Gedenktafel - carocktikum.de
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Dann, im Jahre 1886, als er 30 Jahre alt war, erwähnt Kraepelin in einer Arbeit zum ersten<br />
Mal drei seiner Träume und zwar drei Fälle von Erinnerungsfälschungen in seinen<br />
Träumen. In einem Traum zum Beispiel raucht er zum ersten Mal eine Zigarre, obwohl er<br />
nie im Leben geraucht hat. Dieser Traum ist nun nicht gera<strong>de</strong> etwas sehr Beson<strong>de</strong>res. Ungefähr<br />
in gleicher Zeit aber fängt Kraepelin an, sehr beson<strong>de</strong>re Träume – Träume mit<br />
Sprachstörungen – zu sammeln, was dann 1906 dazu führte, dass er eine 100-seitige Monographie<br />
über die Traumsprache veröffentlicht.<br />
Um zu verstehen, wieso diese Monographie so wenig beachtet wird, müssen wir nach<br />
Wien gehen. Dort erschien im Jahre 1900 Sigmund Freuds Hauptwerk Die Traum<strong>de</strong>utung.<br />
In diesem Buch stellte Freud eine neue Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Traum<strong>de</strong>utung vor und eine neue<br />
Theorie <strong>de</strong>s Traumes. Freud behauptete, <strong>de</strong>r Lösung <strong>de</strong>s Rätsels <strong>de</strong>s Traumes wesentlich<br />
näher gekommen zu sein, als dies in mehrtausendjähriger Bemühung jemals geschehen<br />
war.<br />
Aber viel Anklang fand das Traumbuch zuerst nicht. Erst 1909 war eine zweite Ausgabe<br />
von Freuds Traum<strong>de</strong>utung fällig. Bei <strong>de</strong>r zweiten Ausgabe <strong>de</strong>r Traum<strong>de</strong>utung sagt<br />
Freud: Ein Zeitraum von neun Jahren hat we<strong>de</strong>r an tatsächlichem Material noch an Gesichtspunkten<br />
für die Auffassung <strong>de</strong>s Traumes Neues o<strong>de</strong>r Wertvolles gebracht. Meine Arbeit ist in<br />
<strong>de</strong>n meisten seither veröffentlichten Publikationen unerwähnt und unberücksichtigt geblieben.<br />
An an<strong>de</strong>rer Stelle sagt Freud 1909: Meine Kollegen von <strong>de</strong>r Psychiatrie scheinen sich<br />
keine Mühe gegeben zu haben, über das anfängliche Befrem<strong>de</strong>n hinauszukommen, welches<br />
meine neue Auffassung <strong>de</strong>s Traumes erwecken konnte ... Totgeschwiegen wer<strong>de</strong>n, das ist, so<br />
fürchtet Freud 1909, das Schicksal seines Buches.<br />
Freud war gekränkt, dass die Kollegen von <strong>de</strong>r Psychiatrie – sprich vor allem <strong>de</strong>r<br />
berühmte Kraepelin in München – sein Werk über die Traum<strong>de</strong>utung nicht berücksichtigt<br />
hatten, und so wünschte er, keine Zeile in seinem Buch neuen Arbeiten über <strong>de</strong>n Traum zu<br />
widmen. Kraepelin hat in seiner Monographie aus <strong>de</strong>m Jahre 1906 kein einziges Mal<br />
Freuds Traum<strong>de</strong>utung von 1900 erwähnt, und das hat dazu geführt, das Freud quasi als<br />
Vergeltung die Monographie Kraepelins – die eine Fülle an tatsächlichem Material über<br />
Sprache im Traum enthielt – 1909 und danach totschwieg.<br />
Heute, 100 Jahre nach <strong>de</strong>m Erscheinen, wollen wir die Monographie Kraepelins mit<br />
<strong>de</strong>m Titel Über Sprachstörungen im Traume ins Rampenlicht stellen³. Wieso hat <strong>de</strong>r seriöse<br />
Psychiater Kraepelin sich mit Träumen befasst? Dazu sagt er in <strong>de</strong>n Anfangszeilen <strong>de</strong>r<br />
Monographie folgen<strong>de</strong>s: Die eigentümlichen Wandlungen, die unser gesamtes psychisches<br />
Geschehen im Traum erfährt, sind von jeher ein Lieblingsgebiet <strong>de</strong>r Selbstbeobachtung und<br />
fast noch mehr <strong>de</strong>r künstlichen Zerglie<strong>de</strong>rung und Deutung gewesen. Aus seiner Schulzeit<br />
war Kraepelin schon bekannt mit <strong>de</strong>r Selbstbeobachtung, wie ich schon an<strong>de</strong>utete. In <strong>de</strong>n<br />
folgen<strong>de</strong>n Zeilen <strong>de</strong>r Monographie sagt Kraepelin dann: Insbeson<strong>de</strong>re sind die Beziehungen<br />
<strong>de</strong>r Träume zu äußeren und inneren Erlebnissen, ferner die Abweichungen in Vorstellungsverbindungen<br />
und Persönlichkeitsbewusstsein, in Erinnerungen und Gedankenarbeit an<br />
zahllosen Beispielen immer aufs neue beschrieben und vielfach auch mit <strong>de</strong>n Erfahrungen<br />
bei Geisteskrankheiten verglichen wor<strong>de</strong>n. Die Ähnlichkeit <strong>de</strong>s Traumes und <strong>de</strong>r Geisteskrankheit<br />
ist es, die <strong>de</strong>n Irrenarzt Kraepelin interessiert. Auf diese Ähnlichkeit haben<br />
Philosophen und Forscher oft hingewiesen. Ich habe mal eine Reihe von Zitaten dazu zusammengestellt.<br />
So sagt Immanuel Kant in seiner Arbeit mit <strong>de</strong>m Titel Versuch über die Krankheiten<br />
<strong>de</strong>s Kopfes: Der Verrückte ist ein Träumer im Wachen. Schopenhauer macht folgen<strong>de</strong>n Vergleich:<br />
Der Traum ist ein kleiner Wahnsinn und <strong>de</strong>r Wahnsinn ein langer Traum. Wilhelm<br />
Wundt, Grün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r experimentellen Psychologie, <strong>de</strong>ssen Schüler Kraepelin war, hat über<br />
das Verhältnis von Traum und Wahnsinn gesagt: Im Traum durchleben wir selbst fast alle<br />
³ Kraepelin, E. (1906). Über Sprachstörungen im Traume. Leipzig: Engelmann.<br />
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