Nach dem Spaziergang ging es ins Emser Gasthaus. Im ausgedehnten Gastgarten um eineKolonnade haben sich die Ausflügler nach der Wanderung gütlich getan. Wir waren auch öfters dort,weil dort immer etwas los war. Ich durfte mir sogar eine Flasche Limonade bestellen.(Hinweis: Das Gasthaus ist auf dem Titelblatt abgebildet.)Bei solchen Ausflügen bekamen wir ebenfalls öfters aus Kattowitz Besuch. Der damaligeGartendirektor Sallmann kam mit seiner Familie öfters gern zu uns um mit Vater fachzusimpeln.Familie Sallmann hatten 2 Buben in meinem Alter: Hans und Joachim. Wir spielten in derbenachbarten Baumschule „Räuber und Gendarm“ oder Versteck. Damals konnte ich freilich nochnicht ahnen, daß der ältere der beiden (Hans) später mal mein Chef in Frankfurt werden sollte.Erinnerlich ist mir jedenfalls, daß meine Eltern Sallmanns nicht gern mochten. Der alte Sallmann warsehr von sich eingenommen und geschwätzig. Deshalb wurde eine Freundschaft nicht gepflegt undwir sahen sie nicht gerne bei uns.(Hinweis: Mein Vater hat immer gesagt, daß der Frankfurter Gartenbaudirektor Sallmann ihn in seinerKarriere nicht unterstützt hat. Erst ein halbes Jahr vor der Pensionierung wurde mein Vater in denhöheren Dienst befördert, also etwas Baurat A13 oder BAT IIa. Nach meinem Kenntnisstand kanntemein Vater von der Kattowitzer Realschule auch den Direktor des Frankfurter Zoos Berhard Grzimek.)Im März 1918 war Waffenstillstand zwischen Deutschland und Rußland geschlossen worden. Es gingdeshalb im gesamten Industriegebiet Oberschlesiens ein Aufatmen los. Der Druck, die Russenkönnten das Kohlenrevier einnehmen, löste sich schlagartig.Inzwischen bezogen wir unsere 3. Wohnung in der Kattowitzer Straße. Mein Vater hatte dieseWohnung angestrebt, weil das Haus unmittelbar an dem Baumschulgelände angrenzte. Hier hattenwir die schönste Wohnung und von hier aus gehen auch meine schönsten Kindheitserinnerungen. Zudieser Wohnung gehörten auch selbstverständlich Stallungen, Hofraum und ein schönerGemüsegarten, der neben der Baumschule und dem Gewächshaus lag. Dort hatte Vater auch einenkleinen Wohngarten für uns einrichten lassen, wo wir im Sommer öfters Kaffeeklatsch abgehaltenhaben. Tante Elly kam öfters auch aus Kattowitz oder Onkel Max, wo ich öfters eine Tafel Schokolademitgebracht bekam.Hier fällt mir noch ein Erlebnis ein. Nämlich als unser guter Geist Amalie bei ihren Eltern zu Hausewar, fiel es meiner Mutter plötzlich ein, mal eine Gans zu braten. Nur mit dem Schlachten verstand siesich nicht. Das arme Vieh wurde von der Mutter eingefangen und nachdem sie das Schlachtmesseram Kopf angesetzt hatte und mit dem Schneiden begann, entwich das Tier blutend vor Todesangstaus Mutters Klauen. Voller Mitleid haben wir sie dann lange behalten, bis sie dann später doch nochin der Bratpfanne landete.Außer den Gänsen hatten wir auch ein Putenpaar. Der Puter war ein mächtiges Tier, der es immerauf die Erika abgesehen hatte. Wenn Erika in die Nähe des Puters kam, war er nicht zu bändigen.Sie, die Erika, traute sich nicht mehr ins Gehege.In unserem Haus wohnte im Parterre der Bürgermeister Jonas, im 1. Stock wir und über uns dieFamilie Mende mit 10 Kindern. Vater Mende war Hilfssteiger. Die Mendes hatten keinen guten Ruf.Meine Mutter sah darauf, daß ich mich von den Kindern, die meisten in meinem Alter, fern halte.Manchmal aber habe ich mich doch mit ihnen verdrückt. Das durfte ich allerdings nur heimlich tun.In den großen Ferien mußte ich mit Mutter entweder auf die „Pilzsuche“ oder in die „Preiselbeeren“gehen. Vom frühen Morgen bis zur Mittagsstunde waren wir im Wald und pflückten feste Beeren bisuns der Rücken weh tat. Stolz waren wir, wenn wir mit 2 Milchkannen gefüllt mit Blaubeeren heimkamen. Ein Teil wurde gleich eingemacht, der andere sofort als Kompott gedünstet. Dann gab esMutters vielgerühmte Hefeklößel, die Vater gar nicht mochte.Unmittelbar hinter dem Garten befand sich ein großer Hundezwinger. Wir hatten einen Diensthund(Jagdhund), ein Mords-Vieh. Der Kerl war so scharf, daß sich nur Vater und ich als Bub in denZwinger hineintraute. Mutter fürchtete sich sehr vor ihm. Nachts ließ ich ihn aus dem Zwinger, wo erim Baumschulgelände freien Auslauf hatte. Als Treff altersschwach wurde, bekamen wir einenanderen Hund, und zwar einen schottischen Schäferhund. Mit dem hatte es Erika gut.8
Nun zu dieser Zeit erinnere ich mich, als die Kirschenernte heranstand, kam ich auf den Gedanken miteinem meiner Freunde verbotenerweise selbst welche zu ernten. Da stand dicht neben demGewächshaus ein mächtiger Kirschbaum mit dunkelroten Früchten. Um zu den Kirschen zu gelangen,stieg ich auf das Gewächshausdach in der guten Hoffnung, daß die starken Drahtglasscheiben meinGewicht aushalten werden. Zunächst ging alles gut. Als aber das Körbchen halb voll war, muß icheinen Fehltritt getan haben. Eine Scheibe gab nach, rutschte aus der Sprosse und ich landete imGewächshaus auf einer Anzuchtstellage. Ich bin da zu Tode erschrocken. Aus Angst verwischte ichschnell die Spuren. Mein Freund und ich machten uns schleunigst aus dem Staube. Als der Gehilfeam nächsten Morgen die Bescherung entdeckte, meldete er den „Einbruch“ sofort der Gärtnerei. Manwar höchst erstaunt, daß Treff gegen die Einbrecher nichts unternommen hatte. Daß der Sohn desChefs die Hand im Spiel gehabt hätte, darauf ist man freilich nicht gekommen. Später habe ich dasVater gebeichtet, als alles längst vergessen war.Im November 1918 war der Krieg beendet, das Kaiserreich durch die Republik abgelöst. Für unsDeutsche begann damals eine schlimme Zeit. Zunächst tat sich in Emanuelssegen nichts. Aberinsgeheim gärte es schon. Es gab im Industriegebiet Oberschlesiens zahlreiche Kräfte, die dieAbtrennung des Kohlenreviers vom Deutschen Reich im Untergrund betrieben. Zuerst ging das ganzlangsam vor sich. Es sollte noch einige wenige Jahre dauern, ehe die Loslösung vom Reich reifwurde.Von der Schule in Kattowitz besuchte ich oft Tante Elly, die Hauswirtschafterin bei Bergrat Brunnerwar und in der Schillerstraße 9 wohnte. Bergrat Brunner war Witwer; er hatte 3 Kinder, die jüngsteTochter Eva war in meinem Alter. Eva war ein hübsches Mädel, deren Nähe ich immer suchte. Sieging aufs Lyceum. Sie kam auch oft mit Elly mit nach Ems, wenn sie uns besuchte.Einmal muß mich wohl der „Teufel geritten“ haben, nämlich ich ließ kurzerhand einen 20-Mark-Schein,der auf der Kommode lag, „mitgehen“! (Im Hause Brunner) Da ich ja nie einen Pfennig Geld in derTasche hatte, fühlte ich mich nun reich. Ich konnte mir nun endlich die geliebten Kokosflocken kaufen,die ich so gerne hatte. Der Diebstahl bekam mir aber nicht. Elly war darob außer sich. Sie fuhr nachEms und erzählte Mutter von der Tat „ihres Früchtchens“. Ich darf mir hier ersparen zu schildern, wasdarauf an mir geschah. Jdenfalls hatte ich lange danach zu „lecken“, und oft wünschte ich mir die Tatungeschehen zu machen. Man hat mir das dann auch lange genug vorgehalten.Mein Onkel Max wohnte von Tante Elly nur ein „Steinwurf“ weit weg, nämlich in der Nikoleistraße 7. Indem Hause wohnte ein Stock tiefer die spätere Ehefrau von Bernhard Grzimek.Meine Tante Meta (Ehefrau des Onkel Max) war hochgradig Rheuma-krank. Ich sehe sie heute nochwie sie 10 oder 15mal um den großen Wohnzimmertisch herumgehumpelt ist. Ihre Hände warenderart verkrümmt, daß sie kaum eine Tasse halten konnte. Kremsers hatten 2 Kinder, - MädchenRuth und Ilse. Sie waren einige Jahre älter als ich. Sie haben mich bei verschiedenen Besuchenkaum zur Kenntnis genommen. Sie waren zu hochnäsig und zu sehr eingebildet, da sie schon dieBänke der oberen Klassen des Lyceums drückten. Deshalb ging ich sehr selten zu ihnen, eigentlichnur dann, wenn ich mußte, zu besonderen Anlässen. Tante Meta verstarb am 7.12.1923 mit 45Jahren an ihren Leiden.Einmal fielen in unserer Klasse 2 Unterrichtsstunden wegen Krankheit unseres Lehrers aus. WirBuben, die wir schon um ½ 8 Uhr im Klassenzimmer waren, hatten nichts anderes zu tun als Unsinnzu treiben. So balgten wir uns halt herum und Klein-Eberhard machte hier auch keine Ausnahme. Beieiner solchen Balgerei rutschte ich mit meinem linken Arm unter den schwarzen Klassenschrank undeiner setzte sich auf mich. Um den Jungen loszuschütteln muß ich mit dem Arm den schwerenSchrank angehoben haben. In diesem Augenblick splitterte die Gelenkkugel des linken Ellbogens.Der Schmerz war fürchterlich. Ich wurde sofort nach Hause gebracht und in das FürstlicheKnappschafts-Lazarett eingeliefert.Bei einer Röntgenaufnahme hat man festgestellt, daß ein sehr komplizierter Bruch des Kugelgelenksvorliegt, der äußerst schwierig zu behandeln sei. Man sprach sogar davon, daß ein steifer Armzurückbleibden könnte. Ich kam sogleich in den OP-Saal in Narkose. Als ich aufwachte, hatte icheinen mordsgroßen Gipsverband in einer Schiene. Ich habe ein halbes Jahr damit zugebracht.Schlimmer aber war dann die folgende Bewegungs-Therapie. Wenn mich der Wärter in der „Fuchtel“hatte, schrie ich so fürchterlich, daß das ganze Lazarett zusammenlief. Später mußte mich ständigmeine Mutter ins Lazarett hinbringen, weil ich sonst den Weg einfach nicht fand.9