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Kurze Migrationsgeschichte der Schweiz - Forum pour l'intégration ...

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FORUM FÜR DIE INTEGRATION DER MIGRANTINNEN UND MIGRANTENFORUM POUR L’INTEGRATION DES MIGRANTES ET DES MIGRANTSFORUM PER L’INTEGRAZIONE DELLE MIGRANTI E DEI MIGRANTI<strong>Kurze</strong> <strong>Migrationsgeschichte</strong> <strong>der</strong> <strong>Schweiz</strong>Die Migration ist ein fester Bestandteil <strong>der</strong> menschlichen Geschichte. Seit jeher verlassen Menschenauf <strong>der</strong> ganzen Welt ihre Lebensräume, weil sie auf <strong>der</strong> Suche sind nach besserenLebensbedingungen o<strong>der</strong> vor Kriegen, Natur- und Hungerkatastrophen auf <strong>der</strong> Flucht sind.Die Migration ist eine globale Realität und hat es schon seit den Ursprüngen <strong>der</strong> Menschheitgegeben. Auch die <strong>Schweiz</strong> war sehr lange von <strong>der</strong> Auswan<strong>der</strong>ung betroffen. Vom 16. bis in diezweite Hälfte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts sind stets mehr Menschen aus <strong>der</strong> <strong>Schweiz</strong> ausgewan<strong>der</strong>t alseingewan<strong>der</strong>t. 1 Als es im Verlauf <strong>der</strong> Industrialisierung zu einer grossen Verarmung ganzerBevölkerungsschichten kam, haben manche <strong>Schweiz</strong>er Behörden ihre (vor allem verarmten) Bürgersogar gezielt zur Auswan<strong>der</strong>ung motiviert, um sie nicht finanziell unterstützen zu müssen. Erst seitdem Einsetzen des wirtschaftlichen Wachstums in <strong>der</strong> zweiten Hälfe des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts ist die<strong>Schweiz</strong> ein Einwan<strong>der</strong>ungsland wie wir es heute kennen.Doch die Migrationsströme sind nicht immer gleich geblieben, sie haben sich im Laufe <strong>der</strong> Zeitständig verän<strong>der</strong>t.16./17./18. Jahrhun<strong>der</strong>tSeit Mitte des 16. Jahrhun<strong>der</strong>ts wurden französischen Protestanten, die Hugenotten, immer wie<strong>der</strong>verfolgt und vertrieben. Nachdem König Ludwig XIV. 1685 das Edikt von Nantes als ungültig erklärte,welches den Protestanten in Frankreich Glaubensfreiheit garantiert hatte, flüchteten Tausende vonHugenotten nach Genf in die Stadt des Reformators Calvin.Diese religiös motivierte Migration dauerte bis ins 18. Jahrhun<strong>der</strong>t. Die <strong>Schweiz</strong> diente vor allem alsZwischenstation, um die Flucht in protestantische Gebiete in Europa zu ermöglichen. DieEidgenossenschaft nahm damals rund hun<strong>der</strong>ttausend Flüchtlinge auf, wovon jedoch ein grosser Teilweiterreiste. Nur einige Tausend konnten sich in <strong>der</strong> <strong>Schweiz</strong> nie<strong>der</strong>lassen. Es waren oftWohlhabende o<strong>der</strong> solche mit handwerklichen Fähigkeiten, wie Spezialisten im Textilwesen, imHandel und Finanzwesen und in <strong>der</strong> Uhrenindustrie.19. Jahrhun<strong>der</strong>tNach <strong>der</strong> Gründung des liberalen Bundesstaats <strong>Schweiz</strong> 1848 kamen viele politische Flüchtlinge indie <strong>Schweiz</strong>, welche in Europa gegen die absolutistische Monarchie revolutionierten. Unter diesenFlüchtlingen befanden sich auch deutsche Professoren, die am Aufbau neuer schweizerischerUniversitäten beteiligt waren.In <strong>der</strong> <strong>Schweiz</strong> bestand damals schon während langer Zeit eine Auswan<strong>der</strong>ungstradition. Vor allem inalpinen Regionen war die saisonale Auswan<strong>der</strong>ung in Nachbarlän<strong>der</strong> üblich. Ungefähr die Hälfte <strong>der</strong>schweizerischen Auswan<strong>der</strong>er liessen sich in Nachbarlän<strong>der</strong>n nie<strong>der</strong>.Mehr Aufsehen hatten hingegen die Auswan<strong>der</strong>er in die USA, nach Argentinien, Brasilien o<strong>der</strong> Chileseit Mitte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts. In den 1850er Jahren wurden in <strong>der</strong> <strong>Schweiz</strong> die erstenAuswan<strong>der</strong>ungsagenturen gegründet. Von dieser Zeit an bis ins Jahr 1900 wan<strong>der</strong>ten rund 330 000Menschen aus. Zwar herrschte in <strong>der</strong> <strong>Schweiz</strong> ein Arbeitskräftemangel, aber viele schweizerischeBauernfamilien kämpften mit Existenzproblemen. Diese Kleinbauern wollten nicht in eine <strong>Schweiz</strong>erStadt ziehen, da sie es als gesellschaftliche Herabsetzung empfanden in einer Fabrik o<strong>der</strong> einemDienstleistungsbetrieb arbeiten zu müssen. So schrumpfte <strong>der</strong> Landwirtschaftssektor und viele<strong>Schweiz</strong>erInnen wan<strong>der</strong>ten aus, um in Übersee ein neues Leben anzufangen.Nach <strong>der</strong> Industrialisierung in <strong>der</strong> zweiten Hälfte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts wan<strong>der</strong>ten deutscheAkademiker, Selbstständige, Handwerker und Italiener ein, die in Fabriken und auf dem Bauarbeiteten. Sie leisteten einen wichtigen Beitrag zur industriellen Entwicklung mit ihrerArbeitskraft. Die Fachkräfte aus Deutschland und England stellten Know-how und persönliche1 Aus früheren Perioden sind keine Dokumente vorhandenSeite | 1


FORUM FÜR DIE INTEGRATION DER MIGRANTINNEN UND MIGRANTENFORUM POUR L’INTEGRATION DES MIGRANTES ET DES MIGRANTSFORUM PER L’INTEGRAZIONE DELLE MIGRANTI E DEI MIGRANTIHandelsverbindungen zu an<strong>der</strong>en Gebieten in Europa.20. Jahrhun<strong>der</strong>tIn <strong>der</strong> Zeit zwischen <strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong> <strong>Schweiz</strong> und dem ersten Weltkrieg war die Migrationspolitikin <strong>der</strong> <strong>Schweiz</strong> sehr liberal. Der Anteil Auslän<strong>der</strong>Innen stieg von 3% (1850) auf 11.6 % (1900) undweiter auf 14.7 % (1910). Die meisten MigrantInnen kamen aus dem Deutschen Reich, Italien und ausÖsterreich-Ungarn. 1910 machten die Deutschen in Zürich 21 % <strong>der</strong> Stadtzürcher Bevölkerung ausund kamen damit prozentual auf einen dreimal so hohen Anteil an <strong>der</strong> Wohnbevölkerung wie heute.Diese Entwicklung wurde von konservativen Kreisen mit Sorge verfolgt. Sie hatten Angsttraditionelle Werte zu verlieren, die sie als Grundlage <strong>der</strong> helvetischen Identität betrachteten. Die<strong>Schweiz</strong>er Arbeiterschaft fürchtete den Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt, während dieMittelschicht die deutsche Elite als bedrohlich empfand. Gegend Endes des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts wurdedie Frage <strong>der</strong> "Überfremdung" in <strong>der</strong> öffentlichen Diskussion zu einem dominanten Thema und alsBedrohung wahrgenommen, die es abzuwehren galt. Dies führte zu einem Konflikt mit denaussenpolitischen und wirtschaftlichen Interessen <strong>der</strong> <strong>Schweiz</strong>. Die herrschenden Freisinnigen mitihren liberalen Grundsätzen hatten damals Gewerbe-, Handels- und Nie<strong>der</strong>lassungsfreiheit in <strong>der</strong><strong>Schweiz</strong> eingeführt. Dies war eben massgebend für die Entwicklung <strong>der</strong> <strong>Schweiz</strong>er Industrie undbrachte <strong>der</strong> <strong>Schweiz</strong> Wohlstand. Das Parlament for<strong>der</strong>te daraufhin, die Einbürgerungen fürAuslän<strong>der</strong>Innen zu erleichtern. Die <strong>Schweiz</strong> war somit aus liberaler Sicht zum Einwan<strong>der</strong>ungslandgeworden und die Fremdenfrage sollte durch Einbürgerung gelöst werden.Doch diese For<strong>der</strong>ung fand in vielen konservativen Kantonen keine Unterstützung. Die konservativeGegenströmung, welche von einer neuen Generation radikaler Intellektueller vertreten wurde,machte das politische System und seine wirtschaftsfreundliche Ausrichtung verantwortlich für denVerfall von kollektiven Werten und einer "geistigen Verwirrung" <strong>der</strong> <strong>Schweiz</strong>. In <strong>der</strong>Zwischenkriegszeit dann fand das Ende <strong>der</strong> liberalen Migrationspolitik statt und die Rechte <strong>der</strong>Auslän<strong>der</strong>Innen wurden 1931 im Bundesgesetz über Aufenthalt und Nie<strong>der</strong>lassung <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>(ANAG) bestimmt.1948-1963: Offene Türen und temporäre MigrationNach dem zweiten Weltkrieg gibt es in <strong>der</strong> <strong>Schweiz</strong> einen Mangel an Arbeitskräften. Im Jahr 1948schliesst die schweizerische mit <strong>der</strong> italienischen Regierung ein Abkommen über die Rekrutierungvon Arbeitskräften ab. Damit beginnt auch eine Phase massiver Einwan<strong>der</strong>ung von italienischen undspäter auch spanischen MigrantInnen.In einer Zeit fast ohne Arbeitslosigkeit wan<strong>der</strong>ten die <strong>Schweiz</strong>er immer mehr in die besser bezahltenBereiche an<strong>der</strong>er Wirtschaftszweige ab. MigrantInnen selber wurden als "Gastarbeiter" betrachtetund ihr Aufenthalt als temporär. Diese Einwan<strong>der</strong>ungspolitik war in erster Linie wirtschaftspolitischmotiviert und die Immigration sollte als Konjunkturpuffer dienen.1963-1973: Fremdenfeindlichkeit und KontingentierungDie auf <strong>der</strong> Idee <strong>der</strong> temporären Migration basierende, liberale Zulassungspolitik führt seit Anfang<strong>der</strong> 1960er Jahre zu Spannungen. Es entstanden sogenannte Überfremdungsparteien, welcheInitiativen lancierten zur Beschränkung <strong>der</strong> Zuwan<strong>der</strong>ung. Auf <strong>der</strong> Suche nach einem Mittel, denInitiativen gegen den Abbau von Tausenden von Arbeitnehmenden mit Aufenthaltsbewilligungentgegenzuwirken, versichert <strong>der</strong> Bundesrat <strong>der</strong> Öffentlichkeit, dass er sich für eine dauerhafteBeschränkung <strong>der</strong> ausländischen Bevölkerung einsetze. Nachdem die Initiative abgelehnt wurde,setzt <strong>der</strong> Bundesrat sein Versprechen um und führt eine jährliche Kontingentierung ein.Seite | 2


FORUM FÜR DIE INTEGRATION DER MIGRANTINNEN UND MIGRANTENFORUM POUR L’INTEGRATION DES MIGRANTES ET DES MIGRANTSFORUM PER L’INTEGRAZIONE DELLE MIGRANTI E DEI MIGRANTI1974-1984: Ende <strong>der</strong> ersten Einwan<strong>der</strong>ungswelleWährend <strong>der</strong> Wirtschaftskrise ging in den 1970er Jahren die Zahl <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong> zum ersten Mal seitdem Zweiten Weltkrieg zurück. Die Funktion <strong>der</strong> MigrantInnen als Konjunkturpuffer zeigte sich nieso deutlich wie nach <strong>der</strong> Ölkrise 1973/1974. Vielen MigrantInnen wurde ihreAufenthaltsberechtigung nicht erneuert und sie mussten das Land verlassen.1985-1992: Die zweite Einwan<strong>der</strong>ungswelleNachdem sich die Wirtschaft wie<strong>der</strong> erholte, wollte die Regierung trotz Kontingentierung <strong>der</strong>Zuwan<strong>der</strong>ung wie<strong>der</strong> flexible Arbeitskräfte ermöglichen. Zwischen 1985 und 1995 wurden proJahr durchschnittlich etwa 50'000 neue Arbeitsbewilligungen erlaubt und 130'000 "Saisonniers"kamen in die <strong>Schweiz</strong>, um zu arbeiten. Ein grosser Teil <strong>der</strong> neuen Einwan<strong>der</strong>nden stammte aus demehemaligen Jugoslawien und Portugal.Ab 1992: Politisierung <strong>der</strong> MigrationEnde <strong>der</strong> 1980er Jahren und in den 1990er Jahren beginnt sich die <strong>Schweiz</strong> mit Integrationspolitik zubefassen. Die Idee <strong>der</strong> temporären Migration war zwar sinnvoll für die Wirtschaft, aber auf sozialerEbene war es nicht einfach für MigrantInnen ohne Familie und mit provisorischen Einrichtungen zuleben. Die lokale Bevölkerung hingegen lebte mit Menschen zusammen, die nicht als Teil <strong>der</strong><strong>Schweiz</strong>erischen Bevölkerung betrachtet wurden.Viele MigrantInnen waren nun schon seit Jahren in <strong>der</strong> <strong>Schweiz</strong> und erhielten neue soziale Rechteund einen verbesserten Aufenthaltsstatus, weil ihre Herkunftslän<strong>der</strong> bessereAufenthaltsbedingungen für ihre Bürger for<strong>der</strong>ten. So erhöhte sich <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong>Nie<strong>der</strong>lassungsbewilligungen innerhalb von zwanzig Jahren von 30 % (1970) auf 75 % (1990).Humanitäre Überlegungen und internationaler Druck zwangen die <strong>Schweiz</strong>, sich mit neuen Formenvon Migration auseinan<strong>der</strong>zusetzen, die nicht in Zusammenhang mit <strong>der</strong> Wirtschaft standen. Sostanden neu asylsuchende Flüchtlinge im Zentrum <strong>der</strong> Migrationsdebatte <strong>der</strong> 1990er Jahre. Waren eszu Beginn <strong>der</strong> 1980 er Jahre einige Tausend Asylsuchende, so stieg <strong>der</strong>en Zahl im Jahr 1990 auf35'000 und ein Jahr später bereits auf 41'000. Als Folge, wurde die Einwan<strong>der</strong>ungspolitik einergrundsätzlichen Politisierung unterzogen. Gleichzeitig wurden in <strong>der</strong> Öffentlichkeit Themen wieAuslän<strong>der</strong>arbeitslosigkeit, Anstieg <strong>der</strong> Sozialausgaben und Auslän<strong>der</strong>kriminalität medial verstärktund durch rechtspopulistische Gruppierungen politisch instrumentalisiert. Als Antwort auf dieseHerausfor<strong>der</strong>ungen führte das Parlament das zwei Kreise Modell ein, welches für EU- und EFTAStaaten freier Personenverkehr vorsieht und für aussereuropäische Län<strong>der</strong> nur hochqualifizierteFachkräfte zulässt.Bern, 17.12.2011Weiterführende Literatur- Bundesamt für Migration (2005): Die <strong>Schweiz</strong> als Ein- und Auswan<strong>der</strong>ungsland.- D'Amato, Gianni (2008): Erwünscht, aber nicht immer willkommen. Die Geschichte <strong>der</strong>Einwan<strong>der</strong>ungspolitik. In Haug, Werner: Die neue Zuwan<strong>der</strong>ung. Zürich: Avenir Suisse.- Mahnig, Hans und Andreas Wimmer (1999): Integration without Immigrant Policy. The caseof Switzerland. Neuchâtel: SFM.- Piguet, Etienne (2004): Einwan<strong>der</strong>ungsland <strong>Schweiz</strong>. Fünf Jahrzehnte halb geöffneteGrenzen. Bern: Haupt.Seite | 3


FORUM FÜR DIE INTEGRATION DER MIGRANTINNEN UND MIGRANTENFORUM POUR L’INTEGRATION DES MIGRANTES ET DES MIGRANTSFORUM PER L’INTEGRAZIONE DELLE MIGRANTI E DEI MIGRANTI- Piguet, Etienne in Giugni, M. and Passy F (2006): Dialogues on Migration Policy. Chapter 3:Economy versus the People? Swiss Immigration policy between Economic Demand,Xenophobia and International Constraint. Oxford: Lexington books. 67-89.- Historisches Lexikon <strong>der</strong> <strong>Schweiz</strong>, www.hls-dhs-dss.chSeite | 4

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