TagungsberichtVeränderung der weiblichen Erwerbstätigkeit in Nordzypern,über Modelle des Dual-Carreer Lifestyle in derTürkei, zur Reproduktion von Geschlechterverhältnissenin und durch die Medien, zur Rolle der Frauen inder zypriotischen Minderheit der Roma und Sinti, zum„klassischen“ Problemfeld der Work-Life-Balance.Weitere Themenblöcke der Tagung,auf denen Beiträge aus unterschiedlichenLändern präsentiertwurden, waren: Frauen in Naturwissenschaftund Technik, Einkommenund Geschlecht, Repräsentationenvon Geschlechterbildern in der Literatur,Mutterschaft in unterschiedlichenKulturen sowie Frauen, Karriereund Führung. Im Rahmen dieserSchwerpunkte hielten auch wirunsere beiden Vorträge; BirgittaWrede zu ihrem Forschungsschwerpunkt„Money and Gender“ undAnina Mischau aus ihrem laufendenForschungsprojekt „Doing Genderin Mathematics“.Kritisch ist leider anzumerken,dass etwa die Hälfte der Beiträge,trotz des internationalen Anspruchsder Tagung, auf türkisch gehaltenwurden. Bei diesen, parallel zu denenglischsprachigen Veranstaltungen stattgefundenenSessions blieben die türkischsprachigen Teilnehmerinnenzwangsläufig unter sich, was den intendierten internationalenAustausch erschwerte. Auf den vielen englischsprachigenSessions, in denen auch türkische undzypriotische KollegInnen mit Beiträgen vertreten waren,in den Pausen und anderen „Social Spaces“ warder wissenschaftliche und interkulturelle Austausch dagegensehr groß. Hier sind, neben Ideen zu gemeinsamenForschungsprojekten, die Grundlagen für einenweiteren Austausch und den Aufbau einer Vernetzunggeschaffen worden, an dessen Ausbau das <strong>IFF</strong> in Zukunftaktiv beteiligt sein wird.Die überaus offene und warmherzige Atmosphäre währenddes gesamten Kongresses und nicht zuletzt dasKonferenzdinner in dessen späteren Verlauf die zypriotischenund türkischen KollegInnen uns „Ausländerinnen“in traditionelle nationale Tänze „einwiesen“,lässt sich wohl am besten mit dem Satz beschreiben:Der Kongress tanzt„Wir kamen als Fremde und gingen als Freunde“. Allesin allem eine überaus gelungene Tagung, die deneigenen wissenschaftlichen wie kulturellen „Horizont“der TeilnehmerInnen deutlich erweiterte. Es bleibt zuhoffen, dass die geplante Wiederholung in zwei Jahrenrealisiert werden kann.Anina Mischau und Birgitta WredeInterdisziplinäres Frauenforschungs-Zentrum (<strong>IFF</strong>)Universität BielefeldEmails: anina.mischau@uni-bielefeld.de undbirgitta.wrede@uni-bielefeld.de92
RezensionenArlie Russell Hochschild: Keine Zeit. Wenn dieFirma zum Zuhause wird und zu Hause nurArbeit wartet. Opladen, Leske + Budrich 2002,305 Seiten, 18,00 €, ISBN: 381003620XKeine Zeit – Ein Blick in die Innenwelt amerikanischerFamilien und eine mögliche Zeitreise indie Zukunft deutschen Familienlebens„Während meiner erstenRecherchewochefür dieses Buch gab eseinen Moment, in demes mir schien, dass derGegenstand meiner Untersuchungwomöglichgar nicht existierte“(Hochschild 2002, S.XXV)Mit diesem Rückblickauf den eigenen ForschungsprozessbeginntHochschilds Einleitungzu ihrer Studie „KeineZeit“ („The TimeBind“). Geplant hatte Hochschild eine Fallstudie überdie Umsetzung des Work-Life-Balance Programmes beiAmerco, einem amerikanischen Unternehmen, das indem Ruf stand, Vorreiter einer familienfreundlichenPersonalpolitik zu sein. Untersucht werden sollte dieUmsetzung dieses Programms, seine Akzeptanz bei denBeschäftigten und die Folgen für das Familienleben.Dieses ‚Best Practice –Beispiel‘ hatte einen einzigenSchönheitsfehler – obwohl die Eltern über Zeitnot klagten,nutzten sie die Möglichkeiten dieses Programmskaum.„Nur drei Prozent aller Beschäftigten mit Kindernvon 13 Jahren und jünger arbeiteten Teilzeit. Ein Prozentmachte Job Sharing. Ein Prozent nutzte die Möglichkeitdes flexiblen Arbeitsplatzes. Ein Drittel der berufstätigenEltern machte Gebrauch von flexiblen Arbeitszeiten,aber viele arrangierten nur einen unverändertenNeun- oder Zehnstundentag um ihre übrigenAlltagstermine herum. Ein paar junge Väter hatten sichinformell beurlauben lassen, aber im ganzen Unternehmengab es nur einen Mann, der ganz offiziell im Elternurlaubwar. Ich stand vor einem Rätsel“ (Hochschild2002, S. XXVI).Wie Arlie Russel Hochschild dieses Rätsel löst undwelche Einblicke sie nicht nur in das Familienleben undden Arbeitsalltag der Beschäftigten, sondern auch indie Unternehmenskultur von Amerco gewinnt, das alleinmacht dieses Buch zu einer Fundgrube nicht nurfür die Familiensoziologie. Dass dieses Buch aber weitmehr als eine sorgfältige Fallstudie über die letztlichgescheiterte Umsetzung eines Work-Life-Balance Programmsist, ist dem wissenschaftlichen Spürsinn, derBeobachtungsgabe und der soziologischen Phantasievon Hochschild zu verdanken. Dank ihrer Fähigkeit,neue Fragen aufzuwerfen und an Einzelfällen gesellschaftlicheTrends wie im Brennglas sichtbar zu machen,ist dieses Buch, das in den USA längst zu einemBestseller geworden ist, zu einer Studie über die kulturelleDominanz der Erwerbsarbeit und die Folgen fürdas Familienleben geworden.In eindrucksvollen und spannend geschriebenenPortraits beschreibt Hochschild das Alltagsleben derBeschäftigten am Arbeitsplatz und zu Hause und sienimmt dabei alle Ebenen der betrieblichen Hierarchiein den Blick, von den untersten Rängen in der Fertigungbis in die Chefetagen. Sie beschränkt sich nichtdarauf, die Beschäftigten am Arbeitsplatz zu befragen,sie folgt ihnen auf dem Nachhauseweg, begleitet siebeim Abholen der Kinder, nimmt am Abendessen teilund beobachtet die abendlichen Familienrituale. Sie untersuchtaber auch die mikropolitischen Aushandlungsprozesseim Betrieb, die Bedeutung von Familienfotosauf den Schreibtischen von Managern und weiblichenAngestellten, sie nimmt an firmeninternen Meetingsund Workshops teil und wertet Firmenstatistiken aus.Und sie verknüpft ihre Beobachtungen zu Hauseund am Arbeitsplatz in einer Weise, die ein neues Lichtauf beide Lebensbereiche wirft. Sie stellt fest, dass fürdie Befragten der Arbeitsplatz zu einem Ort der Anerkennungund der Wertschätzung geworden ist, zu einemOrt vielfältiger sozialer Beziehungen, freundschaftlicherVerbundenheit, emotionaler Unterstützungund Momenten der Entspannung, die es zu Hauseimmer weniger gibt. Im Gegenzug wird die Zeit zuHause immer knapper und stressiger. Verkürzt aufwenige Stunden „Quality Time“am Abend und am Wochenendegerät das Familienleben zunehmend unterein tayloristisches Zeitregime. Familiale Tätigkeiten werdenverdichtet und rationalisiert und in immer kürzereZeiteinheiten gepackt, Familienleben findet auf Knopfdruckund in einem engen Zeitkorsett statt. Obgleichdiese zweite oder gar dritte Schicht, wenn die Folgendieses Zeitdrucks wieder aufgefangen werden müssen,von den Eltern ein Höchstmaß an Anstrengung abverlangt,bleibt sie in gewisser Weise unsichtbar, es gibtkeine Anerkennung dafür, keine Anstecknadeln wie beiAmerco, keine Rituale der Anerkennung und Wertschät-<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>93