3. Organisation <strong>und</strong> organisationaler Wandel3 Organisation <strong>und</strong> organisationaler WandelDas EFAS-Projekt untersucht, ob Unternehmen Verbesserungspotenziale, die ihnen im Rahmen von ESSM-Projekten aufgezeigt werden, aufgreifen <strong>und</strong> umsetzen können. Dahinter steht letztlich nichts anderes als dieFrage, ob Unternehmen in der Lage sind, sich zu verändern, um im Wettbewerb besser bestehen zu können.Daher wird im Folgenden ein weiteres Werk von Rüegg-Stürm (2000): „Organisation <strong>und</strong> organisationalerWandel“ vorgestellt <strong>und</strong> dem Projekt als Bezugsrahmen zugr<strong>und</strong>e gelegt, das seinen Fokus gerade auf dieseFragen legt: wie sich organisationaler Wandel vollzieht, was die Voraussetzungen dafür sind <strong>und</strong> in Ansätzenauch, wie diese Voraussetzungen geschaffen bzw. verbessert werden können. Die folgenden Abschnittegeben zunächst einen Überblick über die gr<strong>und</strong>legende Funktionsweise der Wechselwirkungen zwischen denProzessen der Wirklichkeitskonstruktion <strong>und</strong> den sozialen Strukturen bzw. Ordnungsmomenten imUnternehmen. Darauf aufbauend werden anschließend der unternehmerische Wandel <strong>und</strong> quasi dasGegenstück dazu, die Routinisierung des Handelns, thematisiert.3.1 Prozesse der Wirklichkeitskonstruktion <strong>und</strong> soziale StrukturenMit seinen Ausführungen ergänzt Rüegg-Stürm (2000) sein „neues St. Galler Management-Modell“, indem erdie in Kapitel 3 geschilderten Zusammenhänge aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. Während dasManagement-Modell den Fokus auf die Inhalte der Prozesse <strong>und</strong> Ordnungsmomente legt <strong>und</strong> somit danachfragt, was die Aufgaben des Managements sind, beleuchtet der Bezugsrahmen hier die Funktionsweise, wiedas Management die Aufgaben meistern kann <strong>und</strong> welche bewusstseinstheoretischen <strong>und</strong> sozialenZusammenhänge hierbei von Bedeutung sind. Dabei werden vor allem die konstruktivistischen, aber auch diesystemtheoretischen Gr<strong>und</strong>lagen genauer herausgearbeitet. Einen Überblick über diesen Ansatz von Rüegg-Stürm (2000) gibt Darstellung 4.1.Darst. 3.1: Zusammenhang zwischen Wirklichkeitskonstruktion <strong>und</strong> StrukturenQuelle: Eigene Darstellung auf Basis von Rüegg-Stürm (2000).Die Handlungen im Unternehmen stellen das Alltagsgeschehen dar, an dem Manager <strong>und</strong> Mitarbeiter, diesog. Mitglieder des Unternehmenssystems, teilnehmen. Sie sind tagtäglich dazu aufgefordert, denEreignisstrom mit eigenen Handlungen zu ergänzen, indem sie das Geschehen beobachten <strong>und</strong> sich aufbestimmte Art <strong>und</strong> Weise verhalten. Die Herausforderung für das Individuum stellt sich nun darinauszuwählen, welches Anschlussverhalten angemessen ist, damit dieses von seinem Umfeld als sinnhaftanerkannt <strong>und</strong> akzeptiert wird, d.h. die Erwartungen, die an es gestellt werden, erfüllt werden. DaUnternehmen komplexe Systeme sind, ist diese Frage, insbesondere für Mitarbeiter, die neu in das16 <strong>Pforzheim</strong>er Forschungsberichte Nr. 7
Erfolgsfaktoren für betriebliches Energie- <strong>und</strong> StoffstrommanagementUnternehmen treten, keine einfache. Mitarbeiter müssen das Alltagsgeschehen genau beobachten <strong>und</strong>müssen versuchen, die Strukturen, die den unternehmerischen Handlungen zugr<strong>und</strong>e liegen, zu verstehen. 42Mitglieder beobachten das Alltagsgeschehen, indem sie dies zunächst wahrnehmen <strong>und</strong> anschließendinterpretieren. Wahrnehmen bedeutet, dass Mitglieder aus dem Erlebensstrom um sie herum einzelneEreignisse (d.h. Unterschiede, die für sie persönlich einen Unterschied machen 43 ) herausgreifen. Dazubenötigen Mitglieder ein sog. „Differenzschema“, d.h. Unterscheidungskriterien, anhand derer sie überhauptUnterschiede feststellen können. Das Differenzschema wird wiederum dadurch, dass das Mitglied daraufBezug nimmt, rekursiv verfertigt, d.h. gefestigt, vielleicht auch z.T. verändert. 44 Damit wird deutlich, dass dieWahrnehmung von Ereignissen bereits ein subjektiver Konstruktionsprozess der sog. „Welt erster Ordnung“ 45ist. 46Wenn das Mitglied aufgr<strong>und</strong> von Erfahrungen quasi automatisch weiß, welches Anschlussverhalten esangesichts der wahrgenommenen Ereignisse an den Tag legen wird, greift es auf praktisches Bewusstsein 47zurück. Dies bildet sich im Laufe der Zeit, wenn bestimmte Ereignisse <strong>und</strong> Anschlusshandlungen immerwiederkehren, so dass sich das Mitglied keine weiteren Gedanken mehr darüber zu machen braucht. 48Ist der Anschlusswert bei eher neuartigen Ereignissen jedoch unbestimmt, so dass das Mitglied nicht sofortweiß, welches Verhalten angemessen ist, muss es diese Ereignisse interpretieren, d.h. ihnen eine Bedeutung<strong>und</strong> einen Sinn zumessen. Hier muss das Mitglied bewusst über mehrere Möglichkeiten einesAnschlussverhaltens reflektieren <strong>und</strong> auswählen. 49Dabei greift das Mitglied auf seine Alltagstheorien,Sinnstrukturen <strong>und</strong> Ursachenkarten zurück, die sich im Laufe seiner bisherigen Erfahrungen gebildet haben<strong>und</strong> die aus komplex verschachtelten Differenzschemen bestehen. Auf diese Weise konstruiert das Mitgliedsich seine Erfahrungswelt, die umgangssprachlich auch als „die Wirklichkeit“ 50<strong>und</strong> hier als „Welt zweiterOrdnung“ 51bezeichnet wird. Werden im Rahmen der Wahrnehmung <strong>und</strong> Interpretation Differenzschemenregelmäßig benutzt <strong>und</strong> auf diese Weise rekursiv verfertigt, spricht man von sog. „Deutungsmustern“. 52Die Prozesse der Beobachtung sind keine Prozesse, die sich allein im Bewusstsein eines Individuums vollziehen,sondern sie finden in alltäglichen Beziehungs- <strong>und</strong> Kommunikationsprozessen in sozialen Systemengemeinsam statt. 53 Ob Beschreibungen, d.h. die Ergebnisse der Beobachtungsprozesse, angemessen sind, wirdzwischen den Systemmitgliedern diskursiv ausgehandelt, d.h. in sozialen Prozessen konstruiert. Beobachten istdamit im Wesentlichen Kommunikation. 54Die Beobachtungen des Alltagsgeschehens bestimmen nun die Wahl des Anschlussverhaltens der Mitglieder,mit dem diese ihren Beitrag zum Alltagsgeschehen leisten. Dieses Verhalten ist wiederuminterpretationsbedürftig, wird also ebenfalls wieder auf der Basis bestehender Deutungsmuster beobachtet, sodass hier ein Kreislauf zwischen Wirklichkeitskonstruktion <strong>und</strong> der Wirklichkeitsordnung entsteht. 55Mit ihrem Verhalten ergänzen Mitglieder jedoch nicht nur das unternehmerische Handeln – sie ergänzen auchihre eigene Lebensgeschichte. D.h. bei der Wahl des Anschlussverhaltens greifen die Mitglieder nicht nur auf42Vgl. Rüegg-Stürm (2000), insbesondere S. 161.43Vgl. hierzu Bateson (1985), S. 585, <strong>und</strong> Bateson (1982), S. 123.44Vgl. hierzu Bateson (1982), S. 120ff., <strong>und</strong> (1985), S. 580ff.45In Anlehnung an Watzlawick (1976), S. 142ff..46Vgl. Rüegg-Stürm (2000), S. 163-170.47In Anlehnung an den Bewusstseinsbegriff von Giddens (1997).48Vgl. Rüegg-Stürm (2000), S. 167f.49Vgl. von Glaserfeld (1987), S. 286.50Vgl. das sog. Thomas-Theorem: „If men define situations as real, they are real in their consequences“. Thomas/Thomas(1928), S. 584.51In Anlehnung an Watzlawick (1976), S. 142ff.52Vgl. Rüegg-Stürm (2000), S. 168-171.53Vgl. Kieser (1998, 1999).54Vgl. Rüegg-Stürm (2000), S. 41f.55Vgl. Rüegg-Stürm (2000), S. 199.• IAF • 17