wußte, daß die dortige Reichsbahndirektion einen Fachmann suchte, der es überrnahm, anbesonderen gefährlichen Strecken Windschutzpflanzungen anzulegen. Er bekam den Auftrag dazu.Da ich nun auch bar jeglicher Beschäftigung war, habe ich ihm tüchtig mitgeholfen. Die Arbeiten,gemeint sind hier Rigolarbeiten, hatte Vater im Akkord vergeben. Ich war sehr stolz, wenn ich amAbend die stolzen Quadratmeter aufmaß und sie dem Vater vorlegte. Ich hatte immer soviel, wie dieanderen Arbeiter auch. Davon wollte ich keinen Pfennig. Ich war schon froh, wenn ich von Mutteretwas Geld in die Finger bekam. Die Arbeitsstrecken erreichten wir mit der Bahn und die freienStrecken mit der Draisine.Eine Freude war es für mich immer, wenn ich am Sonnabend nach Cosel laufen durfte, um für VaterTabak zu holen und die Illustrierte zu kaufen. Ab und zu durfte ich von Vaters Tabak eine Zigarettedrehen. (Hinweis: Mein Großvater, mein Vater und Herbert waren nikotinsüchtig. Als ich 14 war, hatmein Vater in einer Illustrierten eine kritische Abhandlung gelesen, so daß er von einem Tag auf denanderen mit dem Rauchen aufhörte. (Mit Tabak hat er 1945 den Lokfahrer bestochen, als der Zugaus hamburg kommend langsam in Frankfurt-Süd einfuhr. Sonst wäre er wohl im Rheinlandungekommen wie der Vater von Frau Z..) Mein Großvater rauchte auch im Alter. Ich glaube, ererstickte regelrecht an einer Lungenentzündung im Kronberger Krankenhaus 1955.)Abends spielten wir bei der Petroleumlampe meistens das Würfelspiel „die lustige Sieben“.Nach Weihnachten nahm Vater die alte Verbindung zur Samenfirma „Titus Hermann“ in Liegnitz auf,wo Vater in Emanuelssegen beträchtliche Mengen Samen bezog. Sie war die größte Samenfirma undAnzuchtsgärtnerei Schlesiens.Wir bezogen nun von ihr Gemüse- und Blumensamen in sog. Kommission. Damit machten wir in derdortigen Umgebung ganz gute Geschäfte.Vater legte jedoch seine Hände nicht in den Schoß. Es war ja auch abzusehen, daß die Vertragsarbeitenbei der Reichsbahn eines Tages auslaufen werden. Er bewarb sich nun mehrmals aufAnzeigen in den Fachzeitschriften „Möllers deutsche Gärtnerzeitung“ und dem „Thalacker“. Daswaren Fachblätter von Ruf. Auch ich liieß meine Eltern nicht in Ruhe. Ich bat sie Tag für Tag, siemögen doch mal bei Titus Hermann anfragen, ob ich dort nicht als Praktikant oder als Lehrlingeintreten könnte. Mutter wollte anfänglich davon nichts wissen. Schließlich willigten die Eltern ein undmeine stolze Mutter begrub endgültig ihre Hoffnung auf ihren „Studenten“.Hier in Kandrzin hatten wir eine Familie kennengelernt, deren Mann das damals aufkommende Radioselbst gebastelt hatte. Er führten uns das Ding vor und wir staunten, daß aus dem Trichter ohneDrahtverbindung Musik vom entfernten Sender Breslau zu hören war. Gegen die heutigen Apparatewa das ein „Trum-Ding“; das den ganzen Tisch eingenommen hatte. Manchmal funktionierte derApparat nicht, das war oft ein Quietschen und Pfeifen, aber immerhin war das für uns etwas Neuesund für mich ein großartiges Erlebnis im Herbst 1926 zum erstenmal Radio gehört zu haben.Die Firma Titus Hermann, Inhaber Kemler, war bereit mich als Lehrling in seinem Betrieb einzustellen.Vor Freude darüber hüpfte ich schier an die Decke. Zwar war ich sehr betrübt, die Familie wiederverlassen zu müssen, aber mir war klar, daß das sein mußte.14
Lehr- und Wanderjahre1927 - 1939BerufsjahreAn einem kalten Maientag des 15.05.1927 machte ich mich mit zwei Koffern auf um mein beruflichesLeben in Liegnitz zu beginnen.Liegnitz liegt an der Katzbach und hatte zu jener Zeit 80000 Einwohner. Liegnitz war als Garten- undGurkenstadt in ganz Schlesien bekannt.In Liegnitz angekommen, meldete ich mich zuerst im Hauptgeschäft bei meinem neuen Chef Kamleran und stellte mich als den neuen „Gärtnerstift“ vor. Man empfing mich dort sehr freundlich. Manbrachte mich von dort in die Anzuchtgärtnerei, in der Breslauerstr. 109, wo ich mich beim dortigenBetriebsleiter Georg Emig, Obergärtner, zu melden hatte. Hier bezog ich meine neue Behausung, einan sich geräumiges Zimmer, in dem schon ein Stift, namens Georg, wohnte. Das geräumige Haus,neben den Gewächshäusern, beherbergte im 1. Stock die Familie Emig, im Parterre waren weitereZimmer, in der noch 4 Gehilfen untergebracht waren. Anschließend waren riesige Lagerhallen fürMaschinen und Samenreinigungsgeräte. Wir Stifte, insgesamt 4, waren samt und sonders in„Vollpension“ beim Emig. Als Entgelt bekamen die Stifte im 1. Jahr 2 ganze deutsche Reichsmark.(Hinweis: Für welchen Zeitraum? Vielleicht monatlich?) Mit diesem Lohn konnten wir keine großen„Sprünge“ machen. In diesem Betrieb wurden alle Blumensamen und Gemüsesamen erzeugt. Eskamen aber auch zahlreiche Neuzüchtungen heraus, die Jahr für Jahr prämiert wurden.Ich war eigentlich sehr stolz in einem so bekannten und erfolgreichen Betrieb lernen zu dürfen.Meine Lehrzeit begann eigentlich mit einer Panne. Ich war kaum 8 Tage da, da hatte ich mich mitdem 1. Gehilfen (Böhm) in den „Haaren“.Ich mußte nämlich aus Frühbeetkästen Hortensien in Blumentöpfe herausnehmen und die Töpfe, dievoller Grünspan waren, mit einem Lappen säubern. An diesem Tag war es kalt, und es regnete mitSchnee vermischt ununterbrochen. (Hinweis. Kommt mir komisch vor, daß am 23. Mai Schnee fiel!)Ich stand am Wasserbassin und wusch also die Töpfe. Ab und zu steckte ich meine klammen Händein die Hosentaschen um sie wieder etwas aufzuwärmen. Meine Kollegen in den Gewächshäusernbeneidete ich, da ich sie sah, wie sie drinnen hantierten.Böhm sah also, wie ich meine Hände „wärmte“. Er forderte mich auf, und zwar in einem herrischenTon, der mich reizte, ich solle die Hände aus der Tasche nehmen und arbeiten. Ich sei doch nichtzum Vergnügen hier! Ein Wort gab das andere – jedenfalls kam ich derartig „in Fahrt“, daß ich ihmsagte, er solle sich um seinen Kram kümmern. Daraufhin warf er mir einen nassen Lappen insGesicht. Ich nahme denselben Lappen und schleuderte ihn genau auf seine Nase. Nun war das Faßvoll. Zwar feixte der ganze Betrieb darüber, daß Böhm vom Stift eins in die „Fresse“ bekam, aber fürmich war ein für allemal „der Ofen aus“.Emig verwarnte mich mit der Maßgabe, künftige derartige Vorfälle der Betriebsleitung im Hauptgeschäftzu melden. Seitdem hatte ich es beim Emig verspielt, und er bereitete mir die Hölle. Mir warklar, daß ich nun den Mund halten mußte und daß „Lehrjahre keine Herrenjahre“ seien. Ich verhieltmich auch danach, auch wenn mir das sehr schwer fiel.Mit der Fresserei beim Emig waren wir nicht zufrieden. An allen Ecken und Enden wurde gespart;aber da wir kein Geld hatten um zuzusetzen trieb uns schon der Hunger zum „Futternapf“. Außerdemwar Frau Emig eine recht bequeme und unsaubere Frau. Das konnten wir schon an der Blech-Kaffeekanne sehen, die wahrscheinlich überhaupt nicht sauber gemacht wurde. Wenn wir Kaffeeausschenken wollten (das war ja gar kein Kaffee, sondern „Mopselbrühe“ nannten wir das Gesöff)mußten wir erst mit einem Stock die Schnauze frei machen.Wir haßten diese Frau. Sie stand stundenlang am Fenster und beobachtete uns, anstatt daß sie ihreZeit der Wohnung geopfert hätte. Emig erfuhr täglich haargenau was unten im Betrieb gespielt wurde.15