Gedenktafel - carocktikum.de
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Daraufhin treten die bayerischen Behör<strong>de</strong>n und die Münchener Medizinische Fakultät<br />
an Kraepelin heran und garantieren ihm bei einer Übernahme <strong>de</strong>s dortigen Lehrstuhles<br />
freie Forschungsbedingungen in einer vollkommen neu erbauten, auf <strong>de</strong>m neusten Kenntnisstand<br />
<strong>de</strong>r Irrenversorgung stehen<strong>de</strong>n Psychiatrischen Klinik. Schweren Herzens verlässt<br />
er 1903 die von ihm so geliebte Neckarstadt und nimmt <strong>de</strong>n Ruf nach München an. In<br />
Dorpat hatte Kraepelin die theoretischen Grundfeiler seiner klinisch-empirischen Psychiatrie<br />
eingeschlagen, in Hei<strong>de</strong>lberg konnte er durch <strong>de</strong>ren praktische Umsetzung erste wesentliche<br />
Früchte ernten, <strong>de</strong>ren sichtbarste nur die Dichotomie <strong>de</strong>r endogenen Psychosen ist.<br />
Die Münchener Zeit von 1903 bis 1922 als Professor und Direktor <strong>de</strong>r psychiatrischen<br />
Universitätsklinik und ab 1917 bis 1926 als vorübergehend gleichzeitiger Direktor <strong>de</strong>r<br />
Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie (heute Max-Planck-Institut) wird erkenntnistheoretisch<br />
im Wesentlichen die Nachzeit seines großen wissenschaftlichen Wurfes sein.<br />
Was ihm in München allerdings gelingen wird, ist die Perfektionierung seiner Wissenschaftsorganisation.<br />
Er implementiert die Klasse <strong>de</strong>r wissenschaftlichen Assistenten und<br />
lässt die Erkenntnisse aus <strong>de</strong>ren jeweiliger Spezialdisziplin in seinen psychiatrisch-pluridimensionalen<br />
Gesamtwurf mün<strong>de</strong>n. Der Münchener Direktor wird so zum Dirigenten eines<br />
ganzen Forschungsorchesters und zieht viele <strong>de</strong>r angesehensten Forscher an seine Klinik<br />
und sein Institut, so unter an<strong>de</strong>rem Wilhelm Weygandt (1870-1939), Willy Hellpach (1877-<br />
1955), Gustav Aschaffenburg (1866-1944), Paul Schrö<strong>de</strong>r (1873-1941), Robert Gaupp<br />
(1870-1953), Karl Wilmanns (1873-1945), Franz Nissl (1860-1919), Alois Alzheimer (1864-<br />
1915), Johannes Lange (1891-1938), Franz Jahnel (1885-1951), Felix Plaut (1877-1940),<br />
Walther Spielmeyer (1879-1935) o<strong>de</strong>r auch <strong>de</strong>n später <strong>de</strong>m Nationalsozialismus ergebenen<br />
Rassenhygieniker sowie Erb- und Familienforscher Ernst Rüdin (1874-1952). Die Beherrschung<br />
dieses ganzen Ensembles und <strong>de</strong>r Aufbau <strong>de</strong>s Forschungsinstitutes bil<strong>de</strong>n Kraepelins<br />
organisatorische Hauptleistung. Letzteres vermochte er während <strong>de</strong>s Ersten Weltkrieges<br />
und <strong>de</strong>r für Deutschland schweren Nachkriegszeit vor allem mit finanzieller Unterstützung<br />
<strong>de</strong>s amerikanisch-<strong>de</strong>utschen Stifters James Loeb (1867-1933) zu leisten, auch<br />
Gustav Krupp von Bohlen und Halbach (1870-1950) und <strong>de</strong>r Verband <strong>de</strong>r Deutschen<br />
Chemischen Industrie trugen durch Spen<strong>de</strong>n dazu bei. Seit<strong>de</strong>m widmete er sich beson<strong>de</strong>rs<br />
<strong>de</strong>r Entwicklung dieses Institutes, erst recht nach seinem Rückzug von allen universitären<br />
Ämtern im Jahre 1922. So stieg die Forschungsanstalt auf als das „erste Zentrum für ein<br />
umfassen<strong>de</strong>s Studium von Gehirn und Verstand mit all ihren möglichen Störungen“ und<br />
gilt auch heute noch als eine international renommierte Stätte <strong>de</strong>r biologisch orientierten<br />
psychiatrischen Forschung. Obgleich sein erstes, unter <strong>de</strong>r Ägi<strong>de</strong> Wundts entworfenes Forschungsprogramm,<br />
die Einführung <strong>de</strong>r Experimentalpsychologie als Schlüsselwissenschaft<br />
<strong>de</strong>r Psychiatrie, nicht in <strong>de</strong>m von ihm erhofften Maße umzusetzen war, arbeitete Kraepelin<br />
doch ein Leben auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r Psychologie weiter. Einerseits sagte er an vielen Stellen<br />
selbst, dass ihr stets sein Herz gehörte, an<strong>de</strong>rerseits empfand er sich wohl gegenüber<br />
seinem Leipziger Lehrvater lange in einer Bringschuld. Demzufolge kann er es als Befreiung<br />
betrachtet haben, mit <strong>de</strong>r Arbeitskurve endlich eine elementar be<strong>de</strong>utungsvolle, aber<br />
von vornherein genuin psychologische Arbeit, <strong>de</strong>ren Ergebnisse also keinerlei Anwendung<br />
in <strong>de</strong>r Psychiatrie fin<strong>de</strong>n sollten, vorlegt haben zu können. Fast von selbst ergibt es sich da,<br />
dass er die Arbeitskurve, die er Weygandt zufolge gar als „Hauptwerk seines Lebens“ einstufte,<br />
in <strong>de</strong>r Festschrift anlässlich Wundts 70. Geburtstag publiziert hat.<br />
Kraepelin war ein Liebhaber <strong>de</strong>r Literatur, 1928 wur<strong>de</strong>n einige seiner eigenen Gedichte<br />
postum veröffentlicht. Beson<strong>de</strong>rs mochte er Friedrich Schiller (1759-1805), Fritz Reuter<br />
(1810-1874) und Guy <strong>de</strong> Maupassant (1850-1893), ebenso zeigte er für das Theater Interesse.<br />
Im Privaten wie im Beruflichen entsprach es am ehesten seiner Neigung, in Ruhe und<br />
Zurückgezogenheit zu wirken, fernab öffentlicher Verpflichtungen; <strong>de</strong>r Vater von vier<br />
Töchtern, die von insgesamt acht Kin<strong>de</strong>rn Geburt und Kleinkin<strong>de</strong>salter überlebten, hegte<br />
auch eine große Scheu vor Würdigungen seiner eigenen Person. Die besten Möglichkeiten,<br />
dieser Veranlagung nachzugehen, boten sich einerseits in seiner von einem großen Garten<br />
umgebenen Villa Buon Rimedio am Lago Maggiore, <strong>de</strong>nn hier stand seine umfangreiche,<br />
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