8 Wirkstoffe – Pharmakologie/Toxikologie
8 Wirkstoffe – Pharmakologie/Toxikologie
8 Wirkstoffe – Pharmakologie/Toxikologie
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KSH-SPF/EF-Chemie 8 <strong>Wirkstoffe</strong> <strong>–</strong> <strong>Pharmakologie</strong>/<strong>Toxikologie</strong><br />
8.1 Grundlagen<br />
8.1.1 Pharmaka und Gifte<br />
8 <strong>Wirkstoffe</strong> <strong>–</strong> <strong>Pharmakologie</strong>/<strong>Toxikologie</strong><br />
Eine Substanz wird als Wirkstoff bezeichnet, wenn sie in geringen Dosen in einem Organismus<br />
eine spezifische Reaktion hervorruft. <strong>Wirkstoffe</strong>, welche zu therapeutischen Zwecken an Orga-<br />
nismen angewandt werden, bezeichnet man als Pharmaka (Sg.: Pharmakon), Arzneimittel oder<br />
Medikamente. Substanzen, die schon in verhältnismässig geringen Mengen durch chemische oder<br />
chemisch-physikalische Wirkung das Leben oder die Gesundheit von Menschen und Tieren ge-<br />
fährden können, nennt man Gifte. Eine strikte Trennung zwischen Pharmaka und Giften ist un-<br />
möglich, da Pharmaka in den allermeisten Fällen Nebenwirkungen hervorrufen und oberhalb ei-<br />
ner bestimmten Dosis zu toxischen Wirkungen führen können. Bei Giften ist der Schaden am Or-<br />
ganismus grösser als der Nutzen, bei Pharmaka ist der Nutzen grösser als der Schaden. Die Do-<br />
sisabhängigkeit der Wirkung gilt nicht nur für Arzneimittel und Gifte, sondern auch für Mikroor-<br />
ganismen (Viren, Bakterien, Pilze).<br />
Die Wirkung einer Substanz ist von verschiedenen Faktoren abhängig wie:<br />
• individuelle Unterschiede (Konstitution)<br />
• Geschlechtsunterschiede (z.B. bei Schmerzmitteln)<br />
• Gesundheitszustand, Befindlichkeit, tägliche Schwankungen, Biorhythmus<br />
• Unterschiede in der Ernährung, im Verhalten (Ruhe, Sport)<br />
• Umwelteinflüsse (Temperatur)<br />
8.1.2 Beschreibung von <strong>Wirkstoffe</strong>n<br />
Zur Beschreibung eines <strong>Wirkstoffe</strong>s gehören die folgenden Aspekte:<br />
• chemische und physikalische Eigenschaften<br />
• Pharmakokinetik (Aufnahme = Resorption, Verteilung, Biotransformation = Metaboli-<br />
sierung, Ausscheidung = Elimination)<br />
• Pharmakodynamik (Beschreibung der Wirkung auf molekularer und zellulärer Ebene,<br />
Dosis-Wirkungs-Beziehung, Wirkungsmechanismus, Nebenwirkungen)<br />
• Vergiftungen und deren Behandlung<br />
P. Good 1
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Zur Charakterisierung der Wirksamkeit resp. Giftigkeit einer Substanz kennt man u.a. die folgen-<br />
den Grössen:<br />
• LD N = mittlere letale Dosis = Dosis, bei welcher N% der Individuen sterben; häufig<br />
werden der LD 50- oder LD 5-Wert verwendet; Tab. 1 stellt die LD 50-Werte einiger Wirk-<br />
stoffe vor.<br />
• ED N = mittlere Effektdosis = Dosis, welche bei N% der Individuen zur erwünschten the-<br />
rapeutischen Wirkung führt; häufig werden der ED 50- oder ED 95-Wert verwendet.<br />
• Therapeutische Breite = LD 50/ED 50 oder LD 5/ED 95; die therapeutische Breite bringt den<br />
Abstand zwischen der therapeutischen Dosis und der toxischen Dosis einer Substanz<br />
zum Ausdruck; ein Arzneimittel ist umso sicherer, je grösser die therapeutische Breite.<br />
8.1.3 chemische Voraussetzungen für physiologische Wirksamkeit<br />
<strong>Wirkstoffe</strong> können anhand struktureller Merkmale der kleinsten Teilchen als solche identifiziert<br />
werden:<br />
• ungewöhnliche Oxidationszahlen (entspricht einer erhöhten Reaktivität): H 2O 2, CO, Hy-<br />
pochlorite (ClO <strong>–</strong> <strong>–</strong> <strong>–</strong><br />
), Nitrite (NO2 ), Chlorate (ClO3 ), O3, Peroxide (enthalten O-O-<br />
Bindungen), Halogene, COCl 2 (Phosgen), Isocyanate (RNCO), Cyanide (RCN), Stick-<br />
oxide (NO x)<br />
• sehr grosse chemische Reaktivität haben: starke Säuren, Basen, Stoffe mit sehr grossem<br />
Wasserbindungsvermögen, konz. Säuren/Basen, Alkalimetalle, weisser Phosphor, Säu-<br />
rechloride (RCOCl)<br />
• Verbindungen aus gespannten Molekülen: Dreier-, Viererringe<br />
• Stoffe mit hohem Dampfdruck: H 2, NH 3, Cl 2, O 3, Br 2, Hg<br />
• fein verteilte Stoffe (Asbest, Nanopartikel?)<br />
• ausgeprägte Elektrophilie: Epoxide (Dreierringe mit 2 C-Atomen und 1 O-Atom), Aziri-<br />
ne (ungesättigter Dreierring mit 2 C-Atomen und 1 N-Atom), N-Nitrosamine (R 1R 2N-<br />
NO), Alkylierungsmittel, Dreierringe mit einem Element mit EN > 2.6<br />
• lipophile Stoffe: CCl 4, Benzol, DDT, Vinylchlorid; je mehr Halogen-Atome im Molekül,<br />
desto toxischer<br />
• schwache Basen (Amine)<br />
• polare Stoffe in unpolarer Umgebung<br />
P. Good 2
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Tab. 1 Toxizität einiger Substanzen<br />
Verbindung LD(50) mg/kg Körpergewicht<br />
Blei 100<br />
Tetraethylblei 35<br />
Quecksilber(II)-oxid 23<br />
Arsentrioxid, Arsenik 10<br />
Kaliumcyanid 3<br />
Kochsalz 3’000<br />
Destilliertes Wasser 25’000 <strong>–</strong> 30’000<br />
Chlorthion (Insektizid) 1’500<br />
Aspirin (Acetylsalicylsäure) 1’500<br />
Phenobarbital (Schlafmittel) 660<br />
DDT (Insektizid) 150<br />
Parathion 3<br />
TCDD (Dioxin) 0.001<br />
Menthol (Minze) 3’200<br />
Vanillin 3’180<br />
Ethanol 2’500<br />
Allylsenföl (Senf) 680<br />
Digitonin (Roter Fingerhut) 150<br />
Solanin (Kartoffel, ca. 0.08 Gew.-%) 120<br />
Ergotoxin (Mutterkornalkaloid) 100<br />
Coniin (Coniumalkaloid; Schierling) 60<br />
Nicotin 15<br />
Strychnin 5<br />
Curarin 5<br />
Colchizin (Herbstzeitlose) 3<br />
α-Amantin (Knollenblätterpilz) 0.2<br />
Ricin (Ricinusöl) 0.0002<br />
Diphtherietoxin 0.000’03<br />
Tetanustoxin 0.000'000’1<br />
Botulinustoxin 0.000'000’03<br />
Melittin (Biene) 4<br />
Samandrin (Salamander) 1.5<br />
Buffotoxin (Kröte) 0.4<br />
Tetrodotoxin (Kugelfisch) 0.008<br />
Batrachotoxin (Pfeilgiftfrosch) 0.002<br />
Kobratoxin (Brillenschlange) 0.000’3<br />
Crotulostoxin (Klapperschlange) 0.000’2<br />
P. Good 3
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Aufgabe 1 Äussere Dich aufgrund der Struktur der kleinsten Teilchen zur physiologischen Wirk-<br />
samkeit der folgenden Stoffe:<br />
a) CH 3OCH 3<br />
b) FBr<br />
c) Calciumhydrogencarbonat<br />
d) CH 3C 2HFCl 3<br />
e)<br />
f)<br />
g)<br />
h) Ammoniumperchlorat<br />
8.2 Pharmakokinetik: Resorption, Verteilung, Transformaton, Elimination<br />
8.2.1 Darreichung und Resorption von <strong>Wirkstoffe</strong>n<br />
Von besonderer Bedeutung ist es, dass ein Pharmakon biologische Membranen passieren kann,<br />
da es sowohl zur Überwindung der Darmschleimhaut als auch bei der Verteilung im Körper<br />
Membranen antrifft. Substanzen können Membranen auf vier unterschiedlichen Wegen passieren:<br />
• Diffusion durch Membran (hydrophobe Moleküle) und Poren (kleine hydrophile Mole-<br />
küle)<br />
Cl<br />
N<br />
N C<br />
• erleichterte Diffusion (Carrier-vermittelt)<br />
• aktiver Transport durch Pumpe<br />
O<br />
O<br />
O<br />
• Pinocytose, Phagocytose, Persorption (grössere Moleküle)<br />
Damit ein Wirkstoff nicht nur lokal, sondern systemisch wirken kann, muss er in die Blutbahn<br />
aufgenommen werden. Er kann über die Haut, von Schleimhäuten aus oder durch Injektion in den<br />
P. Good 4
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Organismus gelangen. Die Aufnahme einer Substanz vom Applikationsort ins Blut wird als Re-<br />
sorption bezeichnet. Die Resorption der meisten Arzneimittel erfolgt durch Diffusion. Je nach<br />
Eigenschaften des Arzneimittels wendet man eine entsprechende Darreichungsform (Lösung,<br />
Suspension, Salbe, Filmtablette, Dragées, Kapseln, u.a.) an. Tabletten enthalten nicht nur den zu<br />
applizierenden Wirkstoff, sondern auch Füll-, Spreng- und andere Hilfsstoffe. Füllstoffe sorgen<br />
dafür, dass die Tablette eine handhabbare Gesamtgrösse aufweist; man bedenke, dass die Einzel-<br />
dosis vieler Arzneistoffe im Bereich weniger mg oder sogar darunter liegt. Sprengstoffe wie<br />
Stärke (quillt bei Kontakt mit Wasser) oder NaHCO 3 (entwickelt in Kontakt mit der Magensäure<br />
CO 2) beschleunigen den Zerfall der Tablette. Hilfsstoffe sind für die Herstellung, Lagerfähigkeit<br />
oder auch für die Erkennung (Farbe) von Bedeutung. Man unterscheidet verschiedene Formen<br />
der Anwendung von <strong>Wirkstoffe</strong>n:<br />
Parenterale Applikation:<br />
Der Darm wird bei diesen Arten der Gabe umgangen; auf diese Weise verabreicht man Pharma-<br />
ka, welche aus dem Darm nicht genügend resorbiert werden können, welche gegenüber der Ma-<br />
gensäure oder Enzymen des Verdauungstraktes nicht beständig sind oder nicht gut verträglich<br />
sind. Man unterscheidet zwischen:<br />
• intravenöse und intraarterielle Injektion (oder Infusion): der Wirkstoff wird direkt ins<br />
Blut gespritzt; sehr schnelle Wirkung.<br />
• intramuskuläre und subkutane Injektion: der Wirkstoff diffundiert von der Injektions-<br />
Inhalation:<br />
stelle in das nächstgelegene Blutgefäss; die Resorption nach Injektion in das Unterhaut-<br />
gewebe erfolgt langsamer als diejenige in den Muskel, da der Muskel stärker durchblutet<br />
ist als das Unterhautgewebe.<br />
Gasförmige, aber auch flüssige und feste Substanzen (in Form von Aerosolen) können durch In-<br />
halation über die Lunge verabreicht werden; der Stoffaustausch erfolgt an der Alveolarmembran;<br />
die gesamte Alveolarfläche wird auf etwa 90 m 2 geschätzt; wegen der starken Durchblutung und<br />
kurzer Diffusionswege kann die Wirkung sehr rasch erfolgen.<br />
Orale Applikation<br />
Pharmaka können in allen Bereichen des Verdauungstraktes resorbiert werden. Die Resorption<br />
wird vorwiegend durch das Ausmass der lipophilen Eigenschaften bestimmt; im Magen und<br />
P. Good 5
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Dünndarm herrschen aufgrund der pH-Werte besondere Verhältnisse; alle auf diesem Wege ein-<br />
genommenen Pharmaka gelangen über den venösen Blutkreislauf über die Pfortader in die Leber.<br />
• Resorption aus der Mundhöhle: lipophile, nicht ionisierte Pharmaka; Leber wird nicht<br />
passiert; wegen kleiner Oberfläche nur für Pharmaka geeignet, welche bereits in kleinen<br />
Dosen wirksam sind.<br />
• Resorption aus dem Magen: sehr schwache Basen und schwache Säuren => nicht ioni-<br />
siert (Abb. 1).<br />
• Resorption aus dem Darm: der Darm ist<br />
wegen seiner grossen Oberfläche der<br />
Hauptresorptionsort für Pharmaka; auch<br />
saure Pharmaka (z.B. Salicylsäure)<br />
werden hier resorbiert.<br />
• Resorption aus dem Dickdarm (rektal):<br />
bei magenreizenden <strong>Wirkstoffe</strong>n oder bei<br />
Gefahr des Erbrechens und Übelkeit<br />
sinnvoll.<br />
Applikation über andere Schleimhäute<br />
Augen, Nasen: vor allem bei lokaler Anwendung;<br />
es kann aber auch zu systemischen Wirkungen kommen (Kokain, Tabak).<br />
Applikation über die Haut (dermal)<br />
Abb. 1 Zusammenhang zwischen Säuren-<br />
/Basenstärke und Resorption aus dem Magen; x-<br />
Achse: pK s, y-Achse: prozentualer Anteil, der aus<br />
dem Magen resorbiert wird.<br />
Quelle: W. Forth et al., <strong>Pharmakologie</strong> und <strong>Toxikologie</strong>,<br />
Wissenschaftsverlag, 6. Auflage, 1992.<br />
Wirkstoff muss Zubereitungsform verlassen und in die Haut eintreten, wenn er lokal angewandt<br />
wird; wird eine systemische Wirkung beabsichtigt, muss er die Haut durchdringen können; nur<br />
lipophile <strong>Wirkstoffe</strong><br />
Zusammenfassung der Resorption von <strong>Wirkstoffe</strong>n<br />
• unpolare, fettlösliche, lipophile Substanzen: über die Haut und Darm.<br />
• polare, wasserlösliche, hydrophile Substanzen: evt. über die Schleimhäute (Augen,<br />
Mund, Lunge).<br />
• flüchtige Substanzen: über die Lunge.<br />
• saure Substanzen: über den Magen.<br />
• basische und neutrale Substanzen: über den Darm.<br />
P. Good 6
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8.2.2 Verteilung<br />
<strong>Wirkstoffe</strong> werden mit dem Blut in die einzelnen Gewebe des Körpers transportiert. Der Stoff-<br />
austausch erfolgt im Wesentlichen im Bereich der Kapillaren, welche also die Blut-Gewebe-<br />
Schranken darstellen. Lipophile Teilchen und auch kleinere hydrophile Moleküle können die<br />
Blutgefässe verlassen und in den extrazellulären Raum gelangen.<br />
Abb. 2 Zusammenhang zwischen Lipophilie und<br />
Durchdringungsvermögen der Blut-Hirn-Schranke.<br />
Quelle: W. Forth et al., <strong>Pharmakologie</strong> und <strong>Toxikologie</strong>,<br />
Wissenschaftsverlag, 6. Auflage, 1992.<br />
Im Gehirn und Rückenmark besitzen die<br />
Endothelzellen keine Poren, so dass ein<br />
Wirkstoff durch die Membran hindurchtreten<br />
muss. Den Übergang von Kapillaren ins<br />
Gewebe des ZNS nennt man Blut-Hirn-<br />
Schranke. Diese ist für lipophile Moleküle<br />
durchlässig, für hydrophile Moleküle, die<br />
grösser sind als Harnstoff (MM 90 g/mol,<br />
Molekülradius 0.2 nm) praktisch undurchlässig<br />
(Abb. 2). Für hydrophile Stoffe wie Glucose<br />
oder Aminosäuren, welche im Gehirn benötigt<br />
werden, existieren spezielle Transportsysteme.<br />
Die Plazentarschranke zwischen mütterlichem<br />
und fetalem Blut kann von lipophilen Pharmaka rasch durchquert werden. Auch hydrophile Sub-<br />
stanzen passieren diese Schranke, allerdings bedeutend langsamer. Der Durchtritt durch die Pla-<br />
zentarschranke wird durch die Molekülgrösse begrenzt: Moleküle mit einer Masse von 1'000<br />
g/mol können sie nur noch sehr langsam, grössere praktisch gar nicht passieren.<br />
Währenddem kleine polare Moleküle im Blut gelöst transportiert werden, werden die meisten<br />
Pharmaka im Blut reversibel an Proteine gebunden. In diesem Zusammenhang sind Albumin und<br />
Globuline sehr wichtig, welches vor allem für saure <strong>Wirkstoffe</strong> eine hohe Affinität besitzt. Für<br />
die Bindung von lipophilen basischen Pharmaka spielt unter anderem das α-Glykoprotein eine<br />
Rolle. Das Albuminmolekül weist unterschiedliche Bindungsstellen für anionische und kationi-<br />
sche Wirkstoffmoleküle auf. Die Wechselwirkung kann über Ionenbindungen erfolgen, doch<br />
auch Van der Waals-Kräfte sind daran beteiligt.<br />
Lipophile Substanzen können im Fettgewebe hohe Konzentrationen erreichen. Auch im<br />
Knochengewebe kommt es zur Anreicherung von Substanzen, die sich wie Blei oder Strontium<br />
chemisch dem Calcium ähneln.<br />
P. Good 7
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Zusammenfassung des Transports von <strong>Wirkstoffe</strong>n<br />
• polare, wasserlösliche, hydrophile Stoffe: gelöst im Blut.<br />
• unpolare, fettlösliche, lipophile Stoffe: in der Lymphe oder gebunden an Proteine<br />
Zugang zum Gehirn haben<br />
• nicht zu stark geladene Stoffe (keine starken Säuren, Basen, aber oft Amine)<br />
• unpolare Molmasse bis ca. M = 400 g/mol)<br />
• polare Moleküle bis ca. M = 80 g/mol<br />
• Stoffe, die ein spezielles Transportsystem ins Gehirn haben (Aminosäuren, Glucose, L-<br />
Dopa, u.a.)<br />
8.2.3 Elimination<br />
Die meisten von einem Organismus<br />
aufgenommenen Substanze werden metabolisiert,<br />
also umgewandelt. Zu den wichtigsten Reaktionen<br />
gehören<br />
• Oxidation (Energiegewinn)<br />
• Reduktion<br />
• Hydrolyse<br />
• Methylierung, Acetylierung,<br />
Amidbildung, u.a.<br />
• Konjugation (Bindung an andere<br />
Moleküle)<br />
Aufgabe 2 Abb. 3 zeigt Ausscheidungen von<br />
vier unterschiedlichen Substanzen.<br />
Zu sehen sind schematisch der<br />
Magen-Darm-Trakt (a), die Leber<br />
(b) und die Niere (c) sowie der<br />
Blutkreislauf. Unterschiedlich stark<br />
(b) (b)<br />
(a) (a)<br />
(c) (c)<br />
(b) (b)<br />
(a) (a)<br />
(c) (c)<br />
Abb. 3 Elimination verschiedener Substanzen;<br />
Magen-Darm-Trakt (a), Leber (b), Niere (c) und<br />
Blutkreislauf.<br />
ausgemalte Pfeile bedeuten hydrophile, respektive lipophile Substanzen. Ordne<br />
den einzelnen Darstellungen Substanzgruppen zu (z.B. hydrophil, lipophil) und er-<br />
kläre Unterschiede zwischen den einzelnen Fällen.<br />
P. Good 8
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Chemische Veränderungen von <strong>Wirkstoffe</strong>n im Organismus sind meistens mit einer Veränderung<br />
der Wirksamkeit und mit einer Zunahme der Hydrophilie verbunden. Letztere begünstigt die<br />
Ausscheidung über die Niere. Da eine gute Steuerbarkeit von Arzneimitteln erst bei rascher Eli-<br />
mination gegeben ist, weisen viele Arzneimittel eine Art Sollbruchstelle auf, zum Beispiel eine<br />
Esterbindung.<br />
Bestimmte Substanzen werden nach oraler Aufnahme in der Leber chemischen Umwandlungen<br />
unterzogen. In Reaktionen wie Hydrolysen, Oxidationen<br />
(z.B. Hydroxylierungen), Reduktionen oder auch<br />
Desalkylierungen (Abspaltung von Kohlenwasserstoffresten)<br />
werden die Wirkstoffmoleküle verändert. Solche Reaktionen<br />
nennt man Phase-I-Reaktionen. Bei den Phase-II-Reaktionen<br />
werden die <strong>Wirkstoffe</strong> an Moleküle wie Glucuronsäure<br />
(Abb. 4), Schwefelsäure, u.a. gebunden, wobei sie meistens<br />
biologisch inaktiv und besser wasserlöslich werden.<br />
HO<br />
HO<br />
P. Good 9<br />
O<br />
O<br />
Abb. 4 Glucuronsäure<br />
Hydrophile Stoffe passieren die Leber, ohne verändert zu werden. Sie erreichen die Niere, wo sie<br />
filtriert werden und im Endharn erscheinen. Solche Substanzen werden rasch renal eliminiert.<br />
Wird ein Wirkstoff bei der Passage durch die Leber in oben beschriebenen Reaktionen umge-<br />
wandelt, spricht man vom sogenannten ‚First-Pass-Effekt’. Arzneimittel mit einem ausgeprägten<br />
First-Pass-Effekt werden noch vor Erreichen des Wirkungsortes zu einem grossen Teil metaboli-<br />
siert oder ausgeschieden.<br />
Das dem First-Pass-Effekt entgegengesetzte Phänomen nennt sich ‚enterohepatischer Kreislauf’.<br />
Gelangt ein lipophiler Wirkstoff nach Durchgang durch die Leber in der Gallenflüssigkeit wieder<br />
in den Darm, kann er hier erneut resorbiert werden. Der Wirkstoff scheint wie in einer Falle fest-<br />
gehalten scheint. Solche Verhältnisse sind für Arzneimittel unerwünscht, da die Therapie kaum<br />
steuerbar ist. Beispiele für Arzneimittel oder Gifte, die einem enterohepatischen Kreislauf unter-<br />
liegen sind: Digitoxin, Carbamazepin, Barbiturate, trizyklische Antidepressiva, Colchizin (aus<br />
der Herbstzeitlosen) oder Amatoxine (aus dem Grünen Knollenblätterpilz).<br />
Eine bessere Steuerbarkeit von lipophilen Stoffen erhält man, wenn die Substanz in der Leber zu<br />
hydrophilen Metaboliten wird. Die Geschwindigkeit der Bildung des hydrophilen Stoffwechsel-<br />
produktes bestimmt die Dauer der Anwesenheit des Wirkstoffs im Körper.<br />
OH<br />
OH<br />
OH
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Aufgabe 3 Lidocain (Abb. 5) wird in einer Phase-I-Reaktion desalkyliert und so stärker<br />
hydrophil gemacht. Zeichne eine mögliche Stelle der Desalkylierung ein und no-<br />
tiere die Strukturformeln der Produkte.<br />
P. Good 10<br />
N<br />
H<br />
Abb. 5 Lidocain<br />
Aufgabe 4 Kennzeichne in folgenden Arzneimittel-Molekülen die Stelle, an welcher eine Hyd-<br />
rolyse als Beispiel einer Phase-I-Reaktion in der Leber abläuft. Zeichne die Pro-<br />
dukte der entsprechenden Reaktion.<br />
a) Prilocain<br />
b) Acetylsalicylsäure (Aspirin)<br />
O<br />
H<br />
N<br />
OH<br />
Aufgabe 5 Cortison (Abb. 6) wird durch Reduktion einer<br />
Carbonylgruppe zu Cortisol. Hierbei wird der<br />
Wirkstoff in die aktive Form überführt. Notiere die<br />
Strukturformel eines möglichen Produkts der<br />
entsprechenden Reduktion.<br />
Abb. 6 Cortison<br />
Die Elimination einer Substanz, welche zu einem Abfall der Plasmakonzentration führt, ist in den<br />
allermeisten Fällen eine Reaktion 1. Ordnung, d.h. die Geschwindigkeit der Elimination ist von<br />
der Konzentration im Blut abhängig: v = <strong>–</strong>dc/dt = k x c und c t = c 0 x e (<strong>–</strong>k x t) . Aus dieser exponen-<br />
tiellen Gesetzmässigkeit ergibt sich eine Eliminationshalbwertszeit t 1/2. Diese wie auch die maxi-<br />
malen Blutspiegelwerte der meisten Arzneimittel lassen sich aus dem Arzneimittelcompendium<br />
(www.compendium.ch) herauslesen.<br />
O<br />
O<br />
O<br />
N<br />
H<br />
O<br />
N
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Physiologische Wirksamkeit zeigen<br />
Zusammenfassung<br />
• reaktive Substanzen (reagieren auch mit Stoffen unseres Körpers).<br />
• lipophile Substanzen (können lipophile Zellmembranen überwinden).<br />
• Amine (schwache Basen; sind von der Polarität her ideal, um an Rezeptoren zu binden).<br />
• Übergangsmetalle (reagieren mit Proteinen, z.B. Hg, Pb, Tl, mit S).<br />
• Gase in hohen Konzentrationen (erstickend).<br />
• wichtige Kationen (Na + , K + , Li + (Antidepressivum), Ca 2+ , Mg 2+ , u.a.).<br />
• radioaktive Stoffe.<br />
Einen Geruch haben<br />
• flüchtige Substanzen (genügender Dampfdruck bei RT; Stoff muss zur Nase gelangen).<br />
• reaktive Substanzen (wirken reizend).<br />
• als Geruchstoffe bekannte Stoffe (Vanillin, Zimtsäure, Limonen, u.a.).<br />
Keinen Geruch haben<br />
• CO, CO 2, CH 4, C 2H 6, C 2H 4, C 2H 2, H 2, O 2, N 2, Edelgase.<br />
Einen Geschmack haben<br />
Resorption<br />
Transport<br />
• sauer: Säuren, seifig: Basen, salzig: Ionen von F <strong>–</strong> , Cl <strong>–</strong> , Br <strong>–</strong> , I <strong>–</strong> , süss: Zucker.<br />
• als Geschmacksstoffe bekannte Stoffe: Chinin, Men-<br />
thol, Vanillin, Capsaicin, u.a.<br />
• unpolare, fettlösliche, lipophile Substanzen: über die Haut und Darm.<br />
• polare, wasserlösliche, hydrophile Substanzen: evt. über die Schleimhäute (Augen,<br />
Mund, Lunge).<br />
• flüchtige Substanzen: über die Lunge.<br />
• saure Substanzen: über den Magen.<br />
• basische und neutrale Substanzen: über den Darm.<br />
• polare, wasserlösliche, hydrophile Stoffe: gelöst im Blut.<br />
• unpolare, fettlösliche, lipophile Stoffe: in der Lymphe oder gebunden an Proteine<br />
P. Good 11
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Zugang zum Gehirn haben<br />
• nicht zu stark geladene Stoffe (keine starken Säuren, Basen, aber oft Amine)<br />
• nicht zu grosse Moleküle (unpolare Moleküle: M < 400 g/mol, polare Moleküle: M < 80<br />
g/mol)<br />
• genügend lipophile Moleküle; Ausnahmen: Methanol, Ethanol<br />
• Stoffe, die ein spezielles Transportsystem ins Gehirn haben (Aminosäuren, Glucose,<br />
u.a.)<br />
Speicherung, Kumulation zeigen<br />
• unpolare, fettlösliche, lipophile Stoffe, meist im Fettgewebe, oft auch in der Leber; bei<br />
Drogen ist bei einer Speicherung im Fettgewebe mit einem flash-back zu rechnen, wenn<br />
durch den Stoffwechsel Fett abgebaut wird und die Drogen damit freigesetzt werden.<br />
• unreaktive Substanzen (reaktive werden rasch umgewandelt oder abgebaut).<br />
• teilweise Metallionen (Ca-Ersatz: Pb, Sr).<br />
Elimination<br />
• unpolare, fettlösliche, lipophile Stoffe: Leber/Galle/Faeces.<br />
• Leicht mit Sauerstoff oxidierbare Stoffe: werden in der Leber zu wasserlöslichen Sub-<br />
stanzen oxidiert: Ausscheidung über den Urin.<br />
• polare, wasserlösliche, hydrophile Stoffe: Niere/Blase/Urin, z.T. mit dem Schweiss.<br />
• Gase: mit der Atemluft.<br />
P. Good 12
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Beantworte zur Charakterisierung der Substanz (Fenta-<br />
nyl) mit nebenstehender Formel die folgenden Fragen:<br />
1) Die Amidgruppe und der an das N-Atom<br />
gebundene Phenylring liegen auf einer Ebene.<br />
Welche Hybridisierung hat demnach das<br />
betreffende N-Atom?<br />
2) Welche Farbe hat die Substanz?<br />
3) Äussere Dich zur Reaktivität der Substanz (Säure-/Base-, Redox-, organische Reaktionen).<br />
4) Die Substanz wird oft als Fentanyldihydrogencitrat eingesetzt. Was ist darunter zu verstehen?<br />
Welche Bindungsarten baut diese Substanz auf?<br />
5) Berechne die Molmasse des Moleküls.<br />
6) Die Löslichkeit von Fentanyl in Wasser beträgt 200 mg/L. Berechne die Löslichkeit in mol/L.<br />
7) Passiert die Substanz die Blut-Hirn-Schranke?<br />
8) Wie wird Fentanyl resorbiert?<br />
9) Wie wird die Substanz transportiert?<br />
10) Die Substanz wird in der Leber N-dealkyliert, d.h. eine Bindung vom N-Atom zu einem exo-<br />
cyclischen C-Atom wird gebrochen, wobei die Aminogruppe freigelegt wird und ein Aldehyd<br />
entsteht. Notiere die Strukturformeln der Produkte.<br />
11) Welche Elimination ist zu erwarten?<br />
12) Berechne die therapeutische Breite aus den folgenden Werten: ED 50 = 0.01 mg/kg Körperge-<br />
wicht; LD 50 = 3.1 mg/kg Körpergewicht.<br />
P. Good 13
KSH-SPF/EF-Chemie 8 <strong>Wirkstoffe</strong> <strong>–</strong> <strong>Pharmakologie</strong>/<strong>Toxikologie</strong><br />
Farbe<br />
Molmasse<br />
Aggregatszustand bei STP<br />
Stoffklasse<br />
Bindungen im Molekül<br />
Bindungen zwischen Molekülen<br />
Polarität gesamthaft<br />
Isomerien, chirale Zentren<br />
Gespannte Bindungen<br />
Wasserlöslichkeit<br />
Oxidationsstufen<br />
Funktionelle Gruppen<br />
Reaktivität/Säure-/Base-Eigenschaften<br />
Geruch, Geschmack<br />
Resorption<br />
Transport<br />
Zugang zum Gehirn<br />
Speicherung<br />
Metabolisierung<br />
Elimination<br />
Abbaubarkeit, Verteilung in Biosphäre<br />
Substanzeigenschaften<br />
P. Good 14