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PC I: Thermodynamik - EPR@ETH - ETH Zürich

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<strong>PC</strong> I: <strong>Thermodynamik</strong>Klassische <strong>Thermodynamik</strong> mit Aspekten der irreversiblen<strong>Thermodynamik</strong> und thermodynamischen Grundlagen der ElektrochemieG. Jeschke<strong>ETH</strong> <strong>Zürich</strong>, Laboratorium für Physikalische ChemieGunnar.Jeschke@phys.chem.ethz.chHCI F227, Tel. 2570230. Mai 2013InhaltsverzeichnisTeil I- Grundlagen der <strong>Thermodynamik</strong> 61 Vorbemerkungen 71.1 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71.2 Die <strong>Thermodynamik</strong> als Beispiel einer naturwissenschaftlichenTheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91.3 Physikalische Chemie- ein kurzer Überblick vorab . . . . . . . 121.4 Grundbegriffe der <strong>Thermodynamik</strong> . . . . . . . . . . . . . . . 151.4.1 Rechnen mit Einheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151.4.2 Der nullte Hauptsatz und der Temperaturbegriff . . . 161.4.3 Systeme, Phasen, Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . 171.4.4 Zustands- und Prozessgrößen . . . . . . . . . . . . . . 201.4.5 MathematischeVoraussetzungen:DifferentielleZustandsänderungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221.4.6 MathematischeVoraussetzungen:EndlicheZustandsänderungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 Thermische Zustandsgleichungen reiner Stoffe 282.1 Die allgemeine thermische Zustandsgleichung . . . . . . . . . 281


2.2 Die thermische Zustandsgleichung idealer Gase . . . . . . . . 302.3 Die thermische Zustandsgleichung realer Gase . . . . . . . . . 332.3.1 Virialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332.3.2 Die van-der-Waalssche Zustandsgleichung . . . . . . . 342.3.3 Der kritische Punkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372.3.4 Die reduzierte van-der-Waalssche Zustandsgleichung . 392.3.5 Grenzen der van-der-Waals-Gleichung . . . . . . . . . 403 Mischphasen 423.1 Zusammensetzungssgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423.1.1 Der Molenbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433.1.2 Der Massenbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433.1.3 Der Partialdruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443.1.4 Die Molalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443.1.5 Konzentrationsgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453.2 Partielle molare Größen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464 Beschreibung von Stoffwandlungsprozessen 494.1 Prozesstypen und Reaktionsgleichungen . . . . . . . . . . . . 494.1.1 Phasenumwandlungen reiner Stoffe . . . . . . . . . . . 494.1.2 Mischphasenbildung und -wandlung . . . . . . . . . . 504.1.3 Chemische Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504.2 Stöchiometrische Koeffizienten und Reaktionslaufzahl . . . . . 504.3 Reaktionsgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514.4 Zum Nachdenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525 Arbeit, Wärme und Energie 545.1 Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545.2 Wärme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555.2.1 Wärmeaustausch mit Temperaturänderung . . . . . . 565.2.2 Wärmeaustausch ohne Temperaturänderung . . . . . . 565.2.3 Temperaturänderung ohne Wärmeaustausch . . . . . . 575.3 Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 576 Der erste Hauptsatz der <strong>Thermodynamik</strong> 596.1 Energieerhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 596.2 Formulierung des ersten Hauptsatzes . . . . . . . . . . . . . . 596.3 Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 602


14.5 Die elektrochemische Zelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17415 Nichtgleichgewichts-Systeme 17615.1 Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17615.2 Das Konzept des lokalen Gleichgewichts . . . . . . . . . . . . 17615.2.1 Unterteilung des Systems in kleine Volumenelemente . 17615.2.2 Zustandsgrößen der Volumenelemente . . . . . . . . . 17715.3 Thermodynamische Kräfte und Flüsse . . . . . . . . . . . . . 17815.3.1 Die lokale Entropieproduktion . . . . . . . . . . . . . 17815.3.2 DieBeziehungzwischenthermodynamischerKraftundthermodynamischem Fluss . . . . . . . . . . . . . . . . 17915.4 Nahe dem Gleichgewicht: Die Onsager-Reziprozitäts-Beziehung18015.5 Fern vom Gleichgewicht: Dissipative Strukturen und Symmetriebruch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181Anhänge 176A Die Mathematik der <strong>Thermodynamik</strong> 184A.1 Zustandsfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184A.2 Der Satz von Schwarz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186A.3 Näherungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186A.3.1 Näherungen von Zustandsfunktionen . . . . . . . . . . 186A.3.2 Näherungen der Exponentialfunktion und der Logarithmusfunktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187A.4 Berechnung von Zustandsänderungen durch Integration . . . 188A.5 Prozessgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189B Zusätzliche Herleitungen 189B.1 Van-der-Waalssche Zustandsgleichung . . . . . . . . . . . . . 189B.2 Maxwell-Konstruktion und Hebelgesetz . . . . . . . . . . . . 190B.2.1 Maxwell-Konstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191B.2.2 Hebelgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192C Symbole, Einheiten und Naturkonstanten 193C.1 BedeutungwichtigerSymboleundKorrespondenzzugängigenLehrbüchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193C.2 Einheiten und deren Umrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . 194C.3 Naturkonstanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1946


1 Vorbemerkungen1.1 LiteraturDieses Vorlesungsskript bietet eine vollständige und, so gut ich das vermochte,zusammenhängende und konsistente Einführung in die Grundlagender <strong>Thermodynamik</strong>. Die Aufnahme der wichtigsten Grundgedankender irreversiblen <strong>Thermodynamik</strong> macht diese Darstellung in gewisser Hinsichtmoderner als diejenige in aktuellen Lehrbüchern der PhysikalischenChemie. Diese Abschnitte sind allerdings zum vertiefenden Nachlesen gedacht,ebenso wie die in Teil II enthaltenen speziellen Kapitel. Die Vorlesungund Prüfung beschränken sich auf die klassiche, phänomenologischeGleichgewichts-<strong>Thermodynamik</strong>.Das Skript basiert zum Teil auf dem vergriffenen Lehrbuch 4 des LehrwerksChemie, H.-H. Möbius und W. Dürselen, Chemische <strong>Thermodynamik</strong>,VEB Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leizig, 4. Aufl. 1985und verdankt weitere Anregungen dem ausgesprochen lesenswerten, nur aufEnglisch erhältlichen Buch von Dilip Kondepundi, Introduction to ModernThermodynamics, John Wiley & Sons, Ltd., Chichester, 2008, im Folgendenals Kondepudi, 2008 abgekürzt, sowie der Vorlesung von Prof. H. Sillescu,Universität Mainz.ObwohldieseVorlesungalsoohnedirekteZuhilfenahmezusätzlicherLehrbücherverfolgt werden kann, empfehle ich doch nachdrücklich, bereits zu Beginndieses Kurses <strong>PC</strong> I ein Lehrbuch für das Studium der gesamten PhysikalischenChemie auszuwählen und den Vorlesungsstoff parallel in diesemLehrbuch nachzulesen. Zu diesem Zweck enthalten die einzelnen AbschnitteLiteraturhinweise auf drei Standardlehrbücher der Physikalischen Chemie,Gerd Wedler, Lehrbuch der Physikalischen Chemie, Wiley-VCH, Weinheim,4. Aufl. 1997 (Wedler, 1997), P. W. Atkins, Physikalische Chemie, Wiley-VCH, Weinheim, 3. Aufl., 2001 (Atkins, 2001) und T. Engel, P. Reid, PhysikalischeChemie, Pearson Studium, München, 2006 (Engel/Reid, 2006).Von diesen Lehrbüchern kommt Wedler, 1997 in Bezug auf eine zusammenhängende,mathematischkonsistenteDarstellungdemdidaktischenGrundprinzipmeines Vorlesungskurses am Nächsten. Das hat auch den Vorteil,dass andere Teilgebiete der Physikalischen Chemie in ähnlicher Form undmit mathematisch tragfähigen Querverbindungen dargestellt sind. Andererseitsbietet der Wedler, 1997 für die <strong>Thermodynamik</strong> in Bezug auf diesesSkript den geringsten Mehrwert“- die Darstellungsform ist sehr ähnlich.”7


Der Atkins, 2001 bietet einen solchen Mehrwert durch eine Vielzahl vonAbbildungen und einige hübsche didaktische Ideen. Er liefert auch eine umfassendereDarstellung moderner Aspekte der Physikalischen Chemie als derWedler, 1997 und ist sicherlich das derzeit weltweit populärste Lehrbuch aufdiesem Gebiet. Meine Vorbehalte (und die Vorbehalte vieler deutschsprachigerHochschullehrer) gegen den Atkins, 2001 beziehen sich auf einen Verlustvon Zusammenhängen, der daher kommt, das nicht das gesamte Gedankengebäudeeiner Theorie in einem Fluss aufgebaut wird. Außerdem wurde aneinigen Stellen die Exaktheit der Darstellung einer besserer Verständlichkeitgeopfert. Dadurch verstößt der Atkins, 2001 stellenweise gegen EinsteinsDiktum, es solle in der Wissenschaft alles so einfach wie möglich dargestelltwerden- aber nicht einfacher. Zu bedenken ist auch, dass Atkins, 2001 fürmanche Teilgebiete der Physikalischen Chemie völlig unzureichend ist, beispielsweisefür die Statistische <strong>Thermodynamik</strong>.Eine relativ neue Alternative ist Engel/Reid, 2006. Die 1. Auflage enthältnoch eine Reihe von Druckfehlern und Schwächen und das Register (Index)ist wenig hilfreich, überprüfen Sie, ob inzwischen eine neue Auflageverfügbar ist. Das Buch setzt etwas andere Schwerpunkte als der Atkins, isteindrucksvoller bebildert und geht auf einige Anwendungen in der modernenChemie ein. Auch hier wird mir persönlich der Gedankenfluss durch zuviele Abschweifungen unterbrochen. Der Kondepudi, 2008 scheint mir für eineerste Einführung in die <strong>Thermodynamik</strong>, ohne Vorwissen, relativ schwerzugänglich, kann aber mit grossem Gewinn gelesen werden, nachdem manden Stoff einmal gründlich durchgearbeitet hat.Wenn Sie nur ein Lehrbuch der Physikalischen Chemie anschaffen wollen,empfehle ich entweder den Atkins, 2001 oder den Engel/Reid, 2006- dieSkripte der <strong>ETH</strong>-Vorlesungen kompensieren die Schwächen dieser Büchergut. Von diesen Büchern ist der Atkins, 2001 bei aller Kritik das etwasbessere. Wenn Sie großes Interesse an Physikalischer Chemie und die finanziellenMittel für zwei Lehrbücher haben, empfehle ich die Anschaffung desEngel/Reid, 2006 und des Wedler, 1997, weil der Engel/Reid, 2006 als moderneErgänzung zum Wedler, 1997 besser geeignet ist.Ein sehr tiefes Verständnis der physikalischen Chemie kann mit dem LehrbuchJ.K.Fink,PhysicalChemistry in Depth,Springer,Berlin,2009erreichtwerden. Allerdings ist dieses Lehrbuch als erste Einführung wenig geeignet,es setzt bereits ein grundlegendes Verständnis voraus. Da an der <strong>ETH</strong> füralle Vorlesungen umfangreiche Skripte existieren, kann es für stark an Phy-8


sikochemie interessierte Studenten mit guten mathematischen Fertigkeitendennoch eine gute Alternative sein.Leider verwenden verschiedene Lehrbücher leicht verschiedene Symbole fürdie gleichen Grössen. Deshalb ist diesem Skript eine Korrespondenztabelleder Symbole angefügt, die Sie auch zum Nachschlagen der Bedeutung derSymbole benutzen können (Anhang C.1).1.2 Die <strong>Thermodynamik</strong> als Beispiel einer naturwissenschaftlichenTheorieDie <strong>Thermodynamik</strong> 1 stellt die Frage welche Prozesse in einem stofflichen processSystem unter welchen Bedingungen freiwillig ablaufen. Daraus ergibt sichauch die Frage nach dem Gleichgewichtszustand, 2 der nach einer hinreichend equilibrium statelangen Zeit erreicht wird. Was eine ”hinreichend lange“ Zeit nun genau ist,ist nicht Gegenstand der <strong>Thermodynamik</strong>, sondern der Kinetik, die in einemgesondertenVorlesungskursbehandeltwird.DieZeitspieltinderklassischen<strong>Thermodynamik</strong> keine direkte Rolle, ist also zunächst keine Variable, die wiruntersuchen. Um den Anschluss zwischen der klassischen <strong>Thermodynamik</strong>und der Kinetik herzustellen, sind Grundzüge der irreversiblen <strong>Thermodynamik</strong>in diesem Skript erwähnt, werden jedoch in den Vorlesungen undÜbungen nicht behandelt, um den Stoff nicht weiter zu verkomplizieren.Diese Teiles des Skripts können beim ersten Lesen übergangen werden.GanzallgemeinbetrachtenwissenschaftlicheTheoriennureinenausgewähltenTeil der Realität, weil die Gesamtheit der Welt zu komplex für eine Beschreibungin Worten oder gar mathematischen Formeln ist. Die Kunst derTheoriebildung besteht darin, einen Teil der Realität zu definieren, den manin guter Näherung isoliert vom Rest der Welt betrachten kann. Man stellt approximationdann Vermutungen darüber an, wie beobachtbare Phänomene oder messbareGrößen in diesem Teilbereich der Welt miteinander zusammenhängenund wie man sie von außen beeinflussen kann. Solche Vermutungen nenntman Hypothesen. Hypothesen, die sich bewähren, erlangen schließlich denRang einer Theorie. Das klassische Beispiel für die Bewährung einer Hypotheseist eine überraschende Voraussage über den Ausgang eines neuenExperiments, die sich bewahrheitet. Für eine gute Theorie reicht es aber1 Normal gesetzte Marginalien geben englische Übersetzungen wichtiger Begriffe an.Kursiv gesetzte Marginalien verweisen auf wichtige Konventionen.2 Thermodynamische Theorien existieren auch für Systeme nahe am Gleichgewichtszustand(Onsager, Nobelpreis 1968) und fern vom Gleichgewichtszustand (Prigogine, Nobelpreis1977). Wir führen hier nur die Grundgedanken dieser Theorien ein.9


auch aus, wenn sich weniger spektakuläre Vorhersagen beständig bewahrheiten.Die <strong>Thermodynamik</strong> ist ein Beispiel einer solchen guten Theorie. Siekann voraussagen, in welcher Weise sich makroskopische Eigenschaften von macroscopicStoffen unter bestimmten äußeren Bedingungen ändern werden und welcherEnergieaustausch bei diesen Änderungen auftreten wird. Für den Chemikerbesonders wichtig ist, dass auch chemische Reaktionen und die zur Stofftrennungund-reinigungbenutztenPhasenübergängedurchdie<strong>Thermodynamik</strong>beschrieben werden können.Auch eine gute Theorie kann nur ein Modell des betrachteten Teils der Rea- modellität liefern. Dieses Modell stimmt niemals exakt mit der Realität übereinbestimmteAspekte müssen vernachlässigt werden, um die Beschreibung be- neglectedgrifflich bzw. mathematisch fassbar zu halten. In der empirischen Naturwissenschaftbeginnt man dabei in der Regel mit einem Modell, das so einfachwie möglich ist und untersucht, wie gut es die Ergebnisse von Experimentenvorhersagen kann. Wenn die Qualität der Annäherung an die Realität gutgenug für praktische Zwecke (Denkweise des Ingenieurs oder Industriechemikers)oder im Rahmen der Messgenauigkeit (Denkweise des akademischenChemikers)ist,dann bleibtmanaufdieserStufeder Modellierung.Anderenfallsüberlegt oder untersucht man, welche der getroffenen Näherungen denHauptanteil an der Abweichung von der Realität ausmachen. Man versuchtdann, diese Näherungen durch bessere zu ersetzen und dabei die Theorieso wenig wie möglich zu verkomplizieren. Die <strong>Thermodynamik</strong> ist deshalbein gutes Einführungsbeispiel für diese Art wissenschaftlichen Denkens, weilsich die Komplikationen tatsächlich in Grenzen halten. Es gibt eigentlich inder Gleichgewichtsthermodynamik nur einen einzigen schwer fassbaren Begriff(die Entropie), der aber dafür einer wohl definierten Größe entspricht,mit der man problemlos rechnen kann.Für exakte Vorhersagen besonders brauchbar sind Theorien und Modelle,die sich in Form mathematischer Gleichungen beschreiben lassen. Die gesamtePhysik und der größte Teil der physikalischen Chemie arbeiten mitsolchen Theorien. In den Übungen zu dieser Vorlesung werden wir an BeispielenVorhersagen über das Verhalten von Systemen mit einem Blatt Papierund einem Taschenrechner machen. In der Praxis benutzt man heutein den meisten Fällen numerische Berechnungen mit einem Computer. DasComputerprogramm bildet dabei das Modell des Systems ab.Kommen wir zur Eingangsfrage zurück, welche Prozesse in einem stofflichenSystem freiwillig ablaufen- oder auch nicht. Beispiele für solche Prozesse10


sind:• Zustandsänderungen eines Gases• chemische Reaktionen• die Faltung eines Proteins• die Bildung eines Nanokomposits aus einem Polymer und einer anorganischenKomponenteUm einen solchen Prozess klar zu definieren, müssen wir den Anfangs- undEndzustand durch physikalische Größen beschreiben. Diese Größen sind dieZustandsgrößen. Unsere Eingangsfrage lautet dann: Welche Werte werden state variabledie Zustandsgrößen nach hinreichend langer Zeit annehmen? Interessant istdabei auch, ob das betrachtete System während des Prozesses Wärme oderandere Energieformen mit seiner Umgebung austauscht. Wenn das nicht derFall ist, nennen wir das System abgeschlossen oder auch isoliert (siehe Abb. isolated system1). Kommt es zu einem Wärme- oder Energieaustausch, nicht aber zu einemStoffaustausch, so ist das System geschlossen. Kann es dagegen sowohl zum closed systemEnergieaustausch als auch zum Stoffaustausch mit der Umgebung kommen,so ist das System offen. Die ausgetauschte Wärme und Arbeit sind keine open systemZustandsgrößen, sondern Prozessgrößen. Sie hängen von der Art und Weiseab, in der eine Zustandsänderung durchgeführt wird.abgeschlossenes geschlossenes offenesQQn wärmeisoliert kein MaterieaustauchWärmeaustauschWärmeaustauschMaterieaustauschAbb. 1: Arten von Systemen in der <strong>Thermodynamik</strong>.11


1.3 Physikalische Chemie- ein kurzer Überblick vorabUm nicht den Überblick zu verlieren, ist es angebracht, uns den Platz der<strong>Thermodynamik</strong> im Gesamtgebäude der physikalischen Chemie zu veranschaulichen.Bestimmte Grundbegriffe der physikalischen Chemie und diewichtigsten Phänomene sind Ihnen bereits aus der Vorlesung zur AllgemeinenChemie bekannt. Einer der wichtigsten Grundbegriffe in der Chemie istwir viele charakteristische Größen eines Stoffes auf ein Mol dieses Stoffesbeziehen, weil es sich um eine makroskopische Theorie handelt und ein Moleiner bequem handhabbaren Stoffmenge entspricht. Definiert ist ein Molals die Objektmenge, die in 12 g des Kohlenstoffnuklids 12 C enthalten ist.Der Bezug zu mikroskopischen Theorien, die das Verhalten einzelner Atomeund Moleküle betrachten, ist durch die Avogadro-Konstante gegeben:N A = 6.022045 · 10 23 mol −1 . Die molare Masse ergibt sich z.B. durch dieMultiplikation der Masse eines Moleküls mit der Avogadro-Konstante.Fürdie<strong>Thermodynamik</strong>wichtigistauchdieUnterscheidungzwischenextensivenund intensiven Größen. Extensive Größen wie die Masse, das Volumenoder die ausgetauschte Wärme sind proportional zur Größe des Systems, alsozu den Stoffmengen im System. Intensive Größen wie Temperatur undDruck ändern sich nicht, wenn man unter sonst gleichen Bedingungen dasSystem vergrößert oder verkleinert. Die Stoffmenge selbst ist eine extensiveGröße. Der Quotient zweier extensiver Größen ist eine intensive Größe(warum?), so dass man allgemein aus extensiven Größen intensive ableitenkann, indem man sie durch die Stoffmenge teilt. Diese molaren Größen sindfür allgemeine Betrachtungen bequemer als extensive Größen.Ein wichtiger Aspekt in der <strong>Thermodynamik</strong> ist der Energieaustausch. AllgemeinberuhendiemeistenphysikalischenundphysikochemischenTheorienauf Energiebetrachtungen. Das ist deshalb praktisch, weil die Energie einedie Stoffmenge, deren Einheit das Mol ist. In der <strong>Thermodynamik</strong> werden amount of substancegehen. 3 Der Energieaustausch zwischen einem Strahlungsfeld und der Materieliegt der Spektroskopie zugrunde, die zur Haupttechnik für die Struk- spectroscopyturaufklärung chemischer Verbindungen und zu einer wichtigen Technik zurStrukturaufklärung von biologischen Systemen geworden ist.3 Strenggenommen gilt weder das Gesetz von der Erhaltung der Energie noch dasjenigevon der Erhaltung der Masse strikt, weil es nach der Relativitätstheorie eine Energie-Masse-Äquivalenz gibt, E = mc 2 . Für praktische Zwecke in der Chemie können wir aberdavon absehen.Erhaltungsgröße ist. Energie kann weder erschaffen werden noch verloren constant of motion12


Die Energie E wird in Einheiten von Joule (1 J = 1 kg m 2 s −2 = 1 N m = 1Pa m 3 = 1 W s = 1 V A s) gemessen. Sie ist z. B. dem Produkt aus Druckund Volumen oder dem Produkt aus Kraft und Weg oder dem Produkt auselektrischer Ladung und Potentialdifferenz (Spannung) äquivalent. Energieentspricht daher der Fähigkeit, Arbeit w zu verrichten, z.B. Volumenarbeit,mechanische Arbeit oder elektrische Arbeit. Diese verschiedenen Formenvon Arbeit können über Energie ineinander umgewandelt werden. Danebenkann Energie auch in Wärme q umgewandelt werden. Solche Umwandlungenvon Energie in Arbeit und Wärme (oder umgekehrt) sind ein wichtigerGegenstand der <strong>Thermodynamik</strong>. Der Erste Hauptsatz der <strong>Thermodynamik</strong>hängt mit der Energieerhaltung zusammen, während der Zweite Hauptsatzder <strong>Thermodynamik</strong> voraussagt, welche Eigenschaften der Austausch vonWärme und Arbeit zwischen einem System und seiner Umgebung habenmuss, damit ein Prozess freiwillig abläuft.Wenn in einem System gerade kein Energie austauschender Prozess freiwilligabläuft und der makroskopische Zustand des Systems deshalb stabil ist,so befindet sich das System im Gleichgewicht. Das Gleichgewicht ist ein equilibriumzentraler Begriff der <strong>Thermodynamik</strong>. Ein Chemiker versucht häufig, einSystem in ein solches Gleichgewicht zu bringen, in dem die gewünschtenProdukte in möglichst großer Menge vorliegen. Die <strong>Thermodynamik</strong> hilftihm dabei, indem sie die Bedingungen vorhersagt, unter denen das Systemdiesen Zustand erreicht.In der bis zum Ende des 19. Jahrhunderts entwickelten klassischen <strong>Thermodynamik</strong>,ist die Zeit nicht Bestandteil der Theorie, d. h., sie kommt inkeiner der Gleichungen als Variable vor. Aussagen werden nur über Gleichgewichtszustände,die Freiwilligkeit von Zustandsänderungen und den Energieaustauschbei Zustandsänderungenn gemacht. Streng genommen mussin dieser Theorie jede Zustandsänderung als eine reversible (umkehrbare)Folge von Gleichgewichtszuständen beschrieben werden, die sich nur infinitesimalunterscheiden. In der Natur und im Labor sind Zustandsänderungenfast immer irreversibel. Daher ist die Beschreibung einer Zustandsänderungauf einem reversiblen Weg erstens ein mathematischer Kunstgriff, der dasVerständnis etwas erschwert und zweitens begrenzt eine solche Beschreibungdie Anwendbarkeit der Theorie. Nicht für jede Zustandsänderung muss eseinen reversiblen Weg geben und wenn, so kann dieser Weg immer nochwichtige Phänomene ausschliessen, die auf dem tatsächlich realisierten Wegauftreten.13


Eines dieser Phänomene ist die Selbstorganisation, die heute bei der Anwendungder Chemie in der Materialwissenschaft und den Lebenswissenschaften life scienceseine wichtige Rolle spielt. Die von Onsager und Prigogine in der zweitenHälfte des 20. Jahrhunderts entwickelte irreversible <strong>Thermodynamik</strong> führtdie Zeit als Variable ein und vereinfacht damit das Verständnis irreversiblerProzesse. Deshalb werden in diesem Skript abweichend von den gängigenLehrbüchern die grundlegenden Konzepte der irreversiblen <strong>Thermodynamik</strong>an den passenden Stellen zur späteren Vertiefung erwähnt.Die Frage, wie schnell eine Zustandsänderung abläuft, wird von der chemischeKinetik beantwortet. Wenn sich ein Gleichgewicht erst nach einer sehrviel längeren Zeit als der Beobachtungszeit einstellt, kann ein System in einemstabilenNichtgleichgewichtszustandexistieren.SolcheZuständewerdenals metastabil bezeichnet.metastableDiehierbehandelte<strong>Thermodynamik</strong>makroskopischerSysteme(phänomenologische<strong>Thermodynamik</strong>) hat einen Bezug zum Verhalten einzelner Moleküle undAtome. Obwohl dieses Verhalten für ein einzelnes Teilchen in der Regel nichtexakt vorhersagbar ist, können statistische Aussagen über die großen, in derphänomenologischen <strong>Thermodynamik</strong> betrachteten Systeme mit praktischbeliebiger Genauigkeit gemacht werden. Die Quantenmechanik kann sogarprinzipiell keine exakten Voraussagen über einzelne Teilchen oder Vorgängemachen, liefert aber ebenfalls Vorhersagen mit hervorragender Genauigkeitfür große Ensembles von Teilchen. Thermodynamische Betrachtungen aufder Basis des Verhaltens und der Energieverteilung einzelner Teilchen sindderGegenstandderstatistischen <strong>Thermodynamik</strong>,fürdieinsbesondereunterPhysikern auch der Begriff statistische Mechanik üblich ist. Die statistische<strong>Thermodynamik</strong> ist nicht Gegenstand der Grundvorlesung über <strong>Thermodynamik</strong>,wird aber in einer späteren Vorlesung behandelt.In der phänomenologischen <strong>Thermodynamik</strong> beschränken wir uns zunächstauf solche Prozesse, bei denen nur Volumenarbeit und Wärme ausgetauschtwerden. Für den Chemiker sind jedoch Stoffumwandlungsvorgänge im Zusammenhangmit Ladungsübertragung von grossem Interesse. So entsprichtzum Beispiel die Aufnahme eines Elektrons einer Reduktion und die Abgabeeines Elektrons einer Oxidation. Prozesse mit Ladungsübertragung, insbesonderewenn dabei elektrische Arbeit mit der Umgebung ausgetauschtwird, sind Gegenstand der Elektrochemie, deren thermodynamische Grundlagenin einem gesonderten Kapitel behandelt werden. Ein weiteres speziellesKapitel behandelt Oberflächenprozesse- dieses Kapitel zählt nicht zum14


Prüfungsstoff und wird in den Vorlesungen selbst nicht behandelt, ist aberder Vollständigkeit halber und zum späteren Nachschlagen angefügt.Zum NachlesenAtkins,2001: S. 1–11Wedler,1997: S. XXVII–XXXKondepudi,2008: Preface, p. 3–41.4 Grundbegriffe der <strong>Thermodynamik</strong>1.4.1 Rechnen mit EinheitenEs ist etwas mühsam, aber dennoch praktisch, bei Berechnungen die Einheitenmitzuziehen“. Auf diese Weise erkennt man leicht Fehler in einer Gleichung,Fehler beim Einsetzen und Konflikte zwischen verschiedenen Einhei-”tensystemen.AllgemeinisteineGrößeineinerphysikochemischenGleichungalsGroesse = Zahlenwert·Einheit (1)definiert. In der Regel drücken wir alle Größen mit SI-Einheiten (SI; franz.Systéme Inetrnational d’ Unités) aus. Dadurch ist sichergestellt, dass keineUmrechnungen der Zahlenwerte notwendig werden. Allerdings sind bestimmteSI-fremde Einheiten weiterhin zugelassen (z.B. Liter l, Minute min,bar, eV) oder in der Literatur weiterhin gebräuchlich. Auch bei der Benutzungalter Literatur oder amerikanischer Literatur kann eine Umrechnungnötig sein. Ein Beispiel in der <strong>Thermodynamik</strong> ist die in den USA gebräuchlichebritish thermal unit, BTU, die der Wärmemenge entspricht, diebenötigt wird um ein Pfund Wasser um ein Grad Fahrenheit zu erwärmen.Da die Temperatur, bei der der Vorgang stattfindet, nicht genau definiertist, schwankt der Wert einer BTU in SI-Einheiten um bis zu 0.5%. Man kannetwa von 1054 bis 1060 J für eine BTU ausgehen. Eine MBTU sind nichtetwa 10 6 BTU, sondern nur tausend BTU. Die Einheit BTU ist ein gutesBeispiel für die Verwirrung, die ensteht, wenn man in der Wissenschaft keineexakten, durchdachten Definitionen trifft.Eine Komplikation mit Größengleichungen tritt auf, wenn die Gleichunglogarithmiert wird, da der Logarithmus einer Einheit nicht definiert ist. Einezu logarithmierende Größe muss deshalb immer durch ihre Einheit oderdurch einen Standardwert dividiert werden, z.B. bei Drücken durch denNormaldruck von 101.325 kPa oder den Standarddruck von 10 5 Pa.15


EinweitereswichtigesKonzeptsindVerhältnisgrößen,dieQuotientenzweiergleichartiger Größen sind. Geläufig ist ihnen das Prozent (%), das einemQuotientenvon10 2 entspricht.GebräuchlichsindweiterdasPromille(10 −3 ),das synonym mit ppt (parts per thousand) ist sowie ppm (10 −6 , parts permillion) und ppb (10 −9 , parts per billion, anglosächsische Definition einerBillion, die im Deutschen einer Milliarde entspricht).1.4.2 Der nullte Hauptsatz und der TemperaturbegriffDie <strong>Thermodynamik</strong> geht von einigen wenigen allgemeinen Gesetzen aus,die als Hauptsätze bezeichnet werden. Diese Hauptsätze entsprechen Erfahrungstatsachen.Aus ihnen werden dann speziellere Gesetze exakt oderunter Verwendung von Näherungen hergeleitet. Wie der Begriff <strong>Thermodynamik</strong>bereitsausdrückt,sindWärmeübertragungeneinzentralesPhänomenin dieser Theorie. Wir benötigen daher eine Größe, die uns sagt, wannWärmeübertragungen stattfinden. Bringt man einen ”kalten“ und einenheißen“ Körper miteinander in Berührung, so verändern sich deren Eigenschafteninfolge einer solchen Wärmeübertragung. Nach einer gewissen”Zeitkommen diese Veränderungen aber zum Stillstand. Diesen Zustand, in demes zu keinen weiteren makroskopischen Veränderungen mehr kommt, bezeichnenwir als thermisches Gleichgewicht. Auf der Basis dieses Konzeptskann man folgende ganz allgemeine Beobachtung machen, die als NullterHauptsatz der Thermodyanmik bezeichnet wird:• Sind zwei Körper jeweils mit einem dritten im thermischenGleichgewicht, so sind sie auch miteinander im thermischenGleichgewicht.Das klingt trivial, bedeutet aber unmittelbar, dass alle Körper, die miteinanderim thermischen Gleichgewicht stehen in einer bestimmten Eigenschaftübereinstimmen müssen. Diese Eigenschaft ist die Temperatur, den ”drittenKörper“ kann man sich z.B. als Thermometer vorstellen. Genauere Betrachtungenzeigen, dass die Temperatur mit der Bewegung der Teilchen zusammenhängtund dass es deshalb eine minimale Temperatur geben muss, beider diese Bewegung zum Erliegen kommt. Diese minimale Temperatur bezeichnetman als absoluten Nullpunkt und ordnet ihr den Wert 0 K auf derKelvin-Temperaturskala zu. 4 Desweiteren definiert man die Kelvin-Skala so,4 Es gibt allerdings Bewegungsformen, die nicht zum Erliegen kommen können undauch am absoluten Nullpunkt fortbestehen. Ein Beispiel ist die Nullpunktschwingung in16


dass der Tripelpunkt des Wassers 273.16 K entspricht. Am Tripelpunkt sindEis, flüssiges Wasser und Wasserdampf miteinander im Gleichgewicht. Daes nur eine solche Temperatur gibt, ist das ein exakter Bezugspunkt für eineTemperaturskala. Der seltsame Wert von 273.16 K für den Tripelpunktrührtdaher,dassmanbeiderEinführungderDefinitioneineTemperaturdifferenzvon einem Kelvin gleich derjenigen von einem ◦ C machen wollte. DieDifferenz zwischen der Kelvin- und Celsius-Temperaturskala beträgt 273.15θ/ ◦ C = T/K−273.15 (2)nicht 273.16 K. Das kommt daher, dass der Nullpunkt der Celsius-Skalanicht dem Tripelpunkt von Wasser, sondern dem Schmelzpunkt von Eis beiNormaldruck enstpricht.1.4.3 Systeme, Phasen, ProzesseUm sicher mit thermodynamischen Begriffen umgehen zu können, müssenwir hier noch einige allgemeine Betrachtungen zu den Prozessen anschliessen,die wir in bestimmten Systemen beobachten können. Um die Dingezu vereinfachen, betrachten wir Modellsysteme, die im Vergleich zu realenSystemen in gewissen Punkten idealisiert sind. Wir hatten weiter oben bereitsdie Begriffe offener, geschlossener und abgeschlossener Systeme eingeführt.Diese Begriffe beruhen auf einer Idealisierung der Wand zwischendem System und seiner Umgebung. Ein abgeschlossenes System wird vonseiner Umgebung durch eine Wand abgetrennt, die undurchlässig für Stoffe,Arbeit und Wärme ist. Die Wand zwischen einem geschlossenen System undder Umgebung ist durchlässig für Wärme und Arbeit, aber undurchlässig fürStoffe. Die Wand“ zwischen einem offenen System und seiner Umgebung”ermöglicht den Austausch von Stoffen, Arbeit und Wärme.Molekülen.17


Box 1: Das Konzept extensiver und intensiver GrössenDie Definition extensiver und intensiver Grössen ist am einfachstenverständlich, indem man sich die Verdopplung der Systemgrösse s durch Vereiningungdes ursprünglichen Systems mit einem gleichen System im gleichenZustand vorstellt. Extensive Grössen sind proportional zur Systemgrösse s, siewerden sich also verdoppeln. Das betrifft zum Beispiel Volumen, Masse undStoffmenge. Intensive Grössen sind unabhängig von der Systemgrösse, sie werdensich also nicht ändern. Das betrifft zum Beispiel Temperatur und Druck,die ja in beiden Teilsystemen gleich waren.Die Anwendung des Konzepts extensiver und intensiver Grössen ist nichttrivial. Intensive Grössen sind nur dann konstant und extensive nur dann proportionalzur Systemgrösse, wenn sich ausser der Systemgrösse nichts ändert.Vergrössert man z.B. die Stoffmenge, ohne gleichzeitig das Volumen entsprechendzu vergrössern, so ändert sich der Zustand des Systems. In diesem Fallsind die intensiven Grössen Druck und Temperatur grundsätzlich als variabelzu betrachten.Ferner gibt es prinzipiell Grössen, die weder als extensiv noch als intensivklassifiziert werden können, auch wenn wir diese Komplikation in the <strong>Thermodynamik</strong>vermeiden werden. Als Beispiel können wir den Wärmefluss, also dievon einem System pro Zeiteinheit abgegebene Wärme betrachten. Wir stellenuns dazu wieder zwei gleiche Systeme im gleichen Zustand vor, deren Temperatursich von der Umgebungstemperatur unterscheidet. Die Systeme seinen kugelförmig.Der Wärmefluss ist proportional zur Oberfläche der Kugel 4πr 2 . BeiVereinigung beider Systeme zu einem wiederum kugelförmigen System nimmtder Radius um einen Faktor 3√ 2 zu, weil das genau einer Verdopplung des Volumens4πr 3 /3 entspricht. Die Oberfläche und damit der Wärmefluss nehmenalso um einen Faktor 3√ 2 2 zu. Der Wärmefluss ist daher weder unabhängigvon der Systemgrösse, noch proportional dazu. Solche Nichtlinearitäten führenbei der Skalierung von Reaktionen vom Labormassstab zum Industriemassstabzu grossen Komplikationen, die erst durch aufwändige Computermodellierungbeherrschbar geworden sind.Weitere wichtige Klassifizierungen des betrachteten Systems sind diejenigein Einstoffsysteme und Mehrstoffsysteme und diejenige in homogene undheterogene Systeme. Um homogene und heterogene Systeme zu definieren,benötigen wir den Begriff der Phase, den wir in der <strong>Thermodynamik</strong> folgendermaßendefinieren:18


• Eine Phase ist ein Stoff (reine Phase) oder ein Stoffgemisch(Mischphase) mit räumlich konstanten Eigenschaften. Die Flächen,an denen sich Eigenschaften unstetig ändern, stellen diePhasengrenzen dar.Unter den Eigenschaften verstehen wir dabei insbesondere die intensivenZustandsgrößen, die also an jedem Punkt einer Phase gleich sein müssen.Es kann sich aber auch um Größen handeln, die in der <strong>Thermodynamik</strong>nicht direkt eine Rolle spielen, wie z.B. den Brechungsindex. Ändern sichEigenschaften in einem System stetig in Abhängigkeit von den Raumkoordinaten,so ist das System nicht im thermodynamischen Gleichgewicht.Über solche Systeme kann die klassische <strong>Thermodynamik</strong> nur eine Aussagemachen, nämlich auf welchen Gleichgewichtszustand sie sich hinbewegenwerden. Mit der Phasendefinition ist ein homogenes System einphasig undein heterogenes System mehrphasig.Als Prozesse bezeichnen wir Änderungen des Zustands eines Systems. SolcheZustandsänderungen betrachten wir häufig auch idealisiert, indem wirannehmen, dass sich bestimmte Variablen konstant halten lassen. Dadurchvereinfacht sich die mathematische Beschreibung erheblich. In der Praxislassen sich Variablen allerdings zumeist nur näherungsweise konstant halten.Wichtige idealisierte Prozesse sind:• isotherme Prozesse, bei denen die Temperatur T konstant ist. Näherungsweiseverwirklicht werden kann das durch gut wärmeleitendeWände und Einbringen des Systems in einen Thermostaten.• isochore Prozesse, bei denen das Volumen V konstant ist. Für Gase istdas in fest verschlossenen Behältern mit nicht deformierbaren Wändenrecht gut zu verwirklichen.• isobare Prozesse, bei denen der Druck p konstant ist. Der konstanteDruck ist häufig der Atmosphärendruck.• adiabatische Prozesse, bei denen keine Wärme mit der Umgebung ausgetauschtwird. Das System ist aber in der Regel nicht abgeschlossen,Austausch von Arbeit ist möglich. Näherungsweise ist das durchgut isolierende Wände (Dewar-Gefäße) zu verwirklichen. Prozesse sindauch dann in guter Näherung adiabatisch, wenn sie sehr viel schnellerablaufen als die Wärmeleitung.19


1.4.4 Zustands- und ProzessgrößenDer Zustand eines Systems bezeichnet in der <strong>Thermodynamik</strong> prinzipiellden inneren Zustand, also die Gesamtheit der makroskopischen Größen, diefür das Verhalten der Systemteile zueinander (z.B. der Teilchen in einemGas) eine Rolle spielen. Der äußere Zustand, z.B. die potentielle Energiedes gesamten Systems im Gravitationsfeld ist dagegen belanglos. Den innerenZustand des Systems beschreiben wir durch Zustandsgrößen. Eine state variableZustandsgröße hat in einem bestimmten Zustand des Systems immer eineneinzigen, wohldefinierten Wert. Zustandsänderungen sind demnach Prozesse,bei denen sich bestimmte Zustandsgrößen verändern. Zustandsgrößenkönnen extensiv (proportional zur Systemgröße) oder intensiv (unabhängig extensiveintensivevon der Systemgröße) sein. Die wichtigsten extensiven Zustandsgrößen, diewir in dieser Vorlesung mit Ausnahme des Volumens durch Kleinbuchstabenkennzeichnen werden, sind die Masse m, die Objektmenge n, das VolumenV, die innere Energie u, die Enthalpie h, die Entropie s, die freie Energie fund die freie Enthalpie g. Von diesen Größen werden wir u, h, s, f und g imLaufe der Vorlesung einführen. Intensive Zustandsgrößen bezeichnen wir mitAusnahme des Drucks p durch Großbuchstaben, insbesondere auch die vonden extensiven Zustandsgrößen abgeleiteten molaren Größen (z.B. molareMasse M, molare innere Energie U, aber Molvolumen V m ). Systemeigeneintensive Zustandsgrößen sind neben dem Druck die Temperatur T und Zusammensetzungsgrößenwie etwa Konzentrationen oder Partialdrücke. Stoffeigeneintensive Zustandsgrößen sind die molaren und spezifischen Größenreiner Stoffe, wobei die molaren Größen aus extensiven Größen durch Divisiondurch die Stoffmenge und die spezifischen Größen durch Division durchdie Masse erhalten werden. In der Theorie sind molare Größen bequemer,in der (industriellen) Praxis spezifische.20


Box 2: Gas in einem Kolben mit beweglichem DeckelWir betrachten ein Gas in einem zylindrischen Gefäß mit dem Radius r undeinem beweglichen Deckel, der sich in der Höhe h über dem Gefässboden befindet(siehe Abb. 2). Auf dem Deckel befindet sich eine Masse m, die aus einergroßen Zahl von Plättchen mit Massen ∆m besteht. Im Gleichgewicht ist dasSystem in Ruhe, h ist konstant. Das System kann aus dem Gleichgewicht gebrachtwerden, indem z. B. Masseelemente ∆m zugefügt oder entfernt werden.Ersteres führt zur Kompression, letzteres zur Expansion des Gases.WelcheVariablenmüssenwirnochspezifizieren,umdasSystemvollständigzucharakterisieren? Im Gleichgewicht muss der Gasdruck p den Druck der Massem auf den Deckel kompensieren. Der Gasdruck ensteht durch die Kollision vonGasteilchen mit dem Deckel, er ist daher von der Anzahl der Gasteilchen, alsoder Stoffmenge n abhängig. Mit der Gravitationskonstante g ist die Kraft, mitder die Masse auf den Deckel mit der Fläche A = πr 2 drückt, F = mg. DerDruck beträgt also p = mg/(πr 2 ). Das Volumen ist V = Ah = πr 2 h. Aus derErfahrung wissen wir, dass bei gegebener Masse m und Stoffmenge n, die Höheh außerdem von der Temperatur T abhängen wird (thermische Ausdehnung).Unsere Zustandsvariablen sind also p, T, V, und n.WennwirdurchMasseänderungeineZustandsänderungerwirken,wirdentwedervom Gas Arbeit geleistet oder dem Gas zugeführt. Ersteres geschieht, wennwir die Masse verringern- das Gas hebt dann den Deckel mit der Restmasse an.Die Arbeit ist w = Fs = −F∆h, wobei ∆h die Änderung der Deckelhöhe ist.Das negative Vorzeichen kommt daher, dass die Richtung des äusseren Drucksdurch die Masse m (nach unten) und die Richtung der Änderung von h (nachoben) entgegengesetzt sind. Aus p = F/A und ∆V = A∆h folgt w = −p∆V.Das System verrichtet Arbeit an der Umgebung, das Vorzeichen von w ist negativ.Je nach Art des Gases und des Behälters kann es zusätzlich zu einemWärmeaustausch q kommen. Die Arbeit w und Wärme q sind Prozessgrößenund werden weiter unten näher betrachtet.Zum NachlesenAtkins,2001: S. 53–54Engel/Reid,2006: S. 1–7Wedler,1997: S. 2–3, 11–13Kondepudi,2008: p. 4–621


mhrAbb. 2: Gaskolben mit einem Radius r und einem beweglichen Deckel in Höhe hauf dem ein Gewicht der Masse m steht. Das Gewicht besteht aus einer Vielzahldünner Plättchen der Masse ∆m.1.4.5 Mathematische Voraussetzungen: Differentielle ZustandsänderungenVom mathematischen Standpunkt aus ist die <strong>Thermodynamik</strong> weitgehendeine Diskussion von Zustandsfunktionen. Zunächst wird aufgrund physikalischerBetrachtungen versucht, diejenigen Größen zu finden oder zu definieren,die den Zustand eines Systems in Bezug auf eine bestimmte Fragestellungmöglichst vollständig charakterisieren. Der Zusammenhang zwischendiesen Größen wird dann durch die Zustandsfunktion beschrieben. Überden Zustand eines reinen Stoffes können z.B. viele praktisch interessanteAussagen getroffen werden, wenn man den Zusammenhang zwischen demVolumen V, der Temperatur T, dem Druck p und der Stoffmenge n kennt.Die entsprechende Zustandsfunktion lautet allgemeinV = V (T,p,n) . (3)In einem nächsten Schritt versucht man, allgemeine Eigenschaften einer solchenZustandsgleichung zu diskutieren, die nicht nur für spezielle Systemegelten. Z. B. kann man zunächst vom Aggregatzustand absehen undüberlegen, welche Phänomene sowohl bei Feststoffen als auch bei Flüssigkeitenund Gasen auftreten werden. Für eine solche Diskussion betrachtetman Änderungen der Zustandsfunktion bei der Änderung einer einzigenZustandsvariablen und Konstanz aller anderen Zustandsvariablen. In der22


Mathematik werden solche Änderungen durch einen partiellen Differentialquotientenbeschrieben.EinBeispielistdiepartielleAbleitungdesVolumensV nach der Stoffmenge n, die wir als Molvolumen bezeichnen:( ) ∂V= V m . (4)∂nT,pDie konstant gehaltenen Variablen werden als untere Indizes angegeben.Solche partiellen Differentialquotienten werden häufig auch als Koeffizientenbezeichnet. So ist (∂V/∂p) T,nder Druckkoeffizient des Volumens beikonstanter Temperatur und Stoffmenge. Die partiellen Diffentialkoeffizientensind allgemein selbst auch wieder Funktionen der Zustandsvariablen.Für die praktische Anwendung versucht man, diese Funktionen aus einembestimmten Modell für das System abzuleiten oder experimentell zu bestimmen.Die Summe der partiellen Ableitungen bezüglich aller Variablen liefert danneinevollständigeBeschreibungbeliebigerdifferentiellerZustandsänderungen.Diese Summe wird als totales Differential bezeichnet. In unserem Beispiellautet das totale Differential( ) ∂VdV =∂TdT +p,n( ) ( ) ∂V ∂Vdp+ dn . (5)∂pT,n∂nT,pDiese Gleichung enthält zunächst einmal nur eine allgemeingültige mathematischeAussage. Praktisch interessant wird sie erst dann, wenn wir diepartiellen Differentialkoeffizienten zu Eigenschaften des Stoffes in Beziehungsetzen können. Dazu müssen die physikalischen Aspekte des Systems diskutiertwerden. Bevor wir das für die thermische Zustandsgleichung (5) tun,betrachten wir aber zunächst weitere mathematische Werkzeuge und Konzepte,die wir zur Diskussion von Zustandsfunktionen benötigen.Zunächst einmal kann man die gleiche Zustandsgröße als Funktion verschiedenerSätze von Variablen auffassen. Z. B. haben wir in Gl. (5) vernachlässigt,dass das Volumen auch von der Oberfläche des Stoffs abhängenkönnte, also dass sehr kleine Flüssigkeitströpfchen bei gleicher Gesamtstoffmengeein anderes Gesamtvolumen haben könnten als die kompakte Flüssigkeit.Andererseits kann man bei der Betrachtung von Flüssigkeiten im Laborunter dem nur leicht schwankenden Atmosphärendruck oft von der Druckabhängigkeitabsehen. Beschäftigt man sich also mit der Bildung von Aerosolenunter Normaldruck, so ist es sinnvoller, das Volumen als Funktion23


der Temperatur T, der Stoffmenge n und der Oberfläche σ zu betrachten.Um die Übersicht nicht zu verlieren, ist es deshalb wichtig, immer explizitanzugeben, welchen Satz von Zustandsvariablen man benutzt und welchedavon man konstant hält.Mitunter kann man über die partiellen Differentialkoeffizienten auch ganzallgemeine Aussagen treffen. Dafür stehen drei mathematische Technikenzur Verfügung. Die erste beruht auf dem Satz von Schwarz, der besagt,dassdieReihenfolgederDifferentiationeningemischtenzweitenAbleitungenvertauscht werden kann. 5 So muss z.B. gelten( ∂ 2 ) (V ∂ 2 )V=∂T∂pn∂p∂Tn. (6)Daraus folgt(∂∂T( ) ) ( ( ) )∂V ∂ ∂V=∂pT,n∂p ∂Tp,np,nT,n. (7)Auf diese Art kann man also (∂V/∂T) p,nauf (∂V/∂p) T,nzurückführen oderumgekehrt. Das ist praktisch, wenn man nur einen der beiden Koeffizientenauf einfache Weise aus einem Modell des Systems herleiten oder an einemrealen System messen kann.Eine weitere wichtige Methode ist der Koeffizientenvergleich. Manche Zustandsgrößenwerden mit Hilfe anderer Zustandsgrößen definiert. Man kanndann die Definitionsgleichung partiell ableiten und einige oder alle Koeffizientendirekt angeben. Dafür werden wir später Beispielen kennenlernen,wenn wir Zustandsgrößen wie die Enthalpie oder die freie Energie definieren.Bei einer dritten Methode betrachtet man Änderungen zweier Zustandsvariablen,diesichgegenseitigkompensieren.InunseremBeispielkannmandasVolumen konstant halten (isochorer Prozess), so dass das totale DifferentialNull wird. Dann gilt z.B.( ) ( ) ∂V ∂VdT + dp = 0 〈n = const.〉 . (8)∂Tp,n∂pT,nMankannnunmitdenDifferentialquotientenunddifferentiellenÄnderungendx wie mit normalen Variablen rechnen, sofern alle Funktionen stetig und5 Der Satz von Schwarz kann auf beliebige mehrfache Ableitungen verallgemeinert werden.Die mehrfache Ableitung ist unabhängig davon, in welcher Reihenfolge die einzelnenAbleitungen vorgenommen werden.24


differenzierbar sind. So folgtDas kann man aber auch alsdTdp = −(∂V/∂p) T,n(∂V/∂T) p,n. (9)( ) ∂T= − (∂V/∂p) T,n(10)∂pV,n(∂V/∂T) p,nschreiben. 6 In einer Zustandsgleichung T = T(V,p,n) kann man also aufdieseWeisedenDruckkoeffizientenderTemperaturbeikonstantemVolumenund konstanter Stoffmenge ermitteln, wenn man die nötigen Koeffizientender Zustandsfunktion V = V(T,p,n) bereits kennt. In der Regel genügtes deshalb, für einen bestimmten Satz von Variablen nur eine Variable alsZustandsgröße zu betrachten und nur deren Zustandsgleichung im Detailzu diskutieren. Die Zustandsgleichungen, bei denen eine andere Variable alsZustandsgröße betrachtet wird, folgen dann aus einfachen mathematischenOperationen.1.4.6 Mathematische Voraussetzungen: Endliche ZustandsänderungenIn der Anwendung der <strong>Thermodynamik</strong> geht es nicht um differentiell kleinesondern um endliche Zustandsänderungen. Betrachten wir z.B. ein offenesSystem, in dem sich Temperatur, Druck und Stoffmenge ändern können, sokönnen wir den Anfangszustand als V 1 = V(T 1 ,p 1 ,n 1 ) und den Endzustandals V 2 = V(T 2 ,p 2 ,n 2 ) bezeichnen. Die Differenz beider Volumina hat einenganz bestimmten Wert, der nur von den Zustandsvariablen im Anfangs- undEndzustand T 1 ,p 1 ,n 1 ,T 2 ,p 2 ,n 2 abhängt. Mathematisch ist diese Differenzdurch Integration des totalen Diffentials zugänglich:∆V = V 2 −V 1 =∫ 21dV . (11)Nun kann eine solche Zustandsänderung auf verschiedenen Wegen erfolgen.Das bedeutet, dass der Druckverlauf, der Temperaturverlauf und die zeitli-6 Die Ableitung gilt für konstantes Volumen, weil wir explitzit dV = 0 gesetzt hatten(isochorer Prozess). Sie gilt für konstante Stoffmenge, weil wir ausserdem in Gl. (8) explizitn =const. verwendet haben. Es ist daher die partielle Ableitung bei konstantem Volumenund konstanter Stoffmenge.25


cheÄnderungderStoffmengeverschiedenseinkönnen.DieVolumenänderungist aber von diesen Details der Zustandsänderung unabhängig, wann immerdie Änderung vom gleichen Anfangszustand (T 1 ,p 1 ,n 1 ) zum gleichen Endzustand(T 2 ,p 2 ,n 2 ) führt. Ganz allgemein gilt• Änderungen von Zustandsgrößen sind vom Weg unabhängigFührt man das System anschließend auf einem beliebigen Weg zurück vomZustand 2 zum Zustand 1, so tritt eine Volumenänderung mit gleichem Betragund entgegengesetztem Vorzeichen ein. Allgemein muss für jeden solchenKreisprozess, der in ein und demselben Punkt beginnt und endet, dieresultierende Zustandsänderung gleich Null sein:∮dV = 0 . (12)DieseeinfachenFeststellungenvereinfachenBerechnungenerheblich.Sokannman die Integration totaler Differentiale in Teilschritte zerlegen, bei denensich jeweils nur eine Zustandsvariable ändert. Z.B. berechnet man zunächstdie Volumenänderung für eine Temperaturänderung bei konstantem DruckundkonstanterStoffmenge,danndieVolumenänderungfüreineDruckänderungbeikonstanterTemperaturundStoffmengeundschließlichdieVolumenänderungbei einer Stoffmengenänderung bei konstanter Temperatur und konstantemDruck. Die Summe der drei Volumenänderungen ist die gesamte Volumenänderungbei Übergang vom Zustand 1 in den Zustand 2.Gl. (12) ist besonders dann praktisch, wenn man die Änderung einer Zustandsfunktionbei einem Prozeß betrachtet, der einer direkten Messungschwer oder gar nicht zugänglich ist. Gelingt es, einen Kreisprozess zu finden,in dem dieser Prozeß vorkommt und bei dem alle anderen Schrittemeßtechnisch zugänglich sind, so kann man unmittelbar die Änderung derZustandsgrößen in dem unzugänglichen Schritt angeben.Neben Zustandsgrößen gibt es auch Prozessgrößen, z.B. die Volumenarbeitund die Wärme, die bei der Volumenänderung eines reinen Stoffes ausgetauschtwerden. Mathematisch gesehen sind Prozeßgrößen solche physikalischenGrößen, für die sich kein totales Differential angeben läßt. Betrachtetman bei einer solchen Größe die partiellen Differentialquotienten nach zweiZustandsvariablen bei Konstanz aller anderen Zustandsvariablen, so gilt fürdiese Differentialquotienten der Satz von Schwarz, Gl. (6), nicht. Nun gibtes aber für jede differenzierbare Funktion ein totales Differential. Existiert26


ein solches totales Differential bezüglich der Zustandsvariablen für eine bestimmteGröße nicht, so lässt sich diese Größe also nicht als Funktion derZustandsvariablen beschreiben. Sie ist keine Zustandsgröße, sondern eineProzessgröße. Betrachtet man den Wert von Prozessgrößen für verschiedeneZustandsänderungen, die vom gleichen Anfangszustand 1 zum gleichenEndzustand 2 führen, so ist dieser Wert allgemein für verschiedene Wegeunterschiedlich.• Prozessgrößen sind allgemein vom Weg abhängig.In unserem Beispiel kommt das daher, dass Volumenarbeit und Wärme sichgegenseitig kompensieren können. Wird etwa bei gleichem Anfangs- undEndzustand auf einem ersten Weg mehr Volumenarbeit am System verrichtetals auf einem zweiten, so gibt das System auf dem ersten Weg mehrWärme an die Umgebung ab als auf dem zweiten.Für Prozessgrößen muss das Vorzeichen definiert werden. Wir gehen dabeiimmer von der Änderung des betrachteten Systems aus. Gibt also ein Systembei einer Zustandsänderung Wärme ab, so hat die bei diesem Prozessausgetauschte Wärme ein negatives Vorzeichen. Sie wird von der Umgebungaufgenommen. Wird am System Volumenarbeit verrichtet, wie z.B. bei einerKompression, so hat diese ein positives Vorzeichen. Ein entsprechenderEnergiebetrag muss von der Umgebung aufgebracht werden.Im Folgenden versuchen wir die eher abstrakten Bemerkungen zu den mathematischenGrundlagen der <strong>Thermodynamik</strong> mit Leben zu erfüllen. Siewerden die Abschnitte 1.4.3 bis 1.4.6 besser verstehen, wenn Sie diese nacheinigen Vorlesungen über die thermische Zustandsgleichung noch einmaldurcharbeiten.Zum NachlesenAtkins,2001: S. 91–95Engel/Reid,2006: S. 54–61Kondepudi,2008: p. 37–3827


2 Thermische Zustandsgleichungen reiner Stoffe2.1 Die allgemeine thermische ZustandsgleichungEine Größe, die für jeden Stoff von Interesse ist und sich in Abhängigkeitvon anderen Zustandsvariablen ändert, ist das Volumen. So dehnen sich diemeisten Stoffe bei Temperaturerhöhung aus und insbesondere Gase könnendurch Druckerhöhung komprimiert werden. In der Regel ist das Volumenhomogener Einstoffsysteme eindeutig bestimmt, wenn die Temperatur T,der Druck p und die Stoffmenge n angegeben werden. Die thermische Zustandsgleichungentspricht dem totalen DifferentialdV =V = V (T,p,n) (13)( ) ( ) ( )∂V ∂V ∂VdT + dp+ dn . (14)∂Tp,n∂pT,n∂nT,pUm die Bedeutung dieser Gleichung zu verstehen, müssen wir anschaulichephysikalische Interpretationen der partiellen Differentialquotienten finden.Am einfachsten ist der letzte Koeffizient zu interpretieren. Bei konstanterTemperatur und konstantem Druck kann sich das Volumen eines homogenenEinstoffsystems nur durch Wegnahme oder Zugabe von Substanz ändern.Bei n = 0 gilt offensichtlich v = 0 und das Volumen muss der Stoffmengeproportional sein- anderenfalls wäre das System nicht homogen. Allgemeinsind alle extensiven Größen proportional zur Stoffmenge. Der Quotient ausdem Volumen und der Stoffmenge ist eine intensive Größe, das Molvolumen( ) ( ) ∂V ∆V= = V ∂nT,p∆nT,pn = V m = V m (T,p) . (15)Von Interesse sind außerdem die BeziehungenV m = V sp M = M ρ , (16)in denen V sp = V/m das spezifische Volumen, M die molare Masse und ρ dieDichte ist. Das spezifische Volumen ist insbesondere in technischen Anwendungenbequemer als das Molvolumen. Ganz allgemein werden spezifische,also massebezogene Größen durch Multiplikation mit der Molmasse M inmolare Größen umgerechnet.28


Ein besonders kleines Molvolumen hat Diamant mit 3.42 cm 3 mol −1 (bei 0K und dem Normaldruck von 101.325 kPa). In der Regel liegt das Molvolumenniedermolekularer flüssiger und fester Stoffe beim Raumtemperaturund Atmosphärendruck zwischen 10 und 100 cm 3 mol −1 . Bei makromolekularenStoffen wie z.B. Hochpolymeren kann es jedoch auch deutlich größerals 100 cm 3 mol −1 sein. Für die meisten Gase liegt der Wert bei den gleichenBedingungen bei etwa 24 l mol −1 und ist damit etwa drei Größenordnungengrößer als derjenige in kondensierten Phasen.Der partielle Differentialquotient des Volumens nach der Temperatur beschreibtdie thermische Ausdehnung eines Stoffes. Er ist also in der Regelpositiv.NurinEinzelfällenundauchdannnurinbestimmtenTemperaturbereichenkann es bei der Temperaturerhöhung zu einer Kontraktion kommen(z.B. Anomalie des Wassers). Die V(T) Kurve ist eine Isobare. Ihre Lagehängt vom Druck ab und sie ist oft in erster Näherung linear.Da V eine extensive und T eine intensive Größe ist, ist (∂V/∂T) p,n eineextensive Größe. Um zu einer stoffeigenen intensiven Größe zu gelangen,dividiert man deshalb durch das Volumen und definiert so den thermischenAusdehnungskoeffizientenα = 1 V( ) ∂V∂Tp,n. (17)Stoffgrößen wie α tabelliert man in der Regel bei 25 ◦ C und 101.325 kPa, dasie von Temperatur und Druck abhängen. Zudem hängen sie vom Aggregatzustandab, den man durch die Abkürzungen g (gasförmig), l (flüssig, vonlat. liquidus) und s (fest, von lat. solidus) kennzeichnet. Ein Beispiel einereindeutigen Angabe istα(H 2 O,l;25 ◦ C;101.325kPa) = 2.56·10 −4 K −1 . (18)DerpartielleDifferentialkoeffizientdesVolumensnachdemDruckistnegativund beschreibt die Kompressibilität eines Stoffes. Die V(p) Kurve ist eineIsotherme. Auch (∂V/∂p) T,n ist eine extensive Größe. Man definiert denKompressibilitätskoeffizienten deshalb alsκ T = − 1 V( ) ∂V∂pT,n. (19)Bei der Verwendung alter Literatur, teilweise aber auch auf recht neuen29


Internetseiten ist auf die verwendete Druckeinheit zu achten, da der Zahlenwertvon κ T von ihr abhängt.EinepraktischinteressanteGrößeistauchderSpannungskoeffizient (warum?)bei dem es sich um eine intensive Größe handelt.( ) ∂p= α , (20)∂TV,nκ TAllgemein können wir das totale Differential des Volumens alsdV = αVdT −κ T Vdp+V m dn (21)formulieren. Allerdings können wir dieses totale Differential nicht allgemeinintegrieren, weil α, κ T und V m für verschiedene Stoffe in sehr unterschiedlicherWeise von den Zustandsvariablen abhängen.2.2 Die thermische Zustandsgleichung idealer GaseEine sehr einfache Form einer thermischen Zustandsgleichung erhält manfürGaseunterbestimmtenBedingungen.DieseZustandsgleichungwurdeaufder Basis einer Serie von Beobachtungen gefunden. Zunächst bemerkte Gay-Lussac bereits 1805, dass bei Gasreaktionen die Volumina der beteiligtenGase annähernd im Verhältnis kleiner ganzer Zahlen stehen. Später erklärteAvogadro diese Beobachtung mit dem Molekülbegriff• Bei gleicher Temperatur und gleichem Druck enthalten gleiche Voluminachemisch verschiedener Gase die gleiche Anzahl von Molekülen.AufdieserGrundlagewurdederMolbegriffeingeführt.ObwohldieErklärungnur näherungsweise gilt, kann man sie doch für den Grenzfall kleiner Drückeund kleiner Molekülvolumina als Gesetzmäßigkeit betrachten. Mit dem Molbegriffformuliert, ist sie das Avogadro’sche Gesetz• Die Molvolumina aller Gase sind bei gegebener Temperatur und gegebenem,hinreichend kleinem Druck gleich.Den Grenzfall, in dem das Gesetz gilt, entspricht dem Modell des idealenGases. Mikroskopisch betrachtet haben die Teilchen eines idealen Gases keinVolumen (Punktteilchen), sie stossen einander also nicht ab, und außerdemüben sie aufeinander auch keine anziehende Wechselwirkung aus. Ein so30


einfaches Modell kann man molekularkinetisch berechnen (kinetische Gastheorie),indem man die Moleküle als Massepunkte mit einer definiertenGeschwindigkeitsverteilung betrachtet.Bereits 1802 beobachtete ebenfalls Gay-Lussac, dass sich das Volumen vonGasen bei konstantem Druck annähernd linear mit der Temperatur ändert.Bezieht man das Volumen bei einer beliebigen Temperatur auf dasjenigebei 0 ◦ C (V 0 bei θ = 0), so kann man als erstes Gay-Lussac’sche GesetzformulierenV = V 0 (1+α 0 θ) . 〈p,n = const.〉 (22)Experimentell findet man, dass α 0 = 1/273.15K −1 beträgt. Ideale Gaseändern somit ihr Volumen und 1/273.15 ihres Volumens bei 0 ◦ C, wenn sichdie Temperatur um 1 Kelvin erhöht. Durch Differentiation und Einsetzenvon α = α 0 = 1/T 0 erhält man( ) ∂V= V 0= V ∂Tp,nT 0 T . (23)Der thermische Ausdehnungskoeffizient idealer Gase ist also α = 1/T.Eine analoge Beziehung gilt für die Abhängigkeit des Druckes idealer Gasevon der Temperaturp = p 0 (1+α 0 θ) . 〈V,n = const.〉 (24)Daraus folgt( ) ∂p= p 0= p ∂TV,nT 0 T . (25)Die Druckabhängigkeit des Volumens von Gasen wurde bereits 1660 vonBoyle und unabhängig von ihm 1667 von Mariotte untersucht. Sie fandenheraus, dass bei konstanter Gasmenge und Temperatur das Produkt ausDruck und Volumen konstant ist,pV = const. . 〈T,n = const.〉 (26)DiesesBoyle-Marriottesche GesetzgiltfüridealeGaseundinguterNäherungfür schwach reale Gase. Die Isothermen V(p) sind Hyperbeln. Mit V = C 0 /pfolgt durch Differentiation( ) ( ∂V ∂ C 0=∂pT,n∂p)T,np = −C 0p 2 = −pV p 2 = −V p. 〈idealeGase〉 (27)31


Für den Kompressibilitätskoeffizienten idealer Gase folgt daraus und aus Gl.(19)κ T = 1 . 〈idealeGase〉 (28)pDas totale Differential des Volumens eines idealen Gases erhalten wir durchEinsetzen der Gl. (15,23) und (25) in Gl. (14)dV = V T dT − V p dp+ V dn . 〈idealeGase〉 (29)nDiese Gleichung kann man durch V dividieren und erhält sodlnV = dlnT −dlnp+dlnn . 〈idealeGase〉 (30)Wir integrieren nun von einem Zustand (V 1 ,T 1 ,p 1 ,n 1 ) bis zu einem ZustandV 2 ,T 2 ,p 2 ,n 2 ),und erhalten∫ V2V 1dlnV =woraus schließlich folgt∫ T2T 1dlnT −∫ p2p 1dlnp+∫ n2n 1dlnn (31)ln V 2V 1= ln T 2T 1−ln p 2p 1+ln n 2n 1= ln T 2p 1 n 2T 1 p 2 n 1, (32)V 1 p 1n 1 T 1= V 2p 2n 2 T 2= const. 〈idealeGase〉 (33)Die Konstante ist für alle idealen Gase gleich, sie wird deshalb als universelleGaskonstante bezeichnet. Sie erhält das Symbol R, ihre Größe istR = 8.31441 J mol −1 K −1 .Mit dieser Konstante kann man die thermische Zustandsgleichung idealerGase in einer extensiven FormpV = nRT (34)und einer intensiven FormpV m = RT (35)schreiben. In der Geschichte der Chemie ist diese Beziehung lange Zeit zurnäherungsweisen Bestimmung der molaren Masse M benutzt worden. Mit32


M = m/n folgtM = mRTpV. (36)Der gasförmige Aggregatzustand ist der einzige, für den sich eine universellgültige thermische Zustandsgleichung für ein ideales Modell herleitenlässt. Zwar kann man einen idealen Festkörper als einen Kristall mit Translationssymmetriein allen drei Raumrichtungen und ohne Fehlstellen definierenund sich in manchen Fällen diesem Zustand auch bei Temperaturennahe des absoluten Nullpunkts annähern. Die thermischen Ausdehnungskoeffizientenstreben dann gegen einen Grenzwert von Null, die Kompressibilitätskoeffizientenund Molvolumina hängen aber von der Art des Kristallgittersund der Größe, Masse und den intermolekularen Kräften zwischenden Teilchen ab.Zum NachlesenAtkins,2001: S. 23–34Engel/Reid,2006: S. 8–11Wedler,1997: S. 13–212.3 Die thermische Zustandsgleichung realer Gase2.3.1 VirialgleichungenNur bei genügend hohen Temperaturen und niedrigen Drücken kann manalle Gase durch die gleiche Zustandsgleichung mit der universellen Gaskon-stanteRbeschreiben.MitsinkenderTemperaturundsteigendemDruckwer-den die Wechselwirkungen zwischen den Teilchen immer bedeutsamer, unddiese Wechselwirkungen hängen von der Größe und chemischen Natur derTeilchen ab. Bei sehr hohen Drücken kann man z.B. kaum erwarten dassGase, deren Teilchen verschiedene Eigenvolumina haben, noch das gleicheMolvolumen aufweisen. Experimente zeigen auch, dass die Produkte (pV) Tfür verschiedene Gase dann nicht mehr gleich sind und auch nicht mehrkonstant (Abb. 3). Eine schwache Druckabhängigkeit von (pV) T kann durcheine Potenzreihe beschrieben werdenpV m = RT +B ′ p+C ′ p 2 +D ′ p 3 +... , 〈T = const.〉 (37)die je nach Ausmaß der Abweichung vom idealen Verhalten und nach dergewünschten Genauigkeit der Beschreibung nach einer verschiedenen Zahl33


von Gliedern abgebrochen werden kann. Solche Gleichungen nennt man Virialgleichungen.Virialgleichungen sind eine allgemein anwendbare Beschrei-bungfürdieAbweichungrealerSystemevoneinemdurcheineeinfacheTheo-rie beschriebenen idealen Verhalten. Die Virialkoeffizienten B ′ ,C ′ ,D ′ ,...werden experimentell bestimmt.Für ein gegebenes Problem sind in der Regel verschiedene Virialansätzemöglich. So kann man für reale Gase die Potenzreihe auch für den Kehrwertdes Volumens entwickeln:pV m = RT ( 1+BV −1m +CV −2m +DV −3m +... ) . 〈T = const.〉 (38)Bricht man bereits nach dem zweiten Glied ab, so sind B und B ′ gleich demAnstieg der Isotherme pV im Bereich kleiner Drücke( )B = B ′ ∂(pVm )= lim . (39)p→0 ∂pTDie Koeffizienten B und B ′ sind bei gegebenem Druck und hinreichend niedrigenTemperaturen negativ, bei sehr hohen Temperaturen dagegen positiv.Es gibt daher eine Temperatur, bei der B = B ′ = 0 gilt, also die Tangenteder (pV m ),p-Isotherme im Punkt der Ordinatenachse waagerecht ist.Diese Temperatur wird als Boyle-Temperatur T B bezeichnet, weil hier dasBoyle-Marriottesche Gesetz den Isothermenverlauf über einen relativ großenDruckbereich richtig wiedergibt. Die Boyle-Temperatur eines Gases hängtstark von den intermolekularen Wechselwirkungen ab, allgemein steigt siemit steigender Anziehung zwischen den Gasteilchen. So beträgt sie für Wasserstoff-80 ◦ C, für Stickstoff 62 ◦ C und für Kohlendioxid 500 ◦ C.2.3.2 Die van-der-Waalssche ZustandsgleichungFür reale Gase sind die Virialkoeffizienten temperaturabhängig. Virialgleichungensind deshalb für viele praktischen Anwendungen unhandlich. Außerdemhaben die Koeffizienten nur eine abstrakt mathematische aber keineanschauliche Bedeutung und lassen sich deshalb nicht in einfacher Weise zueinem verfeinerten Modell realer Gase in Bezug setzen. Ein anschaulicheresModell bietet die Zustandsgleichung, die Johannes van der Waals 1873 inseiner Doktorarbeit entwickelt hat. Sie kann im Prinzip sogar den flüssigenAggregatzustand mit erfassen.Betrachtet man (pV m ),p-Isothermen, so bemerkt man, dass sie bei Tempe-34


-1pV m (kJ mol )1086421029 °C500 °C300 °C200 °C100 °CT B50 °C00 20 40 60 80 100p (MPa)Abb. 3: Nach der van-der-Waalsschen Zustandsgleichung für Kohlendioxid (a= 0,3657 m 6 Pa mol −2 und b = 4,257 ·10 −5 m 3 mol −1 ) berechnete (pV m ),p-Isothermen. Die van-der-Waalssche Zustandsgleichung ist nur eine Näherung. Dietatsächliche Boyle-Temperatur von CO 2 beträgt 500 ◦ C.raturen unterhalb der Boyle-Temperatur ein Minimum durchlaufen (Abb.3). Zur Abweichung vom idealen Verhalten pV = const. müssen also zweigegenläufige Effekte beitragen. Das Absinken von pV mit steigendem Druckim Bereich kleiner Drücke enspricht einer gegenseitigen Anziehung der Gasteilchen.Das Ansteigen von pV mit steigendem Druck im Bereich großerDrücke bedeutet, dass keine so starke Volumenverringerung wie im idealenGas auftritt. Der Grund ist das Eigenvolumen der Teilchen. In der Gleichungvon van der Waals werden diese beiden Effekte durch Korrekturtermeberücksichtigt. Die gegenseitige Anziehung der Gasteilchen entsprichteinem zusätzlichen Druck, der invers proportional zum Quadrat des Molvolumensist. Dieser Binnen- bzw. Kohäsionsdruck kann deshalb durch einenTerm a/Vm 2 beschrieben werden, wobei a eine für das jeweilige Gas spezifische,aber temperaturunabhängige Konstante ist. Durch das Eigenvolumender Teilchen steht nicht das gesamte Volumen für die Teilchenbewegungzur Verfügung. Das kann man berücksichtigen, indem man vom Molvolumendas Kovolumen b abzieht. Auch das Kovolumen ist ein für das jewei- excluded volumelige Gas spezifische, temperaturunabhängige Größe. Zu beachten ist, dassder für die Teilchenbewegung unzugängliche Raum größer ist als die Summeder Teilchenvolumina. Aus b berechnete Teilchenradien sind also nurNäherungswerte.Mit den beiden Korrekturtermen im Produkt pV lautet die van-der-Waals-35


Gleichung in ihrer intensiven FormDie extensive Form ist dementsprechend 7(p+ a )Vm2 (V m −b) = RT . (40)( )p+ n2 aV 2 (V −nb) = nRT . (41)2520p (MPa)151031 °Cmax71 °C5M·I ·AA 21II -9 °Cmin00 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5V m(l)Abb. 4: Ausgewählte p−V m -Isothermen für Kohlendioxid entsprechend der vander-WaalsschenZustandsgleichungmita=0,3657m6 Pamol −2 undb=4,257·10 −5m 3 mol −1 . Die mittlere Kurve enstpricht der kritischen Temperatur θ crit = 31 ◦ C.Unterhalb der kritischen Temperatur (unterste Kurve) folgt das Gas zwischenden Punkten I und II nicht der berechneten Isotherme, sondern der waagerechtengepunkteten Linie. Dabei sind die Flächen A 1 und A 2 gleich groß (Maxwell-Konstruktion, siehe Anhang B.2).Gl. (40) lässt sich für nicht zu hohe Drücke vereinfachen. Durch Ausmultiplizierenerhalten wirpV m + aV m−bp− abV 2 m= RT . (42)Bei nicht zu kleinen Molvolumina gilt ab ≪ pVVm2 m , so dass der Term ab vernachlässigtwerden kann. Streng genommen kann der TermVm2vernachlässigtwerden, wenn er sehr viel kleiner als die Summe der ersten drei Terme ist.Außerdem kann im Korrekturterm a/V m das Molvolumen durch RT/p an-7 Eine kurze Herleitung ist in Anhang B.1 angegeben.36


genähert werden. So erhalten wir die vereinfachte van-der-Waalssche Zustandsgleichung(pV m = RT + b− a )p . (43)RTAus dieser vereinfachten Gleichung können wir unmittelbar den Zusammenhangzwischen der Boyle-Temperatur und den van-der-Waals-Konstanten aund b erkennen. Ideales Verhalten bei nicht zu hohen Drücken ergibt sichfür b− aRT= 0. Also giltT2.3.3 Der kritische PunktB = abR . (44)Wirsindgewohnt,dasswirdenUnterschiedzwischenderflüssigenPhaseundder Gasphase eines Stoffes mit bloßem Auge erkennen können. Das beruhtdarauf, dass eine Flüssigkeit wegen ihrer sehr viel höheren Teilchendichteeinen höheren Brechungsindex hat. In einem Gedankenexperiment betrachtenwir nun die beiden Phasen bei immer höherer Temperatur. Dabei dehntsich die Flüssigkeit aus, ihre Teilchendichte sinkt also. Gleichzeitig müssenwir den Druck erhöhen, damit die Flüssigkeit nicht verdampft. Dadurchsteigt die Teilchendichte im Gas. Mit steigender Temperatur nähern sich diebeiden Teilchendichten also einander an. Sobald sie gleich sind, können wirdie flüssige Phase und die Gasphase nicht mehr voneinander unterscheiden.Die Temperatur, bei der das geschieht, nennen wir die kritische TemperaturT cr . Der Punkt, an dem die Phasengrenze zwischen flüssiger Phase undGasphase verschwindet, ist der kritische Punkt. Ihm ist der kritische Druckp cr und das kritische Molvolumen V cr zugeordnet. Da der kritische Punktexperimentell bestimmbar ist und unter diesen Bedingungen sowohl das Eigenvolumender Teilchen als auch ihre gegenseitige Anziehung sich starkbemerkbar machen, kann man aus den kritischen Größen T cr ,p cr und V cr dievan-der-Waals-Konstanten a und b bestimmen.Dazu schreiben wir die van-der-Waals-Gleichung in der Normalform einerGleichung 3. Grades in V m(Vm 3 − b+ RT )Vm 2 + a p p V m − abp = 0 (45)Diese kubische Gleichung hat prinzipiell drei Lösungen. Unterhalb von p crsind alle Lösungen reell und voneinander verschieden, oberhalb von p cr gibtes nur eine reelle, d.h. physikalisch sinnvolle Lösung. Am kritischen Punkt37


sind alle drei Lösungen gleich (und reell). Die Steigung der p−V m -Isothermewird in diesem Punkt Null (Abb. 4). Wir können deshalb in der Produktdarstellungam kritischen Punkt schreiben(V m −V cr ) 3 = 0V 3 m −3V cr V 2 m +3V 2crV m −V 3cr = 0 . (46)Durch Koeffizientenvergleich erhalten wir3V cr = b+ RT crp cr,3V 2cr = ap cr,V 3cr = abp cr. (47)Aus diesen Beziehungen können wir das kritische Molvolumen eliminierenund für die van-der-Waals-Konstanten erhaltena = 27 R 2 Tcr2 , (48)64 p crb = 1 RT cr. (49)8 p crEs ist natürlich auch möglich, T cr oder p cr zu eliminieren. Da man prinzipiellalle drei kritischen Größen messen kann, erhält man so verschiedeneBestimmungsgleichungen für a und b, die allerdings nicht das gleiche Ergebnisliefern. Wäre die van-der-Waals-Gleichung exakt, müsste der kritischeKoeffizient p cr V cr /RT cr = 3/8 = 0.375 sein. In der Praxis findet man Wertezwischen 0.25 und 0.30. Man legt sich auf die Werte für a und b fest, die ausden Gl. (48,49) resultieren, weil sich T cr und p cr genauer messen lassen alsV cr .38


Box 3: Herleitungen mit MathematicaWir leiten nun Ausdrücke für die kritischen Größen als Funktion der Konstantena, b und R ab, wobei wir von der Tatsache ausgehen, dass am kritischenPunktdie1.und2.partielleAbleitungdesDruckspnachdemmolarenVolumenV m Null sind. Aus Gründen der Bequemlichkeit und Zuverlässigkeit verwendenwir Mathematica. aZunächst löschen wir alle verwendeten Variablen:Clear[a,b,R,T,Vm]Nun definieren wir die van-der-Waals-Gleichung:p[Vm ,T ]:=R T / (Vm-b) - a/Vm 2Die erste partielle Ableitung istdpdV[Vm ,T ]:= D[p[Vm,T],Vm]und die zweited2pdV2[Vm ,T ]:= D[p[Vm,T],Vm,Vm]Wir suchen nun eine Ersetzungsregel für V m und T am kritischen Punkt, indemwir beide Ableitungen Null setzen:critical = Solve[{ dpdV[Vm,T]==0, d2pdV2[Vm,T]==0 },{ T,Vm }];Die kritischen Größen erhalten wir nun mitTcr = T /. critical;Vcr = Vm /. critical;pcr = p[Vm,T] /. critical;a Alle Herleitungen in diesem Skript sollten Sie auch mit Bleistift und Papier nachvollziehenkönnen. Längere Herleitungen gehen aber mit Mathematica schneller undwerden zuverlässiger (Vorzeichenfehler!)2.3.4 Die reduzierte van-der-Waalssche ZustandsgleichungAus Gl. (47) können wir a = 3p cr V 2cr (zweite Gl.), b = V cr /3 (Division derdrittendurchdiezweiteGl.)undR = 8p cr V cr /3T cr (EinsetzendesAusdrucksfür b in die erste Gl.) erhalten. Ersetzen wir die Konstanten in der intensivenForm der van-der-Waals-Gleichung (40) durch diese Ausdrücke, so folgt(p+3 p crV 2V 2 mDiese Gleichung lässt sich zucr)(V m − V )cr= 8p crV cr T. (50)3 3T cr( p+3 V 2 )(cr3 V )m−1 = 8 T (51)p cr V cr T crV 2 mvereinfachen. Wir können jetzt die reduzierten Größen39


eduzierter Druck Π = p/p cr ,reduziertes Molvolumen Φ = V m /V cr undreduzierte Temperatur Θ = T/T crdefinieren und erhalten so die reduzierte van-der-Waalssche Zustandsgleichung(Π+3/Φ2 ) (3Φ−1) = 8Θ . (52)Diese Gleichung enthält keine stoffspezifischen Konstanten mehr. An ihrlässt sich also das Verhalten realer Gase ganz allgemein diskutieren. Darausfolgt z.B., dass verschiedene Gase vergleichbare Eigenschaften haben sollten,wenn man ihre Zustände bei gleicher reduzierter Temperatur und gleichemreduziertem Druck betrachtet. Die reduzierte van-der-Waals-Gleichung entsprichtdem Theorem der übereinstimmenden Zustände.Im Gültigkeitsbereich dieses Theorems kann man annehmen, dass gleiche reduzierteGrößen gleichen Phänomenen enstprechen. So beträgt zum Beispieldie Siedetemperatur bei Normaldruck häufig 2/3 der kritischen Temperatur(Guldbergsche Regel).• Folgt die Guldbergsche Regel tatsächlich aus dem Theorem der übereinstimmendenZustände? Was hätten Sie strenggenommen erwartet?Nicht alle Gase folgen dem Theorem der übereinstimmenden Zustände. Abweichungentreten insbesondere auf, wenn Teilchen assoziieren, aber auchwenn die Wechselwirkungen zwischen Teilchen stark gerichtet sind, wie inWasser oder Ammoniak.2.3.5 Grenzen der van-der-Waals-GleichungIm Unterschied zur Zustandsgleichung idealer Gase berücksichtigt die vander-Waals´scheZustandsgleichung realer Gase die gegenseitige Anziehung(Binnendruck a und Abstossung (Kovolumen b) der Gasteilchen. AllerdingsstehenfürdasWechselwirkungspotentialnurdiesezweiParameterzurVerfügung.Damit erhält man eine gute Näherung für einatomige Moleküle und einebrauchbare Näherung für kleine Moleküle. Für größere Moleküle, die zudemstärker von der Kugelform abweichen, können die Abweichungen zwischenderGleichungunddemrealenVerhaltendesGasesrechtgrosswerden.Selbstfür kleine Moleküle ist die Übereinstimmung in der Nähe der Verflüssigungoft nur mäßig.40


Eshatsichsogarherausgestellt,dasseinebessereÜbereinstimmungmitgleicherParameterzahl erreicht werden kann. Die empirische Redlich-Kwong-Gleichungp = nRTV −nb ′ − a ′ n 2√T V (V −nb ′ ) . (53)wird vor allem ingenieurtechnischen Anwendungen benutzt. Die Parametera ′ und b ′ unterscheiden sich von den Parametern a und b der van-der-Waals-Gleichung und sind gesondert tabelliert.Zum NachlesenAtkins,2001: S. 40–47Engel/Reid,2006: S. 178–189Wedler,1997: S. 232–248Kondepudi,2008: p. 19–2941


3 MischphasenDie meisten Systeme von Interesse sind Mischungen von Stoffen. Um die<strong>Thermodynamik</strong>aufdieChemieundchemischeBiologieanzuwenden,müssenwir deshalb Stoffmischungen beschreiben können. Solche Stoffmischungenkönnen heterogene Gemenge sein, wie z.B. ein Gemisch aus Salz und Pfeffer,oder homogene Mischphasen, wie z.B. ein Gemisch aus Wasser und Ethanol.Gemenge können wir vollständig beschreiben, wenn wir die einzelnenPhasen und die zwischen den Phasen bestehenden Gleichgewichte verstehen.Phasengleichgewichte können wir erst nach den Hauptsätzen der <strong>Thermodynamik</strong>und der Einführung eines allgemeinen Gleichgewichtskriteriumsbehandeln. Mischphasen wollen wir aber schon hier betrachten, weil wir siezur Diskussion der Hauptsätze und insbesondere der Thermochemie bereitsbenötigen.Die Bestandteile einer Mischphase nennt man Komponenten. Komponenten componentsbestehen aus einer großen Zahl gleichartiger Objekte, wie etwa Moleküleoder Elementarzellen in einem Festkörpergitter. In den meisten Fällen sinddie Komponenten die reinen Stoffe, aus denen die Mischphase besteht. InSpezialfällen können aber auch gleichartige Gitterdefekte eines Festkörpersoder Molekülassoziate als Komponenten eines Systems betrachtet werden.Flüssige aber auch feste Mischphasen nennt man Lösungen, wenn eine Kom- solutionponente als Lösemittel und alle übrigen Komponenten als gelöste Stoffe be- solventsolutetrachtet werden. Diese Sichtweise ist vor allem dann praktisch, wenn dasLösemittel in großem Überschuss vorliegt. In der <strong>Thermodynamik</strong> bedeutetsie, dass der Referenzzustand des Systems einer unendlichen Verdünnung reference stateder gelösten Stoffe entspricht. Im Referenzzustand kann man also die Wechselwirkunggelöster Teilchen vernachlässigen. Ein Referenzzustand bildet inder <strong>Thermodynamik</strong> die Vergleichsbasis zur Diskussion von Eigenschaftsänderungenund ihrer Ursache. Im Gegensatz zu Lösungen spricht man vonMischungen im engeren Sinne, wenn bei allen Komponenten der reine Stoff mixturedem Referenzzustand entspricht.3.1 ZusammensetzungssgrößenDie Beschreibung von Mischphasen erfordert zusätzliche Zustandsgrößen,die die Zusammensetzung der Phase charakterisieren. Diese Zustandsgrößen compositionsind die Zusammensetzungsgrößen. Sie können extensiv oder intensiv sein.42


• Extensive Zusammensetzungsgrößen sind die Stoffmengen (genauer:Objektmengen) n A , n B , n C , ... und Massen m A , m B , m C , ... derKomponenten A, B, C, .... Sind alle extensiven Zusammensetzungsgrößengegeben, so ist neben der Zusammensetzung auch die Größedes Systems bekannt.• Intensive Zusammensetzungsgrößen ändern sich nicht, wenn man dieMischphaseaufteilt(portioniert).DieseGrößenerhältmandurchDivisioneiner extensiven Zusammensetzungsgröße für eine einzelne Komponentedurch eine extensive Größe der gesamten Mischphase. Dieseextensive Größe der gesamten Mischphase ist in der Regel die Gesamtstoffmenge,die Gesamtmasse, das Volumen oder die Masse desLösemittels.3.1.1 Der MolenbruchDer Objektmengenanteil oder Stoffmengenanteil einer Komponente b wirdals Molenbruch x b bezeichnet. Es giltx b = n b∑i n i. (54)Der Molenbruch ist für theoretische Erörterungen, insbesondere auch in derstatistischen <strong>Thermodynamik</strong>, die bequemste Größe. Für die praktische Arbeitim Labor ist er aber nicht sehr anschaulich. Die Summe aller Molenbrüchein einer Mischphase beträgt 1:∑x i = 1 . (55)iMan kann daher die Zusammensetzung eines Systems mit C Komponentendurch nur C−1 Molenbrüche vollständig beschreiben. Der Molenbruch kannauch in Prozent angegeben werden. So entspricht x b = 0,317 einem Anteilvon 31,7 Mol-%.3.1.2 Der MassenbruchAnalog zum Molenbruch kann man den Massenbruch w b definieren, der denMassenanteil oder Gewichtsanteil einer Komponente angibt:43w b = m b∑i m i. (56)


Beispielsweise wird die Zusammensetzung von Nahrungsmitteln gern alsMassebruchinProzentangegeben(Masse-%,Gewichts-%).AuchdieSummealler Massenbrüche in einer Mischphase beträgt 1:∑w i = 1 . (57)i3.1.3 Der PartialdruckInGasmischungenistespraktisch,dieZusammensetzungdurchPartialdrückep i anzugeben. Insbesondere für ideale Gase ist der Partialdruck jeder Komponentegleich dem Druck, den die Komponenten allein ausüben würden,wenn sie das Gesamtvolumen der Mischung einnähme:p b = n bRTV〈ideales Gas〉 . (58)Zubeachtenist,dasssichalle Komponentenund dieMischunginsgesamtwieeinidealesGasverhaltenmüssen,damitGl.(58)gilt.DurchAufsummierungaller Partialdrücke erhalten wir:∑p i = ∑ ( )RTn iVi i= RTV∑in i = nRTVDieses Ergebnis wird als Daltonsches Gesetz bezeichnet.= p . (59)• Der Gesamtdruck p einer Mischung idealer Gase ist gleich der Summeder Partialdrücke der Komponenten.FürdiePartialdrückedereinzelnenKomponentenfolgtausdenGl.(54,58,59)p b = x b p . (60)Diese Beziehung verwenden wir zur Definition des Partialdrucks auch inGasmischungen, die sich nicht ideal verhalten. In solchen Mischungen habenallerdings die Partialdrücke keine anschauliche Bedeutung und sind prinzipiellnicht einzeln messbar.3.1.4 Die MolalitätFür Lösungen und Adsorbate ist auch die Molalität eine gebräuchliche Zusammensetzungsgröße.SieistderQuotientausderObjektmengedergelösten44


oder adsorbierten Komponente b und der Masse des Lösemittels oder AdsorbensA:̂m b = n bm A= n bn A M A(61)Gegenüber Konzentrationsgrößen, die sich auf das Volumen der Mischphasebeziehen, hat die Molalität den Vorteil, nicht temperaturabhängig zu seinund nicht von Änderungen des Gesamtvolumens beim Mischen beeinflusstzu werden.3.1.5 KonzentrationsgrößenKonzentrationsgrößen sind allgemein Quotienten aus einer extensiven Größeeiner Komponente und dem Volumen der Mischphase. Der Chemiker verstehtunter der Konzentration in der Regel den Quotienten aus Stoffmengedes gelösten Stoffes und dem Volumen der Mischphase:c b = n bV . (62)Um komplizierte mehrstufige Indizes zu vermeiden, verwendet man als Symbolfür die Konzentration auch die Formel der Teilchenart in eckigen Klammernc A = [A] , (63)z.B. [H 2 SO 4 ] für die Konzentration von Schwefelsäure. Physiker, Polymerwissenschaftlerund Biologen arbeiten in der Regel mit Massenkonzentrationenρ b = m bV . (64)Im Grenzfall reiner Stoffe ist die Massenkonzentration gleich der Dichte,weshalb wir sie mit dem Symbol ρ bezeichnen. In der Literatur wird jedochauch die Massenkonzentration häufig mit dem Symbol c bezeichnet. Manmuss sich deshalb stets vergewissern, welche Art von Konzentration mitdem Symbol c gemeint ist.Schließlich ist auch noch die Volumenkonzentrationφ b = V bV(65)üblich, die oft auch in Prozent angegeben wird. Sie ist Ihnen von der Alkoholangabebei alkoholischen Getränken geläufig.45


• Zum Nachdenken: Drücken Sie die Volumenkonzentration φ b einerKomponenten in einer idealen Gasmischung durch deren Molenbruchaus.FürdieUmrechnungzwischenverschiedenenKonzentrationseinheitenbenötigtman die Dichte ρ und die Molmasse M A des Lösemittels.• Zum Nachdenken: Stellen Sie sich eine Tabelle zusammen, mit der Siedie einzelnen Konzentrationsgrößen ineinander umrechnen können.3.2 Partielle molare GrößenWir betrachten nun die thermische Zustandsgleichung für eine Mischphase.Das Volumen hängt außer von Druck und Temperatur von der Objektmengealler Komponenten abV = V (T,p,n A ,n B ,...) bzw.V = V (T,p,n i ) . (66)Damit lautet das totale Differential( ) ( ) ∂V ∂VdV = dT + dp+ ∑ ( ) ∂Vdn i . (67)∂Tp,n i∂pT,n i∂n ii,j≠i T,p,n jFür die Herstellung einer Mischphase bei konstanter Temperatur und konstantemDruck, also unter isotherm-isobaren Bedingungen gilt(dV) T,p= ∑ i,j≠i( ∂V∂n i)T,p,n jdn i . (68)Den Differentialquotienten V i = (∂V/∂n i ) T,p,njbezeichnet man als partiellesmolares Volumen der Komponente i. Das partielle molare Volumenist nur im Grenzfall des reinen Stoffs gleich dem Molvolumen. Bei anderenZusammensetzungen ist es häufig kleiner, weil sich Stoffe dann mischen,wenn es zwischen ihren Teilchen anziehende Wechselwirkungen gibt und dieseanziehenden Wechselwirkungen zu einer Volumenkontraktion führen. Soergibt die Mischung von 600 ml Wasser mit 400 ml Ethanol weniger als 1 lsynthetischen Wodka“. Dieser Effekt kann so stark sein, dass das partielle”molare Volumen sogar negativ wird. Gibt man z. B. zu einer großen MengeWasser eine kleine Menge Magnesiumsulfat hinzu (weniger als ein Zehntel46


Molprozent), dann ist das Volumen der Lösung kleiner als das ursprünglicheVolumen des Wassers.Allgemein kann man für jede extensive Größe y eine entsprechende partiellemolare Größe Y b einführenY i =( ∂y∂n i)T,p,n j. (69)Zu beachten ist dabei, dass die Definition die Konstanz von Temperatur undDruck einschließt. Wie wir bereits am Beispiel des Volumens gesehen haben,kann die partielle molare Größe negativ werden, auch wenn die extensiveGröße y grundsätzlich positiv ist.Partielle molare Größen hängen generell von den anderen Zustandsvariablenab, insbesondere von Temperatur und Druck und der Zusammensetzung derMischphase.DerGrenzfallx i → 1,x j → 0entsprichtderreinenKomponentei. Für diesen Grenzfall wird die partielle molare Größe mit der molarenGröße des Stoffes i identisch.• Zum Nachdenken: Das partielle Molvolumen eines idealen Gases ineiner sich ideal verhaltenden Mischung idealer Gase ist unabhängigvon der Zusammensetzung (Spezialfall). Zeigen Sie das und geben SieV i an.Für beliebige partielle molare Größen gilt analog zu Gl. (68)(dy) T,p= ∑ i,j≠i( ∂y∂n i)T,p,n jdn i = ∑ iY i dn i . (70)Stellt man eine Mischphase unter isotherm-isobaren Bedingungen her undhält dabei während der gesamten Herstellung das Verhältnis der Komponentenkonstant, so entspricht das einer Integration von Gl. (70) bei konstantenT, p und konstanten Y i . Wir erhalteny = ∑ i∫ niY i dn i = ∑ Y i n i = Y A n A +Y B n B +... (71)0Wenn es sich bei y um eine Zustandsvariable handelt, muss die GleichungfürdieseZusammensetzung,dieseTemperaturunddiesenDruckunabhängigvom Weg der Herstellung der Mischphase gelten. Durch Division durch dieSumme aller Stoffmengen erhalten wir die mittlere molare Größe der Mi-47


schung:Y = ∑yi n i= ∑ ix i Y i = x A Y A +x B Y B +... (72)Beispiele für mittlere molare Größen sind die mittlere Molmasse oder dasmittlere Molvolumen. Im Spezialfall der Molmasse ist die partielle molareGröße unabhängig von der Zusammensetzung.Zum NachlesenAtkins,2001: S. 196–199Wedler,1997: S. 22, 253–25948


4 Beschreibung von Stoffwandlungsprozessen4.1 Prozesstypen und ReaktionsgleichungenDie <strong>Thermodynamik</strong> beschäftigt sich sowohl mit physikalischen Vorgängen,bei denen sich die Identität der beteiligten Stoffe nicht ändert, als auch mitchemischen Reaktionen,beidenenbestimmteStoffeteilweiseodervollständigverschwinden und andere entstehen. Bei physikalischen Vorgängen kann sichder Aggregatzustand der Stoffe ändern. Beide Typen von Vorgängen könnenallgemein als Stoffwandlungsprozesse aufgefasst und mit den gleichen Methodenbeschrieben werden. Für diese Vorlesung können wir von folgenderKlassifizierung von Stoffwandlungsprozessen auf mikroskopischer bzw. molekularkinetischerEbene ausgehen:• Phasenumwandlungen reiner Stoffe. Die Wechselwirkungen und dieAnordnung gleicher Teilchen ändern sich, wobei deren Objektmengenkonstant bleiben.• Mischphasenbildung und -wandlung sowie Adsorption und Desorption.Die Wechselwirkungen und die Anordnung verschiedener Teilchenändern sich, wiederum bei konstant bleibenden Objektmengen.• Chemische Reaktionen. Sowohl die Wechselwirkungen und die Anordnungals auch die Objektmengen der Teilchen ändern sich.Oft laufen mehrere solcher Prozesse gleichzeitig ab.4.1.1 Phasenumwandlungen reiner StoffeDazu gehören• DerÜbergangfest-flüssig(A(s)−→A(l),Schmelzen)undderÜbergangflüssig-fest (A(l) −→ A(s), Erstarren),• Der Übergang flüssig-gasförmig (A(l) −→ A(g), Verdampfen) und derÜberganggasförmig-flüssig(A(g)−→A(l),Kondensieren,Verflüssigen),• Der Übergang fest-gasförmig (A(s) −→ A(g), Sublimieren) und derÜbergang gasförmig-fest (A(g) −→ A(s), Kondensieren, Verfestigen),• Der Übergang einer, in der Regel festen, Modifikation eines Stoffes ineine andere (A(s ′ ) −→ A(s ′′ ), Modifikationswechsel).49


4.1.2 Mischphasenbildung und -wandlungDazu gehören• Das Mischen.• Das Lösen eines Stoffes in einem Lösemittel.• Das Verdünnen einer Lösung.• Die Kristallisation eines Stoffes aus einer Lösung.• Das Einengen oder Aufkonzentrieren einer Lösung.4.1.3 Chemische ReaktionenBei homogenen chemischen Reaktionen liegen alle Reaktionsteilnehmer inder gleichen Phase vor. Es kommt dabei immer zur Wandlung einer Mischphase,also zur Änderung von deren Zusammensetzung. Allgemein ändernsich also die partiellen molaren Größen. An heterogenen chemischen Reaktionensind mehrere Phasen beteiligt. Dabei können alle Phasen reinenStoffen entsprechen, es können aber auch Mischphasen vorkommen, derenZusammensetzung sich dann ändert.4.2 Stöchiometrische Koeffizienten und ReaktionslaufzahlFür alle aufgeführten Prozesse, auch für die physikalischen Umwandlungenkönnen Reaktionsgleichungen angegeben werden, die allgemein die Form|ν A |A+|ν B |B +... −→ |ν C |C +|ν D |D... (73)haben.DiestöchiometrischenKoeffizientenν i müssenfürchemischeReaktionenempirisch ermittelt werden. Sie können als Quotient aus der Änderungder Objektmenge eines Reaktionsteilnehmers ∆n i und der Objektmenge derFormelumsätze ξ definiert werden:ν i = ∆n iξ. (74)Die Größe ξ bezeichnet man auch als Reaktionslaufzahl. Sie hat die Einheit extent of reactionmol. Für differentielle Umsätze gilt:dn b = ν b dξ . (75)50


Mit der Reaktionsgeschwindigkeit r steht die Reaktionslaufzahl in der Be- rateofconversion,ziehungr = dξdt . (76)Aus Gl. (74) folgt, dass die stöchiometrischen Koeffizienten von Ausgangsstoffeneiner Reaktion negativ sind, diejenigen von Endprodukten hingegenpositiv. Zum Beispiel ist bei einer Phasenumwandlung eines reinen Stoffsν ′ = −1 für die verschwindende Phase’ und ν ′′ = +1 für die gebildetePhase ′′ . In der Regel sind die ν i kleine ganze Zahlen.Die Reaktionslaufzahl ξ verdient nähere Betrachtung. Für eine Reaktionreaction velocityCO+ 1 2 O 2 −→ CO 2 (77)ist ξ = 1 mol, wenn gerade ein Mol Kohlenmonoxid mit einem halben MolSauerstoff zu einem Mol Kohlendioxid reagiert hat. Wenn bei der gleichenReaktion ursprünglich 8 mol Kohlenmonoxid und 6 Mol Sauerstoff und keinKohlendioxid vorlagen und zum Zeitpunkt der Betrachtung 3,3 mol Kohlenmonoxid3,65 mol Sauerstoff und 4,7 mol Kohlendioxid vorliegen, so ist dieReaktionslaufzahl ξ = 4,7 mol (machen Sie sich das klar). Formuliert mandie gleiche Reaktion als2CO+O 2 −→ 2CO 2 , (78)so halbieren sich die Reaktionslaufzahlen bei gleichem absolutem Umsatz.Eine Reaktion von einem Mol Kohlenmonoxid mit einem halben Mol Sauerstoffzu einem Mol Kohlendioxid entspricht dann nur noch ξ = 0.5 mol.4.3 ReaktionsgrößenZunächst betrachten wir das totale Differential einer Zustandsgröße in einemmehrphasigen System, wobei wir die Phasen durch Striche ′ , ′′ , ′′′ , ...kennzeichnen. Das totale Differential für das gesamte System ist gleich derSumme der totalen Differentiale für alle Phasen:dy = dy ′ +dy ′′ +dy ′′′ +... , (79)51


wobei für die einzelnen Phasen gilt (Beispiel für die erste Phase, andereGleichungen sind analog):( ) ( ) ∂ydy ′ ′ ∂y′= dT + dp+ ∑ ∂Tp,n i∂pT,n i iY ′idn i . (80)Unter isotherm-isobaren Bedingungen gilt für die einzelnen Phasen Gl. (70).Sind die Stoffmengen aller nicht an der Reaktion beteiligten Stoffe konstant,dann gilt für die gesamte Reaktionsmischung(dy) T,p= Y A ν A dξ +Y B ν B dξ +... = ∑ iν i Y i dξ . (81)Für extensive Größen y wie das Volumen oder Energiegrößen ist es praktisch,den partiellen Differentialquotienten nach der Reaktionslaufzahl ξ zubetrachten, der eine intensive Größe und damit unabhängig von der Größedes Reaktionsansatzes ist. Eine solche partielle molare Reaktionsgröße∆ R Y =( ) ∂y= ∑ ∂ξT,p iν i Y i (82)ist charakteristisch für die betrachtete Reaktion. Reaktionsgrößen müssengrundsätzlichzusammenmitderReaktionsgleichungangegebenwerden,weilsie von der Wahl der stöchiometrischen Koeffizienten abhängen.Allgemein hängen partielle molare Reaktionsgrößen auch von der ZusammensetzungdesReaktionsgemischsab.DieseAbhängigkeitentfälltnurdann,wenn alle beteiligten Stoffe in reinen Phasen vorliegen. Messbar sind mittleremolare Reaktionsgrößen für endlichen Umsatz∆ R Y = ∆ Ry∆ξ = ν ∆ R y ∆ R yb = ν b M b . (83)∆n b ∆m b4.4 Zum Nachdenken• NureinTeilderZustandsgrößenkannfreigewähltwerden(Zustandsvariable),die anderen sind dann festgelegt (Zustandsfunktionen). VergegenwärtigenSie sich das am Beispiel des idealen Gases.• Verändert sich beim Hineinpumpen eines idealen Fremdgases in eineideale Gasmischung mit konstantem Volumen der Partialdruck je-52


des einzelnen Gases? Welche Veränderungen erfahren die Zusammensetzungund die Partialdrücke bei der Expansion der idealen Gasmischung?• AlsnullterHauptsatzder<strong>Thermodynamik</strong>wirddiefolgendeErfahrungstatsachebezeichnet: Sind zwei Körper mit einem dritten im thermischenGleichgewicht, so sind sie auch miteinander im thermischenGleichgewicht. Aufgrund dieser Tatsache lässt sich eine Zustandsgrößedefinieren. Welche?Zum NachlesenDiese Definitionen sind leider in gängigen Lehrbüchern nirgends zusammenhängenddargestellt.53


5 Arbeit, Wärme und EnergieHäufig beobachtet man, dass bei freiwillig verlaufenden Prozessen Wärme q heatfreiwird.DasistabernichtimmerderFall.ZumBeispielschmilztEisbeiZugabevon Kochsalz und nimmt dabei die Schmelzwärme aus der Umgebungauf. Prozesse, die nicht freiwillig verlaufen, wie z. B. die Kompression einesGases, kann man in vielen Fällen erzwingen, indem man Arbeit w leistet. In workanderen Fällen gelingt das durch Zufuhr von Energie E, wie z. B. bei der energyelektrolytischen Gewinnung von unedlen Metallen aus ihren Salzen durchZufuhr elektrischer Energie. Wärme, Arbeit und Energie scheinen also ingewisser Weise austauschbar zu sein, sie werden auch in der gleichen Einheit(1 J = 1 m 2 kg s −2 ) angegeben. Um thermodynamische Prozesse quantitativzu beschreiben, müssen wir diesen Zusammenhang genauer verstehen.5.1 ArbeitArbeitimphysikalischenSinnewirdgeleistet,wenneinKörperoderTeilchengegen eine Kraft verschoben oder gedreht wird. In differentieller Form lautetdie Gleichung dafürdw = Fds , (84)wobei s die Verschiebung ist. Für uns ist speziell die Volumenarbeit w volinteressant, die insbesondere bei der Expansion von Gasen geleistet wird.Wird eine Fläche A gegen einen äußeren Druck p = F/A verschoben, so ist areadie Volumenänderung dv = −Ads. Aus Gl. (84) folgt damitdw vol = −pdV . (85)Zu beachten ist dabei die Vorzeichenkonvention. Dem System zugeführte Arbeitist positiv. Das entspricht einer Volumenabnahme (Kompression). Vom VorzeichenkonventionSystem abgegebene (geleistete) Arbeit ist negativ. Das entspricht einer Volumenzunahme(Expansion). Allgemein betrachten wir also die Energiebilanzimmer aus Sicht des Systems, nicht aus Sicht der Umgebung.Insbesondere in der Elektrochemie ist auch die elektrische Arbeit w el vonInteresse. Sie ist das Produkt aus elektrischer Ladung q el und Spannung chargeU el , wobei die Ladung wiederum als Produkt aus dem Strom I el und Zeit t voltagecurrentgeschrieben werden kann. Es gilt alsow el = I el U el t . (86)54


In den meisten Fällen ist die Summe aus Volumenarbeit und elektrischerArbeit ist gesamte Arbeitw ges = w vol +w el . (87)EskönnenweitereArtenvonArbeitauftreten,zumBeispielbeiderÄnderungder Oberfläche σ die Oberflächenarbeit w surf = γdσ, wobei γ die Ober- surfaceflächenspannung ist. Diese Form von Arbeit ist für fein dispergierte Systeme surface tension(z.B. Kolloide, Monoschichten auf Oberflächen) von großer Bedeutung. Wirbehandeln sie ganz am Schluss dieser Vorlesung.Arbeit kann nur bei einer Zustandsänderung geleistet werden. Es handeltsich also um eine Prozessgröße. Ferner ist die Arbeit eine extensive Größe,d.h. verdoppelt man die Größe des Systems, so verdoppelt sich auch diegeleistete oder aufgenommene Arbeit.5.2 WärmeDie Temperatur eines Systems kann sich infolge eines Austauschs von Arbeitändern, z. B. bei der Kompression eines Gases oder beim Stromfluss durcheine Elektrolytlösung. Die Temperatur kann sich aber auch ohne Austauschvon Arbeit ändern, z. B. durch Kontakt mit einem zweiten System, das eineandere Temperatur aufweist. Man spricht dann von Wärmeaustausch.Der Unterschied zwischen Wärme und Arbeit ist subtil und nur durch einemikroskopische Betrachtung des Systems erklärbar. Arbeit ist eine Energieübertragung,die durch koordinierte Teilchenbewegung vermittelt wird.Wärmeaustausch ist eine Energieübertragung, die durch eine ungeordneteTeilchenbewegung vermittelt wird.Wie die Arbeit, so ist auch die Wärme eine extensive Prozessgröße. Systemeenthalten weder Arbeit noch Wärme, sie tauschen diese nur mit derUmgebung aus. Systeme enthalten thermische Energie, die sich aus der ungeordnetenTeilchenbewegung im System ergibt. Diese darf aber nicht mitder Wärme q gleichgesetzt werden.EinWärmeaustauschführtnichtnotwendigerweisezueinerTemperaturänderungdes Systems, z. B. nicht bei der Wärmezufuhr an eine Flüssigkeit anihremSiedepunkt.AußerdemisteineÄnderungderTemperaturdesSystems boiling pointnicht notwendigerweise mit einem Wärmeaustausch verbunden. Wir müssendaher drei Fälle unterscheiden.55


5.2.1 Wärmeaustausch mit TemperaturänderungEin System, das Wärme mit der Umgebung austauschen kann, nennt mandiathermisch.DerProportionalitätsfaktorzwischenTemperaturänderungund diathermicausgetauschter Wärme ist die Wärmekapazität c:heat capacitydq = cdT . (88)FürreineStoffekannmandurchNormierungaufdieStoffmengendiemolareWärmekapazität als intensive Größe definieren:C = c n . (89)In der Technik ist es meist bequemer, die Wärmekapazität auf die Masse zunormieren. Dadurch erhält man die spezifische Wärmekapazität:C sp = c m . (90)Die Wärmekapazitäten c und C sind keine Zustandsgrößen, da in Gl. (88)dq wegabhängig ist. Daher kann C nicht ohne Angabe des Weges tabelliertwerden. So sind zum Beispiel die Wärmekapazität bei konstantemVolumen C V und diejenige bei konstantem Druck C p unterschiedlich. DieWärmekapazitäten C V und C p sind Zustandsgrößen 8 und hängen von derTemperatur,demDruck,derZusammensetzungdesSystemsundgegebenenfallsnochvonweiterenVariablenab.DieDifferenzdermolarenWärmekapazitätenbeträgt für ideale GaseC p −C V = R 〈ideale Gase〉. (91)Eine Begründung und strengere Definition werden später gegeben.5.2.2 Wärmeaustausch ohne TemperaturänderungBei einem Phasenübergang kann einem System fortgesetzt Wärme zugeführtoderentzogenwerden,ohnedasssichdessenTemperaturändert,undzwarsolange,wienochbeidePhasengemeinsamvorliegen.Erhitztmanz.B.WasserineinemKesselbeiNormaldruck,sobeginntesbei100 ◦ Czusieden.WeitereWärmezufuhr führt zu einer Verringerung der Menge an flüssigem Wasser8 Das folgt daraus, dass in diesem Fall dw entweder Null (C V) oder eindeutig ausAnfangs- und Endzustand berechenbar ist (C p).56


zugunsten der Menge an Dampf, wobei sowohl Wasser als auch Dampf weiterdie Temperatur von 100 ◦ C aufweisen. Erst wenn das gesamte Wasserverdampft ist, beginnt die Temperatur des Dampfes zu steigen (überhitzterDampf).Weil der Wärmeaustausch bei solchen Prozessen verborgen bleibt, sprichtman von einer latenten Wärme. Wärmeaustausch ohne Temperaturänderungkann auch bei der Bildung von Mischphasen, Adsorptionsprozessenund chemischen Reaktionen zu beobachten sein, wenn man diese gezielt beikonstanter Temperatur ablaufen lässt. All diese Wärmen sind der Reaktionslaufzahlξ (Objektmenge der Formelumsätze) proportional. Die Proportionalitätsfaktorensind die jeweiligen molaren Reaktionswärmen oderPhasenumwandlungswärmen:dq = Qdξ . (92)5.2.3 Temperaturänderung ohne WärmeaustauschEin System, das keine Wärme mit der Umgebung austauschen kann, nenntman adiabatisch. Dennoch kann es zu einer Temperaturänderung im Sys- adiabatictem kommen, wenn zum Beispiel Arbeit ausgetauscht wird. Das ist derFall bei einer adiabatischen Kompression eines Gases, bei der eine korrelierteTeilchenbewegung in eine ungeordnete (thermische) Teilchenbewegungumgesetzt wird. Eine solche adiabatische Kompression lässt sich in guterNäherung mit einer Fahrradpumpe verwirklichen. Wenn Sie länger pumpen,bemerken Sie die Grenzen der Näherung: nicht nur die gepumpte Luft sondernauch die Pumpe selbst wird sich erhitzen. Allgemein kann ein Prozessin guter Näherung als adiabatisch beschrieben werden, wenn der Austauschvon Arbeit viel schneller verläuft als der Wärmeaustausch des Systems mitder Umgebung.5.3 EnergieEnergieistdieFähigkeiteinesSystems,ArbeitzuverrichtenoderWärmeabzugeben.Im Gegensatz zu den Prozessgrößen Arbeit und Wärme ist Energiealso eine Eigenschaft eines Systems. Die Gesamtenergie eines Systems nenntman die innere Energie u. Bei einer Zustandsänderung kommt es in der Re- internal energygel zu einer Änderung ∆u der inneren Energie, die einfach die Differenz der57


inneren Energie im Anfangszustand u A und im Endzustand u E ist:∆u = u E −u A . (93)Die innere Energie ist eine Funktion der Zustandsvariablen des Systems, alsoeine Zustandsfunktion.DieHauptbestandteilederinnerenEnergiesinddieKernernergie(Bindungsenergiezwischen Protonen und Neutronen im Atomkern), die chemischeEnergie(Energieinhalt,dersichbeiWandlungenchemischerBindungenodervon schwachen Wechselwirkungen zwischen Molekülen äußert) und die thermischeEnergie (Translation, Rotation und Oszillation von Teilchen, beihohen Temperaturen auch Elektronenanregung).Zum Nachdenken• Finden Sie eine Beziehung zwischen der molaren und der spezifischenWärmekapazität für einen reinen Stoff.• Erklären Sie die Vorzeichenwahl in Gl. (93).• Erklären Sie, warum das gleiche System bei höherer Temperatur einegrößere innere Energie haben muss als bei niedrigerer Temperatur.Zum NachlesenAtkins,2001: S. 54–55Engel/Reid,2006: S. 20–27Wedler,1997: S. 5–10Kondepudi,2008: p. 49–5558


6 Der erste Hauptsatz der <strong>Thermodynamik</strong>6.1 EnergieerhaltungMenschen haben seit jeher versucht, sich ihre eigene Arbeit leichter zu machen.Dafür benötigt man Energie im umgangssprachlichen Sinn, also imphysikalischen Sinn Systeme, die Arbeit leisten können. Entsprechende Maschinensind auch erfunden worden (Dampfmaschinen, Motoren, Kraftwerke).Sie arbeiten periodisch, weil man die Arbeit ja fortdauernd leistenmöchte. Allerdings verbrauchen all diese Maschinen irgendeinen Rohstoff,d.h. dessen innere Energie. Zahllose potentielle Erfinder haben sich an derKonstruktion eines Perpetuum mobile 1. Art versucht, das fortdauernd Arbeitaus nichts gewinnen kann. Keiner dieser Versuche war erfolgreich. Dieseerfolglosen Versuche und weitere Beobachtungen aus den naturwissenschaftenverallgemeinerte Helmholtz 1847 zu dem Erfahrungssatz:• Energieerhaltungssatz: Energie kann niemals verlorengehen oderneu entstehen.conservationenergyofDie moderne Physik hat diese zunächst rein empirische Feststellung auf einesichere theoretische Grundlage stellen können. Laut dem Noether-Theorem 9(1918), ist jede Symmetrie eines physikalischen Systems mit einer Erhaltungsgrößeverbunden. Die Energieerhaltung ergibt sich dabei aus der Homogenitätder Zeit. Die Energieerhaltung folgt also zwingend daraus, dass time shift symmetryGleichungen der Physik unabhängig davon gelten, zu welchem Zeitpunkt einVorgang beginnt (z.B. am 31.12.1918 um 12 Uhr oder jetzt).6.2 Formulierung des ersten HauptsatzesFür ein geschlossenes System folgt aus der Energieerhaltung:du = dw +dq , 〈geschlossenes System〉 (94)wobeiwirvorausgesetzthaben,dassaußerArbeitundWärmekeineweiterenEnergieformen ausgetauscht werden.Mit Gl. (94) können wir die Änderung der inneren Energie für beliebigeProzesse berechnen, nicht jedoch ihren Absolutwert. Letzteren benötigen9 Emmy Noether (1882-1935) durfte sich 1915 in Göttingen zunächst nicht habilitierenweilsieeineFrauwar.DazusollHilbertbermerkthaben”dasseresnichteinsehe,wiesodasGeschlecht der Kandidaten ein Argument gegen eine Zulassung als Privatdozent sein solle.Schließlich sei man, nach allem was er wisse, eine Universität und nicht eine Badeanstalt.”59


wir im Rahmen der <strong>Thermodynamik</strong> aber auch nicht. Aus Gl. (94) folgtallerdings noch nicht die Unmöglichkeit eines Perpetuum mobile 1. Art.Dieses könnte immer noch fortlaufend Kreisprozesse durchführen, bei denenes auf Kosten einer inneren Energie Arbeit abgibt, aber immer wieder inseinenAusgangszustandzurückkehrt.DasseinesolcheMaschineimEinklangmit der Erfahrung nicht realisierbar ist, folgt weil die innere Energie eine Zustandsgrößeist. Das heißt, wenn das System nach einem Kreisprozess wiederimgleichenZustandist,hatesauchdiegleicheinnereEnergie.Mathematischläßt sich das für ein geschlossenes System wie folgt ausdrücken:∮∮du =∮dw +dq = 0 . (95)Damit können wir exakt formulieren:• Erster Hauptsatz der <strong>Thermodynamik</strong>: Wenn ein System eineZustandsänderung erfährt, so ist die Summe der verschiedenen Energieänderungen,ausgetauschte Wärme, verrichtete Arbeit u.s.w. unabhängigvom Weg, auf dem diese Zustandsänderung erreicht wird.Die Summe der Energieänderungen hängt ausschließlich vom AnfangsundEndzustandab.DieinnereEnergieuistdahereineZustandsgröße.Welche Zustandsvariablen man für die Beschreibung eines Systems benötigt,hängt von der Fragestellung ab. Im Laufe der Vorlesung werden wir verschiedeneBeispiele behandeln. Eine Uebersicht verschiedener Energieformen, diesich ineinander umwandeln lassen, ist in Abb. 5 dargestellt. Zunächst beschränkenwir uns auf Beispiele, die sich an Gasen erklären lassen.6.3 Beispiele6.3.1 Expansion gegen einen konstanten DruckFür konstanten äußeren Druck p ex kann Gl. (85) einfach integriert werden:∫ VE∫ VEw = − p ex dV = −p ex dV = −p ex ∆V , (96)V A V Awobei wir die Volumenänderung ∆V = V E −V A zwischen AnfangsvolumenV A und Endvolumen V E definiert haben. Das ist die isobar geleistete Volumenarbeit.60


MechanischeArbeitWärmeLichtChemischeEnergieElektrizitätMagnetismusAbb. 5: Energieformen, die in der physikalischen Chemie von Bedeutung sind undMöglichkeiten ihrer gegenseitigen Umwandlung (Pfeile). Gepunktete Pfeile deutenUmwandlungen an, die prinzipiell möglich sind, aber in der Technik nicht systematischgenutzt werden.6.3.2 Isotherme reversible VolumenarbeitEinen reversiblen Vorgang kann man umkehren, man kann also auf dem glei- reversiblechen Weg in den Ausgangszustand zurückkehren. Die grundlegenden Gleichungender Quantenmechanik für das Verhalten von Elementarteilchenunddamit von Atomen und Molekülen- besitzen Zeitinversionssymmetrie, time inversionbeschreiben also grundsätzlich reversible Vorgänge. Wir wissen allerdings, symmetrydass sich die Zeit für größere Systeme nicht grundsätzlich umkehren lässt.Auf dieses Problem kommen wir später zu sprechen. Im Moment genügtuns eine mathematische Definition einer reversiblen Änderung. Eine solchereversible Änderung ist dann gegeben, wenn eine infinitesimale Änderungeiner Zustandsvariablen wieder rückgängig gemacht werden kann. In diesemFall kann auch der gesamte Prozess prinzipiell reversibel geführt werdenwennman ihn unendlich langsam ablaufen lässt. Eine etwas anschaulichereDefinition ist:• Reversibler Vorgang: Ein Vorgang, der in jedem Zwischenzustanddes Systems umgekehrt und unter Austausch der entgegengesetztenWärmeundArbeitaufdemselbenWegrückwärtsgeführtwerdenkann.61


250 Ap [kPa]200150100E50010 15 20 25V [L]Abb. 6: p,V-Diagramme für eine isotherm reversible (durchgezogene Linie) undeine isobare (gestrichelte Linie) Expansion. Die Fläche unter der Kurve ist für dieisotherm reversible Expansion größer. Die Simulation entspricht einem Mol einesidealen Gases bei 298 K.Die Anwendung des Begriffs ist etwas subtil. Man verwickelt sich leicht inWidersprüche, es sei denn man betrachtet ein abgeschlossenes Gesamtsystem,das aus dem betrachteten geschlossenen System, einem Arbeitsspeicherund einem Wärmereservoir besteht.Hier betrachten wir ein Gas in einem durch einen Kolben geschlossenenBehälter, wobei der Unterschied zwischen dem Druck p des eingeschlossenenGases und dem äußeren Druck p stets infinitesimal klein (dp) ist. DannkönnenwirinGl.(85)fürpdenDruckdesGaseseinsetzen,denwirwiederummit der Zustandsgleichung des idealen Gases pV = nRT ausdrücken können.Es folgt:∫ VEnRTw = − dV . (97)V AVWir nehmen nun ein geschlossenes System (n konstant) bei konstanter TemperaturT (isothermer Vorgang) an. Gl. (97) vereinfacht sich dann zu:w = −nRT∫ VEV AdVV = −nRT ln (VEV A). (98)62


Wir können nun die in den Gl. (96) und (98) berechneten Arbeiten miteinandervergleichen. Dazu nehmen wir an, dass die Expansion beim gleichenEnddruck p ex endet. In einem p,V−Diagramm 10 entspricht die geleisteteArbeit der Fläche unter der Kurve, die die Zustandsänderung beschreibt.Abb. 6 macht deutlich, dass in dem reversibel geführten Prozess mehr Arbeitgeleistet wird. Das ist ein allgemeines Phänomen: die maximale Arbeitwird bei reversibler Prozessführung geleistet.10 Atkins bezeichnet diese Diagramme als Indikatordiagramm63


Box 4: Irreversible Prozesse und die lokale Gültigkeit des 1. HauptsatzesIn der klassischen <strong>Thermodynamik</strong> sind dq und dw wegen ihrer Wegabhängigkeitkeine totalen Differentiale. Die Gleichungen (94) und (95) sindformal zwar richtig, aber in ihrer physikalischen Interpretation etwas prekär. aZur Berechnung von Zustandsgrößen behilft man sich, indem man sich denbetrachteten Prozess als eine Folge von Gleichgewichtszuständen vorstellt, diesich nur infinitesimal unterscheiden. Anstelle des tatsächlich stattfindenden irreversiblenProzesses betrachtet man also einen reversiblen Prozess, der vomgleichen Anfangszustand zum gleichen Endzustand führt. So kann man ∆uberechnen. Man muss dann nur noch für entweder q oder w einen Rechenwegfinden, der auch für den irreversiblen Prozess korrekt ist. Die andere der beidenGrößen liefert der 1. Hauptsatz.Dieses Konzept ist etwas verwirrend und umständlich und wird in der irreversiblen<strong>Thermodynamik</strong> unter Einführung der Zeit als Variable vermieden.Wir definierendq = J q dt (99)unddw = J w dt (100)wobeiJ q undJ w derWärmeflussbzw.Arbeitsflusssind.DieBerechnungsolcherthermodynamischen Flüsse aus thermodynamischen Kräften wird in Abschnitt8.2.5 eingeführt. Für räumlich inhomogene Systeme b definieren wir außerdemdie zeit- und ortsabhängige Dichte der inneren Energie ũ(t,x) zur Zeit t amPunkt x und analog die molare Dichte ñ i (t,x), die nichts Anderes als die lokaleKonzentration c i (t,x) des Stoffes mit dem Index i ist. Auch ũ wird analog zurMassendichte ρ = m/V durch Normierung auf das Volumen gebildet.Mit diesen Definitionen gilt der 1. Hauptsatz lokal, d.h. er kann auf denEnergieaustausch eines kleinen Volumenelements am Ort x angewendet werden.Außerdem kann man die thermodynamischen Flüsse und Kräfte über Zustandsfunktionenausdrücken, deren totale Differentiale definiert sind. In denfolgenden Abschnitten bleiben wir im Rahmen der klassischen <strong>Thermodynamik</strong>ohne explizite Zeit- und Ortsabhängigkeit, so lange dadurch keine konzeptionellenProbleme auftreten.a Einige Lehrbuchautoren vermeiden deshalb die Notation dq und dw, die totaleDifferentiale nahe legt.b In den meisten irreversiblen Prozessen treten merkliche räumliche Inhomogenitätenauf.64


6.4 Die EnthalpieWenn bei einem Prozess keinerlei Arbeit umgesetzt wird, ändert sich dieinnere Energie ausschliesslich durch Wärmeaustausch, d.h., die isochor ausgetauschteWärme q V = ∆u ist die Änderung der Zustandsgröße u. Einesolche Prozessführung erfordert allerdings ein konstantes Volumen (isochorerProzess), da anderenfalls Volumenarbeit verrichtet wird. Eine isochoreReaktion läuft zum Beispiel in einem Autoklaven ab. In der Praxis arbeitetman allerdings viel häufiger bei konstantem Druck (isobarer Prozess),zum Beispiel beim Atmosphärendruck oder bei dem Druck, für den einechemische Anlage ausgelegt ist. Die isobare Volumenarbeit ist dann∫w p = −pdV = −p∆V , (101)enthalpyso dass∆u = w p +q p = −p∆V +q p (102)ist. Die ausgetauschte Wärme ist dann durchq p = ∆u+p∆V = u 2 −u 1 +p(V 2 −V 1 ) = (u 2 +pV 2 )−(u 1 +pV 1 ) = ∆(u+pV)(103)gegeben, also als Änderung eines Ausdrucks, der ausschliesslich aus Zustandsgrößengebildet wird. Dieser Ausdruck hat deshalb selbst die Eigenschafteneiner Zustandsgröße. Diese hier neu eingeführte zusammengesetzteZustandsgröße wird als Enthalpie bezeichnet und mit dem Buchstaben h(für engl. heat, Wärme) abgekürzth = u+pV . (104)Die unter isobaren Bedingungen ausgetauschte Wärme q p = ∆h ist alsoebenfalls gleich Änderung einer Zustandsgröße, nämlich der Enthalpie h.Diese Feststellung gilt, sofern keine andere Arbeit, wie zum Beispiel elektrischeArbeit, ausgetauscht wird.Im Folgenden betrachten wir solche Prozesse, bei denen keine andere Arbeitals Volumenarbeit ausgetauscht wird, die nun aber nicht mehr notwendigerweiseisobar verlaufen. Das totale Differential der inneren Energie ist danndu = −pdV +dq . (105)65


Die Enthalpie können wir immer noch sinnvoll verwenden. Ihr totales Differentialistdh = du+pdV +Vdp . (106)DaGl.(104)eineDefinitionist,istsienichtdarangebunden,dasspkonstantist. Vielmehr ist p immer der jeweilige Druck des Systems, so dass −pdV diereversible Volumenarbeit ist. Für reversible Prozesse folgt als aus Gl. (105)und (106)dh = Vdp+dq . (107)Änderungen der inneren Energie bei konstantem Volumen oder der Enthalpiebei konstantem Druck kann man also bestimmen, indem man die ausgetauschteWärme misst. Diese Methode wird als Kalorimetrie bezeichnet, calorimetrydie verwendete Einrichtung als Kalorimeter.6.5 Die kalorischen Zustandsgleichungen reiner StoffeDa die innere Energie und Enthalpie Zustandsgrößen sind, kann man ihrallgemeines Verhalten mittels einer Darstellung als Zustandsfunktionenu = u(T,V,n m ) , (108)h = h(T,p,n m ) , (109)(110)untersuchen. Die Wahl der Variablen V in dieser kalorischen Zustandsgleichungfür u und p in derjenigen für h stellt sicher, dass die Beschreibungeinfach und übersichtlich bleibt.6.5.1 Temperaturkoeffizienten, Volumenkoeffizienten, und Druckkoeffizientender inneren Energie und EnthalpieDie totalen Differentiale von u und h können für konstante Stoffmengen n(geschlossene Systeme) auch als partielle Differentiale geschrieben werden( ) ∂udu = −pdV +dq =∂T( ) ∂hdh = Vdp+dq =∂TV( ) ∂udT + dV , (111)∂VT( ) ∂hdp . (112)∂pdT +pT66


Der Temperaturkoeffizient der inneren Energie bei konstantem Volumen(dV = 0) ist daher( ) ∂u∂TV= dq VdT = c V = nC V , (113)also die Wärmekapazität bei konstantem Volumen. Analog ist der Temperaturkoeffizientder Enthalpie bei konstantem Druck (dp = 0)die Wärmekapazität bei konstantem Druck.( ) ∂h= dq p∂TpdT = c p = nC p , (114)Der Volumenkoeffizient der inneren Energie bei konstanter Temperatur hatdie Größenart Druck und der Druckkoeffizient der Enthalpie bei konstanterTemperatur die Größenart Volumen. Sie lassen sich mit thermischendem Ausdehnungskoeffizienten α = (1/V)(∂V/∂T) p,n und dem Kompressibilitätskoeffizientenκ T = −(1/V)(∂V/∂p) T,n ausdrücken,( ) ∂u∂V( ) ∂h∂pTT= T α κ T−p , (115)= V (1−Tα) ; (116)allerdings werden wir diese Beziehungen erst herleiten können, wenn wir denzweiten Hauptsatz der <strong>Thermodynamik</strong> eingeführt haben. Hier bemerkenwir aber noch, dass für ideale Gase, α = 1/T und κ T = 1/p ist, so dass dieinnere Energie eines idealen Gases volumenunabhängig ist und die Enthalpiedruckunabhängig.Für den reversiblen Wärmeaustausch eines reinen homogenen Stoffes beiÄnderung von T und V folgt damitdq rev = c V dT +[( ) ] ∂u+p dV = nC V dT + α TdV (117)∂VTκ Tund für den reversiblen Wärmeaustausch bei Änderung von T und pdq rev = c p dT +[( ) ] ∂h−V dp = nC p dT −αVTdp . (118)∂pTDie Wärme, die ein System bei konstanter Temperatur und einer reversiblenVolumenänderung austauscht, ist nach Gl. (117) die Summe aus einer67


Wärmekompensation pdV für die gegen den äußeren Druck geleistete Volumenarbeit−pdV 11 und einem Term (∂u/∂V) TdV. Der letztere Term beschreibtdie innere Arbeit, die bei Volumenänderungen aufgrund der Kräftezwischen den Teilchen geleistet werden muss oder frei wird. Bei idealen Gasenist dieser Term Null.6.5.2 Die Beziehung zwischen C V und C pWir betrachten zunächst den reversiblen Wärmeaustausch bei konstantemDruck, für den Gl. (117) gilt. Ableitung nach der Temperatur ergibtdq pdT = c V +[( ) ]( ) ∂u ∂V+p = nC V +T α ( ) ∂V∂VT∂Tpκ T ∂Tp. (119)Nun ist die linke Seite nichts Anderes als die Wärmekapazität bei konstantemDruck. Damit und durch Normierung auf die Stoffmenge n erhaltenwirC p −C V = T α ( ) ∂Vm α 2= TV m . (120)κ T ∂Tpκ TDa T, V m und κ T positiv sind, ist C p grundsätzlich größer als C V . Für idealeGase mit α = 1/T und κ T = 1/p ergibt sichC p −C V = TV mpT 2 = pV mT = R . (121)Zum Nachdenken• Formulieren Sie den ersten Hauptsatz für ein abgeschlossenes System.• Diskutieren Sie, wie man ein offenes System mit dem ersten Hauptsatzbetrachten kann.• Kann man den ersten Hauptsatz, das Gesetz von der Erhaltung derMasse und Einsteins Beziehung E = mc 2 gleichzeitig auf ein Systemanwenden?• Wäre überhaupt eine sinnvolle Physik denkbar (Voraussage von Vorgängenauf der Grundlage von Gleichungen), wenn es keine Zeithomogenität(unddamitkeineEnergieerhaltung)gäbe.Wennja,wasmüssteman dazu wissen?11 Gäbe es diese Kompensation nicht, so würde die ausgetauschte Arbeit zu einer Aenderungder inneren Energie führen, die wiederum einer Temperaturänderung entspräche68


Zum NachlesenAtkins,2001: S. 102–104Engel/Reid,2006: S. 28–30Wedler,1997: S. 23–33Kondepudi,2008: p. 55–67Wikipedia: Noether-TheoremWikipedia, English: Noether´s theorem6.5.3 Adiabatische VolumenänderungenUnter adiabatischen Bedingungen ist definitionsgemäß die ausgetauschteWärme Null, dq = 0. Dann folgt für ein geschlossenes Sytem (konstanteStoffmenge) aus Gl. (117)(du) n= −pdV = nC V dT +( ) ∂udV 〈dq = 0〉 . (122)∂VTDie ausgetauschte Volumenarbeit ist also gleich der Änderung der innerenEnergie des Systems. Sie führt daher zu einer Temperaturänderung. Eineadiabatische Zustandsänderung kann reversibel geführt werden, indem zujedem Zeitpunkt der äußere Druck gleich dem inneren Druck des Systemsgehalten wird. Anderenfalls verläuft sie irreversibel.Für ideale Gase ist (∂u/∂V) T = 0. Wenn die Wärmekapazität bei konstantemVolumen im betrachteten Temperaturbereich als konstant angesehenwerden kann, so kann Gl. (122) einfach integriert werden:∆u = w vol = nC V (T 2 −T 1 ) 〈ideales Gas,dq = 0〉 . (123)Wird der Prozess reversibel geführt, so ist p zu jedem Zeitpunkt der Gleichgewichtsdruckdes idealen Gases, p = nRT/V. Daraus folgtdw = − nRTV dV = nC VdT 〈ideales Gas,reversibel,dq = 0〉 . (124)Mit Gl. (121) gilt dann− C p −C VC VdVV = dT T . (125)Wir führen nun den Poisson-Koeffizienten γ = C p /C V ein und ersetzen dx/x69


durch d lnx. So erhalten wir−(γ −1)dlnV = dlnT . (126)Durch bestimmte Integration folgt für beliebige V 1 und V 2Nach Delogarithmieren erhalten wir−(γ −1)ln V 2V 1= ln T 2T 1. (127)TV γ−1 = const. . (128)Hier können wir T = pV/nR substituieren. Da n und R konstant sind, giltdas Poissonsche GesetzpV γ = const. 〈ideales Gas,reversibel,dq = 0〉 . (129)Wie bereits weiter oben ausgeführt, ist C p grundsätzlich größer als C V , sodass γ > 1 ist. Für einatomige Gase ist γ = 5/3. 12 Für mehratomige Gaseist der Wert von γ kleiner und temperaturabhängig. 136.5.4 Joule-Thomson-EffektDie adiabatische Expansion von Gasen führt zu einer Temperaturänderung.Dieser Effekt wird technisch zur Gasverflüssigung benutzt. Anschließendlässt sich z.B. destillativ Luft in Stickstoff, Sauerstoff und Restgase trennen.Außerdem werden verflüssigte Gase in großem Umfang als Kühlmitteleingesetzt. Für die reversible adiabatische Gasexpansion folgt aus Gl. (118)wegen dq=0nC p dT −VTαdp = 0 〈reversibel ,adiabatisch〉 (130)12 Das ergibt sich aus Betrachtungen in der statistischen <strong>Thermodynamik</strong>, nach denenauf jeden Freiheitsgrad eine molare thermische Energie RT/2 entfällt. Ein einatomigesGas hat nur die drei Translationsfreiheitsgrade, so dass C V = 3R/2 ist. Mit C p = C V +Rfolgt C p = 5R/2 und γ = 5/313 Die zusätzlichen rotatorischen und vibratorischen Freiheitsgrade mehratomiger Molekülewerden thermisch aktiviert. Auf diese entfällt also nur bei hinreichend hoher TemperaturEnergie. Da C V > 3R/2 gilt und die Differenz von C p und C V konstant ist, wirdγ kleiner sein.70


woraus folgt( ) ∂T= V mTα . (131)∂padiatbatisch,revC pDer thermische Ausdehnungskoeffizient α ist grundsätzlich größer als Null,so dass sich Gase bei der reversiblen adiabatischen Expansion grundsätzlichabkühlen.In der technischen Anwendung kann man allerdings nicht reversibel arbeiten(warum?). Stattdessen entspannt man das Gas durch eine Drossel, auf derenbeiden Seiten konstante aber verschiedene Drücke p 1 und p 2 herrschen. Füreine Expansion ist p 1 > p 2 . Ein Gasvolumen V 1 vor der Drossel tauschtbeim Durchtritt formal zunächst die Volumenarbeit p 1 V 1 mit der Umgebungaus, expandiert auf das Volumen V 2 und tauscht die Volumenarbeit −p 2 V 2mit der Umgebung aus. Wegen der Bedingung q = 0 für den adiabatischenProzess ist dann∆u = u 2 −u 1 = p 1 V 1 −p 2 V 2 , (132)bzw.u 1 +p 1 V 1 = u 2 +p 2 V 2 . (133)Mit der Definition der Enthalpie h = u+pV finden wirh 1 = h 2 , (134)d. h. die Enthalpie des Gases bleibt bei der Drosselentspannung konstant.Man spricht von einem isenthalpischen Prozess. In einem isenthalpischenProzess giltdh =( ) ∂hdT +∂TpMit Gl. (114) und (116) folgt daraus( ) ∂hdp = 0 . (135)∂pTnC p dT +V (1−Tα)dp = 0 〈isenthalpisch〉 . (136)Daraus erhalten wir den Joule-Thomson-Koeffizienten( ) ∂T= V m(Tα−1) . (137)∂phC pFür ideale Gase mit α = 1/T ist der Joule-Thomson-Koeffizient bei allenTemperaturen Null. Für reale Gase kann der Koeffizient positiv oder negativsein.EinpositiverKoeffizientbedeutet,dassesbeieinerDrosselentspannung71


(p 2 < p 1 , dp < 0) zu einer Abkühlung (dT < 0) kommt. Das ist der Fall,wenn Tα größer als Eins ist. Für schwach temperaturabhängige und positiveα ist das oberhalb einer InversionstemperaturT i = 1 α(138)der Fall. Fällt jedoch α stärker als invers mit der Temperatur, so kann sichdiese Beziehung umkehren und dieser Fall tritt recht häufig auf. Ein Gasmuss also gegebenenfalls vorgekühlt werden, um es durch Drosselentspannungweiter abkühlen zu können. Das ist beispielsweise für Wasserstoff beiNormaldruck und Raumtemperatur der Fall. Für eine genauere Betrachtungsiehe Engel/Reid Abschnitte 3.7 und 3.8.Mit der vereinfachten van-der-Waalsschen Zustandsgleichung (43) erhaltenwir fernerworausundfolgen.α = 1 ( ) ∂Vm= 1 ( RV m ∂TpV m p + a )RT 2( ) ∂T= 1 ( ) 2a∂phC p RT −bT i = 2aRb, (139)(140)(141)Für T < T i wird der Joule-Thomson-Koeffizient in Gl. (140) positiv, waseiner Abkühlung des Gases (∂T¡0) bei einer Entspannung (∂p¡0) entspricht.Zum NachlesenAtkins,2001: S. 100–102Engel/Reid,2006: S. 68–74Wedler,1997: S. 248–25272


7 Thermochemie7.1 Die StandardenthalpieDie Enthalpieänderung für einen bestimmten Prozess hängt davon ab, unterwelchen äußeren Bedingungen (Druck, Bildung von Mischphasen) er durchgeführtwird, weil die Druckabhängigkeit der Enthalpien für den AnfangsundEndzustand sich voneinander unterscheiden kann. Deshalb tabelliertman Enthalpieänderungen für einen Satz von Standardbedingungen undgibt sie als Änderung der Standardenthalpie ∆H ❝ an. Das ist die Enthalpieänderungfür einen Prozess, dessen Ausgangsstoffe und Endprodukte sichim Standardzustand befinden. Der Standardzustand entspricht einer reinenSubstanz bei der jeweiligen Temperatur und einem Druck von 10 5 Pa. Inder Regel werden die Daten bei der Normtemperatur von 298,15 K (25 ◦ C)angegeben (siehe auch Box 7.1).73


Box 5: Standardzustände und Tabellierung thermochemischer DatenDie Tabellierung von thermochemischen Daten erfordert einen Tabellierungszustand,auf den sich diese Daten beziehen. Insbesondere müssen die TemperaturT, der Druck p und bei Lösungen entweder die Molalität ̂m oder dieKonzentration c angegeben sein. Die üblichen Werte für die Tabellierung sindT = 298.15 K; p ❝ = 10 5 Pa; ̂m ❝ = 1 mol kg −1 ; c ❝ =1 mol L −1 .Abweichende Tabellierungszustände müssen zusammen mit der Tabelle angegebenwerden.Der Standardzustand selbst ist ein Referenzzustand, der es erlaubt Abweichungenvon idealem Verhalten für beliebige Systeme konsistent zu definieren.Die Temperatur muss immer zusätzlich zum Standardzustand definiert werden,d.h. es gibt keine Standardtemperatur, nur eine Normtemperatur für Tabellierungen.Für verschiedene Arten von Systemen müssen dabei etwas unterschiedlicheFestlegungen getroffen werden. In jedem Fall ist der Aggregatzustand mitanzugeben. Dafür werden die Symbole (g) für den gasförmigen, (l) für denflüssigen (liquidus) und (s) für den festen Zustand (solidus) verwendet. Dieeinzelnen Standardzustände sind wie folgt definiert:Gasphase. Der Standardzustand eines reinen Gases oder der Komponenteeiner Gasmischung ist der hypothetische Zustand dieser Komponente als idealesGas bei einem Druck p ❝ = 10 5 Pa. Insbesondere befindet sich ein reales Gasallgemein nicht im Standardzustand.Kondensierte Phasen (flüssig oder fest). Der Standardzustand einer reinenSubstanz oder der Komponente einer Mischung entspricht dem Zustand derreinen Substanz beim Standarddruck p ❝ .Lösungen. Lösungen sind Mischungen, in denen eine oder mehrere Komponentenin großem Überschuß und mindestens eine Komponente stark verdünntvorliegen. Der Standardzustand ist eine hypothetische ideale Lösung bei derKonzentration c ❝ und dem Druck p ❝ .7.2 Enthalpien einiger wichtiger Prozesse7.2.1 PhasenübergängeDieÄnderungderStandardenthalpie währendeinesPhasenübergangsistdieStandard-Phasenübergangsenthalpie∆ trans H ❝ .EinBeispielistdieStandard-74


Verdampfungsenthalpie ∆ v H ❝ für den ProzessH 2 O(l) −→ H 2 O(g) ,∆ v H ❝373 = +40.66 kJ mol −1 , (142)wobei hier eine Temperatur von 373 K angenommen wurde. Analog sinddie Schmelzenthalpie für den Phasenübergang fest nach flüssig und die Sublimationsenthalpiefür den Phasenübergang fest nach gasförmig definiert.Aufgrund des ersten Hauptsatzes muss die Standardsublimationsenthalpiebei gegebener Temperatur T gleich der Summe aus der Standardschmelzundder Standardverdampfungsenthalpie bei der gleichen Temperatur sein.7.2.2 LösungsenthalpieDie Standardlösungsenthalpie entspricht dem Auflösen einer Substanz in ei- standard solvationenthalpyner angegebenen Menge von Lösungsmittel. Von besonderem Interesse istdie Lösungsenthalpie bei unendlicher Verdünnung, weil dann Energiebeiträgevon Wechselwirkungen zwischen den gelösten Teilchen vernachlässigtwerden können. Bei der Herstellung einer verdünnten aus einer konzentriertenLösung kann es auch zu einem Wärmeaustausch mit der Umgebungkommen. Man spricht dann von Verdünnungsenthalpie. dilution enthalpy7.2.3 Ionisierungsenergie und ElektronenaffinitätDerBildungeinesKationsauseinemneutralenAtomentsprichtdieStandardionisierungsenthalpie∆ I H ❝ . Der Prozess ist für Teilchen in der Gasphasedefiniert, wobei man davon ausgeht, dass das Elektron unendlich weit entferntwird. Weil bei diesem Prozess aus einem Mol gasförmiger Reaktandenzwei Mol gasförmige Endprodukte entstehen (die Kationen und die Elektronen),ist ∆ I H ❝ nicht genau gleich der Ionisierungsenergie E I . Die Differenz∆ I H ❝ −E I = RT (143)kann aber häufig vernachlässigt werden. Ionisierungsenthalpien sind positiv.Entfernt man ein zweites Ion, so entspricht dieser Prozess der zweitenIonisierungsenergie, die ebenfalls positiv und grundsätzlich größer als dieerste Ionisierungsenergie ist. Ein Grund ist die größere Coulombwechselwirkungbei der Entfernung des zweiten Elektrons durch die höhere Ladung75


des verbleibenden Kations. Man erwartet deshalb ein um etwa einen Faktorvon zwei größere zweite Ionisierungsenergie, sofern beide Elektronen ausder gleichen Schale entfernt werden. Wird das zweite Elektron aus einer geschlossenenSchale entfernt, wie z.B. bei Natrium, so kann der Unterschiedwesentlich größer sein.Die Anlagerung eines Elektrons an ein Atom oder Molekül ist in der Regelein exothermer Prozess, es wird Energie frei. Die Elektronenanlagerungsenthalpie∆ Ea H ❝ ist deshalb zumeist negativ. Tabelliert wird allerdings dieElektronenaffinität E Ea , die das umgekehrte Vorzeichen hat. Es gilt deshalb∆ Ea H ❝ +E Ea = RT . (144)7.3 ReaktionsenthalpienDie Enthalpieänderung während einer chemische Reaktion unter Standardbedingungenwird als Standardreaktionsenthalpie bezeichnet. Sie muss stetszusammen mit der Reaktionsgleichung angegeben werden, da sie davon abhängt,mit welchen Stoffmengen (stöchiometrischen Koeffizienten) ein Formelumsatzdefiniert ist. Ferner ist es wichtig, die Aggregatzustände der AusgangsstoffeundEndprodukteanzugeben.DieKombinationauseinersolchenchemischen Reaktionsgleichung mit der Standardenthalpie für die Reaktionist eine thermochemische Gleichung. Ein Beipiel istCH 4 (g)+2O 2 (g) −→ CO 2 (g)+2H 2 O(l) ,∆ R H ❝ (298K) = −890kJ mol −1 .(145)Thermochemische Gleichungen beziehen sich auf reine ungemischte Reaktandenund reine getrennte Produkte, jeweils im Standardzustand. Für dieBerechnung des Wärmeumsatzes bei einer Reaktion in der Praxis sind alsoeventuelle Mischungsenthalpien gesondert zu berücksichtigen. In der Regelkann man diese aber vernachlässigen.Berechnen kann man Reaktionsenthalpien aus molaren Standardenthalpienvon Ausgangsstoffen und Produkten, wobei die stöchiometrischen Koeffizientenzu berücksichtigen sind. Eine Reaktion|ν A,1 |A 1 +|ν A,2 |A 2 +···+|ν A,n |A n −→ |ν E,1 |E 1 +|ν E,2 |E 2 +···+|ν E,m |E m(146)76


kann formal auch als|ν E,1 |E 1 +|ν E,2 |E 2 +···+|ν E,m |E m −(|ν A,1 |A 1 +|ν A,2 |A 2 +···+|ν A,n |A n ) = 0(147)geschrieben werden. In solch einer Gleichung sind die stöchiometrischen Koeffizientenν A,i der Ausgangsstoffe negativ und die Koeffizienten ν E,i derEndprodukte positiv. Mit dieser Konvention kann man für die Reaktionsenthalpieschreiben∆ R H ❝ = ∑ iν i H ❝ (J i ) , (148)wobei J für einen Ausgangsstoff oder ein Reaktionsprodukt stehen kann.7.3.1 Der Satz von HessWenn man die Enthalpien einfacher Reaktionen, zum Beispiel von Verbrennungenoder der Bildung der Verbindungen aus den Elementen kennt, sokann man Standardenthalpien komplexerer Reaktionen daraus berechnen.Ein solches Vorgehen ist eine Anwendung des Ersten Hauptsatzes der <strong>Thermodynamik</strong>und lässt sich durch den Satz von Hess beschreiben:• Für alle Reaktionsfolgen, die bei gleicher Temperatur und gleichemDruck von den selben Ausgangsstoffen zu den selben Endproduktenführen, ist die Summe der molaren Standardreaktionsenthalpien diegleiche.An einem Beispiel wird das deutlicher. Wenn wir die Standard-Verbrennungsenthalpievon WasserstoffH 2 (g)+1/2 O 2 (g) → H 2 O(l), ∆ R H ❝ = −286 kJ mol −1 ,die Standard-Verbrennungsenthalpie von PropanC 3 H 8 (g)+5 O 2 (g) → 3 CO 2 (g)+4 H 2 O(l), ∆ R H ❝ = −2220 kJ mol −1 ,und die Hydrierungsenergie von PropenCH 2 = CHCH 3 (g)+H 2 (g) → C 3 H 8 (g), ∆ R H ❝ = −124 kJ mol −1kennen, können wir die Verbrennungsenthalpie von Propen berechnen:77


Reaktion∆ R H ❝ / kJ mol −1C 3 H 6 (g)+H 2 (g) → C 3 H 8 (g) -124C 3 H 8 (g)+5 O 2 (g) → 3 CO 2 (g)+4 H 2 O(l) -2220H 2 O(l) → H 2 (g)+1/2 O 2 (g) +286C 3 H 6 (g)+9/2 O 2 (g) → 3 CO 2 (g)+3 H 2 O(l) -20587.3.2 BildungsenthalpienStandard-Reaktionsenthalpien lassen sich in einer Art Baukastensystem zusammensetzen,wenn man die Standard-Reaktionsenthalpien für die Bildungaller beteiligten Verbindungen aus den Elementen kennt. Diese Werte nenntman die Standard-Bildungsenthalpien ∆ B H ❝ der Verbindungen. Für jedesElement wählt man dabei einen Referenzzustand, der dem stabilsten Zustandbei 298 K und 0.1 MPa entspricht. Eine Ausnahme ist Phosphor,dessen stabilste Modifikation (roter Phosphor) nicht sehr gut reproduzierbarist, hier wurde weißer Phosphor als Referenzzustand gewählt. Die Standard-Bildungsenthalpien der Elemente im Referenzzustand sind als Null definiert.Mit den Bildungsenthalpien folgt aus Gl. (148) und dem Satz von Hess∆ R H ❝ = ∑ iν i ∆ B H ❝ (J i ) . (149)7.3.3 Abschätzung von Reaktionsenthalpien aus BindungsenthalpienDie Bildungsenthalpie einer Verbindung kann in vielen Fällen in guter Näherungals Summe von Enthalpiebeiträgen der einzelnen Bindungen (Bindungsenthalpien)aufgefasst werden. In dieser Näherung ist die Reaktionsenthalpieeine Summe von Energiebeiträgen durch Bindungsbruch und Bindungsbildung.Als Beispiel betrachten wir wiederum die Verbrennung vonMethan, Gl. (145). Die linke Seite der Reaktionsgleichung entspricht demBrechen von 4 C-H-Bindungen in Methan und 2 O=O-Bindungen in Sauerstoff.Laut Tabelle 1 sind dafür 4·412 kJ mol −1 +2·497 kJ mol −1 = 2642 kJmol −1 aufzuwenden. Die rechte Seite enspricht der Bildung von zwei C=O-Bindungen in Kohlendioxid und 4 H-O-Bindungen in Wasser, also einemEnthalpiegewinnvon2·743kJmol −1 +4·463kJmol −1 = 3338kJmol −1 .Nettoergibt sich ein Enthalpiegewinn von 3338 kJ mol −1 −2642 kJ mol −1 = 696kJ mol −1 , der vom System an die Umgebung abgegeben wird (negatives Vor-78


zeichen). Wir schätzen also eine Reaktionsenthalpie ∆ R H = −696 kJ mol −1ab, während der tatsächliche Wert -890 kJ mol −1 beträgt. Auch mit einerKorrektur von 41 kJ mol −1 für Kondensation des Wassers, siehe Gl. (142),ergibt sich noch ein relativer Fehler der Abschätzung von etwa 17%.ObwohldieGenauigkeitderAbschätzungnurmäßigistundinsbesonderebeiSystemen mit konjugierten Mehrfachbindungen noch zusätzliche Fehler enthaltenkann, erlaubt diese Methode zumindest ungefähre Vorhersagen überdie Wärmetönung einer Reaktion auf der Grundlage einer sehr kompaktenTabelle von Bindungsenthalpien (Tabelle 1). 14 Für die Reaktionsplanungim Labor ist es praktisch zu wissen, ob man der Apparatur viel Energiezuführen oder abführen muss und in vielen Fällen sind die Bildungs- oderVerbrennungsenthalpien der Ausgangsstoffe und Endprodukte nicht in thermochemischenTabellen zu finden.Tabelle 1: Mittlere Bindungsenthalpien H B (kJ mol −1 ) einiger häufig auftretenderBindungen bei 298,15 K. Das Symbol ≃ bezeichnet eine aromatischeBindung.Typ H B Typ H B Typ H B Typ H B Typ H B Typ H BC–C 348 C–H 412 C–N 305 C–O 360 C–F 484 C–Cl 338C–Br 276 C–I 238 C–S 259 C=C 612 C=N 613 C=O 743C≡C 811 C≡N 890 C≃C 518 H–H 436 H–N 388 H–O 463H–F 565 H–Cl 431 H–Br 366 H–I 299 H–S 338 H–P 322H–Si 318 N–N 163 N–O 157 N–F 270 N–Cl 200 N–Si 374N=N 409 N≡N 945 O–O 146 O–F 185 O–Cl 203 O=O 497F–F 155 F–Cl 254 Cl–Cl 252 Cl–Br 219 Cl–I 210 Cl–S 250Br–Br 193 Br–I 178 Br–S 212 I–I 151 S–S 264 P-P 172Si–Si 1767.3.4 Der Born-Haber-KreisprozessDa die Enthalpie eine Zustandsgröße ist, kann man die StandardreaktionsenthalpieeinerReaktionbestimmen,wenndieseReaktionTeileinesKreisprozessesist und die Standardreaktionsenthalpien aller anderen Schritte in diesemKreisprozess bekannt sind. Auf diese Weise kann man Enthalpieänderungenfür Prozesse berechnen, die man nicht direkt beobachten kann. EinBeispiel ist die Bestimmung der thermodynamischen Gitterenergie von Natriumchloridüber den Born-Haber-Kreisprozess.14 Quelle: L.Pauling,The Nature of the Chemical Bond.CornellUniversityPress.Ithaca,196079


Na (g)+e (g)+Cl(g)+411,15 +107,32 +498,3 +121,68Na (g)+e (g)+ 1/2 Cl (g)2Na(g) + 1/2 Cl (g)2Na(s) + 1/2 Cl (g) 2NaCl(s)Na (g)+ Cl (g)-351,2?Abb. 7: Der Born-Haber-Kreisprozess.DiethermodynamischeGitterenthalpieensprichtderZerlegungdesIonenkristallsin die isolierten Ionen in der Gasphase. Bestimmen lassen sich diefolgenden Reaktionsenthalpien:• Nettobildungsreaktion von Natriumchlorid aus den Elementen Na(s)und 1/2 Cl 2 (g), ∆ R H ❝ = −411.15 kJ mol −1• Sublimation von Natrium, ∆ sub H ❝ = +107.32 kJ mol −1• Ionisierung von Na(g), ∆ I H ❝ = +498.3 kJ mol −1• Dissoziation von 1/2 Cl 2 , ∆ R H ❝ = +121.68 kJ mol −1• Elektronenanlagerung an Cl(g), ∆ Ea H ❝ = −351.2 kJ mol −1Mit diesen Teilschritten lässt sich ein Kreisprozess aufbauen (Abb. 7), indem der einzige Schritt mit unbekannter Reaktionsenthalpie die Bildung80


des Ionenkristalls ist. Da in einem Kreisprozess die Summe aller EnthalpieänderungenNull sein muss, lässt sich die thermodynamische Gitterenthalpiezu ∆ R H ❝ = +787.2 kJ mol −1 bestimmen.7.4 Die Temperaturabhängigkeit von ReaktionsenthalpienDie partielle Ableitung der Reaktionsenthalpie nach der Temperatur ist dieÄnderung der Wärmekapazität C p bei konstantem Druck während der Reaktion(Kirchhoff’sches Gesetz),( ) ∂∆R H∂Tp= ∆ R C p . (150)Entsprechend kann man die Standardreaktionsenthalpie bei einer TemperaturT 2 berechnen, wenn diejenigebei einerTemperaturT 1 und dieWärmekapazitätenaller Reaktionsteilnehmer im Intervall zwischen T 1 und T 2 bekanntsind:wobei∆ R H ❝ (T 2 ) = ∆ R H ❝ ∫ T2(T 1 )+ ∆ R C p dT , (151)T 1∆ R C p = ∑ iν i C p (J i ) , (152)die Differenz der molaren Wärmekapazitäten der Reaktionsprodukte undAusgangsstoffe ist, jeweils gewichtet mit den stöchiometrischen Koeffizienten.In vielen Fällen kann man die Temperaturabhängigkeit von ∆ R C p vernachlässigen.Will man genau rechnen, so wählt man einen Potenzreihenansatz für C p .Eine sehr gute Näherung ist die Shomate-GleichungC p = A+BT +CT 2 +DT 3 + E T 2 . (153)Die Koeffizienten A,B,C,D,E sind tabelliert (P. J. Linstrom, W. G. Mallard(Hrsg.), NIST Chemistry WebBook, NIST Standard Reference DatabaseNumber 69, June 2005, National Institute of Standards and Technology,Gaithersburg, MD, USA. http://webbook.nist.gov).Zu beachten sind zusätzlich mögliche Phasenumwandlungen von Ausgangsstoffenoder Reaktionsprodukten im betrachteten Temperaturbereich. DieentsprechendenPhasenumwandlungsenthalpienmüssenmultipliziertmitdenstöchiometrischen Koeffizienten gegebenenfalls gesondert zur Reaktionsent-81


halpie addiert (Reaktionsprodukte) oder von dieser abgezogen (Ausgangsstoffe)werden.Zum Nachdenken• Kann die Bildungsenthalpie eines reinen Elements negativ sein?• Wie groß ist die Reaktionsenthalpie für die Reaktion von atomaremNatrium und Chlor in der Gasphase zu Natrium- und Chloridionen?Zum NachlesenAtkins,2001: S. 72–85Engel/Reid,2006: S. 80–94Wedler,1997: S. 33–42Kondepudi,2008: p. 68–7982


8 Der zweite Hauptsatz der <strong>Thermodynamik</strong>8.1 Die Richtung freiwillig ablaufender ProzesseFür die Anwendung der Chemie ist es wichtig zu wissen, in welche Richtungsich ein System unter bestimmten Bedingungen verändern wird. In vielenFällen weiß man das aus Erfahrung, um aber Neues zu entwickeln, brauchtman eine Methodik, diese Richtung vorherzusagen. Der erste Hauptsatz istdazu ungeeignet. Es gibt viele Prozesse, bei denen die Energie erhalten bliebe,die aber trotzdem nie beobachtet werden. Beispielsweise erheben sichGegenstände nicht von allein unter Abkühlung in die Luft, obwohl das eineUmwandlung von thermischer Energie (innerer Energie) in potentielle Energieim Gravitationsfeld wäre, die den ersten Hauptsatz nicht verletzt. Sehrpraktisch wäre es auch, das Problem der Energieversorgung der Menschheitmit fossilen Brennstoffen und der damit wahrscheinlich verbundenenErderwärmung mit einem Schlag zu lösen, indem man Maschinen ins Meerstellt, die diesem Wärme entziehen und in elektrische Energie umwandeln.Eine solche Maschine wäre ein Perpetuum mobile 2. Art und die Erfahrungzeigt, dass man sie nicht konstruieren kann.Freiwillig ablaufende Prozesse, die sich nicht umkehren lassen sind Ausgleichsvorgänge,sie bringen ein System näher an einen Gleichgewichtszustand.Um die Lage des Gleichgewichts vorauszusagen, müssen wir also voraussagenkönnen, welche Prozesse das sind. Prozesse, bei denen Arbeit inWärme umgewandelt wird, ohne dass sich Zusammensetzungen und Drückeändern, nennt man dissipative Vorgänge. Diese Vorgänge sind erfahrungsgemäßauch nicht umkehrbar, haben aber keinen Einfluss auf die Entfernungvom Gleichgewichtszustand.Max Planck hat die Erfahrungen über die Unumkehrbarkeit von Vorgängenin folgenden Sätzen zusammengefasst:1. Es ist auf keinerlei Weise möglich, einen Vorgang, in welchem Wärmedurch Reibung entsteht, vollständig rückgängig zu machen.2. Esistauf keinerlei Weise möglich,einenVorgang,beiwelchemsicheinGasohneäußereArbeitsleistungundohneWärmezufuhr,alsomitkonstanterGesamtenergie ausdehnt, vollständig rückgängig zu machen.3. Es ist auf keinerlei Weise möglich, einen Vorgang, bei welchem einKörper durch Wärmeleitung eine gewisse Wärmemenge von einemhöhertemperierten aufnimmt, vollständig rückgängig zu machen.83


Planck konnte zeigen, dass sich all diese Sätze (und weitere ähnliche Sätze)auf das Problem reduzieren lassen, ob man eine Maschine konstruieren kann,die nichts weiter tut, als Wärme in Arbeit umzuwandeln. Die Bedeutungvon nichts weiter tun“ ist, dass man die Maschine periodisch, also in einem”Kreisprozess betreiben könnte. Nach allen Erfahrungen ist es unmöglich,eine solche Maschine zu konstruieren. Gewisse Vorgänge sind also nicht reversibel.Es ist sogar so, dass alle Vorgänge, die mit endlicher Geschwindigkeit(und daher freiwillig) ablaufen, irreversibel im thermodynamischenSinne sind. Natürlich können bestimmte Vorgänge in einem System in vielenFällen rückgängig gemacht werden, dann ist aber hinterher die Umgebungdes Systems in einem anderen Zustand als wenn der Vorgang nie abgelaufenwäre.abAbb. 8: Veranschaulichung des Unterschieds zwischen Arbeit und Wärme an einemGasbehälter (schwarz) mit beweglicher Wand (grau). Gasteilchen nahe derWand sind als bewegliche Punkte dargestellt. (a) Die graue Zwischenwand wirddurch Druck nach rechts verschoben. Dadurch wird eine geordnete Bewegung derGasteilchen induziert. Am Gas wird Arbeit verrichtet. (b) Die graue Zwischenwandführt eine unregelmäßige Zitterbewegung aus, weil sie erhitzt wurde. Dadurch wirddie ungeordnete Bewegung der Gasteilchen verstärkt. Auf das Gas wird Wärmeübertragen.Der tiefere Grund dafür, dass Arbeit vollständig in Wärme umgewandeltwerden kann, Wärme aber nicht vollständig in Arbeit, liegt in den zugrundeliegenden Teilchenbewegungen (Abb. 8). Arbeit ist geordnete Teilchenbewegung,Wärme ungeordnete. Ordnung entsteht nicht spontan, Unordnungsehr wohl. 15 In einem Teilsystem kann Ordnung allerdings durchaus spontanentstehen, zum Beispiel bei einer Kristallisation, dann aber nur auf Kosteneines noch größeren Zuwachses an Unordnung in der Umgebung.15 Diese Behauptung werden wir später etwas präzisieren müssen.84


Diese Ideen kann man in einem mikroskopischen Bild der Materie statistischbegründen, was Gegenstand der statistischen <strong>Thermodynamik</strong> ist. Indieser Vorlesung beschränken wir uns auf phänomenologische <strong>Thermodynamik</strong>.Wir können dennoch den Begriff der Unordnung“ und Irreversibilität”von Vorgängen mathematisch genau definieren und auf der Grundlage einersolchen Definition exakte Voraussagen machen.8.2 Die EntropieMathematisch können wir die Richtung von Vorgängen dadurch definieren,dass bei freiwilligen Vorgängen eine bestimmte Größe nur wachsen odergleich bleiben kann, aber niemals kleiner werden darf. Wenn wir diese Größekennen und ihre Änderung bei einem hypothetischen Vorgang berechnenkönnen, wissen wir auch, ob der Vorgang ablaufen wird. Diese Größe nennenwir die Entropie s. Wir wissen bereits, dass die Größe etwas mit Ordnung zutun hat. Wir wissen auch schon, dass wir diese Größe für ein abgeschlossenesSystem betrachten müssen, weil wir auf Kosten eines Teilsystems ein anderesdurchaus ordnen können. Alle Erkenntnisse über irreversible Vorgängekönnen wir mit Hilfe des Entropiebegriffs in folgendem Satz zusammenfassen:• Zweiter Hauptsatz der <strong>Thermodynamik</strong>: Bei einer freiwilligenZustandsänderung nimmt die Entropie eines abgeschlossenen Systemszu.Bei einem reversiblen Prozess, der ja unendlich langsam ist und also nichtfreiwillig abläuft, bleibt die Entropie konstant. Abnehmen kann sie im abgeschlossenenSystem bei keinerlei Prozess.Als Gleichung formuliert gilt also für freiwillige Prozesse∆s gesamt > 0 , (154)wobei s gesamt die Entropie des abgeschlossenen Systems ist, welches das Teilsystementhält, in dem der betrachtete Vorgang abläuft. Wollen wir mit dieserUngleichung also geschlossene Systeme betrachten, so müssen wir wissen,mit welchen Entropieübertrag der Austausch von Wärme und Arbeitzwischen dem System und seiner Umgebung verbunden ist (Abb. 9). Wirmüssen also die Entropie s in Beziehung zu den bereits eingeführten Größender <strong>Thermodynamik</strong> setzen.85


s gesamt T, s'sqwAbb. 9: System, an dem die Entropie s definiert und betrachtet wird. Der doppeltumrandete Kasten ist ein abgeschlossenes System mit der Entropie s gesamt . Der einfachumrandete Kasten ist ein geschlossenes Teilsystem mit der Entropie s, das mitseiner Umgebung (Entropie s ′ , Temperatur T) Wärme q und Arbeit w austauschenkann.8.2.1 Eine heuristische Einführung der EntropieDa Entropie einen Zuwachs an Unordnung bezeichnet und Wärme ungeordneterTeilchenbewegung entspricht, liegt es nahe, dass es einen Zusammenhangzwischen Wärme und Entropie geben muss. Da mehr Wärme mehrungeordneter Teilchenbewegung entspricht, lässt sichdieser Gedanke einfachdurch eine Proportionalität der Entropie zur Wärme ausdrückends ∝ dq . (155)WirbetrachtenhierdifferentiellkleineÄnderungen,damitwirunsereDefinitionspäter auch auf reversible Vorgänge anwenden können. Die Entropie hatalso etwas mit dem Wärmeaustausch zu tun, wie schon die oben angegebenenBeispiele für irreversible Vorgänge gezeigt hatten. Ein Wärmeaustauschfindet freiwillig statt, wenn die Wärme von einem Körper höherer Temperaturauf einen Körper niedrigerer Temperatur übertragen wird. Bei einemfreiwilligen Prozess muss aber die Entropie nach Gl. (154) im Gesamtsystemzunehmen. Der Körper höherer Temperatur verliert also weniger Entropieals der Körper niedriger Temperatur gewinnt. Die folgende Definition derEntropie genügt dieser Anforderungds gesamt = dqT , (156)86


wenn wir T als die Umgebungstemperatur betrachten. Große Entropieänderungentreten also auf, wenn eine starke thermische Bewegung bei niedrigerTemperatur erzeugt wird. Für isobare Prozesse bei konstanter Umgebungstemperaturfolgt wegen q = −∆h für den Entropiezuwachs der Umgebungeines geschlossenen Systems innerhalb des abgeschlossenen Systems∆s ′ = − ∆hT . (157)Für adiabatische Prozesse, bei denen ja keine Wärme ausgetauscht wird(q = 0), gilt offenbar ∆s = 0.Bemerkungen:Diese Definition der Entropie ist sicherlich nicht die einzige, die Gl. (154)genüge tut. Sie ist aber die einfachst mögliche, die das Konzept einer imabgeschlossenen System niemals abnehmenden Größe mit den bereits eingeführtenGrößen verbindet.Historisch wurde die verfeinerte Definition, die wir im nächsten Abschnittbetrachten, von Rudolf Clausius 1865 bei der Analyse beliebiger reversiblerKreisprozesse gefunden. Clausius hat dabei nicht bewusst nach einer Größegesucht, welche die Richtung vorhersagt, in welche Zustandsänderungen ablaufen.Darauf kommen wir in Abschnitt 8.2.3 zurück.8.2.2 Entropieänderungen im geschlossenen SystemIn den meisten Fällen ist ein geschlossenes System von Interesse, kein abgeschlossenes.DieEntropieänderungdsdieimgeschlossenenSystemmiteinemWärmeübertrag q an die Umgebung verbunden ist, können wir erfahren,indem wir das System in einem Gedankenexperiment reversibel in seinenAnfangszustand zurückführen.Wir betrachten also einen Vorgang mit zwei Schritten. Im ersten, irreversiblen,freiwillig verlaufenden Schritt nimmt das geschlossene System eineWärmemenge dq von der Umgebung auf und erfährt dabei eine Entropieänderungds 1 =ds. Gleichzeitig nimmt die Umgebung diese Wärmemengeauf und erfährt eine Entropieänderung ds ′ 1 . Weil der Vorgang irreversibelist und freiwillig verläuft, wissen wir, dass ds 1,gesamt > 0 sein muss. Mit Gl.(156) könnten wir ds 1,gesamt sogar berechnen, nicht aber feststellen, welcherAnteil ds der Entropieänderung auf das geschlossene System und welcherAnteil ds ′ 1 auf die Umgebung entfällt.DieAnteilekönnenwirherausfinden,indemwirnunimzweitenSchrittdurch87


Abgabe einer Wärmemenge q rev das geschlossene System auf reversiblemWeg wieder in den Anfangszustand überführen. Dabei muss das geschlosseneSystem eine Entropieänderung ds 2 =-ds erfahren, weil wir die Entropieals Zustandsgrösse definieren wollen und daher für einen gleichen End- wieAnfangszustand ∆s=ds 1 +ds 2 = 0 gelten muss. Andererseits kann q rev ≠ qsein und für die Entropieänderung der Umgebung kann ds ′ 2 ≠ −ds′ 1 gelten.Wenn der erste Schritt irreversibel war, muss das sogar der Fall sein, wiewir weiter unten sehen werden.In einem reversiblem Schritt ist nun aber ds 2,gesamt = ds 2 + ds ′ 2 = 0.Da in Gl. (156) die Temperatur die Umgebungstemperatur ist, können wirds ′ 2 = dq rev/T ansetzen. Streng genommen gehen wir damit über Gl. (156)hinaus, weil diese Gleichung ja nur für das abgeschlossene Gesamtsystemgilt. Wir befinden uns aber ohnehin noch in einer heuristischen Herleitungund müssen hier nur die Konsistenz wahren. Mit diesem Ansatz folgt dannds 2,gesamt = 0 = −ds+dq rev /T . (158)Daraus folgt für das geschlossene Teilsystemds = dq revT. (159)Gl.(159)beschreibtdieEntropieänderungdesgeschlossenenSystemsimersten,irreversiblenSchritt,wobeidq rev diebeieinerreversiblen Zustandsänderungvom gleichen Anfangs- zum gleichen Endzustand ausgetauschte Wärme undT die Umgebunsgtemperatur ist.Der Unterschied zwischen Gl. (159) und Gl. (156) ist subtil, aber wichtig.Obwohl unsere ursprüngliche Definition der Entropie aus einer Eigenschaftstammt, die nur abgeschlossene Systeme (unser Gesamtsystem) haben,können wir diese Größe nun auch für geschlossene Systeme berechnen.DazumüssenwirnurdietatsächlichausgetauschteWärmedurchdieWärmeersetzen, die in einem reversibel geführten Prozess von gleichen Anfangszumgleichen Endzustand ausgetauscht worden wäre. 16 Durch Integrationerhalten wir für endliche Zustandsänderungen∆s =∫ EAdq revT. (160)16 Auch dieser Trick kann in der irreversiblen <strong>Thermodynamik</strong> noch vermieden werden,siehe Abschnitt 8.2.5.88


Diese heuristische Einführung der Entropiedefinition ist natürlich mathematischnicht exakt. Wir haben plausibel gemacht, dass s gesamt bei freiwilligablaufenden Prozessen wächst und im Gleichgewicht bzw. bei reversiblenProzessen konstant bleibt- bewiesen haben wir das an dieser Stelle nochnicht. Wir haben auch noch nicht bewiesen, dass die so definierte Entropietatsächlich eine Zustandsfunktion ist. Inm Folgenden zeigen wir zunächst aneinem speziellen Prozess, dem Carnot-Prozess, dass die Entropie tatsächlicheine Zustandsgrösse ist. Wir zeigen dann, dass wir den Carnot-Prozess aufbeliebige Kreisprozesse verallgemeinern können.8.2.3 Die Entropie als Zustandsgröße (Carnot-Prozess)Entropieänderungen sind mit Wärmeaustausch verbunden. Die Entropie sselbst ist aber eine Größe, die den Zustand eines System beschreibt, sozusagenden Grad von Unordnung in diesem System. Eine geeignete Definitionder Entropie muss deshalb sicherstellen, dass es sich um eine Zustandsgrößehandelt, also dass die Entropie sich in einem Kreisprozess nicht ändert. ImFolgenden wollen wir überprüfen, ob die oben getroffene Definition diese Bedingungerfüllt. Während dieser Überprüfung klären wir auch, welchen Anteileiner Wärmemenge wir tatsächlich in Arbeit umwandeln können. DieserAnteil entspricht dem Wirkungsgrad ǫ einer Wärmekraftmaschine.Wir werden folgendermaßen vorgehen: Zuerst bestimmen wir die Entropieänderungund den Wirkungsgrad für einen speziellen reversiblen Kreisprozess,an einem idealen Gas, den wir einfach berechnen können. Dieser Prozessist der Carnot-Prozess. Dann zeigen wir, dass erstens jeder reversibleKreisprozess, der entlang der gleichen Linien im pV-Diagramm geführt wird,den gleichen Wirkungsgrad haben muss wie der Carnot-Prozess and einemidealen Gas und sich zweitens jeder reversible Kreisprozess in eine Anzahlinfinitesimal kleiner Carnot-Prozesse zerlegen lässt. Die Entropieänderungin einem beliebigen reversiblen Kreisprozess kann deshalb als Summe vonEntropieänderungen vonCarnot-Prozessenberechnetwerden.Umzuzeigen,dass die Entropie eine Zustandsgröße ist, müssen wir deshalb nur beweisen,dass sie sich im Carnot-Prozess nicht ändert.efficiencyDer Carnot-Prozess (Abb. 10) besteht aus reversiblen Expansionen undKompressionen eines Gases und beginnt bei einer Temperatur T w mit einerisothermen Expansion 1. In diesem Schritt verrichtet das Gas Arbeit,d.h. die Volumenarbeit w 1 is negativ. Da die innere Energie eines idealen89


pAdiabateA1Adiabate4BIsotherme, T w2D3CIsotherme, T kVAbb. 10: Der Carnot-Prozess. Die stark umrandete Fläche ist die gesamte vomSystem verrichtete Arbeit, wenn der Prozess im Uhrzeigersinn durchlaufen wird.Die von der Umgebung an das System übertragene Wärme ist dann größer alsdiese Arbeit (Fall der Wärmekraftmaschine). Die Fläche ist die gesamte am Systemverrichtete Arbeit, wenn der Prozess im Gegenuhrzeigersinn durchlaufen wird. Dievom System an die Umgebung abgegebene Wärme ist dann ebenfalls größer alsdiese Arbeit (Fall der Wärmepumpe).Gases bei einem isothermen Prozess konstant bleibt, 17 nimmt das Gas ausder Umgebung eine Wärmemenge q w auf, die nach dem ersten Hauptsatzbetragsmäßig gleich der vom Gas geleisteten Arbeit sein muss. 18 An diesemSchritt schließt sich eine adiabatische Expansion 2 an, während dersich das Gas auf die Temperatur T k abkühlt und weitere Arbeit geleistetwird, w 2 < 0. Da beim adiabatischen Prozess keine Wärme ausgetauschtwird, ist die geleistete Arbeit gleich der Änderung der inneren Energie.Das Gas wird dann isotherm komprimiert (Schritt 3), wobei Arbeit am17 Streng genommen haben wir das im Rahmen der phänomenologischen <strong>Thermodynamik</strong>noch nicht bewiesen. Wir hatten das zwar aus Gl. (116) geschlossen, diese Gleichungkönnen wir aber erst mit dem totalen Differential der Entropie herleiten, also unter derVoraussetzung, dass die Entropie eine Zustandsgrösse ist. Jetzt wollen wir das aber ersteinmal beweisen. Wenn wir an dieser Stelle streng sein wollen, müssen wir uns auf einemikroskopische Theorie des idealen Gases berufen, die kinetische Gastheorie. In der Tathat Clausius, der den Begriff der Entropie eingeführt hat, auf dieser Grundlage argumentiert.Im Prinzip ist das aber auch klar, wenn wir von einem idealen Gas aus Punktteilchenausgehen, die nicht miteinander wechselwirken.18 Beachten Sie, das vom Gas geleistete Arbeit negativer Volumenarbeit entspricht, d.h.in diesem Schritt ist w 1 < 090


Gas verrichtet werden muss, w 3 > 0. Diese Volumenarbeit wird vollständigin Wärme q k umgewandelt, da die innere Energie auch in diesem isothermenSchritt gleich bleibt. Schließlich wird das Gas adiabatisch komprimiert(Schritt 4, wobei Arbeit am Gas verrichtet wird, w 4 > 0. Diese Volumenarbeitwird vollständig in innere Energie umgewandelt. Da die innere Energieeine Zustandsgröße ist und sich nur in den Schritten 2 und 4 ändert, mussw 2 +w 4 = 0 gelten.Die gesamte während des Kreisprozesses geleistete Arbeit (positiv in Uhrzeigerrichtung)entspricht der in Abb. 10 stark umrandeten Fläche im p,V-Diagramm und der Volumenarbeit mit umgekehrtem Vorzeichen −w vol =−(w 1 + w 3 ). Sie muss der Summe der ausgetauschten Wärmemengen q =q w + q k entsprechen, da w vol + q für den gesamten Kreisprozess Null seinmuss. Es gilt alsow = q w +q k . (161)WennderProzessinUhrzeigerrichtungläuft,wirddieWärmebeiderhöherenTemperatur aus der Umgebung aufgenommen und ist daher q w , so dass derWirkungsgrad durchǫ = |w||q w | . (162)gegebenist.DieBetragsstrichekönnenwirauchweglassen,weildiegeleisteteArbeitunddiebeiderhöherenTemperaturausgetauschteWärmeimmerdasgleiche Vorzeichen haben. Mit Gl. (161) finden wirǫ = q w +q kq w= 1− |q k||q w | , (163)wobeiwiramEndewiederBetragsstricheeingeführtunddabeiberücksichtigthaben, dass q w und q k grundsätzlich verschiedene Vorzeichen haben.Zur Vereinfachung nehmen wir nun an, dass der Carnot-Prozess an einemidealen Gas durchgeführt wird. Der Wirkungsgrad muss unabhängig davonsein, was für ein Gas wir benutzen, denn sonst könnten wir zwei Carnot-Prozesse so koppeln, dass wir Wärme vollständig in Arbeit umwandeln. Wirwürden dafür die Maschine mit dem kleineren Wirkungsgrad rückwärts laufenlassen, wobei die Maschine mit dem größeren Wirkungsgrad die nötigeArbeit dafür liefert. Wegen des größeren Wirkungsgrades würde diese Maschineeinen Überschuss an Arbeit produzieren, den wir entnehmen können,während wir für den Betrieb nur Wärme einbringen müssten. Ein solchesPerpetuum mobile 2. Art ist aber gerade ausgeschlossen.91


Wie bereits bemerkt, hebt sich die Arbeit während der beiden adiabatischenSchritte auf. In den isothermen Schritten gilt:w 1 = −q w = −nRT w ln(V B /V A )w 3 = −q k = −nRT k ln(V D /V C ) . (164)Für die Volumina gilt bei den adiabatischen Prozessen 19V A Tw c = V D TkcV C Tk c = V B Tw c . (165)Durch Multiplizieren beider Gleichungen erhalten wirV A V C TwT c k c = V BV D TwT c k c (166)und darausDamit folgt aus Gl. (164)V AV B= V DV C. (167)w = w 1 +w 3 = −nRln(V B /V A )(T w −T k ) . (168)Daq w = −w 1 = nRT w ln(V B /V A ) (169)ist, finden wirǫ rev = 1− T kT w. (170)EineCarnot-Maschineistalsobeiumsoeffizienter,umsogrößerdasVerhältnisderhöherenzurtieferenTemperaturist.DergleicheWirkungsgradmusssichergeben, wenn wir den Prozess entlang der gleichen Linien im pV-Diagrammmit einem anderen, nichtidealen Medium führen. Anderenfalls könnten wirdie Prozesse mit dem idealen und realen Medium in umgekehrter Richtunglaufen lassen, wobei die in einem Prozess anfallende Arbeit den anderenProzess treiben würde. Wenn wir geeignete Richtungen wählen, würden wirso einen Wärmeübrergang von tiefer zu höherer Temperatur erreichen, ohnedafür Arbeit aufzuwenden. Das widerspräche dem zweiten Hauptsatz.19 DerExponentcindenfolgendenGleichungenergibtsichausdemPoisson-Koeffzientenγ zu 1/(γ −1)92


Da wir einen reversiblen Prozess betrachtet haben, können wir unmittelbardie Entropie angeben. Entropieänderungen treten nur in den isothermenSchritten 1 und 3 auf. Die gesamte Entropieänderung ist∮∆s =ds = q wT w+ q kT k(171)Durch Gleichsetzen von Gl. (163) und (170) erhalten wir außerdemDaraus folgt|q k ||q w | = T kT w(172)|q k |T k= |q w|T w(173)und weil beide Wärmen unterschiedliches Vorzeichen habenq kT k+ q wT w= 0 . (174)Damit folgt zunächst für den Carnot-Prozess in Gl. (171)∮ds = 0 . (175)Rudolf Clausius hat 1865 gezeigt, dass sich jeder reversible Kreisprozessbeliebig gut durch eine Kombination infinitesimal kleiner Carnot-Prozesseannähernlässt.SomitgiltGl.(175)fürjedenbeliebigenreversiblenKreisprozess.Die Entropie ist daher eine Zustandsgröße. Das muss übrigens auch fürirreversible Kreisprozesse gelten, denn die Entropieänderung wird ja nachGl. (159) grundsätzlich mit der reversibel ausgetauschten Wärme berechnet.8.2.4 Entropieänderungen bei irreversiblen ProzessenWir betrachten jetzt Systeme, die zu jedem Zeitpunkt die gleiche TemperaturT wie ihre Umgebung haben, sich aber in anderen Größen (z. B. imDruck) von der Umgebung unterscheiden können. Die differentielle Entropieänderungdes Systems sei ds, diejenige der Umgebung sei ds ′ . Für einenirreversiblen Prozess gilt nach dem zweiten Hauptsatz für die gesamte Änderungder Entropie des abgeschlossenen Systems (geschlossenes System und93


dessen Umgebung)ds+ds ′ > 0 . (176)Für beliebige Prozesse giltds ≥ −ds ′ , (177)wobei das Gleichheitszeichen ausschließlich für reversible Prozesse zutrifft.Die tatsächlich ausgetauschte Wärmemenge sei dq, so dass ds ′ = −dq/T.Dann folgt die Clausius’sche Ungleichungds ≥ dqT . (178)Dann folgt aus Gl. (159), dass die reversibel ausgetauschte Wärme immergrößer sein muss als die bei einem irreversiblen Prozess ausgetauschte.An zwei Beispielen wird das etwas deutlicher. Wir ermitteln dabei das Vorzeichender nach Gl.(159) definierten Entropie für zwei irreversible Prozesseund finden, dass für diese freiwillig ablaufenden Prozesse tatsächlich eineZunahme der Entropie beobachtet wird.Freiwillige Expansion. Wir betrachten die irreversible adiabatische Ausdehnungeines Gases. Bei einem adiabatischen Prozess gilt dq = 0, gleichzeitigmuss wegen der Irreversibilität des Prozesses nach der Clausius’schen Ungleichungds > 0 sein.Im Fall einer irreversiblen isothermen Expansion eines idealen Gases (u =const. für T = const.) gilt nach dem ersten Hauptsatzdu = dq +dw = 0 . (179)Findet die Expansion ins Vakuum statt, so ist dw = 0, es muss also wiederumdq = 0 gelten. Auch hier muss aber wegen der Irreversibilität ds > 0sein. In beiden Prozessen ändert sich die Entropie der Umgebung nicht, weilkeine Wärme ausgetauscht wird, die Entropie des betrachteten Systems wirdaber größer. Da jeweils ds > 0 und ds ′ = 0 ist, ist die Entropieänderungdes gesamten abgeschlossenen Systems positiv. Für die beide irreversiblen,freiwillig ablaufenden Prozesse finden wir also tatsächlich jeweils eine Entropiezunahme.Das Konzept der Entropie sieht hier noch verdächtig nach einem Zirkelschlussaus, bzw. es ist bis zu diesem Punkt nur für Einzelbeispiele belegt,94


dass die Entropie bei freiwillig ablaufenden Prozessen wächst. Das Konzeptwird aber etwas klarer, wenn man die Entropieänderung ds des geschlossenenSystems in zwei Teile zerlegtds = d e s+d i s , (180)wobei d e s der Anteil ist, der aus dem Austausch von Energie mit der Umgebungresultiert und d i s derjenige, der von irreversiblen Prozessen innerhalbdes geschlossenen Systems herrührt. In unseren beiden Beispielen ist d e s = 0und d i s > 0.Grundsätzlich muss d i s ≥ 0 für abgeschlossene, geschlossene und offeneSysteme gelten, weil d i s ≠ 0 immer aus irreversiblen Prozessen resultiert.Das Gleichheitszeichen zeigt auch hier reversible Prozesse an. Wirsind damit nicht mehr auf die heuristische Zerlegung und den Umweg überdie reversibel ausgetauschte Wärme angewiesen.Die Zerlegung ist auch auf offene Systeme anwendbar, wobei d e s dann alleEntropieänderungen durch Energie- und Stoffaustausch mit der Umgebungumfasst.Da s eine Zustandsgrösse ist, gilt∮∮ds =∮d e s+d i s = 0 (181)und daraus folgt sowohl für geschlossene als auch offene Systeme∮d e s =∮ dqT ≤ 0 , (182)wobei das Gleichheitszeichen nur für einen reversiblen Prozess gilt und dqdie tatsächlich im irreversiblen Prozess mit der Umgebung ausgetauschteWärme ist. Daraus ergibt sich wiederum, dass ein irreversibler Kreisprozessgrundsätzlich zu einem Entropiezuwachs der Umgebung, ∆s ′ = − ∫ ds e > 0,führt.So abstrakt diese Überlegungen klingen, so weit reichend sind ihre Folgen.Jeder in einem abgeschlossenen System freiwillig ablaufende Prozess ist irreversibelund mit einem Zuwachs der Entropie dieses Systems verbunden.Damit bekommt die Zeitachse der Physik einen Richtungssinn, der in denGrundgleichungen der Quantenmechanik nicht vorgegeben ist. Sobald wirein System in guter Näherung als abgeschlossen betrachten können, wissenwir, dass seine Entropie immer nur wachsen kann. Ein Zustand höherer95


Entropie entspricht dann immer einem späteren Zeitpunkt als ein Zustandniedrigerer Entropie. 208.2.5 Grundzüge der irreversiblen <strong>Thermodynamik</strong>Die irreversible <strong>Thermodynamik</strong> verzichtet im Gegensatz zur klassischen<strong>Thermodynamik</strong> auf die Annahme, dass das gesamte betrachtete Systemsich im Gleichgewicht befinden muss. Stattdessen wird nur noch vorausgesetzt,dass sich hinreichend kleine Volumenelemente in einem lokalen Gleichgewichtbefinden. Auch das ist eine Näherung, jedoch eine viel weniger dras- local equilibriumtische als diejenige der klassischen (Gleichgewichts-)<strong>Thermodynamik</strong>.In der irreversiblen <strong>Thermodynamik</strong> sind alle intensiven Größen, wie z.B.Druck und Temperatur lokal definiert, d.h. sie werden im Allgemeinen ortsabhängig.Das betrachtete System muss deshalb nicht mehr notwendigerweisehomogen sein. Extensive Größen wie die innere Energie u und dieEntropie s werden durch ihre ortsabhängigen Dichten ersetzt, die wir indiesem Skript durch Symbole mit Tilde (ũ bzw. ˜s) bezeichnen. So ist z.B.die Entropiedichte ˜s in einem Volumenelement der Quotient aus der Entro- entropy densitypie dieses Volumenelements und seinem Volumen. Die Stoffmengen werdenanalog durch lokale Konzentrationen ersetzt.MitdiesenGrößenkönnenirreversibleProzessealsthermodynamische Flüsse thermodynamicverstanden werden, die durch thermodynamische Kräfte getrieben werden.Zum Beispiel verursacht ein Temperaturgradient (thermodynamische Kraft)einen Wärmefluss (thermodynamischer Fluss) J q = dq/dt, wobei über dt dieZeit als Variable in die Theorie eingeführt wird. Allgemein spricht man voneinem Flussder Größe x.J x = dxdt(183)20 Daraus hat schon Clausius geschlossen, dass die Entropie des gesamten Universumsstetig wachsen müsse und dass Universum im Zustand maximaler Entropie schließlichzum Stillstand käme (Wärmetod). Auch Kondepudi, 2008 übernimmt dieses Argument.Aus zwei Gründen halte ich die Folgerung für unzulässig. Erstens ist es mathematischfragwürdig, für ein möglicherweise unendlich großes System eine Zustandsgröße zu definieren,die nicht nur stetig wächst, sondern ein Maximum auch erreicht. Mit anderen Wortenist es nicht klar, dass man ein unendliches Universum als ein abgeschlossenes System imSinne der <strong>Thermodynamik</strong> betrachten darf. Zweitens gibt es nach der Relativitätstheoriekeine ausgezeichnete Zeitachse. Man müsste also zunächst eine relativistische irreversible<strong>Thermodynamik</strong> entwickeln und dann zeigen, dass die Entropie eines abgeschlossenenUniversums auf der Zeitachse eines beliebigen Beobachters innerhalb dieses Universumsstetig wächst.flowsthermodynamicforces96


Die irreversible Entropieänderung d i s ist ein Ergebnis solche Flüsse. Mitder thermodynamischen Kraft F kann sie zunächst auch ohne die Zeit alsVariable eingeführt werdend i s = ∑ kF k dx k ≥ 0 , (184)wobei der Index k über alle entropieerzeugenden Flüsse läuft. Für unserBeispiel eines Wärmeflusses giltF q = 1T kalt− 1T warm. (185)Dabei ist T kalt die niedrigere und T warm die höhere Temperatur und dx k istdurch dq zu ersetzen.Für einen Stofffluss wird die thermodynamische Kraft mit Hilfe der Affinität affinityangegeben, die wir in Abschnitt 9.3.3 einführen werden.Wir können nun den 2. Hauptsatz in einer Form ausdrücken, die explizit dieZeit enthältd i sdt = ∑ kF kdx kdt= ∑ kF k J k ≥ 0 . (186)Die damit neu eingeführte Größe d i s/dt ist die Geschwindigkeit der Entropieproduktion.An Gl. (186) ist bemerkenswert, dass nur die Summe aller rate of entropyEntropiezuwächse positiv sein muss, nicht aber jeder einzelne Summand.Folglich können stark freiwillige Einzelprozesse den Ablauf anderer Prozessebewirken, die in einer isolierten Betrachtung (schwächer) unfreiwillig wärenund daher nicht ablaufen würden.Analog wird der Entropieaustausch des Systems mit seiner Umgebung d e sdurch Flüsse von Wärme und Stoffen beschrieben. Für abgeschlossene Systemegiltfür geschlossene Systemed e s = 0 〈abgeschlossenes System〉 , (187)productiond e s = dqT = du+pdVT〈geschlossenes System〉 , (188)und für offene Systemed e s = dqT +(d es) Stoff〈offenes System〉 , (189)97


wobei wir (d e s) Stoffin Abschnitt 9.3.3 einführen werden.Ein Vorteil dieser Formulierung ist, dass für jegliche Art von Systemend i s ≥ 0 gilt und dass diese Gesetzmäßigkeit auch auf beliebige Teilsystemeübertragbar ist. Ferner ist dq die tatsächlich ausgetauschte Wärme. subsystemsDadurch wird in der Entropieberechnung der Umweg über einen hypothetischenreversiblen Prozess vom gleichen Anfangs- zum gleichen Endzustandüberflüssig.Im Folgenden werden wir im Rahmen der klassischen <strong>Thermodynamik</strong> bleiben,so lange sich dadurch keine konzeptionellen Probleme ergeben. Dadurchwahren wir den Anschluss an gängige Lehrbücher. Dort, wo es dasVerständnis oder die Rechnung erleichtert, werden wir allerdings auf dieKonzepte der irreversiblen <strong>Thermodynamik</strong> zurückgreifen.8.2.6 Das totale Differential der EntropieFür reine Stoffe drückt man die Entropie in der Regel als Funktion derTemperatur T, des Drucks p und der Stoffmenge n aus. Änderungen derEntropie werden dann durch das totale Differentialds =( ) ∂sdT +∂Tp,n( ) ∂sdp+∂pT,n( ) ∂sdn (190)∂nT,pbeschrieben.DieerstenbeidenpartiellenDifferentialesindausderDefinitionder Entropie erhältlich, wobei wir für die reversibel ausgetauschte WärmeGl. (117) einsetzen. Wir erhalten(ds) n = dq revT= 1 T{ [ (∂h )c p dT +∂pT,n−V]dp}= c p dlnT −αVdp .(191)Der dritte Differentialquotient in Gl. (190) stellt die molare Entropie S ∗ desreinen Stoffs dar. Insgesamt erhalten wir alsods = c p dlnT −αVdp+S ∗ dn , (192)bzw. für das totale Differential der molaren EntropiedS ∗ = C p∗ dlnT −αV m,∗ dp . (193)Das tiefgestellte Symbol ∗ weist darauf hin, dass wir einen reinen Stoff betrachten.98


Von den Größen auf der rechten Seite der Gleichung sind T und bei reinenStoffen C p und das Molvolumen V m grundsätzlich positiv. Auch der thermischeAusdehungskoeffizient α ist in der Regel positiv, eine Ausnahme machtz.B. Wasser zwischen 0 und 4 ◦ C. Daraus folgt• Die molare Entropie reiner Stoffe nimmt mit steigender Temperaturimmer zu und mit steigendem Druck in der Regel ab.Für ideale Gase folgt aus α = 1/T = R/(pV m )dS ∗ = C p∗ dlnT −Rdlnp . 〈ideales Gas〉 (194)Für isotherme Prozesse an idealen Gasen gilt daher(∆S ∗ ) T= −Rln(p E /p A ) . 〈ideales Gas〉 (195)Für Mischphasen sind die Zustandsvariablen die Temperatur T, der Druck pund die Stoffmenge n i aller beteiligten Stoffe. Das totale Differential lautetdannds =( ) ∂sdT +∂Tp,n j( ) ∂sdp+ ∑ ∂pT,n j i( ∂s∂n i)T,p,n jdn i , (196)wobei der untere Index n j des letzten partiellen Differentials bedeutet, dassalle Stoffmengen außer derjenigen des Stoffs mit dem Index i konstant gehaltenwerden. Die ersten beiden partiellen Differentialquotienten sind sinngemäßso zu interpretieren wie für reine Stoffe, nur dass sich Wärmekapazität,Ausdehnungskoeffizient und Volumen nun auf die Mischphase beziehen.Die Differentialquotienten nach dem Summenzeichen sind partielle molareEntropienS i =( ∂s∂n i)T,p,n j. (197)Lassen wir die intensiven Variablen T und p konstant, so ergibt die Integrationdes totalen Differentialss = ∑ in i S i . (198)Die Entropie einer Mischphase ist also die Summe der partiellen molarenEntropien der Komponenten, jeweils multipliziert mit deren Stoffmengen.Die S i kann man aus absoluten molaren Entropien der reinen Stoffe und99


aus Mischungsentropien berechnen. Die Mischungsentropie betrachten wirweiter unten.Für Stoffumwandlungsprozesse, insbesondere auch chemische Reaktionengilt mit der Reaktionslaufzahl ξ(ds) T,p= ∑ ν i S i dξ . (199)So kann man analog zur Reaktionsenthalpie eine partielle molare Reaktionsentropie∆ R S definieren∆ R S =8.2.7 Phasenumwandlungsentropien( ) ∂s= ∑ ν i S i . (200)∂ξT,pFür Phasenumwandlungen reiner Stoffe können wir in Gl. (200) ν 2 = +1für die enstehende Phase (Symbol ”) und ν 1 = −1 für die verschwindendePhase (Symbol ’) einsetzen und erhalten∆ trans S ∗ = S ′′∗ −S ′ ∗ . (201)Solche Phasenumwandlungen reiner Stoffe verlaufen häufig bei konstanterTemperatur T trans und konstantem Druck nahezu im Gleichgewicht, alsoauch nahezu reversibel. Die reversible Wärme ist dann gleich der Phasenumwandlungsenthalpie.Deshalb gilt für die molare Phasenumwandlungsentropieeines reinen Stoffes∆ trans S ∗ = ∆ transH ∗T trans. (202)Für viele Flüssigkeiten ist die molare Verdampfungsentropie bei ihrer Siedetemperaturunter Normaldruck annähernd gleich und durch die empirischeRegel von Pictet und Trouton gegeben∆ v S ∗ ≈ 84...92 J mol −1 K −1 . (203)8.2.8 MischungsentropienMischungsprozesseverlaufenirreversibel.BeiderisothermenHerstellungderMischung wird Wärme mit der Umgebung ausgetauscht. Wärmeaustauschwird zum Beispiel beim Verdünnen von konzentrierter Schwefelsäure mit100


Wasser (erst das Wasser, dann die Säure ...) beobachtet. Durch Vorzeichenumkehrdes Wärmeaustauschs erreicht man aber keine Entmischung indie Komponenten. Will man die Entropieänderung berechnen, muss maneinen reversiblen Weg suchen.Die Mischungsentropie definiert man durch∆ M s = s 2 −s 1 = ∑ in i S i − ∑ in i S i∗ = ∑ in i (S i −S i∗ ) . (204)Mit den partiellen molaren Mischungsentropiengilt also für die gesamte Mischungsentropie∆ M S i = S i −S i∗ (205)∆ M s = ∑ in i ∆ M S i (206)und für die mittlere molare Mischungsentropie∆ M S = ∑ ix i ∆ M S i . (207)ImFolgendenberechnenwirdieMischungsentropieidealerGase,diezunächstrein unter den Drücken p A∗ und p B∗ mit den Volumina V A∗ und V B∗ vorliegen.Da für ideale Gase das Gesamtvolumen die Summe der Teilvoluminasein muss, nehmen die Gase nach der Mischung das Volumen V = V A∗ +V B∗ein. Als ersten Schritt expandieren wir also die beiden Gase isotherm aufdiesesVolumenohne siebereitszumischen. DieseisothermeExpansion kannreversibel geführt werden. Die Partialdrücke in diesem Volumen sind dannnach der Zustandsgleichung idealer Gase durchp A= V A∗p A∗ Vp B= V B∗p B∗ V(208)gegeben. Die Entropieänderungen bei den Expansionen betragen nach Gl.(195)∆s A = −n A Rln p Ap A∗101


∆s B = −n B Rln p Bp B∗. (209)Den eigentlichen Mischvorgang können wir als Gedankenexperiment reversibeldurchführen,wennwirunssemipermeableWände vorstellen.DieseWändelassen jeweils nur einen der Stoffe durch. Es gibt einige Realisierungen semipermeablerWände, zum Beispiel glühendes Pt oder Pd für H 2 oder eineSchweinsblase für Wasserdampf. Die reversible Wärme des eigentlichen Mischungsvorgangsist für ideale Gase Null, denn es gibt keine Wechselwirkungenzwischen den Teilchen A und B und daher bei konstanter Temperaturkeine Änderung der inneren Energie und bei konstantem Volumen keine Volumenarbeit.Damit stammt die Gesamtentropie des Mischungsprozesses ausdem ersten Schritt∆ M s = −R(n A ln p A+n B ln p )Bp A∗ p B∗. (210)Ein interessanter Spezialfall ist p A∗ = p B∗ = p, wobei p der Gesamtdruckder Mischung ist. Dann ist keinerlei Druckausgleich nötig und es giltp A= p Ap A∗ p = x Ap B= p Bp B∗ p = x B , (211)woraus folgt∆ M s = −R(n A lnx A +n B lnx B ) . (212)Durch Division durch ∑ n i erhalten wir∆ M S = −R(x A lnx A +x B lnx B ) . (213)Durch Vergleich von Gl. (212) mit Gl. (206) findet man für die partiellenmolaren Mischunsgentropien∆ M S i = −Rlnx i . (214)Obwohl bei idealen Gasen die Mischungsenthalpie und das MischungsvolumenNull sind, ist also die Mischungsentropie von Null verschieden, nämlichbeim isobaren Mischen positiv. Der Grund ist, dass nach dem Mischen jederKomponente ein größeres Gesamtvolumen zur Verfügung steht, über dassich die Gasteilchen regelllos verteilen können. Die Unordnung jeder einzel-102


nen Komponente wird also auf einen größeren Raumbereich ausgedehnt undwächst damit. Die Gleichungen (213) und (214) lassen sich auch für die Mischungkondensierter Phasen herleiten, sofern sich die Komponenten auchdabei ideal verhalten.8.2.9 Das Nernst’sche Wärmetheorem (Dritter Hauptsatz)Bei Annäherung an den absoluten Nullpunkt gehen alle Entropiedifferenzenasymptotisch gegen Null, wie zunächst für kristalline Feststoffe festgestelltwurde. Walter Nernst hat diese Erkenntnis verallgemeinert, sie wird deshalbals Nernst’sches Wärmetheorem und mitunter, besonders in der englischsprachigenLiteratur, auch als dritter Hauptsatz der <strong>Thermodynamik</strong>bezeichnet. Die Formulierung des Nernst’schen Wärmetheorems lautetlim ∆s = 0 , (215)T→0wobei ein Vorgang in einem geschlossenen System betrachtet wird, an demnur Phasen beteiligt sind, die sich im inneren Gleichgewicht befinden oderdiesichineinemeingefrorenenNichtgleichgewichtbefinden,dasnichtgestörtwird.Auf dieser Grundlage kann man eine absolute Entropieskala definieren, weilman die Entropie aller ideal kristallinen Elemente am absoluten Nullpunktgleich Null setzt. Alle Entropien bei höheren Temperaturen sind dann positiv.Verbindungen können am absoluten Nullpunkt im ideal kristallinen Zustandebenfalls eine Entropie von Null erreichen. Diese Konvention stammtvon Planck. Die Entropie eines reinen Gases bei einer Temperatur T berechnetsich demnach alsS ∗ (T) =∫ TF0KC p (s)dlnT+ ∆ ∫ TVFH+ C p (l)dlnT+ ∆ ∫ TVH+ C p (g)dlnT .T F T FT V T V(216)8.2.10 Die StandardreaktionsentropieMan kann Absolutwerte von Entropien bei jeder gewünschten Temperaturtabellieren. Für den Druck nimmt man in der Regel Standardbedingungenan, man tabelliert also S ❝ . Damit kann man Standardreaktionsentropien103


erechnen∆ R S ❝ = ∑ iν i S ❝i . (217)Allgemein gilt, dass ∆ R S ❝ um so positiver ist, je mehr sich die Zahl der GasundFlüssigkeitsmoleküle durch die Reaktion vergrößert, um so negativer, jemehr sich diese Zahl verkleinert.8.2.11 Grenzen der Anwendbarkeit des zweiten HauptsatzesDer zweite Hauptsatz wurde aufgrund von Erfahrungen mit Systemen formuliert,die sehr groß sind, also sehr viele Teilchen enthalten. Er kann nichtohne weiteres auf beliebig kleine Systeme angewendet werden. BetrachtetmanzumBeispieldieBewegungeineseinzelnenTeilchens,sokannmannichtentscheiden, ob es sich um ungeordnete oder geordnete Bewegung handelt,ob also Arbeit geleistet wird, oder eine thermische Bewegung stattfindet.Diese Frage ist nur dann beantwortbar, wenn man mehrere Teilchen betrachtet.Stellt man sich aber eine sehr kleine Zahl von Teilchen vor, sagenwir zwei, dann ist es nicht sehr unwahrscheinlich, dass eine ungeordnete Bewegungzufällig für kurze Zeit in eine geordnete (gleichgerichtete) Bewegungder zwei Teilchen übergeht. Ein Cluster aus sehr wenigen Atomen, kann alsodurchaus gelegentlich von seiner Unterlage nach oben hüpfen. Befinden sichje vier Stickstoffmoleküle und Sauerstoffmoleküle in einem Behälter, wird esauch hin und wieder spontan zur Entmischung kommen, d.h. alle Sauerstoffmolekülesind in der rechten Hälfte und alle Stickstoffmoleküle in der linkenHälfte.DieWahrscheinlichkeitdafürbeträgt1/2 8 = 1/256 ≈ 0.4%.Jegrößerdie Anzahl der Teilchen wird, desto unwahrscheinlicher werden aber solcheZufälle.Schonbeije4000N 2 -undO 2 -MolekülenisteinesolcheEntmischungextrem unwahrscheinlich. Die Wahrscheinlichkeit beträgt 1/2 8000 - einen solchenVorgang wird man nie beobachten. Allgemein kann man sagen, dassman im Bereich molekularer Abmessungen mit Schwankungserscheinungenrechnen muss, auf die der zweite Hauptsatz nicht anwendbar ist. Wärme undTemperatur sind überhaupt nur für hinreichend große Systeme definiert.Zum NachlesenAtkins,2001: S. 113-127Engel/Reid,2006: S. 99–124Wedler,1997: S. 55–79, 294–298104


Kondepudi,2008: p. 97–139105


9 Allgemeine Gesetze des Gleichgewichts9.1 Anwendung der Hauptsätze auf geschlossene Systeme9.1.1 Kriterien für Freiwilligkeit, Gleichgewicht und ZwangDer zweite Hauptsatz gibt ein Kriterium für die Freiwilligkeit von Prozessenin abgeschlossenen Systemen an. In einem geschlossenen Teilsystem kanndie Entropie allerdings sehr wohl bei einem freiwilligen Vorgang abnehmen.ZumBeispielistdasbeimErstarreneineFlüssigkeitoderKondensiereneinesGases am Phasenumwandlungspunkt der Fall. Außerdem kann man Prozesse,die nicht freiwillig ablaufen, durch Zufuhr von Arbeit erzwingen, zumBeispiel die Kompression eines Gases oder die Abscheidung eines unedlenMetalls aus einer Salzlösung oder Schmelze durch Elektrolyse. Die Frage, obein bestimmter Stoffwandlungsprozess in einem geschlossenen System freiwilligabläuft und wenn nicht, unter welchen Bedingungen er sich erzwingenlässt, ist aber praktisch von Interesse. Wir können sie nicht allein durch eineEntropiebetrachtung beantworten. Im Folgenden leiten wir ein Kriteriumher, das die Frage entscheidet.Wir kennen bereits ein Kriterium für das geschlossene Teilsystem, das sichaus der Clausius’schen Ungleichung (178) ergibtdq rev −dq ≥ 0 , (218)wobeidasGleichheitszeichenausschließlichfüreinenreversiblenProzessgilt.Aus dem ersten Hauptsatz folgt ganz allgemeindu = dq +dw = dq +dw p +dw n= dq rev +dw rev = dq rev +dw p +dw n,rev . (219)Hier haben wir die Arbeit in einen Anteil isobarer Volumenarbeit w p undeinen Anteil von Nutzarbeit w n aufgeteilt, wobei die Nutzarbeit reversibeloder irreversibel ausgetauscht werden kann. Die isobare Volumenarbeit istbei reversibler und irreversibler Prozessführung die gleiche, weil ein isobarerProzess die Gleichheit von Systemdruck und äußerem Druck, also quasistatischeBedingungen, also Reversibilität voraussetzt.Aus den beiden Gleichungen (218) und (219) folgtdw n,rev −dw n ≤ 0 , (220)106


wobeiwiederumdasGleichheitszeichenausschließlichfürreversibleVorgängegilt. Diese ganz allgemeine Gleichung macht eine bemerkenswerte Voraussage:die vom geschlossenen System abgegebene Nutzarbeit (negatives Vorzeichen)ist bei einem reversiblen Prozess vom Betrag her grundsätzlich größerals bei einem irreversiblen Prozess. Bei einer irreversiblen Prozessführungwird ein Teil der Änderung der inneren Energie für eine Entropieproduktionverbraucht und steht nicht als Nutzarbeit zur Verfügung.Nutzarbeit kann dem System mit einer geeigneten Vorrichtung entnommenwerden.IhreEinführungerlaubtunsnun,KriterienfürFreiwilligkeit,Gleichgewichtund Zwang aufzustellen. Wir beachten, dass die Ungleichung (220)erfüllt sein muss und dass dw n = 0 ist, falls es keine besondere Vorrichtungzum Austausch von Nutzarbeit gibt. Wir können also folgende Vorgängeunterscheiden• Das System könnte bei reversiblem Ablauf Nutzarbeit abgeben.(dw n,rev < 0). Solche Vorgänge können ohne eine besondere Vorrichtungzum Austausch von Nutzarbeit stattfinden, verlaufen dannaber irreversibel.• Der Vorgang kann ohne Austausch von Nutzarbeit reversibelgeführt werden. (dw n,rev = 0). Falls es keine Vorrichtung zumAustausch von Nutzarbeit gibt, können solche Vorgänge nur reversibeldurchgeführtwerden.Dannsindsieaberunendlichlangsam,vomthermodynamischenStandpunkt her ändert sich an den Systemvariablennichts. Diesen Zustand des Systems bezeichnet man als thermodynamischesGleichgewicht.• Vorgänge, die auch bei reversibler Durchführung nur unterZufuhr von Nutzarbeit möglich sind (dw n,rev > 0) SolcheVorgänge bezeichnet man als erzwungene Vorgänge. In Systemen ohneVorrichtung zum Austausch von Nutzarbeit sind sie nicht möglich,vielmehr würde der entgegengesetzte Vorgang freiwillig ablaufen.Ein Beispiel für den dritten Typ von Vorgängen ist eine Elektrolyse. Schaltetman die Spannung an den Elektroden ab (oder entfernt die Elektroden), sowird sich das abgeschiedene unedle Metall wieder aufzulösen beginnen.Zusammengefasst gilt, dass bei differentiellen Vorgängen in geschlossenen107


Systemen die folgenden Kriterien gelten⎧ ⎫⎪⎨ < 0 Freiwilligkeit ⎪⎬dw n,rev = = 0 Gleichgewicht⎪⎩ ⎪⎭> 0 Zwang(221)9.2 Die freie Enthalpie und die freie EnergieEin Kriterium auf der Basis einer Prozessgröße ist unpraktisch, weil sichProzessgrößen nicht sinnvoll tabellieren lassen. Man kann auf ihrer Basisalso keine Vorhersagen machen. Für Vorhersagen benötigen wir ein Kriteriumauf der Basis von Zustandsgrößen. Die Prozessgröße Wärme hatten wirbereits zuvor für isobare bzw. isochore Prozesse als eine Änderung der ZustandsgrößenEnthalpie bzw. innere Energie ausgedrückt. Wir müssen jetztalso die reversible Nutzarbeit als Änderung von Zustandsgrößen ausdrücken.Aus Gl. (219) folgtdw n,rev = du−dw p −dq rev . (222)Wir ersetzen die reversibel ausgetauschte Wärme anhand der Entropiedefinitionund die isobare Volumenarbeit durch pdV und erhaltendw n,rev = du+p(dV) p −Tds . (223)Bei isobar-isothermen Prozessen (p und T konstant) kann diese Gleichungeinfach integriert werdenw n,rev = ∆u+p∆V −T∆s = u 2 −u 1 +p(V 2 −V 1 )−T(s 2 −s 1 )= (u 2 +pV 2 −Ts 2 )−(u 1 +pV 1 −Ts 1 ) = g 2 −g 1 . (224)Die Größeg = u+pV −Ts = h−Ts (225)bezeichnen wir als freie Enthalpie. Da h, s und T Zustandsgrößen sind, ist Gibbs free energyg ebenfalls eine Zustandsgröße. Das Symbol g erinnert an Josiah WillardGibbs, der das Konzept einer freien Enthalpie um 1875 zuerst eingeführthat.Für isochor-isotherme Prozesse (V und T konstant) gilt entsprechendw n,rev = ∆u−T∆s = (u 2 −Ts 2 )−(u 1 −Ts 1 ) . (226)108


Die Größef = u−Ts (227)bezeichnen wir als freie Energie. Sie ist ebenfalls eine Zustandsgröße. Helmholtz freeDie entsprechenden totalen Differentiale sindenergydg = du+Vdp+pdV −sdT −Tdsdf = du−sdT −Tds . (228)Unter speziellen Bedingungen ergibt sichdg = du+pdV −Tds = dw n,rev , 〈T,p = const.〉df = du−Tds = dw n,rev , 〈T,V = const.〉 (229)Für diese beiden Arten von Vorgängen haben wir somit neue, einfacher zuhandhabende Kriterien für die Klassifizierung von Prozessen in geschlossenenSystemen. Für isotherm-isobare Vorgänge entspricht⎧ ⎫⎪⎨ < 0 Freiwilligkeit ⎪⎬(dg) T,p = = 0 Gleichgewicht⎪⎩ ⎪⎭> 0 Zwang(230)und für isotherm-isochore Vorgänge entspricht(df) T,V⎧⎪⎨⎪ ⎩< 0 Freiwilligkeit= 0 Gleichgewicht> 0 Zwang⎫⎪⎬⎪⎭(231)Ferner gilt für beliebige isotherme Vorgänge für die gesamte reversibel ausgetauschteArbeit∆f = w rev 〈T = const.〉 (232)und für die reversibel ausgetauschte WärmeT∆s = q rev 〈T = const.〉 (233)Die beiden Prozessgrößen reversible Arbeit und reversible Wärme sind beiisothermen Vorgängen also Änderungen von Zustandsgrößen und damit vomWeg des Vorgangs unabhängig.109


9.3 Die Gibbs’schen FundamentalgleichungenZur praktischen Anwendung der Differentiale (dg) T,p und (df) T,v benötigenwirnochderenAbhängigkeitvondenZustandsvariablen.Haltenwirzunächstalle Stoffmengen konstant, so folgt für Systeme, in denen nur Volumenarbeitausgetauscht werden kann, aus dem ersten Hauptsatz und der Definition derEntropie(du) nm = dq rev +dw rev = Tds−pdV . (234)Lassen wir zusätzlich Änderungen von Stoffmengen zu und definieren daschemische Potential 21 µ i =( ∂u∂n i)s,V,n j(235)so erhalten wir für das totale Differential der inneren Energie als Funktionder Entropie, des Volumens und der Stoffmengen aller beteiligten Stoffedu =( ) ∂uds+∂sV,n i= Tds−pdV + ∑ i( ) ∂udV + ∑ ∂Vs,n i i( ∂u∂n i)s,V,n jdn iµ i dn i . (236)Aus den Beziehungen zwischen den totalen Differentialen du, dh, df und dgerhalten wir weiterhindh = Tds+Vdp+ ∑ iµ i dn idf = −sdT −pdV + ∑ idg = −sdT +Vdp+ ∑ iµ i dn iµ i dn i . (237)Diese Gibbs’schen Fundamentalgleichungen (236,237) beschreiben ganz allgemeindie Änderungen der thermodynamischen Zustandsfunktionen u, h, fund g bei beliebigen reversiblen und irreversiblen Vorgängen in geschlossenenoder offenen Mischphasen. Sie sind auch auf heterogene (mehrphasige)Systeme anwendbar, wenn man über alle Phasen summiert. Damit habenwir einen Satz von Gleichungen, mit dem wir nahezu beliebige in Chemie,Physik und Biologie interessante Vorgänge beschreiben können. Wir müssen21 Die partielle Ableitung bei konstanter Entropie ist keine einfach anwendbare Definition,da man die Entropie nicht willentlich konstant halten kann. Wir werden weiter untenaber sehen, dass das chemische Potential zugleich die partielle molare freie Enthalpie ist.110


in Spezialfällen höchstens noch überlegen, ob es weitere wichtige Zustandvariablengibt (ein Beispiel wäre die Oberfläche einer festen Substanz), fürdie wir zusätzliche Terme zu den Gleichungen hinzufügen müssen.Aus den Gibbs’schen Fundamentalgleichungen können wir die Differentialquotientenablesen, zum Beispiel für die freie Enthalpieund( ) ∂g= −s (238)∂Tp,n i( ) ∂g= V . (239)∂pT,n iMan kann aus ihnen auch weitere interessante Beziehungen herleiten, indemman zum Beispiel den Schwarz’schen Satz 22 darauf anwendet. So folgt durchpartielle Ableitung von g zuerst nach T und dann nach p bzw. zuerst nachp und dann nach T die Maxwell’sche Gleichung( ) ( ) ∂s ∂V= − = −αV (240)∂pT,n i∂Tp,n iund durch partielle Ableitung von f zuerst nach T und dann nach V bzw.zuerst nach V und dann nach T die Maxwell’sche Gleichung( ) ∂s=∂VT,n i( ) ∂p= α (241)∂TV,n iκ TMit diesen Ergebnissen können wir nun die in den kalorischen Zustandsgleichungenbereits verwendeten Gl. (116), (117) und (118) herleiten. Ausfolgt so( ) ∂g=∂pT,n iAnalog erhalten wir aus( ) ∂f=∂VT,n i( ) ∂h−T∂pT,n i22 Schwarz’scher Satz: ∂/∂y(∂f/∂x) = ∂/∂x(∂f/∂y)( ) ∂s= V (242)∂pT,n i( ) ∂h= V(1−αT) . (243)∂pT,n i( ) ( ) ∂u ∂s−T = −p (244)∂VT,n i∂VT,n i111


9.3.1 Das Chemische Potential( ) ∂u= αT −p . (245)∂VT,n iκ TDasinGl.(235)bereitsdefiniertechemischePotentialistdiepartielle molarefreie Enthalpieµ i =( ∂g∂n i)T,p,n j=( ∂h∂n i)s,p,n j=( ∂f∂n i)T,V,n j=( ∂u∂n i)s,V,n j. (246)In Bezug auf h, f und u ist es keine partielle molare Größe, weil deren Definitiondie Konstanz von Temperatur und Druck beinhaltet. Deshalb wirdµ i in der Praxis fast ausschliesslich als Differentialquotient von g diskutiert.Die Definition des chemischen Potentials lautet somit• Das chemische Potential einer Teilchenart in einer Phase ist gleichihrer partiellen molaren freien Enthalpie in dieser Phase.Für Stoffumwandlungsprozesse können wir das totale Differential der freienEnthalpie somit alsdg = −sdT +Vdp+ ∑ iν i µ i dξ (247)schreiben. Der Faktor vor der differentiellen Änderung dξ der Reaktionslaufzahlist die partielle molare freie Reaktionsenthalpie∆ R G =( ) ∂g= ∑ ∂ξT,p iν i µ i . (248)Damit erhalten wir schließlich ein neues Kriterium für die Freiwilligkeit vonStoffumwandlungsprozessen. Es entspricht⎧ ⎫⎪⎨ < 0 Freiwilligkeit ⎪⎬(∆ R G) = 0 Gleichgewicht⎪⎩ ⎪⎭> 0 Zwang.(249)Umschließlich∆ R GaufdiemeßbarenGrößen∆ R H und∆ R S zurückzuführen,betrachtenwirdaschemischePotentialalsSummeandererpartiellermolarerGrößenµ i = U i +pV m,i −TS i = H i −TS i , (250)112


woraus folgt 23und( ) ∂µi= −S i (251)∂Tp,n i( ) ∂µi= V m,i . (252)∂pT,n iDie Summenbildung zu Reaktionsgrößen ergibt damitundsowie∆ R G = ∆ R U +p∆ R V −T∆ R S∆ R G = ∆ R H −T∆ R S (253)( ) ∂∆R G∂T( ) ∂∆R G∂pp,n i= −∆ R S (254)T,n i= ∆ R V . (255)Eine besonders wichtige Form von Gl. (253) ist diejenige für Standardbedingungen∆ R G ❝ = ∆ R H ❝ −T∆ R S ❝ . (256)Auf der Grundlage dieser Gleichung werden wir schließlich Gleichgewichtskonstantenberechnen können.Auf der Grundlage des chemischen Potentials können wir auch eine Bedingungfür ein währendes Gleichgewicht definieren. Bei gegebener TemperaturT und gegebenem Druck p kann nach der Gibbs’schen Fundamentalgleichungdie Gleichgewichtsbedingung dg = 0 nur dann erhalten bleiben, wenndie Summe ∑ i ν iµ i unverändert bleibt. Die Ableitung jedes Summanden istν i dµ i , weil ν i konstant ist. Das Gleichgewicht wird nur dann erahlten bleiben,wenn diese Ableitung Null ist, weil sich nur dann die Summe nichtändert. Daher gilt∑ν i dµ i = 0 . (257)Speziell für ein Phasengleichgewicht gilt wegen ν ′ i = −1,ν′′ i = 1idµ ′ i = dµ ′′i . (258)23 Das ist leicht zu sehen, wenn man in der Gibbs’schen Fundamentalgleichung für dgzu partiellen molaren Größen übergeht.113


9.3.2 Entropieproduktion als Funktion des chemischen PotentialsUm die Entropieproduktion durch eine irreversible chemische Reaktion zuquantifizieren, muss der Beitrag des chemischen Potentials in zwei Teilbeiträgezerlegt werden (Théophile De Donder). Diese Teilbeiträge entsprechendem Stoffaustausch mit der Umgebung ∑ i d en i , der nur in offenen Systemenauftritt, und der Stoffmengenänderung durch die irreversible chemischeReaktion innerhalb des Systems ∑ i d in i . Durch Umstellen der Gibbs’schenFundamentalgleichung für du (Gl. (236)) nach ds erhalten wirds = du+pdvT− ∑ iµ i dn iT(259)Damit sind die Entropieänderung durch Energie- und Stoffaustausch mit derUmgebung durchd e s = du+pdvT− ∑ iµ i d e n iT(260)und die Entropieänderung durch irreversible Prozesse innerhalb des Systemsdurchd i s = − ∑ iµ i d i n iT(261)gegeben, wobei wir in Gl. (261) angenommen haben, dass keine Entropiebeiträgedurch weitere themodynamische Flüsse außer der Reaktion auftreten.Anderenfalls müssen weitere Terme gemäß Gl. (184) hinzugefügt werden.Während das Vorzeichen von d e s je nach Prozess verschieden sein kann, giltfürjedefreiwilligablaufendeReaktiond i s > 0undimGleichgewichtd i s = 0.9.3.3 Die Affinität als ZustandsgrößeIn der irreversiblen <strong>Thermodynamik</strong> wird der durch chemische Reaktionenbedingte thermodynamische Fluss mit der von De Donder eingeführten AffinitätA ausgedrückt. Die AffinitätA = − ∑ iν i µ i = −∆ R G (262)stimmtformellbisaufdasVorzeichenmitderinGl.(248)eingeführtenpartiellenmolaren freien Reaktionsenthalpie ∆ R G. Konzeptionell besteht jedochein Unterschied. Die klassische <strong>Thermodynamik</strong> beschreibt ausschließlichGleichgewichtszustände und ∆ R G ≠ 0 entspricht einem Nichgleichgewichts-114


zustand. Deshalb darf nur das Vorzeichen von ∆ R G ausgewertet werdenoder aus der Bedingung ∆ R G = 0 die Lage des Gleichgewichts berechnetwerden. Dagegen ist im Rahmen der irreversiblen <strong>Thermodynamik</strong> die AffinitätA auch fernab vom Gleichgewicht eine wohldefinierte Größe, derenZahlenwert eine Bedeutung hat, wie wir gleich sehen werden. Da A durchdie chemischen Potentiale vollständig definiert ist, handelt es sich zudem umeine Zustandsfunktion.Mit der in Gl. (262) gegebenen Definition der Affinität und der in Abschnitt4.2 eingeführten Reaktionslaufzahl ξ erhalten wir aus Gl. (261) und d i n i =ν i dξ für die Geschwindigkeit der Entropieproduktiond i sdt = A dξT dt = A T r , (263)wobei wir Gl. (76) verwendet haben, um die Geschwindigkeit der Entropieproduktionzur Reaktionsgeschwindigkeit r in Beziehung zu setzen. Hierist die Reaktionsgeschwindigkeit r der thermodynamische Fluss und A/Tdie thermodynamische Kraft. Wegen d i s > 0 und der Unumkehrbarkeit deszeitlichen Verlaufs (dt > 0) gilt offenbar d i s/dt > 0.Die Reaktionsgeschwindigkeit kann nicht allgemein durch die Affinität ausgedrücktwerden, sie verbindet lediglich Affinität und Geschwindigkeit derEntropieproduktion. Die theoretische Vorhersage oder experimentelle Ermittlungvon Reaktionsgeschwindigkeitsgesetzen ist Gegenstand des Vorlesungskursesüber chemische Kinetik.Affinitäten sind additiv, d. h. die Affinität einer Folgereaktion ist die Summeder Affinitäten der einzelnen Schritte.Bei mehreren im System simultan (parallel) ablaufenden Reaktionen giltd i sdt = ∑ kA kT r k ≥ 0 . (264)Der Index k bezeichnet die einzelnen Reaktionen. Da für einen freiwilligenAblauf nur die Summe größer als Null sein muss, nicht aber ihre einzelnenGlieder, kann eine erste Reaktion mit großer positiver Affinität A k bewirken,dass eine zweite mit kleinerer negativer Affinität A j abläuft. In Abwesenheitder ersten Reaktion würde die zweite Reaktion wegen ihrer negativenAffinität dagegen nicht freiwillig ablaufen. Eine solche Kopplung von Reaktionentritt in biologischen Systemen häufig auf. In der Regel wird dabei die coupling of reactionsHydrolyse von Adenosintriphosphat (ATP) zu Adenosindiphosphat (ADP)115


und Phosphationen mit einer positiven Affinität genutzt, um Reaktionenoder Transportvorgänge mit negativer Affinität zu treiben.9.3.4 Konzentrationsabhängigkeit des chemischen Potentials. Fugazitätund AktivitätFür die Betrachtung physikalischer Prozesse und chemischer Umwandlungenist die Abhängigkeit des chemischen Potentials einer Komponente von ihrerKonzentrationvonbesonderemInteresse.DieKonzentrationvonGasenlässtsich am Bequemsten mit ihrem Partialdruck p i ausdrücken. Das chemischePotential eines reinen Gases bei einem beliebigen Druck p kann aus demchemischen Standardpotential durchµ i = µ ❝ ∫ pi +p ❝V m,idp ′ 〈T = const.〉 (265)berechnet werden, wobei p ❝ der Standarddruck ist. Für ideale Gase könnenwir das Volumen durch die Zustandsgleichung des idealen Gases ausdrückenund finden∫ pip ❝ V m,idp = RT∫ pip ❝ dpp = RT ln p ip ❝ . (266)DieKonzentrationsabhängigkeitdeschemischenPotentialseinesreinen idealenGases wird also durchµ i = µ ❝i +RT ln p ip ❝ (267)beschrieben. In Gasmischungen ist p i als Partialdruck zu interpretieren. Wegenp i = x i p und x ❝i = 1 folgt dannµ i = µ ❝i +RT ln pp ❝ +RT lnx i , (268)wobei der letzte Term auf der rechten Seite als Beitrag der Mischungsentropieinterpretiert werden kann.FürrealeGasewirdbereitsdieDruckabhängigkeitdeschemischenPotentialsfür das reine Gas komplizierter. Man behilft sich, indem man anstelle des116


(Partial)drucks p i die Fugazität ψ i definiert. In der Definition istψ i = f ψ,i p i (269)wird der Korrekturfaktor f ψ,i als Fugazitätsfaktor bezeichnet. Für p → 0gilt f ψ,i → 1, weil sich das Verhalten des realen Gases dann demjenigendes idealen Gases annähert. Für höhere Drücke sind Fugazitätsfaktoren tabelliert,weil sie für technische Anwendungen von Bedeutung sind. Für einreines reales Gas gilt dann anstelle von Gl. (267)µ i = µ ❝i,∗ +RT ln ψ ip ❝ (270)Für beliebige Stoffe in idealen Mischphasen gilt wegen des Beitrags der Mischungsentropieµ i = µ ❝∗i +RT lnx i . (271)Auch hier berücksichtigt man Abweichungen vom idealen Verhalten furcheinen Korrekturfaktor, den Aktivitätskoeffizienten f x,i und definiert die MolenbruchaktivitätDamit gilt dann in nichtidealen Mischungena x,i = f x,i x i . (272)µ i = µ ❝∗i +RT lna x,i 〈T = const. ,p = p ❝ 〉 . (273)Aktivitätskoeffizienten sind selten bekannt. Sie liegen in Mischungen um sonäher bei dem Wert f x,i = 1, um so idealer sich die Mischung verhält. Inverdünnten Lösungen definiert man besser das chemische Potential des StoffesinderunendlichverdünntenLösung(alsofürxi → 0))alsReferenzzustandund schreibtµ i = µ ❝∗∞i +RT lna x∞,i , (274)wobeia x∞,i = f x∞,i x i (275)ist. In Gl. (274) ist µ ❝∗∞i als chemisches Potential bei der Aktivität a x∞,i = 1zu interpretieren, mit der Nebenbedingung dass der Aktivitätskoeffizientf x∞,i für unendliche Verdünnung asymptotisch gegen den Wert 1 strebt.117


Ein solches asymptotisches Verhalten ergibt sich daraus, dass bei hohenVerdünnungendieWechselwirkungenzwischengelöstenTeilchenvernachlässigbarwerden.An diesem Punkt haben wir das gesamte allgemeine Instrumentarium derklassischenphänomenologischenGleichgewichts-<strong>Thermodynamik</strong>entwickelt,das wir für die Betrachtung der für den Chemiker wichtigsten Vorgängebenötigen. Wir können uns jetzt Phasenumwandlungen, Mischphasen undschliesslich chemischen Reaktionen zuwenden.Zum NachlesenAtkins,2001: S. 140–166Engel/Reid,2006: S. 140–149Kondepudi,2008: p. 141–160118


10 Physikalische Umwandlungen reiner Stoffe10.1 Phasendiagramme10.1.1 AllgemeinesDie Stoffe, mit denen ein Chemiker zu tun hat, können in verschiedenenAggregatzuständen existieren, was man sich oft zunutze macht, um sie voneinanderzu trennen bzw. zu reinigen. Die Struktur eines reinen Stoffes istaberdurchdieAngabedesAggregatzustandsnochnichteindeutigfestgelegt.So kann zum Beipiel fester reiner Kohlenstoff unter anderem als Diamantoder Graphit vorkommen, dabei handelt es sich um verschiedene Modifikationendes gleichen Elements. Bei Verbindungen nennt man das Auftretenverschiedener kristalliner Modifikationen Polymorphie, bei Elementen Allotropie.Die einzelnen Modifikationen des gleichen Stoffes sind verschiedenfestePhasen.DagegengibtesprinzipiellnureineGasphaseeinesreinenStoffesund in der Regel auch nur eine flüssige Phase. Die Ausnahme von derletzten Regel sind flüssigkristalline Verbindungen, die im flüssigen Zustandverschiedene Ordnungsphänomene aufweisen. Jede dieser speziellen Anordnungenbildet dann eine eigene flüssige Phase, die isotrope ( ungeordnete“) ”Flüssigkeit ist eine weitere flüssige Phase.Um die Übersicht über die Existenzbedingungen all dieser Phasen zu behalten,sind Phasendiagramme praktisch. Ein Phasendiagramm gibt an, welchePhase bei einer bestimmten Temperatur T und bei einem bestimmtenDruck p die jeweils stabilste ist. Das kann man feststellen, indem man füralle Phasen die chemischen Potentiale als Funktion von p und T berechnet:die stabile Phase ist diejenige mit dem kleinsten chemischen Potential. Fürden einfachsten Fall von nur je einer festen, flüssigen und gasförmigen Phaseist ein solches Phasendiagramm schematisch in Abb. 11 dargestellt.Es gibt nur einen Punkt, an dem die Gasphase, flüssige Phase und derFestkörper gleichzeitig nebeneinander vorliegen können. Für Wasser liegtdieser Tripelpunkt bei p = 611.657 ± 0.010 Pa und T = 273.16 K. Überdiesen einfach erreichbaren Tripelpunkt von Wasser ist die thermodynamischeTemperaturskala definiert. Für Drücke, die kleiner sind als der Druckam Tripelpunkt, kann keine flüssige Phase existieren, vielmehr befindet sichdann höchstens die feste Phase im Gleichgewicht mit der Gasphase.Für sehr hohe Temperaturen und Drücke kann man eine flüssige Phase undeineGasphasenichtmehrunterscheiden,esgibtnureinefluide Phase.Dieser119


pFeststoffTripelpunktFlüssigkeitkritischerPunktGasTAbb. 11: Schematisches Phasendiagramm eines reinen Stoffes.Zustand wird als überkritischer Zustand bezeichnet. Am kritischen Punkt supercriticalgleichen sich die Eigenschaften der Gasphase und Flüssigphase (zum BeispielBrechungsindex und Dichte) einander an. Dieser kritische Punkt liegtfür Wasser bei p = 22.12 MPa und T = 647.3 K. Die Dichte von Wasserbeträgt an diesem Punkt 0.317 g cm −3 , also etwa 31.7% der Dichtebei Raumtemperatur und Normaldruck. Überkritische Fluide sind sehr guteLösungsmittel. So löst überkritisches Wasser SiO 2 , während überkritischesCO 2 zum Beispiel zur Extraktion von Koffein aus Kaffee benutzt wird.Am Phasendiagramm kann man sich auch die verschiedenen Phasenumwandlungenverdeutlichen (Abb. 12). So lässt sich zum Beispiel eine Sublimationisobar auf dem Weg A-B durch Temperaturerhöhung oder isothermauf dem Weg C-B durch Druckerniedrigung erreichen. Das Phasendiagrammgibt an, welche Phase bei einer bestimmten Temperatur und einem bestimmtenDruck thermodynamisch stabil ist. Ob der Phasenübergang beieiner Änderung von p oder T aber tatsächlich stattfindet, ist eine kinetischeFrage. So können viele Flüssigkeiten, zum Beispiel auch reines Ethanol,ohne weiteres unter ihren Schmelzpunkt abgekühlt werden, ohne dasssie kristallisieren würden. Man kann sich also von einem Punkt E bis zumPunkt D im Phasendiagramm bewegen und die thermodynamisch instabileflüssige Phase kann immer noch vorliegen. Man bezeichnet sie dann als unterkühlteFlüssigkeit. Eine unterkühlte Flüssigkeit kristallisiert in der Regelschlagartig, wenn man sie mit einem kleinen Kriställchen der thermodyna-120


p(s)CDGFE(l)I JKHAB(g)TAbb. 12: Phasenumwandlungen: A-B isobares Sublimieren, C-B isothermes Sublimieren,D-E isobares Schmelzen, G-F isothermes Schmelzen, I-H isothermes Verdampfen,J-K isobares Verdampfen.misch stabilen Festphase impft oder auf eine andere Weise die Bildung vonKristallisationskeimen erreicht. Phasenumwandlungen zwischen verschiedenenFestphasen (z.B. Graphit und Diamant) sind in der Regel unmessbarlangsam. In diesem Falle kann die thermodynamisch instabile Phase für allepraktischen Zwecke stabil sein. Man bezeichnet sie dann als eine metastabilePhase.10.1.2 PhasengrenzlinienDie verschiedenen Bereiche des Phasendiagramms werden durch Phasengrenzlinienvoneinander getrennt. Jeder Punkt einer Phasengrenzlinien entsprichteinem Wertepaar (p,T), für das (mindestens) zwei Phasen miteinanderim Gleichgewicht stehen. Die Phasengrenzline fest/flüssig [(s)/(l)]stellt somit die Abhängigkeit des Schmelzpunkts vom Druck dar, sie wirdals Schmelzdruckkurve bezeichnet. Die Grenzlinie flüssig/gasförmig [(l)/(g)]stellt die Abhängigkeit des Dampfdrucks von der Temperatur dar und wirdalsDampfdruckkurve bezeichnet. Schließlich stellt dieGrenzliniefest/gasförmig[(s)/(g)] die Abhängigkeit des Sublimationsdrucks von der Temperaturdar und ist die Sublimationsdruckkurve.121


10.1.3 Erhitzen von Flüssigkeiten in offenen und geschlossenenGefäßenErhitzt man eine Flüssigkeit in einem offenen Gefäß, so entspricht das einerTemperaturerhöhung unter isobaren Bedingungen. Man bewegt sichdann parallel zur T-Achse, also waagerecht im Phasendiagramm, zum Beispielvon Punkt J nach Punkt K in Abb. 12. Am Kreuzungspunkt mit derDampfdruckkurve kann weitere Wärme zugeführt werden, ohne dass sichzunächst die Temperatur ändert. Man hat die Siedetemperatur erreicht unddie Flüssigkeit siedet, bis die flüssige Phase völlig verschwunden ist.Erhitzt man die Flüssigkeit dagegen in einem geschlossenen Gefäß, so findetein vollständiger Siedevorgang nicht statt. Die Flüssigkeit beginnt zu verdampfen,wodurch sich der Druck der Gasphase erhöht. Das System bewegtsich jetzt auf der Dampfdruckkurve zu höheren Drücken und Temperaturen,solange noch Flüssigkeit vorhanden ist. Bei diesem Vorgang erhöht sich dieStoffmengedesreinenStoffsinderGasphase,diejenigeinderflüssigenPhasenimmt entsprechend ab. Es liegt ständig ein Gleichgewicht zwischen beidenPhasen vor. Ist eine ausreichende Menge der flüssigen Phase vorhanden,so erreicht man schließlich den kritischen Punkt p krit ,T krit . Oberhalb seinerkritischen Temperatur T krit existiert für den Stoff bei keinerlei Druck eineflüssige Phase. Das Gefäß ist von einer einzigen homogenen Phase erfüllt,die Grenzfläche verschwindet.Zum NachlesenAtkins,2001 S. 173–179Engel/Reid,2006: S. 198–210Kondepudi,2008 p. 233–23410.2 Thermodynamische Erklärung von PhasenübergängenWie schon bemerkt, liegt auf den Phasengrenzlinien ein Gleichgewicht zwischenzwei Phasen und dementsprechend am Tripelpunkt ein Gleichgewichtzwischen drei Phasen vor. Allgemein folgt aus dem Gleichgewichtskriterium• Im Gleichgewicht ist das chemische Potential eines Stoffes überall imSystem gleich groß, unabhängig davon, wie viele Phasen existieren.Befindet man sich auf der Schmelzkurve, so ist das chemische Potential imGleichgewicht also in jedem Punkt der Schmelze (Flüssigkeit) und in jedem122


Punkt des Feststoffs das gleiche. Gäbe es räumliche Unterschiede im chemischenPotential, so würde es zu freiwilligem Stofftransport kommen. Gäbees einen Unterschied des chemischen Potentials zwischen den Phasen, würdezum Ausgleich ein Teil der Phase mit höherem chemischen Potential in dieandere Phase umgewandelt. Es würde also zum Phasenübergang kommen.10.2.1 Die Temperaturabhängigkeit der Stabilität von PhasenDas chemische Potential eines Stoffes ist seine partielle molare freie Enthalpie(Abschnitt 9.3.1). Aus (∂G/∂T) p = −S folgt( ) ∂µi= −S i . (276)∂Tp,n jDa S ∗ nach der Planck’schen Definition grundsätzlich positiv ist, sinkt alsodas chemische Potential eines reinen Stoffes grundsätzlich mit steigenderTemperatur. Ferner ist S(g) grundsätzlich größer als S(l), so dass µ i,∗ mitsteigender Temperatur für die Gasphase schneller fällt als für die flüssigePhase. In der Regel ist auch S(l) größer als S(s). Bei hinreichend hoherTemperatur ist deshalb das chemische Potential der Gasphase am niedrigsten.10.2.2 Die Druckabhängigkeit von Schmelzpunkt und DampfdruckDie Druckabhängigkeit des chemischen Potentials ist durch( ) ∂µi= V m (277)∂pT,n jgegeben. In der Regel ist das Molvolumen der festen Phase kleiner als dasjenigeder flüssigen Phase. Bei einer Druckerhöhung wächst also das chemischePotential der festen Phase weniger stark als dasjenige der flüssigen Phase.Um das Gleichgewicht aufrechtzuerhalten, muss das durch eine Temperaturerhöhungausgeglichen werden, der Schmelzpunkt erhöht sich also mitsteigendem Druck. Allerdings ist Wasser eine Ausnahme, da dessen flüssigePhase dichter ist als Eis.Der Druck p der Gasphase muss nicht notwendigerweise gleich dem Druckder flüssigen Phase sein. Zum Beispiel kann der Gasphase ein Inertgas beigemischtsein, das weder mit dem Dampf des betrachteten Stoffes wechselwirkt,noch sich in dessen flüssiger Phase löst. Der Dampfdruck ist dann der123


Partialdruck p i der gasförmigen Phase des betrachteten Stoffes, während erin Abwesenheit des Inertgases der Gesamtdruck p i,∗ wäre.10.2.3 Die Lage der PhasengrenzlinienVorhersagen kann man ein Phasendiagramm, indem man die Lage der Phasengrenzlinienberechnet. Für ein Phasengleichgewicht muss laut Gl. (258)geltenµ ′ (p,T) = µ ′′ (p,T) . (278)Angenommen, wir kennen einen Punkt (p 0 ,T 0 ) der Phasengrenzlinie, beispielsweisedurch eine experimentelle Bestimmung. Zur Veranschaulichungist es am günstigsten, den Tripelpunkt als diesen Ausgangspunkt zu wählen.Wir können dann der Phasengrenzlinie folgen, falls wir dp/dT kennen. Beiden differentiellen Änderungen von p und T treten differentielle Änderungenvon µ ′ und µ ′′ auf. Da das Gleichgewicht auf jedem Punkt der Phasengrenzlinieerhalten bleibt, muss auch dµ ′ =dµ ′′ gelten. Ferner wissen wir aus denGl. (251) und (252), dass für beide Phasen mit der molaren Entropie S desStoffes und dessen Molvolumen V m giltdµ = −SdT +V m dp , (279)alsoDaraus folgt−S ′ dT +V ′ mdp = −S ′′ dT +V ′′mdp . (280)(V′′m −V ′ m)dp =(S ′′ −S ′) dT (281)und schließlich die Clapeyron’sche GleichungdpdT = ∆S , (282)∆V mwobei ∆S und ∆V m die Änderungen der molaren Entropie und des molarenVolumens des Stoffes während des Phasenübergangs sind.Die Phasengrenzlinie fest/flüssig. Die Schmelzentropie ist der Quotient ausder Schmelzenthalpie und der Schmelztemperatur. Aus der Clapeyron’schenGleichung folgt damitdpdT = ∆ fH. (283)T∆ f V m124


Trennung der Variablen p und T und Integration ergibtNahe T 0 kann man nähernp = p 0 + ∆ ( )fH Tln∆ f V m T 0. (284)( ) ( Tln = ln 1+ T −T )0≈ T −T 0, (285)T 0 T 0 T 0so dass sich eine Geradengleichung ergibtp ≈ p 0 + ∆ fHT 0 ∆ f V m(T −T 0 ) . (286)Da ∆ f V m klein ist, ist die Steigung dieser Gerade sehr groß (siehe Abb. 11).Die Phasengrenzlinie flüssig/gasförmig In die Clapeyron’schen Gleichungsind hier die Verdampfungsenthalpie ∆ v H und das Verdampfungsvolumen∆ v V m einzusetzen,dpdT = ∆ vH. (287)T∆ v V mDa diese beiden Größen positiv sind, ist die Steigung der Phasengrenzlinieflüssig/gasförmig immer positiv. Weil ∆ v V m aber viel größer ist als ∆ f V m ,ist die Steigung dieser Phasengrenzlinie viel kleiner als diejenige der Phasengrenzliniefest/flüssig.Vernachlässigen wir nun in guter Näherung das Molvolumen der Flüssigkeitgegenüber demjeniges des Gases und nähern letzteres durch die Zustandsgleichungdes idealen Gases als V m (g) = RT/p, so erhalten wir die Clausius-Clapeyron’sche GleichungdlnpdT = ∆ vHRT 2 . (288)In einem hinreichend kleinen Temperaturbereich, in dem ∆ v H temperaturunabhängigist, ergibt sichp = p 0 e −χ , (289)wobeiχ = ∆ vHR( 1T − 1 T 0)(290)ist. Nahe des kritischen Punkts ist die Näherung nicht sehr gut, weil dannweder die Annahme eines idealen Gases noch die Vernachlässigung des Mol-125


volumens der Flüssigkeit gegenüber demjenigen des Gases möglich sind. Amkritischen Punkt endet die Phasengrenzlinie.Die Phasengrenzlinie fest/gasförmig Alle Betrachtungen für die Phasengrenzlinieflüssig/gasförmig lassen sich übernehmen, indem die Verdampfungsenthalpie∆ v H durch die Sublimationsenthalpie ∆ sub H ersetzt wird.Näherungsweise gilt also analog zur Clausius-Clapeyronschen GleichungdlnpdT = ∆ subHRT 2 (291)und damitp = p 0 e −χ , (292)wobeiχ = ∆ subHR( 1T − 1 T 0). (293)Da die Sublimationsenthalpie größer ist als die Verdampfungsenthalpie istamTripelpunktauchdieSteigungderPhasengrenzliniefest/gasförmiggrößerals diejenige der Phasengrenzlinie flüssig/gasförmig.10.2.4 Klassifikation der Phasenübergänge nach EhrenfestWennmanPhasenübergängezwischenverschiedenenAggregatzuständenbzw.zwischenverschiedenenModifikationinnerhalbeinesAggregatzustandsbeobachtet,dann bemerkt man, dass sich bestimmte Zustandsvariablen im erstenFall sprunghaft ändern, während im zweiten Fall nur ihre Ableitung einenSprung aufweist. Es ist deshalb praktisch, Phasenübergänge in zwei Klasseneinzuordnen. Als Kriterium für die Zuordnung zu den Klassen kann dieÄnderung des Verhaltens des chemischen Potentials beim Phasenübergangherangezogenwerden.DarausergibtsicheineKlassifikationderPhasenübergänge,die auf Ehrenfest zurückgeht.Wir betrachten dafür zunächst die Ableitungen des chemischen Potentialsnach den relevanten Zustandsvariablen p und T. Es gilt( ) ( ) dµ′′ dµ′−dpTdp( ) ( ) dµ′′ dµ′−dT dTpTp= V ′′m −V ′ m = ∆ trans V m= −S ′′ +S ′ = −∆ trans S = − ∆ transHT. (294)Für Änderungen von Aggregatzuständen sind sowohl ∆ trans V m als auch∆ trans S von Null verschieden. Damit ändert sich am Phasenübergang die126


Steigung des chemischen Potentials. Betrachtet man also für einen Stoff daschemische Potential µ als Funktion der Temperatur bei konstantem Druck,so wird die Kurve beim Phasenübergang einen Knick aufweisen. Einen derartigenPhasenübergang mit einer Unstetigkeit der ersten Ableitung deschemischen Potentials bezeichnet man als Phasenübergang erster Ordnung.Für einen solchen Phasenübergang erster Ordnung hat bei der Phasenübergangstemperaturdie Wärmekapazität bei konstantem Druck C p =dH/dTeine Unendlichkeitsstelle, weil eine infinitesimal kleine Temperaturänderungzu einer endlichen Änderung der Enthalpie führt. Diese unendlich hoheWärmekapazität am Punkt des Phasenübergangs ist ein weiteres Merkmaleines Phasenübergangs erster Ordnung. Die Zustandsvariablen V, H und Sweisen Sprungstellen auf. In der modernen Formulierung ist der entscheidendePunkt für die Klassifikation als Phasenübergang erster Ordnung dielatente Wärme der Phasenumwandlung, also die Diskontinuität von H.Bei einem Phasenübergang zweiter Ordnung ist die Steigung des chemischenPotentials stetig, nicht aber dessen zweite Ableitung. Bei einem solchenÜbergang ändern sich weder das Volumen V, noch die Entropie S noch dieEnthalpie H bei der Phasenübergangstemperatur. Es ändern sich aber dieAbleitungen dieser drei Größen nach der Temperatur. Die WärmekapazitätC p hat keine Unendlichkeitsstelle, sie macht aber einen Sprung. Ein Beispielfür einen solchen Phasenübergang ist die Umwandlung der normalleitendenPhase von Metallen in eine supraleitende Phase bei tiefer Temperatur oderdie Umwandlung ferromagnetischen Eisens in nicht ferromagnetisches Eisenbei der Curie-Temperatur. Am kritischen Punkt ist der Phasenübergangflüssig-gasförmig ein Phasenübergang zweiter Ordnung. Phasenübergängezweiter Ordnung werden auch als kontinuierliche Phasenübergänge bezeich- continuous phasenet.transitionsZum NachlesenAtkins,2001: S. 173–190Engel/Reid,2006: S. 211–215Wedler,1997: S. 299–309Kondepudi,2008: p. 215–236127


11 Thermodynamische Beschreibung von MischungenIm Folgenden wiederholen sind einige Konzepte im Zusammenhang dargestellt,die an anderer Stelle bereits eingeführt wurden. Zudem werden dieseKonzepte durch die Gibbs-Duhem-Gleichung in einen Zusammenhang gebrachtund es wird der Begriff der Exzessgröße eingeführt.11.1 Partielle molare GrößenAllgemein kann eine Phase aus mehreren Komponenten bestehen, so z. B.eine feste Legierung aus mehreren Metallen, eine Lösung aus einem Gemischmehrerer Lösungsmittel und mehrerer gelöster Stoffe und eine Gasphasewie Luft aus mehreren Gasen. Durch Messungen ist es ohne Weiteresmöglich, thermodynamische Größen der Phase zu bestimmen. Bei Stoffumwandlungen,zum Beispiel Phasenumwandlungen und Reaktionen, verhaltensich aber die einzelnen Komponenten unterschiedlich. Für eine Beschreibungsolcher Prozesse ist es deshalb nötig, die thermodynamischen Größen für dieeinzelnen Komponenten der Mischphase zu betrachten. Diese Größen werdenalspartielleGrößenbezeichnet.WirkennenbereitsdenPartialdruckvon partialGasen als eine solche partielle Eigenschaft. Der Gesamtdruck ist die Summealler Partialdrücke. Das gilt ganz allgemein- die entsprechende Größe derMischphase ist die Summe der partiellen Größen aller Komponenten.Bei extensiven Größen, wie der Enthalpie, Entropie oder der freien Energieist es praktisch, mit partiellen molaren Größen zu arbeiten, das heißt, dieGröße außerdem auf die Stoffmenge zu normieren. Mit dem chemischen Potentialhaben wir bereits eine solche partielle molare Größe kennengelernt,nämlich die partielle molare freie Enthalpie. Anschaulicher ist das partiellemolare Volumen. Wenn man ein Mol Wasser in ein Schwimmbeckenmit einer Wassertemperatur von 25 ◦ C gießt und den Wasserstand davorund danach misst, findet man eine Volumenzunahme um 18 cm 3 . Füllt mandas Schwimmbecken dagegen mit reinem Ethanol 24 und gibt dann ein MolWasser zu, so nimmt das Volumen nur um 14 cm 3 zu. Die Ursache ist eineandere Geometrie des Wasserstoffbrückennetzwerks für ein Wassermolekülin reinem Wasser und für ein Wassermolekül, das nur von Ethanolmolekülenumgeben ist. Das Molvolumen von reinem Wasser beträgt also 1824 Sicherheitshinweis: In einem solchen Schwimmbecken sollten Sie nicht schwimmen.128


cm 3 mol −1 , das partielle Molvolumen von Wasser in Ethanol bei unendlicherVerdünnung aber nur 14 cm 3 mol −1 .Das partielle Molvolumen einer Komponente in einer Mischung hängt allgemeinvon der Zusammensetzung der Mischung ab. Es ist durchV m,i =( ∂V∂n i)p,T,n j, j ≠ i (295)definiert. Allgemein beziehen sich partielle molare Größen auf konstantenDruck und konstante Temperatur. Variiert man die Zusammensetzung derMischung, so ist die differentielle Volumenänderung dV durchdV = ∑ iV m,i dn i (296)gegeben. Sind die partiellen molaren Volumina aller Komponenten bei derbetrachteten Zusammensetzung der Mischung und dem gegebenen Druckund der gegebenen Temperatur bekannt, so kann das Mischungsvolumennach der GleichungV = ∑ n i V m,i (297)iberechnet werden.Partielle molare Größen können durch Messung der jeweiligen Größe derMischphase in Abhängigkeit von der Zusammensetzung bestimmt werden.So kann zum Beispiel das partielle Molvolumen einer Komponente in einerMischphase bestimmt werden, indem man das Volumen der Mischung alsFunktion der Stoffmenge dieser Komponente ausdrückt und dann Gl. (295)anwendet.Partielle molare Größen können auch dann negativ (oder gleich Null) sein,wenn die entsprechende thermodynamische Größe grundsätzlich positiv ist,wie zum Beispiel das Volumen oder die Entropie. So nimmt zum Beispielder Wasserstand im Schwimmbecken ganz leicht ab, wenn ein Mol MgSO 4aufgelöst wird, das Volumen wird um 1,4 cm 3 kleiner. Dementsprechendbeträgt das partielle molare Volumen von MgSO 4 in Wasser bei unendlicherVerdünnung -1,4 cm 3 mol −1 . Die Wassermoleküle sind in der Umgebung derIonen, also in den Solvathüllen, so viel dichter gepackt als in reinem Wasser,dass das zusätzliche Volumen der Ionen dadurch überkompensiert wird.129


11.1.1 Die Gibbs-Duhem’sche GleichungAnalog zu Gl. (296) gilt für die freie Enthalpie einer Mischungg = ∑ in i µ i . (298)Das totale Differential der freien Enthalpie bei konstanter Temperatur undkonstantem Druck ist daher durchdg = ∑ iµ i dn i + ∑ in i dµ i (299)gegeben. Andererseits erhalten wir aus der Gibbs’schen Fundamentalgleichungfür die freie Enthalpie, Gl. (237), bei konstanter Temperatur undkonstantem Druckdg = ∑ µ i dn i . (300)iDurch Gleichsetzen der Gleichungen (299) und (300) erhalten wir die Gibbs-Duhem-Gleichung∑n i dµ i = 0 . (301)iDiese Gleichung beschreibt die Änderung chemischer Potentiale in einer Mischungbei konstanter Temperatur und konstantem Druck. Nimmt zum Beispielin einer binären Mischung das chemische Potential einer Komponenteab, so muss dasjenige der anderen Komponente entsprechend zunehmen. Eininteressantes Anwendungsbeispiel finden Sie in Engel/Reid, 2006 auf Seite242. Analoge Gleichungen gelten für andere partielle molare Größen, zumBeispiel∑n i dV m,i = 0 . (302)i11.2 Das chemische Potential von MischungskomponentenUm Mischungen im Gleichgewicht beschreiben zu können, müssen wir daschemische Potential der Komponenten verstehen. Dazu benötigen wir allgemeineGleichungen für die Abhängigkeit des chemischen Potentials vonZusammensetzungsgrößen.130


11.2.1 Das chemische Potential von GasenEs ist praktisch, die Zusammensetzung von Gasmischungen durch die Partialdrückep i auszudrücken. Wir betrachten also zunächst die freie Enthalpieeines reinen idealen Gases in Abhängigkeit vom Druck. Gehen wir vom Standarddruckp ❝ aus, so gilt⎛ ⎞g(p) = g(p ❝ ∫ p)+ = g(p ❝ ∫ pdp ′)+nRTp ❝Vdp′ p ❝ p = g(p ❝ )+nRT ln⎝ p ⎠ .p ❝(303)Die Ableitung von g bei konstantem Druck p und konstanter Temperatur Tnach der Stoffmenge ergibt für das chemische Potential eines idealen Gases⎛ ⎞µ = µ ❝ +RT ln⎝ p ⎠ (304)p ❝Per Definition wechselwirken die Moleküle idealer Gase nicht miteinander,das chemische Potential in der Mischphase ist daher gleich dem chemischenPotential des reinen Gases beim entsprechenden Druck. Der Druck p mussalso lediglich durch den Partialdruck p i = x i p ersetzt werden⎛ ⎞µ i = µ ❝i +RT ln⎝ p i⎠ = µ ❝p ❝i +RT ln⎛⎝ pp ❝ ⎞⎠+RT lnx i . (305)Um reale Gase zu behandeln, führt man einen korrigierten Partialdruck, dieFugazität ψ i = f ψ,i p i ein. Der Fugazitätsfaktor f ψ,i ist dimensionslos undcharakterisiert die Abweichung vom idealen Verhalten.11.2.2 Das chemische Potential flüssiger PhasenAuchinflüssigenMischphasenistessinnvoll,sichaufeinenStandardzustandzu beziehen. Diesen Standardzustand kennzeichnen wir durch einen Index∗ und definieren ihn als den Zustand des reinen Stoffes bei der gleichenTemperatur, dem gleichen Druck und im gleichen Aggregatzustand wie inder Mischphase. Für ideale Mischungen können wir dann ganz allgemeinschreibenµ i = µ ∗,i +RT lnx i . (306)131


Eine ideale Mischung ist dadurch gekennzeichnet, dass die Wechselwirkungzwischen den Teilchen verschiedener Komponenten der Mischung die gleicheist wie zwischen den Teilchen ein und derselben Komponente. Auch hierkann man einen Korrekturfaktor einbringen, um Abweichungen vom idealenVerhalten zu beschreiben. Man ersetzt dann den Molenbruch durch dieMolenbruchaktivität a x,i = φ i x i .Für eine ideale Mischung beträgt die freie Mischungsenthalpie∆ M g = nRT ∑ ix i lnx i , (307)wobei n die Summe der Stoffmengen aller Komponenten ist. Der Unterschiedzwischen thermodynamischen Größen einer realen und einer idealenMischung wird als Exzessfunktion bezeichnet. So ist die freie Exzessmischungsenthalpiedurch∆ M g E = ∆ M g(real)−∆ M g(ideal) (308)gegeben. Im Folgenden betrachten wir der Einfachheit halber in der Regelideale Mischungen.11.3 Der Dampfdruck einer Komponente in einer flüssigenPhase11.3.1 Ideale LösungenWir betrachten das Phasengleichgewicht zwischen einer flüssigen Phase undeiner Gasphase zunächst für die reine Komponente i. Das chemische Potentialdieser Komponente muss im Gleichgewicht in beiden Phasen gleichsein⎛ ⎞µ ∗,i (l) = µ ❝i +RT ln⎝ p ∗,i⎠ . (309)p ❝Wenn wir nun einen zweiten Stoff in der flüssigen Phase auflösen, gilt⎛ ⎞µ i (l) = µ ❝i +RT ln⎝ p i⎠ . (310)p ❝132


Durch Zusammenfassen der beiden Gleichungen lässt sich das chemischePotential der Gasphase, µ ❝i , eliminieren und wir finden( )piµ i (l) = µ ∗,i +RT ln . (311)p ∗,iDurch Vergleich mit Gl. (306) folgt das Raoultsche Gesetzp i = x i p ∗,i , (312)das zunächst empirisch gefunden wurde. Der Dampfdruck einer Lösung istalso gleich dem Produkt aus dem Dampfdruck des reinen Lösungsmittelsmit dem Molenbruch des Lösungsmittels, wenn sich die Lösung ideal verhält.Wenn eine der Komponenten in großem Überschuss vorliegt, gilt das RaoultscheGesetz für diese Komponente auch dann in guter Näherung, wenn dieMischung sich eigentlich nicht ideal verhält.11.3.2 Ideale verdünnte LösungenBetrachten wir nun in einer nichtidealen Mischung diejenige Komponente,die im Unterschuss vorliegt. Für stark verdünnte Lösungen gilt dann dasHenrysche Gesetzp i = x i K i , (313)wobei allerdings K i zwar die Dimension eines Drucks hat, aber nicht derDampfdruck des reinen Stoffes ist. Eine Gleichheit von K i und p ∗,i für dieUnterschusskomponente ergibt sich nur für ideale Mischungen. Wenn dagegenKi ≠ p ∗,i fürdieUnterschusskomponentegilt,dieÜberschusskomponenteaber dem Raoultschen Gesetz folgt, spricht man von einer ideal verdünntenLösung.11.4 Kolligative EigenschaftenDa ein gelöster Stoff den Dampfdruck des Lösungsmittels beeinflusst, musser auch dessen Siedepunkt beeinflussen, denn der Siedepunkt ist die Temperatur,bei der der Dampfdruck dem äußeren Druck gleich ist. Da der Dampfdruckerniedrigt wird, kommt es zu einer Siedepunktserhöhung. Es mussauch einen Einfluss auf den Gefrierpunkt des Lösungsmittels geben, da dergelöste Stoff ja das chemische Potential des Lösungsmittels in der flüssigenPhase beeinflusst. Es wird sich zeigen, dass es sich um eine Gefrierpunkts-133


erniedrigung handelt. Schliesslich können wir noch einen Druckunterschiedzwischen reinem Lösungsmittel und einer Lösung betrachten, bei dem daschemische Potential des Lösungsmittels gerade gleich groß ist. Diesen Druckunterschiedbezeichnet man als osmotischen Druck.InverdünnterLösunghängendieGefrierpunktserniedrigung,dieSiedepunktserhöhungund der osmotische Druck nur von der Anzahl der gelösten Teilchenab, nicht aber von ihrer Art. Solche Eigenschaften werden als kolligativeEigenschaften bezeichnet. Dass sie nicht von der Art der gelösten Teilchenabhängen, hat zwei Gründe. Erstens betrachten wir ideal verdünnteLösungen. Zweitens betrachten wir Phasengleichgewichte, bei denen dergelöste Stoff nur in einer der beiden Phasen auftritt. Die zweite Phase istimmer eine reine Lösungsmittelphase. Wir treffen also die folgenden Annahmen:• Bei der Siedepunktserhöhung gehen wir davon aus, dass der gelösteStoff nicht flüchtig ist, also zur Zusammensetzung der Gasphase nichtbeiträgt.• BeiderGefrierpunktserniedrigunggehenwirdavonaus,dassdergelösteStoff im festen Lösungmittel unlöslich ist.• Beim osmotischen Druck setzen wir eine semipermeable Membran zwischendem reinen Lösungsmittel und der Lösung voraus, die nur fürLösungsmittelmoleküle, nicht aber für den gelösten Stoff durchlässigist.Wenn wir keine speziellen Wechselwirkungen zwischen Lösungsmittel undgelöstem Stoff voraussetzen, müssen die Effekte rein durch die Mischungsentropiebedingtsein.DurchdieMischungsentropieistdaschemischePotentialdes Lösungsmittels in einer Lösung geringer als in der reinen flüssigen Phase.Dadurch weitet sich der Stabilitätsbereich der flüssigen Phase sowohl zutieferen Temperaturen auf Kosten der festen Phase als auch zu hohen Temperaturenauf Kosten der Gasphase aus, denn es ist immer die Phase mitdem niedrigsten chemischen Potential die stabile.11.4.1 Die SiedepunktserhöhungAusGl.(306)derAnnahmeeinerreinenGasphasefolgtfürdasLösungsmittelµ ∗ (g) = µ ∗ (l)+RT lnx LM (314)134


Mit dem Molenbruch x B des gelösten Stoffes und x LM = 1−x B erhalten wirdarausln(1−x B ) = µ ∗(g)−µ ∗ (l)RT= ∆ VGRT , (315)wobei∆ V GdiemolarefreieVerdampfungsenthalpiedesreinenLösungsmittelsist. Mit ∆ V G = ∆ V H −T∆ V S erhalten wir darausln(1−x B ) = ∆ VHRT − ∆ VSR . (316)BezeichnenwirdieSiedetemperaturdesreinenLösungsmittels(x B = 0, ln(1−x B ) = 0 als T ∗ , so erhalten wir für diesen speziellen Fall0 = ∆ VH− ∆ VSRT ∗ R(317)und durch Subtrahieren dieser Gleichung von Gl. (316)ln(1−x B ) = ∆ VHR( 1T − 1 T ∗). (318)Für sehr kleine Konzentrationen des gelösten Stoffes gilt ln(1−x B ) ≈ −x B ,so dassx B = ∆ VHR( 1T ∗− 1 T)gilt. Die Siedepunktserhöhung ∆T = T −T ∗ kann über(319)1T ∗− 1 T = T −T ∗TT ∗≈ ∆TT 2 ∗(320)eingeführt werden, wobei wir T ≈ T ∗ angenommen haben. Das heißt, wirsetzen voraus, dass die Siedepunktserhöhung sehr viel kleiner ist als dieSiedetemperatur. Einsetzen von Gl. (320) in Gl. (319) und Umstellen nach∆T liefert∆T =Wir definieren die ebullioskopische KonstanteK e =( ) RT2∗x B . (321)∆ V H( ) RT2∗ M∆ V H, (322)wobei M die molare Masse des Lösungsmittels ist. Die Molalität ̂m B desgelösten Stoffes (Stoffmenge des gelösten Stoffes pro kg Lösungsmittel) kann135


durch ̂m B = x B /M angenähert werden, so dass∆T = K êm B (323)gilt. Nichtideales Verhalten kann bis zu einem gewissen Grade kompensiertwerden, indem man die ebullioskopische Konstante mit einem Stoff bekanntermolarer Masse experimentell bestimmt, anstelle sie aus der Verdampfungstenthalpiedes reinen Lösungsmittels, dessen Siedetemperatur und dessenmolarer Masse zu berechnen. Durch Einwaage einer bestimmten Massedes gelösten Stoffes und Bestimmung der Siedepunktserhöhung kann überdie Molalität die Stoffmenge und mit dieser über die eingewogene Massedie molare Masse des Stoffes bestimmt werden. Heutzutage verwendet mandafür allerdings in der Regel die Massenspektroskopie oder ein anderes alternativesVerfahren.11.4.2 Die GefrierpunktserniedrigungAnalog zur Siedepunktserhöhung gilt hierµ ∗ (s) = µ ∗ (l)+RT lnx LM , (324)so dass unmittelbarund∆T =( ) RT2∗x B . (325)∆ f H∆T = K k̂m B (326)folgen, wobei ∆ f H die Schmelzenthalpie des reinen Lösungsmittels und K kdie kryoskopische Konstante des Lösungsmittels ist. Auch die Molmassenbestimmungdurch Kryoskopie ist inzwischen durch die genaueren modernenTechniken ersetzt worden.11.4.3 Der osmotische DruckDa ein Lösungsmittel in der reinen Phase ein höheres chemisches Potentialhat als in der Lösung, wird es beim Kontakt der reinen Phase mitder Lösung zu einem Übergang des Lösungsmittels in die Lösung kommen.Diesen Übergang nennt man Osmose. Durch eine semipermeable Membrankann verhindert werden, dass umgekehrt auch der gelöste Stoff in das reineLösungsmittel übergeht. Die Bedeutung der Osmose besteht darin, dass sie136


einen Druckunterschied aufbauen bzw. durch Druck gesteuert werden kann.Denjenigen Druck, den man auf die Lösung ausüben muss, damit geradekeinLösungsmittelüberdiesemipermeableMembranausgetauschtwird,bezeichnetman als osmotischen Druck Π. Übt man einen höheren Druck aufdie Lösung aus, so geht Lösungsmittel aus der Lösung durch die Membran indie reine Lösungsmittelphase über. Die Lösung kann auf diese Art also aufkonzentriertwerden. Diesen Vorgang bezeichnet man als Umkehrosmose. Erwird zum Beispiel zum Aufkonzentrieren von Proteinen unter Zuhilfenahmeeine Laborzentrifuge benutzt. Die Osmose ist auch wichtig für die Aufnahmevon Flüssigkeiten in lebende Zellen, wobei die semipermeable Membran indiesem Fall allerdings steuerbar ist. Sie kann auch zur Bestimmung von Molmassendurch Osmometrie benutzt werden. Dieses Verfahren ist besondersfür Makromoleküle von Bedeutung, die der Massenspektroskopie teilweiseunzugänglich sind und für die es wenige alternative Verfahren gibt, die ohneeine explizite Kalibrierung oder Annahmen über die Konformation desMakromoleküls in Lösung auskommen.Um den osmotischen Druck zu bestimmen, gehen wir von einem Gedankenexperimentaus, in dem das reine Lösungsmittel unter einem Druck p unddie Lösung unter einem Druck p + Π steht. Beide Phasen sind durch diesemipermeable Membran getrennt. Der zusätzliche Druck Π, unter dem dieLösung steht, ist der osmotische Druck genau dann, wenn die beiden Phasenim Gleichgewicht miteinander stehen, wenn also das chemische Potential desLösungsmittels in beiden Phasen gleich istµ ∗ (p) = µ(x LM ,p+Π) = µ ∗ (p+Π)+RT lnx LM . (327)Aus der Druckabhängigkeit des chemischen Potentials erhalten wirµ ∗ (p+Π) = µ ∗ (p)+∫ p+ΠpV m dp , (328)wobei V m das molare Volumen des Lösungsmittels ist. Durch Zusammenfassender beiden Gleichungen folgt−RT lnx LM =∫ p+ΠpV m dp. (329)WieimFallderSiedepunktserhöhungersetzenwirfürstarkverdünnteLösungenlnx LM durch den negativen Molenbruch des gelösten Stoffes −x B . Da137


Π ≪ p ist, können wir während der Integration ein konstantes Molvolumenannehmen. Die Integration ergibt dannRTx B = ΠV m . (330)In verdünnten Lösungen ist n B ≪ n LM , so dass x B ≈ n B /n LM gilt und dasGesamtvolumen der Lösung V = n LM V m beträgt. Damit folgt aus Gl. (330)ΠV = n B RT . (331)Diese Gleichung kann man sich einfach einprägen, das sie die gleiche Formhat, wie die Zustandsgleichung des idealen Gases. Es ist lediglich der Gasdruckdurch den osmotischen Druck und die Stoffmenge des Gases durch dieStoffmenge des gelösten Stoffes ersetzt. Bei Stoffen, die dissoziieren können,ist zu beachten, dass n B die Stoffmenge der gelösten Teilchen ist. Diesemuss man gegebenenfalls mit dem Dissoziationsgrad berechnen. Für praktischeZwecke erhalten wir eine einfachere Form der Gleichung, indem wirn B /V durch die Konzentration c B des gelösten Stoffes ersetzenΠ = c B RT . (332)Diese Gleichung gilt allgemein für stark verdünnte Lösungen, die sich nahezuideal verhalten. Um in der Osmometrie auch für nichtideales Verhaltengenaue Ergebnisse zu erhalten, setzt man analog zu realen Gasen eine VirialentwicklunganΠ = c B RT [1+Bc B +...] . (333)Man trägt den Quotienten aus dem osmotischen Druck und der Massenkonzentrationcm = c B M B (ingL −1 )gegendieKonzentrationaufundbestimmtdie molare Masse aus dem Achsabschnitt RT/M B .11.5 Das Gibbssche PhasengesetzFür einen reinen Stoff hatten wir gesehen, dass es im Phasendiagramm nurgenau einen Punkt gibt, an dem drei Phasen (fest, flüssig und gasförmig)miteinander koexistieren, nämlich den Tripelpunkt. Wenn die drei Phasengleichzeitig vorliegen sollen, hat man also keinen Freiheitsgrad mehr degree of freedombezüglich der intensiven Zustandsvariablen. Sowohl p als auch T ist festgelegt.Liegen zwei Phasen vor, so befindet man sich auf einer Phasengrenzli-138


nie. Es liegt jetzt ein Freiheitsgrad vor, man kann entweder die Temperaturwählen (in einem gewissen Bereich), dann ist aber der Druck festgelegt, oderman kann den Druck wählen, woraufhin die Temperatur festgelegt ist. Liegtnur eine Phase vor, kann man sowohl p als auch T in gewissen Grenzen freiwählen, das System verfügt also über zwei Freiheitsgrade.Diese Betrachtung legt nahe, dass es einen Zusammenhang zwischen der Anzahlder Phasen und der Anzahl der Freiheitsgrade gibt. Diese Zusammenhangwollen wir nun auf Mehrkomponentensysteme verallgemeinern. Wirsetzen dabei voraus, dass sich das System im thermischen Gleichgewicht befindet,dass alle Phasen an jedem Punkt unter dem gleichen Druck stehenund dass äußere elektrische und magnetische Felder außer Betracht bleiben.Der Zustand jeder Phase ist dann durch die Temperatur T, den Druck p undihre Zusammensetzung eindeutig bestimmt. Die Zusammensetzung wird fürein System mit C Komponenten durch C−1 Molenbrüche beschrieben (derletzte Molenbruch ist durch die Bedingung ∑ x i = 1 festgelegt). In einemSystem mit P Phasen haben wir dann P(C −1) Zusammensetzungsgrößen(Molenbrüche), eine Temperatur und einen Druck und daher P(C −1)+2Zustandsvariablen.Im thermischen Gleichgewicht muss für jede Komponente das chemische Potentialin allen P Phasen gleich sein. Da das chemische Potential einer KomponenteeineFunktionvonp,TundderMolenbrücheist,ergebensichdarausBestimmungsgleichungen für die Zustandsvariablen. Es existieren C(P −1)solche Bestimmungsgleichungen, da für jede Komponenten das chemischePotential in der ersten Phase gleich demjenigen in den restlichen P −1 Phasensein muss. Die Anzahl der Freiheitsgrade ist nun einfach die Differenzaus der Anzahl der Zustandsvariablen und der Anzahl der BestimmungsgleichungenF = P (C −1)+2−C(P −1) . (334)Daraus folgt das Gibssche PhasengesetzF = C −P +2 . (335)DasGesetzgiltübrigensauchdannnoch,wenneinzelneStoffeinbestimmtenPhasen gar nicht enthalten sind. Für jeden Stoff, der in einer Phase fehlt,verringert sich sowohl die Zahl der Zustandsvariablen als auch die Zahl derBestimmungsgleichungen um eins.Ein System ohne Freiheitsgrade (F = 0) bezeichnet man als nonvariant.139


Ein Beispiel wäre ein reiner Stoff am Tripelpunkt. Systeme mit ein, zweiund drei Freiheitsgraden heissen univariant, divariant bzw. trivariant. Betrachtenwir zum Beispiel das Gleichgewicht zwischen der flüssigen Phaseund der Gasphase in einem Gemisch aus Ethanol und Wasser, so gilt C = 2,P = 2 und daher F = 2. Wählen wir also zum Beispiel den Molenbruchin der flüssigen Phase und die Temperatur, so stellen sich genau definiertePartialdrücke und damit Molenbrüche der Gasphase von selbst ein.11.5.1 Phasenregel in Systemen mit chemischen ReaktionenZusätzliche Einschränkungen treten auf, wenn zwischen einzelnen Komponentenchemische Gleichgewichte aufrechterhalten werden. Die Molenbrüchedieser Komponenten sind dann über die Gleichgewichtskonstante voneinanderabhängig. Für jede chemische Reaktion muss die Gleichgewichtsbedingung∑ ν i µ i = 0 erfüllt sein, wobei der Index i über alle Ausgangsstoffeund Reaktionsprodukte läuft. Bei Ionenreaktionen muss als zusätzlicheEinschränkung die Elektroneutralitätsbedingung erfüllt sein. Das GibbsschePhasengesetz gilt weiterhin, wenn man die Anzahl der Komponenten durchdie Anzahl der Einschränkungen korrigiertC = C 0 −E, (336)wobei C 0 die Anzahl der Stoffe im System und E die Anzahl der Einschränkungenist.11.6 Phasendiagramme in Zweikomponentensystemen11.6.1 DampfdruckdiagrammeEin Gas, das mit seiner kondensierten Phase (flüssig oder fest) in Berührungsteht, bezeichnet man als Dampf. Wir betrachten nun die Zusammensetzungdes Dampfes über einer idealen Mischung aus zwei flüssigen KomponentenA und B bei einer vorgegebenen Temperatur T. Die Dampfdrücke der reinenKomponenten seien p ∗,A und p ∗,B . Nach dem Raoultschen Gesetz giltp A = x A p ∗,Ap B = x B p ∗,B . (337)140


Da x B = 1 − x A gilt, ist der gesamte Dampfdruck p(x A ) = p A + p B alsoeine lineare Funktion des Molenbruchs x A in der flüssigen Phase (roteKurve in Abb. 13). Die Molenbrüche in der Gasphase ergeben sich aus demDalton’schen Gesetzworaus mit Gl. (337) folgty A =y A = p A /py B = p B /p , (338)x A p ∗,Ap ∗,B +(p ∗,A −p ∗,B )x A. (339)Der Dampfdruck als Funktion dieses Molenbruchs y A in der Gasphase istdurchp =p ∗,A p ∗,Bp ∗,A +(p ∗,B −p ∗,A )y A(340)gegeben. Die entsprechende Kurve p(y A ) ist in Abb. 13 blau dargestellt.3025Dampfdruck201510x Al fll gy A500 0.2 0.4 0.6 0.8 1Molenbruch von AAbb. 13: Abhängigkeit des Dampfdrucks einer idealen Mischung von der Zusammensetzungder flüssigen Phase (rote Linie) und der Dampfphase (blaue Linie).Die waagerechte schwarze Linie ist eine Konnode, sie entspricht einem vorgegebenenDruck p. Die senkrechte, gepunktete schwarze Linie kennzeichnet die Zusammensetzungdes Gesamtsystems und die senkrechte rote und blaue Linie dieZusammensetzung der flüssigen und gasförmigen Phase. Das Verhältnis der Längender Konnodenabschnitte l fl und l g ist das Mengenverhältnis von gasförmiger zuflüssiger Phase.Aus dem in Abb. 13 dargestellten Dampfdruckdiagramm lässt sich der Zustanddes Systems bei vorgegebener Zusammensetzung des Gesamtsystems141


und vorgegebenem Druck ablesen. Dazu zeichnet man bei der vorgegebenenZusammensetzung eine senkrechte Linie (schwarze gepunktete Linie). Beiallen Drücken unterhalb der des Krezungspunkts mit der blauen Linie liegtnur eine Gasphase vor. Bei allen Drücken oberhalb des Kreuzungspunktsmit der roten Linie liegt nur eine flüssige Phase vor. Bei Drücken zwischender blauen und roten Linie zerfällt das System in eine flüssige Phase und eineGasphase. Die Zusammensetzung der beiden Phasen erfährt man, indemman bei dem gewählten Druck eine waagerechte Linie einzeichnet, die dierote und blaue Kurve verbindet (waagerechte schwarze Linie). Diese Liniewird als Konnode bezeichnet. Ihr Schnittpunkt mit der roten Kurve kennzeichnetdie Zusammensetzung der flüssigen Phase (Molenbruch x A , rotesenkrechte Linie). Der Schnittpunkt mit der roten Kurve kennzeichnet dieZusammensetzung der Gasphase (Molenbruch y A , blaue senkrechte Linie).Das Mengenverhältnis der beiden Phasen wird durch das Hebelgesetzn fl l fl = n g l g (341)beschrieben, wobei l fl und l g die Längen der Konnodenabschnitte sind.Für nichtideale Mischungen können beide Kurven eine andere Form haben,die Interpretation der Konnoden und das Hebelgesetz bleiben aber gleich.WennsichdiebeidenKurvenfürdieflüssigeundGasphaseineinemweiterenPunktaußerx A = y A = 0undx B = y B = 0berühren,sprichtmanvoneinemazeotropen Punkt und einem azeotropen Gemisch. Ein azeotropes Gemischentspricht entweder einem Siededruckminimum oder einem Siedeedruckmaximum.Dieses Gemisch siedet mit unveränderter Zusammensetzung, ist alsodurch Destillation nicht zu trennen.11.6.2 SiedediagrammeVon großem praktischen Interesse ist auch die Abhängigkeit der Siedetemperaturvon der Zusammensetzung der Mischung. Auch in einem solchenSiedediagramm gibt es eine Kurve, die der Zusammensetzung der flüssigenPhase und eine Kurve, die der Zusammensetzung der Gasphase entspricht.DasSiedediagrammeineridealenMischungistschematischinAbb.14dargestellt.Aus einem solchen Diagramm lässt sich ablesen, wie viele Destillationsschrittenötig sind, um einen bestimmten Anreicherungsgrad der leichterflüchtigen Komponente A im Destillat zu erreichen. Zeichnet man von der142


y A,1y A,2TemperaturT 1T 2x A,0x A,1x A,20 0.2 0.4 0.6 0.8 1Molenbruch von AAbb. 14: Schematisches Siedediagramm einer idealen Mischung. Die rote Kurveentspricht der Siedetemperatur der flüssigen Phase und die blaue Kurve der Kondensationstemperaturder Dampfphase mit der gegebenen Zusammensetzung. Dieschwarzen Linien stellen die Anreicherung der Komponente A durch eine Destillationin zwei Schritten dar. Das ursprüngliche Gemisch mit dem Molenbruch x A,0 (rotegepunktete Linie) siedet bei der Temperatur T 1 . Die Dampfphase bei dieser Temperaturist reicher an A und kann zu einer flüssigen Phase mit dem Molenbruch x A,1kondensiert werden. Ein weiterer Destillationsschritt liefert schließlich eine flüssigePhase mit dem Molenbruch x A,2 .Ausgangskonzentration x A,0 eines flüssigen Gemischs ausgehend eine senkrechteLinieein(rotgepunktet),sofindetmanimSchnittpunktmitderrotenKurve die Siedetemperatur dieser Mischung. Durch Einzeichnen einer waagerechtenLinie bei dieser Temperatur T 1 findet man dann die Zusammensetzungder entsprechenden Dampfphase. Ein einfacher Destillationsschrittliefert durch Kondensation dieser Dampfphase Destillat, in dem die KomponenteA auf den Molenbruch x A,1 angereichert ist. Wird dieses Destillateiner zweiten Destillation unterworfen, so ist die Siedetemperatur nun T 2und das Destillat ist auf den Molenbruch x A,2 angereichert.In vielen interessanten Fällen sind die Unterschiede der Flüchtigkeit derbeiden Komponenten aber nicht so groß wie in Abb. 14, d.h., die blaue undroteKurveliegennäherbeeinander.ManbenötigtdannfürdiegleicheAnreicherungmehr Destillationsschritte. Allerdings kann man mit Destillationskolonnenarbeiten, in denen sich das Phasengleichgewicht flüssig/gasförmiginverschiedenenHöhenderKolonnemehrfacheinstellt.Mansagtdann, dasseine solche Kolonne mehrere Böden hat. Am Kopf der Kolonne kann manein Destillat abnehmen, dass einer mehrfachen Destillation ohne Kolonne143


entspricht. Wie vielen Destillationsschritten eine Kolonne entspricht, wirddurch die Zahl ihrer theoretischen Böden angegeben.Analog kann man auch Feststoffgemische durch mehrfaches Schmelzen undErstarren mit einer Komponente anreichern. Diese Methode wird als Zonenschmelzenbezeichnet. Azeotrope Gemische haben eine minimale oder maximaleSiedetemperatur, bei der auch im Siedediagramm die beiden Kurven ineinem Punkt mit x A ≠ 0,x A ≠ 1 zusammenfallen. Wenn zwei Komponentenein azeotropes Gemisch mit einem Siedepunktsminimum bilden, so könnensie durch Destillation maximal bis zum Molenbruch in diesem azeotropenGemisch angereichert werden. Das ist zum Beispiel für die Destillation vonEthanol-Wasser-Gemischen der Fall.aDampfbDampfTemperaturT 1T 2x A,0x A,1x A,2TemperaturFlüssigkeitFlüssigkeit0 0.2 0.4 0.6 0.8 1 0 0.2 0.4 0.6 0.8 1Molenbruch von AMolenbruch von AAbb. 15: Schematische Siedediagramme für zwei Komponenten A und B, die azeotropeGemische mit (a) einem Siedepunktsminimum und (b) einem Siedepunktsmaximumbilden. In (a) is analog zu Abb. 14 eine mehrstufige Destillation, ausgehendvon einem Unterschuss der Komponente A, eingezeichnet. Es wird deutlich, dassdie Anreicherung von A im Destillat nur bis zur Zusammensetzung des azeotropenGemischs möglich ist.11.7 Phasendiagramme flüssig-flüssigFlüssigkeitenkönnenmiteinanderbeibeliebigenZusammensetzungenmischbaroder nur teilweise miteinander mischbar sein. In manchen Fällen gibt esdann eine Temperatur, oberhalb derer die beiden Flüssigkeiten sich für jedebeliebige Zusammensetzung miteinander mischen (Abb. 16a). Diese Temperaturbezeichnet man als obere kritische Entmischungstemperatur und mansagt, dass oberhalb dieser Temperatur die Komponenten vollständig miteinandermischbar sind.144


abTemperaturT okTemperaturZweiphasengebietZweiphasengebietT uk0 0.2 0.4 0.6 0.8 1 0 0.2 0.4 0.6 0.8 1Molenbruch von AMolenbruch von AAbb. 16: Mischungslücken für ein Gemisch zweier Flüssigkeiten.Umgekehrt kann es (seltener) auch vorkommen, dass die Flüssigkeiten unterhalbeiner bestimmten Temperatur, der unteren kritischen Entmischungstemperaturvollständig miteinander mischbar sind (Abb. 16b). Das ist dannderFall,wenndieKomponentenmiteinandereinenschwachgebundenenMolekülkomplexbilden können, der bei höheren Temperaturen wieder zerfällt.In ganz wenigen Fällen gibt es sowohl eine obere als auch eine untere kritischeEntmischungstemperatur.DasZweiphasengebietist dann einegeschlosseneFläche im T −x A −Diagramm.11.8 Systeme mit festen Phasen- EutektikaIn Systemen mit festen Phasen treten weitere Phänomene auf, von denenwir hier nur eutektische Mischungen diskutieren. In diesem Fall sind die beidenKomponenten in der flüssigen Phase (Schmelze) unbegrenzt mischbar,kristallisieren aber als reine Feststoffe aus. Bei einer gewissen Zusammensetzungist dann ein Schmelzpunktsminimum zu beobachten. Diese Zusammensetzungun den zugehörigen Schmelzpunkt bezeichnet man als eutektischenPunkt. Am eutektischen Punkt erstarrt bei Wärmeentzug die gesamteSchmelze bei der gleichen Temperatur als sehr feines Gemenge reiner kristallinerKomponenten A und B (Eutektikum). Umgekehrt schmilzt an diesemPunkt das sehr feine Gemenge mit einem scharfen Schmelzpunkt.Von Bedeutung sind Eutektika, weil sie spezielle Materialeigenschaften aufweisen,die mit anderen Zusammensetzungen der gleichen Komponentennicht zu erreichen sind. Bei jeder anderen Zusammensetzung weist z.B. dasfesteGemengeeinenSchmelz-oderErstarrungsbereichauf,wasbeimErstarrenunweigerlichzueinergewissenEntmischungunddamitHeterogenitätdes145


Materials führt.Aus thermodynamischer Sicht ist der Begriff des eutektischen Punkts etwasirreführend, weil es im Prinzip noch einen Freiheitsgrad gibt, nämlich denDruck. Da es sich aber um ein Phasengleichgewicht kondensierter Phasenhandelt, ist die Schmelztemperatur und Zusammensetzung des Eutektikumsnur sehr schwach druckabhängig. Es kann einen Wert des Drucks geben, beidem die Schmelze, die beiden festen Phasen und eine Gasphase miteinanderim Gleichgewicht stehen. Dabei handelt es sich dann um einen Quadrupelpunkt,an dem es keinen Freiheitsgrad mehr gibt.Wir konnten hier nur die einfachsten Phasendiagramme von Zweikomponentensystemendiskutieren. Informieren Sie sich in einem Lehrbuch, welcheFälle noch von Bedeutung sind (z.B. peritektische Punkte, Destillation begrenztmischbarer Flüssigkeiten, Phasendiagramme für Dreikomponentensystemein Dreieckskoordinaten).Zum NachlesenAtkins,2001: S. 196–219, 225–248Engel/Reid,2006: S. 229–258Wedler,1997: S. 309–371Kondepudi,2008: p. 239–262146


12 Das chemische Gleichgewicht12.1 Die thermodynamische GleichgewichtskonstanteVon besonderem Interesse für Chemiker ist die Frage, unter welchen Bedingungeneine geplante Reaktion in die gewünschte Richtung verläuft. FürReaktionen bei konstanter Temperatur T und konstantem Druck p könnenwir darauf bereits eine allgemeine Antwort geben. Die Reaktion wird, wiejeder isobar-isotherme Prozess, freiwillig in die Richtung verlaufen, in dersich die freie Enthalpie verringert. Sie wird an dem Punkt zum Stillstandkommen, an dem dg=0 wird. Mit der letzteren Bedingung können wir alsodie Zusammensetzung des Reaktionsgemisches im chemischen Gleichgewichtbestimmen, d.h., die Gleichgewichtskonstante berechnen.Zunächst betrachten wir die einfachst mögliche Reaktion A⇋B, zum Beispieldie Isomerisierung von n-Pentan zu 2-Methylbutan an einem Katalysatorin der Gasphase. Da aus einem Mol A ein Mol B ensteht, gilt für dieReaktionslaufzahldξ = −dn A = dn B . (342)Eine Reaktionslaufzahl ξ = 0 enstpricht dabei dem Vorliegen von reinemA, die Reaktion hat noch nicht begonnen, während eine Reaktionslaufzahlξ = 1 bedeutet, dass genau ein Mol A in ein Mol B umgewandelt wurde.Mit den chemischen Potentialen gilt danndg = µ A dn A +µ B dn B = −µ A dξ +µ B dξ. (343)Der Gleichgewichtszustand wird bei der Reaktionslaufzahl erreicht sein, beider g ein Minimum durchläuft. Von Interesse ist also der Differentialquotient( ) ∂g∂ξp,TDaraus folgt für die betrachtete Reaktion= µ B −µ A . (344)• freiwilliger Ablauf der Reaktion A → B für µ A > µ B ,• Gleichgewicht für µ A = µ B ,• freiwilliger Ablauf der Rückreaktion A ← B für µ A < µ B .Ganz allgemein gilt für die freie Reaktionsenthalpie einer beliebigen Reakti-147


on|ν A |A+|ν B |B+... → |ν C |C+|ν D |D+... (345)die Gleichung∆ R G =( ) ∂g∂ξp,T= ∑ iν i µ i . (346)Die Gleichgewichtsbedingung lautet also ∆ R G = 0. Für die µ i setzen wirGl. (273) ein, wobei zu beachten ist, dass sich damit alle weiteren Gleichungenauf den Standarddruck p = p ❝ beziehen. Die Druckabhängigkeit kannfür ideale Gasmischungen über Gl. (268) und für reale Gasmischungen mittelsGl. (270) eingeführt werden. Wir werden den zusätzlichen Term vonGl. (268) in Abschnitt 12.2 gesondert betrachten. Die Summe der chemischenPotentiale multipliziert mit den jeweiligen stöchiometrischen Koeffizientkönnen wir somit als∆ R G = ∑ i= ∑ i( )ν i µ ❝i +RT lnα iν i µ ❝i +RT ln ∏ iα ν ii〈p = p ❝ 〉(347)schreiben. Dabei haben wir mit den α i eine allgemeine Konzentrationsgrößeeingeführt. In idealen Mischungen gilt einfach α i = x i und speziell in idealenGasmischungen α i = p i /p. In nichtidealen Mischungen benutzt man die Molenbruchaktivitätbzw.diedurchdenStandarddruckdividierteFugazitätdesGases, für Lösungen praktischerweise die Molalitätsaktivität bzw. Konzentrationsaktivität,die ebenfalls durch ihre Standardwerte 1 mol kg −1 bzw.1 mol L −1 zu dividieren sind (siehe Abschnitt 7.1). Die allgemeine Konzentrationsgrößeα i ist also immer dimensionslos. Das Produkt RT ln ∏ i αν iibezeichnet man auch als Überführungsglied. Zu beachten ist, dass die Druckabhängigkeitvon∆R G,sieheGl.(255),nichtanhandvonGl.(347)diskutiertwerden darf, weil diese Gleichung wegen der verwendeten Gleichungen fürdie chemischen Potentiale µ i explizit nur für den Standarddruck gilt.Nochmalige Vereinfachung und Ausschreiben des Überführungsglieds ergibtdie van’t Hoffsche Reaktionsisotherme∆ R G = ∆ R G ❝ +RT ln α|ν C|C α|ν D|D ...α |ν A|A α|ν B|B.... (348)148


In dieser Gleichung ist ∆ R G ❝ für eine gegebene Temperatur konstant undbezieht sich auf den Standarddruck. In vielen Fällen kann ∆ R G ❝ aus tabelliertenWerten berechnet werden. Das System befindet sich im Gleichgewicht,wenn ∆ R G = 0 gilt, woraus folgt(∆ R G ❝ α |ν C|C+RT lnα|ν D|D ...α |ν A|A α|ν B|B)eq... = 0 . (349)Den Wert des Überführungsglieds, für den das der Fall ist, bezeichnet manals die thermodynamische GleichgewichtskonstanteK † (T) = ∏ i((α ν ii ) eq =α |ν C|C α|ν D|D ...α |ν A|A α|ν B|B ... )eq. (350)Der hochgestellte Index † ist ein Degen. Er kennzeichnet die thermody- daggernamischen Gleichgewichtskonstante, welche Aktivitätskoeffizienten berück-sichtigt,imGegensatzzueinereinfachermess-undinterpretierbarenkonven-tionellen Gleichgewichtskonstante, die aus unkorrigierten Konzentrationenbzw.Drückenberechnetwird.KonventionelleGleichgewichtskonstantensindnur für ideale Mischungen tatsächlich konstant, allgemein hängen sie überdie Aktivitäts- oder Fugazitätskoeffizienten von der Zusammensetzung ab.Die Gleichgewichtskonstante K † bezieht sich ausserdem grundsätzlich aufden Standarddruck. Die Tatsache, dass das stöchiometrische Produkt ∏ i αν iiim chemischen Gleichgewicht einen konstanten Wert annimmt, nämlich diethermodynamische Gleichgewichtskonstante K † , bezeichnet man auch alsMassenwirkungsgesetz.Zu beachten ist noch, dass sich K † ohne unteren Index auf Molenbruchaktivitätenals Konzentrationsgrösse bezieht, also α i = f x,i x i . Rechnet manmit anderen auf einen Standardzustand bezogenen Konzentrationsgrössen,so empfiehlt es sich, die jeweilige Konzentrationsgrösse als unteren Indexanzugeben, also z.B. K † c für α i = f c,i c i /(1 mol L −1 ) und K †̂m für α i =f̂m,îm i /( 1molkg −1 ). Wichtig ist das deshalb, weil sich dann in allen GleichungendiethermochemischenDaten,alsoz.B.∆R G ❝ ,aufdenentsprechendenReferenzzustand beziehen. Der Referenzzustand für K † = K † x enstprichtden reinen Reaktionsteilnehmern, während er für K † c Lösungen der Reaktionsteilnehmermit einer Konzentration von 1 mol L −1 in dem Lösungsmittelentspricht, in dem die Reaktion durchgeführt wird. Entsprechend kann man149


auch eine Gleichgewichtskonstante K p † für α i = ψ i /p ❝ = f ψ,i p i /p ❝ definieren.Die thermodynamische Gleichgewichtskonstante ist immer dimensionslos,also auch K p, † im Gegensatz zur mit den tatsächlichen Drückenberechneten Konstante K p . Hüten Sie sich vor Verwechslungen von K p † undK p . Die erste dieser Konstanten ist nur beim Standarddruck definiert, diezweite gilt für jeden Druck und ist näherungsweise druckunabhängig, wiewir weiter unten sehen werden.Die Konstanz der Zusammensetzung des Systems bedeutet nicht, dass alleProzesse zum Erliegen kommen. Jeder ablaufende Prozess wird aber durcheinen gegenläufigen Prozess ausbalanciert, der mit genau der gleichen Geschwindigkeitabläuft. Dieses Prinzip der detaillierten Balance ist insbe- principle of detailedbalancesondere bei der Betrachtung von komplexen Gleichgewichten von Interesse,wenn beispielsweise chemische Gleichgewichte mehrerer Elementarreaktionennebeneinander bestehen oder ein chemisches Gleichgewicht neben Phasengleichgewichtenbesteht.Aus den Gleichungen (349) und (350) folgt unmittelbar eine Beziehung zurVorhersage von K † ∆ R G ❝ = −RT lnK † . (351)Da ∆ R G ❝ immer einen endlichen Wert hat, führen alle chemischen Reaktionenin einer homogenen Phase zu einem Gleichgewicht. K † kann allerdingseine so große oder so kleine Zahl sein, dass das Vorhandensein derAusgangstoffe bzw. der Endprodukte einer bestimmten Reaktion analytischnicht nachweisbar ist. Außerdem kann die Einstellung des Gleichgewichtskinetisch gehemmt sein. Ein Gleichgewicht kann prinzipiell nicht erreichtwerden, wenn alle Reaktionsteilnehmer in reinen Phasen bzw. in Phasenkonstanter Zusammensetzung vorliegen. Dann läuft eine Reaktion entwedergar nicht oder bis zum vollständigen Umsatz zumindest eines der Ausgangsstoffeab. Ein Beispiel ist die aluminothermische Reaktion von Aluminiummit Eisen(III)oxid zu Eisen und Aluminiumoxid.Die Gl. (351) sagt die thermodynamische Gleichgewichtskonstante K † voraus.Beim Standarddruck p ❝ und unter Vernachlässigung der Aktivitätskoeffizientengilt K † = K x . Arbeitet man bei einem anderen Druck p und betrachteteineGasreaktion,somussdieDruckabhängigkeitvonKx berücksichtigtwerden (siehe Abschnitt 12.2). Diese Komplikation kann man vermeiden,wenn man mit der konventionellen Gleichgewichtskonstante K p arbeitet, die150


druckunabhängig ist, sofern man die Fugazitätskoeffizienten vernachlässigenkann.AllerdingsmussmankonventionelleGleichgewichtskonstantenwieK p ,K c und K̂m zunächst aus K † berechnen.Da in der thermodynamischen Gleichgewichtskonstante K † dimensionslose,auf den Standarddruck normierte Drücke verwendet werden, gilt fürK p = ∏ i(p ν ii ) eq = ∏ i(x ν ii pν i) eq(p ❝ ) ∑ ν i (g)= K x p ∑ ν i (g) ≈ K † p, (352)wobei p der Gesamtdruck ist. Ganz rechts in der zweiten Zeile steht ein vomtatsächlichen Druck unabhängiger Ausdruck. Daher muss bis auf die Nichtidealitäten,für die das Rundungszeichen steht, auch K p druckunabhängigsein.Analog gilt für KonzentrationsaktivitätenK c = K x V −∑ ν iLM,∗≈ K † V −∑ ν iLM,∗, (353)wobei V LM,∗ das Molvolumen des Lösungsmittels ist und für MolalitätenK̂m = K x M −∑ ν iLM≈ K † M −∑ ν iLM, (354)wobei M LM die Molmasse des Lösungsmittels ist. Die Druckabhängigkeitvon K c und K̂m kann für Reaktionen in Lösung (allgemein: in kondensierterPhase) ebenfalls vernachlässigt werden, weil in diese Fall das Reaktionsvolumen∆ R V sehr klein ist.12.2 Der Einfluss des Drucks auf die GleichgewichtslageDie Gleichgewichtskonstante K p ist unter Vernachlässigung der Fugazitätskoeffizientennicht druckabhängig. Das folgt aus Gl.(352), weil K † nicht vomDruck abhängt und K p aus K † nur unter Zuhilfenahme des Standarddrucksberechnet werden kann. Die Zusammensetzung des Reaktionsgemischs kannsich aber sehr wohl ändern, wenn der äußere Druck verändert wird. Um daszu verdeutlichen, betrachten wir die Dissoziationsreaktion N 2 O 4 ⇋ 2 NO 2 ,und bezeichnen Distickstofftetroxid als A und Stickstoffdioxid als B. Die151


Gleichgewichtskonstante ist(p B /p ❝ ) 2K † p =p A /p ❝= p2 Bp A p ❝ = K p /p ❝ , (355)wobei p ❝ als der Standarddruck konstant ist. Nimmt der äußere Druck pnun zu, so werden p A und p B nicht im gleichen Maße zunehmen, vielmehrentspricht einer linearen Zunahme von p A eine Zunahme des Quadrats vonp B . Das bedeutet, das p A stärker zunimmt als p B und weil x i = p i /p ist,bedeutetdaswiederum,dasssichdasGleichgewichtzugunstenvonA(N 2 O 4 )verschiebt.Diese Veränderung der Zusammensetzung des Reaktionsgemischs entsprichtdem Prinzip von Le Chatelier bzw. Prinzip des kleinsten Zwangs:• ÜbtmanaufeinSystemimGleichgewichteineStörungaus, soreagiertdas System so, dass die Wirkung der Störung möglichst gering bleibt.Im Fall der Dissoziation von Distickstofftetroxid bedeutet das, dass die Dissoziationzurückgedrängt wird, wodurch ein Teil der resultierenden VolumenverringerungbereitsdurchdieVerschiebungdesGleichgewichtserbrachtwird und nicht zu einer Kompression der Gase führt.Deutlicher wird das, wenn wir denn Dissoziationsgrad α betrachten, der einMaß für die Zusammensetzung des Reaktionsgemischs ist. Er bezeichnet denAnteil an N 2 O 4 , der zu NO 2 zerfallen ist. Gehen wir zum Beispiel von n molN 2 O 4 aus, so sind im Gleichgewicht noch (1−α)n mol N 2 O 4 und 2α n molNO 2 vorhanden. Die Reaktionslaufzahl ist ξ = αn. Für die Molenbrüchefinden wirsowiex A =(1−α)n(1−α)n+2αn = 1−α1+α(356)x B = 2α1+α . (357)Die konventionelle Gleichgewichtskonstante K x ist alsoK x =4α 2(1−α)(1+α) = 4α21−α 2 . (358)152


Die thermodynamische Gleichgewichtskonstante für die Gasreaktion ist) 2 ( ) 2(p B /p ❝ x B p/p ❝K p † = (p A /p ❝) = (x A p/p ❝) = K px = 4α2 pp ❝ 1−α 2 . (359)p ❝Für die Abhängigkeit des Dissoziationsgrades vom Druck findet man damitα =1√ . (360)1+4p/(p ❝ K † )Der Dissoziationsgrad nimmt also, in Übereinstimmung mit dem Prinzipvon Le Chatelier, mit zunehmendem Druck ab.Die auf die Molenbrüche bezogene Gleichgewichtskonstante K x ist druckabhängig,nur für p ❝p (und ideale Mischungen) gilt K x = K † . Allerdings istdasnurvonBedeutung,wennGaseanderReaktionteilnehmen,anderenfallskann die Druckabhängigkeit von K x in der Regel vernachlässigt werden.Um die Druckabhängigkeit von K x zu erhalten, müssen wir Gl. (347) um denTerm für die Druckabhängigkeit der chemischen Potentiale erweitern. WirverwendenGl.(265),dieunmittelbarausdemtotalenDifferentialvong folgtund daher für beliebige Stoffe gilt. Mit den bereits eingeführten Definitionengilt dann im Gleichgewicht∆ R G = ∆ R G ❝ +RT lnK x + ∑ ∫ p ′ν iip ❝ V m,idp= 0 (361)Wegen ∑ i ν iV m,i = ∆ R V folgt darauslnK x = − ∆ RG ❝RT− 1RT∫ p ′p ❝ ∆ RVdp . (362)Die Ableitung dieser Gleichung nach dem Druck bei konstanter Temperaturliefert( ) ∂lnKx∂pT= − ∆ RVRT . (363)Für Gasreaktionen ist diese Abhängigkeit von Bedeutung, allerdings rechnetman in diesem Fall einfacher mit der druckunabhängigen Konstante153


K p . Für Reaktionen in kondensierten Phasen ist ∆ R V sehr klein und dieDruckabhängigkeit der Gleichgewichtskonstante wird daher in der Regel vernachlässigbarklein.12.3 Der Einfluss der Temperatur auf die GleichgewichtslageNach dem Prinzip von Le Chatelier sollte Folgendes gelten:• fürexotherme Reaktionen verschiebtsichdurcheineTemperaturerhöhungdas Gleichgewicht zugunsten der Ausgangsstoffe• für endotherme Reaktionen verschiebt sich durch eine Temperaturerhöhungdas Gleichgewicht zugunsten der ReaktionsprodukteQuantitativ können wir das formulieren, indem wir von Gl. (351) ausgehen.AusfolgtlnK † = − ∆ RG ❝RT(364)⎛ ⎞dlnK †= − 1 d ⎜⎝ ∆ RG ❝ ⎟⎠ . (365)dT RdTTEs handelt sich deshalb um totale, nicht partielle Differentiale, weil weder∆ R G ❝ noch K † druckabhängig ist. Die Quotientenregel der DifferentiationergibtddT( ) G=TTdG/dT −GT 2=−TS −H +TST 2 = − H T 2 , (366)wobeiwir(∂G/∂T) p= −S benutzthaben.Gl.(366)istdieGibbs-Helmholtz-Gleichung. Durch Einsetzen in Gl. (365) erhalten wir die van’t HoffscheReaktionsisobaredlnK †dT= ∆ RH ❝RT 2 . (367)Das ist in Übereinstimmung mit dem Prinzip von Le Chatelier, denn wenndie Reaktion exotherm ist (∆ R H ❝ < 0), so ist dlnK † /dT und damit auchdK † /dT negativ. Die Gleichgewichtskonstante nimmt dann also mit steigenderTemperatur ab, das Gleichgewicht verschiebt sich zugunsten der Ausgangsstoffe.154


Die Integration von Gl. (367) für eine konstante Standardreaktionsenthalpie∆ R H ❝ liefertlnK † 2 = lnK† 1 − ∆ RH ❝ ( 1− 1 )R T 2 T 1. (368)Bei bekanntem ∆ R H ❝ kann man also die Temperaturabhängigkeit der thermodynamischenGleichgewichtskonstante exakt vorausberechnen.Aus Gl. (368) folgt eine weitere Formulierung der van’t Hoffschen Reaktionsisobare,dlnK †d(1/T) = −∆ RH ❝R. (369)Diese Darstellung der Gleichung zeigt, dass eine Auftragung des Logarithmusvon K † gegen 1/T linear ist, sofern man voraussetzen kann, dass ∆ R H ❝temperaturunabhängig ist. Wenn man die Lage des Gleichgewichts bei verschiedenenTemperaturen ermittelt, so kann man aus der Steigung in einersolchen Auftragung also ∆ R H ❝ bestimmen.Zum NachlesenAtkins,2001: S. 255–272Engel/Reid,2006: S. 153–168Wedler,1997: S. 372–411Kondepudi,2008: p. 265–300155


13 Grenzflächengleichgewichte13.1 Die OberflächenspannungKondensierte Phasen haben eine Oberfläche, die sie von ihrer Umgebungabgrenzt. Berühren sich zwei kondensierte Phasen, so spricht man von einerGrenzfläche. Moleküle oder Atome an einer Oberfläche oder Grenzflächeverhalten sich anders als Moleküle im Inneren der Phase. Die kondensiertePhase wird durch anziehende (adhäsive) Kräfte zwischen den Molekülenzusammengehalten. Ein Molekül im Inneren der Phase ist diesen Kräftenvon allen Seiten gleichermaßen ausgesetzt. Auf ein Molekül an der Oberflächesind die adhäsiven Kräfte jedoch nur parallel zur Oberfläche und insinnere gerichtet. Das Molekül wird also effektiv in die Phase hineingezogen.Außerdem kann das Molekül an der Oberfläche nicht mit der maximalmöglichen Zahl von Nachbarmolekülen wechselwirken. Da die intermolekulareWechselwirkung einen negativen Beitrag zur freien Enthalpie g liefert,haben Teilchen an der Oberfläche ein größeres chemisches Potential.Wird also neue Oberfläche geschaffen, indem die Phase feiner verteilt (dispergiert)wird, muss dazu Arbeit geleistet werden. Ein Beispiel ist dieZerstäubung einer Flüssigkeit. Wenn keine weiteren Kräfte wirken, so istder stabilste Zustand eines kleinen Teilchens einer Phase mit gegebenemVolumen der Zustand mit der geringsten Oberfläche. Das Teilchen ist deshalbkugelförmig (sphärisch).FürmakroskopischeTeilchenistdiezusätzlichepotentielleEnergiederMolekülean der Oberfläche, die Oberflächenenergie, meist vernachlässigbar. DasgiltabernichtfürsehrkleineTeilchenimMikrometer-bisNanometerbereichoder für poröse Stoffe mit sehr großer innerer Oberfläche, wie zum BeispielZeolithe. Sollen Prozesse in solchen Systemen vorhergesagt werden, so mussdie Oberfläche σ als Zustandsvariable berücksichtigt werden.Das totale Differential der freien Enthalpie in solchen Systemen ist durch( ) ( ) ∂g ∂gdg = dT+∂Tp,n i ,σ∂pT,n i ,σdp+ ∑ i( ∂g∂n i)T,p,n j ,σ( ) ∂gdn i + dσ∂σT,p,n i(370)gegeben. Die Differentialquotienten bei konstanter Oberfläche sind gleichden Differentialquotienten, die wir weiter oben ohne Berücksichtigung derOberfläche diskutiert haben. Der neue Differentialquotient ist der Quotientaus der differentiellen reversiblen Nutzarbeit bei der Änderung der Ober-156


fläche und dieser Oberflächenänderung. Thermodynamisch betrachtet handeltes sich um die spezifische freie Oberflächenenthalpieγ =( ) ∂g. (371)∂σT,p,n iAllgemein wird diese Größe jedoch als Oberflächenspannung bezeichnet. Da- surface tensionmit giltdg = −sdT +Vdp+ ∑ iµ i dn i +γdσ . (372)DerneueTerminderGibbsschenFundamentalgleichungistdieOberflächenarbeitγdσ. Bei einer mechanischen Vergrößerung der Oberfläche, zum BeispielbeimZerkleinernvonKristallensprichtmanvonäußererOberflächenarbeit,wenn die Oberflächenänderung Resultat eines Stoffwandlungsprozesses ist(chemische Reaktion oder Phasenübergang, wie z.B. beim Auflösen kleinerKriställchen), von innerer Oberflächenarbeit.Für isobar-isotherme Prozesse giltg = ∑ in i µ i +γσ , (373)wobei γσ die Oberflächenenergie darstellt. Bei Konstanz aller anderen Variablenwird die freie Enthalpie g also für eine minimale Oberfläche minimal,wie bereits oben aufgrund einer molekularen Betrachtung erläutert wurde.So fließen kleine Flüssigkeitströpfchen spontan zu größeren zusammen. InKolloiden, Emulsionen und Schäumen besteht deshalb auch eine Tendenz,dass größere Teilchen auf Kosten der kleineren Teilchen wachsen, es gibteinen spontanen Materialfluss von den kleinen zu den großen Teilchen. DasMatthäus-Prinzip 25 gilt also auch für kolloidale Teilchen; der entsprechendeProzeß wird als Ostwald-Reifung bezeichnet. Auch bei kristallinen Niederschlägen,die lange im Gleichgewicht mit einer gesättigten Mutterlaugestehen, wachsen große Kristallite auf Kosten kleiner Kristallite.Die Tendenz einer Phasenoberfläche, sich zusammenzuziehen, kann mandurcheineKraftF beschreiben,dietangentialzurOberflächewirkt.Diespezifischefreie Oberflächenenthalpie mit der Dimension Energie/Fläche kannman ebensogut als eine Größe der Dimension Kraft/Länge auffassen, was25 Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer abernicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden.157


anschaulicher ist. Aus diesem Grund wird γ als Oberflächenspannungγ = F l(374)bezeichnet. Dabei ist F die Kraft, mit der sich ein Streifen Oberfläche derBreite l zusammenzieht. Die Oberflächenspannung kann wahlweise in Einheitenvon mN m −1 oder mJ m −2 angegeben werden. Eine sehr große Oberflächenspannungvon 475 mN m −1 bei 20 ◦ C hat zum Beispiel Quecksilber,aber auch die Oberflächenspannung von Wasser ist mit 72.75 mN m −1 nochgrößer als diejenige der meisten anderen Lösungsmittel, die zwischen 20und 30 mN m −1 liegt. Flüssigkeiten mit hoher Oberflächenspannung benetzenOberflächen sehr schlecht. Analog zur Oberflächenspannung tretenauch Grenzflächenspannungen auf. So liegt z. B. die Grenzflächenspannungzwischen Alkanen und Wasser zwischen 40 und 50 mN m −1 .13.2 Die spezifische Oberflächenentropie und OberflächenenthalpieDurch Anwendung des Schwarz’schen Satzes auf Gl. (372) erhalten wir( ) ( ) ∂s ∂γ= −∂σT,p,n i∂Tp,n i ,σ. (375)Die spezifische Oberflächenentropie kann also durch Messung der Temperaturabhängigkeitder Oberflächenspannung bestimmt werden. Durch Ableitungder Gleichung h = g + TS nach der Oberfläche erhalten wir für diespezifische Oberflächenenthalpie( ) ( )∂h ∂γ= γ −T∂σT,p,n i∂Tp,n i ,σ13.3 Phasengleichgewichte feindisperser Stoffe. (376)Aufgrund der Oberflächenenergie werden sehr kleine Flüssigkeitströpfchenbzw.sehrkleineKristalliteeinenanderenDampfdruckaufweisenalsmakroskopischePhasendergleichenSubstanz.FürdasGleichgewichteinerkompaktenFlüssigkeit mit ihrem Dampf giltµ ❝∗,i(l) = µ ❝∗,i(g)+RT lnp i /p ❝ , (377)158


während für kleine Tröpfchen giltµ ∗,i(l)+γ❝ ( ∂σ= µ∂n∗,i(g)+RTi)T,p❝ lnp i,tr /p ❝ . (378)Da sowohl die Oberflächenspannung γ als auch der Differentialquotient ausOberflächeundStoffmenge,alsodiepartiellemolareOberfläche,positivsind,haben kleine Tröpfchen also einen höheren Dampfdruck als die kompakteFlüssigkeit. Subtraktion der Gleichung (377) von Gl. (378) liefertln p i,trp i= γRT( ∂σ∂n i)T,pMit dem Molvolumen V m kann die partielle molare Oberfläche als( ∂σ∂n i)T,p( ) ∂σ dσ= V m ≈ V m∂VT,pdV(379)(380)ausgedrückt werden. Statt der Volumen- und Oberflächenänderung der gesamtenflüssigen Phase, kann man diejenige eines kugelförmigen Tröpfchensmit dem Radius r betrachtendσV mdV = V 8πrdrm4πr 2 dr = 2V mr. (381)Damit ergibt sichln p i,trp i= 2V mγrRT . (382)Da die Dampfdruckänderung bei der Dispersion in kleine Tröpfchen nurgering ist, ist der Quotient p i,tr /p i nur wenig von Eins verschieden und dieNäherungsbeziehung ln(1+x) = x kann angewandt werden. Dann giltp i,trp i−1 = ∆p i,trp i= 2V mγrRT , (383)so dass wir für die Änderung des Dampfdrucks der Tröpfchen gegenüberdemjenigen der kompakten Flüssigkeit∆p i,tr = p i,tr −p i = 2V mγp irRT(384)erhalten. Für Wassertröpchen mit einem Durchmesser von 100 nm erhältman bei 100 ◦ C so eine Dampfdruckerhöhung von etwa 0.12 atm.159


13.4 KeimbildungDie höhere freie Energie sehr kleiner Teilchen einer Phase erklärt, warumPhasenumwandlungen oft kinetisch gehindert sind. So kann man zum BeispielDampf übersättigen, also unter Bedingungen eine reine Gasphase beobachten,unter denen eigentlich die flüssige Phase thermodynamisch stabilwäre. Die Ursache ist, dass sich bei der Kondensation zunächst mikroskopischkleine Tröpfchen bilden würden, die aber unter diesen Bedingungennicht stabil sind. Anstelle zu wachsen, verdampfen also so kleineTröpfchen sofort wieder. Erst wenn ein Tröpfchen eine gewisse kritischeGröße überschritten hat, wird es zum Kondensationskeim, der dann weiterwächst. Diese Keimbildung kann spontan erfolgen, indem sich zufälliggenügendvieleFlüssigkeitsmolekülezusammenlagern.Dasistallerdingsrechtunwahrscheinlich. Häufiger wirken Fremdkörper, wie zum Beispiel kleineStaubteilchen oder Unregelmäßigkeiten an einer Gefäßoberfläche (BereichehoherOberflächenenergiederGefäßwand)alsKondensationskeime.AufähnlicheWeise kann eine Flüssigkeit überhitzt werden (Siedeverzug), weil derDampfdruckinnerhalbdererstenkleinenGasblasensokleinist,dassdieBlasensofort wieder kollabieren. Eine Flüssigkeit kann auch unterkühlt werden,weil die ersten kleinen Kristallite instabil sind.13.5 Die KapillarwirkungAufgrund der Oberflächenspannung steigen Flüssigkeiten in einer Kapillareauf. Die Ursache ist eine Benetzung der Kapillarwand, die wiederumdaher rührt, dass die Wechselwirkung der Flüssigkeit mit der Kapillarwandanziehend (adhäsiv) ist. Es kommt dadurch zu einer Krümmungder Flüssigkeitsoberfläche. Für eine vollständig benetzende Flüssigkeit istder Druck der Flüssigkeit direkt unter dem Meniskus ist um 2γ/r kleinerals der Atmosphärendruck, wobei r der Innenradius der Kapillare ist. DerDruck unter einer flachen Flüssigkeitsoberfläche ist der Atmosphärendruck.Die Druckdifferenz 2γ/r für die vollständig benetzende Flüssigkeit kann auffolgende Weise hergeleitet werden. Vollständige Benetzung bedeutet, dassdie gesamte innere Oberfläche der Kapillare mit Flüssigkeit bedeckt ist. Wirbetrachten nun eine Aenderung dh der Steighöhe der Flüssigkeit. Dadurchkommt es zu einer Aenderung der Grenzfläche dσ lg zwischen Flüssigkeit undGas an der Innenwand der Kapillare um 2πrdh (Zylindermantelfläche), diewiederumeinerAenderungderfreienOberflächenenthalpieumdg = γdσ lg =160


2πrγdh entspricht. Ferner ist dg gleich der mechanischen reversiblen Nutzarbeitdw = F surf dh. Der Druck, der infolge der Oberflächenspannung vonunten auf die Flüssigkeitsoberfläche A = πr 2 (Kapillarquerschnitt) wirkt,ist p = F surf /A. Wir findenp surf = 2πrγ = 2γ/r (385)πr2 Dieser Druck p surf führt zum Aufsteigen der Flüssigkeitssäule, bis er durchden hydrostatischen Druckp hydro = ρg grav h (386)kompensiert wird. Hier ist ρ die Dichte der Flüssigkeit, h die Höhe derFlüssigkeitssäule und g grav die Gravitationskonstante. Im Gleichgewicht sinddiebeidenDrückegleichgross,weildieKräfteentgegengesetztgerichtetsind.Für die Höhe der Flüssigkeitssäule erhalten wir soh = 2γρg grav r〈vollstaendige Benetzung〉 . (387)DieAnnahmeeinervollständigenBenetzungistallerdingseineIdealisierung.Tatsächlich wird der Benetzungsgrad durch den Kontaktwinkel θ K quanti- contact anglefiziert (siehe Abschnitt 13.5.1 und Abb. 17). Die vertikale Komponente derOberflächenkraft F surf ist dann durch cos(θ K )F surf,ideal gegeben. Wir erhaltenschliesslich für die Höhe der Flüssigkeitssäuleh = 2γcosθ Kρg grav r. (388)Auf diese Weise kann man die Oberflächenspannung γ = γ lg zwischen derFlüssigkeit und ihrem Dampf bestimmen, indem man die Steighöhe h unddenKontaktwinkelθ K misst.IstdieWechselwirkungzwischenderFlüssigkeitund der Kapillarwand unvorteilhaft, so wölbt sich der Meniskus in die andereRichtung, der Kontaktwinkel wird grösser als 90 ◦ . Das ist zum Beispielbei Quecksilber im Kontakt mit Glas der Fall. Dann wirkt auch der Differenzdruckin die andere Richtung und die Flüssigkeit wird in der Kapillaregegenüber dem äußeren Flüssigkeitsspiegel nach unten gedrückt. DiesesPhänomen bezeichnet man als Kapillardepression. In Gl. (388) wird danndie Steighöhe h negativ.161


Glas (s) sl sg lg KDampf (g)Flüssigkeit(l)Abb. 17: Kräftegleichgewicht zurBestimmung des Kontaktwinkels θ K .Das Systemversucht gleichzeitig die Grenzflächen σ sl , σ sg und σ lg zu minimieren, wobei die Tendenzzur Verkleinerung einer Oberfläche der entsprechzenden Oberflächenspannungγ i proportional ist. Das Minimum der Summe aller Oberflächenenergien enstprichteiner Kompensation der vertikalen Kräfte γ sg = γ sl +cos(θ K )γ lg .13.5.1 Der KontaktwinkelWie bereits bemerkt, kann man die Tendenz zur Benetzung einer festen wettingOberfläche durch eine Flüssigkeit durch den Kontaktwinkel θ K quantifizieren.Im Beispiel der Kapillare ist das der Winkel zwischen der FlüssigkeitsoberflächeundderKapillarwand(Abb.17).DerKontaktwinkelresultiertauseinem Kräftegleichgewicht zwischen drei Oberflächenspannungen, wobei dieKraftzurVerringerungderGrenzflächezwischenGlasundDampfnachobengerichtet ist, diejenige zur Verringerung der Grenzfläche zwischen Glas undFlüssigkeit nach unten und diejenige zur Verringerung der Grenzfläche zwischenFlüssigkeitundDampfentlangderTangentederFlüssigkeitsoberflächeam Berührungspunkt mit der Glaswand. Die entsprechenden Oberflächenspannungensind• γ sg : Die Oberflächenspannung zwischen der festen Oberfläche und demumgebenden Gas (meist Luft).• γ sl : Die Oberflächenspannung zwischen der festen Oberfläche und derFlüssigkeit.• γ lg : Die Oberflächenspannung zwischen der Flüssigkeit und dem umgebendenGas.162


Das Kräftegleichgewicht entspricht einer reversiblen Nutzarbeit von Null,also auch dg = 0. Umstellen der Gleichung für das Kräftegleichgewicht nachdem Cosinus des Kontaktwinkels ergibtcosθ K = γ sg −γ slγ lg. (389)Für 0 < θ K < 90 ◦ benetzt die Flüssigkeit die feste Oberfläche vollständig(z.B. Wasser auf Glas). Für Quecksilber liegt der Tropfen nicht flach auf derGlasoberfläche auf. Hier ist θ K = 140 ◦ . Solche Entnetzung tritt auf, wenn dewettingdie Grenzflächenspannung zwischen Festkörper und Dampf geringer ist alsdiejenige zwischen Festkörper und Flüssigkeit, weil nur in diesem Fall derCosinus des Kontaktwinkels negativ werden kann.13.6 Die Adsorption von GasenDie Moleküle oder Atome an der Oberfläche eines Festkörpers sind nur inRichtung des Festkörperinneren bindungsmäßig abgesättigt. Nach der Außenseitekönnen sie andere Teilchen binden. Die Anlagerung eines Teilchensaus einer fluiden Phase an die Festkörperoberfläche wird als Adsorption bezeichnet,das Verlassen der Oberfläche in Richtung der fluiden Phase alsDesorption.BeideVorgänge sind speziellePhasenübergänge. Die molare Adsorptionsenthalpie∆ abs H ist in der Regel negativ, ihr Betrag hängt von derArt der adsorptiven Bindung ab. Man spricht von physikalischer Adsorptionwenn lediglich van-der-Waals-Kräfte (→ Vorlesung Aufbau und Dynamikder Materie) zur Bindung beitragen. In diesem Fall ist normalerweise|∆ abs H| < 50 kJ mol −1 , was allerdings die thermische Energie (2.5 kJmol −1 bei Raumtemperatur) bereits um ein Vielfaches überschreitet. Werdendagegen kovalente Bindungen ausgebildet oder kommt es zu starkenelektrostatischen Wechselwirkungen von Kontaktionenpaaren, spricht manvon Chemisorption. |∆ abs H| ist dann von der Größenordnung 500 kJ mol −1 .Die Terminologie der Adsorption ist in Abb. 18 dargestellt. Der Feststoff A,an den ein Stoff B adsorbiert wird, ist das Adsorbens. Der Stoff B wirdim desorbierten Zustand als Adsorptiv und im adsorbierten Zustand alsAdsorpt bezeichnet. Für ein mit dem Adsorpt beladenes Adsorbens wirdder Ausdruck Adsorbat gebraucht. Das Adsorpt bildet auf dem Adsorbenseinen Adsorptionsfilm. Dabei kann es sich um eine teilweise Bedeckung derOberfläche(Submonolage),umeinemonomolekularenFilm(Monolage)oderum eine Bedeckung mit mehrerer Schichten von Adsorptteilchen (Multila-163


Adsorptiv (B,g)Adsorpt (B,ads)AdsorptionsfilmAdsorbens (A)AdsorbatAbb. 18: Terminologie der Adsorption.ge) handeln. Die adsorbierten Teilchen können auf der Oberfläche lokalisiertoder mobil sein, wobei eine Lokalisierung typischer für die Chemisorptionund mobile Teilchen typischer für die Physisorption sind. Weil dieser Filmals eine zweidimensionale Phase betrachtet werden kann, hat sich insbesondereim Englischen auch der Begriff Interphase (von interface, Grenzfläche)eingebürgert.Abb. 18 deutet auch bereits an, dass spezielle Plätze auf einer Oberfläche,wiez.B.StufenbevorzugteAdsorptionsplätzesind.DieteilweiseAbsättigungder Bindungen an der Festkörperoberfläche durch das Adsorpt verringert dieOberflächenenergie und erleichtert dadurch die Schaffung neuer Oberfläche,zum Beispiel beim Spalten von Kristallen. Der Unterschied zwischen derOberflächenspannung γ A,∗ im Vakuum und der Oberflächenspannung γ inGegenwart des Adsorbens wird als Oberflächendruck π bezeichnetπ = γ A,∗ −γ . (390)Der Oberflächendruck ist grundsätzlich positiv.Der Beladungszustand wird in der Theorie am einfachsten durch die OberflächenkonzentrationΓ = n B,adsσ A(391)wiedergegeben. Messtechnisch einfacher zugänglich ist die Adsorptionsmolalität,die der Quotient aus der Stoffmenge Adsorpt und der Masse desAdsorbens ist. Die Oberflächenkonzentration ist wiederum der Quotient ausAdsorptionsmolalität und spezifischer Oberfläche des Adsorbens. Wenn maximaleine Monolage adsorbiert werden kann, verwendet man auch den Be-164


deckungsgradΘ = ΓΓ max. (392)Für eine quantitative Beschreibung betrachtet man das Phasengleichgewichtzwischen Adsorptiv und Adsorpt, für das gelten mussµ B,ads (T,p,Γ) = µ B,g (T,p). (393)Es gibt also einen Zusammenhang zwischen Γ, T und p. Je nach der Betrachtungsweisebezeichnet man die Abhängigkeiten als• Adsorptionsisotherme Γ = Γ(p),〈T = const.〉 ,• Adsorptionsisobare Γ = Γ(T),〈p = const.〉 ,• Adsorptionsisostere p = p(T),〈Γ = const.〉 .Gemessen werden in der Regel Adsorptionsisothermen bei mehreren Temperaturen.Wir behandeln deshalb im Folgenden die wichtigsten Adsorptionsisothermen.13.6.1 Die Langmuir-IsothermeDie funktionalen Zusammenhänge, die einer Adsorptionsisotherme zugrundeliegen,könnennichtausthermodynamischenÜberlegungenabgeleitetwerden.Dazu sind statistische oder kinetische Überlegungen sowie Modellvorstellungennötig. Wir betrachten das Gleichgewicht zwischen Adsorptund Adsorptiv dabei als dynamisch. Die folgenden Betrachtungen bildenalso einen Abschluss unserer Behandlung der phänomenologischen Termodynamikund leiten zu anderen Gebieten der physikalischen Chemie über.Eine einfach herzuleitende und in vielen Fällen brauchbare Form der Adsorptionsisothermeist die Langmuir-Isotherme. Für die Herleitung werdenfolgende Voraussetzungen gemacht:• Es wird höchstens eine Monolage adsorbiert.• Die Oberfläche des Adsorbens ist homogen.• Zwischen den Adsorptmolekülen gibt es keine Wechselwirkungen, dieBesetzung einer Bindungsstelle auf der Oberfläche hängt also nichtvon der Besetzung benachbarter Bindungsstellen ab.165


(1−Θ)σ AdN ads = k ads p(1−Θ)σ A dt , (394)Oberfläche Θσ AdN des = k des Θσ A dt . (395)Unter diesen Voraussetzungen ist die differentielle Stoffmenge dN ads derin der Zeit dt aus der Gasphase in das Adsorbat übergehenden Moleküleproportional zum Druck p und dem nicht bedeckten Teil der Oberflächewobei k ads eine Proportionalitätskonstante ist, die die Geschwindigkeit derAdsorption kennzeichnet. Solche Konstanten werden uns später in der chemischenKinetik wieder begegnen. Die differentielle Stoffmenge dN des der inder Zeit dt desorbierenden Moleküle ist proportional zum bedeckten Teil derHier ist k des die Geschwindigkeitskonstante der Desorption. Im Gleichgewichtmuss dN ads = dN des gelten, woraus folgtwobeiΘ =k ads pk des +k ads p = Kp1+Kp , (396)K = k adsk des(397)als eine Gleichgewichtskonstante betrachtet werden kann. Mit Gl. (392) ergibtsich die Langmuir-IsothermeDiese Gleichung kann in eine GeradengleichungΓ = Γ maxKp1+Kp . (398)1Γ = 1 1 1+Γ max KΓ max p(399)überführt werden. Ob die Langmuir-Isotherme eine gute Beschreibung einesAdsorptionsprozesses ist, lässt sich also durch Auftragung von 1/Γ gegen1/p erkennen. Häufig ist das nur in begrenzten Druckbereichen in guterNäherungderFall,weildieweiterobengemachtenAnnahmenfürnurwenigeSysteme tatsächlich erfüllt sind.13.6.2 Die BET-IsothermeIn vielen Fällen ist die erste der bei der Herleitung der Langmuir-Isothermegemachten Voraussetzungen unrealistisch. Die erste Adsorptlage kann als166


Substrat für die Physisorption weiterer Moleküle dienen, so dass sich eineMultischicht ausbildet. Die zur Beschreibung solch einer Mehrschichtenadsorptionam häufigsten verwendete Isotherme wurde von Brunauer, Emmettund Teller durch Verallgemeinerung der Überlegungen hergeleitet, die derLangmuir-Isotherme zugrunde liegen. Sie wird als BET-Isotherme bezeichnetund kann alsp(p ∗ −p)Γ = 1CΓ mono+ C −1CΓ monopp ∗(400)geschrieben werden, wobei p der Gleichgewichtsdruck des Adsorptivs, p ∗der Dampfdruck der reinen flüssigen Phase des Adsorptivs bei der gleichenTemperatur, Γ mono die Oberflächenkonzentration für eine Monoschicht undC eine systemeigene Konstante ist. Näherungsweise ist C durch⎛ ⎞⎜C ≈ exp⎝ ∆ desH ❝ −∆ v H ❝ ⎟⎠ (401)RTgegeben, wobei ∆ des H ❝ die Standarddesorptionsenthalpie für die erste Monolageund ∆ v H ❝ die Standardverdampfungsenthalpie der flüssigen Phasedes Adsorptivs ist. Anstelle von Γ und Γ mono kann man in Gl. (400) ebensogutdie Adsorptionsmolalitäten einsetzen. Das entspricht einer Division dergesamten Gleichung durch die spezifische Oberfläche.Eine für die Auswertung experimenteller Daten bequeme Form bezieht sichauf das insgesamt adsorbierte Gasvolumen V und das in einer Monolageadsorbierte Gasvolumen V monowobei z = p/p ∗ ist.VV mono=Cz(1−z)[1−(1−C)z] , (402)13.6.3 Empirische IsothermenAuch die BET-Isotherme macht noch Voraussetzungen, die nicht generellerfüllt sind. Mit empirischen Adsorptionsisothermen kann man mitunterMessdaten zumindest in einem bestimmten Druckbereich besser anpassen.Die Temkin-IsothermeΘ = c 1 ln(c 2 p) (403)167


enstpricht einer linearen Abhängigkeit der Adsorptionsenthalpie vom Druck,während die Freundlich-IsothermeΘ = c 1 p 1/c 2(404)einem logarithmischen Zusammenhang entspricht. Die Freundlich-Isothermeist oft eine recht gute Beschreibung für die Adsorption von gelösten Stoffenaus einer flüssigen Lösung an ein Adsorbens. Sie kann dann in der Formw = c 1 c 1/c 2(405)verwendet werden, wobei w der adsorbierte Massenanteil (Masse des aus derLösung adsorbierten Stoffs pro Masse Adsorbens) und c die Konzentrationdes gelösten Stoffes sind.Zum NachlesenAtkins,2001: S. 907–911, 929–940Engel/Reid,2006: S. 216–219, 1122-1126Wedler,1997: S. 411–446.Kondepudi,2008: p. 411–430168


14 Elektrochemische <strong>Thermodynamik</strong>14.1 Grundbegriffe der ElektrochemieBestimmte chemische Reaktionen, die freiwillig nicht ablaufen, können erzwungenwerden, indem dem System Nutzarbeit zugeführt wird. Das erforderteine Vorrichtung zum Austausch solcher Nutzarbeit. In der Elektrochemiewird die Nutzarbeit w el über Elektroden ausgetauscht. So kann zum electrodesBeispiel Aluminiumoxid durch Zufuhr elektrischer Energie zu Aluminiumreduziertwerden.UmgekehrtkanndiebeieinerfreiwilligablaufendenchemischenReaktion frei werdende Energie über Elektroden direkt als elektrischeEnergie gewonnen werden. Dieses Prinzip ist in Batterien und Brennstoffzellenrealisiert. In Akkumulatoren werden beide Richtungen der elektro- fuel cellchemischen Reaktion genutzt, je nachdem, ob gerade elektrische Energie alschemische Energie gespeichert werden soll oder unter Aufwendung chemischerEnergie elektrische Energie gewonnen werden soll.Die Zufuhr oder Abfuhr elektrischer Nutzarbeit w el = −U el It erfordert denTransport von Ladung q el = It zwischen den beiden Elektroden, an denen chargedie elektrische Spannung U el anliegt. Das Vorzeichen der Spannung ist für einefreiwillig ablaufende Reaktion positiv. Um diesen Ladungstransport bzw.Stromfluss zu ermöglichen, muss das System elektrisch leitfähig sein. Der currentconductingRaum zwischen den Elektroden ist deshalb durch einen oder mehrere Elektrolyteausgefüllt. Ein Elektrolyt ist eine Substanz, die vollständig oder teil- electrolyteweise in bewegliche Ionen dissoziiert ist. Typische Elektrolyte sind Lösungenanorganischer Salze in Wasser oder Schmelzen solcher Salze. So wird z. B.Aluminium elektrochemisch aus der Schmelze einer Mischung von Kryolithund Aluminiumoxid abgeschieden, weil diese Mischung bei einer niedrigerenTemperatur schmilzt als reines Aluminiumoxid. In modernen Batterien undAkkumulatoren werden auch polymere Elektrolyte verwendet, in denen dieIonen einer Ladung durch Seitengruppen eines Makromoleküls eingebrachtwerden und unbeweglich sind, während dieGegenionen niedermolekularund counterionsbeweglich sind.Grundsätzlich gilt bei der Dissoziation die Elektroneutralitätsbedingung|z + ν + | = |z − ν − | , (406)wobei z + und z − die Ladungszahlen der positiv geladenen Kationen und cationsnegativ geladenen Anionen sowie ν + und ν − deren stöchiometrische Koeffi- anions169


zienten sind.14.2 Faradaysche GesetzeAlsBeispielbetrachtenwirdieElektrolyseeinerwässrigenKupfer(II)chloridlösung.Dabei ist z + = 2, ν + = 1 (Cu 2+ ) und z − = −1, ν − = 2 (2 Cl − ). An dernegativ geladenen Kathode wird Kupfer abgeschiedenCu 2+aq +2e − −→ Cu(s) , (407)während sich an der positiv geladenen Anode Chlorgas entwickelt2Cl − aq −→ Cl 2 (g)+2e − . (408)Der tiefgestellte Index aq bezeichnet hydratisierte Ionen.Die an der Anode aus der elektrochemischen Zelle austretenden Elektronen electrochemicalfließen als Strom über einen Außenleiter zur Kathode. In diesem Fall, in dem celldie Reaktion nicht freiwillig abläuft, muss der Strom durch einen anderenProzess erzwungen werden, d. h. es muss eine hinreichende Spannung anden Elektroden angelegt werden. Bei freiwillig ablaufenden Reaktionen kannder Stromfluss genutzt werden, um andere Prozesse zu treiben, z. B. einenElektromotor oder eine Leuchtdiode.Wie aus den Gl. (407) und (408) bereits ersichtlich, ist die Masse der elektrolytischenProdukte der transportierten Ladung q el = It proportional.Diese zunächst empirisch gefundene Gesetzmäßigkeit ist das Erste FaradayscheGesetz. In unserem Fall werden zwei Mol Elektronen benötigt, um einMol Kupfer abzuscheiden. Da Produkt aus der Avogadro-Konstante und derElementarladung ist die Faraday-Konstante:F = N A e = 96487.0 C mol −1 . (409)Ebenfalls zunächst empirisch durch Faraday gefunden wurde das Zweite FaradayscheGesetz, nach dem sich die durch gleiche Elektrizitätsmengen abgeschiedenenMassen verschiedener Stoffe zueinander verhalten wie die durchdie Beträge der Ladungszahlen z + und z − dividierten molaren Massen Mdieser Stoffe. Die beiden Gesetze und ihre physikalische Interpretation lassensich in einer Gleichung für die Masse des abgeschiedenen Stoffes zusammenfassen:170m = MItzF , (410)


wobei z entweder z + oder z − ist. Entsprechend ist die elektrische Nutzarbeitw el = −U el It = −U elmzFM = −U elnzF . (411)14.3 Elektrochemische Gleichgewichte und reversible Zellspannung14.3.1 Die reversible ZellspannungUm mit den im vorhergehenden Abschnitt eingeführten Gleichungen <strong>Thermodynamik</strong>zu betreiben, müssen wir U el näher definieren. Unsere Herleitunghat ausschließlich die chemische Reaktion betrachtet, Spannungsverlustedurch den elektrischen Widerstand R in der Apparatur haben wir resistancevernachlässigt. Wir arbeiten zudem mit dem Formalismus der (klassischen)findet man auch den Begriff der elektromotorischen Kraft (EMK) als Syn-onym für die reversible Zellspannung.Bei reversiblem Verlauf der Zellreaktion folgt unter isotherm-isobaren Bedingungenaus Gl. (411) und Gl. (229)∆ R G = −zFU rev . (412)Mit der van´t Hoffschen Reaktionsisotherme Gl. (348) folgt die NernstscheGleichungU rev = U ❝rev − RTzF ln∏ iwobei wir die Standard-Zellspannungα ν ii, (413)Gleichgewichts-<strong>Thermodynamik</strong>, nehmen also reversible Vorgänge an. Daherist U el als reversible Zellspannung U rev zu interpretieren. In der Literatur reversiblepotentialelectromotive force(EMF)U ❝rev = − ∆ RG ❝zF(414)eingeführt haben, die durch die reversible Zellspannung gegeben ist, wenndie Aktivitäten a i aller Komponenten i den Wert 1 haben. Die Standardzellspannungentspricht dem Standarddruck, kann aber für verschiedeneTemperaturen angegeben werden. Die molare elektrochemische Affinität istA el = zFU rev , wobei z die Anzahl der Elektronen ist, die bei einem MolFormelumsatz an jeder der Elektroden ausgetauscht werden.171


14.3.2 Temperatur- und Druckabhängigkeit der reversiblen ZellspannungWegen der Temperatur- und Druckabhängigkeit von ∆ R G ist auch die Zellspannungtemperatur- und druckabhängig. In unserem Beispiel der Kupferchloridelektrolysewird z.B. Chlorgas gegen den äußeren Druck p gebildet,wofür ein druckabhängiger Energiebeitrag aufgewendet werden muss. MitGl. (254) folgt(∂Urev∂T)p= ∆ RSzF , (415)sowie mit Gl. (255)Mit Gl. (416) und(∂Urev∂p)T= − ∆ RVzF . (416)∆ R V = RT ∑ iν ip i〈ideale Gase〉 (417)können wir eine Gl. (413) analoge Gleichung erhaltenU rev = U ❝rev − RTzF ln∏ i⎛⎝ p ip ❝ ⎞⎠ν i. (418)Alle bisherigen Ableitungen haben vorausgesetzt, dass die Zellspannung alleindurch die elektrochemische Reaktion bedingt ist, dass es also außer andenElektrodenkeinePotentialsprüngegibt.DieentsprechendeZellspannungallein aufgrund der Reaktionen wird auch als Galvani-Spannung bezeichnet.Gibt es weitere Potentialsprünge in der Zelle, so müssen diese berücksichtigtwerden.14.4 Das MembranpotentialDie Trennung der Reaktionsräume von Kathode und Anode ermöglicht einebessere Kontrolle des elektrochemischen Prozesses. So kann z. B. vermiedenwerden, dass an einer Elektrode gebildete Produkte zur anderen Elektrodediffundieren und dort unerwünschte Nebenreaktionen eingehen. Das Prinzipeiner solchen Trennung von Reaktionsräumen wird auch in der lebendenNatur ausgiebig genutzt. Eine lebende Zelle ist in gewisser Hinsicht einfachein Reaktionsraum, der durch eine Membran (oder ein System mehrerer172


Membranen) von der Umgebung abgegrenzt ist. Die meisten Zellen habenweitere spezielle getrennte Reaktionsräume (Organellen).Die zur Abgrenzung eines Reaktionsraums verwendeten Membranen sindsowohl in der Natur als auch in der Technik oft semipermeabel, d. h. siesind für bestimmte Stoffe oder Ionen durchlässig, für andere hingegen nicht.So kann einerseits der Antransport von Ausgangsstoffen (Nahrung) und Abtransportvon Endprodukten (Ausscheidungen) gewährleistet werden, andererseitskönnen unerwünschte Stoffe vom Reaktionsraum ferngehalten undgewünschte im Reaktionsraum festgehalten werden. In einer elektrochemischenZelle muss die semipermeable Membran für wenigstens eine Ionensortedurchlässig sein, damit ein Stromfluss gewährleistet ist.An einer semipermeablen Membran bildet sich ein Membranpotential 26 aus.Als Beispiel betrachten wir eine Membran die einen Reaktionsraum ein I miteiner höher konzentrierten KCl-Lösung von einem Reaktionsraum II mitniedriger konzentrierter KCl-Lösung trennt. Die Membran soll ausschließlichfür die Kaliumionen durchlässig sein. In diesem System ist zunächst daschemische Potential der Kaliumionen in den beiden Reaktionsräumen verschieden.Dadurch kommt es zu einer Diffusion der Kaliumionen durch diesemipermeableMembranvomReaktionsraumIindenReaktionsraumII.Danur Kationen diffundieren, wird Reaktionsraum II positiv aufgeladen, ReaktionsraumI hingegen durch die zurückbleibenden Chloridionen negativ. DieDifferenz der elektrischen Potentiale φ I und φ II der beiden Reaktionsräumewirkt der Diffusion entgegen, so dass diese schließlich zum Erliegen kommt.Zur Quantifizierung müssen wir den Einfluss des elektrischen Potentials aufdas chemische Potential untersuchen.In einem elektrischen Potential φ hat ein geladenes Teilchen ein zusätzlicheEnergie zeφ, die zur inneren Energie, Enthalpie, freien Energie, und freienEnthalpie addiert werden muss. Für ein Mol Teilchen ist der entsprechendeEnergieterm durch zFφ gegeben, so dass wir für das durch ein elektrischesPotential modifizierte chemische Potential die Gleichungµ (φ)i= µ i +Fz i φ (419)erhalten. Aus der Gleichgewichtsbedingung für die Kaliumionenµ (φ) IK + = µ (φ) IIK + (420)26 Streng genommen handelt es sich um eine Potentialdifferenz, also eine Spannung, derBegriff Membranpotential ist aber allgemein üblich.173


folgt somitµ ❝ K + +RT lna I K + +zFφ I = µ ❝ K + +RT lna II K + +zFφ II . (421)Dabei ist z = 1, wir haben das aber nicht eingesetzt, damit die allgemeineForm der Gleichung sichtbar bleibt. Für die Potentialdifferenz im Gleichgewichtfolgt( )U membran = φ I −φ II = RT aIIzF ln K +a I . (422)K +In verdünnten Lösungen kann man in erster Näherung den Unterschied derAktivitätskoeffizienten in beiden Reaktionsräumen vernachlässigen und dieAktivitäten durch Konzentrationen oder Molalitäten ersetzenU membran ≈ RT ( [K + ) ( )zF ln ] II[K + = RT ̂mII] IzF ln K +̂m I K +14.5 Die elektrochemische Zelle(423)Die beiden Elektrodenreaktionen Gl. (407) und (408) sind Halbreaktionen, half-reactionda sie nur miteinander gekoppelt ablaufen können. Die Oxidation Gl. (408)liefert die Elektronen für die Reduktion Gl. (407). Allgemein besteht eineelektrochemischeZelleauszweiHalbzellen,indenenanderKathodeeineReduktionund an der Anode eine Oxidation ablaufen. In der kurzen Notationfür elektrochemische Zellen wird die Reduktion rechts geschrieben, Phasengrenzenwerden mit senkrechte Strichen gekennzeichnet, die Trennung desKathoden- vom Anodenraum durch eine Salzbrücke mit einem senkrechtenDoppelstrich. Das Zellsymbol für die Kupfer(II)chloridelektrolyse ist daherCl 2 (g), Pt|Cl − aq||Cu 2+aq|Cu, wobei wir angenommen haben, dass das Kupferan einer Kupferelektrode abgeschieden wird (nach hinreichend langer Zeit isdas sicher der Fall) und das Chlor an einer Platinelektrode entwickelt wird.Der Doppelstrich trennt die Halbzellen. Es ist praktisch und üblich die Potentialeφ ❝ von Halbzellen (Elektroden) unter Standardbedingungen zu tabellieren(üblicherweise bei 298 K) und die Standard-Zellspannung gemäßU ❝rev = φ ❝ K −φ ❝ A , (424)wobei φ ❝ K das Standardelektrodenpotential der Kathode und φ ❝ A dasjenige174


der Anode ist. Für unser Beispiel finden wir φ ❝ K = 0.339 V und φ ❝ A = 1.360V, also U ❝rev = −1.021 V. Die negative Standardzellspannung bedeutet, dassdie Elektrodenreaktion unter Standardbedingungen nicht freiwillig abläuft.Um Kupfer aus der Lösung abzuscheiden und Chlor zu entwickeln, muss eineSpannung von mindestens 1.021 V von außen an die Elektroden angelegtwerden(negativerPolandieKathode).InderPraxistretenÜberspannungen excess potentialauf, so dass eine etwas höhere Spannung nötig ist. Wenn die Zelle in dieserArt betrieben wird, spricht man von einer Elektrolysezelle. Wenn keineSpannung angelegt wird, sondern die beiden Elektroden über einen Stromverbrauchermiteinander verbunden werden, so geht an der KupferelektrodeKupfer in Form von Cu 2+ -Ionen in Lösung, während an der PlatinelektrodeChlor zu Chloridionen reduziert wird. In dieser Betriebsart wird die Zelleals galvanische Zelle bezeichnet.Zum NachlesenAtkins,2001: S. 293–321Engel/Reid,2006: S. 286–301Wedler,1997: S. 187–197, 448–477Kondepudi,2008: p. 311–319175


15 Nichtgleichgewichts-Systeme15.1 VorbemerkungenDie Beziehungen der klassischen <strong>Thermodynamik</strong> gelten nur im Gleichgewichtund bei reversiblen Prozessen. Derartige Prozesse laufen jedoch nurunendlich langsam ab, so dass praktisch alle tatsächlich zu beobachtendenProzesse wesentlich irreversibel sind und sich die meisten unserer Beobachtungenauf Nichtgleichgewichts-Systeme beziehen. Leben ist prinzipiell einNichtgleichgewichts-Phänomen, wie auch jegliche andere Evolution, z. B.diejenige des Universums. Die gegenwärtige Forschung in Chemie, Lebenswissenschaftenund Materialwissenschaften beschäftigt sich fast ausschließlichmitSystemenundPhänomenen,diealleinmitKonzeptenderklassischen(Gleichgewichts-)<strong>Thermodynamik</strong> nicht verstanden werden können.In diesem Kapitel kommen wir auf Grundgedanken der irreversiblen <strong>Thermodynamik</strong>zurück, die bereits im Teil I des Vorlesungskurses kurz eingeführtwurden. Zunächst präzisieren wir das Konzept des lokalen Gleichgewichtsund führen die wichtigsten thermodynamischen Kräfte und Flüsseauf systematische Weise ein. Wir gehen dann auf Systeme ein, die sich naheam thermodynamischen Gleichgewicht befinden. In diesem linearen Regime linear regimekommt es bereits zu Kreuzeffekten zwischen den verschiedenen Flüssen, z.B. cross effectszwischenWärmeflussundLadungsfluss (thermoelektrischeEffekte). Wirlernendie von Lars Onsager eingeführte Reziprozitäts-Beziehung kennen, diefür solche Kreuzeffekte gilt. Fernab vom Gleichgewicht treten nichtlineare far-fromequilibriumEffekte auf, die zu der spontanen Selbstorganisation führen, welche wiederumdie Ursache des Reichtums der Formen und Strukturen in der Welt ist.Dieses Regime kann mit dem von Ilya Prigogine eingeführten Konzept derdissipativen Strukturen verstanden werden.dissipative structure15.2 Das Konzept des lokalen Gleichgewichts15.2.1 Unterteilung des Systems in kleine VolumenelementeDie klassische <strong>Thermodynamik</strong> nimmt implizit an, dass die betrachtetenSysteme räumlich homogen sind. Das ergibt sich daraus, dass sich ein inhomogenesSystem nicht in einem inneren Gleichgewicht befindet. Viele Systemevon Interesse sind jedoch räumlich inhomogen. Um diese Situationzu beschreiben unterteilen wir das betrachtete System in kleine VolumenelementeδV, deren Position wir durch den Ortsvektor ⃗x bezeichnen. Wir176


nehmen ferner an, dass sich jedes dieser kleinen Volumenelemente zu beliebigenZeitpunkten t in einem inneren Gleichgewicht befindet, aber nichtnotwendigerweise im Gleichgewicht mit seinen Nachbarelementen.Jedes Volumenelement für sich ist ein offenes System, es kann Energie undStoff mit seinen Nachbarelementen austauschen. Dieser Austausch führt zueiner zeitlichen Entwicklung (Evolution) des Systems. Die Gleichgewichtslagein jedem Volumenelement wird somit zeitabhängig und auch die Zustandsgrößenhängen außer vom Ortsvektor ⃗x zusätzlich von der Zeit t ab.Die Größe der Volumenelemente muss so gewählt werden, dass ihnen einerseitswohldefinierte Zustandsgrößen zugewiesen werden können und andererseitsinnere Inhomogenitäten und Nichtgleichgewichte vernachlässigt werdenkönnen. So wäre z. B. die thermodynamische Temperatur T nicht definiert,wenn ein Volumenelement nur ein Teilchen oder gar kein Teilchen enthielte.Allgemein ist die Unsicherheit einer Zustandsvariable in einem Teilsystemmit N Teilchen von der Größenordnung √ N, 27 so dass für die Teilchenzahlin einem Volumenelement δV die Beziehung N ≫ √ N gelten muss.Für ein Zellvolumen von 1 (µm) 3 = 10 −15 L ist das in der Regel gegeben,während Inhomogenitäten auf dieser Größenordnung in den meisten Fällenvernachlässigbar sind.Bei einer plötzlichen Störung des Systems können prinzipiell lokale Nichtgleichgewichteauch innerhalb eines so kleinen Volumenelements auftreten.EinegenauereUntersuchunghatgezeigt,dassdieseNichtgleichgewichtedurchTeilchenzusammenstöße auf einer Zeitskala von 10 ns relaxieren. Das Konzeptdes lokalen Gleichgewichts ist daher auf einer Zeitskala oberhalb von100 ns eine sehr gute Näherung. Es lässt sich auch einfach in ein Computermodelldes Systems übertragen, wofür man sich der Methode der finitenElemente bedient.15.2.2 Zustandsgrößen der Volumenelementefinite element method(FEM)In der lokalen Beschreibung werden nun alle intensiven Variablen durch ihrelokalen Werte ersetzt, z. B. T = T(⃗x,t), p = p(⃗x,t) und µ i = µ i (⃗x,t).Anstelle der extensiven Variablen werden deren lokale Dichten verwendet,z. B.˜s(⃗x,t) = s(⃗x,t)δV. (425)27 Solche Überlegungen werden in der Statistischen <strong>Thermodynamik</strong> präzisiert177


Analoge Definitionen gelten für alle extensiven Energiegrößen (u, h, f, g),während die lokale Dichte der Stoffmenge ñ i (⃗x,t) nichts anderes ist als dielokale Konzentration c i (⃗x,t) der Komponente i.Mit diesen Substitutionen gelten für jedes Volumenelement alle Beziehungender klassischen <strong>Thermodynamik</strong> lokal weiter, wie wir sie im Teil I für dasGesamtsystem kennengelernt haben. Dieses Konzept eines lokalen Gleichgewichtssetzt voraus, dass alle extensiven Zustandsgrößen des Gesamtsystemsdurch Summation über die Volumenelemente berechnet werden können. FürErhaltungsgrößen, d. h. die Energiegrößen u, h, f, g, gilt das strikt, ebensofür die Stoffmengen, da sich Teilchenzahlen in verschiedenen Volumenelementennicht gegenseitig beeinflussen. Die Entropie eines Systems aus vielenVolumenelementen mit unterschiedlichen internen Zuständen hängt aberstreng genommen von der Anordnung dieser Elemente ab. 28 Allerdings lässtsich auch zeigen, dass der zusätzliche Entropiebeitrag durch Korrelationenzwischen den Volumenelementen vernachlässigbar klein ist, sofern nicht sehrgroße Konzentrationsgradienten auftreten. Derartig große Konzentrationsunterschiedezwischen benachbarten Volumenelementen auf Längenskalenvon 1 µm treten nur in sehr wenigen Fällen auf, z. B. bei der Beschreibungder Schockwelle, die von einer Explosion erzeugt wird. In solchen Fällenmuss man eine Korrektur anbringen. In allen anderen Fällen kann auch dieEntropie einfach über alle Volumenelemente aufsummiert werden.15.3 Thermodynamische Kräfte und Flüsse15.3.1 Die lokale EntropieproduktionDer 2. Hauptsatz der <strong>Thermodynamik</strong> gilt auch lokal. 29 In einem Systemmit N Volumenelementen gilt also nicht nur die AussageN∑d i s = d i s k ≥ 0 , (426)k=1sondern auchd i s k ≥ 0 fuer alle k = 1...N . (427)28 Auch das lässt sich in der statistischen <strong>Thermodynamik</strong> zeigen29 Die Alternative wäre, dass sich Verstöße gegen den 2. Hauptsatz an verschiedenenOrten gegenseitig kompensieren könnten. Es lässt sich zeigen, dass eine derartige Kompensationim Widerspruch zum Relativitätsprinzip stünde. Auf die gleiche Weise kannman zeigen, dass der 1. Hauptsatz lokal gelten muss.178


Wie wir bereits im Abschnitt 8.2.4 gesehen haben, gilt d i s ≥ 0 für jeglicheArt von Systemen, abgeschlossen, geschlossen und offen, mithin also auchd i s k ≥ 0. Die N simultanen Ungleichungen (427) schränken die Evolutiondes Systems viel stärker ein als die eine Ungleichung (426), d.h. die irreversible<strong>Thermodynamik</strong> erlaubt stärkere Aussagen über die Evolution desSystems als die klassische.Mit der Definition der Geschwindigkeit der lokalen Entropieproduktion proEinheitsvolumenσ(⃗x,t) = d i˜s(⃗x,t)dt(428)erhalten wir für die Geschwindigkeit der Entropieproduktion im gesamtenbetrachteten Systemd i sdt = ∫σ(⃗x,t)dV . (429)15.3.2 Die Beziehung zwischen thermodynamischer Kraft undthermodynamischem FlussDie lokale Entropieproduktion ist das Resultat verschiedener simultan ablaufenderirreversibler Prozesse. Sie kann daher als Summe über die Produktevon thermodynamischer Kraft F k und thermodynamischem Fluss J kder einzelnen irreversiblen Prozesse ausgedrückt werden:σ = ∑ kF k J k . (430)Dabei treibt die Kraft F k primär den Fluss J k . Die wichtigsten Flüsse sindräumliche Flüsse von Wärme, Stoffmenge und Ladung und der strikt lokaleStoffmengenfluss durch chemische Reaktionen. Die räumlichen Flüssewerden durch Gradienten ∇ = ∂/∂x + ∂/∂y + ∂/∂z der Temperatur T(Wärmefluss, Wärmeleitung), des chemischen Potentials µ i (Stoffmengenfluss,Diffusion) und des elektrischen Potentials φ (elektrischer Strom, elektrischeLeitung)erzeugt.EinräumlicherFlusswirddaherdurcheinenVektor⃗J k beschrieben. Die Einheit dieser Flüsse ergibt sich aus der DimensionsbetrachtungFließendeGröße/(Fläche · Zeit) undistz.B.fürdieWärmeleitungJ m −2 s −1 . Für die Diffusion ergibt sich die Einheit mol m −2 s −1 und fürden Ladungsfluss C m −2 s −1 = A m −2 .Chemische Reaktionen sind nichträumliche Flüsse mit der Einheit mol m −3s −1 . Eine Übersicht über die wichtigsten thermodynamischen Kräfte und diezugehörigen Flüsse gibt Tabelle 2. Die Flussgleichung ist ein Geschwindig-179


keitsgesetz (chemische Kinetik). Obwohl die Kraft den Fluss treibt, könnendiese Geschwindigkeitsgesetze nicht allgemein aus dem Ausdruck für dieKraft hergeleitet werden. Sie wurden zunächst empirisch gefunden und danndurchmikroskopischeModelleplausibelgemacht.IndenfolgendenAbschnittenbeschränken wir uns der Einfachheit halber auf eindimensionale Flüsse.Obwohl wir keine expliziten Gleichungen mehr verwenden, entspräche daseiner Substitution von ∇ durch ∂/∂x und von ⃗x durch x. Die Kräfte undFlüsse sind damit skalare Größen.Tabelle 2: Thermodynamische Kräfte und die zugehörigen Flüsse. Die Symbolebedeuten: κ Wärmeleitkoeffizient, D i Diffusionskoeffizient der Komponentei, ⃗ E elektrisches Feld, ρ el,i Querschnitt · Widerstand / Länge für denLadungsträger i, k Reaktionsgeschwindigkeitskonstante.Prozess Kraft F k Fluss J ⃗ k GeschwindigkeitsgesetzWärmeleitung ∇ 1 Wärmefluss Jq ⃗ = −κ∇T(⃗x)TDiffusion −∇ µ iDiffusionsstrom JD,i ⃗ = −DT i∇n i(⃗x)Elektrische Leitung −∇ φ = E ⃗ elektrischer Strom ⃗ E Ii = ⃗ T T ρ el,iAChem. Elementarreaktion j jReaktionsgeschwindigkeit rT j = k[X] a [Y] b ...ImGleichgewichtverschwindendiethermodynamischenKräfte.FürdieräumlichenFlüsse ergibt sich das aus der räumlichen Homogenität eines Systemsim Gleichgewicht, weil in einem homogenen System alle Gradientenverschwinden. Für die chemischen Reaktionen ist im Gleichgewicht A j =−∆ R G j = 0. Da die Flüsse von den Kräften getrieben werden, verschwindenim Gleichgewicht auch alle Flüsse. Für die räumlichen Flüsse ist dasanhand Tabelle 2 leicht zu verifizieren. Für die chemischen Reaktionen sindim Gleichgewicht die Geschwindigkeiten von Hin- und Rückreaktion gleich,so dass sich beide Prozesse kompensieren.15.4 Nahe dem Gleichgewicht: Die Onsager-Reziprozitäts-BeziehungNahe dem Gleichgewicht kann man annehmen, dass der Fluss proportionalzur Kraft ist (lineares Regime). Dabei kommt es zu Kreuzeffekten,J k = ∑ jL kj F j , (431)180


d. h. eine Kraft F j kann den Fluss J k einer anderen Größe treiben. EinBeispiel sind thermoelektrische Effekte, bei denen entweder ein Temperaturgradientzu einem elektrischen Strom führt (Seebeck-Effekt) oder einePotentialdifferenz zu einem Wärmefluss (Peltier-Effekt). Auch Kreuzdiffusionwird beobachtet. Dabei erzeugt der Gradient des chemischen Potentialseines Stoffes einen Stoffmengenfluss eines anderen Stoffes.Für die Entropieproduktion im linearen Regime konnte Onsager die Beziehungσ = ∑ L jk F j F k (432)jkherleiten, wobei die einzelnen Kräfte positiv oder negativ sein können. Umfür jede beliebige Kombination positiver und negativer Kräfte die Ungleichungσ > 0 zu erfüllen, die aus dem 2. Hauptsatz folgt, muss die MatrixL der Koeffizienten L jk positiv definit sein. Daraus folgt, dass alle DiagonalelementeL kk positiv sein müssen, während Kreuzkoeffizienten L kj mitk ≠ j positiv oder negativ sein können.Da im Gleichgewicht das Prinzip der detaillierten Balance (Synonym: Prinzipder mikroskopischen Reversibilität) gilt, muss nahe am GleichgewichtL jk = L kj (433)gelten. Diese Gleichung ist die Onsager-Reziprozitäts-Beziehung. Aus Messungenzum Seebeck-Effekt kann man daher den Peltier-Effekt im gleichenSystem quantitativ vorhersagen. Ebenso steht die Kreuzdiffusion eines StoffesB, getrieben durch einen Konzentrationsgradienten des Stoffes A in einerReziprozitätsbeziehung zur Kreuzdiffusion des Stoffes A getrieben durcheinen Konzentrationsgradienten des Stoffes B.15.5 Fern vom Gleichgewicht: Dissipative Strukturen undSymmetriebruchUnter dem Einfluss der statistischen <strong>Thermodynamik</strong> wurde die Entropie smit der ”Unordnung“ eines Systems assoziiert. Diese intuitive Vorstellungist noch heute in den meisten Lehrbüchern zu finden, weil sie das sehr abstrakteKonzept der Entropie veranschaulicht. Für einfache Systeme ist sieauch durchaus korrekt. Allerdings darf man nicht folgern, dass Entropiezuwachsauch in komplexen Systemen grundsätzlich zu einem Zuwachs anUnordnung, also zur Auflösung von Strukturen und zur“Homogenisierung“181


des Systems führt.Fernab vom thermodynamischen Gleichgewicht können die spontan ablaufendenirreversiblen Prozesse Selbstorganisation induzieren. Die in diesenProzessen gebildeten Strukturen entstehen durch Dissipation freier Energiebei gleichzeitiger Entropieproduktion und werden deshalb als dissipativeStrukturen bezeichnet. Offene Systeme können durch Energie- und Materieflussfür unbegrenzte Zeit fernab vom Gleichgewicht verharren. Daherkönnen auch die dissipativen Strukturen für unbegrenzte Zeit aufrecht erhaltenwerden.aT kaltT warmbOrdnungsparameter 0 cKritischer Parameter Abb. 19: Dissipative Strukturen. (a) Zwei äquivalente dissipative Strukturen,die sich in einer Flüssigkeit bei einer hinreichend großen Temperaturdifferenzλ = T warm − T kalt ausbilden können. (b) Abhängigkeit des Ordnungsparametersα vom kritischen Parameter λ. Für λ > λ c ist eine der beiden in (a) gezeigtenStrukturen realisiert.Als einfaches Beispiel einer dissipativen Struktur betrachten wir Konvektionsmuster,die z.B. beobachtet werden, wenn eine Flüssigkeit mit darin enthaltenenSchwebstoffen in einem Glastopf auf einer Herdplatte erhitzt wird(zurIllustrationeineridealisiertenSituation,sieheAbb.19).DieAusbildungdieser Strukturen wird durch den kritischen Parameter λ = T warm − T kalt critical parameterkontrolliert. Im Gleichgewichtszustand ist λ = 0 und die Flüssigkeit ist inRuhe. Eine dissipative Struktur existiert nicht. Der mit dieser Struktur verbundeneOrdnungsparameter α ist ebenfalls Null.order parameterDurch Heizen der Herdplatte und Energieabgabe an die kältere Umgebungan der Flüssigkeitsoberfläche kann nun eine Temperaturdifferenz λ > 0 erreichtwerden. So lange das System sich nahe am Gleichgewicht befindet182


(niedrige Heizstufe), bleibt die Flüssigkeit in Ruhe und der Wärmetransporterfolgt ausschließlich durch Wärmeleitung. Das kann auch außerhalb des linearenRegimes noch der Fall sein.Bei einem kritischen Wert λ c bzw. Schwellwert des kritischen Parameters critical valuethresholdλ wird das System instabil und die Flüssigkeit kommt in Bewegung. Esbildet sich eines der beiden in Abb. 19(a) dargestellten Konvektionsmusteraus. Die beiden Muster unterscheiden sich durch die Richtung des Konvektionsstromsin der Topfmitte. Dieser Konvektionsstrom ist parallel (α > 0oder antiparallel (α < 0) zum Temperaturgradienten. Die Geschwindigkeitdes Konvektionsstroms kann mit dem Betrag des Ordnungsparameters assoziiertwerden. Die Existenz eines Schwellwerts des kritischen Parametersist ein allgemeines Merkmal dissipativer Strukturen. Unterhalb des Schwellwertsbeträgt der Ordnungsparameter grundsätzlich α = 0. Oberhalb desSchwellwerts ist α ≠ 0 und es bildet sich ein organisiertes Muster aus. DerBetrag von α ist für λ > λ c von λ abhängig, kann aber für große λ asymptotischeinen Sättigungswert anstreben.Welches der beiden Muster in unserem Beispiel realisiert wird, hängt vonzufälligenFluktuationenimSystemab.IneinemFallbewegtsichdieFlüssigkeitin der Topfmitte nach oben, in anderen nach unten. Es kommt zu einemSymmetriebruch-injedemeinzelnenFallwirdnureinerderbeidenZweigeimα-λ-Diagramm realisiert. Wenn in einem gleichen oder gleichartigen SystemsehroftdissipativeStrukturenausgebildetwerden,sowerdenimMittelbeideZweige gleich oft realisiert. Der Symmetriebruch und die Verzweigung sind bifurcationweitere allgemeine Merkmale dissipativer Strukturen.Ein weiteres Beispiel für eine dissipative Struktur ist die Belousov-Zhabotinsky-Reaktion,beidereineOszillationvonProduktkonzentrationenauftretenkann. Bei dieser Reaktion handelt es sich um eine recht komplexe Abfolgeverschiedener Reaktionsschritte, die mit bis zu 22 Schritten modelliert wordenist. Entsprechend komplex ist auch das Verhalten des Systems, das mitnur einem kritischen Parameter und einem Ordnungsparameter nicht ausreichendbeschrieben werden kann.Zum NachlesenAtkins,2001: S. 975–992Kondepudi,2008: p. 327–341, 345–352183


A Die Mathematik der <strong>Thermodynamik</strong>A.1 ZustandsfunktionenDie <strong>Thermodynamik</strong> beschreibt Zustandsänderungen von stofflichen Systemen.Der Zustand eines Systems kann dabei durch die Werte von Zustandsgrößencharakterisiertwerden.ErhängtvoneinerReihevonParametern,wiez.B. Temperatur, Druck, Volumen, Oberfläche und Stoffmengen der Komponentenab. Diese Parameter bezeichnet man als Zustandsvariablen. Allgemeinist also eine Zustandsgröße von mehreren Zustandsvariablen abhängig.Die Form dieser Abhängigkeit bezeichnet man als Zustandsfunktion. Betrachtenwir z.B. die Abhängigkeit der Enthalpie h von der Temperatur Tund dem Druck p, so benötigen wir die Funktionh = h(T,p) . (434)Die Schwierigkeit besteht darin, dass für die Zustandsfunktion in der Regelkeine einfache Funktionsgleichung gefunden werden kann. Da uns aberzunächst Zustandsänderungen interessieren, brauchen wir diese Gleichungeigentlich auch nicht. In unserem Beispiel benötigen wir nur die Änderungder Enthalpie∆h = h(T 2 ,p 2 )−h(T 1 ,p 1 ) , (435)die bei einer Änderung der Zustandsvariablen von T 1 ,p 1 nach T 2 ,p 2 auftritt.WennwirnureineFunktionf(x)einerVariablenbetrachtenmüssten,würdenwir nur die Ableitung f ′ (x) =df/dx benötigen, denn es giltalso∫ x2f (x 2 ) = f (x 1 )+ f ′ (x)dx , (436)x 1∆f =∫ x2x 1f ′ (x)dx . (437)Für eine Funktion mehrerer Variablen können wir prinzipiell genauso arbeiten,wenn wir nacheinander Integrationen für die Änderung jeder einzelnenVariablen durchführen. Bei jeder dieser Integrationen müssen wir alle anderenZustandsvariablen konstant halten. In unserem Beispiel müssen wiralsof ′ (x)nacheinanderdurchpartielleAbleitungen(∂h/∂T) pund(∂h/∂p) T184


ersetzen und erhalten∆h =∫ T2( ∂h(T,p1 )T 1∂T)dT +p∫ p2( ∂h(T2 ,p)p 1∂p)Tdp . (438)Diese Idee lässt sich einfacher formulieren, wenn wir die Gleichung in differentiellerForm schreiben. Wir gelangen so zum totalen Differentialdh =( ) ∂hdT +∂Tp( ) ∂hdp . (439)∂pTAnschaulichbetrachtetbeschreibtdieseGleichungeinedifferentielleÄnderungder Enthalpie, die durch eine Änderung von Temperatur und Druck verur-sachtwird,alsSummederalleindurchdieTemperaturänderungbeikonstan-tem Druck verursachten Änderung und der allein durch die Druckänderungbei konstanter Temperatur erzeugten Änderung der Enthalpie.p ( V,T )Bp 2p 1VATAbb. 20: Illustration von Gl. (438) am Beispiel der Funktion p(T,V) anstelle derFunktion h(T,p). Um die Druckänderung ∆p bei der Zustandsänderung vom ZustandA zum Zustand B zu berechnen, kann man die Druckänderung bei einerisothermen Kompression ∆p 1 und die Druckänderung bei einer isochoren Temperaturerhöhung∆p 2 addieren.Um mit dem totalen Differential praktisch arbeiten zu können, benötigenwir die partiellen Ableitungen. Diese partiellen Ableitungen sind häufigselbst wieder thermodynamische Zustandsfunktionen. Dadurch können wirmit dem totalen Differential einer Zustandsfunktion oft eine Anschauungverbinden. Zum Beispiel ist der Koeffizient für die Druckabhängigkeit der185


Enthalpie durch( ) ∂h∂pT= V (1−Tα) = V (T,p)(1−Tα(T,p)) (440)und der Koeffizient für deren Temperaturabhängigkeit durchgegeben.( ) ∂h= nC p = nC p (T,p) , (441)∂TpA.2 Der Satz von SchwarzZwischen den verschiedenen partiellen Ableitungen in einem totalen Differentialkönnen mit dem Satz von Schwarz∂ 2 f∂x∂y = ∂2 f∂y∂x(442)Zusammenhänge hergestellt werden.Da der Koeffizient für die Druckabhängigkeit der freien Enthalpie das Volumendes Systems ist( ) ∂g∂pT= V = V (T,p) (443)und der Koeffizient für deren Temperaturabhängigkeit die negative Entropiemuss also gelten( ) ∂g= −s = −s(T,p) , (444)∂Tp( ) ( ) ∂V ∂s= −∂Tp∂pT. (445)Diese Zusammenhänge sind oft überraschend, also nicht einfach aus derphysikalischen Anschauung ersichtlich.A.3 NäherungenA.3.1 Näherungen von ZustandsfunktionenWie in den Gl. (440), (441), (443) und (444) schon angedeutet, hängen diepartiellen Ableitungen selbst auch wieder von den Zustandsvariablen ab. Inder Regel kann keine einfache Funktionsgleichung angegeben werden. Um186


trotzdem Zustandsänderungen berechnen zu können, behilft man sich mitNäherungen.Die einfachste Näherung ist es, die partielle Ableitung als konstant zu betrachten.IneinemkleinenTemperaturbereichistdasfürdieWärmekapazitätC p bei konstantem Druck oft eine gute Näherung. Selbst für das Volumenkann die Näherung gut sein, wenn man kondensierte Phasen betrachtet.Mitunter kann man eine Funktionsgleichung für die partiellen Ableitungenfinden, wenn man vereinfachende Modellannahmen trifft. Solche Gleichungensind dann in der Regel nur in einem begrenzten Bereich der Zustandsvariablengültig. Beispiele wären die Zustandsgleichung des idealen Gases,die wir nach dem Volumen umstellen können( ) ∂g= V = nRT 〈ideales Gas〉 . (446)∂p pTDiese Gleichung ist nur für relativ kleine Drücke eine gute Näherung.Wenn man die partiellen Ableitungen nicht explizit berechnen kann, behilftman sich oft damit, Messwerte durch eine einfach integrierbare Funktionanzupassen. Dazu bieten sich Potenzreihen an, z. B.C p (T) = a+bT +cT 2 +... (447)Die Parameter a, b und c werden so bestimmt, dass eine minimale Abweichungder Voraussage von den Messwerten auftritt.Man kann auch die Abweichung einer Zustandsfunktion von idealem Verhaltendurch eine Potenzreihe beschreiben. Dieses Vorgehen wird als Virialansatzbezeichnet. Aus dem Virialansatz für ein reales GasTpV m = RT +B ′ p+C ′ p 2 +D ′ p 3 +... (448)erhalten wir z. B.( ) ( )∂g RT= V = n∂p p +B′ +C ′ p+D ′ p 2 +...〈reales Gas〉 . (449)A.3.2 Näherungen der Exponentialfunktion und der LogarithmusfunktionIn vielen Gleichungen der <strong>Thermodynamik</strong> tritt die Exponentialfunktionoder die Logarithmusfunktion auf. Für numerische Rechnungen ist das heut-187


zutage kein Problem mehr. Will man aber auf der Basis dieser Gleichungenweitere Herleitungen durchführen, bei denen man analytisch rechnen muss,so können schnell unhandliche Ausdrücke auftreten oder das Auflösen nachbestimmten Variablen kann unmöglich sein.Oft ist aber nur das Verhalten der Funktion in der Nähe eines bestimmtenPunkts im Zustandsraum von Interesse. Man kann die Funktionen dannan diesem Punkt in eine unendliche Reihe entwickeln und nach einem oderwenigen Gliedern abbrechen. Die wichtigsten Reihenentwicklungen sindunde x = 1+ x 1! + x22!+... (450)ln(1+x) = x− x22 + x33 − x4+−... (451)4Häufig bricht man bereits nach dem ersten Glied ab, das von x abhängt,alsoe x ≈ 1+x , (|x| ≪ 1) (452)undln(1+x) ≈ x , (|x| ≪ 1) . (453)A.4 Berechnung von Zustandsänderungen durch IntegrationWie in Gl. (438) können Änderungen einer Zustandsgröße prinzipiell berechnetwerden, indem man den bequemsten Rechenweg wählt, der von dem gegebenenAnfangszustand zum gewünschten Endzustand führt. Man zerlegtdie Zustandsänderung in fiktive Schritte, so dass sich in jedem Schritt nureine Zustandsvariable ändert. Ob die Zustandsänderung experimentell wirklichso durchgeführt werden kann, spielt dabei keine Rolle. Die Änderungder Zustandsgröße hängt nur von Anfangs- und Endzustand ab, nicht abervom Weg.Bei den einzelnen Integrationen muss allerdings noch beachtet werden, dassnicht über Unstetigkeitsstellen der partiellen Ableitung integriert werdendarf. Solche Unstetigkeitsstellen treten z. B. bei Phasenänderungen auf. Soändert sich die Wärmekapazität C p bei konstantem Druck sprunghaft amSchmelzpunkt und Siedepunkt einer Substanz. An solchen Unstetigkeitsstellentritt dann ein zusätzlicher Beitrag zur Änderung der Zustandsgröße auf.In unserem Beispiel der Enthalpie sind das die Schmelzenthalpie ∆ m h bzw.die Verdampfunsenthalpie ∆ v h. Man integriert also nur innerhalb stetiger188


Bereiche und berücksichtigt die zusätzlichen Beiträge. Liegt also z. B. beider Anfangstemperatur T 1 eine flüssige Phase vor, bei der EndtemperaturT 2 und dem Druck p 1 eine Gasphase und bei T 2 ,p 2 ebenfalls eine Gasphase,so ist die Enthalpieänderung durch∆h =∫ Tv∫ T2∫ p2C p dT +∆ m h+ C p dT + V (T 2 ,p)dp (454)T 1 T v p 1gegeben, wobei T v die Siedetemperatur beim Druck p 1 ist.A.5 ProzessgrößenProzessgrößen wie die Wärme q und die Arbeit w können nicht als Funktionvon Zustandsvariablen ausgedrückt werden. Sie sind im Allgemeinen nichteinfach Änderungen einer Zustandsgröße. Während die Änderung einer Zustandsgrößewegunabhängig ist, sind Prozessgrößen vom genauen Verlaufder Zustandsänderung abhängig.Für unser Beispiel gilt∆h = ∆q +∆w , (455)wobei die Enthalpieänderung ∆h wegunabhängig ist, die Aufteilung der gesamtenÄnderungaufWärmeundArbeitabervomWegderZustandsänderungabhängt. Mit anderen Worten kommt es darauf an, wie die Änderungen derZustandsvariablen T und p miteinander zusammenhängen. Prozessgrößenkann man also nur berechnen, wenn dieser Zusammenhang bekannt ist.B Zusätzliche HerleitungenB.1 Van-der-Waalssche ZustandsgleichungWir gehen von der Zustandsgleichung des idealen Gases in der Form V =nRT/p aus und bringen zwei Korrekturen an, die die Wechselwirkungenzwischen Gasteilchen berücksichtigen. Aufgrund der abstoßenden Wechselwirkungzwischen den Teilchen lässt sich das Volumen auch für p → ∞nicht auf Null reduzieren. Es verbleibt ein ausgeschlossenes Volumen, dasder Stoffmenge proportional ist. Die molare Größe für dieses ausgeschlosseneVolumen ist das Kovolumen b, so dass wir zunächstV −bn = nRTp(456)189


erhalten.DieanziehendeWechselwirkungzwischendenTeilchenverringertdenDruck,dendasGasnachaußenhinausübt.WirstellendieGleichungumundführendie Druckkorrektur δp ein:p = nRT −δp . (457)V −bnDerDruckwirddurchKollisionenderGasteilchenmitderBehälterwandverursacht.DerDruckistdeshalbzurAnzahlvonKollisionenproEinheitsflächeder Behälterwand und Zeit proportional und diese Anzahl wiederum ist proportionalzur Teilchendichte (bzw. Konzentration) n/V. 30 Die Verringerungδp dieses Drucks kommt daher, dass ein Teilchen nahe der Behälterwand einemittlere Rückholkraft erfährt, weil die Anziehung durch die Gasteilchenim Behälterinneren nicht durch eine ebensolche Anziehung aus Richtungder Wand kompensiert wird. Die mittlere Rückholkraft muss ebenfalls zurTeilchendichte n/V proportional sein, weshalb giltp = nRTV −bn −an2 V 2 . (458)DieseGleichungkannindieüblicheFormdervan-der-WaalsschenZustandsgleichung(Gl. (41)) umgeformt werden:( )p+ n2 aV 2 (V −nb) = nRT (459)B.2 Maxwell-Konstruktion und HebelgesetzWenn die mit einer Zustandsgleichung berechnete p-V-Isotherme nicht monotonfällt, so gibt es einen Bereich dieser Isotherme, der nicht realisiertwird. Stattdessen zerfällt das System in diesem Bereich in zwei Phasen. DieserFall tritt beispielsweise für die p-V m -Isothermen entsprechende der vander-WaalsschenZustandsgleichungunterhalbderkritischenTemperaturauf.Die beiden koexistierenden Phasen sind die Gasphase und die flüssige Phase.Der Koexistenzbereich erstreckt sich von einem Punkt minimalen VolumensI zu einem Punkt maximalen Volumens II (siehe Abb. 4) und entsprichteinem konstanten Druck (gepunktete Linie). Innerhalb des Koexistenzbereichsreagiert das System auf eine Volumenverringerung mit Kondensation30 Diese Beziehung ist aus der kinetischen Gastheorie bekannt, die im Vorlesungskurszur Kinetik näher behandelt wird190


eines Teils der Gasphase und auf eine Volumenerhöhung mit Verdampfungeines Teils der flüssigen Phase und hält den konstanten Druck aufrecht. DerKoexistenzbereich enthält das lokale Maximum und das lokale Minimum derp-V m -Isothermen.Zu ermitteln sind nun die Grenzvolumina V m,I und V m,II des Koexistenzbereichsund der zugehörige konstante Druck p vap . Dazu ist eine Maxwell-Konstruktion durchzuführen, für die wir auf das Konzept des chemischenPotentials und die Gibbs-Duhem-Gleichung zurückgreifen müssen. Außerdemist von Interesse, welche Anteile der Substanz bei einem vorgegebenenVolumen V im Koexistenzbereich flüssig bzw. gasförmig sind. Diese Anteileerhalten wir über das Hebelgesetz.B.2.1 Maxwell-KonstruktionIm Koexistenzbereich müssen die chemischen Potentiale der flüssigen Phaseund der Gasphase gleich sein (Koexistenzbedingung). Da im KoexistenzbereichDruckundTemperatur(Isotherme)konstantsind,bleibtdaschemischePotential darüber hinaus im ganzen Bereich gleich. Daher ist die Änderungdes chemischen Potentials über den gesamten Koexistenzbereich gleich Null:∫ IIIdµ = 0 . (460)Für eine Isotherme gilt ferner nach der Gibbs-Duhem-Gleichung dµ = V m dp.Die abhängige Variable ist hier der Druck, d.h. die Integration ist entlangder Ordinate (p-Achse) im p-V-Diagramm. Seinen p min der durch die Isothermegegebene Druck im lokalen Minimum im p-V-Diagramm und p maxder maximale Druck, so lässt sich das Integral in Gl. (460) als Summe vonvier Teilintegralen berechnen:∫ pmax+p vap∫ pminV m(I,min)p vapV m(M,max) dp+∫ pvapdp+∫ pvapV m(min,M)p mindpV m (max,II) dp = 0 . (461)p maxDie Zerlegung ist notwendig, weil V m (p) keine eindeutige Funktion ist, deshalbsind auch die Teilbereiche, in denen V m (p) als Funktion behandelt werdenkann als obere Indices in Klammern angegeben. Dabei ist M der Punktzwischen dem lokalen Minimum und Maximum, indem die Isobare bei p vap(gepunktete Linie) die Isotherme gemäß der Zustandsgleichung schneidet191


(siehe Abb. 4).Die Fläche A 1 in Abb. 4 istA 1 ==∫ pvap∫ pminV m(min,M)p minV m(I,min)p vapAnalog ist die Fläche A 2 durchA 2 == −∫ pmaxp∫vappmaxp vapdp+∫ pvapdp−∫ pvap∫ pmaxV m(max,II) dp−V m(M,max) dp−V m(I,min)p mindpV m (min,M) dp . (462)p minp∫vappvapV m(M,max) dpV m (max,II) dp . (463)p maxgegeben. Der Vergleich der rechten Seiten von Gl. (462) und (463) mit Gl.(461) ergibtA 1 −A 2 = 0 . (464)Die Isobare by p vap muss also so konstruiert werden, dass die beiden FlächenA 1 und A 2 gleich sind.B.2.2 HebelgesetzIm Punkt I ist die gesamte Substanz in der flüssigen Phase, im Punkt IIdie gesamte Substanz in der Gasphase. Die Molvolumina der beiden Phasensind im gesamten Koexistenzbereich konstant, da ja p und T konstant sind.Sie betragen V I für die flüssige und V II für die Gasphase. Sei x der Anteil(Molenbruch) in der Gasphase, so ist das Gesamtvolumen daherworaus folgtV = xV II +(1−x)V I , (465)x = V −V IV II −V I. (466)Daraus lässt sich eine Analogie mit dem Hebelgesetz in der Mechanik herleiten:(V −V I )x = (V II −V)(1−x) , (467)so dass Gl. (467) als Hebelgesetz bekannt geworden ist, obwohl eigentlich Gl. lever rule(466) für die Anwendung geeigneter ist.192


C Symbole, Einheiten und NaturkonstantenC.1 Bedeutung wichtiger Symbole und Korrespondenz zugängigen LehrbüchernFürdieErklärungderSymbolesieheTabellen3-6.BeimehrdeutigenSymbolenist die Hauptbedeutung fett gekennzeichnet. Die Symbolkorrespondenzist für die wichtigsten Symbole, bei mehrdeutigen Symbolen nur für dieHauptbedeutung, in den Tabellen 7-9 verzeichnet.Tabelle 3: Liste der Symbole, ihrer Bedeutung und der Einheit der entsprechendenGrößen. Teil 1: Sonderzeichen und GroßbuchstabenSymbol BedeutungEinheit∗ tiefgestellter Index für den Zustand reiner Stoffe –❜hochgestellter Index für den Standardzustand –A Affinität J K −1A Fläche (selten) m 2C Anzahl der Komponenten 1C p molare Wärmekapazität bei konstantem Druck J mol −1 K −1C V molare Wärmekapazität bei konstantem Volumen J mol −1 K −1E Anzahl der Einschränkungen 1F molare freie Energie J mol −1F thermodynamische Kraft K −1F mechanische Kraft (selten) kg m s −2F Anzahl der Freiheitsgrade 1G molare freie Enthalpie J mol −1H molare Enthalpie J mol −1I elektrischer Strom AJ x thermodynamischer Fluss der Energiegröße x J s −1K e ebullioskopische Konstante K kg mol −1K c Konzentrations-Gleichgewichtskonstante variabelK k kryoskopische Konstante K kg mol −1K p Gleichgewichtskonstante in Druckeinheiten variabelK x Molenbruch-Gleichgewichtskonstante 1K † thermodynamische Gleichgewichtskonstante 1M molare Masse kg mol −1P Anzahl der Phasen 1S molare Entropie J mol −1 K −1T Temperatur KT cr kritische Temperatur KT i Inversionstemperatur KU molare innere Energie J mol −1U el elektrische Spannung VV Volumen m 3 , LV cr kritisches Volumen m 3V m Molvolumen m 3 mol −1V sp spezifisches Volumen m 3 kg −1193


Tabelle 4: Liste der Symbole, ihrer Bedeutung und der Einheit der entsprechendenGrößen. Teil 2: KleinbuchstabenSymbol BedeutungEinheita Binnendruck m 6 Pa mol −2a i Aktivität (nichtideale Konzentration) der Komponente i mol L −1a x,i Molenbruchaktivität der Komponente i 1b Kovolumen m 3 mol −1c Wärmekapazität J K −1c i Konzentration der Komponente i mol L −1d es differentielle mit der Umgebung ausgetauschte Entropie J K −1d es differentielle im System produzierte Entropie J K −1f freie Energie Jf i Aktivitätskoeffizient/Fugazitätsfaktor der Komponente i 1g freie Enthalpie Jh Enthalpie Jm Masse kgn Objektmenge, Stoffmenge mol̂m i Molalität der Komponente i mol kg −1p cr kritischer Druck Pap i Partialdruck der Komponente i 1q Wärme Jq el elektrische Ladung A s, Cq rev reversibel ausgetauschte Wärme Jr Reaktionsgeschwindigkeit mol s −1s Entropie (des betrachteten Systems) J K −1s ′ Entropie der Umgebung J K −1˜s Entropiedichte J K −1 m −3t Zeit su innere Energie Jũ Dichte der inneren Energie J m −3w Arbeit Jw i Massenbruch der Komponente i 1w el elektrische Arbeit Jw surf Oberflächenarbeit Jw vol Volumenarbeit Jx i Molenbruch der Komponente i 1C.2 Einheiten und deren UmrechnungDie in der <strong>Thermodynamik</strong> und Elektrochemie verwendeten SI-Einheiten,gültigen SI-fremden Einheiten und Umrechnungen veralteter Einheiten inSI-Einheiten sind in Tabelle 10 aufgeführt.C.3 NaturkonstantenDie in der <strong>Thermodynamik</strong> wichtigsten Naturkonstanten sind in Tabelle 11definiert.194


Tabelle 5: Liste der Symbole, ihrer Bedeutung und der Einheit der entsprechendenGrößen. Teil 3: Griechische GroßbuchstabenSymbol BedeutungEinheit∆ RG (molare) freie Reaktionsenthalpie J mol −1 K−1∆ RH (molare) Reaktionsenthalpie J mol −1 K−1∆ RS (molare) Reaktionsentropie J mol −1 K−1Γ Oberflächenkonzentration mol m −2Φ reduziertes Molvolumen 1Π reduzierter Druck 1Π osmotischer Druck PaΠ Oberflächendruck Pa m (J m −2 )Θ reduzierte Temperatur 1Θ Bedeckungsgrad einer Oberfläche 1Tabelle 6: Liste der Symbole, ihrer Bedeutung und der Einheit der entsprechendenGrößen. Teil 4: Griechische KleinbuchstabenSymbol BedeutungEinheitα thermischer Ausdehnungskoeffizient K −1α Dissoziationsgrad 1γ Poisson-Koeffizient C p/C V 1γ Oberflächenspannung J m −2ǫ Wirkungsgrad 1φ elektrisches Potential Vφ i Fugazität der Komponente i 1κ T Kompressibilitätskoeffizient Pa −1µ i chemisches Potential der Komponente iν i stöchiometrischer Koeffizient des Reaktionspartners i 1θ Temperatur◦ Cρ Dichte kg m −3ρ i Massenkonzentration der Komponente i kg L −1σ Oberfläche m 2ξ Reaktionslaufzahl molψ i Fugazität (nichtidealer Partialdruck) der Komponente i PaTabelle 7: Symbolkorrespondenz. Teil 1: Sonderzeichen und GroßbuchstabenSkriptAtkinsEngel/ReidWedlerKondepudi∗❜A C p C V F G H J x K p K † M S T V V m∗ ❜A C p,m C V,m F m G m H m J i – K M S m T V V m∗ ◦– C p,m C V,m F m G m H m – – K p M S m T V V m❜∗∗ 0– c p c V f g h – K (p) K M s T V vA C mp C mV F m G m H m J k – K M S m T V V m195


Tabelle 8: Symbolkorrespondenz. Teil 2: Kleinbuchstaben. Die in Kondepudi,1998 verwendete lokale Stoffmengendichte n k ist gleich der lokalenKonzentration c k .Skript a a i b c c i f f i g h m ̂m n p q q el s w x iAtkins a a X b −− −− F γ i G H m m n p q – S w x iEngel/Reid a a i b −− c i F γ i G H m – n p q Q S w x iWedler a a i b C c i F f i G H m m n p Q Q S W x iKondepudi a a k b C c k F – G H – m k N p Q – S W x kTabelle 9: Symbolkorrespondenz. Teil 3: Griechische BuchstabenSkript Γ Π Θ α γ ǫ φ φ i κ T µ i ν i θ ρ σ ξAtkins – Π θ α γ ǫ φ f i κ T µ i ν(X) – – σ ξEngel/Reid – π θ β γ ǫ φ f i κ µ i ν(X) – – – ξWedler Γ Π θ α γ η φ f i κ µ i ν i θ ρ A ξKondepudi – π – α γ η φ f k κ T µ k ν j – ρ Σ ξBeachten Sie: DerStandarddruckistinälterenLehrbüchernnochals1.01325·10 5 Pa angegeben.196


Tabelle 10: Basiseinheiten des Internationalen Einheitensystems SI (fett)wichtige abgeleitete Einheiten und einige häufig verwendete alte Einheiten.Größe SI-Einheiten Gültige SI-fremde Einheiten veraltete EinheitenLänge m 1 Å= 1·10 −10 mVolumen m 3 1 L = 1·10 −3 m 3Zeit s 1 min = 60 s1 h = 3600 s1 d = 86400 sMasse kg 1 t = 10 3 kgKraft 1 N = 1 m kg s −2 1 p = 0.980665·10 −2 N1 dyn = 1·10 −5 NDruck 1 Pa = 1 m −1 kg s −2 1 bar = 1·10 5 Pa 1 atm = 101325 Pa1 at = 98066.5 Pa1 Torr = 133.3224 PaEnergie, 1 J = 1 m 2 kg s −2 1 eV = 1.60219·10 −19 J 1 erg = 1·10 −7 JArbeit,1 cal = 4.1868 JWärmeBtu = 1055.06 JTemperatur K◦ C1 grd = 1 KStoffmenge molElektrische AStromstärkeElektrische 1 C = 1 A sLadungElektrische 1 V = 1 J C −1Spannung = 1 kg m 2 s −3 A −1Lichtstärke cdTabelle 11: Wichtige Naturkonstanten und Definitionen für die <strong>Thermodynamik</strong>.GrößeSymbol (Gleichung) WertUniverselle Gaskonstante R 8.31451 K K −1 mol −1Nullpunkt der Celsius-Skala T 0 273.15 KStandarddruck p ❜ 10 5 PaBoltzmann-Konstante k = R/N A 1.380662 ·10 −23 J K −1Avogadro-Konstante N A 6.02214 ·10 23 mol −1Faraday-Konstante F = N Ae 9.648456 ·10 4 C mol −1Elementarladung e 1.602177 ·10 −19 CPlancksches Wirkungsquantum h 6.626176·10 −34 J s197

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