KremserEberhard_1910_1934

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konnte. Auf Veranlassung der Landgräfin mußte Vater ins Städtische Krankenhaus (Frankfurt), demdamals berühmten Chirurgen Prof. Dr. Schneider vorgestellt werden. Er mußte gleich dortbleiben. Erwurde in die Chirurgische Abteilung eingewiesen. Als wir Vater am nächsten Sonntag imKrankenhaus aufsuchten um ihm noch fehlende Wäsche und andere Sachen zu bringen, war seinrechter Arm bereits amputiert. So schnell ging das um sein Leben zu retten. Danach ging es ihmwieder wesentlich besser, und er erholte sich auch rasch wieder. Die beiden Weihnachtsfeiertageverbrachten wir bei ihm im Krankenzimmer. Vater hatte sich mit dem Verlust des rechten Armes baldabgefunden. Die Landgräfin sorgte rührend für ihn. Sie sorgte auch dafür, daß er täglich regelmäßigein kleines Fläschchen Sekt bekam, damit er sich stärken und bald wieder nach Hause zurückkehre.Das erste Weihnachtsfest sollte ich in nun in Kronberg erleben. Wahrlich es war so schön, daß ich esheute noch lebendig im Gedächtnis habe. Die Schloßverwaltung richtete eine Weihnachtsfeier imgroßen Festsaal des Schlosses aus. Landgraf von Hessen sollte die Festrede halten.Wir freuten uns schon Wochen vorher auf diese Weihnachtsfeier.Am 23. 12. 1929 hatten wir schon unsere Arbeit um 4 Uhr nachmittags beendet und uns festlichangekleidet. An langen Tischen waren in Hufeisenform die Weihnachtsgeschenke, mitNamensschildern versehen, aufgebaut. Im Kerzenlicht erstrahlte ein großer Weihnachtsbaum. DerLandgraf hielt die Weihnachtsansprache nicht ohne auf die miese wirtschaftliche Lage, in der sichdamals das Deutsche Reich befand, hinzuweisen. Es gab für jeden nur einige Kleinigkeiten, die unsjedoch riesig erfreuten. Es gab für jeden einen Teller voll Plätzchen, Schokolade, Zigaretten undZigarren und je eine Flasche Wein. In einem Kuvert lagen für Vater 40 und für mich 20 Mark alsWeihnachtsgeschenk. Außerdem bekam jede Familie als Weihnachtsbraten einen Hasen überreicht.(Hinweis vom Artikel „Staatsbankrotte“ des Prof. Dr. jur. Hans Hattenhauer zu Brüning in derZeit vom 30. März 1930 bis zum 30. Mai 1932:Was indessen die Weltwirtschaftskrise angeht, so stand das Reich schon am „Schwarzen Freitag",dem 25. Oktober 1929, am Rande der Zahlungsunfähigkeit. Es behalf sich mit Kassenkrediten, umnoch Löhne und Gehälter auszahlen zu können. Brüning konnte mit vollem Recht hartnäckig auf dieVerantwortung der Siegermächte für diese Lage hinweisen und Erlass der Reparationslasten fordern.Allerdings ließ sich auch ein erhebliches Stück Mitverschulden der früheren Regierungen nichtleugnen. Das Reich hatte mit Hilfe der Inflation bis 1923 zwar seine Kriegsschulden auf Kosten derSparer liquidiert, danach aber einen neuen Schuldenberg angehäuft. Unter günstigeren Umständenhätte man diesen wohl tragen können, doch war in der Zeit der Wirtschaftskrise daraus nun ein Nagelzum Sarge der Republik geworden.Es gab die folgenden Probleme:Reparationslasten,Abnahme der Wirtschaftsproduktion,Steuerausfälle,Steigen der Arbeitslosenzahlen,Wachsen der Soziallasten,Kapitalflucht,Weltwirtschaftskrise,Bankenkrise,Überschuldung der Landwirtschaft.)Im Januar 1930 konnte Vater wieder nach Hause kommen. Er nahm seine Arbeit wieder auf, obwohlihn die Schloßverwaltung noch einige Wochen Ruhepause zusagte.Vater fand infolge der Amputation des Armes keine so große Behinderung. Das Verhältnis zurLandgräfin wurde immer inniger und bald war er ihr Vertrauter.(Hinweis: Als körperbehinderter stelle ich mir die Änderung aber doch ziemlich schwer vor, dennmeine Großvater war Rechtshänder. Offensichtlich ist unserer Familie für Staphylokokken-Infektionenprädestiniert. Außer meinem Großvater Samuel Kremser, verlor mein anderer Großvater Martin Plank1930 seine Arbeit infolge einer Handentzündung durch eine Brombeer-Dorne, und ich zog mir im20

städtischen Höchster Krankenhaus eine MRSA-Infektion zu mit Spondylodiscitis und Befall derAugen.)In dieser Zeit war es, daß Mutter auffiel, daß ich immer zu Hause war und ich mich kaum anderenMenschen anschloß. Sie drang darauf, daß ich „unter die Leute“ müßte. Über dem Schloßpark unddem Schwimmbad befand sich das Waldcafe Bürgelstollen. Jeden Mittwoch trafen sich dort Bekannteund sonstige Bürger Kronbergs um beim Apfelwein einen Plausch zu tun. Vater war auch immerdabei. Er nahm mich mittwochs immer mit. Es war um den runden Stammtisch immer lustig, wennder Haushofmeister Dose oder sein „Spezi“ Göbel Witze losließen. Oft wurden Karten gespielt. Ichwar dabei mit von der Partie.Eines Abends gesellte sich zu dieser Gesellschaft eine andere hinzu. Darunter waren auch einigeMädchen mit jungen Männern, die ich natürlich nicht kannte. Diese „Nachkömmlinge“ kamen aufeinmal auf den Gedanken nach Schallplatten musikalisch zu tanzen. Man machte die Mitte desLokals frei und Karl Eichenauer legte eine Platte nach der anderen auf. Ein „Fräulein“ wollte absolut,daß ich mit ihr tanze. Ich konnte das natürlich nicht und außerdem schämte ich mich vor denanderen. Das Mädchen wurde immer zudringlicher, bis ich also stocksteif ihr dauernd auf die Füßetrat.Jeden Mittwoch wiederholte sich die Zusammenkunft mit der gleichen „Besetzung“. In der Folgespielten wir Rommee: Kurt Bönicke (Chauffeuer von Lange), Adolf Winter (Bademeister desSchwimmbads Kronberg), Karl Eschenauer (der Sohn des Gastwirts) und meine Wenigkeit. Ab undzu kam Hanne mit Begleitung. Dann wurde auch mal getanzt.Inzwischen wurde Vater wieder krank. Das war wohl März/April 1930. Dr. Kramer behandelte Vatererneut, und zwar auf Rheuma. Als das nicht besser wurde, haben wir ihn wieder zum Prof. Dr.Schneider ins städtische Krankenhaus gebracht. Dort stellte man eine Vereiterung desKnochenmarks im linken Oberschenkelknochen fest. Er mußte wieder operiert werden. Er lag einigeWochen bis zum Hals im Gipsverband. Der Eiter floß durch eine Kanüle ab. Wieder mußten wirmittwochs und sonntags ins Krankenhaus. Um Geld zu sparen fuhr ich jedes Mal mit dem Fahrradvon Kronberg nach Sachsenhausen rund 20 km, einfache Fahrt! Hinzu ging das ja leicht, aber zurückmußte man dauernd bergan strampeln.Vater ging es dauernd sehr schlecht. Wir hatten schon mit seinem Ableben gerechnet, weil keinErfolg zu erkennen war. Er wurde von Woche zu Woche immer weniger. Als man ihm denGipsverband abnahm, brach der Oberschenkelknochen durch. Die sofortige Amputation des linkenBeines mußte vorgenommen werden.Es war schon schlimm für ihn und für uns. Als das Bein aber ab war, erholte sich Vater zusehends.Er nahm wieder zu und sah auch besser aus. Er nahm auch wieder am täglichen Geschehen teil.Seine Genesung dauerte mehrere Monate, zumal er ins Friedrichsheim verlegt wurde um dort eineBeinprothese angemessen zu bekommen. Danach erfolgten die ersten Gehversuche. Ich erinneremich, daß ich Mutter und Erika ständig beistehen mußte. Für sie war es nicht leicht die Ungewißheitzu tragen.Die wirtschaftlichen Verhältnisse im Jahr 1930 wurden immer schlechter. Es gab immer mehrArbeitslose und die Krawalle zwischen „rechts und links“ mehrten sich. Sie wurden immer heftiger undverbissener.(Hinweis: Das Ende parlamentarischer Regierung erfolgte am 27. März 1930 durch Austritt der SPDaus der Großen Koalition. Damit gab es keine Regierung mehr, und das Land wurde durch quasidiktatorischeVollmachten des Reichspräsidenten geleitet. Brüning brachte sein Sanierungsprogrammin einer umfangreichen „Ersten Notverordnung zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen" unter, dieder Reichspräsident gemäß Artikel 48 Abs. 2 WRV unter Gegenzeichnung des Reichskanzlers unddes Reichsinnenministers am 1. Dezember 1930 in Kraft setzte. Es folgten noch drei weitereNotverordnungen.)Die wirtschaftliche Krise ging auch bei der Schloßverwaltung nicht ohne Quereln vorüber. EinesTages ließ mich Oberstleutnant Lange kommen, Mutter war auch dabei. Er eröffnete uns, daß sichdie Verwaltung wegen der derzeitigen Lage ganz gehörig einschränken müsse. Er müsse Eberhardentlassen, da die Gärtnerei z. Zt. gar nichts mehr einbringe. Wer hätte in dieser Zeit denn noch Lustund Geld Blumen und Obst zu kaufen? Er machte einen Vorschlag: Da Vater ja für Monate ausfiel,21

konnte. Auf Veranlassung der Landgräfin mußte Vater ins Städtische Krankenhaus (Frankfurt), demdamals berühmten Chirurgen Prof. Dr. Schneider vorgestellt werden. Er mußte gleich dortbleiben. Erwurde in die Chirurgische Abteilung eingewiesen. Als wir Vater am nächsten Sonntag imKrankenhaus aufsuchten um ihm noch fehlende Wäsche und andere Sachen zu bringen, war seinrechter Arm bereits amputiert. So schnell ging das um sein Leben zu retten. Danach ging es ihmwieder wesentlich besser, und er erholte sich auch rasch wieder. Die beiden Weihnachtsfeiertageverbrachten wir bei ihm im Krankenzimmer. Vater hatte sich mit dem Verlust des rechten Armes baldabgefunden. Die Landgräfin sorgte rührend für ihn. Sie sorgte auch dafür, daß er täglich regelmäßigein kleines Fläschchen Sekt bekam, damit er sich stärken und bald wieder nach Hause zurückkehre.Das erste Weihnachtsfest sollte ich in nun in Kronberg erleben. Wahrlich es war so schön, daß ich esheute noch lebendig im Gedächtnis habe. Die Schloßverwaltung richtete eine Weihnachtsfeier imgroßen Festsaal des Schlosses aus. Landgraf von Hessen sollte die Festrede halten.Wir freuten uns schon Wochen vorher auf diese Weihnachtsfeier.Am 23. 12. 1929 hatten wir schon unsere Arbeit um 4 Uhr nachmittags beendet und uns festlichangekleidet. An langen Tischen waren in Hufeisenform die Weihnachtsgeschenke, mitNamensschildern versehen, aufgebaut. Im Kerzenlicht erstrahlte ein großer Weihnachtsbaum. DerLandgraf hielt die Weihnachtsansprache nicht ohne auf die miese wirtschaftliche Lage, in der sichdamals das Deutsche Reich befand, hinzuweisen. Es gab für jeden nur einige Kleinigkeiten, die unsjedoch riesig erfreuten. Es gab für jeden einen Teller voll Plätzchen, Schokolade, Zigaretten undZigarren und je eine Flasche Wein. In einem Kuvert lagen für Vater 40 und für mich 20 Mark alsWeihnachtsgeschenk. Außerdem bekam jede Familie als Weihnachtsbraten einen Hasen überreicht.(Hinweis vom Artikel „Staatsbankrotte“ des Prof. Dr. jur. Hans Hattenhauer zu Brüning in derZeit vom 30. März 1930 bis zum 30. Mai 1932:Was indessen die Weltwirtschaftskrise angeht, so stand das Reich schon am „Schwarzen Freitag",dem 25. Oktober 1929, am Rande der Zahlungsunfähigkeit. Es behalf sich mit Kassenkrediten, umnoch Löhne und Gehälter auszahlen zu können. Brüning konnte mit vollem Recht hartnäckig auf dieVerantwortung der Siegermächte für diese Lage hinweisen und Erlass der Reparationslasten fordern.Allerdings ließ sich auch ein erhebliches Stück Mitverschulden der früheren Regierungen nichtleugnen. Das Reich hatte mit Hilfe der Inflation bis 1923 zwar seine Kriegsschulden auf Kosten derSparer liquidiert, danach aber einen neuen Schuldenberg angehäuft. Unter günstigeren Umständenhätte man diesen wohl tragen können, doch war in der Zeit der Wirtschaftskrise daraus nun ein Nagelzum Sarge der Republik geworden.Es gab die folgenden Probleme:Reparationslasten,Abnahme der Wirtschaftsproduktion,Steuerausfälle,Steigen der Arbeitslosenzahlen,Wachsen der Soziallasten,Kapitalflucht,Weltwirtschaftskrise,Bankenkrise,Überschuldung der Landwirtschaft.)Im Januar 1930 konnte Vater wieder nach Hause kommen. Er nahm seine Arbeit wieder auf, obwohlihn die Schloßverwaltung noch einige Wochen Ruhepause zusagte.Vater fand infolge der Amputation des Armes keine so große Behinderung. Das Verhältnis zurLandgräfin wurde immer inniger und bald war er ihr Vertrauter.(Hinweis: Als körperbehinderter stelle ich mir die Änderung aber doch ziemlich schwer vor, dennmeine Großvater war Rechtshänder. Offensichtlich ist unserer Familie für Staphylokokken-Infektionenprädestiniert. Außer meinem Großvater Samuel Kremser, verlor mein anderer Großvater Martin Plank1930 seine Arbeit infolge einer Handentzündung durch eine Brombeer-Dorne, und ich zog mir im20

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