11.08.2012 Aufrufe

8 Wirkstoffe – Pharmakologie/Toxikologie

8 Wirkstoffe – Pharmakologie/Toxikologie

8 Wirkstoffe – Pharmakologie/Toxikologie

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

KSH-SPF/EF-Chemie 8 <strong>Wirkstoffe</strong> <strong>–</strong> <strong>Pharmakologie</strong>/<strong>Toxikologie</strong><br />

8.1 Grundlagen<br />

8.1.1 Pharmaka und Gifte<br />

8 <strong>Wirkstoffe</strong> <strong>–</strong> <strong>Pharmakologie</strong>/<strong>Toxikologie</strong><br />

Eine Substanz wird als Wirkstoff bezeichnet, wenn sie in geringen Dosen in einem Organismus<br />

eine spezifische Reaktion hervorruft. <strong>Wirkstoffe</strong>, welche zu therapeutischen Zwecken an Orga-<br />

nismen angewandt werden, bezeichnet man als Pharmaka (Sg.: Pharmakon), Arzneimittel oder<br />

Medikamente. Substanzen, die schon in verhältnismässig geringen Mengen durch chemische oder<br />

chemisch-physikalische Wirkung das Leben oder die Gesundheit von Menschen und Tieren ge-<br />

fährden können, nennt man Gifte. Eine strikte Trennung zwischen Pharmaka und Giften ist un-<br />

möglich, da Pharmaka in den allermeisten Fällen Nebenwirkungen hervorrufen und oberhalb ei-<br />

ner bestimmten Dosis zu toxischen Wirkungen führen können. Bei Giften ist der Schaden am Or-<br />

ganismus grösser als der Nutzen, bei Pharmaka ist der Nutzen grösser als der Schaden. Die Do-<br />

sisabhängigkeit der Wirkung gilt nicht nur für Arzneimittel und Gifte, sondern auch für Mikroor-<br />

ganismen (Viren, Bakterien, Pilze).<br />

Die Wirkung einer Substanz ist von verschiedenen Faktoren abhängig wie:<br />

• individuelle Unterschiede (Konstitution)<br />

• Geschlechtsunterschiede (z.B. bei Schmerzmitteln)<br />

• Gesundheitszustand, Befindlichkeit, tägliche Schwankungen, Biorhythmus<br />

• Unterschiede in der Ernährung, im Verhalten (Ruhe, Sport)<br />

• Umwelteinflüsse (Temperatur)<br />

8.1.2 Beschreibung von <strong>Wirkstoffe</strong>n<br />

Zur Beschreibung eines <strong>Wirkstoffe</strong>s gehören die folgenden Aspekte:<br />

• chemische und physikalische Eigenschaften<br />

• Pharmakokinetik (Aufnahme = Resorption, Verteilung, Biotransformation = Metaboli-<br />

sierung, Ausscheidung = Elimination)<br />

• Pharmakodynamik (Beschreibung der Wirkung auf molekularer und zellulärer Ebene,<br />

Dosis-Wirkungs-Beziehung, Wirkungsmechanismus, Nebenwirkungen)<br />

• Vergiftungen und deren Behandlung<br />

P. Good 1


KSH-SPF/EF-Chemie 8 <strong>Wirkstoffe</strong> <strong>–</strong> <strong>Pharmakologie</strong>/<strong>Toxikologie</strong><br />

Zur Charakterisierung der Wirksamkeit resp. Giftigkeit einer Substanz kennt man u.a. die folgen-<br />

den Grössen:<br />

• LD N = mittlere letale Dosis = Dosis, bei welcher N% der Individuen sterben; häufig<br />

werden der LD 50- oder LD 5-Wert verwendet; Tab. 1 stellt die LD 50-Werte einiger Wirk-<br />

stoffe vor.<br />

• ED N = mittlere Effektdosis = Dosis, welche bei N% der Individuen zur erwünschten the-<br />

rapeutischen Wirkung führt; häufig werden der ED 50- oder ED 95-Wert verwendet.<br />

• Therapeutische Breite = LD 50/ED 50 oder LD 5/ED 95; die therapeutische Breite bringt den<br />

Abstand zwischen der therapeutischen Dosis und der toxischen Dosis einer Substanz<br />

zum Ausdruck; ein Arzneimittel ist umso sicherer, je grösser die therapeutische Breite.<br />

8.1.3 chemische Voraussetzungen für physiologische Wirksamkeit<br />

<strong>Wirkstoffe</strong> können anhand struktureller Merkmale der kleinsten Teilchen als solche identifiziert<br />

werden:<br />

• ungewöhnliche Oxidationszahlen (entspricht einer erhöhten Reaktivität): H 2O 2, CO, Hy-<br />

pochlorite (ClO <strong>–</strong> <strong>–</strong> <strong>–</strong><br />

), Nitrite (NO2 ), Chlorate (ClO3 ), O3, Peroxide (enthalten O-O-<br />

Bindungen), Halogene, COCl 2 (Phosgen), Isocyanate (RNCO), Cyanide (RCN), Stick-<br />

oxide (NO x)<br />

• sehr grosse chemische Reaktivität haben: starke Säuren, Basen, Stoffe mit sehr grossem<br />

Wasserbindungsvermögen, konz. Säuren/Basen, Alkalimetalle, weisser Phosphor, Säu-<br />

rechloride (RCOCl)<br />

• Verbindungen aus gespannten Molekülen: Dreier-, Viererringe<br />

• Stoffe mit hohem Dampfdruck: H 2, NH 3, Cl 2, O 3, Br 2, Hg<br />

• fein verteilte Stoffe (Asbest, Nanopartikel?)<br />

• ausgeprägte Elektrophilie: Epoxide (Dreierringe mit 2 C-Atomen und 1 O-Atom), Aziri-<br />

ne (ungesättigter Dreierring mit 2 C-Atomen und 1 N-Atom), N-Nitrosamine (R 1R 2N-<br />

NO), Alkylierungsmittel, Dreierringe mit einem Element mit EN > 2.6<br />

• lipophile Stoffe: CCl 4, Benzol, DDT, Vinylchlorid; je mehr Halogen-Atome im Molekül,<br />

desto toxischer<br />

• schwache Basen (Amine)<br />

• polare Stoffe in unpolarer Umgebung<br />

P. Good 2


KSH-SPF/EF-Chemie 8 <strong>Wirkstoffe</strong> <strong>–</strong> <strong>Pharmakologie</strong>/<strong>Toxikologie</strong><br />

Tab. 1 Toxizität einiger Substanzen<br />

Verbindung LD(50) mg/kg Körpergewicht<br />

Blei 100<br />

Tetraethylblei 35<br />

Quecksilber(II)-oxid 23<br />

Arsentrioxid, Arsenik 10<br />

Kaliumcyanid 3<br />

Kochsalz 3’000<br />

Destilliertes Wasser 25’000 <strong>–</strong> 30’000<br />

Chlorthion (Insektizid) 1’500<br />

Aspirin (Acetylsalicylsäure) 1’500<br />

Phenobarbital (Schlafmittel) 660<br />

DDT (Insektizid) 150<br />

Parathion 3<br />

TCDD (Dioxin) 0.001<br />

Menthol (Minze) 3’200<br />

Vanillin 3’180<br />

Ethanol 2’500<br />

Allylsenföl (Senf) 680<br />

Digitonin (Roter Fingerhut) 150<br />

Solanin (Kartoffel, ca. 0.08 Gew.-%) 120<br />

Ergotoxin (Mutterkornalkaloid) 100<br />

Coniin (Coniumalkaloid; Schierling) 60<br />

Nicotin 15<br />

Strychnin 5<br />

Curarin 5<br />

Colchizin (Herbstzeitlose) 3<br />

α-Amantin (Knollenblätterpilz) 0.2<br />

Ricin (Ricinusöl) 0.0002<br />

Diphtherietoxin 0.000’03<br />

Tetanustoxin 0.000'000’1<br />

Botulinustoxin 0.000'000’03<br />

Melittin (Biene) 4<br />

Samandrin (Salamander) 1.5<br />

Buffotoxin (Kröte) 0.4<br />

Tetrodotoxin (Kugelfisch) 0.008<br />

Batrachotoxin (Pfeilgiftfrosch) 0.002<br />

Kobratoxin (Brillenschlange) 0.000’3<br />

Crotulostoxin (Klapperschlange) 0.000’2<br />

P. Good 3


KSH-SPF/EF-Chemie 8 <strong>Wirkstoffe</strong> <strong>–</strong> <strong>Pharmakologie</strong>/<strong>Toxikologie</strong><br />

Aufgabe 1 Äussere Dich aufgrund der Struktur der kleinsten Teilchen zur physiologischen Wirk-<br />

samkeit der folgenden Stoffe:<br />

a) CH 3OCH 3<br />

b) FBr<br />

c) Calciumhydrogencarbonat<br />

d) CH 3C 2HFCl 3<br />

e)<br />

f)<br />

g)<br />

h) Ammoniumperchlorat<br />

8.2 Pharmakokinetik: Resorption, Verteilung, Transformaton, Elimination<br />

8.2.1 Darreichung und Resorption von <strong>Wirkstoffe</strong>n<br />

Von besonderer Bedeutung ist es, dass ein Pharmakon biologische Membranen passieren kann,<br />

da es sowohl zur Überwindung der Darmschleimhaut als auch bei der Verteilung im Körper<br />

Membranen antrifft. Substanzen können Membranen auf vier unterschiedlichen Wegen passieren:<br />

• Diffusion durch Membran (hydrophobe Moleküle) und Poren (kleine hydrophile Mole-<br />

küle)<br />

Cl<br />

N<br />

N C<br />

• erleichterte Diffusion (Carrier-vermittelt)<br />

• aktiver Transport durch Pumpe<br />

O<br />

O<br />

O<br />

• Pinocytose, Phagocytose, Persorption (grössere Moleküle)<br />

Damit ein Wirkstoff nicht nur lokal, sondern systemisch wirken kann, muss er in die Blutbahn<br />

aufgenommen werden. Er kann über die Haut, von Schleimhäuten aus oder durch Injektion in den<br />

P. Good 4


KSH-SPF/EF-Chemie 8 <strong>Wirkstoffe</strong> <strong>–</strong> <strong>Pharmakologie</strong>/<strong>Toxikologie</strong><br />

Organismus gelangen. Die Aufnahme einer Substanz vom Applikationsort ins Blut wird als Re-<br />

sorption bezeichnet. Die Resorption der meisten Arzneimittel erfolgt durch Diffusion. Je nach<br />

Eigenschaften des Arzneimittels wendet man eine entsprechende Darreichungsform (Lösung,<br />

Suspension, Salbe, Filmtablette, Dragées, Kapseln, u.a.) an. Tabletten enthalten nicht nur den zu<br />

applizierenden Wirkstoff, sondern auch Füll-, Spreng- und andere Hilfsstoffe. Füllstoffe sorgen<br />

dafür, dass die Tablette eine handhabbare Gesamtgrösse aufweist; man bedenke, dass die Einzel-<br />

dosis vieler Arzneistoffe im Bereich weniger mg oder sogar darunter liegt. Sprengstoffe wie<br />

Stärke (quillt bei Kontakt mit Wasser) oder NaHCO 3 (entwickelt in Kontakt mit der Magensäure<br />

CO 2) beschleunigen den Zerfall der Tablette. Hilfsstoffe sind für die Herstellung, Lagerfähigkeit<br />

oder auch für die Erkennung (Farbe) von Bedeutung. Man unterscheidet verschiedene Formen<br />

der Anwendung von <strong>Wirkstoffe</strong>n:<br />

Parenterale Applikation:<br />

Der Darm wird bei diesen Arten der Gabe umgangen; auf diese Weise verabreicht man Pharma-<br />

ka, welche aus dem Darm nicht genügend resorbiert werden können, welche gegenüber der Ma-<br />

gensäure oder Enzymen des Verdauungstraktes nicht beständig sind oder nicht gut verträglich<br />

sind. Man unterscheidet zwischen:<br />

• intravenöse und intraarterielle Injektion (oder Infusion): der Wirkstoff wird direkt ins<br />

Blut gespritzt; sehr schnelle Wirkung.<br />

• intramuskuläre und subkutane Injektion: der Wirkstoff diffundiert von der Injektions-<br />

Inhalation:<br />

stelle in das nächstgelegene Blutgefäss; die Resorption nach Injektion in das Unterhaut-<br />

gewebe erfolgt langsamer als diejenige in den Muskel, da der Muskel stärker durchblutet<br />

ist als das Unterhautgewebe.<br />

Gasförmige, aber auch flüssige und feste Substanzen (in Form von Aerosolen) können durch In-<br />

halation über die Lunge verabreicht werden; der Stoffaustausch erfolgt an der Alveolarmembran;<br />

die gesamte Alveolarfläche wird auf etwa 90 m 2 geschätzt; wegen der starken Durchblutung und<br />

kurzer Diffusionswege kann die Wirkung sehr rasch erfolgen.<br />

Orale Applikation<br />

Pharmaka können in allen Bereichen des Verdauungstraktes resorbiert werden. Die Resorption<br />

wird vorwiegend durch das Ausmass der lipophilen Eigenschaften bestimmt; im Magen und<br />

P. Good 5


KSH-SPF/EF-Chemie 8 <strong>Wirkstoffe</strong> <strong>–</strong> <strong>Pharmakologie</strong>/<strong>Toxikologie</strong><br />

Dünndarm herrschen aufgrund der pH-Werte besondere Verhältnisse; alle auf diesem Wege ein-<br />

genommenen Pharmaka gelangen über den venösen Blutkreislauf über die Pfortader in die Leber.<br />

• Resorption aus der Mundhöhle: lipophile, nicht ionisierte Pharmaka; Leber wird nicht<br />

passiert; wegen kleiner Oberfläche nur für Pharmaka geeignet, welche bereits in kleinen<br />

Dosen wirksam sind.<br />

• Resorption aus dem Magen: sehr schwache Basen und schwache Säuren => nicht ioni-<br />

siert (Abb. 1).<br />

• Resorption aus dem Darm: der Darm ist<br />

wegen seiner grossen Oberfläche der<br />

Hauptresorptionsort für Pharmaka; auch<br />

saure Pharmaka (z.B. Salicylsäure)<br />

werden hier resorbiert.<br />

• Resorption aus dem Dickdarm (rektal):<br />

bei magenreizenden <strong>Wirkstoffe</strong>n oder bei<br />

Gefahr des Erbrechens und Übelkeit<br />

sinnvoll.<br />

Applikation über andere Schleimhäute<br />

Augen, Nasen: vor allem bei lokaler Anwendung;<br />

es kann aber auch zu systemischen Wirkungen kommen (Kokain, Tabak).<br />

Applikation über die Haut (dermal)<br />

Abb. 1 Zusammenhang zwischen Säuren-<br />

/Basenstärke und Resorption aus dem Magen; x-<br />

Achse: pK s, y-Achse: prozentualer Anteil, der aus<br />

dem Magen resorbiert wird.<br />

Quelle: W. Forth et al., <strong>Pharmakologie</strong> und <strong>Toxikologie</strong>,<br />

Wissenschaftsverlag, 6. Auflage, 1992.<br />

Wirkstoff muss Zubereitungsform verlassen und in die Haut eintreten, wenn er lokal angewandt<br />

wird; wird eine systemische Wirkung beabsichtigt, muss er die Haut durchdringen können; nur<br />

lipophile <strong>Wirkstoffe</strong><br />

Zusammenfassung der Resorption von <strong>Wirkstoffe</strong>n<br />

• unpolare, fettlösliche, lipophile Substanzen: über die Haut und Darm.<br />

• polare, wasserlösliche, hydrophile Substanzen: evt. über die Schleimhäute (Augen,<br />

Mund, Lunge).<br />

• flüchtige Substanzen: über die Lunge.<br />

• saure Substanzen: über den Magen.<br />

• basische und neutrale Substanzen: über den Darm.<br />

P. Good 6


KSH-SPF/EF-Chemie 8 <strong>Wirkstoffe</strong> <strong>–</strong> <strong>Pharmakologie</strong>/<strong>Toxikologie</strong><br />

8.2.2 Verteilung<br />

<strong>Wirkstoffe</strong> werden mit dem Blut in die einzelnen Gewebe des Körpers transportiert. Der Stoff-<br />

austausch erfolgt im Wesentlichen im Bereich der Kapillaren, welche also die Blut-Gewebe-<br />

Schranken darstellen. Lipophile Teilchen und auch kleinere hydrophile Moleküle können die<br />

Blutgefässe verlassen und in den extrazellulären Raum gelangen.<br />

Abb. 2 Zusammenhang zwischen Lipophilie und<br />

Durchdringungsvermögen der Blut-Hirn-Schranke.<br />

Quelle: W. Forth et al., <strong>Pharmakologie</strong> und <strong>Toxikologie</strong>,<br />

Wissenschaftsverlag, 6. Auflage, 1992.<br />

Im Gehirn und Rückenmark besitzen die<br />

Endothelzellen keine Poren, so dass ein<br />

Wirkstoff durch die Membran hindurchtreten<br />

muss. Den Übergang von Kapillaren ins<br />

Gewebe des ZNS nennt man Blut-Hirn-<br />

Schranke. Diese ist für lipophile Moleküle<br />

durchlässig, für hydrophile Moleküle, die<br />

grösser sind als Harnstoff (MM 90 g/mol,<br />

Molekülradius 0.2 nm) praktisch undurchlässig<br />

(Abb. 2). Für hydrophile Stoffe wie Glucose<br />

oder Aminosäuren, welche im Gehirn benötigt<br />

werden, existieren spezielle Transportsysteme.<br />

Die Plazentarschranke zwischen mütterlichem<br />

und fetalem Blut kann von lipophilen Pharmaka rasch durchquert werden. Auch hydrophile Sub-<br />

stanzen passieren diese Schranke, allerdings bedeutend langsamer. Der Durchtritt durch die Pla-<br />

zentarschranke wird durch die Molekülgrösse begrenzt: Moleküle mit einer Masse von 1'000<br />

g/mol können sie nur noch sehr langsam, grössere praktisch gar nicht passieren.<br />

Währenddem kleine polare Moleküle im Blut gelöst transportiert werden, werden die meisten<br />

Pharmaka im Blut reversibel an Proteine gebunden. In diesem Zusammenhang sind Albumin und<br />

Globuline sehr wichtig, welches vor allem für saure <strong>Wirkstoffe</strong> eine hohe Affinität besitzt. Für<br />

die Bindung von lipophilen basischen Pharmaka spielt unter anderem das α-Glykoprotein eine<br />

Rolle. Das Albuminmolekül weist unterschiedliche Bindungsstellen für anionische und kationi-<br />

sche Wirkstoffmoleküle auf. Die Wechselwirkung kann über Ionenbindungen erfolgen, doch<br />

auch Van der Waals-Kräfte sind daran beteiligt.<br />

Lipophile Substanzen können im Fettgewebe hohe Konzentrationen erreichen. Auch im<br />

Knochengewebe kommt es zur Anreicherung von Substanzen, die sich wie Blei oder Strontium<br />

chemisch dem Calcium ähneln.<br />

P. Good 7


KSH-SPF/EF-Chemie 8 <strong>Wirkstoffe</strong> <strong>–</strong> <strong>Pharmakologie</strong>/<strong>Toxikologie</strong><br />

Zusammenfassung des Transports von <strong>Wirkstoffe</strong>n<br />

• polare, wasserlösliche, hydrophile Stoffe: gelöst im Blut.<br />

• unpolare, fettlösliche, lipophile Stoffe: in der Lymphe oder gebunden an Proteine<br />

Zugang zum Gehirn haben<br />

• nicht zu stark geladene Stoffe (keine starken Säuren, Basen, aber oft Amine)<br />

• unpolare Molmasse bis ca. M = 400 g/mol)<br />

• polare Moleküle bis ca. M = 80 g/mol<br />

• Stoffe, die ein spezielles Transportsystem ins Gehirn haben (Aminosäuren, Glucose, L-<br />

Dopa, u.a.)<br />

8.2.3 Elimination<br />

Die meisten von einem Organismus<br />

aufgenommenen Substanze werden metabolisiert,<br />

also umgewandelt. Zu den wichtigsten Reaktionen<br />

gehören<br />

• Oxidation (Energiegewinn)<br />

• Reduktion<br />

• Hydrolyse<br />

• Methylierung, Acetylierung,<br />

Amidbildung, u.a.<br />

• Konjugation (Bindung an andere<br />

Moleküle)<br />

Aufgabe 2 Abb. 3 zeigt Ausscheidungen von<br />

vier unterschiedlichen Substanzen.<br />

Zu sehen sind schematisch der<br />

Magen-Darm-Trakt (a), die Leber<br />

(b) und die Niere (c) sowie der<br />

Blutkreislauf. Unterschiedlich stark<br />

(b) (b)<br />

(a) (a)<br />

(c) (c)<br />

(b) (b)<br />

(a) (a)<br />

(c) (c)<br />

Abb. 3 Elimination verschiedener Substanzen;<br />

Magen-Darm-Trakt (a), Leber (b), Niere (c) und<br />

Blutkreislauf.<br />

ausgemalte Pfeile bedeuten hydrophile, respektive lipophile Substanzen. Ordne<br />

den einzelnen Darstellungen Substanzgruppen zu (z.B. hydrophil, lipophil) und er-<br />

kläre Unterschiede zwischen den einzelnen Fällen.<br />

P. Good 8


KSH-SPF/EF-Chemie 8 <strong>Wirkstoffe</strong> <strong>–</strong> <strong>Pharmakologie</strong>/<strong>Toxikologie</strong><br />

Chemische Veränderungen von <strong>Wirkstoffe</strong>n im Organismus sind meistens mit einer Veränderung<br />

der Wirksamkeit und mit einer Zunahme der Hydrophilie verbunden. Letztere begünstigt die<br />

Ausscheidung über die Niere. Da eine gute Steuerbarkeit von Arzneimitteln erst bei rascher Eli-<br />

mination gegeben ist, weisen viele Arzneimittel eine Art Sollbruchstelle auf, zum Beispiel eine<br />

Esterbindung.<br />

Bestimmte Substanzen werden nach oraler Aufnahme in der Leber chemischen Umwandlungen<br />

unterzogen. In Reaktionen wie Hydrolysen, Oxidationen<br />

(z.B. Hydroxylierungen), Reduktionen oder auch<br />

Desalkylierungen (Abspaltung von Kohlenwasserstoffresten)<br />

werden die Wirkstoffmoleküle verändert. Solche Reaktionen<br />

nennt man Phase-I-Reaktionen. Bei den Phase-II-Reaktionen<br />

werden die <strong>Wirkstoffe</strong> an Moleküle wie Glucuronsäure<br />

(Abb. 4), Schwefelsäure, u.a. gebunden, wobei sie meistens<br />

biologisch inaktiv und besser wasserlöslich werden.<br />

HO<br />

HO<br />

P. Good 9<br />

O<br />

O<br />

Abb. 4 Glucuronsäure<br />

Hydrophile Stoffe passieren die Leber, ohne verändert zu werden. Sie erreichen die Niere, wo sie<br />

filtriert werden und im Endharn erscheinen. Solche Substanzen werden rasch renal eliminiert.<br />

Wird ein Wirkstoff bei der Passage durch die Leber in oben beschriebenen Reaktionen umge-<br />

wandelt, spricht man vom sogenannten ‚First-Pass-Effekt’. Arzneimittel mit einem ausgeprägten<br />

First-Pass-Effekt werden noch vor Erreichen des Wirkungsortes zu einem grossen Teil metaboli-<br />

siert oder ausgeschieden.<br />

Das dem First-Pass-Effekt entgegengesetzte Phänomen nennt sich ‚enterohepatischer Kreislauf’.<br />

Gelangt ein lipophiler Wirkstoff nach Durchgang durch die Leber in der Gallenflüssigkeit wieder<br />

in den Darm, kann er hier erneut resorbiert werden. Der Wirkstoff scheint wie in einer Falle fest-<br />

gehalten scheint. Solche Verhältnisse sind für Arzneimittel unerwünscht, da die Therapie kaum<br />

steuerbar ist. Beispiele für Arzneimittel oder Gifte, die einem enterohepatischen Kreislauf unter-<br />

liegen sind: Digitoxin, Carbamazepin, Barbiturate, trizyklische Antidepressiva, Colchizin (aus<br />

der Herbstzeitlosen) oder Amatoxine (aus dem Grünen Knollenblätterpilz).<br />

Eine bessere Steuerbarkeit von lipophilen Stoffen erhält man, wenn die Substanz in der Leber zu<br />

hydrophilen Metaboliten wird. Die Geschwindigkeit der Bildung des hydrophilen Stoffwechsel-<br />

produktes bestimmt die Dauer der Anwesenheit des Wirkstoffs im Körper.<br />

OH<br />

OH<br />

OH


KSH-SPF/EF-Chemie 8 <strong>Wirkstoffe</strong> <strong>–</strong> <strong>Pharmakologie</strong>/<strong>Toxikologie</strong><br />

Aufgabe 3 Lidocain (Abb. 5) wird in einer Phase-I-Reaktion desalkyliert und so stärker<br />

hydrophil gemacht. Zeichne eine mögliche Stelle der Desalkylierung ein und no-<br />

tiere die Strukturformeln der Produkte.<br />

P. Good 10<br />

N<br />

H<br />

Abb. 5 Lidocain<br />

Aufgabe 4 Kennzeichne in folgenden Arzneimittel-Molekülen die Stelle, an welcher eine Hyd-<br />

rolyse als Beispiel einer Phase-I-Reaktion in der Leber abläuft. Zeichne die Pro-<br />

dukte der entsprechenden Reaktion.<br />

a) Prilocain<br />

b) Acetylsalicylsäure (Aspirin)<br />

O<br />

H<br />

N<br />

OH<br />

Aufgabe 5 Cortison (Abb. 6) wird durch Reduktion einer<br />

Carbonylgruppe zu Cortisol. Hierbei wird der<br />

Wirkstoff in die aktive Form überführt. Notiere die<br />

Strukturformel eines möglichen Produkts der<br />

entsprechenden Reduktion.<br />

Abb. 6 Cortison<br />

Die Elimination einer Substanz, welche zu einem Abfall der Plasmakonzentration führt, ist in den<br />

allermeisten Fällen eine Reaktion 1. Ordnung, d.h. die Geschwindigkeit der Elimination ist von<br />

der Konzentration im Blut abhängig: v = <strong>–</strong>dc/dt = k x c und c t = c 0 x e (<strong>–</strong>k x t) . Aus dieser exponen-<br />

tiellen Gesetzmässigkeit ergibt sich eine Eliminationshalbwertszeit t 1/2. Diese wie auch die maxi-<br />

malen Blutspiegelwerte der meisten Arzneimittel lassen sich aus dem Arzneimittelcompendium<br />

(www.compendium.ch) herauslesen.<br />

O<br />

O<br />

O<br />

N<br />

H<br />

O<br />

N


KSH-SPF/EF-Chemie 8 <strong>Wirkstoffe</strong> <strong>–</strong> <strong>Pharmakologie</strong>/<strong>Toxikologie</strong><br />

Physiologische Wirksamkeit zeigen<br />

Zusammenfassung<br />

• reaktive Substanzen (reagieren auch mit Stoffen unseres Körpers).<br />

• lipophile Substanzen (können lipophile Zellmembranen überwinden).<br />

• Amine (schwache Basen; sind von der Polarität her ideal, um an Rezeptoren zu binden).<br />

• Übergangsmetalle (reagieren mit Proteinen, z.B. Hg, Pb, Tl, mit S).<br />

• Gase in hohen Konzentrationen (erstickend).<br />

• wichtige Kationen (Na + , K + , Li + (Antidepressivum), Ca 2+ , Mg 2+ , u.a.).<br />

• radioaktive Stoffe.<br />

Einen Geruch haben<br />

• flüchtige Substanzen (genügender Dampfdruck bei RT; Stoff muss zur Nase gelangen).<br />

• reaktive Substanzen (wirken reizend).<br />

• als Geruchstoffe bekannte Stoffe (Vanillin, Zimtsäure, Limonen, u.a.).<br />

Keinen Geruch haben<br />

• CO, CO 2, CH 4, C 2H 6, C 2H 4, C 2H 2, H 2, O 2, N 2, Edelgase.<br />

Einen Geschmack haben<br />

Resorption<br />

Transport<br />

• sauer: Säuren, seifig: Basen, salzig: Ionen von F <strong>–</strong> , Cl <strong>–</strong> , Br <strong>–</strong> , I <strong>–</strong> , süss: Zucker.<br />

• als Geschmacksstoffe bekannte Stoffe: Chinin, Men-<br />

thol, Vanillin, Capsaicin, u.a.<br />

• unpolare, fettlösliche, lipophile Substanzen: über die Haut und Darm.<br />

• polare, wasserlösliche, hydrophile Substanzen: evt. über die Schleimhäute (Augen,<br />

Mund, Lunge).<br />

• flüchtige Substanzen: über die Lunge.<br />

• saure Substanzen: über den Magen.<br />

• basische und neutrale Substanzen: über den Darm.<br />

• polare, wasserlösliche, hydrophile Stoffe: gelöst im Blut.<br />

• unpolare, fettlösliche, lipophile Stoffe: in der Lymphe oder gebunden an Proteine<br />

P. Good 11


KSH-SPF/EF-Chemie 8 <strong>Wirkstoffe</strong> <strong>–</strong> <strong>Pharmakologie</strong>/<strong>Toxikologie</strong><br />

Zugang zum Gehirn haben<br />

• nicht zu stark geladene Stoffe (keine starken Säuren, Basen, aber oft Amine)<br />

• nicht zu grosse Moleküle (unpolare Moleküle: M < 400 g/mol, polare Moleküle: M < 80<br />

g/mol)<br />

• genügend lipophile Moleküle; Ausnahmen: Methanol, Ethanol<br />

• Stoffe, die ein spezielles Transportsystem ins Gehirn haben (Aminosäuren, Glucose,<br />

u.a.)<br />

Speicherung, Kumulation zeigen<br />

• unpolare, fettlösliche, lipophile Stoffe, meist im Fettgewebe, oft auch in der Leber; bei<br />

Drogen ist bei einer Speicherung im Fettgewebe mit einem flash-back zu rechnen, wenn<br />

durch den Stoffwechsel Fett abgebaut wird und die Drogen damit freigesetzt werden.<br />

• unreaktive Substanzen (reaktive werden rasch umgewandelt oder abgebaut).<br />

• teilweise Metallionen (Ca-Ersatz: Pb, Sr).<br />

Elimination<br />

• unpolare, fettlösliche, lipophile Stoffe: Leber/Galle/Faeces.<br />

• Leicht mit Sauerstoff oxidierbare Stoffe: werden in der Leber zu wasserlöslichen Sub-<br />

stanzen oxidiert: Ausscheidung über den Urin.<br />

• polare, wasserlösliche, hydrophile Stoffe: Niere/Blase/Urin, z.T. mit dem Schweiss.<br />

• Gase: mit der Atemluft.<br />

P. Good 12


KSH-SPF/EF-Chemie 8 <strong>Wirkstoffe</strong> <strong>–</strong> <strong>Pharmakologie</strong>/<strong>Toxikologie</strong><br />

Beantworte zur Charakterisierung der Substanz (Fenta-<br />

nyl) mit nebenstehender Formel die folgenden Fragen:<br />

1) Die Amidgruppe und der an das N-Atom<br />

gebundene Phenylring liegen auf einer Ebene.<br />

Welche Hybridisierung hat demnach das<br />

betreffende N-Atom?<br />

2) Welche Farbe hat die Substanz?<br />

3) Äussere Dich zur Reaktivität der Substanz (Säure-/Base-, Redox-, organische Reaktionen).<br />

4) Die Substanz wird oft als Fentanyldihydrogencitrat eingesetzt. Was ist darunter zu verstehen?<br />

Welche Bindungsarten baut diese Substanz auf?<br />

5) Berechne die Molmasse des Moleküls.<br />

6) Die Löslichkeit von Fentanyl in Wasser beträgt 200 mg/L. Berechne die Löslichkeit in mol/L.<br />

7) Passiert die Substanz die Blut-Hirn-Schranke?<br />

8) Wie wird Fentanyl resorbiert?<br />

9) Wie wird die Substanz transportiert?<br />

10) Die Substanz wird in der Leber N-dealkyliert, d.h. eine Bindung vom N-Atom zu einem exo-<br />

cyclischen C-Atom wird gebrochen, wobei die Aminogruppe freigelegt wird und ein Aldehyd<br />

entsteht. Notiere die Strukturformeln der Produkte.<br />

11) Welche Elimination ist zu erwarten?<br />

12) Berechne die therapeutische Breite aus den folgenden Werten: ED 50 = 0.01 mg/kg Körperge-<br />

wicht; LD 50 = 3.1 mg/kg Körpergewicht.<br />

P. Good 13


KSH-SPF/EF-Chemie 8 <strong>Wirkstoffe</strong> <strong>–</strong> <strong>Pharmakologie</strong>/<strong>Toxikologie</strong><br />

Farbe<br />

Molmasse<br />

Aggregatszustand bei STP<br />

Stoffklasse<br />

Bindungen im Molekül<br />

Bindungen zwischen Molekülen<br />

Polarität gesamthaft<br />

Isomerien, chirale Zentren<br />

Gespannte Bindungen<br />

Wasserlöslichkeit<br />

Oxidationsstufen<br />

Funktionelle Gruppen<br />

Reaktivität/Säure-/Base-Eigenschaften<br />

Geruch, Geschmack<br />

Resorption<br />

Transport<br />

Zugang zum Gehirn<br />

Speicherung<br />

Metabolisierung<br />

Elimination<br />

Abbaubarkeit, Verteilung in Biosphäre<br />

Substanzeigenschaften<br />

P. Good 14

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!