12.08.2012 Aufrufe

Benchmark - D+R-Verlag

Benchmark - D+R-Verlag

Benchmark - D+R-Verlag

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Heinz und Roland Velich<br />

Heinz und Roland Velich gelten in Sachen<br />

Chardonnay als eine „<strong>Benchmark</strong>“, also als<br />

Prüfmaßstab. Ihr „Tiglat“ macht auch in inter-<br />

nationalen Proben eine hervorragende Figur.<br />

<strong>Benchmark</strong><br />

Chardonnay<br />

Interview: Michael Prónay Fotos: Nikolaus Similache<br />

Ein Weingut im Burgenland – und kein Rotwein. Wie gibt’s so was?<br />

Wir haben uns eben auf Weißwein und Süßwein spezialisiert,<br />

was mit unserer Lage zusammenhängt. Hier, in diesem kleinen<br />

Bereich, der Apetlon, Illmitz und den südlichen Teil von<br />

Podersdorf umfasst, ist der Botrytisdruck durch die vielen<br />

Lacken ganz einfach wesentlich stärker als etwa in Gols am<br />

Abhang der Parndorfer Platte, Frauenkirchen oder in Rust.<br />

Das ist der eigentliche Seewinkel. Der Hallebühl in Frauenkirchen<br />

beispielsweise liegt 30 oder 40 m höher. Die tiefste<br />

Gemeinde Österreichs ist Illmitz, der tiefste Punkt überhaupt<br />

in einer Apetloner Senke.<br />

Andererseits wachsen hier ja doch auch anständige Rote, wenn ich<br />

an Sepp und Niki Moser denke oder auch an Alois Kracher.<br />

Stimmt schon, aber historisch gewachsen sind wir als kleines<br />

Weiß- und Süßweingut. Dazu kommt, dass wir in diesem<br />

Bereich Weine keltern, die national – und damit natürlich<br />

auch international – absolut konkurrenzfähig sind. Diese Möglichkeit<br />

sehen wir persönlich, für unseren Betrieb gesprochen,<br />

beim Rotwein noch nicht. Das deckt sich übrigens mit den internationalen<br />

Berichten über unser Land: Da wird Weiß und Süß<br />

voll anerkannt, der Rote aber mit einer gewissen Skepsis<br />

beäugt. Was aber nicht heißt, dass sich das nicht in zehn oder<br />

15 Jahren ändern könnte. Wenn die Prognose stimmt, dass die<br />

Durchschnittstemperatur in unserer Region in den nächsten<br />

20 Jahren um 1 °C steigen wird, dann wird der Rotwein sogar<br />

ganz sicher ein Thema. Aber vorderhand ist’s noch nicht so<br />

weit. Aber auch der Großvater hat schon nur Weißwein ausgesetzt,<br />

und auch bei den Alten war nur Weißwein gefragt.<br />

Das ist der Punkt, eine eindringliche Warnung auszusprechen.<br />

Rotwein boomt national wie international, was zum Beispiel<br />

dazu führt, dass sogar Jean-Louis Chave im nördlichen Rhônetal<br />

seine großartigen Weißen schwer verkaufen kann. Wer<br />

einen roten Hermitage von ihm will, muss die weiße Variante<br />

dazunehmen. Koppelkäufe sind nicht das Größte, aber das ist


Heinz und Roland Velich<br />

Über den Rotwein-Boom: „Das Beispiel eines Nachbarns, der in einer<br />

Super-Botrytislage ausgerechnet St. Laurent – die fäulnisempfindlichste<br />

Sorte überhaupt – gesetzt hat, gibt sehr zu denken.“<br />

72<br />

die Situation. Man ist also versucht,als verantwortungsbewusster<br />

Kämmerer oder Funktionär, den Bauern einzuimpfen,<br />

Rotwein auszusetzen. Und dabei kommt’s natürlich zu Misstönen,<br />

dass nämlich Rotwein ausgesetzt wird, ohne zu bedenken,<br />

wo und wie, und so kommt’s, dass heute Rotweine in<br />

Böden und Kleinklimata ausgesetzt werden, die für Rotweine<br />

überhaupt nicht geeignet sind. Das Beispiel eines Nachbarn,<br />

der in eine Super-Botrytislage ausgerechnet St. Laurent – die<br />

fäulnisempfindlichste Sorte überhaupt – gesetzt hat, gibt da<br />

sehr zu denken.<br />

Das Ganze ist ja auch in Verbindung mit der Pionierarbeit<br />

der Rotweinwinzer im Burgenland zu sehen. Deren Arbeit<br />

hat ja den Ruf des Burgenlands als Rotweinland mitbegründet<br />

– und wenn jetzt mir nichts, dir nichts überall Rotwein hingesetzt<br />

wird, dann schadet das auch dem Ruf. Und dazu<br />

kommt als weiterer Punkt, dass im Zuge des Booms der<br />

Weißwein in Lagen gerodet wird, die an sich dafür ausgezeichnet<br />

geeignet sind, selbst, wenn das Potenzial noch gar<br />

nicht wirklich ausgelotet ist, weil halt zufällig die falsche<br />

Rebsorte draufsteht. Selbst für den Grünen<br />

Veltliner gibt’s sicher Enklaven,<br />

wo der wirklich gut werden kann.<br />

Natürlich nicht im Seewinkel, sondern<br />

im nördlichen Burgenland, da verschwindet<br />

der Weißwein in einem<br />

atemberaubenden Tempo. Allein im<br />

letzten Jahr sind im Bezirk Neusiedl,<br />

also dem Weinbaugebiet Neusiedlersee,<br />

800 Hektar Rotwein dazugekommen.<br />

500 Hektar Weißwein sind dafür<br />

gerodet worden, zum Großteil ohnehin<br />

Sorten, um die’s nicht schad’ ist, wie Veltliner, Riesling oder<br />

Goldburger, zumindest hier im Seewinkel. Hingegen ist es<br />

uns durchaus ein Anliegen, dass die Weißweinkultur im<br />

Burgenland weitergepflegt wird und nicht verloren geht.<br />

Ich erinnere an Tibor Szemes, der mir in einem Interview gesagt<br />

hat: Er versteht nicht, wieso sich das Burgenland die Weißweinkompetenz<br />

ohne Gegenwehr hat wegnehmen lassen.<br />

Da muss man natürlich sagen, dass das Burgenland Niederösterreich,<br />

der Steiermark – und freilich auch Wien –<br />

gegenübersteht, die samt und sonders klassische Weißweinregionen<br />

sind, mit großen Weinen auch im internationalen<br />

Vergleich. Da ist das Burgenland immer ein wenig abseits<br />

gestanden, auch weil die Struktur der Weine anders ist (sieht<br />

man von den winzigen Weißweininseln im südlichen Burgenland<br />

ab, die schon steirische Anmutung zeigen). Aber Ende<br />

der 80er Jahre, als plötzlich die leichten, frischen, jungen<br />

Weißen in Mode kamen, hatte das Burgenland dem nichts<br />

entgegenzusetzen. Und im Bereich der fülligen und<br />

kräftigen Weißen ist unsere doch etwas andere Stilistik<br />

und Struktur nicht ganz so rezipiert worden,<br />

wie wir uns das gewünscht hätten. Vielleicht sind<br />

wir auch selber schuld, wer weiß.<br />

Die Velichs sind Spezialisten für barriqueausgebauten<br />

Chardonnay. Umgekehrt hört man viel vom „unoaked“ Chardonnay,<br />

also solchem ohne Holz?<br />

Vielleicht fehlt dem reinen Edelstahl-Chardonnay eine Facette,<br />

aber das ist nicht der Punkt: Viel wichtiger ist die Frage des<br />

„Wie?“ beim Holzfassausbau. Die Gegenströmung gegen<br />

eichenüberladene Chardonnays war hauptsächlich gegen<br />

solche gerichtet, die nicht nach dem Stand der Technik ausgebaut<br />

worden sind. Und dazu gehört einfach die Vergärung<br />

im Fass selbst, das Lager auf der Hefe, die Batonnage, also<br />

das Aufrühren. All das fehlt den Stahltankchardonnays. Dazu<br />

kommt eine rasche Vergärung mit Reinzuchthefe, ein reduktiver<br />

Ausbau, um möglichst früh auf die Flasche zu kommen<br />

– zu all dem braucht man in Wahrheit keinen Chardonnay.<br />

Andererseits verkauft sich eine Flasche, auf der Chardonnay<br />

draufsteht, leichter, als wenn etwa Welschriesling draufstünde.<br />

Freilich, aber da kann auch Sauvignon stehen, und er verkauft<br />

sich leichter. Aber damit der Chardonnay sein volles Potenzial<br />

„Der Wein muss im Holz vergären. Wenn man fertigen Wein<br />

im Barrique lagert, schmeckt er, wie’s in der Tischlerei riecht.“<br />

ausspielt, dazu braucht er die richtige Unterstützung von<br />

Hefe und Holz – zumindest sind wir für unsere Region davon<br />

überzeugt.<br />

Gibt’s eine Trendänderung bei den besten holzausgebauten<br />

Weißen, weg von der Wucht, hin zur Eleganz?<br />

Was wir tun – übrigens nicht nur beim Chardonnay, sondern<br />

beispielsweise auch beim Welschriesling –, ist, dass wir sehr<br />

reifes Traubenmaterial anstreben, das im Holz vinifiziert<br />

wird, das möglicherweise auch zwei Jahre auf der Feinhefe<br />

im Holz liegt. Grad beim Welschriesling sind wir dabei, das<br />

auszuloten, übrigens ausschließlich mit gebrauchten Fässern.<br />

Bekanntlich hat die Welschrieslingskala zwei starke Enden<br />

– die leichte, frische Variante und die edelsüße –, aber in der<br />

Mitte hapert’s. Normal Ausgebaute mit 13 % will keiner. Wir<br />

glauben, dass da einiges drin ist. Aber insgesamt stimmt das<br />

auf jeden Fall: Wir haben beim heurigen 2002er „Tiglat“ (dem<br />

Top-Chardonnay des Hauses) nur mehr 40 % neue Fässer verwendet.<br />

Wir waren aber nie Eichenfanatiker – die Frucht<br />

muss in jedem Fall erhalten bleiben.<br />

Hängen Intensität und Dauer des Holztons nicht auch davon ab,<br />

ob man im Barrique vergärt?<br />

Und ob. Wenn man den fertigen Wein darin lagert, schmeckt<br />

er, wie’s in der Tischlerei riecht, und das ändert sich auch nimmer.<br />

Wenn aber der Wein im Holz vergärt, ergibt<br />

sich durch die CO 2 -Entwicklung eine völlig andere<br />

Interaktion mit dem Holz, da werden Polyphenole<br />

polymerisiert, ähnlich wie beim Rotwein, wenn<br />

auch natürlich mit anderen aromatischen Komponenten,<br />

weil ja der Weiße deutlich weniger<br />

Gerbstoff mitbringt. Und die Hefe spielt natürlich<br />

auch mit. Früher hat man filtrierte Weine ins<br />

Barrique getan, das kann ja nichts werden. 1990<br />

haben wir das einzige Mal damit experimentiert<br />

– eine Charge im Holz vergoren, die andere nachher<br />

eingefüllt –, und dann nie mehr wieder, denn<br />

das Ergebnis war völlig eindeutig. Beim Ausbau des fertigen<br />

Weins im Holz stehen Wein und Holz nebeneinander, und<br />

zwar auf immer. Und mit längerer Lagerung wird der nur<br />

trauriger. Bei holzvergorenen Weinen ist vom vordergründigen<br />

Holz nichts mehr zu spüren, das ist zu einer Einheit<br />

verwachsen. Ganz ähnlich übrigens wie bei großen weißen<br />

Burgundern, wo nach fünf, sechs Jahren der Wein im Vordergrund<br />

steht, der Boden, auf dem er gewachsen ist. Das ist<br />

auch der Unterschied zur Aromatisierung mit Eichenchips.<br />

Da ist’s dann zur Aromatisierung mit Aromen nimmer weit.<br />

Andererseits: Wenn Länder der Neuen Welt Billigweine mit<br />

Eichenaroma um fünf oder sechs Euro in die Regale der Supermärkte<br />

stellen können, fragen sich traditionelle Winzer zu<br />

Recht: Haben wir das notwendig?<br />

Da stellt sich die Frage: Wohin wollen wir? Welchen Weg<br />

wollen wir beschreiten? Klar, für uns ist’s eher einfach, aber<br />

wenn das Weinland Burgenland so etwas wie eine Corporate<br />

Identity haben will, führt an der Frage kein Weg vorbei. Beim<br />

Rotwein hieße das: Versuche ich, Weine der neuen Welt zu<br />

kopieren? Dann wird das Scheitern kläglich sein, weil die unter<br />

anderen Voraussetzungen und mit anderen Betriebsstrukturen<br />

arbeiten. Oder ich besinne mich darauf, was ich kann, nämlich<br />

individuelle und authentische Weine zu erzeugen, die<br />

als solche auch erkennbar sind, wenn man hineinriecht: Ein<br />

knackiger Blaufränkischer im 70-, 80-Schilling-Bereich, so<br />

was hat Sinn. Den großen Ländern<br />

nachzuhüpfen hingegen, das führt<br />

uns auf den Holzweg.<br />

Ich habe eine gewisse Schwierigkeit mit<br />

dieser Argumentation. Einerseits die<br />

Betonung der Regionalität – und andererseits<br />

räumen die Velichs in extrem<br />

frankophon geprägten Blindproben<br />

wie zuletzt in Belgien mit dem Chardonnay<br />

alles ab.<br />

Das ist aber leicht zu beantworten.<br />

Chardonnay wird ja bei uns nicht<br />

angebaut, weil er Mitte der 1980er Jahre plötzlich extrem in<br />

Mode gekommen ist, sondern nachweislich seit 100 oder 150<br />

Jahren, vielleicht sogar wesentlich länger. Wenn man mit alten<br />

73


Heinz und Roland Velich<br />

Winzern in Rust spricht oder mit den Kellermeistern von<br />

Halbturn, wo’s Aufzeichnungen gibt, dann merkt man rasch:<br />

Die Sorte war immer schon da und hat sich hier bewährt,sowohl<br />

im Anbau als auch in der Qualität der Weine.<br />

Andererseits: Wir haben für die „Collection Taubenkobel“<br />

eine Sonderfüllung gemacht, bei der wir vom reinen Chardonnay<br />

weggegangen sind. Es ist also keineswegs gesagt, dass<br />

der „Tiglat“ immer ein reiner Chardonnay bleiben muss. Wir<br />

denken da sehr intensiv darüber nach. Linie und Charakter<br />

sollen natürlich erhalten bleiben. Es glauben uns zwar nur wenige,aber<br />

wir versuchen doch,so gut es geht,das Terroir in Szene<br />

zu setzen, den Boden, den’s hier gibt, bei den Weinen herauszuarbeiten.<br />

Wenn man zwei- oder dreijährigen<br />

„Tiglat“ trinkt, sind da schon Nuancen<br />

drinnen, die man woanders nicht findet.<br />

Das mag teilweise auf die Vinifizierung<br />

zurückzuführen sein, aber sicher auch auf<br />

Boden und Klima. Wir wollen bewusst<br />

burgenländische Chardonnays machen,<br />

seewinklerische Chardonnays von mir aus<br />

– die Rebsorte ist ja nur ein Parameter unter<br />

mehreren und sicher nicht der wichtigste.<br />

Wir wären mit dem „Tiglat“-Weingarten,<br />

den unser Vater 1961 mit „Weißburgunder-<br />

Morillon“ ausgesetzt hat, auch zufrieden gewesen, wenn’s ein<br />

Pinot Blanc gewesen wäre. Es war halt Chardonnay – mehr<br />

oder weniger zufällig.<br />

Was die Sache mit Belgien betrifft, das kam so: Unser Händler<br />

in Brügge hat vor etwas über einem Jahr gemeinsam mit<br />

einem bekannten Journalisten, eine Verkostungsserie – blind<br />

– zum Thema Chardonnay aus aller Welt organisiert. Am ersten<br />

Tag kamen die Sommeliers der großen Häuser, am zweiten<br />

Tag die Weinfreaks, die sind wie bei uns, die kennen alles<br />

und wissen alles. Jeder sollte einen Top-Chardonnay mitbringen,<br />

wir haben ’97 „Tiglat“, „Darscho“ und OT Reserve<br />

mitgehabt. Da war alles dabei, was Rang und Namen hat, Les<br />

Perrières von Coche-Dury, Comte Lafon und derlei. Am ersten<br />

Tag hat nach der Auszählung „Tiglat“ gewonnen, und „Darscho“<br />

war Dritter oder Vierter. Wobei es nicht um Punkte ging,<br />

sondern um Fragen wie: Welcher Wein hat das meiste Terroir,<br />

welcher schmeckt am besten, an sich ein gutes System. Am<br />

zweiten Tag waren dann „Tiglat“ und Reserve vorn, „Darscho“<br />

war Dritter oder Vierter. Und dieses Votum war so eindeutig,<br />

dass sich die Leute schon gefragt haben: Wie gibt’s das? Und<br />

noch dazu, weil die Skepsis gegenüber unseren Weinen a priori<br />

ganz enorm war. Aber die Leute sind nicht angestanden, ihre<br />

Meinung völlig zu revidieren. Und das hilft natürlich, international<br />

ernst genommen zu werden.<br />

In Sachen Malolaktik: Wird der biologische Säureabbau immer zu<br />

100 % angestrebt?<br />

Das kommt sehr drauf an. Grundsätzlich stehen wir dazu, und<br />

wenn ein Wein länger reifen können soll, dann auf jeden Fall.<br />

Andererseits gibt’s natürlich extreme Jahre wie 1992, wo’s<br />

besser ist, den biologischen Säureabbau wegzulassen – der<br />

erfolgt ja in solchen Jahren ohnehin zum Großteil bereits am<br />

Stock, solche Jahrgänge haben a priori einen sehr geringen<br />

Apfelsäureanteil. Aber in Jahrgängen wie 2002, wo die Säure<br />

schon sehr präsent ist, ist der Säureabbau das Um und Auf.<br />

Außerdem darf man nicht vergessen: Wir machen Weine im<br />

ursprünglichen Sinn, nämlich als Essensbegleiter. Und da<br />

fördert der Säureabbau die Bekömmlichkeit ungemein. Nach<br />

meinem Gefühl passen junge Weine mit forscher Säure nicht<br />

unbedingt zu jedem Gericht. Sie sind deutlich weniger universell<br />

einsetzbar als Weine mit biologischem Säureabbau, noch<br />

dazu, wenn sie vielleicht zwei oder drei Jahre alt sind. Das gilt<br />

übrigens genauso für große Veltliner und Rieslinge aus der<br />

Wachau: Wenn die vier oder fünf Jahre alt sind, passen sie<br />

zum Essen wesentlich besser als in ihrer Jugend.<br />

Im Übrigen: Wir bieten solche Weine a priori<br />

einmal an. Wir waren nie in der Situation wie<br />

viele andere, die alle Farben, Sorten und Qualitätsstufen<br />

im Programm hatten – und haben<br />

mussten. Wir waren in der glücklichen Lage<br />

eines kleinen Weinbaubetriebs mit drei, vier<br />

Rebsorten und nicht mehr. Die Leute, die das,<br />

was wir machen, haben wollen, die kaufen das.<br />

Was aber nicht bedeutet, dass wir deshalb<br />

eine enge Sicht der Dinge haben. Wir trinken<br />

wesentlich mehr Weine als nur die<br />

eigenen: Wachau, Südsteiermark, Elsass,<br />

Italien, Frankreich – Weiße, aber auch Rote.<br />

Wenn wir heute Lust auf einen fünf- oder<br />

zehnjährigen Clos Ste Hune von Trimbach<br />

haben, dann gehen wir in den Keller und<br />

holen eine Flasche. Das macht Freude, und so gehören Weine<br />

auch eingesetzt: zu bestimmten Gerichten, zu bestimmten<br />

Anlässen.<br />

Ich deute das als Plädoyer für den gereiften Wein. Damit sieht’s<br />

aber in der Gastronomie nicht so toll aus?<br />

Aber es fängt langsam an und greift immer mehr um sich.<br />

Klar, der Druck seitens der Gäste ist enorm – es hängt aber<br />

auch damit zusammen, dass viele Gäste reifere Weine noch<br />

nicht verstanden haben. Da muss sich die Gastronomie –<br />

und sie tut’s ja ohnehin immer mehr – ihrer Dolmetschfunktion<br />

gegenüber dem Gast bewusst werden und ihm<br />

reifere Weine richtiggehend erklären. Ein schönes Beispiel<br />

„Winzer und Gastronomen leben in einer Symbiose. Wer<br />

sonst als die Topgastronomie soll denn die Schaufensterfunktion<br />

ausüben und gereifte Weine anbieten?“<br />

der jüngeren Zeit ist Klaus Piber, der seit kurzem<br />

bewusst auch reifere Weine in den glasweisen<br />

Ausschank einbezieht. Ich erinnere mich an<br />

einen Bründlmayer’schen Lamm 1995 im<br />

„Indochine“ – der reife Veltliner war schlicht<br />

und einfach perfekt.<br />

Ich erinnere mich an eine heftige Diskussion,<br />

die ich an der Bar vom Seehotel in Rust mit Karl<br />

Seiser („Meinl am Graben“) und Walter Eselböck („Taubenkobel“)<br />

vom Zaun gebrochen habe: Ihr habt zu wenig reife<br />

Weine. Ihr beide (bzw. Christian Petz) macht große Küche,<br />

aber es gibt zu wenig passende Weine dazu. Es wär’doch viel<br />

schöner, wenn diese grandiosen österreichischen Gerichte<br />

mehr passende Begleiter hätten. Der Widerstand war beträchtlich<br />

und die Argumentation verständlich: einerseits die Kostenfrage<br />

und andererseits das Unverständnis des Publikums.<br />

Die trinken zu Hause die gereiften Flaschen und wollen dort<br />

was Neues probieren. Und noch ein Argument: Österreichische<br />

Weiße haben Weltgeltung, das spricht sich immer mehr<br />

herum. Wer sonst als die Topgastronomie soll denn die Schaufensterfunktion<br />

ausüben, wenn jemand beispielsweise eine<br />

93er Schütt von Knoll trinken will? Das Resultat nach eineinhalb<br />

Jahren: Bei „Meinl am Graben“ gibt’s plötzlich eine<br />

Altweinkarte, und auch bei Eselböcks mehren sich die Empfehlungen<br />

reiferer Jahrgänge.<br />

Was ich damit auch sagen möchte: Winzer und Gastronomen<br />

leben in einer Symbiose, bei der Erfahrungsaustausch absolut<br />

notwendig ist. Gemeinsam muss man bewerkstelligen,<br />

dass der Gast zu einem tollen Abend kommt. Wenn ich beispielsweise<br />

an die Auberge de l’Ill denke, an die Haeberlins<br />

in Illhaeusern – dort arbeitet der Sommelier Serge Dubs mit<br />

einer Weinkarte, da stehen alle Granaten, von Zind-Humbrecht<br />

bis Clos Ste Hune, mit zehn bis 15 Jahrgängen bis weit in<br />

die 70er Jahre zurück drauf. (Im Übrigen haben wir Wein<br />

dorthin geliefert, wir sind die einzigen Österreicher auf der<br />

Karte.) Wenn ich dran denke, wer hat das bei uns? Gut, ich<br />

akzeptiere die Gegenbeispiele, Josef Knoll, Klaus Wagner, der<br />

„Eckel“ und der „Döllerer“ fallen mir ein – aber es könnten<br />

(und sollten) mehr sein. Beim Süßwein allerdings schaut’s<br />

mit Vertikalen ganz schlecht aus, was eigentlich unverständlich<br />

ist, weil jeder weiß, dass sich Süßwein hält.<br />

Das ist der Punkt, wo man eine kulturell-kulinarisch-gastronomische<br />

Diskussion lostreten müsste.<br />

Das Bewusstsein in der Richtung Edelsüßwein ist<br />

leider extrem schwach ausgeprägt. Wenn ich Kunden<br />

und Gäste aus Italien oder Frankreich anschaue,<br />

wie sehr die Süßwein schätzen und als phantastisches<br />

Produkt ehren (und verehren), da sind wir<br />

in Österreich in der Situation, dass auf diesem<br />

Sektor viel zu wenig passiert ist und nach wie vor<br />

passiert. Das liegt natürlich an dem Umstand, dass<br />

wir als vergleichsweise kleines Land nicht nur<br />

große Qualitäten,sondern auch Quantitäten dieser Spezialitäten<br />

keltern können. Das macht das Ganze ein wenig inflationär,<br />

und jeder sieht den Süßwein halt als Süßwein – und nicht als<br />

Weltklassespezialität, die er international ist. Wenn man an<br />

74 75


Heinz und Roland Velich<br />

76<br />

Sauternes denkt, und dass es eine besondere Ehre ist, einen<br />

Climens, Rieussec oder Yquem zu trinken, dieses Verständnis<br />

fehlt völlig. Es hängt natürlich auch mit unseren kulinarisch-önologischen<br />

Konsumgewohnheiten zusammen, und<br />

da will ich uns Winzer gar nicht ausnehmen, wir sollten da<br />

ruhig anfangen, vor der eigenen Türe zu kehren. Wir essen<br />

also Vorspeise, Suppe, Fisch, Hauptgang und so weiter, man<br />

trinkt Wein dazu – und wenn es eigentlich aus sein sollte, ist<br />

der Punkt gekommen, wo man gern noch eine Flasche Wein<br />

trinkt. Auf die Idee, zum Dessert eine Flasche Süßwein zu bestellen<br />

und dann aufzustehen und zu sagen: Wunderbar, das<br />

war’s, maxmimal noch Kaffee – das tut keiner. Da bleibt man<br />

eher in der Runde sitzen und trinkt noch eine Flasche oder<br />

zwei – zum Wohle unserer Wirten, aber zu Lasten unserer<br />

Edelsüßen. Dieses Selbstverständnis des Essens und Trinkens,<br />

wie’s die romanischen Länder kennen, das haben wir in dieser<br />

Form nicht. Wenn ich an das Selbstbedienungsrestaurant<br />

am Pariser Flughafen denke, wo sich ein alter Herr zu seiner<br />

Gänseleber, seiner Hauptspeise und dem Dessert völlig natürlich<br />

eine Flasche Wein nimmt – das gäb’s bei uns nicht.<br />

Historisch gesehen: Hatte der Edelsüßwein früher einen höheren<br />

Stellenwert?<br />

Freilich. Die Weine waren teuer und geschätzt. Wir merken’s<br />

ja selbst,wenn die Leute zu uns kommen. Jeder sagt: „Süßwein?<br />

Nein, danke!“ Aber jeder probiert ihn und kauft ihn auch; eben<br />

weil die Leute ein gänzlich anderes Vorstellungsbild von<br />

Süßwein haben. Nicht zuletzt,weil Süßwein bei uns leider auch<br />

als Massenprodukt gesehen wird. Da gefällt mir René Gabriel,<br />

der die heftige Empfehlung abgibt, immer eine kleine Flasche<br />

Süßwein im Eiskasten zu haben – und sie dann zum Dessert,<br />

zur Kaffeejause oder einfach zur blauen Stunde herauszunehmen.<br />

Übrigens ist Süßwein konzentriert genug, Kaffee<br />

auszuhalten.<br />

Mit ein Hindernis ist auch die Bezeichnung „Süßwein“. Zu<br />

„süß“ fällt einem höchstens „klebrig“ ein. Aber es ist schwierig,<br />

da ein neues Wort zu finden oder zu erfinden. Uns würde natürlich<br />

„Ausbruch“ vorschweben, aber da wollen wir den Winzern<br />

vom anderen Seeufer nicht in die Quere kommen. Die<br />

machen das mit „Ausbruch“ und „Essenz“ sehr gut, was außerdem<br />

ja auf den ungarischen Konnex hindeutet, der ja jahrhundertealt<br />

ist. Wir haben’s dem Robert Wenzel vorgeschlagen,<br />

der geantwortet hat: „Wissen Sie, das hätten wir so gern<br />

für uns allein“ – was auch verständlich ist. Also müssen wir<br />

vorderhand mit Beerenauslese und Trockenbeerenauslese<br />

leben. Vielleicht kann man’s zu einer gewissen „Marke“ entwickeln,<br />

ähnlich wie’s beim „Tiglat“ irgendwie auch gelungen<br />

ist. Und vielleicht können wir auch von der bisherigen Nomenklatur<br />

der Süßepyramide weg-<br />

kommen, wer weiß, so was wie<br />

die Goldkapsel in Deutschland.<br />

Unsere Beerenauslese, die’s<br />

inzwischen auch in einer nicht<br />

ganz unbeträchtlichen Menge<br />

gibt, müssen wir als solche<br />

bezeichnen, obwohl sie in Summe in der Rückrechnung eine<br />

TBA wäre; und zwar deshalb, weil ein paar Chargen mit 28,<br />

29 °KMW dabei sind und 30 °KMW das Minimum für die TBA<br />

sind. Es sind auch Chargen mit 35 und 36 ° dabei, wobei der<br />

Durchschnitt immer bei 30 bis 32 °KMW liegt, zumindest<br />

streben wir das an. Vinifikatorisches Ziel ist eine trinkfreundliche<br />

Balance zwischen Alkohol (12,5 bis 13 %) und<br />

Zuckerrest (100 bis 140 g/l), und dazugehört auch der Ausbau<br />

im Holz, eineinhalb bis zwei Jahre. Ein wenig schwebt uns<br />

die Eleganz der Süßweine von der Loire,aus der Chenintraube,<br />

und deren eminente Trinkfähigkeit vor. Das ist das Ziel – und<br />

nicht die größte Konzentration und die üppigste Opulenz um<br />

jeden Preis. Trinkcharme und ein Preis,der für die Gastronomie<br />

den glasweisen Ausschank kalkulierbar macht, sind die Parameter,<br />

um die’s uns geht, denn wenn man zu zweit Essen geht,<br />

bestellt man sich keine Flasche.<br />

Tatsache ist, dass uns die Welt um die Qualität und Quantität<br />

unserer Süßweine beneidet, dass wir aber beträchtliche Mühe<br />

haben, diese Weine zu vermarkten. Nicht nur die Erzeugung,<br />

sondern auch die Vermarktung ist kosten- und zeitintensiv,<br />

die Konkurrenz schläft auch nicht,und es ist anstrengend,weil<br />

er in seiner Gesamtheit im Inland nicht absetzbar ist.<br />

Worauf wir noch Wert legen: Weder wird ein Weingarten auf<br />

höheren Ertrag für Süßwein angeschnitten, noch bringen wir<br />

Kali- oder Stickstoffdünger aus (das erhöht die Botrytisanfälligkeit),<br />

noch arbeiten wir mit Sprinkleranlagen, um in<br />

trockenen Herbsten die Entwicklung<br />

zu beschleunigen. Und wir<br />

haben auch nicht den Druck, unbedingt<br />

jedes Jahr Süßwein zu<br />

machen. Wir wollen einfach nichts<br />

erzwingen. Wenn das Jahr, wie<br />

2000, sehr trocken ist, lassen wir<br />

lieber die Trockenbeerenauslese<br />

aus, damit die Qualität der Beerenauslese<br />

gleichmäßig hoch bleiben<br />

kann.<br />

„Auf die Idee, zum Dessert eine Flasche<br />

Süßwein zu bestellen und dann aufzustehen<br />

und zu sagen ,danke das war’s‘<br />

kommt bei uns niemand.“

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!