RezensionenEszter Belinszki, Katrin Hansen, Ursula Müller(Hg.) Diversity Management. Best Practices iminternationalen Feld, Managing Diversity Bd. 2,LIT Verlag, Münster 2003, 360 Seiten, 20.90 €,ISBN 3-8258-6097-3Diversity ist in deutschenArbeits- undBildungsorganisationenein nahezu unbekanntesKonzept.Das belegt die in diesemSammelbandpräsentierte Forschungempirisch undeindrücklich (Hansen/Belinszki).ZuUnrecht, wie die glänzendeEinordnungvon Möglichkeitenund Grenzen diesesPolitik-Konzeptes inden Rahmen von Globalisierung, Organisationsreformen(Hansen/Müller) und Recht (Susanne Baer)herausstellt. Zu Unrecht auch, wenn man die Lernprozessein den wenigen in Deutschland agierenden Unternehmenbetrachtet, die Diversity-Management praktizieren.Diese Prozesse sind spannend, weil widersprüchlichund praxisnah in Interviews unter der ÜberschriftBest Practices nachzulesen. Hilfreich sind auchdie Aufsätze mit Erkenntnissen aus den USA, wo dasKonzept Anfang der 1980er Jahre aus Anti-Diskriminierungs-und Affirmative Action-Programmen entstand(Loriann Roberson, Regina Caines, Redia Anderson).Im Gegensatz zu Deutschland ist es in denUSA weit verbreitet: 70% der umsatzstärksten und36% aller Unternehmen praktizieren Diversity.Im besten Fall bedeutet das ganzheitliches organisationalesLernen. Jeder und Jede soll ihre Persönlichkeitin die Organisation einbringen können. Das setztWertschätzung und Offenheit gegenüber der Vielfaltder MitarbeiterInnen voraus und zwar im Prinzip inBezug auf alle denkbaren Unterschied: Geschlecht, ethnischeund kulturelle Herkunft, sexuelle Orientierung,Alter, Behinderungen, Weltanschauungen, soziale Herkunft,Temperament, Arbeitsstil, Lebensform, Religionund so weiter. Dazu ist auch eine positive Haltunggegenüber den Spannungen nötig, die aus diesen Unterschiedenentstehen können. Dahinter steht eine gewaltigeEntwicklung von der traditionellen westlichen Auffassungvon nützlichen Arbeitskräften seit dem 19. Jahrhundertals homogen, meist männlich, verheiratet, jung,weiß etcetera, wie sie in Deutschland noch viel stärkerverankert ist als in den USA.Die Best Practices-Interviews in den deutschen Unternehmendrehen sich stark um die Frage, wie dort gegenalle Widerstände für den Nutzen dieser neuen Auffassunggeworben werden kann. In ihrer Einleitung begründenKatrin Hansen und Ursula Müller den Nutzenvon Diversity mit durch Globalisierung sowieso erforderlichenOrganisationsreformen: „Organisationssoziologischist der Gedanke zentral, dass Organisationenin Zeiten einer immer komplexer werdendenUmwelt um so überlebensfähiger sind, je höher ihreEigenkomplexität ist“ (S. 15). Bei zunehmenden internationalenVerflechtungen sei „die Öffnung einer Organisationfür Diversity sogar ein Gebot der Stunde“ (ebd.).Durch bessere Leistungen der MitarbeiterInnen stelleDiversity einen realen Wert dar. Vor allem aber schafftes einen in der globalen Shareholder-Ökonomie überauswichtigen symbolischen Wert. Die Übernahme vonSchlüsselfunktionen durch Frauen und Angehörige ethnischerMinderheiten symbolisiert Innovationsfähigkeit,eine gute internationale Vernetzung und Kompetenzfür die Anforderungen der Globalisierung. Dieswiederum kann zu höheren Bewertungen bei Analystenführen.Diversity ist also auch ein Konzept zur Gewinnmaximierung,ein business case, wie es in der Unternehmensspracheheißt. Genau hierin liegen seine Chancen undseine Grenzen. Was könnte es für einen stärkeren Motorfür einen Wandel geben, als die Erwartung, dass sicheine Reform finanziell auszahlt? So bietet Lufthansaneuerdings sieben Tage in der Woche eine Ausnahmebetreuungfür Kinder an. Dadurch sollen Eltern wenigerfehlen – was überprüft wird. Doch je enger undkurzfristiger dieser wirtschaftliche Nutzen verstandenwird, umso begrenzter gestaltet sich auch das DiversityManagement. Häufig wird es zur schnellen Ressourcenmobilisierungpraktiziert, und ebenso rasch wieder verworfen.Die US-amerikanische Forschung ordnet Diversity-Ansätze in drei Kategorien ein. Die weitestgehende istdie bereits skizzierte Form des organisationalen Lernens.Das setzt eine mittelfristiger Perspektive vorausund bedeutet, vielfältige Arbeitskräfte aufzubauen, zupflegen und ihre Unterschiedlichkeit als bereicherndanzusehen. Dagegen geht es beim häufiger anzutreffendenkurzfristigen Denken darum, Vielfalt zu nutzenoder auszubeuten. Beim Fairness & Discrimination-Ansatzversuchen Unternehmen mit Quoten und formalenGleichstellungs-Programmen beispielsweise Frau-98
Rezensionenen oder ethnische Minderheiten zu fördern. Die Politikrichtet sich gegen Diskriminierungen und es herrschtein „politisch korrekter“ Ton. Gleichzeitig werden Hierarchienund Machtverhältnisse verschleiert und es gibtkeine Öffnung für neue Denk- und Handlungsweisen.Dies wirkt häufig zermürbend auf die Mitglieder vonMinderheiten, die die – zum Beispiel – scheinbar frauenfreundlicheOrganisation oft wegen versteckter Diskriminierungwieder verlassen. „In allen untersuchten Unternehmenkonnte der Unternehmensleiter mit einemBeispiel aufwarten, wie er plötzlich auf unerklärlicheWeise eine Senkrechtstarterin verlor, die er für großartighielt und in die er viel investiert hatte. (S. 23)“.Besonders stark begründen die Unternehmen denAufbau diversifizierter MitarbeiterInnen mit dem Ziel,dadurch den Bedürfnissen eines ebenso vielfältigenKundenkreises näher zu kommen und neue Marktsegmentezu erschließen. Diese Begründung fällt in denvon der Forschung Access and Legitimacy genanntenDiversity-Ansatz. Auch wenn es zu begrüßen ist, dassMinderheiten dadurch Positionen und Arbeitsplätze bekommen,ist es fraglich, ob beispielsweise Frauen alsKundinnen weibliche Geschäftspartnerinnen vorziehen.Außerdem werden die MitarbeiterInnen leicht daraufreduziert, für „ihre“ Gruppe zuständig zu sein.Dies lädt zu Stereotypisierungen und damit dem Gegenteilvon Vielfalt als Lernprozess ein. Einer solchen Wertschätzungvon MitarbeiterInnen kann wieder dieGrundlage entzogen werden, wenn der Kundenkreis,den sie repräsentieren, für das Unternehmen nicht mehrinteressant ist – sei es auf Grund von Markverschiebungenoder Kaufkraftverlust. In diesem Zusammenhangbemerken die Herausgeberinnen, dass keines deruntersuchten Unternehmen soziale Herkunft oderKlasse als Wert für sein Diversity-Management nannte.Geschlecht, Alter, ethnische Herkunft, Religion: Aufden ersten Blick erscheinen die unendlich ergänzbarenKategorien von Diversity starr und und unhandlich.Doch in der Praxis setzt jedes Unternehmen Prioritäten:Vor allem Geschlecht und ethnische Herkunft –in Deutschland meist in dieser Reihenfolge, in den USAhäufig in der umgekehrten. Es hängt auch stark vonden Beschäftigten ab, welche Gruppe sich „Anerkennungverschafft“. So haben in der Deutschen Bank 150schwule und lesbische MitarbeiterInnen eine Rainbow-Group gegründet und durchgesetzt, dass Lebenspartnerschaftendie gleichen Vergünstigungen bekommenwie Ehepaare. Dafür bekam die Deutsche Bank 2002dann auch prompt den Preis des Bundesverbandes derschwulen Manager. In den meisten anderen deutschenUnternehmen dagegen ist sexuelle Orientierung nochein Tabu.Der Sammelband thematisiert auch die Frage der Konkurrenzvon Vielfalts-Kategorien. Wenn Geschlecht nurein Merkmal unter vielen ist, dann verliert es seinenzentralen Stellenwert im Vergleich zu anderen Konzeptenwie Gleichstellung und Gender-Mainstreaming. Andererseitsist es aus frauenpolitischer Sicht positiv zu bewerten,dass eine Person mehreren Identitätsgruppenangehören kann. Dadurch werden MitarbeiterInnennicht mehr auf duale Gegensätze reduziert, wie aufihr Frau- oder Mann-Sein. Teilzeitmodelle zum Beispielgelten dann nicht mehr als Vergünstigung – unddamit oft Hindernis – für Mütter, oder aufgeklärter,für Mütter und Väter, sondern eröffnen Möglichkeitenfür alle Angehörige des Unternehmens, also fürdie gesamte Organisation. Hinzu kommt, dass Frauen,MigrantInnen oder Alte im Diversity-Managementkeine Benachteiligten sind, sondern hochgeschätzte Potentiale.Sie sind nicht die zu Fördernden, sondern bringendurch Vielfalt einen neuen Wert. Allein diese Wertschätzungwürde etwas Grundlegendes verändern. Dasbelegt der Aufsatz von Eszter Belinszki, in der sie äußerstaufschlussreiche Untersuchungen in deutschenUnternehmen vorstellt. Ihr deprimierendes Fazit lautet:„In der Wahrnehmung überwiegt die Defizit-Perspektive,indem die mangelnde Eignung, fehlende Ausbildungund geringe Motivation als wichtige Barrierenfür die berufliche Karriere von Frauen, nicht-deutschstämmigenMitarbeiterInnen und Behinderten in denMittelpunkt gestellt wird“ (S. 234).Die Mehrdimensionalität von Diversity-Managementkann sich aber nur dann positiv entfalten, wenn wirklichOffenheit und Lernbereitschaft besteht. Unternehmenin Deutschland sind weit von einer Wertschätzungvon Vielfalt entfernt, wie auch die nicht erfüllteBehindertenquote zeigt. Chronisch fehlende Ausbildungsplätzebelegen, dass daran nicht einmal mittelfristigeGewinnerwartungen (als welche man Auszubildendeauch betrachten kann) etwas ändern. Daher ist denHerausgeberinnen darin zuzustimmen, dass DiversityManagement kein Ersatz für eine gesellschaftliche Gleichstellungspolitiksein kann, die auch Personen einbezieht,deren Arbeits-, oder Konsumkraft gar nicht für Unternehmenverwertbar sind. Dennoch: Im Gegensatz zuden meisten im Augenblick diskutierten Reformen istDiversity-Management ein integratives Konzept und politisch,praktisch als auch intellektuell bereichernd.Karin Gabbert, Berlin,Email: KarinGabbert@gmx.net<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>99