125 Jahre Regionalspital Praettigau Festschrift - Flury Stiftung
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Zimmer 1965Zimmer heute
Weidmanns HeilJosef Hirschi war einer der bekanntesten und erfolgreichsten Bündner Jäger.Es verging keine Jagd, ohne dass der Vürschlössler nicht mindestens dreikapitale Hirsche erlegte – der Nimrodjünger machte seinem Namen alle Ehre!Seine grosse Stärke war die Geduld. Sepp, wie ihn seine Kameraden nannten,konnte stundenlang auf seinem Hochsitz oder hinter einem grossen Stein warten,bis er sein Opfer in einer sicheren Schussdistanz vor sich hatte – dann aberreagierte er blitzschnell und drückte ab, bevor das Tier den Schützen gewahrwurde. Und auch mit über 70 Jahren traf er, sogar im Stand, ohne Zielfernrohrexakt.Nur einmal hatte seine sprichwörtliche Reaktionsfähigkeit versagt.Gegen Abend des ersten Jagdtages kam er an einem Stock hinkend in unsereNotfallstation. Ein dicker, blutverschmierter Verband war an Stelle einesBergschuhes um den linken Fuss gewickelt. Und Hirschi schilderte den Tag,auf den er das ganze Jahr sehnsüchtig gewartet hatte:«Ich war schon am Vorabend in meiner Jagdhütte und kurz nach sechs Uhrmachte ich mich auf den Weg. Ein leichter Nebel hüllte mich ein, als ich imWald höher stieg. Ich wusste aber, dass der prachtvolle Zwölfender täglich zurselben Waldlichtung kam – in den vergangenen drei Wochen hatte ich ihn beiseinem täglichen Ritual beobachten können. An den Stamm einer Lärchegelehnt begann das Warten, wobei ich das Gewehr bereits fest in der Handhatte. Um den Lauf nicht im weichen Waldboden zu verunreinigen, stützte ichdie Gewehrspitze auf meinem Schuh ab. Nach einer Dreiviertelstunde hörteich ganz leise das Brechen von kleinen Zweigen. Ich wagte kaum mehr zuatmen. Und dann stand er plötzlich keine 30 Meter vor mir: ein Prachtsstier,wie so mancher Jäger nur davon träumen kann. Und dann ging alles sehrschnell: ich hob das Gewehr auf, zielte und drückte ab – nur leider in derumgekehrten Reihenfolge. In der Aufregung krümmte ich meinen Zeigfingerum den Abzughahn, bevor ich das Gewehr in den Anschlag nahm und derSchuss ging aus nächster Nähe direkt auf meine linke Grosszehe los. MeinSchmerzensschrei ging im Gewehrknall unter und der Zwölfender verschwandmit einem Sprung hinter den Bäumen.»Die Enttäuschung über das verschwundene Tier und der Ärger über daseigene Fehlverhalten waren so gross, dass uns Sepp nicht einmal schildernkonnte, wie er schliesslich ins Tal und zu uns gekommen war. Die Grosszeheaber war nur noch ein zertrümmerter Fleischklumpen, sodass mir nicht an -deres übrig blieb als die Amputation.Wie gross die Leidenschaft eines echten Bündner Jägers ist, zeigte aber dieTatsache, dass Josef Hirschi in der letzten Woche der Bündner Jagd wieder aufPirsch ging – mit einem neuen Paar Schuhe und einer Grosszehe weniger. DenZwölfender bekam er aber nicht mehr zu Gesicht.87
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