IFF-Info Nr. 27, 2004 - IFFOnzeit

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10.07.2015 Aufrufe

Kerstin PetersenWhite 1984), sondern wir wirken beidessen kultureller Konstruktion täglichmit (vgl. Hagemann-White1993). Bei der täglichen Interaktionhandeln Individuen geschlechtlich,dabei konstruieren sie eine Sozialordnungund Systeme von Dominanzund Unterordnung (vgl. Lorber1987). Wenn die Individuen täglichin der Interaktion beim „doinggender“ die Zweigeschlechtlichkeitherstellen, vollziehen und bestätigensie deren immanente Hierarchie.Diese Hierarchie beinhaltet, dass dieHöherwertigkeit des Männlichen inder Interaktion symbolisch als Dominanzund Weiblichkeit als Subordinationvollzogen wird, dass alsoIndividuen täglich bei der Fortschreibungpatriarchaler Ungleichheitmitwirken (vgl. Hagemann-White 1993).Im Gegensatz zur Idee der Eigenverantwortlichkeitder Individuenbei der interaktiven, normativenHerstellung von Geschlecht gehtder dekonstruktive Ansatz nachButler (1991) – in Anlehnung anFoucault (1979) – davon aus, dassdurch Sprache die Konstruktionvon Geschlecht hervor gebrachtwird. Butler verfolgt hierbei denProzess, in dem Sprache die Konstruktionvon Geschlecht jeweilshervorbringt und dabei zugleich alsontologische Kategorie wieder verschleiert.Butler räumt damit derSprache einen wahrheits- und wirklichkeitserzeugendenStatus ein. Dasbedeutet, dass die Sprache, in derwir denken und die auch die Sprachejener kritischen Diskurse ist,schon immer von den Machtstrukturender Gesellschaft durchdrungenist und diese zwar ungewollt,aber wirksam, reproduziert. In diesenvorhandenen Machtverhältnissenwird auch Sexualität konstruiertund es gibt kein vor, außerhalb oderjenseits dieser Macht (Butler 1991).Foucault (1979) richtete sein Augenmerkdarauf, wie sich „der Gebrauchder Lüste“ im Verlauf derGeschichte veränderte und wie dieKörperidentitäten kulturell geprägtwurden. Butler geht darüber hinaus:Der Körper wird ihrer Ansicht nachnicht nur überformt, sondern existiertnur im und durch den Diskurs.Während jedoch bei Foucault dieBeschreibung der Materialität alsunkenntlich gewordene Wirkungvon Macht eine erkenntnisreichePointe hat und die Limitiertheit unseresErkenntnisvermögens beschreibt,nimmt diese Argumentationbei Butler eine ontologischeRichtung: Für Butler existiert keinevorgegebene Natur. Ihr zufolge sindnatürliche Gegebenheiten Materialisierungdiskursiver Praktiken (vgl.Butler 1991). Damit verwendet sieden Begriff des „Konstruierens“ imSinne von „erzeugen“ (Nagl-Docekal1999).Aus dieser Perspektive ist es folgerichtig,die Behauptung aufzustellen,dass nicht nur „gender“ also dassoziale Geschlecht, sondern auch„sex“, also das biologische Geschlecht,performativ hergestelltwird. In diesem Zusammenhang istGeschlechtsidentität weder wahrnoch falsch, weil sie auf keiner innerenIdentität mehr beruht. Geschlechtsidentitätist diesem Diskurszufolge eine auf den Körper geschriebene„Phantasie“. So schreibtButler (1991): „Wenn die innereWahrheit der Geschlechtsidentitäteine Fabrikation/Einbildung ist unddie wahre Geschlechtsidentität sichals auf der Oberfläche der Körperinstruierte und eingeschriebenePhantasie erweist, können die Geschlechtsidentitätenscheinbar wederwahr noch falsch sein. Vielmehrwerde sie lediglich als Wahrheits-Effekte eines Diskurses über die primäre,feste Identität hervorgebracht.“(ebd., S. 201).Die Kritik des dekonstruktivenTheorieansatzes an der gesellschaftlichenKonstruktion von Geschlechtgeht über den theoretischenKonstruktionsansatz der KategorieGeschlecht insofern hinaus,da er einen normativen Zusammenhangzwischen Geschlechtszugehörigkeitund Heterosexualität herstellt.Butler (1991) stellt die gesellschaftlichevorgebende heterosexuelleMatrix in Frage. Die gesellschaftlichesanktionierte Funktionder Heterosexualität ist, dass sie dieKontrolle der Sexualität sichert unddamit die Reproduktion der Gesellschafterhält. Dieses geht einher mitder Ausgrenzung von Homosexualität,da diese im Sinne der Reproduktionnicht sinnvoll ist. Demnachist Heterosexualität eine spezielleVariante der Sexualität, aber keinenatürliche Notwendigkeit von zweibinär organisierten Körpern.Beide Theorieansätze gehen davonaus, dass die Geschlechtszugehörigkeitnicht biologisch vorgegebenist, sondern durch wiederholteHandlungen und Darstellung normativer,kultureller Vorgaben hergestelltwird. In diesem Zusammenhanghat Butler die Idee „Parodieals Politik“ entwickelt. Durch eineVerschiebung der symbolischen Systeme„Männlichkeit“ bzw. „Weiblichkeit“,durch subversive Wiederholungen,kann eine Neuverhandlungsowie eine Erweiterung von geschlechtlichenZuschreibungs- undDarstellungsformen geschehen.Butler bezieht sich an dieser Stelleauf Geschlechterparodie, Travestiesowie auf Stilisierungen sexuellerIdentitäten, wie sie im angloamerikanischenUmfeld der „queer politics“entwickelt wurden (vgl. Butler1991). Durch die Theorien der(De-) Konstruktion von Geschlechtwird die Frage aufgeworfen, woraufdas feministische Identitätssubjekt„Frau“ denn beruht, wenn Weiblichkeitan keinen weiblichen Kör-46

Feministische Mädchenarbeit gestern und heuteper gebunden ist (vgl. Hagemann-White 1993, Butler 1991); eine Fragemit weitreichenden Folgen nichtnur für den feministischen Theoriediskurs,sondern auch für eine feministischePolitik oder Praxis z.B.in der Mädchenarbeit.3. Auswirkungen des Perspektivenwechselsauf die feministischeMädchenarbeitUnter Bezugnahme auf die theoretischenAnsätze der (De-)Konstruktionstellen sich für die Mädchenarbeitderzeit u.a. folgende Fragen:Was ist oder macht überhaupt einMädchen aus? Und welche Auswirkungenhat dieses nicht mehr eindeutigeWissen darüber, was einMädchen ausmacht, auf die Pädagogikin der Mädchenarbeit? Mitdiesen Fragen steht das Verhältniszum anderen Geschlecht – bisherstrukturell ein sehr wichtiger Punktfür die Theorie der feministischenMädchenarbeit – wieder zur Disposition.Eine Auseinandersetzung übermögliche Konsequenzen des Perspektivenwechsels,der sich aus denTheorien der (De-)Konstruktionvon Geschlecht für die Praxis feministischerMädchenarbeit ergibtoder ergeben könnte, scheint dringendnotwendig. Dies vor allem infolgender Hinsicht: Bisher wurde inder Mädchenarbeit von der Möglichkeiteiner eindeutigen Definitionvon „Mädchen“ ausgegangen.Diese Eindeutigkeit wird durch diekonstruktivistische wie die dekonstruktivistischeTheoriediskussionin Frage gestellt. Feministische Mädchenarbeitmuss sich dem „Vorwurf“stellen, dass sie bislang Differenzeninnerhalb des Begriffes„Mädchen“ vernachlässigt und sichzudem an der Affirmation des binärenGeschlechtersystems beteiligthabe (vgl. Voigt-Kehlenbeck 2001).Darüber hinaus scheint auch dieLegitimation der in der feministischenMädchenarbeit bisher zentralverfolgten Maxime, die pädagogischeArbeit in geschlechtshomogenenGruppen, durch die konstruktivistischeund dekonstruktivistischeTheoriediskussion neu zur Dispositiongestellt. Auch deshalb musssich die feministische Mädchenarbeiteinem kritischen Selbstreflexionsprozessstellen und eine neuePositionsbestimmung vornehmen.Mögliche Konsequenzen der konstruktivistischenund der dekonstruktivistischenPerspektive auf dieMädchenarbeit zu skizzieren unddamit Ansatzpunkte und Anregungenfür weitergehende Diskussionenzu beschreiben, ist das Anliegender folgenden Betrachtung.3.1. Mögliche Auswirkungender Ansätze zur (De-)Konstruktionvon Geschlecht auf diefeministische MädchenarbeitEin zentrales Prinzip der feministischenMädchenarbeit war es bisher,Weiblichkeit aufzuwerten. Diesesbeinhaltete u.a., dass Geschlechtshomogenitätin der Mädchenarbeiteine wichtige Stellung einnahm.Durch die aktuellen gesellschaftlichenEinflüsse auf die KategorieGeschlecht hat sich herausgestellt,dass die Unterschiede zwischenMädchen und Jungen zum Teil geringersind als beispielsweise zwischenprivilegierten und nicht privilegiertenMädchen. Bei der Anwendungder (de-) konstruktivistischenTheorien auf die feministischeMädchenarbeit geht es nichtdarum, eine ganz neue Mädchenarbeitzu erfinden, sondern um eineWeiterentwicklung des feministischpädagogischenAnsatzes.Die (De-)Konstruktionsansätzekönnten insoweit Auswirkungenauf die Praxis der feministischenMädchenarbeit zeigen, als eine veränderteHaltung gegenüber Mädcheneingenommen, und der Ausschlussvon Jungen aufgehobenwird. Für die Angebote in der Praxiswürde dies bedeuten, dass siezwar weiterhin an den Interessender Mädchen ausgerichtet würden;die Frage der Geschlechtszugehörigkeitjedoch marginalisiert würde.Um diesen Umgang mit der KategorieGeschlecht angemessen in einenpädagogischen Begriff zu fassen,plädiert z.B. Voigt-Kehlenbeck(2001) für eine Weiterentwicklungder geschlechtsdifferenzierendenPädagogik hin zu einer geschlechterreflektierendenPädagogik: „Einegeschlechterreflektierende Pädagogikgibt den Verweis auf die besonderenProbleme und Unterstützungsbedürftigkeitvon Mädchenauf und konzentriert sich statt dessenauf den Unterstützungsbedarfim Prozess der Herstellung im Prozessdes doing gender.“ (Voigt-Kehlenbeck2001, S. 251).Damit erlangt die kritische Reflektionder und die Auseinandersetzungmit den Konsequenzen desHerstellungsprozesses des „doinggender“, eine zentrale Bedeutung innerhalbeiner geschlechterreflektierendenPädagogik. Was ist darunterzu verstehen? In der westlichen Kulturbesteht für Individuen die Notwendigkeit,sich innerhalb einerdurch die Zweigeschlechtlichkeit geprägten„Alltagskultur“ als ein Geschlechtinszenieren zu müssen.Diese Inszenierung des weiblichenoder männlichen Geschlechts trägtzugleich aber auch zur Ausweitung,Verunsicherung und Wandlung desGeschlechterverhältnisses selbstbei. Der Prozess der Herstellung derGeschlechtsidentität birgt auf dereinen Seite das Potenzial zur Veränderungder Geschlechter und zurAuflösung eindeutiger Geschlechtszuschreibungen.Auf der anderenSeite wird damit aber auch das Konfliktpotenzialbenannt, worin dieInfo 21.Jg. Nr.27/200447

Feministische Mädchenarbeit gestern und heuteper gebunden ist (vgl. Hagemann-White 1993, Butler 1991); eine Fragemit weitreichenden Folgen nichtnur für den feministischen Theoriediskurs,sondern auch für eine feministischePolitik oder Praxis z.B.in der Mädchenarbeit.3. Auswirkungen des Perspektivenwechselsauf die feministischeMädchenarbeitUnter Bezugnahme auf die theoretischenAnsätze der (De-)Konstruktionstellen sich für die Mädchenarbeitderzeit u.a. folgende Fragen:Was ist oder macht überhaupt einMädchen aus? Und welche Auswirkungenhat dieses nicht mehr eindeutigeWissen darüber, was einMädchen ausmacht, auf die Pädagogikin der Mädchenarbeit? Mitdiesen Fragen steht das Verhältniszum anderen Geschlecht – bisherstrukturell ein sehr wichtiger Punktfür die Theorie der feministischenMädchenarbeit – wieder zur Disposition.Eine Auseinandersetzung übermögliche Konsequenzen des Perspektivenwechsels,der sich aus denTheorien der (De-)Konstruktionvon Geschlecht für die Praxis feministischerMädchenarbeit ergibtoder ergeben könnte, scheint dringendnotwendig. Dies vor allem infolgender Hinsicht: Bisher wurde inder Mädchenarbeit von der Möglichkeiteiner eindeutigen Definitionvon „Mädchen“ ausgegangen.Diese Eindeutigkeit wird durch diekonstruktivistische wie die dekonstruktivistischeTheoriediskussionin Frage gestellt. Feministische Mädchenarbeitmuss sich dem „Vorwurf“stellen, dass sie bislang Differenzeninnerhalb des Begriffes„Mädchen“ vernachlässigt und sichzudem an der Affirmation des binärenGeschlechtersystems beteiligthabe (vgl. Voigt-Kehlenbeck 2001).Darüber hinaus scheint auch dieLegitimation der in der feministischenMädchenarbeit bisher zentralverfolgten Maxime, die pädagogischeArbeit in geschlechtshomogenenGruppen, durch die konstruktivistischeund dekonstruktivistischeTheoriediskussion neu zur Dispositiongestellt. Auch deshalb musssich die feministische Mädchenarbeiteinem kritischen Selbstreflexionsprozessstellen und eine neuePositionsbestimmung vornehmen.Mögliche Konsequenzen der konstruktivistischenund der dekonstruktivistischenPerspektive auf dieMädchenarbeit zu skizzieren unddamit Ansatzpunkte und Anregungenfür weitergehende Diskussionenzu beschreiben, ist das Anliegender folgenden Betrachtung.3.1. Mögliche Auswirkungender Ansätze zur (De-)Konstruktionvon Geschlecht auf diefeministische MädchenarbeitEin zentrales Prinzip der feministischenMädchenarbeit war es bisher,Weiblichkeit aufzuwerten. Diesesbeinhaltete u.a., dass Geschlechtshomogenitätin der Mädchenarbeiteine wichtige Stellung einnahm.Durch die aktuellen gesellschaftlichenEinflüsse auf die KategorieGeschlecht hat sich herausgestellt,dass die Unterschiede zwischenMädchen und Jungen zum Teil geringersind als beispielsweise zwischenprivilegierten und nicht privilegiertenMädchen. Bei der Anwendungder (de-) konstruktivistischenTheorien auf die feministischeMädchenarbeit geht es nichtdarum, eine ganz neue Mädchenarbeitzu erfinden, sondern um eineWeiterentwicklung des feministischpädagogischenAnsatzes.Die (De-)Konstruktionsansätzekönnten insoweit Auswirkungenauf die Praxis der feministischenMädchenarbeit zeigen, als eine veränderteHaltung gegenüber Mädcheneingenommen, und der Ausschlussvon Jungen aufgehobenwird. Für die Angebote in der Praxiswürde dies bedeuten, dass siezwar weiterhin an den Interessender Mädchen ausgerichtet würden;die Frage der Geschlechtszugehörigkeitjedoch marginalisiert würde.Um diesen Umgang mit der KategorieGeschlecht angemessen in einenpädagogischen Begriff zu fassen,plädiert z.B. Voigt-Kehlenbeck(2001) für eine Weiterentwicklungder geschlechtsdifferenzierendenPädagogik hin zu einer geschlechterreflektierendenPädagogik: „Einegeschlechterreflektierende Pädagogikgibt den Verweis auf die besonderenProbleme und Unterstützungsbedürftigkeitvon Mädchenauf und konzentriert sich statt dessenauf den Unterstützungsbedarfim Prozess der Herstellung im Prozessdes doing gender.“ (Voigt-Kehlenbeck2001, S. 251).Damit erlangt die kritische Reflektionder und die Auseinandersetzungmit den Konsequenzen desHerstellungsprozesses des „doinggender“, eine zentrale Bedeutung innerhalbeiner geschlechterreflektierendenPädagogik. Was ist darunterzu verstehen? In der westlichen Kulturbesteht für Individuen die Notwendigkeit,sich innerhalb einerdurch die Zweigeschlechtlichkeit geprägten„Alltagskultur“ als ein Geschlechtinszenieren zu müssen.Diese Inszenierung des weiblichenoder männlichen Geschlechts trägtzugleich aber auch zur Ausweitung,Verunsicherung und Wandlung desGeschlechterverhältnisses selbstbei. Der Prozess der Herstellung derGeschlechtsidentität birgt auf dereinen Seite das Potenzial zur Veränderungder Geschlechter und zurAuflösung eindeutiger Geschlechtszuschreibungen.Auf der anderenSeite wird damit aber auch das Konfliktpotenzialbenannt, worin die<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>47

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