem glorreichsten aller late<strong>in</strong>amerikanischenFreiheitskämpfer, erobert. Im Jahre 1821 fand <strong>in</strong> der Rosenkranzkirchezu Cúcuta der konstituierende Kongress von Großkolumbienstatt, das <strong>in</strong> etwa das Gebiet der heutigen Staaten Venezuela,<strong>Kolumbien</strong>, Panama, Ecuador, Peru <strong>und</strong> Bolivien umfasste. Da Cúcutanur r<strong>und</strong> 100 Kilometer von der Bucht von Maracaibo entferntliegt, dachte ich damals auch öfters an Karl Lemm, den wackerenWeltvermesser vom Rhe<strong>in</strong>land, der mir e<strong>in</strong>st den Umgang mit demTheodoliten beigebracht <strong>und</strong> dort die Pfeiler für die berühmte Brückee<strong>in</strong>gemessen hatte. Dass diese Bucht nach jener Stadt benannt wurde,die der deutsche Conquistador Ambrosius Alf<strong>in</strong>ger 1529 als Neu-Nürnberg gegründet hatte, <strong>und</strong> dass dieser sich zwei Jahre später aufmachte,den sagenhaften Schatz El Dorados zu suchen, wusste ichdamals noch nicht.Ambrosius Alf<strong>in</strong>ger stammte aus Schwaben, stand <strong>in</strong> den Dienstendes Augsburger Handelshauses der Welser <strong>und</strong> zog auf der Suchenach diesem sagenhaften Goldschatz an der Spitze e<strong>in</strong>es Trupps von40 Reitern, 130 Fußsoldaten <strong>und</strong> e<strong>in</strong>igen Indianern durch diese Region.Kurz vor dem Ziel war se<strong>in</strong> Trupp jedoch schon so geschwächt,dass er den Raubzug abbrechen musste <strong>und</strong> mit der relativ magerenBeute von knapp 500 Kilo Gold den Rückzug antrat. Etwa 30 Kilometersüdlich von Cúcuta lauerten ihm e<strong>in</strong>ige Indios auf <strong>und</strong> trafenihn mit e<strong>in</strong>em Giftpfeil am Hals. Vier Tage später erlag er der Vergiftung<strong>und</strong> wurde am Ortsrand von Ch<strong>in</strong>acotá begraben.In der Nähe dieses kle<strong>in</strong>en Andenstädtchens hatten wir e<strong>in</strong>en großenPlatz für die Zwischenlagerung der Rohre gepachtet, durch die nachFertigstellung unseres Projekts 20 Jahre lang tagtäglich 200 000 BarrelErdöl der besten Qualität fließen sollten. Setzte man e<strong>in</strong>en Preisvon 20 US-Dollar pro Barrel an, so belief sich der Gesamtwert diesesschwarzen Goldes folglich auf r<strong>und</strong> 30 Milliarden US-Dollar. Im127


Vergleich zu diesem Bodenschatz waren also selbst die sagenhaftenSchätze El Dorados, die wenige Jahre nach Alf<strong>in</strong>gers Raubzug vonden Spaniern etwa 130 Kilometer südwestlich von Cúcuta gef<strong>und</strong>en<strong>und</strong> geraubt wurden, fraglos nur Peanuts.Entdeckt wurde dieser gigantische Bodenschatz dank des unternehmerischenWagemuts des legendären Oxy-Chefs Dr. Armand Hammer,der 1898 im erbärmlichen Elend der Lower East Side Manhattansals Sohn jüdischer Eltern geboren wurde <strong>und</strong> 1921 an der Columbia-Universitätden Doktorgrad <strong>in</strong> Mediz<strong>in</strong> erworben hatte. Se<strong>in</strong>Vater – e<strong>in</strong> überzeugter Kommunist – war auf dem zweiten BildungswegArzt geworden. Als der Vater wegen e<strong>in</strong>er mediz<strong>in</strong>isch offenk<strong>und</strong>iggebotenen, aber leider tödlich verlaufenen Abtreibung zu dreiJahren harter Arbeit im Zuchthaus S<strong>in</strong>g-S<strong>in</strong>g verurteilt wurde, erteilteer se<strong>in</strong>em 23-jährigen Sohn Armand den Auftrag, e<strong>in</strong> komplettesFeldlazarett, e<strong>in</strong>en Krankenwagen <strong>und</strong> Medikamente aus nicht mehrbenötigten Armeebeständen zu kaufen <strong>und</strong> sich mit diesem umfangreichenGepäck nach Russland e<strong>in</strong>zuschiffen, um dort als Arzt tätigzu werden.Wohl wegen der se<strong>in</strong>es Erachtens ungerechten Verurteilung se<strong>in</strong>esVaters akzeptierte der junge Armand den Auftrag ohne jedes Zögern,beschaffte diese D<strong>in</strong>ge, schiffte sich e<strong>in</strong>, paukte auf der Seereise russisch<strong>und</strong> schlug sich mit se<strong>in</strong>em Feldlazarett über Riga bis nachMoskau durch, wo er im August 1921 mitten im größten Tohuwabohunach der Oktoberrevolution ankam. Weil die Sowjets mit diesemjungen amerikanischen Abenteurer nichts anzufangen wussten, hieltensie ihn zunächst durch e<strong>in</strong>e Bahnreise nach Jekater<strong>in</strong>enburg beiLaune. Dort wurden ihm e<strong>in</strong>e aufgegebene Asbestm<strong>in</strong>e <strong>und</strong> e<strong>in</strong> Lagermit Bergen von Zobelpelzen gezeigt. Da Armand wusste, dass fürZobelpelze <strong>in</strong> den USA hohe Preise bezahlt werden, taxierte er ihrenWert <strong>und</strong> machte den glorreichen Vorschlag, diese Pelze gegen e<strong>in</strong>eMillion Bushel Weizen aus Amerika (etwa 70 000 Tonnen) e<strong>in</strong>zutauschen,um die herrschende Hungersnot zu l<strong>in</strong>dern.Nachdem dieser Vorschlag Len<strong>in</strong> zu Ohren gekommen war, lud erdiesen fast schon tollkühnen Abenteurer zu e<strong>in</strong>em Gespräch <strong>in</strong> den128


Kreml e<strong>in</strong> <strong>und</strong> genehmigte den Deal. Außerdem schwatzte Len<strong>in</strong> ihmbei dieser Gelegenheit noch die Konzession zur Ausbeutung der stillgelegtenAsbestm<strong>in</strong>e <strong>und</strong> zum Import von Masch<strong>in</strong>en aus den USAauf. Dank dieser Konzession gelang es dem gerade mal 23 Jahre Jahrealten Dr. Hammer auf se<strong>in</strong>er anschließenden Geschäftsreise <strong>in</strong> dieUSA neben e<strong>in</strong>igen anderen Masch<strong>in</strong>enherstellern sogar den rigorosenAntikommunisten <strong>und</strong> damals noch überzeugten AntisemitenHenry Ford zur Lieferung von Traktoren <strong>in</strong> die Sowjetunion <strong>und</strong> zurE<strong>in</strong>räumung e<strong>in</strong>es Zahlungsziels von 6 Monaten zu überreden.Was dann folgte, war e<strong>in</strong>e der unglaublichsten, abenteuerlichsten <strong>und</strong>me<strong>in</strong>es Erachtens auch rühmenswertesten Geschichten des amerikanischenUnternehmertums – die stets argwöhnisch vom noch jungenFBI-Chef Edgar Hoover beäugt wurde, weil ihm die kommunistischeGes<strong>in</strong>nung des Vaters Julius Hammer bekannt war <strong>und</strong> der junge ArmandHammer im Verdacht stand, ebenfalls e<strong>in</strong> Kommunist zu se<strong>in</strong>.Als Stal<strong>in</strong> 1928 das Ende der 1921 von Len<strong>in</strong> e<strong>in</strong>geführten relativ liberalenWirtschaftspolitik verfügte, handelte Dr. Hammer e<strong>in</strong>e angemesseneEntschädigung für se<strong>in</strong> Vermögen aus <strong>und</strong> kehrte Ende1931 nach e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>jährigen Aufenthalt <strong>in</strong> Frankreich <strong>in</strong> die USAzurück. Dort befasste er sich zunächst mit der Vermarktung e<strong>in</strong>essehr umfangreichen Sammelsuriums aus Kunstschätzen <strong>und</strong> teuremTrödel aus der Zarenzeit <strong>und</strong> veröffentlichte zu diesem Zweck dasAufsehen erregende Buch „The Quest of the Romanoff Treasure“.1933, im Jahr der Aufhebung der Prohibition, gründete er e<strong>in</strong>e Firmafür die Produktion von Bier- <strong>und</strong> Whiskyfässern aus Eichenholz, daser aus Russland importierte, stieg dann selbst <strong>in</strong>s Whiskygeschäft e<strong>in</strong><strong>und</strong> wurde <strong>in</strong>nerhalb weniger Jahre der zweitgrößte WhiskyproduzentAmerikas. Nach dem Krieg begann er mit der Zucht von Black-Angus-R<strong>in</strong>dern <strong>und</strong> verkaufte im Jahre 1954 die komplette Herde –aus Gram über den Verlust se<strong>in</strong>es berühmten Zuchtbullen „Pr<strong>in</strong>ceEric of Sunbeam“. Dieser hatte sich im August 1953 tödliche <strong>in</strong>nereVerletzungen zugezogen, als er des Nachts über e<strong>in</strong> Zaungatter zuden Kühen wollte.129


Wie das Leben so spielt, verliebte sich der junge Armand 1925 <strong>in</strong>e<strong>in</strong>e russische Nachtklubsänger<strong>in</strong> adeliger Herkunft <strong>und</strong> heiratete sieprompt. 1928 wurde ihr Sohn Julian geboren. Als die Ehe 1943 geschiedenwurde, lebten die beiden schon seit Jahren getrennt. Se<strong>in</strong>ezweite Ehe mit e<strong>in</strong>er Sänger<strong>in</strong> aus dem klassischen Fach blieb k<strong>in</strong>derlos<strong>und</strong> wurde im Januar 1956 geschieden. Bereits wenige Tagespäter heiratete er zum dritten Mal, zog nach Los Angeles <strong>und</strong> wolltefortan mit se<strong>in</strong>er etwa gleichaltrigen Frau Frances, die seit e<strong>in</strong>igenJahren verwitwet war, e<strong>in</strong> geruhsames Leben führen.Aus steuerlichen Gründen <strong>in</strong>vestierte Dr. Hammer 1956 dennoch etwasGeld <strong>in</strong> die morib<strong>und</strong>e Ölfirma Occidental Petroleum, die <strong>in</strong> den20er Jahren gegründet wurde, pro Tag etwa 20 Barrel Erdöl förderte<strong>und</strong> ke<strong>in</strong>e 100 000 Dollar wert war. 1957 übernahm er die Geschäftsführung<strong>und</strong> half der Firma auf die Sprünge. Se<strong>in</strong> erster großer Coupgelang ihm mit der Entdeckung des zweitgrößten Gasfeldes von Kalifornienim Sacramento Valley <strong>und</strong> der Vermarktung dieses Gases.Weil Erdgas e<strong>in</strong> wichtiger Rohstoff für die Kunstdüngerproduktionist, übernahm Occidental 1963 die Firma Best Fertilizer. 1966 kaufteOccidental Bohrrechte <strong>in</strong> Libyen <strong>und</strong> entdeckte dort 1967 gigantischeÖlvorkommen – an Stellen, die Shell <strong>und</strong> Mobil Oil nach e<strong>in</strong>igentrockenen Bohrungen als aussichtslos aufgegeben hatten.Weil die großen Ölkonzerne se<strong>in</strong> libysche Öl nicht vermarkten wollten,übernahm er daraufh<strong>in</strong> die belgische Ölfirma Signal, die <strong>in</strong> Antwerpene<strong>in</strong>e große Raff<strong>in</strong>erie betrieb <strong>und</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen europäischenLändern über e<strong>in</strong> eigenes Tankstellennetz verfügte. Somit war es Dr.Hammer auf se<strong>in</strong>e alten Tage h<strong>in</strong> zum großen Erstaunen der Fachwelt<strong>und</strong> mit sehr viel Glück, Geschick <strong>und</strong> Tatkraft gelungen, diee<strong>in</strong>st morib<strong>und</strong>e Klitsche Occidental Petroleum <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en veritablenGlobal Player der Öl-, Gas- <strong>und</strong> Kunstdünger<strong>in</strong>dustrie zu verwandeln.Gestorben ist Dr. Hammer am 10. Dezember 1990 im Alter von 92Jahren nach e<strong>in</strong>em dreijährigen zähen Kampf gegen Knochenkrebs.Zwar gab es e<strong>in</strong>ige kritische Erbsenzähler, die ihn bereits zu Lebzeitenals zwielichtigen Raubkapitalisten <strong>und</strong> skrupellosen Opportunis-130


ten verunglimpften <strong>und</strong> ihn aufgr<strong>und</strong> von falschen Gerüchten sogarbezichtigten, Schuld am kometenhaften Aufstieg der ELN-Guerillazur wohl destruktivsten Terror-Organisation <strong>Kolumbien</strong>s gewesen zuse<strong>in</strong>. Wer se<strong>in</strong>en schier unglaublichen Lebenslauf <strong>und</strong> vor allem se<strong>in</strong>eunternehmerischen Entscheidungen jedoch etwas fairer beurteilt,als dies beispielsweise der bekannte US-Journalist <strong>und</strong> Bestseller-AutorEdward Jay Epste<strong>in</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em 1996 veröffentlichen Hammer-Dossiergetan hat, wird fraglos e<strong>in</strong>räumen müssen, dass er <strong>in</strong>Wirklichkeit e<strong>in</strong> überaus tüchtiger <strong>und</strong> verantwortungsbewusster Unternehmerwar, dem trotz e<strong>in</strong>igen menschlichen Schwächen <strong>und</strong> desScheiterns se<strong>in</strong>er drei Ehen großer Respekt für se<strong>in</strong>e Integrität <strong>und</strong>Lebensleistung gebührt.*Auf E<strong>in</strong>ladung des Alcaldes (Bürgermeisters) von Ch<strong>in</strong>acotá besuchteich am Sonntag, dem 14. Oktober 1984, die erste <strong>und</strong> letzte Corridame<strong>in</strong>es Lebens. Begleitet wurde ich von Mike McGovan <strong>und</strong> se<strong>in</strong>erFrau Maria, die aus Valencia <strong>in</strong> Spanien stammte. Beide warenschon öfters <strong>in</strong> der berühmten Stierkampfarena zu Valencia <strong>und</strong>staunten nicht schlecht über die gute Qualität der Toreros <strong>und</strong> derStiere, die <strong>in</strong> diesem kle<strong>in</strong>en, blitzsauberen Andenstädtchen mit vielleicht3 000 E<strong>in</strong>wohner auftraten bzw. aufgetrieben wurden.Kurz bevor der erste Stierkampf begann, wurden wir von Hans Ettel<strong>und</strong> Chris Hodnett <strong>in</strong>formiert, dass die Firma Sidelan die Arbeitenam Camp bei Saravena habe e<strong>in</strong>stellen müssen, weil Herr Schöttnicht zu e<strong>in</strong>em für Samstag verabredeten Term<strong>in</strong> erschienen war. Daam Sonntag ohneh<strong>in</strong> nicht gearbeitet wurde <strong>und</strong> der Montag e<strong>in</strong> arbeitsfreierFeiertag war, hofften wir, dass sich das Problem bisDienstag von selbst erledigen würde. Dass Schött von der Guerillaentführt worden se<strong>in</strong> könnte, kam mir aufgr<strong>und</strong> der ZusicherungHorst Schreygers, dass unsere hierfür zuständigen Leute e<strong>in</strong> diskretesStillhalteabkommen vere<strong>in</strong>baren würden, nicht <strong>in</strong> den S<strong>in</strong>n.Den arbeitsfreien Montag verbrachte ich bis etwa 21 Uhr im Büro.Dann verspürte ich Hunger <strong>und</strong> schon der Gedanke an die saftigenSteaks vom Grill, die im Restaurant am Swimm<strong>in</strong>gpool des Hotels131


Tonchalá für wenig Geld zu haben waren, ließ mir das Wasser imM<strong>und</strong> zusammenlaufen. Also setzte ich mich <strong>in</strong>s Auto <strong>und</strong> fuhr h<strong>in</strong>.Bevor ich mich <strong>in</strong>s Restaurant begab, schaute ich noch an der Hotelbarvorbei, die sich im ersten Obergeschoss befand. Dort traf ichHans Ettel, Chris Hodnett <strong>und</strong> zwei Mitarbeiter der Firma Sidelan,die mich <strong>in</strong>formierten, dass Schött auch nicht zu e<strong>in</strong>em vere<strong>in</strong>bartenTerm<strong>in</strong> an der Camp-Baustelle bei Toledo erschienen war <strong>und</strong> dassfolglich auch die dortigen Arbeiten nicht fortgesetzt werden konnten.Nach kurzem Rätselraten, was passiert se<strong>in</strong> könnte, verabredeten wiruns auf den kommenden Morgen.An diesem Morgen, am Dienstag, dem 16. Oktober 1984, kurz vor 8Uhr, kam Bill Newburry, e<strong>in</strong>er unserer Vermessungs<strong>in</strong>genieure, <strong>in</strong>me<strong>in</strong> Büro <strong>und</strong> <strong>in</strong>formierte mich mit bebender Stimme, dass der Toyotavon Werner Schött total ausgeräumt <strong>und</strong> mit abmontierten Nummernschildernam Wegrand zwischen Saravena <strong>und</strong> Arauquita stehe,etwa 30 Kilometer vor dem Ölfeld Caño Limón. Da Bill Schlimmstesbefürchtete, musste ich ihn erst beruhigen <strong>und</strong> ihm klar machen,dass dies eigentlich e<strong>in</strong>e gute Nachricht sei, weil somit ausgeschlossenwerden könne, dass Werner Schött <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e beiden Begleiter aufihrer Fahrt auf der halsbrecherische Piste über die Anden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>enAbgr<strong>und</strong> gestürzt waren.In der Überzeugung, dass die zuständigen Leute <strong>in</strong> Düsseldorf e<strong>in</strong>Stillhalteabkommen mit den Rebellen arrangiert hatten, erklärte ichBill Newburry nun, dass es wahrsche<strong>in</strong>lich e<strong>in</strong> Kommunikationsproblemgegeben habe, dass vermutlich e<strong>in</strong>e Entführung vorläge, dassdie Rebellen uns wahrsche<strong>in</strong>lich erpressen wollten <strong>und</strong> dass wir dieEntführten selbstverständlich umgehend auslösen würden. Und weilich mir selbst ziemlich sicher war, dass sich alles genau so verhielt,gelang es mir schließlich, Bill zu überzeugen, dass nicht mit weiterenEntführungen oder Anschlägen zu rechnen sei. Und so akzeptierte erdenn auch prompt me<strong>in</strong>e Anweisung, sich erneut auf die ca. 14-stündigeFahrt über die Anden <strong>in</strong>s Rebellengebiet zu begeben – von woer gerade gekommen war – <strong>und</strong> für den Rücktransport von SchöttsToyota nach Cúcuta zu sorgen.132


Nachdem Bill Newburry sich auf den Weg <strong>in</strong> die Llanos gemachthatte, rief ich Horst Schreyger <strong>in</strong> Düsseldorf an, schilderte ihm dieseBegebenheiten <strong>und</strong> fragte ihn, was ich tun sollte. Bei uns war es <strong>in</strong>zwischenetwa 9 Uhr, <strong>in</strong> Deutschland entsprechend 16 Uhr. Schreygerriet mir, mich an B. Larsen zu wenden, um über den Sicherheitsdienstvon Oxy <strong>in</strong> Erfahrung zu br<strong>in</strong>gen, ob tatsächlich e<strong>in</strong>e Entführungvorläge. Wegen der Zeitverschiebung gab Schreyger mir se<strong>in</strong>ePrivatnummer, um ihn jederzeit über das Resultat me<strong>in</strong>er Ermittlungen<strong>in</strong>formieren zu können.So um halb 10 rief ich B. Larsen <strong>in</strong> Bogotá an, erklärte ihm die Situation<strong>und</strong> bat ihn um Hilfe. Da Oxy schon seit e<strong>in</strong>igen Jahren <strong>in</strong>dieser Region arbeite <strong>und</strong> über die notwendigen Kommunikationsmöglichkeitenverfügte, sagte er mir zu, sofort den Sicherheitsmanagerim Oxy-Camp am Caño Limón anzufunken. Nach ungefähr 30M<strong>in</strong>uten rief Larsen zurück <strong>und</strong> <strong>in</strong>formierte mich, dass dieser nochnichts von e<strong>in</strong>er Entführung gehört hatte. Außerdem empfahl er mir,uns ke<strong>in</strong>esfalls e<strong>in</strong>zuigeln, um Kontaktversuche der Rebellen nichtunnötig zu erschweren, <strong>und</strong> umgehend den Alcalde von Saravena zubesuchen, um ihn zu bitten, uns bei der Suche nach den Vermisstenbehilflich zu se<strong>in</strong>.Da es noch ke<strong>in</strong>e Telefonverb<strong>in</strong>dung nach Saravena gab, g<strong>in</strong>g ichdaraufh<strong>in</strong> zu Dom<strong>in</strong>go Alberto Monsalve, dem Bankdirektor, <strong>und</strong> batihn, den Polizeikommandanten von Cúcuta zu veranlassen, für michper Polizeifunk e<strong>in</strong>en Gesprächsterm<strong>in</strong> mit dem Alcalde von Saravenazu arrangieren, weil ich mit ihm dr<strong>in</strong>gend über den Bau unseresCamps bei Saravena sprechen müsste. Zwar hatte ich den Polizeikommandantenschon persönlich kennen gelernt, allerd<strong>in</strong>gs nurflüchtig, sodass es mir ratsam schien, Dom<strong>in</strong>go um diese Gefälligkeitzu bitten. Den tatsächlichen Zweck dieses Gesprächswunsches gabich nicht preis, damit ke<strong>in</strong>e voreiligen Polizeiaktionen <strong>in</strong> Gang gesetztwerden. Etwa e<strong>in</strong>e St<strong>und</strong>e später erhielt ich die Nachricht, dassdas Gespräch um 15 Uhr stattf<strong>in</strong>den könnte.Die Ortschaft Saravena wurde erst Mitte der 1960er Jahre von e<strong>in</strong>igenSiedlerfamilien gegründet, die ihr karges Leben hauptsächlich133


mit R<strong>in</strong>derzucht, etwas Ackerbau <strong>und</strong> dem Handel mit D<strong>in</strong>gen destäglichen Bedarfs fristeten. 1984 lebten <strong>in</strong> Saravena schätzungsweiseetwa 2 000 Menschen, im Umkreis von 30 Kilometern vielleicht weitere2 000. Auf den ersten 150 Pipel<strong>in</strong>e-Kilometern war Saravena diemit Abstand größte Geme<strong>in</strong>de. Zuvor war diese Region – abgesehenvon e<strong>in</strong>igen wenigen Fluss<strong>in</strong>dianern – aufgr<strong>und</strong> ihrer Abgeschiedenheitpraktisch unbesiedelt. Die Kirche war im landesüblichen Jesuitenstilgebaut <strong>und</strong> bot vielleicht 100 Sitzplätze. Der Amtssitz des Alcaldesbefand sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em der wenigen zweigeschossigen Gebäude;unmittelbar daneben gab es e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Polizeistation. Etwa e<strong>in</strong>en Kilometeraußerhalb stand e<strong>in</strong> stark befestigtes Militärfort <strong>in</strong> Holzbauweise,<strong>in</strong> dem e<strong>in</strong>e Kompanie Soldaten stationiert war. Die nicht asphaltierteHauptstraße war gesäumt von zahlreichen Ladengeschäftenfür D<strong>in</strong>ge des täglichen Bedarfs <strong>und</strong> e<strong>in</strong>ige Kneipen gab es natürlichauch. Weil Reitpferde noch e<strong>in</strong> gängiges Fortbewegungsmittel waren,gab es vor vielen Geschäften <strong>und</strong> Kneipen noch horizontaleStangen, an denen diese angeb<strong>und</strong>en werden konnten.Um den Fortgang der Arbeiten an unseren Camps zu ermöglichen,übertrug ich Schötts Aufgabenbereich auf unseren Bauleiter NikolausKryszostaniak, <strong>in</strong>formierte ihn über den Stand der D<strong>in</strong>ge <strong>und</strong> schlugihm vor, ihn bei dieser Gelegenheit dem Alcalde von Saravena vorzustellen,damit er sich bei Bedarf an ihn wenden könnte. Dann bestellteich e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Cessna für den Flug nach Saravena. Diese hobum etwa 14 Uhr <strong>in</strong> Cúcuta ab <strong>und</strong> landete kurz vor 15 Uhr auf derholperigen Piste am Rande dieser mitten im Operationsgebiet derELN-Guerilla liegenden Ortschaft. In vielleicht 30 Meter Entfernungvon der Haltestelle unserer Cessna stand e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Baracke, vor deretwa sieben junge Männer herumlungerten, die landestypische Campes<strong>in</strong>o-Kleidungtrugen <strong>und</strong> ke<strong>in</strong> Gepäck dabei hatten. Dass es sichum Guerilleros handeln könnte, war nicht erkennbar. Und weil es <strong>in</strong>dieser Region viele Landepisten für kle<strong>in</strong>e Flugzeuge gab, vermuteteich, dass sie auf e<strong>in</strong>en Taxiflug warteten, um jemanden abzuholen.Als wir uns der Baracke bis auf etwa zehn Meter genähert hatten,kam uns e<strong>in</strong>er der Männer entgegen, begrüßte mich fre<strong>und</strong>lichst mit134


me<strong>in</strong>em Namen <strong>und</strong> stellte sich als Mitglied der ELN-Guerilla vor.Er war von eher schmächtiger Statur, ungefähr 1,70 Meter groß <strong>und</strong>etwa 35 Jahre alt. Nachdem ich die Begrüßung nicht m<strong>in</strong>der fre<strong>und</strong>licherwidert hatte, sagte er mir, dass die Vermissten wohlauf wären<strong>und</strong> dass ich morgen die Bed<strong>in</strong>gungen für ihre Freilassung erhaltenwürde. In Kenntnis der besonderen Bed<strong>in</strong>gungen, die unserem Auftragzugr<strong>und</strong>e lagen, sicherte ich ihm selbstverständlich prompt me<strong>in</strong>bestes Bemühen zu, die Sache e<strong>in</strong>vernehmlich zu regeln.Diese Begegnung dauerte vielleicht e<strong>in</strong>e M<strong>in</strong>ute. Als Kryszostaniakbemerkte, dass dieser Mann auf uns zukam, ließ er sich etwas zurückfallen<strong>und</strong> blieb etwa drei Meter h<strong>in</strong>ter mir stehen. Nach dieserkurzen Unterbrechung g<strong>in</strong>gen wir geme<strong>in</strong>sam weiter zum e<strong>in</strong>zigenAuto, das <strong>in</strong> etwa 50 Meter Entfernung von der Baracke auf uns wartete.Wie vom Polizeikommandanten avisiert, hatte der Alcalde se<strong>in</strong>enFahrer geschickt, um uns abzuholen, obwohl es bis zur Alcaldianur etwa fünf Fußm<strong>in</strong>uten waren. Auf dem Weg zum Auto gab ichdie ebenso unerwartete wie gute Nachricht an Kryszostaniak weiter.Natürlich war auch er prompt sehr erleichtert. Da er unter anderemschon beim Bau e<strong>in</strong>er Pipel<strong>in</strong>e vom Roten Meer nach Karthum, derHauptstadt der Republik Sudan, mitgewirkt hatte, hatten ihn dieseBegebenheiten <strong>und</strong> auch die örtlichen Verhältnisse nicht sonderlichbee<strong>in</strong>druckt.Der Alcalde war etwa 35 Jahre alt <strong>und</strong> schien sehr erfreut darüber zuse<strong>in</strong>, dass ich ihn sprechen wollte <strong>und</strong> Pläne dabei hatte, um ihn überden Umfang <strong>und</strong> zeitlichen Ablauf unserer Arbeiten <strong>in</strong> der Region zu<strong>in</strong>formieren. Zunächst kam ich auf unseren Herrn Schött <strong>und</strong> dessenbeiden Begleiter zu sprechen <strong>und</strong> fragte den Alcalde, ob er e<strong>in</strong>e Ideeüber ihren Verbleib hätte. Da er zu me<strong>in</strong>er großen Überraschung vorgab,ke<strong>in</strong>e Ahnung zu haben, vermutete ich, dass er sich aus dieserheiklen Angelegenheit heraushalten wollte. Folglich beließ ich es beider Bitte, mich prompt zu <strong>in</strong>formieren, falls er diesbezügliche H<strong>in</strong>weiseerhalten sollte.Aufgr<strong>und</strong> me<strong>in</strong>er Vermutung, dass er aus Furcht vor möglichen Repressaliender ELN den Ahnungslosen mimte, <strong>und</strong> weil mir die Be-135


d<strong>in</strong>gungen für die Freilassung der Entführten schon am nächsten Tagübermittelt werden sollten, hielt ich es für besser, den Alcalde nichtüber me<strong>in</strong> kurzes Gespräch auf dem Flugplatz zu unterrichten. Dannstellte ich ihm Herr Kryszostaniak als Schötts Nachfolger vor <strong>und</strong> batihn, ihm bei Bedarf behilflich zu se<strong>in</strong>. Nachdem wir etwa zwei St<strong>und</strong>enmite<strong>in</strong>ander über das Projekt, unseren Bedarf an lokalen Arbeitskräften<strong>und</strong> über die sich bietenden Geschäftsmöglichkeiten für dieortsansässigen Händler <strong>und</strong> Gewerbetreibenden gesprochen hatten,flogen wir um 17 Uhr wieder zurück nach Cúcuta. Inzwischen hattesich über den Anden e<strong>in</strong> mächtiges Tropengewitter zusammengebraut,sodass der Pilot es vorzog, über das Staatsgebiet von Venezuelazurückzufliegen.Nach der Landung begaben wir uns mit dem Piloten <strong>in</strong>s Flughafengebäude,um den Flug zu bezahlen, der 18 000 Pesos kostete. Währendich gerade im Begriff war, die 18 000 Pesos <strong>in</strong> 1 000-Peso-Sche<strong>in</strong>en auf den Tresen zu blättern, tippte mich jemand von h<strong>in</strong>tenauf die Schulter. Als ich mich umblickte, sah ich zwei eher schüchternwirkende junge Männer h<strong>in</strong>ter mir stehen, die dunkle Bus<strong>in</strong>ess-Anzüge trugen. Nachdem ich die Frage, ob ich Señor Zipfel wäre,bejaht hatte, übergaben sie mir ohne jede weitere Erklärung e<strong>in</strong>großes braunes Kuvert <strong>und</strong> eilten fluchtartig davon. Wahrsche<strong>in</strong>lichhatten die Rebellen also das Funkgespräch des Polizeikommandantenvon Cúcuta mit dem Alcalde von Saravena abgehört <strong>und</strong> die sich ausme<strong>in</strong>em Flug ergebende Gelegenheit zu e<strong>in</strong>er diskreten Kontaktaufnahmegenutzt. Das Kuvert enthielt folgende Schriftstücke:136


El Sarare, Oktober 1984Arauca <strong>Kolumbien</strong>Das Schreiben der ELNOrig<strong>in</strong>al-Text <strong>in</strong> Spanisch siehe Anhang 1Herrn Zipfel <strong>und</strong> Bernd Schwarzer<strong>Mannesmann</strong> AnlagenbauWir begrüßen Sie <strong>in</strong> revolutionärer Brüderlichkeit.Hiermit <strong>in</strong>formieren wir Sie, dass das Pipel<strong>in</strong>e-Projekt Caño Limón– Rio Zulia momentan von der totalen <strong>und</strong> absoluten Opposition desHeeres der nationalen Befreiung, der ELN, betroffen ist.Da wir dessen Bau ablehnen, haben wir den Ingenieur WernerSchött <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e beiden Gehilfen entführt.Der Entführung Herrn Schötts liegen politische <strong>und</strong> wirtschaftlicheMotive zugr<strong>und</strong>e. Die Hauptsache ist für uns nicht die Person HerrnSchötts, sondern die Sabotierung <strong>und</strong> permanente Bedrohung der Pipel<strong>in</strong>e.Damit die ELN den Bau der bedrohten Pipel<strong>in</strong>e gestattet,Herrn Schött ges<strong>und</strong> <strong>und</strong> wohlbehalten frei lässt <strong>und</strong> <strong>Mannesmann</strong>wirtschaftliche oder technische Aktivitäten jeglicher Art <strong>in</strong> <strong>Kolumbien</strong>erlaubt, verlangen wir e<strong>in</strong>en Betrag von zwei Millionen US-Dollar– 2.000.000 US-$.Im beigefügten Brief Herrn Schötts erläutern <strong>und</strong> wiederholen wirunsere Forderungen <strong>und</strong> Anweisungen an <strong>Mannesmann</strong> <strong>und</strong> erklärenuns, das Heer der nationalen Befreiung von <strong>Kolumbien</strong>, ELN, fürverantwortlich.Wir empfehlen Ihnen, den Brief Herrn Schötts genau zu analysieren,weil wir dar<strong>in</strong> unsere Forderungen <strong>und</strong> Schritte beschreiben, die Sierespektieren müssen.Es ist von vitaler Bedeutung, dass Sie verstehen <strong>und</strong> <strong>Mannesmann</strong>davon überzeugen, dass Sie im Falle e<strong>in</strong>er Bezahlung des verlangtenLösegeldes die Pipel<strong>in</strong>e bauen dürfen <strong>und</strong> dass unsere Organisation137


fortan die Aktivitäten <strong>Mannesmann</strong>s <strong>in</strong> <strong>Kolumbien</strong> respektieren <strong>und</strong>unterstützen wird.Das oben Gesagte wird untermauert durch die Ernsthaftigkeit, <strong>in</strong> derunsere Organisation seit zwanzig Jahren für unser Vaterland kämpft.Wir <strong>in</strong>formieren Sie, dass wir unsere Forderungen auch an <strong>Mannesmann</strong><strong>in</strong> Deutschland/Düsseldorf geschickt haben, zusammen mit Informationenbezüglich der Pipel<strong>in</strong>e <strong>und</strong> der Entführung HerrnSchötts.Unsere Forderungen <strong>und</strong> Richtl<strong>in</strong>ien lauten wie folgt:1. Zur Aufnahme von Verhandlungen müssen Sie zwei Millionen US-Dollar bezahlen.2. Am 21. oder 22. Oktober müssen Sie <strong>in</strong> der Tageszeitung La Op<strong>in</strong>ion<strong>in</strong> Cúcuta zur Erklärung Ihrer Bereitschaft zu ehrlichen Verhandlungenfolgende Anzeige veröffentlichen:Mercedes Benz 280 SL zu verkaufenwegen Reise, günstiger Preis!3. Anbei senden wir e<strong>in</strong>ige persönliche Dokumente Herrn Schötts zusammenmit dem Schlüssel des Toyotas.4. Bei e<strong>in</strong>er erneuten Kommunikation identifizieren wir uns mit e<strong>in</strong>emzweiten Schlüssel des Toyotas mit derselben Nummer.5. Von diese Angaben dürfen das Militär, die Polizei, DAS, F2 etc.ke<strong>in</strong>e Kenntnis erlangen, weil Sie <strong>in</strong> diesem Fall automatisch das Pipel<strong>in</strong>e-Projekt<strong>und</strong> die Angestellten, die sich <strong>in</strong> unseren Händen bef<strong>in</strong>den,beerdigen können,<strong>in</strong>sbesondere Herrn Werner Schött.6. Die ELN besitzt die Fähigkeit, ihre Sicht der D<strong>in</strong>ge durchzusetzen.Erk<strong>und</strong>igen Sie sich über unsere revolutionären Aktivitäten <strong>und</strong> unserestrikte Ablehnung des falschen Friedens <strong>und</strong> der falschenAmnestie.KEINE BEFREIUNGSVERSUCHE ODER TOD !HEER DER NATIONALEN BEFREIUNGVON KOLUMBIEN E.L.N.138


Das Schreiben Herrn Schötts(Orig<strong>in</strong>al-Text <strong>in</strong> Englisch siehe Anhang 2)(<strong>in</strong> Schötts Handschrift)W. Schött 13.10.1984<strong>Mannesmann</strong> AnlagenbauHerrn Zipfel / Herrn SchwarzerBüro Cúcuta / BogotáSehr geehrter Herr Zipfel, Herr Schwarzer!David, Alvaro <strong>und</strong> ich wurden gestern um ca. 14 Uhr auf der Straßezwischen Saravena <strong>und</strong> Arauquita gestoppt. Die Männer hatten Masch<strong>in</strong>engewehre,Schnellfeuergewehre, Revolver usw. <strong>und</strong> gehörenzur ELN-Organisation für die Befreiung der Armen. Wir werden irgendwoals Gefangene gehalten, <strong>und</strong> diese Männer verlangen von<strong>Mannesmann</strong> die Summe von zwei Millionen US-Dollar. Wenn <strong>Mannesmann</strong>nicht bezahlt, werden sie uns töten <strong>und</strong> jeder Ausländer aufder Baustelle wird erschossen werden. Sie werden auch die Campszerstören, sobald sie fertig s<strong>in</strong>d. Ich b<strong>in</strong> der erste <strong>in</strong> dieser Situation,aber es kann wieder <strong>und</strong> wieder geschehen.(<strong>in</strong> Alvaros Handschrift)Ich b<strong>in</strong> Alvaro Rios, e<strong>in</strong>er von Herrn Schötts Assistenten, <strong>und</strong> schreibedies nur, um zu bestätigen, dass wir uns <strong>in</strong> der gleichen Situationwie Herr Schött bef<strong>in</strong>den. Wir s<strong>in</strong>d mitten im Dschungel, unter dengegebenen Umständen geht es uns gut, <strong>und</strong> sie behandeln uns nichtschlecht. Ich bitte Sie sehr höflich, den Ernst der Lage zu begreifen<strong>und</strong> ihre Forderungen zu akzeptieren, weil sie ihre Ziele sehr ernsthaftverfolgen.139


Me<strong>in</strong>e HerrenHerr Schwarzer / Herr Zipfel,(wieder <strong>in</strong> Herrn Schötts Handschrift)Offizieller Teilmit diesem Schreiben möchte die ELN-Armee für die nationale BefreiungIhnen die Situation verdeutlichen, <strong>in</strong> der sich Ihr IngenieurWerner Schött <strong>und</strong> <strong>in</strong>sbesondere die <strong>Mannesmann</strong> Anlagenbau AG <strong>in</strong><strong>Kolumbien</strong> bef<strong>in</strong>den.Die ELN betrachtet die Entführung Herrn Schötts als Reaktion aufe<strong>in</strong>e politische <strong>und</strong> wirtschaftliche Lage, die ihre Wurzeln <strong>in</strong> derAusbeutung von Ländern der Dritten Welt durch kapitalistische Industrienationenhat; <strong>in</strong> diesem speziellen Fall e<strong>in</strong>schließlich derOccidental Oil Company <strong>und</strong> der <strong>Mannesmann</strong> Anlagenbau AG ausDüsseldorf.Die ELN möchte Ihnen die Lage Ihrer Firma klar machen. Ihren vonuns gefangen gehaltenen Ingenieur Werner Schött betrachten wir <strong>in</strong>erster L<strong>in</strong>ie nicht als Privatperson, sondern als Repräsentanten dergesamten mult<strong>in</strong>ationalen <strong>Mannesmann</strong>-Organisation.<strong>Des</strong>halb verlangen wir von Ihrer Firma die Bezahlung von zwei MillionenUS-Dollar, nicht nur für das Leben von Herrn Schött <strong>und</strong> se<strong>in</strong>enbeiden Assistenten, sondern <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie für unsere Genehmigungzum Bau dieser Pipel<strong>in</strong>e. Sollte ke<strong>in</strong>e Zahlung erfolgen, beabsichtigenwir die Bauarbeiten mit unseren Waffen so zu sabotieren,dass es Ihrer Firma unmöglich se<strong>in</strong> wird, die Pipel<strong>in</strong>e zu bauen. Indiesem Fall müssen Sie mit schweren Verlusten unter Ihrem ausländischenPersonal <strong>und</strong> mit weit höheren Kosten rechnen als die verlangtenzwei Millionen US-Dollar. Sie wissen ebenfalls, dass e<strong>in</strong> Unternehmen,welches fahrlässig mit dem Schicksal se<strong>in</strong>es Personalsumgeht, <strong>in</strong> der Presse, im Fernsehen <strong>und</strong> <strong>in</strong> der eigenen Belegschafte<strong>in</strong>en sehr schlechten Ruf erwirbt.Die ELN räumt Ihnen maximal zwei Monate e<strong>in</strong>, um e<strong>in</strong>e Vere<strong>in</strong>barungmit uns herbeizuführen. Die Zeit beg<strong>in</strong>nt an dem Tag zu laufen,an dem Sie diesen Brief erhalten, <strong>und</strong> danach wird es unter ke<strong>in</strong>en140


Umständen weitere Verhandlungen geben. In diesen Verhandlungengeht es nicht nur um das Leben von Herrn Schött, sondern um denBau der Pipel<strong>in</strong>e <strong>und</strong> die Sicherheit des ausländischen Personals beidiesem Projekt.Unter ke<strong>in</strong>en Umständen dürfen kolumbianische Staatsorgane wiePolizei, Armee, Geheimdienste usw. Kenntnis von diesem Schreibenerhalten; andernfalls werden Ihre Angestellten ihr Leben verlieren<strong>und</strong> Ihr Projekt wird scheitern.Die ELN geht davon aus, dass es im Interesse von <strong>Mannesmann</strong>liegt, zu e<strong>in</strong>er Art von Zusammenarbeit mit uns zu f<strong>in</strong>den, die Verzögerungen<strong>und</strong> wirtschaftlichen Verlusten vorbeugt; außerdem dürftee<strong>in</strong> erfolgloses Projekt auch für die verantwortlichen Leute problematischse<strong>in</strong>.Falls es zu e<strong>in</strong>er Vere<strong>in</strong>barung zwischen der ELN <strong>und</strong> <strong>Mannesmann</strong>kommen sollte, wird die ELN den Bau der Pipel<strong>in</strong>e genehmigen <strong>und</strong>es wird auch ke<strong>in</strong>e weiteren Sicherheitsprobleme für das Personal,für Baumasch<strong>in</strong>en, für Subunternehmer usw. mehr geben; die Gefangenenwerden dann automatisch frei se<strong>in</strong>.Diesem Brief fügen wir folgende persönliche Dokumente Ihres AngestelltenWerner Schött bei:- Die Fahrzeugpapiere des Toyotas <strong>und</strong> den Garantiesche<strong>in</strong>- E<strong>in</strong>en Beleg des Hotels Tonchalá- Die E<strong>in</strong>reisekarte von Herrn Schött- E<strong>in</strong>en Schlüssel des Toyotas (Nr. K0236)Durch den vorliegenden Brief s<strong>in</strong>d Sie nun über die Situation <strong>in</strong>formiert.Um mit uns <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung zu treten, müssen Sie folgende Anzeige am21. oder 22. Oktober <strong>in</strong> der Zeitung La Op<strong>in</strong>ion <strong>in</strong> Cúcuta veröffentlichen:Mercedes Benz 280 SL zu verkaufenwegen Reise, günstiger Preis!141


Falls ke<strong>in</strong>e Anzeige ersche<strong>in</strong>en sollte, gehen wir davon aus, dass Siean e<strong>in</strong>er Vere<strong>in</strong>barung mit uns nicht <strong>in</strong>teressiert s<strong>in</strong>d. Wir sendenauch Briefe an Herrn Schötts Familie <strong>und</strong> an die Herren Schwarzbach<strong>und</strong> Schreyger von <strong>Mannesmann</strong> Anlagenbau. Die Medien <strong>in</strong>Deutschland werden auch <strong>in</strong>formiert werden. Nachdem die Anzeige<strong>in</strong> La Op<strong>in</strong>ion veröffentlicht wurde, wird wie folgt vorgegangen:Die ELN wird den zweiten Schlüssel des Toyotas durch e<strong>in</strong>e Personüberbr<strong>in</strong>gen lassen, die berechtigt ist, über Vertrags- <strong>und</strong> Zahlungsbed<strong>in</strong>gungenusw. zu sprechen. Nummer des Schlüssels: K0236. DieserSchlüssel wird irgende<strong>in</strong>em Mitglied des deutschen <strong>Mannesmann</strong>-Personalsübergeben, <strong>und</strong> ihr Personal muss im Voraus durchdie Herren Schwarzer/Zipfel <strong>in</strong>struiert worden se<strong>in</strong>, wie <strong>Mannesmann</strong>weiter vorgehen wird, wo e<strong>in</strong> Treffen stattf<strong>in</strong>den kann, usw.Die zweite Kommunikation wird abgesichert durch Vorlage des zweitenToyota-Schlüssels mit derselben Nummer: K0236.Vorläufige Zahlungsbed<strong>in</strong>gungen: Die Zahlung soll <strong>in</strong> 100-US-Dollar-Notenmit gemischten Seriennummern erfolgen.Als e<strong>in</strong>en Hauptbeweis haben wir uns entschlossen, Ihnen HerrnSchötts Reisepass ohne Bild zu übersenden. Wir behalten das Bildfür spätere Gespräche mit den Direktoren von <strong>Mannesmann</strong> <strong>in</strong>Deutschland.Lieber Herr Zipfel,der obige Text wurde mir von den Leuten der ELN diktiert <strong>und</strong> Sies<strong>in</strong>d nun im Bilde.Wie ich es verstehe, ist die Summe verhandlungsfähig, aber die ELNsche<strong>in</strong>t zwischen Toledo <strong>und</strong> Caño Limón die e<strong>in</strong>zige aktive Organisationzu se<strong>in</strong>. Sie haben den Vertrag mit Betancur nicht unterzeichnet.Ich hoffe nur, dass Sie e<strong>in</strong>en Weg f<strong>in</strong>den werden, uns aus dieser Situationherauszuholen – weil es nicht so schön ist, solch e<strong>in</strong> Ende zuf<strong>in</strong>den!Mit fre<strong>und</strong>lichen Grüßen Werner Schött142


Zum ersten Mal las ich diese Schriftstücke auf der Taxifahrt vomFlughafen zu unserem Büro. Dort angekommen, <strong>in</strong>formierte ich zunächstMike McGovan, dass Schött <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e beiden Begleiter wohlaufseien <strong>und</strong> dass wir lediglich zwei Millionen US-Dollar bezahlenmüssten, um ungestört arbeiten zu können. Dann rief Mike se<strong>in</strong>eFrau Maria h<strong>in</strong>zu, die unser Sekretariat leitete. Nachdem wir dieBriefe zu dritt gelesen hatten, fühlten wir uns e<strong>in</strong>erseits zwar sehr erleichtert,dass nichts Schlimmeres passiert war <strong>und</strong> kamen sogar zumSchluss, dass die ELN sich die Mühen dieser Entführung eigentlichhätte sparen können, weil aufgr<strong>und</strong> unseres Vertrages alle<strong>in</strong> schondie Androhung von Sabotageakten genügt hätte, um uns zur Bezahlungdes verlangten Schutzgeldes zu veranlassen. Andererseits warenwir aber auch ziemlich konsterniert, weil es entgegen unserer Überzeugungoffenk<strong>und</strong>ig noch ke<strong>in</strong> Stillhalteabkommen mit der ELNgab <strong>und</strong> wir nicht entsprechend <strong>in</strong>formiert waren. Weil diesen beidenBriefen zu entnehmen war, dass e<strong>in</strong>e umgehende Lösung der Rebellenproblematikmöglich ist, hielten wir es jedoch nicht für nötig, unswegen dieser Unterlassung noch groß zu beschweren.Bei Bernd Schwarzer, dem Mitadressaten dieser Schriftstücke, handeltees sich um e<strong>in</strong>en Handelsvertreter, der schon seit e<strong>in</strong>igen Jahren<strong>in</strong> Bogotá als ziemlich erfolgloser Delegierter unserer Konzernschwester,der <strong>Mannesmann</strong> Handel AG, fungierte. Er verkaufte proJahr für gerade e<strong>in</strong>mal etwa e<strong>in</strong>e Million US-Dollar Rohre <strong>und</strong> hatte1982 die Tochter e<strong>in</strong>er sehr gut situierten deutsch-kolumbianischenFamilie geheiratet. Obwohl er vom Pipel<strong>in</strong>ebau ke<strong>in</strong>e Ahnung hatte<strong>und</strong> auch die besonderen Vertragsbed<strong>in</strong>gungen nicht kannte, die unseremAuftrag zugr<strong>und</strong>e lagen, mimte er, nachdem wir den Auftragerhalten hatten, den wichtigen Berater. Er war etwa <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Alter<strong>und</strong> stand uns bei Bedarf wegen se<strong>in</strong>er Ortskenntnisse zwar als Assistentzur Verfügung, gehörte jedoch nur am Rande zu unserem Projekt-Team.Wahrsche<strong>in</strong>lich vermutete die ELN, dass er aufgr<strong>und</strong> se<strong>in</strong>erfamiliären Verb<strong>in</strong>dungen <strong>und</strong> se<strong>in</strong>er mehrjährigen Anwesenheit<strong>in</strong> <strong>Kolumbien</strong> zu den führenden Leuten unseres Projekts gehörte.Dem war jedoch nicht so. Und deshalb hatte ich ihn auch nur telefo-143


nisch über die Entführung an sich, aber nicht über die Details desFriedensangebots <strong>in</strong>formiert.Zwar behauptete die ELN, dass die teilweise <strong>in</strong> der Tat beklagenswertenVerhältnisse <strong>in</strong> <strong>Kolumbien</strong> durch die Ausbeutung der DrittenWelt durch kapitalistische Industrienationen bed<strong>in</strong>gt wären. Dabeihandelte es sich me<strong>in</strong>es Erachtens jedoch um schieren Unfug. Dennzum e<strong>in</strong>en gehörte <strong>Kolumbien</strong> ke<strong>in</strong>esfalls <strong>in</strong> die Kategorie der sogenanntenDritte-Welt-Nationen, <strong>und</strong> zum anderen resultierten dieseVerhältnisse vor allem aus geographischen, klimatischen <strong>und</strong> kulturellenGegebenheiten. H<strong>in</strong>zu kam das äußerst destruktive Vorhabendiverser Rebellenorganisationen <strong>und</strong> deren Sympathisanten, aus <strong>Kolumbien</strong>e<strong>in</strong> sozialistisches Arbeiter-, Bauern- <strong>und</strong> Funktionärsparadiesnach kubanischem Vorbild zu machen, <strong>und</strong> das fraglos berechtigteBemühen der zuständigen Staatsorgane <strong>und</strong> vieler liberaler <strong>und</strong>konservativer Kolumbianer, die Realisierung dieses revolutionärenVorhabens zu verh<strong>in</strong>dern.Um etwa 20 Uhr rief ich Horst Schreyger an, <strong>in</strong>formierte ihn überden Stand der D<strong>in</strong>ge <strong>und</strong> las ihm Schötts handschriftlichen Brief vor.Bevor ich zu lesen begann, schaltete er se<strong>in</strong> Aufzeichnungsgerät e<strong>in</strong>.Nachdem ich mit dem Vorlesen fertig war, zeigte auch er sich sehrerleichtert, dass die Vermissten wohlauf waren, sicherte mir zu, dasswir dieses Friedensangebot selbstverständlich akzeptieren würden<strong>und</strong> wies mich an, das Kuvert samt Inhalt e<strong>in</strong>em Herrn Dr. HartmutNolte von <strong>Mannesmann</strong> zu übergeben, der auf den morgigen Lufthansa-Flugvon Bogotá nach Frankfurt gebucht wäre <strong>und</strong> den er avisierenwürde, dieses Kuvert um 10 Uhr <strong>in</strong> Bernd Schwarzers Büro <strong>in</strong>Bogotá <strong>in</strong> Empfang zu nehmen.Nach dem Telefonat <strong>in</strong>formierte ich die Mitarbeiter über das Ergebnisme<strong>in</strong>es Fluges nach Saravena <strong>und</strong> me<strong>in</strong> Gespräch mit Schreyger.Auch ihnen gegenüber führte ich die Entführung auf e<strong>in</strong> Kommunikationsproblemzurück <strong>und</strong> gab die Parole „Bus<strong>in</strong>ess as usual“ aus –was auch von allen als normal empf<strong>und</strong>en wurde. Da ich am nächstenMorgen ohneh<strong>in</strong> <strong>in</strong> Bogotá zu tun hatte, beschloss ich, das KuvertHerrn Dr. Nolte persönlich auszuhändigen. Wegen der Gefahr,144


dass das Dokument auf dem langen Weg von Cúcuta nach Düsseldorfverloren g<strong>in</strong>ge, machte ich nach dem Telefonat mit Schreygervorsichtshalber Kopien von den im Kuvert enthaltenen Schriftstücken.Um zu verh<strong>in</strong>dern, dass die Kopien von unbefugten Leutengelesen würden, verwahrte ich sie bei me<strong>in</strong>en persönlichen Sachen.Als ich am nächsten Morgen kurz vor 10 Uhr das Büro der <strong>Mannesmann</strong>Handels AG <strong>in</strong> Bogotá betrat, um Dr. Nolte zu treffen, telefonierteBernd Schwarzer gerade mit Schreyger <strong>und</strong> sagte ihm auchprompt, dass ich soeben e<strong>in</strong>getroffen wäre. Dann setzten die beidenihr Gespräch fort. Offenk<strong>und</strong>ig hatte Schreyger Schwarzer bereitsüber den Inhalt des Friedensangebots <strong>in</strong>formiert, <strong>und</strong> so wurden Dr.Nolte <strong>und</strong> ich Zeugen, wie Schwarzer sagte, dass wir uns von diesem„Lumpenges<strong>in</strong>del“ nicht erpressen lassen müssten, weil se<strong>in</strong> Schwagere<strong>in</strong> guter Fre<strong>und</strong> e<strong>in</strong>es Generals der kolumbianischen Armeewäre, <strong>und</strong> dass er davon aushehe, dass dieser General mit diesem„Lumpenges<strong>in</strong>del“ kurzen Prozess machen würde, falls wir ihn umHilfe bitten würden. Als Schreyger die Erfolgsaussichten dieser abwegigenOption zu h<strong>in</strong>terfragen begann, unterbrach ich das Gespräch<strong>und</strong> riet ihm auf unmissverständliche Weise, diesen Unfug zu vergessen,weil uns andernfalls e<strong>in</strong> riesiges Fiasko drohte. Ziemlich überraschtüber die Deutlichkeit me<strong>in</strong>er Intervention, versicherte mirSchreyger spontan, me<strong>in</strong>em Rat zu entsprechen <strong>und</strong> <strong>in</strong>formiertemich, dass momentan e<strong>in</strong>e Krisensitzung des Konzernvorstands stattfände,an der unser F<strong>in</strong>anzvorstand Dr. Siepert teilnehme, <strong>und</strong> dass erihn bitten würde, mich um 13:30 <strong>in</strong> Schwarzers Büro anzurufen <strong>und</strong>über das Resultat dieser Sitzung zu unterrichten.Dr. Sieperts Anruf kam pünktlich. Wir sprachen etwa e<strong>in</strong>e halbeSt<strong>und</strong>e mite<strong>in</strong>ander. Unter anderem erhielt ich <strong>in</strong> diesem Gesprächfolgende Informationen <strong>und</strong> Instruktionen:1. Allen Forderungen der ELN soll entsprochen werden.2. Die Arbeiten könnten folglich gefahrlos fortgesetzt werden.3. Im B<strong>und</strong>eskanzleramt wurde e<strong>in</strong> Krisenstab e<strong>in</strong>gerichtet.4. Für die Medien sei e<strong>in</strong>e Nachrichtensperre erwirkt worden.145


5. Unser Personal soll vorerst weitere Telefonate nach Deutschlandunterlassen.6. Die Angehörigen unseres Personals würden von unserer Personalabteilungüber den Gr<strong>und</strong> der Kontaktsperre <strong>in</strong>formiert.7. Am 19. Oktober, 21 Uhr, würde Dieter Lehmann <strong>in</strong> <strong>Kolumbien</strong>e<strong>in</strong>treffen, um die Auslösung der Entführten abzuwickeln <strong>und</strong> mir allesWeitere mitzuteilen.Dieter Lehmann war etwa 50 Jahre alt <strong>und</strong> fungierte als Leiter desRechnungswesens unserer Hauptabteilung. Da wir zwei MillionenUS-Dollar <strong>in</strong> bar zu zahlen hatten, erschien mir se<strong>in</strong>e Beauftragungplausibel. Und da ich h<strong>in</strong> <strong>und</strong> wieder mit ihm zu tun hatte, war ichzunächst auch davon überzeugt, dass er den Anforderungen dieserAufgabe gewachsen wäre.In Anbetracht der Tatsache, dass diese Entführung lediglich derDurchsetzung e<strong>in</strong>er Schutzgeldforderung diente, die wir aus vertraglichen<strong>und</strong> ethischen Gründen ohneh<strong>in</strong> erfüllen mussten, <strong>und</strong> dassdas Leben der Entführten offenk<strong>und</strong>ig nicht <strong>in</strong> Gefahr war, w<strong>und</strong>erteich mich zwar, dass man im B<strong>und</strong>eskanzleramt nichts Besseres zutun hatte, als wegen dieser Bagatelle e<strong>in</strong>en Krisenstab e<strong>in</strong>zurichten.Weil es jedoch möglich war, dass bei der Auslösung etwas schief gehenkönnte, machte ich mir deswegen ke<strong>in</strong>e weiteren Gedanken.Auch die Verhängung e<strong>in</strong>er Nachrichtensperre hielt ich wegen derGefahr e<strong>in</strong>er unsachgemäßen Berichterstattung für angemessen.Offenk<strong>und</strong>ig hatte Schreyger Dr. Siepert über me<strong>in</strong>e unmissverständlicheIntervention vom Vormittag <strong>in</strong>formiert, sodass er mir m<strong>in</strong>destensfünf Mal hoch <strong>und</strong> heilig versicherte, dass man selbstverständlichdie Forderungen der ELN akzeptierte. Die Entscheidung desKonzernvorstandes, Lehmann mit der Auslösung der Entführten zubeauftragen, wäre nur deshalb getroffen worden, damit ich mich voll<strong>und</strong> ganz auf me<strong>in</strong>e eigentlichen Aufgaben konzentrieren könnte.Dass ich von Dr. Siepert wahrsche<strong>in</strong>lich vorsätzlich belogen wurde,sollte sich leider erst viele Jahre später herausstellen.146


Am späten Nachmittag flog ich wieder nach Cúcuta <strong>und</strong> erörterte Dr.Sieperts Informationen <strong>und</strong> Anweisungen mit Mike <strong>und</strong> Maria Mc-Govan. Auch sie w<strong>und</strong>erten sich über die E<strong>in</strong>richtung e<strong>in</strong>es Krisenstabesim Kanzleramt wegen dieser Bagatelle. Im Gegensatz zu mirwaren sie jedoch bezüglich der Eignung von Dieter Lehmann als„Auslösungsbeauftragtem“ eher skeptisch, weil er zu jenen Führungskräftengehörte, die von Deutschland aus an der missglücktenSteuerh<strong>in</strong>terziehung <strong>in</strong> <strong>Saudi</strong>-<strong>Arabien</strong> mitgewirkt hatten. BerndSchwarzers irrs<strong>in</strong>nigen Vorschlag zur Bekämpfung der ELN erwähnteich nicht, weil ich aufgr<strong>und</strong> me<strong>in</strong>es langen Telefonats mit Dr. Siepert<strong>und</strong> der Unmissverständlichkeit me<strong>in</strong>er Intervention sicher war,dass man das Friedensangebot annehmen würde.Am folgenden Morgen, Punkt 8 Uhr, rief mich der deutsche Botschafter<strong>in</strong> <strong>Kolumbien</strong> an <strong>und</strong> wollte von mir wissen, was es mit folgenderNachricht <strong>in</strong> der El Tiempo, der größten kolumbianischen Tageszeitung,auf sich hätte:Dreifach-Entführung <strong>in</strong> AraucaGuerilleros der ELN entführten am vergangenen Freitag <strong>in</strong> Araucae<strong>in</strong>en deutschen Ingenieur der Firma „Managemer“, die <strong>in</strong> dieserRegion e<strong>in</strong>e Öl-Pipel<strong>in</strong>e baut, sowie dessen Fahrer <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en weiterenkolumbianischen Bürger, der als Übersetzer fungierte. Der Ausländerführte Arbeiten für se<strong>in</strong>e Firma aus <strong>und</strong> war mit e<strong>in</strong>em Geländewagenunterwegs, als er von den Rebellen abgefangen <strong>und</strong> zusammenmit se<strong>in</strong>en Begleitern <strong>in</strong> den Dschungel entführt wurde. Daszurückgelassene Fahrzeug wurde später von anderen Mitarbeiternder Firma aufgef<strong>und</strong>en. Es sche<strong>in</strong>t, dass die Guerilla die Entführungbestätigt hat, aber noch ist nicht bekannt, ob sie bereits Forderungenerhoben hat.Die Nachricht von dieser dreifachen Entführung verursachte großeAufregung <strong>und</strong> ist e<strong>in</strong> weiteres Indiz für die Verschärfung der Unruhen<strong>in</strong> dieser Region. Wie wir bereits gestern berichteten, hat das Öl-Explorationsunternehmen Geosur angekündigt, sich <strong>in</strong>folge vonDrohungen dieser Guerilla-Gruppe aus der Region zurückzuziehen<strong>und</strong> se<strong>in</strong> Personal wegen der unsicheren Verhältnisse zu entlassen.147


Als ich dem Botschafter bestätigte, dass mit „Managemer“ wohl<strong>Mannesmann</strong> geme<strong>in</strong>t war, rastete er regelrecht aus, weil ich ihnnoch nicht <strong>in</strong>formiert <strong>und</strong> er von dieser Entführung erst durch dieZeitung erfahren hatte. In der Annahme, dass ich die Auslösung derEntführten auf eigene Faust betreiben <strong>und</strong> dadurch das Leben e<strong>in</strong>esdeutschen Staatsbürgers fahrlässig aufs Spiel setzten würde, wies ermich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er dreim<strong>in</strong>ütigen Philippika darauf h<strong>in</strong>, dass me<strong>in</strong> eigenmächtigesVerhalten strafrechtliche Folgen haben würde, falls demEntführten etwas zustoßen sollte. Nachdem er sich endlich ausgetobthatte, verwahrte ich mich gegen se<strong>in</strong>e Vorwürfe <strong>und</strong> wies ihn daraufh<strong>in</strong>, dass im B<strong>und</strong>eskanzleramt bereits am Vortag e<strong>in</strong> Krisenstab e<strong>in</strong>gerichtetworden war. Ziemlich verlegen <strong>und</strong> verärgert, dass der Krisenstabihn noch nicht kontaktiert hatte, entschuldigte sich der Botschafternun für se<strong>in</strong>e voreiligen Unterstellungen <strong>und</strong> sicherte mir zu,me<strong>in</strong>er Bitte zu entsprechen, nichts zu unternehmen, was die Sicherheitder Entführten <strong>und</strong> unseres übrigen Personals gefährden könnte.Da ich <strong>in</strong> den folgenden Tagen nichts mehr von ihm hörte, nahm ichan, dass er aus Bonn entsprechend <strong>in</strong>struiert wurde.Den Rest des Vormittags hatte ich damit zu tun, den zutiefst besorgtenEltern der beiden entführten Kolumbianer zu versichern, dass siesich ke<strong>in</strong>e Sorgen um das Leben ihrer Söhne zu machen brauchten.Den Beamten der kolumbianischen Geheimdienste DAS <strong>und</strong> F2, diemich wegen der Entführung befragten, erzählte ich, dass mir dieELN auf dem Flugplatz <strong>in</strong> Saravena mitgeteilt hätte, dass die Entführtenwohlauf wären, <strong>und</strong> dass ich ke<strong>in</strong>e Ahnung von ihren Forderungenhätte. Weil die ELN die Erschießung der Entführten angedrohthatte, falls wir die Polizei, Geheimdienste oder das Militär überihre Forderungen <strong>in</strong>formieren sollten, <strong>und</strong> unser F<strong>in</strong>anzvorstand Dr.Siepert mir versichert hatte, dass die Konzernleitung die Forderungender ELN akzeptierte, hielt ich diese Notlüge für h<strong>in</strong>reichend gerechtfertigt.Zwischendurch wurde ich <strong>in</strong>formiert, dass am Samstag die ersten 60der 120 benötigten Toyota Land Cruiser <strong>in</strong> Cúcuta e<strong>in</strong>treffen sollten.Am Nachmittag meldete sich Bill Newburry mit Schötts total ver-148


schmutzten Toyota aus den Llanos zurück. Nachdem ich das Autokurz <strong>in</strong>spiziert hatte, gab ich Anweisung, es zu waschen. Da Bill <strong>in</strong>den vergangenen vier Tagen viermal die halsbrecherische Tour überdie Anden bewältigt hatte <strong>und</strong> noch nichts vom Friedensangebot derELN wusste, lud ich ihn auf e<strong>in</strong>e Tasse Tee e<strong>in</strong> <strong>und</strong> nahm mir e<strong>in</strong>ehalbe St<strong>und</strong>e Zeit, um ihn über den Stand der D<strong>in</strong>ge zu <strong>in</strong>formieren.An diesem Freitagmorgen, dem 19. Oktober, trafen die ersten 6 Mitarbeiterunseres Subunternehmers SICIM aus Italien e<strong>in</strong> <strong>und</strong> kündigtenmir die Ankunft ihrer Baumasch<strong>in</strong>en am 2. <strong>und</strong> 25. November an.Am Nachmittag brachte mir unser Personalmanager Herr Luhnau dieGeldbörse e<strong>in</strong>es Guerilleros, die ihm wohl beim Fahren von SchöttsAuto aus der Gesäßtasche gerutscht war. Sie war beim Re<strong>in</strong>igen desInnenraums entdeckt worden <strong>und</strong> steckte im Spalt zwischen Fahrersitz<strong>und</strong> Rückenlehne. Ihr Inhalt bestand aus etwas Münzgeld, zweiPersonalausweisen mit gleichem Passbild, aber unterschiedlichenPersonalien, zwei Quittungen für kle<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>käufe <strong>und</strong> e<strong>in</strong>em Votivbildchenvon Fidel Castro.Da wir für e<strong>in</strong> gutes E<strong>in</strong>vernehmen mit der ELN sorgen mussten, warme<strong>in</strong> erster Gedanke, diese Geldbörse samt Inhalt bei nächster Gelegenheitder Guerilla zurückzugeben, um zu demonstrieren, dass wirihre Forderungen ernst nähmen. Nachdem ich mich mit Mike McGovanberaten hatte, hielt auch er die Rückgabe für e<strong>in</strong>e gute Idee.Abends, um 21 Uhr, traf Dieter Lehmann mit der Lufthansa <strong>in</strong> Bogotáe<strong>in</strong>. Da es se<strong>in</strong>e erste <strong>Kolumbien</strong>reise war, wurde er von BerndSchwarzer am Flughafen abgeholt.In der Zwischenzeit hatte ich mehrere Male Schreyger angerufen, umse<strong>in</strong>e Zustimmung zur Veröffentlichung des von der ELN verlangtenInserats <strong>in</strong> La Op<strong>in</strong>ion, der lokalen Tageszeitung von Cúcuta, e<strong>in</strong>zuholen.Damit mussten wir unsere Bereitschaft zur Zahlung des gefordertenSchutzgeldes <strong>und</strong> zur Beachtung der sonstigen Forderungensignalisieren, um gefahrlos weiterarbeiten zu können. Wie Schreygermir gesagt hatte, wollte der Krisenstab im B<strong>und</strong>eskanzleramt mit diesemInserat noch e<strong>in</strong>e ergänzende Nachricht übermitteln, sodass ichmehrfach damit vertröstet wurde, dass noch am Text gearbeitet wür-149


de. Als der zusätzliche Text trotz me<strong>in</strong>er wiederholten Anrufe e<strong>in</strong>eSt<strong>und</strong>e vor Annahmeschluss für Anzeigen <strong>in</strong> der Montagsausgabenoch immer nicht zur Verfügung stand, g<strong>in</strong>gen Mike <strong>und</strong> ich geme<strong>in</strong>samzum Büro der Zeitung <strong>und</strong> gaben – auf eigene Verantwortung –folgendes Inserat <strong>in</strong> der Rubrik Kle<strong>in</strong>anzeigen auf:Vendemos Carro Mercedes Benz 280 SLMotivo Viaje, Precio de GangaTelefono 31264Die dem von der ELN verlangten Text h<strong>in</strong>zugefügte Telefonnummerwar <strong>in</strong> Cúcuta nicht vergeben. Ihre Angabe erschien uns s<strong>in</strong>nvoll, dae<strong>in</strong> Verkaufs<strong>in</strong>serat ohne Angabe e<strong>in</strong>er Kontaktmöglichkeit ke<strong>in</strong>enS<strong>in</strong>n machte <strong>und</strong> wir bei den Angestellten <strong>und</strong> Lesern der Zeitungke<strong>in</strong>en Verdacht erregen wollten, dass es sich um e<strong>in</strong>e verdeckte Botschafthandeln könnte.In der Annahme, dass Lehmann wissen wollte, was sich bei uns zwischenzeitlichzugetragen hatte, flog ich am Samstag, dem 20. Oktober,früh morgens nach Bogotá – auch um unverzüglich alles weiterezu erfahren, worüber Dr. Siepert <strong>in</strong> unserem Telefonat am 17. nichtsprechen wollte, <strong>und</strong> ihn zu <strong>in</strong>formieren, dass wir das von der ELNverlangte Inserat rechtzeitig aufgegeben hatten. Als ich so um 9 Uhr<strong>in</strong> Bernd Schwarzers Büro e<strong>in</strong>traf, sagte mir se<strong>in</strong> kolumbianischerSekretär, dass die beiden bereits unterwegs wären – woh<strong>in</strong> wusste erjedoch leider nicht.Daraufh<strong>in</strong> machte ich e<strong>in</strong>ige Besorgungen <strong>in</strong> der Stadt, <strong>und</strong> als ichum 12 Uhr wieder zurückkam, waren die beiden noch immer unterwegs.Also wartete ich – obwohl ich genügend Besseres zu tun gehabthätte. So um 15 Uhr kamen die beiden dann endlich zurück <strong>und</strong>waren ziemlich überrascht, dass ich sie erwartete.Lehmann <strong>in</strong>formierte mich wie folgt: Zuerst wären sie beim deutschenBotschafter gewesen, dann bei General Rafael Obdulio ForeroMoreno, dem zuständigen Befehlshaber der kolumbianischen Armee,anschließend beim kolumbianischen Verteidigungsm<strong>in</strong>ister.Zwar hätte ich am liebsten e<strong>in</strong> gewaltiges Donnerwetter losgelassen,als ich das hörte – weil ich selbstredend mit großer Besorgnis regis-150


triert hatte, wie Schwarzer <strong>und</strong> Schreyger drei Tage zuvor per Telefonüber e<strong>in</strong>e konspirative Kooperation mit e<strong>in</strong>em General zwecksmilitärischer Bekämpfung der ELN gesprochen hatten – beherrschtemich aber. Lehmann spürte natürlich dennoch, dass mir ganz <strong>und</strong> garnicht behagte, was er mir soeben gesagt hatte, <strong>und</strong> versicherte mir,dass die Armee sich aus der Sache heraushalten würde.Weil Staatspräsident Belisario Betancur allen Guerilleros Amnestiezugesagt hatte, die bereit waren, sich <strong>in</strong> den demokratischen Reformprozesszur Verbesserung der fraglos problematischen Verhältnisse <strong>in</strong><strong>Kolumbien</strong> zu <strong>in</strong>tegrieren, waren das kolumbianische Militär, dieGeheimdienste <strong>und</strong> die Polizei selbstverständlich gehalten, alles zuunterlassen, was die Glaubwürdigkeit dieses Amnestieangebots beschädigenkönnte.Die ELN war zu jener Zeit die e<strong>in</strong>zige kolumbianische Guerillagruppe,die dieses Amnestieangebot für unglaubwürdig hielt. Um ihre irrigeÜberzeugung zu widerlegen, dass es sich beim Amnestieangebotder Regierung um e<strong>in</strong>e politische F<strong>in</strong>te handelte, die auf ihre Vernichtungabzielte, hielt ich es für zw<strong>in</strong>gend geboten, dass wir unsstrikt an die von B. Larsen bereits im Prebid-Meet<strong>in</strong>g am 16. Mai1984 ausführlich erörterte gewaltfreie Befriedungsstrategie halten –zumal es <strong>in</strong> diesem Fall sicherlich sogar möglich geworden wäre,notfalls große Teile ihrer Führungsriege verhaften zu lassen, falls essich als unmöglich erweisen sollte, sie mithilfe von Argumenten <strong>und</strong>sozialen Projekten von der Falschheit ihrer terroristischen Strategiezur Bekämpfung der Armut <strong>in</strong> <strong>Kolumbien</strong> zu überzeugen. Und folglichhätte mich wohl auch jede andere Erklärung Lehmanns veranlasst,umgehend B. Larsen von Oxy aufzusuchen, um mich mit diesemzu beraten.Dann erklärte Lehmann, wie es weitergehen sollte: Oberstes Zielwäre, e<strong>in</strong>e „elegante“ Lösung zu f<strong>in</strong>den, <strong>und</strong> dies sollte auf drei verschiedenenWegen versucht werden:151


1. offiziell, das heißt: <strong>in</strong> Kooperation mit den zuständigen kolumbianischenStaatsorganen,2. mithilfe des deutschen B<strong>und</strong>eskrim<strong>in</strong>alamtes,3. mithilfe e<strong>in</strong>er deutschen Sondertruppe, die bereits <strong>in</strong> Panama Citye<strong>in</strong>getroffen wäre.Auf me<strong>in</strong>e besorgte Frage, ob es sich bei dieser Sondertruppe ume<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>heit der berühmten GSG 9 handelte, reagierte Lehmannwichtigtuerisch <strong>und</strong> geheimniskrämerisch – ohne ja oder ne<strong>in</strong> zu sagen.Me<strong>in</strong>en Vorschlag, die zuständigen kolumbianischen Staatsorganedarauf h<strong>in</strong>zuweisen, dass wir gemäß des vom Staatspräsidentenunterzeichneten Bauvertrags berechtigt wären, e<strong>in</strong>en diskreten Modusvivendi mit der ELN zu vere<strong>in</strong>baren, <strong>und</strong> darum zu bitten, unsdabei behilflich zu se<strong>in</strong>, hielt Lehmann für unangebracht.Da ich von den Beamten der Geheimdienste DAS <strong>und</strong> F2 bereitsziemlich kritisch befragt worden war, <strong>in</strong>formierte ich Lehmann, dassich diesen gegenüber behauptet hatte, ke<strong>in</strong>e Ahnung von den Forderungender ELN zu haben – was er auch für richtig hielt. Außerdemsagte ich ihm, dass wir das von der ELN verlangte Inserat <strong>in</strong> der LaOp<strong>in</strong>ion kurz vor Annahmeschluss für die Montagsausgabe aufgegebenhatten, <strong>und</strong> zwar ohne die ergänzende Nachricht, die der Krisenstabüber dieses Inserat der ELN zukommen lassen wollte.Nachdem wir uns etwa e<strong>in</strong>e St<strong>und</strong>e lang unterhalten hatten, verabredetenwir uns zum geme<strong>in</strong>samen Flug nach Cúcuta am folgendenVormittag. Dann begab ich mich <strong>in</strong>s Hotel La Fontana – mit e<strong>in</strong>emziemlich mulmigen Gefühl im Bauch. Da Dr. Siepert mir gesagt hatte,dass im B<strong>und</strong>eskanzleramt e<strong>in</strong> Krisenstab e<strong>in</strong>gerichtet war, verdrängteich dieses mulmige Gefühl jedoch, so gut es g<strong>in</strong>g. Die Geldbörsedes Guerilleros ließ ich unerwähnt, weil ich mich zunächst mitMike McGovan über Lehmanns Verhalten <strong>und</strong> Ausführungen beratenwollte.Im La Fontana traf ich mich mit Bob Yant aus Denver, Colorado, denwir als Oberbauleiter engagiert hatten, weil Dr. Hammer bei den abschließendenAuftragsverhandlungen neben me<strong>in</strong>er Berufserfahrung152


als Pipel<strong>in</strong>ebauer auch die Qualifikation des von uns nom<strong>in</strong>iertenOberbauleiters als unzulänglich reklamiert hatte. Bob war schon 63Jahre alt <strong>und</strong> genoss <strong>in</strong> der globalen Pipel<strong>in</strong>er-Szene hohes Ansehen.Von Statur <strong>und</strong> Gestus hatte er große Ähnlichkeit mit Monty Roberts,der Jahre später als Pferdeflüsterer Berühmtheit erlangte. An diesemAbend traf auch Max Hearn, e<strong>in</strong> Pipel<strong>in</strong>ebauer aus Texas, <strong>in</strong> <strong>Kolumbien</strong>e<strong>in</strong>, den Bob Yant als Spread-Boss für e<strong>in</strong>en der vier Bauabschnitteangeheuert hatte.Am Sonntagvormittag flogen wir, also Bob Yant, Max Hearn, DieterLehmann <strong>und</strong> ich, nach Cúcuta. Um 11:30 Uhr checkten Lehmann<strong>und</strong> Hearn im Hotel Tonchalá e<strong>in</strong>. Bob Yant logierte seit e<strong>in</strong>igen Tagen<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em der Schlafzimmer me<strong>in</strong>es Hauses, ebenso Mike McGovan<strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Ehefrau Maria, die aufgr<strong>und</strong> ihrer Tätigkeit als Leiter<strong>in</strong>unseres Sekretariats über alles <strong>in</strong>formiert war. In der Hoffnung,dass die Muchacha genügend Vorräte im Kühlschrank hatte, lud ichDieter Lehmann zum Mittagessen e<strong>in</strong>.<strong>und</strong> vere<strong>in</strong>barte mit ihm, ihnum 13 Uhr vom Hotel abzuholen.Bevor ich Lehmann abholte, besprach ich die von ihm erhaltenen Informationenmit Mike <strong>und</strong> Maria. Wegen ihrer Dubiosität beschlossenwir, erst e<strong>in</strong>mal zu sondieren, was er sonst noch alles zum Bestengab, bevor wir auf die Geldbörse des Guerilleros zu sprechen kämen.Zu essen gab es bei diesem denkwürdigen Meet<strong>in</strong>g Hähnchen, PatatasFritas, Salat <strong>und</strong> als <strong>Des</strong>sert Mousse au Chocolat. Weil auch dieMcGovans befürchteten, dass die Krisenstäbler <strong>in</strong> Bonn <strong>und</strong> Düsseldorfdie Verlegung von Soldaten der Sondertruppe GSG 9 nach PanamaCity veranlasst hatten, brachten sie Lehmann während des Essens<strong>in</strong> große Verlegenheit, weil er das weder bestätigen noch verne<strong>in</strong>enwollte. Schließlich tippte Mike, der anders als ich regelmäßiger Spiegel-Leserwar, zu me<strong>in</strong>er <strong>und</strong> Lehmanns völligen Überraschung aufden Geheimagenten Werner Mauss – was Lehmann <strong>in</strong> offenk<strong>und</strong>igerVerlegenheit bejahte <strong>und</strong> veranlasste, Mauss wegen se<strong>in</strong>er angeblichherausragenden Fähigkeiten als Vermittler <strong>und</strong> angeblichen Verdiensteals Sonderbeauftragter der Konzernleitung bei der eleganten Bewältigungunserer Probleme <strong>in</strong> <strong>Saudi</strong>-<strong>Arabien</strong> zu rühmen. Bezeich-153


nenderweise ließ er Mauss’ Verdienste um die elegante Bewältigungunserer Probleme wegen der unsachgemäßen Entsorgung der Seveso-Giftfässerunerwähnt. Zwar beurteilte Mike Werner Mauss aufgr<strong>und</strong>e<strong>in</strong>es sehr negativen Artikels im Spiegel als höchst zwielichtigePerson <strong>und</strong> bezweifelte folglich auch dessen Eignung als Vermittler<strong>in</strong> <strong>Kolumbien</strong>. Aber immerh<strong>in</strong> war somit das Problem GSG 9vom Tisch. Daraufh<strong>in</strong> zog ich die Geldbörse des Guerilleros aus derTasche, erzählte Lehmann, wie sie <strong>in</strong> unseren Besitz gekommen war<strong>und</strong> übergab sie ihm.Nachdem Lehmann die Geldbörse <strong>in</strong>spiziert hatte, überraschte er unsmit der Feststellung, sie umgehend der Polizei übergeben zu müssen.Auf unseren spontanen E<strong>in</strong>wand h<strong>in</strong>, dass wir es für tausendmal klügerhielten, die Geldbörse der Guerilla zurückzugeben, erwiderte er,dass sie höchstwahrsche<strong>in</strong>lich gar nicht e<strong>in</strong>em Guerillero gehörte,sondern vermutlich von der Polizei oder e<strong>in</strong>em der kolumbianischenGeheimdienste heimlich <strong>in</strong> Schötts Auto gepflanzt worden wäre, umunsere Vertrauenswürdigkeit zu testen. Diese Möglichkeit hatten wirbis dah<strong>in</strong> aufgr<strong>und</strong> ihrer aberwitzigen Abwegigkeit natürlich nicht <strong>in</strong>Betracht gezogen. Um Lehmann von e<strong>in</strong>er Übergabe der Geldbörsean die Polizei abzuhalten, schlug ich schließlich vor, er möge sichdoch mit Werner Mauss <strong>in</strong> Panama City <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung setzen <strong>und</strong>sich mit ihm beraten. Nach e<strong>in</strong>er ziemlich heftigen Diskussion lenkteLehmann doch noch e<strong>in</strong> <strong>und</strong> sicherte uns schließlich hoch <strong>und</strong> heiligzu, die Geldbörse nicht der Polizei zu übergeben. Hätte er nicht e<strong>in</strong>gelenkt,hätte ich sie ihm sicherlich wieder abgenommen – notfallssogar mit Gewalt.Nach diesem wenig vertrauensförderlichen Mittagessen zogen sichMike <strong>und</strong> Maria auf ihr Zimmer zurück <strong>und</strong> ich brachte Lehmann <strong>in</strong>sHotel. Weil es Sonntag war, begab ich mich anschließend auf die vonprächtigen Palmen bewachsene Plaza Mayor von Cúcuta, um etwaskolumbianisches Flair <strong>und</strong> e<strong>in</strong> kühles He<strong>in</strong>eken zu genießen. So gegen18 Uhr kam ich wieder heim <strong>und</strong> Mike hatte mir Folgendes zuberichten: Etwa um 16 Uhr waren Lehmann <strong>und</strong> Bernd Schwarzervorbei gekommen <strong>und</strong> hatten ihn aus dem Mittagsschlaf getrommelt,154


weil sie das Büro der Op<strong>in</strong>ion nicht f<strong>in</strong>den konnten <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Hilfebrauchten. Schwarzer hatte per Fernschreiben aus Düsseldorf den ergänzendenText für das Inserat <strong>in</strong> der Zeitung erhalten, mit dem wirder ELN signalisieren mussten, dass wir ihre Forderungen erfüllenwürden, <strong>und</strong> war per Taxiflug von Bogotá nach Cúcuta gedüst, umfolgende Großanzeige <strong>in</strong> der Rubrik für Kle<strong>in</strong>anzeigen veröffentlichenzu lassen:Vendemos Carro Mercedes Benz 280 SLMOTIVO VIAJE, PRECIO GANGA<strong>Des</strong>eamos formalizar venta de la forma más amistosa y eficientea traves de nuestro AbogadoJUAN JOSE ECHEVERRIA; BREALY;SAN JOSE COSTA RICATel: (00506) 335641 – Apdo. Postal 5632 – SAN JOSE 1000auf deutsch:Mercedes Benz 280 SL zu verkaufenwegen Reise, günstiger PreisWir wünschen e<strong>in</strong>e sehr fre<strong>und</strong>schaftliche<strong>und</strong> effiziente Abwicklung der Verkaufsformalitätenüber unseren Anwalt Juan Jose Echeverria, …Wie Mike mir erzählte, hatten sich die Zeitungsleute zunächst striktgeweigert, diese Anzeige noch anzunehmen. Erst nachdem der Verlagsbesitzerherbeigerufen wurde, sei es gelungen, diese Großanzeigeanstelle unserer Kle<strong>in</strong>anzeige noch <strong>in</strong> der Montagsausgabe unterzubr<strong>in</strong>gen.Zwar beurteilte ich die ergänzende Nachricht, die der ELN mit dieserAnzeige übermittelt wurde, als e<strong>in</strong>e unnötige Schleimerei, aber immerh<strong>in</strong>konnte ich mich nunmehr sicher fühlen, dass man <strong>in</strong> den Krisenstäben<strong>in</strong> Bonn <strong>und</strong> Düsseldorf registriert hatte, dass SchwarzersVorschlag vom 17. Oktober, diesem „Lumpenges<strong>in</strong>del“ mit militärischenMitteln den Garaus zu machen, grober Unfug war <strong>und</strong> dass die155


mir von Dr. Siepert am selben Tag telefonisch hoch <strong>und</strong> heilig zugesicherteBereitschaft zur Annahme des Friedensangebots der ELNtatsächlich gegeben war.Am Montagmorgen teilte mir Schreyger zu me<strong>in</strong>em großen Verdrussmit, dass man im Krisenstab im Kanzleramt nach e<strong>in</strong>er genauen Analyseder Briefe der ELN <strong>und</strong> von Herrn Schött die Befürchtung geäußerthatte, dass ich besondere Sympathien für die ELN hegte, weilich mich so e<strong>in</strong>deutig für die Annahme ihres Friedensangebots ausgesprochenhätte <strong>und</strong> dass große Verw<strong>und</strong>erung darüber herrsche,warum ich die Entführung erst am 16. Oktober gemeldet hatte. ObwohlSchreyger sehr genau wusste, dass diese Befürchtung lächerlichwar <strong>und</strong> die Nachricht von der Entführung unverzüglich übermitteltworden war, wies er mich dennoch an, die angeblich verspätete Meldungschriftlich zu rechtfertigen. Also erstellte ich den Bericht <strong>in</strong> allerEile, ließ ihn von Maria abtippen <strong>und</strong> per Telefax nach Düsseldorfsenden. Da ich für mich e<strong>in</strong>e Kopie dieses e<strong>in</strong>e<strong>in</strong>halbseitigen Berichtsanfertigte, sollte er sich Jahre später als e<strong>in</strong>e sehr wertvolle Gedächtnisstützefür die genaue Rekapitulation der damaligen Begebenheitenerweisen.Kurz vor 10 Uhr sagte mir Lehmann, dass der Zerhacker (Scrambler)des Spezialtelefons, das er vom B<strong>und</strong>eskrim<strong>in</strong>alamt vor se<strong>in</strong>er Abreisenach <strong>Kolumbien</strong> für Telefonate mit Deutschland erhalten hatte,nicht funktionierte. Da das Gerät e<strong>in</strong>e Batterie enthielt, vermuteteich, dass sie leer wäre. Also schraubte ich mit me<strong>in</strong>em Schweizer Taschenmesserden Deckel ab, nahm die altertümliche dreizellige 4,5-Volt-Batterie heraus <strong>und</strong> prüfte mit der Zunge, ob noch „Saft“ draufwar. Da es nicht kitzelte, schickte ich unseren E<strong>in</strong>käufer Hans Ettellos, um zwei neue Batterien zu besorgen.Anschließend <strong>in</strong>formierte Lehmann unser Personal über den Standder D<strong>in</strong>ge <strong>und</strong> sicherte uns zu, gefahrlos weiterarbeiten zu können.Um 11 Uhr kamen die beiden Beamten des Geheimdienstes F2, diemich bereits am 18. Oktober befragt hatten, <strong>und</strong> wollten von Lehmannüber den Stand der D<strong>in</strong>ge <strong>in</strong>formiert werden. Lehmann erzählteihnen von se<strong>in</strong>en Gesprächen mit dem deutschen Botschafter, Ge-156


neral Forero <strong>und</strong> dem Verteidigungsm<strong>in</strong>ister. Vorsichtshalber verschwiegauch Lehmann die Tatsache, dass die ELN angeboten hatte,den Bau der Pipel<strong>in</strong>e gegen e<strong>in</strong>e Schutzgeldzahlung <strong>in</strong> Höhe vonzwei Millionen US-Dollar zu tolerieren. Sichtlich verw<strong>und</strong>ert überdie hochrangigen Kontakte Lehmanns, beendeten die beiden F2-Ermittler die Befragung nach ca. 30 M<strong>in</strong>uten. Um 12 Uhr kamen diebeiden Beamten des Geheimdienstes DAS, die mich ebenfalls bereitsam 18. Oktober befragt hatten, <strong>und</strong> Lehmann erzählte ihnen dasselbewie den F2-Ermittlern.Inzwischen hatte Hans Ettel die neuen Batterien für den Scramblerbeschafft. Nachdem ich e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>gesetzt hatte, begab sich Lehmann<strong>in</strong>s Hotel Tonchalá, um e<strong>in</strong>ige angeblich wichtige Telefonate zu führen.Die Notwendigkeit, die Telefonate vom Hotel aus <strong>und</strong> verschlüsseltzu führen, begründete er damit, dass unser Telefonanschlusswahrsche<strong>in</strong>lich von den Geheimdiensten überwacht würde.Am Abend, so gegen 17:30 Uhr, kam Lehmann wieder <strong>in</strong> me<strong>in</strong> Büro<strong>und</strong> <strong>in</strong>formierte mich, dass auch Werner Mauss dagegen wäre, dieGeldbörse mit den beiden Personalausweisen der Polizei zu übergeben,<strong>und</strong> dass sie bis 12 Uhr Mittags des nächsten Tages per Kurierflugnach Panama City überbracht werden sollte, um es Mauss zu erleichtern,vertrauensvolle Beziehungen zur ELN aufzubauen. Da ichaufgr<strong>und</strong> me<strong>in</strong>es langen Telefonats mit Dr. Siepert felsenfest davonüberzeugt war, dass Werner Mauss den Auftrag hatte, an e<strong>in</strong>er achtsamen<strong>und</strong> vernunftskonformen Auslösung der Entführten mitzuwirken,war ich natürlich froh, dass wir am Tag zuvor Lehmann überzeugenkonnten, dass se<strong>in</strong>e Vermutung abwegig war, die Polizei oderdie Geheimdienste hätten die Geldbörse <strong>in</strong> Schötts Toyota platziert,um unsere Vertrauenswürdigkeit zu testen.Das E<strong>in</strong>zige, was mir nicht gefiel, war die Entscheidung, die Geldbörseper Kurierflug zu überbr<strong>in</strong>gen, weil ich e<strong>in</strong>en regulären L<strong>in</strong>ienflugfür wesentlich sicherer <strong>und</strong> diskreter hielt. Also schaute ich zunächst<strong>in</strong> den Flugplan der Avianca <strong>und</strong> fand e<strong>in</strong>en L<strong>in</strong>ienflug, derum 12 Uhr <strong>in</strong> Bogotá startete <strong>und</strong> um 13 Uhr <strong>in</strong> Panama City landete.Folglich schlug ich Lehmann vor, doch lieber diesen L<strong>in</strong>ienflug zu157


nehmen. Zu me<strong>in</strong>er großen Verw<strong>und</strong>erung wies er den Vorschlag jedochbrüsk zurück – mit der Begründung: „12 Uhr heißt 12 Uhr <strong>und</strong>nicht 13 Uhr!“ Daraufh<strong>in</strong> wurde Maria beauftragt, sich um e<strong>in</strong> geeignetesKurierflugzeug zu bemühen. So um 18:30 Uhr hatte sie e<strong>in</strong>esgef<strong>und</strong>en – zum Preis von 5 000 US-Dollar. Der L<strong>in</strong>ienflug hätte allenfalls300 US-Dollar gekostet.Um Drogenkurierflüge zu erschweren, mussten <strong>in</strong> <strong>Kolumbien</strong> Auslandsflügemit Privatmasch<strong>in</strong>en m<strong>in</strong>destens 24 St<strong>und</strong>en vorher beider Flugüberwachungsbehörde angemeldet werden. Nachdem der Pilotsich geweigert hatte, ohne Genehmigung zu fliegen, rief Lehmannbei Schwarzer <strong>in</strong> Bogotá an <strong>und</strong> beauftragte ihn, e<strong>in</strong>e Sondergenehmigungzu beschaffen. Dieser schätzte die Kosten – sprich: dasSchmiergeld – auf 50 000 US-Dollar. Nachdem Lehmann diesemPreis zugestimmt hatte, packte Schwarzer 50 000 Dollar <strong>in</strong> se<strong>in</strong>enAktenkoffer <strong>und</strong> machte sich auf den Weg. So um 21 Uhr <strong>in</strong>formierteer Lehmann schließlich, dass die „H<strong>und</strong>e“ von der Flugüberwachungsich leider als unbestechlich erwiesen hätten. Als ob wir auf Gedeih<strong>und</strong> Verderb darauf angewiesen wären, dass diese Geldbörse nochvor 12 Uhr nach Panama City gebracht würde, sprach Lehmann n<strong>und</strong>irekt mit dem Piloten <strong>und</strong> bot ihm die 50 000 US-Dollar als Bonusan, falls er ohne Fluggenehmigung fliegen würde. Aber auch dieser„H<strong>und</strong>“ lehnte dankend ab.Nun war guter Rat teuer. Lehmann setzte sich daraufh<strong>in</strong> mit WernerMauss <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung, beklagte ebenfalls die Feigheit dieser „H<strong>und</strong>e“<strong>und</strong> schlug vor, die Geldbörse per L<strong>in</strong>ienflug nach Panama City zuüberbr<strong>in</strong>gen. Mauss akzeptierte die damit verb<strong>und</strong>ene e<strong>in</strong>stündigeVerzögerung <strong>und</strong> wies Lehmann an, dass der Überbr<strong>in</strong>ger e<strong>in</strong>e roteBaseballmütze tragen müsste <strong>und</strong> sich <strong>in</strong> der Ankunftshalle von niemandanderem ansprechen lassen dürfte als von zwei Personen, dieebenfalls rote Baseballmützen trügen.Wohl aufgr<strong>und</strong> se<strong>in</strong>er besonderen Zuverlässigkeit wurde nun HerrSchaich, e<strong>in</strong> langjähriger Mitarbeiter Lehmanns, der als Leiter unsererBuchhaltung fungierte, entsprechend <strong>in</strong>struiert <strong>und</strong> mit der Überbr<strong>in</strong>gungder Geldbörse <strong>und</strong> Personalausweise beauftragt. Um 22158


Uhr war schließlich alles unter Dach <strong>und</strong> Fach, <strong>und</strong> Maria hatte essogar geschafft, für den etwas betulichen Herrn Schaich noch e<strong>in</strong>enPlatz für den Flug nach Panama City zu reservieren – <strong>und</strong> auch dierote Baseballmütze konnte noch rechtzeitig aufgetrieben <strong>und</strong> aufHerrn Schaichs Kopfgröße e<strong>in</strong>gestellt werden. Und so klang dieserbesorgniserregende Montag fast schon komödiantisch aus. Dass mirdieses ganze Theater ebenso bizarr wie lächerlich <strong>und</strong> unheilträchtigvorkam, versteht sich von selbst.Am folgenden Morgen berichtete die El Tiempo über Militäroperationen,die aufgr<strong>und</strong> der Entführung <strong>in</strong> der Pipel<strong>in</strong>e-Region e<strong>in</strong>geleitetworden waren, sodass ich befürchtete, die ELN könnte annehmen,dass wir diese Operationen veranlasst hätten. Lehmann war mitSchaich schon um 8 Uhr von Cúcuta nach Bogotá geflogen, damitder sich auf dem Flughafen nicht verirrte. In der Annahme, dass Lehmannschon <strong>in</strong> Schwarzers Büro wäre, rief ich dort so um 10 Uhr an,um mit ihm über diesen Artikel zu sprechen. Nachdem Schwarzermir gesagt hatte, dass er noch nicht e<strong>in</strong>getroffen wäre, fragte ich ihn,was es mit den Militäroperationen auf sich hätte. Angeblich hatteSchwarzer jedoch die Zeitung noch nicht gelesen <strong>und</strong> wusste vonnichts. Fünfzehn M<strong>in</strong>uten später rief ich erneut an. Inzwischen warLehmann im Büro angekommen. In Erwiderung auf me<strong>in</strong>e Sorge umdas Leben unseres Personals sagte er, dass der Artikel wahrsche<strong>in</strong>lichauf Fehl<strong>in</strong>formationen beruhte. Me<strong>in</strong>en Vorschlag, die ELN über denOxy-Sicherheitsdienst oder den Bischof von Arauca wissen zu lassen,dass wir uns <strong>in</strong> aller Entschiedenheit um e<strong>in</strong>e umgehende E<strong>in</strong>stellungdieser kontraproduktiven Militäraktion bemühen würden,lehnte er ab <strong>und</strong> verbat sich me<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>mischung <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Angelegenheiten.Zwar kannte ich den Bischof nicht persönlich, aber se<strong>in</strong>e Sekretär<strong>in</strong>.Wie erwähnt, hatte sie im Mai vom bischöflichen Büro <strong>in</strong> Arauca ausmehrere Funksprüche an die Priester <strong>in</strong> der Region abgesetzt, damitwir auf unserer Trassenbesichtigung unbehelligt blieben. Da es alsoe<strong>in</strong> offenes Geheimnis war, dass der Bischof über Möglichkeiten zurKontaktaufnahme mit der ELN verfügte <strong>und</strong> der Sicherheitsdienst159


von Oxy wahrsche<strong>in</strong>lich ebenfalls, hielt ich es <strong>in</strong> Anbetracht der Gefahrvon Missverständnissen für ratsam, diese <strong>in</strong>offiziellen Kommunikationsmöglichkeitenauch zu nutzen.Selbstverständlich hatte mich dieser Gang der D<strong>in</strong>ge zutiefst beunruhigt.Also rief ich vielleicht 20 M<strong>in</strong>uten später Horst Schreyger <strong>in</strong>Düsseldorf an, schilderte ihm die Gefährlichkeit der Lage, <strong>in</strong> die wirdurch diese Militäroperationen geraten waren <strong>und</strong> machte auch ihmden Vorschlag zur Kontaktaufnahme mit der ELN. Zu me<strong>in</strong>er großenÜberraschung hatte Schreyger bereits mit Lehmann telefoniert <strong>und</strong>lehnte me<strong>in</strong>en Vorschlag mit der fadensche<strong>in</strong>igen Begründung ab,weil wir der ELN durch unser Inserat ja unmissverständlich signalisierthätten, dass wir ihre Forderungen akzeptierten.Statt me<strong>in</strong>e Sorge um die Sicherheit unseres Personals ernstzunehmen,kritisierte Schreyger mich nun wegen e<strong>in</strong>es Artikels <strong>in</strong> der LaOp<strong>in</strong>ion, von dem er wohl durch Lehmann erfahren hatte, <strong>und</strong> unterstelltemir, Öffentlichkeitsarbeit <strong>in</strong> eigener Sache zu betreiben. Indiesem Artikel war e<strong>in</strong> Brief veröffentlicht worden, den ich am 17.Oktober an den Präsidenten der Fenalco von Cúcuta geschrieben hatte.Bei der Fenalco handelte es sich um e<strong>in</strong>e Organisation, die <strong>in</strong>etwa das Aufgabenspektrum e<strong>in</strong>er Handels- <strong>und</strong> Gewerbekammerabdeckte. In dem Schreiben hatte ich mich für die nützlichen Gesprächebedankt, die wir Anfang Oktober geführt hatten, <strong>und</strong> me<strong>in</strong>e Zusicherungbekräftigt, lokale Firmen bevorzugt zu berücksichtigen.Weil wir bislang nur kle<strong>in</strong>e Aufträge an lokale Firmen vergebenkonnten, hatte die Fenalco mich wenige Tage zuvor <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Artikel<strong>in</strong> der La Op<strong>in</strong>ion an me<strong>in</strong>e Zusage er<strong>in</strong>nert. Folglich hatten Mike<strong>und</strong> ich es für angebracht gehalten, den Fenalco-Präsidenten um Verständnisdafür zu bitten, dass wir mit der E<strong>in</strong>stellung von Personalfür die Bauarbeiten, der Durchführung von Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsprogrammen<strong>und</strong> der Vergabe von größeren Aufträgen an die lokale Geschäftswelterst beg<strong>in</strong>nen könnten, nachdem wir entsprechend e<strong>in</strong>gerichtet waren.Da der im genauen Wortlaut veröffentlichte Brief e<strong>in</strong>deutig daraufabzielte, die Fenalco davon abzuhalten, uns abermals öffentlich160


an diese Zusage zu er<strong>in</strong>nern, wies ich Schreygers abwegige Unterstellungselbstverständlich zurück.In diesem Telefonat vermittelte Schreyger mir den E<strong>in</strong>druck, die Gefährlichkeitder Lage, <strong>in</strong> die wir <strong>in</strong>folge der e<strong>in</strong>geleiteten Militäroperationengeraten waren, entweder nicht zu begreifen oder total zu unterschätzen.Dass dieser Schuft damals e<strong>in</strong> sehr übles Spiel mit mirgetrieben hatte, wurde mir leider erst viele Jahre später bewusst.Weil zu befürchten war, dass die ELN ihre Drohungen wahr machenwürde, falls wir ihren Forderungen zuwider handelten, wies ich umetwa 11 Uhr unseren Oberbauleiter Bob Yant an, die etwa 10 Mitarbeiter,die im Operationsgebiet der ELN Vermessungsarbeiten durchführten<strong>und</strong> den Aufbau unserer Camps leiteten, per Hubschrauber<strong>in</strong>s relativ sichere Cúcuta zu br<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> unsere Arbeiten bis aufWeiteres e<strong>in</strong>zustellen. Zu dieser Anweisung sah ich mich veranlasst,weil ich es schlicht <strong>und</strong> e<strong>in</strong>fach nicht darauf ankommen lassen wollte,dass e<strong>in</strong>er unserer Mitarbeiter erschossen würde, nur um die Richtigkeitme<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>schätzung der Lage beweisen zu können.Anschließend beriet ich mit Mike <strong>und</strong> Maria, was wir <strong>in</strong> Anbetrachtder sehr prekären Lage, <strong>in</strong> die wir geraten waren, tun müssen, um e<strong>in</strong>drohendes Fiasko abzuwenden. Schließlich e<strong>in</strong>igten wir uns darauf,dass Mike am nächsten Tag nach Düsseldorf fliegen würde, umSchreyger <strong>und</strong> gegebenenfalls den Vorstand über den höchst gefährlichenGang der D<strong>in</strong>ge zu <strong>in</strong>formieren, die Abberufung von DieterLehmann <strong>und</strong> Werner Mauss zu empfehlen <strong>und</strong> vorzuschlagen, unsdie Herbeiführung des nötigen Modus vivendi mit der ELN zu überlassen.Damit sich <strong>in</strong> unserer Belegschaft ke<strong>in</strong>e allzu große Verunsicherungbreit machte <strong>und</strong> weil es <strong>in</strong>folge me<strong>in</strong>er Anweisung zur E<strong>in</strong>stellungder Arbeiten viel zu reorganisieren gab, hielten wir es fürbesser, dass ich <strong>in</strong> Cúcuta bliebe.Etwa um 15 Uhr betrat Bob Yant me<strong>in</strong> Büro <strong>und</strong> berichtete mir <strong>in</strong>vorwurfsvoller Besorgnis, was er vom Helikopter aus gesehen hatte:Auf der Piste zwischen Pamplona <strong>und</strong> San Bernardo war e<strong>in</strong> großerMilitärkonvoi im Anmarsch <strong>und</strong> ebenfalls bei Cubara, am südlichenRand der Anden. Dann meldete sich unser Herr Kloppenburg per Te-161


lefon aus der etwa 4 Autost<strong>und</strong>en entfernten Ortschaft Toledo, denBob Yant als e<strong>in</strong>zigen Mitarbeiter nicht gef<strong>und</strong>en hatte. Kloppenburg<strong>in</strong>formierte mich, dass dort etwa 200 Soldaten e<strong>in</strong>getroffen waren,e<strong>in</strong>en Check-Po<strong>in</strong>t e<strong>in</strong>gerichtet <strong>und</strong> Schutzwälle aus Sandsäcken aufgebauthatten. Somit war also völlig klar, dass der Artikel <strong>in</strong> der ElTiempo nicht auf Fehl<strong>in</strong>formationen beruhte, sondern ziemlich genauder Wahrheit entsprach <strong>und</strong> dass wir tatsächlich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e höchst gefährlicheLage geraten waren. Die Möglichkeit, dass Lehmann,Mauss <strong>und</strong> Schwarzer von der Konzernleitung mit der E<strong>in</strong>leitungvon Maßnahmen zur Bekämpfung der ELN beauftragt worden se<strong>in</strong>könnten, hatte ich aufgr<strong>und</strong> der mir am 17. Oktober 1984 von Dr.Siepert hoch <strong>und</strong> heilig zugesicherten Bereitschaft zur Annahme desFriedensangebots der ELN natürlich nicht <strong>in</strong> Betracht gezogen. Vielmehrwar ich davon ausgegangen, dass die für die Region zuständigenMilitärs wegen dieser Entführung mit dem Säbel rasselten <strong>und</strong>von sich aus Truppen mobilisiert hätten.Um 16:30 Uhr kam Lehmann aus Bogotá zurück <strong>und</strong> kritisierte michabermals wegen me<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>mischung <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Angelegenheiten. Wegender offenk<strong>und</strong>ig akuten Lebensgefahr, <strong>in</strong> die unser Personal geratenwar, verbat ich mir jedoch se<strong>in</strong>e Kritik <strong>und</strong> <strong>in</strong>formierte ihn, dassich unsere Arbeiten im Operationsgebiet der ELN bereits e<strong>in</strong>gestellt<strong>und</strong> unser Personal nach Cúcuta zurückgezogen hatte <strong>und</strong> dass Mikeam nächsten Tag nach Düsseldorf fliegen würde, um Schreyger <strong>und</strong>gegebenenfalls den Vorstand über den besorgniserregenden Gang derD<strong>in</strong>ge zu unterrichten.Daraufh<strong>in</strong> drohte Lehmann Mike die fristlose Entlassung an, falls erdie Reise antreten sollte – aber ohne auch nur e<strong>in</strong>e Sek<strong>und</strong>e zu zögern,erwiderte Mike, dass er trotzdem fliegen würde. Wohl <strong>in</strong> derErwartung, Mike noch umstimmen zu können, wandte Lehmann sichnun an mich <strong>und</strong> sagte, dass ich ja selber nach Düsseldorf fliegenkönnte, falls ich es für nötig hielte. Da ich die Arbeiten bereits hattee<strong>in</strong>stellen lassen, erachtete ich es nunmehr selbstverständlich für unumgänglich,selbst nach Deutschland zu fliegen, um das drohendeFiasko abzuwenden. Mike beschloss daraufh<strong>in</strong>, mich nach Düssel-162


dorf zu begleiten <strong>und</strong> das Risiko der angedrohten fristlosen Entlassung<strong>in</strong> Kauf zu nehmen. So kam es, dass Mike, Maria <strong>und</strong> ich am24. Oktober via Bogotá <strong>und</strong> Caracas nach Madrid flogen, wo Mariasich <strong>in</strong> Richtung Valencia verabschiedete. Wegen e<strong>in</strong>es Streiks derfranzösischen Fluglotsen trafen Mike <strong>und</strong> ich nach e<strong>in</strong>em Umwegüber Zürich <strong>und</strong> Frankfurt erst am 26. Oktober 1984 <strong>in</strong> Düsseldorfe<strong>in</strong>.Als ich etwa um 10 Uhr Schreygers Büro betrat, verweigerte er mirzu me<strong>in</strong>er bösen Überraschung jegliches Gehör <strong>und</strong> teilte mir mit,dass Kurt Schwarzbach ihn angewiesen habe, mich wegen me<strong>in</strong>esunzureichenden Vertrauens <strong>in</strong> die Richtigkeit der Entscheidungen derKonzernleitung <strong>und</strong> der hieraus resultierenden Zweifel an me<strong>in</strong>erLoyalität fristlos zu entlassen <strong>und</strong> dass die Konzernleitung e<strong>in</strong>e anständigeTrennung wünsche.Zwar hatte ich mich wegen me<strong>in</strong>er Entscheidung, die Abberufungvon Lehmann, Mauss <strong>und</strong> Schwarzer zu empfehlen, auf e<strong>in</strong>e schwierigeAuse<strong>in</strong>andersetzung mit Schreyger <strong>und</strong> Schwarzbach e<strong>in</strong>gestellt.Da nunmehr jedoch anzunehmen war, dass die Konzernleitung sich<strong>in</strong>tensiv mit der Sache befasst hatte <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Erschießung vonSchött, se<strong>in</strong>en beiden Begleitern oder anderen Mitgliedern unseresPersonals nicht mehr zu befürchten war. Entsprechend hielt aufgr<strong>und</strong>dieser Mitteilung jeden weiteren Versuch, mir Gehör zu verschaffen,für s<strong>in</strong>nlos. Und so dauerte dieses Meet<strong>in</strong>g auch nur wenige M<strong>in</strong>uten.Dann bestellte Schreyger Mike McGovan <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Zimmer <strong>und</strong> entließauch ihn fristlos. Anschließend g<strong>in</strong>gen wir geme<strong>in</strong>sam zu e<strong>in</strong>er sehrrenommierten Düsseldorfer Anwaltskanzlei <strong>und</strong> erteilten ihr dasMandat zur Wahrnehmung unserer Interessen.Nachdem unser Anwalt <strong>Mannesmann</strong> per Telex von der Übernahmeunseres Mandats <strong>in</strong>formiert hatte, begaben wir uns nach Mönchengladbach<strong>und</strong> <strong>in</strong>formierten Sigrid, die natürlich völlig überrascht <strong>und</strong>konsterniert über me<strong>in</strong>en Rausschmiss war. In Reaktion auf diesesTelex traf schon kurz nach unserer Ankunft <strong>in</strong> Mönchengladbach e<strong>in</strong>Telegramm von <strong>Mannesmann</strong> e<strong>in</strong>, <strong>in</strong> dem mir e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>vernehmlicheBeendigung des Dienstverhältnisses vorgeschlagen wurde. Nachdem163


ich die Begebenheiten der vergangenen Tage ausführlich mit Mikebesprochen hatte, beschlossen wir, geme<strong>in</strong>sam e<strong>in</strong>en Brief an denKonzernchef Dr. Franz Josef Weisweiler zu schreiben, um ihn auf dieFalschheit der gegen uns erhobenen Vorwürfe <strong>und</strong> Unterstellungenh<strong>in</strong>wiesen. Dann machte Mike sich auf den Weg nach Valencia.Selbstverständlich hatte ich diesen Rausschmiss nicht erwartet. Andernfallshätte ich mich sicherlich nicht auf die Reise nach Düsseldorfbegeben, um Schreyger, Schwarzbach <strong>und</strong> gegebenenfalls dieKonzernleitung <strong>in</strong> der gebotenen Ausführlichkeit vor dem drohendenFiasko zu warnen. Und hätte ich geahnt, dass die Herren Dieter Lehmann,Bernd Schwarzer <strong>und</strong> Werner Mauss den Auftrag hatten, dieBekämpfung der ELN zu betreiben, <strong>und</strong> dass es sich bei der mir hoch<strong>und</strong> heilig zugesicherten Bereitschaft der Konzernleitung, den ELN-Forderungen zu entsprechen, um e<strong>in</strong>e perfide Täuschung aus taktischenMotiven gehandelt hatte, hätte ich höchstwahrsche<strong>in</strong>lich sogarversucht, diesen ebenso frevelhaften wie terrorstiftenden Unfug mithilfeder Bauherrschaft von Cúcuta aus zu unterb<strong>in</strong>den. Insofern warendie oben erwähnten Zweifel an me<strong>in</strong>er Loyalität also fraglos berechtigt.In völliger Unkenntnis der erst viele Jahre publik gewordenen Tatsache,dass die Konzernleitung sich zunächst für die Bekämpfung derELN entscheiden hatte, war ich natürlich zutiefst konsterniert, alsmir die fristlose Kündigung mitgeteilt wurde. Allerd<strong>in</strong>gs war ichauch selbstkritisch genug, um nicht an die Unfehlbarkeit me<strong>in</strong>es Urteilsvermögenszu glauben – zumal ich den Krisenstäblern im B<strong>und</strong>eskanzleramtunterstellte, sehr genau zu wissen, was sie taten. Undweil ich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Leben schon weitaus problematischere Herausforderungenzu bewältigen hatte als den Verlust dieses Arbeitsplatzes,beschloss ich folglich, me<strong>in</strong>e fristlose Entlassung klaglos zu akzeptieren,sofern mir e<strong>in</strong>e Abf<strong>in</strong>dung <strong>in</strong> Höhe von 100 000 Mark bezahltwürde.Als man mir nach e<strong>in</strong>em kurzen Hickhack mit der offenbar schlecht<strong>in</strong>formierten Personalabteilung schließlich 67 000 Mark Abf<strong>in</strong>dunganbot, gab ich mich damit zufrieden <strong>und</strong> akzeptierte den mir angebo-164


tenen Aufhebungsvertrag, weil ich mir Besseres vorstellen konnte,als wegen 33 000 Mark zu prozessieren. Außerdem war ich mirziemlich sicher, dass sich me<strong>in</strong>e Sorgen sehr bald als berechtigt erweisenwürden <strong>und</strong> hegte zunächst sogar noch die leise Hoffnung, imFalle e<strong>in</strong>er halbwegs e<strong>in</strong>vernehmlichen Trennung <strong>in</strong>nerhalb von wenigenWochen gefragt zu werden, ob ich wieder für <strong>Mannesmann</strong> arbeitenwolle – was mir aus persönlichen <strong>und</strong> beruflichen Gründennatürlich sehr willkommen gewesen wäre.Nachdem ich bis Weihnachten ke<strong>in</strong>e entsprechende Anfrage erhaltenhatte, beschloss ich, Sigrid im Januar 1985 auf e<strong>in</strong>er dreiwöchigenR<strong>und</strong>reise durch Brasilien zu begleiten, die von ihrem Büro veranstaltetwurde <strong>und</strong> über Recife, Salvador de Bahia, Manaus, Brasilia,die grandiosen Wasserfälle <strong>und</strong> das gigantische Wasserkraftwerk beiIguaçu, São Paulo <strong>und</strong> Rio de Janeiro führte. Als auch nach dieserReise noch ke<strong>in</strong>e Anfrage vorlag <strong>und</strong> die deutschen Medien – wohl<strong>in</strong> strikter Observanz der am 17. Oktober verhängten Nachrichtensperre– ke<strong>in</strong> Sterbenswörtchen über die Entführung <strong>und</strong> ihre Folgenhatten verlauten lassen, begab ich mich ab Februar auf die Suchenach e<strong>in</strong>em neuen Arbeitgeber <strong>und</strong> betrachtete das Thema <strong>Mannesmann</strong>als erledigt.Dem war jedoch leider nicht so: Weil me<strong>in</strong>e Exgemahl<strong>in</strong> unbed<strong>in</strong>gtihre Vorstellungen von e<strong>in</strong>em schönen Leben auf me<strong>in</strong>e Kosten realisierenwollte, unterstellte sie mir, me<strong>in</strong>e Entlassung provoziert zu haben,um e<strong>in</strong>er gerichtlichen Verurteilung zur Zahlung e<strong>in</strong>es monatlichenUnterhalts <strong>in</strong> Höhe von etwa 6 000 Mark zu entkommen. Daich die schier unglaubliche Story, die zu me<strong>in</strong>er Entlassung geführthatte, ke<strong>in</strong>em Richter glaubhaft erklären konnte, ohne e<strong>in</strong>en dickenRoman zu schreiben, bat ich folglich die Personalabteilung von <strong>Mannesmann</strong>um Hilfe. Nicht ganz der Wahrheit entsprechend, aber fürdiesen juristischen Zweck h<strong>in</strong>reichend korrekt <strong>und</strong> wohl auch ausAngst, ich könnte mich andernfalls dazu aufraffen, tatsächlich e<strong>in</strong>ensolchen Roman zu schreiben, besche<strong>in</strong>igte <strong>Mannesmann</strong> daraufh<strong>in</strong>dem Familiengericht <strong>in</strong> Emmend<strong>in</strong>gen per Brief vom 6. März 1985,dass me<strong>in</strong> Arbeitsverhältnis per Aufhebungsvertrag zum 31. Oktober165


1984 beendet wurde <strong>und</strong> dass es bei Nichtzustandekommen diesesVertrags zu e<strong>in</strong>er betriebsbed<strong>in</strong>gten Kündigung gekommen wäre. Außerdemmeldete ich mich auf Anraten me<strong>in</strong>es Scheidungsanwaltsvorsichtshalber arbeitslos, um die dennoch drohende Verurteilung zudieser Unterhaltszahlung abzuwenden.Somit war zwar die Gefahr, zu dieser me<strong>in</strong>es Erachtens völlig überzogenenUnterhaltszahlung verurteilt zu werden, vorerst abgewendet.Aber kaum hatte ich wieder e<strong>in</strong>en neuen Arbeitgeber gef<strong>und</strong>en, versuchteme<strong>in</strong>e Exgatt<strong>in</strong> erneut, r<strong>und</strong> 6 000 Mark monatlichen Unterhaltzu erstreiten. Daraufh<strong>in</strong> rief ich me<strong>in</strong>en ehemaligen Schwiegervateran <strong>und</strong> riet ihm, er möge se<strong>in</strong>e Tochter zum Verzicht auf diesenRechtsstreit bewegen <strong>und</strong> ihr empfehlen, sich mit 3 000 Mark zu begnügen.Da ich <strong>in</strong> dem Telefonat offenk<strong>und</strong>ig den richtigen Ton getroffenhatte, lenkte me<strong>in</strong>e Exgatt<strong>in</strong> zwar kurz darauf e<strong>in</strong>. Allerd<strong>in</strong>gsmimte sie fortan die treusorgende <strong>und</strong> opferbereite Mutter von zweiK<strong>in</strong>dern e<strong>in</strong>es angeblich kaltherzigen Egoisten.Selbstverständlich ärgerte es mich sehr, dass me<strong>in</strong>e lamentierendeExgatt<strong>in</strong> e<strong>in</strong>erseits versuchte, ihre Vorstellungen von e<strong>in</strong>em schönenLeben <strong>in</strong> dreister Rücksichtslosigkeit auf me<strong>in</strong>e Kosten zu realisieren,<strong>und</strong> mich andererseits als kaltherzigen Egoisten diffamierte, weilich mich dagegen wehrte, für den Rest me<strong>in</strong>es Lebens von ihr ausgenommenzu werden. Um den beiden Buben, die ihrer Mutter natürlicherweisesehr viel näher standen als mir, nicht weh zu tun, versagteich es mir jedoch, sie darüber aufzuklären, warum unsere Ehe schonseit vielen Jahren scheidungsreif war <strong>und</strong> warum ihre Mutter trotz ihresLamentierens ke<strong>in</strong>eswegs zu bedauern sei. Vielmehr baute ichdarauf, dass sie e<strong>in</strong>es Tages von selbst erkennen würden, dass ichvöllig zu Unrecht diffamiert wurde.Bed<strong>in</strong>gt durch die Kosten für die beiden <strong>in</strong> Kenz<strong>in</strong>gen gebauten Häuser,das üble Verhalten me<strong>in</strong>er Exgatt<strong>in</strong> <strong>und</strong> die rufmörderische Wirkungme<strong>in</strong>er fristlosen Entlassung aus den Diensten e<strong>in</strong>es verme<strong>in</strong>tlichvorbildlich geführten Weltkonzerns geriet ich beruflich, familiär<strong>und</strong> f<strong>in</strong>anziell zunächst zwar <strong>in</strong> e<strong>in</strong>ige ziemlich heikle Situationen.Weil sich mir dank dieser Entlassung – nach e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>jährigen be-166


uflichen Intermezzo bei der Firma Südrohrbau GmbH aus Ingolstadt– die Gelegenheit zur Gründung e<strong>in</strong>es außerordentlich erfolgreichenVersandhandels im damals gerade aufblühenden <strong>und</strong> somit auch sehrlukrativen PC-Markt bot, konnte ich mich schon bald ziemlich glücklichschätzen, se<strong>in</strong>erzeit die Abberufung der Herren Lehmann &Konsorten betrieben <strong>und</strong> die schon seit Jahren überfällige Scheidungnicht länger vor mir her geschoben zu haben.167

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