125 Jahre Regionalspital Praettigau Festschrift - Flury Stiftung

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10.07.2015 Aufrufe

84auch am Sonntag operiert werde, erklärte er sein Einverständnis zur Operationund verabschiedete sich von seiner Frau. Mir erklärte er aber – und inseinen stahlblauen Augen leuchtete kurz ein ironischer Zug auf – beimAbschied:«Wissen Sie, Herr Doktor, ich bin in Offenburg ein bekannter Jurist undmeine Spezialität sind Haftpflichtprozesse gegen Ärzte.»Ich hatte bis zum Schluss der Operation ein flaues Gefühl im Magen. Schonvor der Operation wusch ich meine Hände länger als sonst, zog zwei PaarGummihandschuhe an und verbot meinem Assistenten jegliches Gesprächwährend dem Eingriff, um ja keinen Bakterien den Eintritt in die Operationswundezu ermöglichen. Und wohl zum ersten und letzten Mal bei einerSkifraktur verordnete ich nach der Operation für 4 Tage ein Antibiotikum.Mit einer selten grossen Genugtuung verfolgte ich den komplikationslosenHeilungsverlauf und mein Aufatmen bei der Entlassung der Patientin warwohl bis zur Klus hörbar.Der Brief, welchen ich drei Monate später von der Patientin erhielt, entschädigtemich aber mehrfach für die ausgestandenen Ängste.Sehr geehrter Herr Doktor, schrieb sie,ich hatte gottseidank das Glück, in das Krankenhaus von Schiers zu kommen,denn jetzt stellt sich heraus, welch phantastische Arbeit Sie an meinemBein geleistet haben. Die Knochen sind einwandfrei zusammengewachsenund die Narbe ist, trotz ihrer Länge, ausserordentlich gut verheilt. Ich habein meinem Bekanntenkreis so viele Leidensgenossen, die aber das Pech hatten,in nicht so guten Händen gewesen zu sein, so dass sich bei den meistenschwere Komplikationen eingestellt haben.Ich werde selbstverständlich im Sommer 1970 wieder nach Schiers kommen,um die Schrauben und die Platte von Ihnen entfernen zu lassen; reservierenSie mir deshalb bitte ein Bett!Ich war froh, dass ich dem Ehegatten der zufriedenen Patienten nicht alsJuristen-Futter dienen musste.Der MusikerDas Prättigau ist ja nicht nur bekannt für seine Wintersportorte, sondern gleichermassenbeliebt bei Wanderern und vor allem Kletterern, für welche dieKalkfelsen des Rätikon ein eigentliches Eldorado sind.So war auch eine Gruppe von deutschen Bergsteigern der Faszination derDrusenfluh verfallen, als einer von ihnen beim Abseilen an einem der Drusentürmeausglitt und einige Meter ins Seil fiel. Dabei schlug er mit dem linken

85Handrücken heftig am harten Gestein an und zog sich eine grosse Wunde zu.Mit Hilfe seiner Bergkameraden und unter grossen Schmerzen konnte er aberaus eigener Kraft festen Grund erreichen und schliesslich über die Carschinafurkanach St. Antönien absteigen. Gegen sieben Uhr abends, also erst 9 Stundennach dem Unfall, erreichte er unser Spital. Nach Injektion eines starkenSchmerzmittels konnte ich dann den perfekten Verband an der Hand abnehmenund die Wunde untersuchen. Was ich dann sah, war allerdings nicht sehr erfreulich:eine quer über den Handrücken verlaufende Wunde, in deren Tiefe ichmindestens drei durchtrennte Fingerstrecksehnen mit Defekten fand. Nach denRegeln der Chirurgie durfte ich eigentlich nach über 6 Stunden nach demUnfall gar keine Wundversorgung mehr vornehmen – die Gefahr einer Infek -tion war zu gross. Da der Unfall jedoch auf rund 2500 Metern Höhe geschah,wo meiner Ansicht nach fast «sterile» Verhältnisse herrschten, entschloss ichmich zur sofortigen chirurgischen Naht der Sehnen. Während ich die örtlicheAnästhesie vornahm, sagte ich zum Patienten:«Wenn Sie Rechtshänder sind haben Sie ja noch Glück gehabt – an der linkenHand werden wahrscheinlich die drei mittleren Finger nicht mehr frei beweglichwerden.»«Ich bin zwar schon Rechtshänder, aber die linke Hand ist für mich trotzdemwichtiger. Ich bin Konzertmeister, das heisst erster Geiger, im BielefelderStadtorchester und da sind die Finger meiner linken Hand enorm wichtig. Ohnederen Beweglichkeit kann ich meinen Beruf aufgeben.»«Da müssen Sie wohl aufs Dirigieren umstellen – den Taktstock können Siemit der rechten Hand halten» versuchte ich ihn zu trösten.«Das ist nicht so leicht und mir ist meine Violine das Ein und Alles. VersuchenSie bitte zu retten, was Sie können.»«Ich werde tun, was ich kann. Aber garantieren kann ich Ihnen nichts.»Und so frischte ich die zerfetzten Sehnenenden an und vernähte sie mit feinemStahldraht, welcher später wieder entfernt werden konnte. Nach knapp zweiStunden wurde die Hand noch auf eine Gipsschiene gelagert und schliesslichfragte ich den geduldigen Violinisten:«Haben Sie noch einen Wunsch?»«Ja, den hätte ich: ich möchte jetzt ein kühles Bier!»Selbstverständlich erfüllten wir ihm diesen bescheidenen Wunsch. DieSchwes terhilfe holte im nahe gelegenen Restaurant ein kühles «Pils».Ziemlich genau ein Jahr später erhielt ich aus Bielefeld eine Karte mit einemeinzigen Satz:Ich habe gestern mein erstes Konzert gegeben – als Konzertmeister und nichtals Dirigent.Ihr dankbarer Bergsteiger.

85Handrücken heftig am harten Gestein an und zog sich eine grosse Wunde zu.Mit Hilfe seiner Bergkameraden und unter grossen Schmerzen konnte er aberaus eigener Kraft festen Grund erreichen und schliesslich über die Carschinafurkanach St. Antönien absteigen. Gegen sieben Uhr abends, also erst 9 Stundennach dem Unfall, erreichte er unser Spital. Nach Injektion eines starkenSchmerzmittels konnte ich dann den perfekten Verband an der Hand abnehmenund die Wunde untersuchen. Was ich dann sah, war allerdings nicht sehr erfreulich:eine quer über den Handrücken verlaufende Wunde, in deren Tiefe ichmindestens drei durchtrennte Fingerstrecksehnen mit Defekten fand. Nach denRegeln der Chirurgie durfte ich eigentlich nach über 6 Stunden nach demUnfall gar keine Wundversorgung mehr vornehmen – die Gefahr einer Infek -tion war zu gross. Da der Unfall jedoch auf rund 2500 Metern Höhe geschah,wo meiner Ansicht nach fast «sterile» Verhältnisse herrschten, entschloss ichmich zur sofortigen chirurgischen Naht der Sehnen. Während ich die örtlicheAnästhesie vornahm, sagte ich zum Patienten:«Wenn Sie Rechtshänder sind haben Sie ja noch Glück gehabt – an der linkenHand werden wahrscheinlich die drei mittleren Finger nicht mehr frei beweglichwerden.»«Ich bin zwar schon Rechtshänder, aber die linke Hand ist für mich trotzdemwichtiger. Ich bin Konzertmeister, das heisst erster Geiger, im BielefelderStadtorchester und da sind die Finger meiner linken Hand enorm wichtig. Ohnederen Beweglichkeit kann ich meinen Beruf aufgeben.»«Da müssen Sie wohl aufs Dirigieren umstellen – den Taktstock können Siemit der rechten Hand halten» versuchte ich ihn zu trösten.«Das ist nicht so leicht und mir ist meine Violine das Ein und Alles. VersuchenSie bitte zu retten, was Sie können.»«Ich werde tun, was ich kann. Aber garantieren kann ich Ihnen nichts.»Und so frischte ich die zerfetzten Sehnenenden an und vernähte sie mit feinemStahldraht, welcher später wieder entfernt werden konnte. Nach knapp zweiStunden wurde die Hand noch auf eine Gipsschiene gelagert und schliesslichfragte ich den geduldigen Violinisten:«Haben Sie noch einen Wunsch?»«Ja, den hätte ich: ich möchte jetzt ein kühles Bier!»Selbstverständlich erfüllten wir ihm diesen bescheidenen Wunsch. DieSchwes terhilfe holte im nahe gelegenen Restaurant ein kühles «Pils».Ziemlich genau ein Jahr später erhielt ich aus Bielefeld eine Karte mit einemeinzigen Satz:Ich habe gestern mein erstes Konzert gegeben – als Konzertmeister und nichtals Dirigent.Ihr dankbarer Bergsteiger.

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