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Höhere Mathematik A für Elektrotechniker

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Höhere <strong>Mathematik</strong> A für <strong>Elektrotechniker</strong>Sönke HansenWintersemester 2012/13 — Stand: 1. September 2013Das Vorlesungsskript wird mit einer zeitlichen Verzögerung nach den jeweiligen Vorlesungenaktualisiert.Inhaltsverzeichnis1 Reelle und komplexe Zahlen 22 Ungleichungen und Absolutbeträge 53 Die Sprache der <strong>Mathematik</strong> 74 Vollständige Induktion 105 Kombinatorik. Binomialtheorem 126 Funktionen 147 Trigonometrische Funktionen 168 Vektorrechnung 199 Konvergenz von Folgen 2210 Vollständigkeit 2511 Unendliche Reihen 2712 Die Exponentialreihe 3013 Stetigkeit. Funktionengrenzwerte 3314 Logarithmus. Allgemeine Potenzen 3515 Grundlagen der Differentialrechnung 361


16 Der Mittelwertsatz und Folgerungen 3917 Extremwertaufgaben 4118 Das bestimmte Integral 4219 Der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung 4520 Integrationsmethoden 4621 Die Taylorformel 5022 Einführung in gewöhnliche Differentialgleichungen 5223 Homogene lineare Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten 551 Reelle und komplexe ZahlenDas Zählen führt auf die Menge N = {1,2,3,...} der natürlichen Zahlen, das Subtrahieren aufdie Menge Z der ganzen Zahlen, und das Dividieren auf die Menge der rationalen Zahlen:Q = { p∣ p,q ∈ Z, q ≠ 0 } .qEs gelten die bekannten Gesetze des Bruchrechnens (Kürzen, Erweitern, auf den Hauptnennerbringen), z.B.− 3 4 = −34 , 24−36 = −2 3 , 23 · 74 = 7 6 , 12 + 1 3 = 3 6 + 2 6 = 5 6 .Mit Ausnahme der Division durch Null sind alle Grundrechenarten in Q uneingeschränkt ausführbar.Geometrische Größen wie Steigungen von Graphen, Längen von Kurven oder Inhalte von Flächenentstehen meist durch Grenzwertprozesse. Diese Größen sind immer reelle Zahlen, welchejedoch oft irrational sind, d.h. sie sind keine Brüche ganzer Zahlen. Beispiele für irrationaleZahlen sind die Länge der Diagonale eines Einheitsquadrats und die Kreiszahl π:√2,π ∈ R \ Q := {x ∈ R∣ ∣ x ∉ Q}.Hier haben wir das Symbol R für die Menge der reellen Zahlen verwendet und die Notationfür eine Mengendifferenz. Die reellen Zahlen veranschaulicht man als Zahlengerade. DieseVeranschaulichung spiegelt die Anordnung R wieder; a < b bedeutet, dass a links von b liegt.Das Quadrat einer positiven Zahl ist immer positiv. Für reelles a ≠ 0 ist entweder a oder −apositiv. Folglich ist das Quadrat a 2 = (−a) 2 jeder von Null verschiedenen reellen Zahl a stetspositiv. Man kann zeigen, dass aus jeder positiven reellen Zahl x > 0 eine (eindeutige) positiveQuadratwurzel y := √ x > 0 gezogen werden kann; es gilt dann x = y 2 . Andererseits ergibt sichaus dem Gesagten, dass es keine reelle Quadratwurzel aus einer negativen Zahl gibt.2


Viele Rechnungen sind in den komplexen Zahlen einfacher auszuführen als in den reellenZahlen. Die Menge C der komplexen Zahlen enthält R und eine Zahl j mit der Eigenschaftj 2 = −1. Nach dem oben Gesagten ist klar, dass j nicht reell ist. Man nennt j die imaginäreEinheit in C. (Nicht-<strong>Elektrotechniker</strong> schreiben i statt j.) Jede komplexe Zahl z ∈ C besitzt eineeindeutige (Normal-)Darstellungz = x + y · j mit x,y ∈ R.Die durch z bestimmten reellen Zahlen Rez := x und Imz := y heißen Real- bzw. Imaginärteilvon z. Die reellen Zahlen fasst man als Teilmenge der komplexen Zahlen auf:R = {z ∈ C ∣ ∣ Imz = 0}.Man addiert und multipliziert komplexe Zahlen mit Normaldarstellungen z = x + y · j und w =u + v · j wie folgt:z + w = (x + u) + (y + v) · j,z · w = (x · u − y · v) + (x · v + y · u) · j.Für reelle Zahlen stimmt dies mit den üblichen Rechenoperationen überein.Trotz ihrer Verschiedenheit haben Q, R und C eine wichtige Gemeinsamkeit: Sie sind Körper.Ein Körper besteht aus einer Menge K, welche Elemente 0,1 ∈ K enthält mit 0 ≠ 1, auf der eineAddition und eine Multiplikation definiert sind: Für a,b ∈ K sind a+b ∈ K und a·b ∈ K. Hierfürgelten Die Körperaxiome besagen, dass für a,b,c ∈ K gelten:Assoziativität a + (b + c) = (a + b) + c, a · (b · c) = (a · b) · c.Kommutativität a + b = b + a, a · b = b · a.Distributivität a · (b + c) = a · b + a · c.Neutrale Elemente a + 0 = a, a · 1 = a.Inverse a + x = 0 und, falls a ≠ 0, a · x = 1 sind jeweils eindeutig lösbar.Das Negative (−a) und den Kehrwert 1 a = a−1 (falls a ≠ 0) definiert man als die eindeutigbestimmten Zahlen mit a+(−a) = 0, a·(a −1 ) = 1. Die Körperaxiome beziehen sich nur auf dieAddition und Multiplikation. Subtraktion und Division werden wie folgt definiert:a − b := a + (−b),ab := a · (b−1 ) wenn b ≠ 0.Wir prüfen nur die Existenz des Kehrwertes (multiplikative Inverse) 1 z = z−1 einer komplexenZahl z = x + y · j ≠ 0 nach. Dazu multiplizieren wir z mit ihrer konjugiert-komplexen Zahl ¯z =x − y · j und erhalten eine positive reelle Zahl:Folglich hat z einen Kehrwert1z =z · ¯z = x 2 + y 2 > 0.¯zz · ¯z =xx 2 + y 2 +−yx 2 + y 2 · j,3


wobei der letzte Ausdruck die Normaldarstellung des Kehrwertes ist. Allgemein findet man dieNormaldarstellung eines Bruches komplexer Zahlen, wenn man den Bruch mit dem Konjugiertendes Nenners erweitert. Dazu ein Zahlenbeispiel:2 − j (2 − j)(3 − 4 j)=3 + 4 j 3 2 + 4 2 = 2 25 − 1125 jWegen der Eindeutigkeit der Normaldarstellung kann man die komplexe Zahl z = x +y· j mitdem Punkt (x,y) der xy-Koordinatenebene identifizieren. Dies ist die Veranschaulichung von Cals Gauß’sche Zahlenebene. Die x-Achse (oder reelle Achxse) entspricht der reellen ZahlengeradenR. Die y-Achse heißt imaginäre Achse und wird R j geschrieben. Die Addition komplexerZahlen ist geometrisch die Addition der zugehörigen Ortsvektoren in der Zahlenebene. Einegeometrische Interpretation der Multiplikation komplexer Zahlen geben wir später an, wenn diePolardarstellung vorliegt. Der Übergang von z zu ¯z ist geometrisch eine Spiegelung an der reellenAchse.In der Behandlung von Wechselstromkreisen arbeitet man mit komplexen Widerständen z.Für einen Ohm’schen Widerstand R Ω ist z R = R. Beträgt die Wechselspannungsfrequenz ω s −1 ,dann dann haben eine Spule L H und ein Kondensator C F die komplexen Widerstände z L =jωL bzw. z C = ( jωC) −1 . Werden zwei Bauelemente mit Widerständen z 1 und z 2 in Reihe oderparallel geschaltet, so ist der Widerstand z des zusammengeschalteten Baulementes gegebendurch1z = z 1 + z 2 bzw.z = 1 + 1 .z 1 z 2Man nennt Rez den Wirkwiderstand und Imz den Blindwiderstand des Bauelements. Mit diesenRegeln kann man Widerstände von (eingeschwungenen) Wechselstromkreisen rechnerisch genausobehandeln wie Widerstände von Gleichstromkreisen; man muss lediglich von dem Rechnenin R zu dem Rechnen in C übergehen.Alle Rechenregeln für die Grundrechenarten in C folgen aus den Körperaxiomen. Dies sinddieselben Gesetze, die für die Grundrechenarten in Q und R bekannt sind. Hier einige Beispielefür Gesetze, die allein aus den Körperaxiomen folgen:(i) Einzigkeit der Null: 0 ′ = 0 ′ + 0 = 0 + 0 ′ = 0.(ii) 0 · a = 0, denn wegen 0 + 0 = 0 gilt für b := 0 · a die Gleichung b + b = b, die wiederumnur für b = 0 gelten kann.(iii) Aus z ≠ 0 und z · w = 0 folgt w = 0, denn w = z −1 · (z · w) = 0.(iv) Bruchrechenregeln:ab + c ad + cb a c= ,d bd b d = acbd .Hier haben wir den Multiplikationspunkt fortgelassen; dies werden wir auch weiterhin tun.Die komplexe Konjugation ist verträglich mit den algebraischen Operationen:z + w = ¯z + ¯w,zw = ¯z ¯w.Man bestätigt folgende Formeln:Rez = 1 (z + ¯z),2 Imz= 1 (z − ¯z).2i4


Eine komplexe Zahl z is genau dann reell, wenn z = ¯z gilt.Jede komplexe Zahl z ≠ 0 besitzt genau zwei Quadratwurzeln w und −w, z = w 2 = (−w) 2 .Beispiel: j hat die Wurzeln ± 1 √2(1 + j). Die allgemeine Existenz von Qudaratwurzeln zeigenwir später, wenn die Polardarstellung komplexer Zahlen zur Verfügung steht. Die bekannte „pq-Formel“z ± = −p ± √ p 2 − qführt die Lösung einer quadratischen Gleichung z 2 + 2pz + q = 0 auf das Ziehen einer Qudratwurzelzurück. Sie gilt sinngemäß auch im Komplexen, denn die Gleichung ist gleichwertig zu(z + p) 2 + q = p 2 . Die hier benutzte quadratische Ergänzung gilt so in jedem Körper.Ein Beispiel: Die quadratische Gleichung z 2 + 2 jz − 2 = 0 hat die Lösungen z ± = − j ± 1. Dadie Koeffizienten nicht reell sind, sind die Lösungen nicht konjugiert-komplex.Für eine natürliche Zahl n und eine komplexe Zahl z ist die n-te Potenz z n ∈ C das n-facheProdukt von z mit sich selbst. Man setzt z 0 := 1. Es gilt der Fundamentalsatz der Algebra: JedesPolynom Über den komplexen Zahlen zerfällt vollständig in Linearfaktoren:z n + a 1 z n−1 + ··· + a n z 0 = (z − z 1 )···(z − z n ).Wenn die Koeffizienten a j reell sind, muss dies für Nullstellen z k nicht so sein. Das grundlegendeBeispiel hierfür ist z 2 + 1 = (z − j)(z + j).Gibt es Eigenschaften von R, die C nicht hat? Ja, komplexe Zahlen können nicht rechnerischsinnvoll der Größe nach angeordnet werden. Gäbe es eine sinnvolle Anordnung von C,dann sollte diese auf jeden Fall auf den reellen Zahlen mit der üblichen Anordnung übereinstimmen.Ferner sollte die Anordnung eine Mindestverträglichkeit mit den Operationen Additionund Multiplikation aufweisen. (Wir formulieren diese Eigenschaften genauer im nächsten Abschnitte.)Die weiter oben skizzierte Argumentation liefert dann aber den Widerspruch, dass eskeine Quadratwurzel aus −1 geben kann. Wir werden Ungleichungen wie a < b oder a ≥ bstets so interpretieren, dass a und b reelle Zahlen sind; anderenfalls sind solche Ungleichungensinnlos.2 Ungleichungen und AbsolutbeträgeReelle Zahlen kann man der Größe nach vergleichen. Man verwendet die üblichen Symbole:a < b heißt „a ist echt kleiner als b“, a ≥ b heißt „a ist größer oder gleich b“, usw. Alle Regelnfür das Rechnen mit Ungleichungen folgen aus den nachfolgenden Anordnungsaxiomen. Füra,b,c ∈ R gelten:Vergleichbarkeit a < b oder a = b oder a > bTransitivität Aus a < b und b < c folgt a < c.Verträglichkeit Wenn a < b, dann ist a + c < b + c. Gilt auch 0 < c, dann ist ac < bc.Einige Folgerungen aus diesen Axiomen sind:(i) Aus 0 < a folgt (−a) < 0. (Denn: (−a) = 0 + (−a) < a + (−a) = 0.)(ii) Aus a < b folgt −b < −a. (Beweis: Addiere (−a) + (−b) zu beiden Seiten von a < b.)(iii) a 2 = (−a) 2 > 0, wenn a ≠ 0.(iv) 0 < 1 < 1 + 1 =: 2, insbesondere 0 ≠ 2.5


(v) Aus 0 < a < b und 0 < c < d folgt ac < bd. (Denn: ac < bc < bd.)(vi) Sind 0 ≤ a,b, dann gilt a 2 < b 2 genau dann, wenn a < b gilt. (Wende z.B. die dritte binomischeFormel an.)Das Rechnen mit Ungleichungen ist meist weniger gut geläufig als das Rechnen mit Gleichungen.In der Regel muss man mit Fallunterscheidungen arbeiten, um eine vollständige Lösung zuerhalten. Wir illustrieren dies an einem Beispiel.2.1 Beispiel. Für welche reellen Zahlen x gilt folgende Ungleichung?2x + 1x − 1 < 1 (1)Es sind verschiedene Fälle zu unterscheiden, je nach Vorzeichen des Nenners mit dem erweitertwird. Die äquivalenten Umformungen werden mit dem logischen Symbol ⇐⇒ abgekürzt;dabei bedeutet „A ⇐⇒ B“, dass die Aussage A genau dann wahr ist, wenn B dies ist. Wirunterscheiden für x ∈ R folgende Fälle:1. Fall x > 1: Dann sind x − 1 und sein Kehrwert positive Zahlen, und es gilt2x + 1x − 1In diesem Fall gibt es keine Lösung.2. Fall x < 1: Dann gilt2x + 1x − 1< 1 ⇐⇒ 2x + 1 < x − 1 ⇐⇒ x < −2.< 1 ⇐⇒ 2x + 1 > x − 1 ⇐⇒ x > −2.Die Zahlen x mit −2 < x < 1 erfüllen die Ungleichung.3. Fall x = 1: Ausgeschlossen wegen der Unmöglichkeit einer Division durch 0.Ergebnis: Die Ungleichung (1) gilt genau dann wenn −2 < x < 1.Fallunterscheidungen sind notwendig, weil in den zu unterscheidenden Fällen verschiedenargumentiert werden muss.Lösungsmengen von Ungleichungen drückt man oft bequem mit Hilfe von Intervallen aus.2.2 Definition. Ein Intervall ist eine Teilmenge I ⊆ R, die mit zwei Punkten aus I auch alleZwischenpunkte enthält. Genauer gilt: Sind a,b ∈ I mit a < b und ist x ∈ R mit a < x < b,dann ist auch x ∈ I. Wenn nichts anderes gesagt wird, dann setzen wir voraus, dass ein Intervallmindestens zwei Punkte enthält.Beispiele für Intervalle sind[a,b] := {x ∈ R ∣ ∣ a ≤ x ≤ b},]a,b[ := {x ∈ R ∣ ∣ a < x < b},]a,b] := {x ∈ R ∣ ∣ a < x ≤ b},wobei a < b. Die reelle Zahlengerade R =]−∞,∞[ ist auch ein Intervall. Die Lösungsmenge derim obigen Beispiel untersuchten Ungleichung kann nun prägnant angegeben werden:{x ∈ R ∣ 2x + 1 }x − 1 < 1 =] − 2,1[6


Das Maximum und das Minimum reeller Zahlen a ist b gegeben durch{{a, wenn a ≥ b,a, wenn a < b,max{a,b} =, min{a,b} =b, sonstb, sonstEinige Eigenschaften: min{a,b} ≤ a,b ≤ max{a,b}, max{a,b} = −min{−a,−b}.Der (Absolut-)Betrag einer reellen Zahl a ist die nichtnegative Zahl |a| = max{a,−a}. DerBetrag |a| ist der Abstand längs der Zahlengeraden von a zum Nullpunkt 0. Einige Eigenschaften:|a| ≥ 0, |a| = | − a|, |ab| = |a||b|, die Dreiecksungleichung:|a + b| ≤ |a| + |b|,z.B. |(−3) + 4| < |(−3)| + |4|, |3 + 4| = |3| + |4|. Der Betrag einer komplexen Zahl ist folgendenichtnegative reelle Zahl:|z| := √ √z¯z = (Rez) 2 + (Imz) 2 .Für reelles z stimmt der Wert des Betrages mit dem vorher definierten Wert überein. Der Betraghat auch in der komplexen Zahlenebene die Bedeutung des geometrischen Abstandes des Punktesvom Nullpunkt; dies zeigt der Satz von Pythagoras. Offenbar gelten: Rez,Imz ≤ |z|, |z| = |¯z|.Es ist |z| > 0 genau dann, wenn z ≠ 0 ist. Für z,w ∈ C gelten |zw| = |z||w| (Homogenität) und|z + w| ≤ |z| + |w| (Dreiecksungleichung). (2)Der Beweis für die Dreiecksungleichung ergibt sich aus folgender Rechnung|z + w| 2 = (z + w)(z + w) = z¯z + z ¯w + w¯z + w ¯w= |z| 2 + 2Re(z ¯w) + |w| 2 ≤ |z| 2 + 2|z||w| + |w| 2 = (|z| + |w|) 2 .Für das Dreieck in der komplexen Ebene den Eckpunkten 0, z und z + w besagt (2) gerade,dass die Länge einer Dreiecksseite nicht größer sein kann als die Summe der Längen der beidenanderen Dreiecksseiten. Daher rührt der Name Dreiecksungleichung.Mit Hilfe des Betrages kann man die Kreisscheibe mit Mittelpunkt z 0 ∈ C und Radius r > 0wie folgt angeben:K r (z 0 ) = {z ∈ C ∣ ∣ |z − z 0 | < r}.Dies ist eine sogenannte offene Kreisscheibe. Man nennt D = K 1 (0) die Einheitskreisscheibe(engl. unit disk).3 Die Sprache der <strong>Mathematik</strong>Wir haben bisher einige Aspekte des Rechnens mit Zahlen behandelt. Manuelles Rechnen mitkonkreten Zahlenwerten ist nützlich, um sich mit Rechengesetzen vertraut zu machen; diese Tätigkeitist aber nicht repräsentativ für die Beschäftigung mit <strong>Mathematik</strong>. Außer Zahlen spielennoch andere Objekte wie Funktionen und Mengen eine zentrale Rolle. Rechengesetze und andereSätze der <strong>Mathematik</strong> sind wahre Aussagen, für die man einen Beweis hat. Hierauf beruhtdie Sicherheit im Umgang mit Zahlen, Funktionen u.A.7


Mengen sind die Grundbausteine der modernen <strong>Mathematik</strong>; sogar einzelne Zahlen und Funktionenfasst man als Mengen auf. Primär begegnen uns Mengen aber als Zusammenfassungenvon Objekten, Element der Menge genannt, zu einem Ganzen. Man gibt eine Menge oft durchAufzählung ihrer Elemente an, z.B.:M 1 := {2,−7, √ 2,π},M 2 := {a,b,c,...,x,y,z}.Strenggenommen ist dies nur für endliche Mengen möglich; aber N := {1,2,3,...} wird auchverstanden. Allgemein gibt man Mengen dadurch an, dass man angibt, welche Eigenschaft ihreElemente erfüllen: {x ∣ ∣ A(x)} ist die Menge aller Elemente, für die die Aussage A(x) wahr ist.Beispiele:M 3 := {x ∈ N ∣ ∣ x ist Primzahl}, M4 := {x ∈ R ∣ ∣ 2sin(x 2 ) = 1}.Durch diese Definitionen sind die Mengen eindeutig spezifiziert; das heißt aber noch nicht, dassdiese Mengen schon „bekannt“ sind. Man überlegt sich, dass M 3 und M 4 unendliche Mengensind.Eine Menge M ist Teilmenge einer Menge N, in Zeichen: M ⊆ N, wenn alle Elemente vonM auch Elemente von N sind. (Man nennt N dann eine Obermenge von M.) Unter Verwendungvon der Elementbeziehung ∈ und von logischen Symbolen schreibt man dies wie folgt:M ⊆ N : ⇐⇒ (∀x : x ∈ M =⇒ x ∈ N).Es bedeuten ⇐⇒ „genau dann, wenn“, ∀ „für alle“, und A =⇒ B heißt, dass aus der Wahrheitder Aussage A auch folgt, dass B wahr ist. Aussagen sind sinnvoll formuliert, sie sind entwederwahr oder falsch. Die obige Formelzeile ist eine Definition dafür, wann die Aussage M ⊆ Nwahr ist. Rechts von : ⇐⇒ steht eine Aussage, die aus dem Allquantor ∀ und (Teil-)Aussagenaufgebaut ist. Wir verwenden auch den Existenzquantor ∃ „es gibt“, z.B. istM 5 := {x ∈ N ∣ ∣ ∃y ∈ N : x = y 2 }die Menge aller Quadratzahlen: M 5 = {1,4,9,16,...}. Zwei Mengen sind gleich, wenn sie dieselbenElemente haben; es gilt alsoM = N ⇐⇒ (M ⊆ N und N ⊆ M),wobei wir das logische „Und“ verwendet haben. Gilt M ⊆ N aber nicht M = N, so schreibt manauch M ⊂ N. Die Reihenfolge der Elemente einer Menge ist nicht festgelegt – eine Anordnungwie die von R ist eine zusätzliche Struktur!– und es treten keine Duplikate von Elementen auf.Die bekannten Zahlenmengen treten ständig auf:N ⊂ Z ⊂ Q ⊂ R ⊂ C.Wir kennen bereits spezielle Teilmengen von diesen, z.B. Intervalle als Teilmengen von R undKreisscheiben als Teilmengen von C.8


Wichtige Operationen, die aus Mengen M und N neue Mengen bilden, sind Durchschnitte,Vereinigungen und Differenzen:M ∩ N := {x ∣ ∣ x ∈ M und x ∈ N},M ∪ N := {x ∣ ∣ x ∈ M oder x ∈ N},M \ N := {x ∈ M ∣ ∣ x /∈ N}.Beispiele mit Intervallen:[1,3] ∩ [2,4] = [2,3], [1,3] ∪ [2,4] = [1,4], [1,4] \ [2,3[= [1,2[∪[3,4].Die leere Menge /0 ist dadurch charakterisiert, dass sie keine Elemente hat. Für jede Menge Mgilt M \ M = /0.Die Sprache der Mengenlehre wir oft benutzt, um Lösungsmengen von Gleichungen oder vonUngleichungen anzugeben. Beispiele sind M 4 und{x ∈ R ∣ ∣1x + 4 ≥ 13x + 2 } =] − 4,−3 2 [∪[1,∞[,wobei hier die Menge „ausgerechnet“ wurde.Punkte der Ebene oder des Raumes sind durch Paare (x,y) oder Tripel (x,y,z) bestehendaus Koordinaten x,y,z ∈ R gegeben. Man schreibt (x,y) ∈ R 2 bzw. (x,y,z) ∈ R 3 . Hier liegenBeispiele für das kartesische Produkt von Mengen vor:M × N := {(x,y) ∣ ∣ x ∈ M und y ∈ N}, M 2 := M × M.Das kartesische Produkt einer (Einheits-)Kreislinie L = {(x,y) ∈ R 2 ∣ ∣ x 2 + y 2 = 1} mit einemIntervall I = [a,b] ist ein ZylindermantelZ := L × I = {(x,y,z) ∈ R 3 ∣ ∣ x 2 + y 2 = 1 und a ≤ z ≤ b}der Höhe h := b − a > 0. Die Anordung reeller Zahlen ist vollständig „kodiert“ in der Menge{(x,y) ∈ R 2 ∣ ∣ x < y}.Der Mengenlehre liegen Axiome zugrunde, die wir hier nicht im Einzelnen darlegen wollen.Aus ihnen leitet man Gesetze für das Rechnen mit Mengen, beispielsweise den folgendeneinfachen Satz.3.1 Satz. Seien M, N und P Mengen. Dann gilt M ∩ (N ∪ P) = (M ∩ N) ∪ (M ∩ P):Beweis (nur eine Richtung). Wir zeigen zuerst, dass gilt:M ∩ (N ∪ P) ⊆ (M ∩ N) ∪ (M ∩ P). (3)Sei dazu x ein beliebiges Element der linken Menge, d.h. x ∈ M ∩ (N ∪ P). Dann gelten x ∈ Mund x ∈ N ∪P. Es liegt einer der beiden Fälle vor: x ∈ N oder x ∈ P (nichtausschließliches Oder!).Im ersten Fall folgt x ∈ M ∩ N, im zweiten x ∈ M ∩ P. Auf jeden Fall gilt x ∈ (M ∩ N) ∪ (M ∩9


P). Damit ist die Inklusion (3) bewiesen. Auf ähnliche Weise beweist man die Richtigkeit deranderen Inklusion, nämlich:(M ∩ N) ∪ (M ∩ P) ⊆ M ∩ (N ∪ P).Zusammenfassen beider Inklusionen beweist den Satz.Beispiel: M = [−1,5], N =] − ∞,0] und P =]2,3[. Dann ist die im Satz angegebene Mengeeine Vereinigung von Intervallen nämlich [−1,0]∪]2,3[.Nur Aussagen, für die beweiskräftige Argumente gegeben werden können, werden im Nachfolgendenvorgestellt und verwendet. Hier ist noch Beispiel für einen Satz mit Beweis.3.2 Satz. Zwei Punkte in einer Kreisscheibe mit Radius r haben einen Abstand ≤ r.Beweis. Sei K eine Kreisscheibe mit Radius r > 0; sei z 0 ∈ C ihr Mittelpunkt:K ⊆ {z ∈ C ∣ ∣ |z − z 0 | ≤ r}Seien z 1 ,z 2 ∈ K. Die zu zeigende Behauptung lautet: |z 1 − z 2 | ≤ 2r. Die folgende Rechnungbeweist diese Behauptung:|z 1 − z 2 | = |(z 1 − z 0 ) − (z 2 − z 0 )| ≤ |z 1 − z 0 | + | − (z 2 − z 0 )|= |z 1 − z 0 | + |z 2 − z 0 | ≤ r + r = 2r.Die erste Ungleichung folgt mit der Dreiecksungleichung, die zweite aus der Voraussetzungz 1 ,z 2 ∈ K.4 Vollständige InduktionDie Menge N = {1,2,3,...} der natürlichen Zzahlen offenbar folgende Eigenschaften: 1 ∈ N,und mit n ∈ N ist auch n+1 ∈ N. Die Menge N die kleinste Zahlenmenge, die diese Eigenschaftenhat. Diese Tatsache liegt dem Beweisprinzip der vollständigen Induktion und der Definitiondurch Rekursion zugrunde.Wir führen zunächst endliche Summen und Produkte ein. Seien z 1 ,z 2 ,··· ∈ C und n ∈ N,n > 1. Dann setzen wir:n∑ z j = z 1 + z 2 + ··· + z n := (z 1 + ··· + z n−1 ) + z n ,j=1nz j = z 1 z 2 ...z n := (z 1 ...z n−1 )z n .∏j=1Hier liegen rekursive Definitionen vor: Ist die Summe (bzw. das Produkt) von n − 1 Zahlendefiniert, dann auch die Summe (bzw. das Produkt) von n Zahlen. Ganz links in den Formelzeilensind die Summen- bzw. Produktzeichen eingeführt. Ähnlich definiert man Potenzen undFakultäten:z 0 := 1, z n = z n−1 z,0! := 1, n! = (n − 1)!n,10


wobei z ∈ C und n ∈ N.Den folgenden Satz beweisen wir mit dem anschließend formulierten Prinzip der vollständigenInduktion.4.1 Satz. Für alle n ∈ N giltn∑ j = 1 n(n + 1).j=12Anders ausgedrückt: Der Satz sagt aus, dass für alle n ∈ N die Aussage A(n) wahr ist:A(n) : 1 + 2 + ··· + n = 1 n(n + 1).2Es ist klar, dass dies nicht dadurch überprüft werden kann, dass man A(1),A(2),..., einzelnbeweist — man kann nicht unendlich viele Aussagen durch Probieren auf ihre Richtigkeit überprüfen.Ein Zahlenbeispiel: 1 + 2 + 3 + ··· + 100 = 5050.Das Prinzip der vollständigen Induktion besagt, dass A(n) für alle n ∈ N wahr ist, wenn gelten:Induktionsanfang A(1) ist wahr.Induktionsschritt Wenn für n ∈ N die Aussage A(n) wahr ist, dann ist auch die Aussage A(n+1) wahr.Die vollständige Induktion kann man als ein Dominoprinzip ansehen, welches aus dem Beweiszweier Aussagen (dem Induktionsanfang und dem Induktionsschritt) die Richtigkeit von unendlichvielen Aussagen impliziert.Beweis von Satz 4.1. Die Aussage A(1) besagt, dass 1 = 1 21·2 gilt. Dies ist offenbar richtig, unddamit ist der Induktionsanfang gezeigt.Induktionsschritt: Wir setzen voraus, dass für ein n ∈ N die Aussage A(n) richtig ist (Induktionsvoraussetzung).Wir haben zu zeigen, dass auch A(n + 1) gilt. Die Gültigkeit von A(n + 1)ergibt sich aus folgender Rechnung:n+1∑ j = ( ∑n j ) + (n + 1) = 1j=1 j=12 n(n + 1) + (n + 1) = 1 (n + 1)(n + 2).2Die Induktionsvoraussetzung wurde in der vorletzten Gleichung verwendet.Die Induktionsvoraussetzung ist nicht mit der Schlußfolgerung des Induktionsprinzips zu verwechseln,welche besagt, das A(n) für alle n ∈ N richtig ist.Wir beweisen nachfolgend weitere wichtige Formeln mit Hilfe vollständiger Induktion.Die untere Indexgrenze einer endlichen Summe oder eines endlichen Produktes muss nicht= 1 sein; für m,n ∈ Z mit m ≤ n definiert man sinngemäß auch ∑ n j=m z j und ∏ n j=m z j , wennkomplexe Zahlen z m ,...,z n vorliegen.4.2 Satz (Geometrische Summen). Sei z ∈ C, z ≠ 1. Für n ∈ N gilt∑ n j=0 z j = zn+1 − 1z − 1 . (4)11


Beispiel: 1 + 2 + 2 2 + ··· + 2 10 = 2 11 − 1.Beweis. Für n = 1 besagt (4), dass 1 + z = 1−z21−z∑ n+1j=0 z j = ( ∑ n j=0 z j) + z n+1 == zn+1 − 1 + z n+1 (z − 1)z − 1gilt, was offenbar richtig ist. Die Rechnung( z n+1 − 1z − 1= zn+2 − 1z − 1 .)+ z n+1beweist den Induktionsschritt. Die Aussage des Satzes folgt aus dem Induktionsprinzip.Liegen für ein m ∈ Z Aussagen A(m),A(m + 1),... vor, die man beweisen möchte, dann istfolgende Abwandlung des Induktionsprinzips nützlich: Beweise den (i) Induktionsanfang Am),und den (ii) Induktionsschritt A(n) =⇒ A(n + 1) für n ≥ m, dann gilt A(n) für alle n ≥ m.4.3 Beispiel. Die Ungleichung 2 n > n 2 gilt für alle n ≠ 2,3,4. Dass sie für n ≥ 5 gilt zeigt manmit vollständiger Induktion. Induktionsanfang: 2 5 = 32 > 25 = 5 2 . Zum Beweis des Induktionsschritteszeigt man vorbereitend, n 2 ≥ 2n + 1 für n > 3 gilt. (Beweis hierfür: n 2 − 2n − 1 =(n − 1) 2 − 2 > 0 wenn n ≥ 3.) Für n ≥ 5 folgt aus der Induktionsvoraussetzung 2 n > n 2 dannund damit der Induktionsschritt.2 n+1 = 2 · 2 n > 2n 2 ≥ n 2 + 2n + 1 = (n + 1) 2Die folgende Ungleichung werden wir später in einem Konvergenzbeweis benötigen.4.4 Satz (Bernoulli’sche Ungleichung). Für x ≥ −1 und n ∈ N gilt (1 + x) n ≥ 1 + nx.Beweis. Mit der für x+1 ≥ 0 unter Annahme der (geeigneten) Induktionsvoraussetzung gültigenRechnung(1 + x) n+1 = (1 + x) n (1 + x) ≥ (1 + nx)(1 + x) = 1 + (n + 1)x + nx 2 ≥ 1 + (n + 1)xfolgt der Induktionschritt.5 Kombinatorik. BinomialtheoremDas Standardbeispiel einer endlichen Menge mit n Elementen ist N n := {1,2,3,...,n}. Aufwieviele Weisen kann man ihre Elemente anordnen? Wieviele Teilmengen hat sie?Die Elemente einer dreielementigen Menge können auf 6 verschiedene Weisen angeordnetwerde. Hier sind die verschiedenen Anordnungen von N 3 :Allgemein gilt:(1,2,3), (1,3,2), (2,1,3), (2,3,1), (3,1,2), (3,2,1).5.1 Satz. Die Elemente einer n-elementigen Menge können auf genau n! verschiedene Weisenangeordnet werden.12


Man beweist diesen Satz mit einer vollständigen Induktion über n. Eine Vertauschung derReihenfolge der Elemente nennt man eine Permutation. (Im nächsten Abschnitt definieren wirden Begriff der Permutation präzise als Abbildung.)Die Zahlen ( nk):=n!k!(n − k)!heißen Binomialkoeffizienten. Offenbar gilt( ( )n n= .k)n − k(0 ≤ k ≤ n)Mit den Gesetzen der Bruchrechnung rechnet man nach, dass folgende Rekursionsformel gilt:( ) ( ) ( n + 1 n n= + . (5)k k − 1 k)Aus dieser Formel folgt, dass alle Binomialkoeffizienten natürliche Zahlen sind. Man veranschaulichtdie Rekursionsformel durch das Pascal’sche Dreieck.5.2 Satz. Eine Menge mit n Elementen besitzt ( nk)verschiedene k-elementige Teilmengen.Beweisskizze. Unter der ersten k Elementen einer Permutation von N n treten alle k-elementigenTeilmengen auf. Da Permutation der ersten k Elemente und Permutation der letzten n − k Elementedie betreffende k-elementige Menge nicht ändern, tritt die Menge genau k!(n − k)!-malauf.Aus einem Alphabet mit n Buchstaben sollen Worte der Länge k gebildet werden. Eine Aufgabeder Kombinatorik besteht darin, die Anzahl der möglichen Worte zu bestimmen. Die Antwortenhängen davon ab, ob man nach der Reihenfolge der Buchstaben unterscheidet und obWiederholungen auftreten können. Wird die Reihenfolge nicht beachtet und dürfen keine Wiederholungenauftreten, dann ist dies genau die Frage nach der Anzahl der k-elementigen Teilmengeneiner n-elementigen Menge; wie eben gesehen ist diese Anzahl ( nk). Auch in anderenFällen findet man geschlossene Formeln für die Anzahlen; man beweist diese mit vollstädigerInduktion.Im Zahlenlotto „6 aus 49“ gibt es ( 496)≈ 14 · 10 6 mögliche Ausgänge einer Ziehung.Die vertraute binomische Formel (a + b) 2 = a 2 + 2ab + b 2 ist ein Spezialfall folgender allgemeinerbinomischer Formel.5.3 Satz (Binomialtheorem). Für beliebige Zahlen a,b ∈ C und jede ganze Zahl n ≥ 0 gilt((a + b) n = ∑ n nak=0 k)n−k b k . (6)13


Beweis. Der Induktionsschritt von n auf n + 1:( ( ) n(a + b) n+1 =k)a n−k b k · (a + b)∑ n k=0= ∑ n k=0= a n+1 +∑ n k=1= ∑ n+1k=0( nk)a n+1−k b k +∑ n+1( n + 1k( n + 1k)a n+1−k b k .j=1( nj − 1)a n+1−k b k + b n+1)a n+1− j b jIn der letzten Summe der zweiten Gleichung wurde k+1 durch j ersetzt, in der letzten Gleichungwurde (5) verwendet. Die Induktionsvorausetung wurde in der ersten Gleichung angewendet.5.1 Folgerung. Eine n-elementige Menge hat 2 n = ∑ n k=0( nk)verschiedene Teilmengen.6 FunktionenFunktionen geben Abhängigkeiten zwischen Variablen an.Seien X und Y nichtleere Mengen. Eine Funktion (oder Abbildung) von X in Y ist eine Zuordnungf : X → Y, x ↦→ f (x).Man nennt y := f (x) den (Funktions-)Wert von f bei x. Für ein gegebenes Argument x ∈ X gibtes genau einen Funktionswert. Man nennt X den Definitionsbereich, f (X) := { f (x) ∣ ∣ x ∈ X} denWerte- oder Bildbereich undG( f ) := {(x,y) ∣ ∣ x ∈ X,y = f (x)} ⊆ X ×Yden Graphen von f .Eine Zuordnungsvorschrift wie f (x) = x 2 ist erst dann eine vollständige Definition, wenn auchder Definitionsbereich festgelegt ist.Im Falle reellwertiger Funktionen f : D → R mit Definitionsbereich D ⊆ R veranschaulichtman f durch eine Skizze seines Graphen.6.1 Beispiele. Wenn der Wertebereich nicht in C enthalten ist, spricht man statt von einer Funktionoft gern von einer Abbildung.(i) Kehrwertfunktion f : D → R, f (x) = 1/x, D = R \ {0}(ii) Betragsfunktion C → R, x ↦→ |x|. Der Wertebereich ist [0,∞[.(iii) Exponentialfunktion(iv) Sinus und Cosinus(v) Der Bildbereich der Funktion f : R → R 2 , f (t) = (t 2 ,t 3 ) heißt Neill’sche Parabel.(vi) Ein elektrisches Feld in einem Raumgebiet D ⊆ R 3 wird dargestellt durch ein Vektorfeld−→ E , d.h. eine Abbildung−→ E : D ⊆ R 3 → R 3 . Der Wert von −→ E in einem Punkt aus D gibtRichtung und Stärke des Feldes in diesem Punkt als einen Vektor an.14


(vii) Identität id : X → X, x ↦→ x.Eine Anwendung des Funktionsbegriff besteht in der Formulierung Bestimmungsgleichungen.Gegeben eine f : X → Y eine Funktion und und ein Element y ∈ Y , dann ist y = f (x)eine Bestimmungsgleichung für x ∈ X. Ihre Lösungsmenge ist {x ∈ X ∣ ∣ f (x) = y}. Man interessiertsich in diesem Zusammenhang für folgende Fragen: Gibt es mehr als eine Lösung derGleichung? Gibt es überhaupt eine Lösung? Die Fragen betreffen folgende Eigenschaften, die fbesitzt oder nicht besitzt. Die Funktion f heißt injektiv, wenn gilt:∀x 1 ,x 2 ∈ X : f (x 1 ) = f (x 2 ) =⇒ x 1 = x 2 .Eine injektive Funktion kann einen Funktionswert höchstens einmal annehmen. Die Funktion fheißt surjektiv, wenn gilt:∀y ∈ Y ∃x ∈ X : y = f (x).Anders ausgedrückt: f ist genau dann surjektiv, wenn für sein Bild f (X) = Y gilt. Eine Funktionheißt bijektiv, wenn sie sowohl injektiv als auch surjektiv ist.(i) Als Funktionen R → R sind die Betragsfunktion x ↦→ |x| und die Quadratfunktion x ↦→ x 2nicht injektiv.(ii) Das kubische Polynom R → R, x ↦→ x 3 + qx ist surjektiv und genau dann injektiv, wennq ≥ 0 gilt.(iii) Auf dem Halbraum H := {z ∈ C ∣ Rez > 0} ist die Quadratfunktion f : H → C, f (z) = z2injektiv.(iv) Als Funktion R →]0,∞[ ist die Exponentialfunktion bijektiv; als Funktion R → R ist sienicht surjektiv.Bijektive Abbildungen einer Menge auf sich selbst heißen Permutationen. Wir kennen bereitsdie Anzahl der Permutationen einer n-elementigen Menge; diese Anzahl ist n!.Verkettung g ◦ f : X → Z Liegen zwei Abbildungen f : X → Y und g : Y → Z vor, derenBildbereich enthalten ist im Definitionsbereich der anderen Abbildung, dann verkettet man diesezu einer neuen Abbildung:g ◦ f : X → Z, x ↦→ g( f (x)).Die Funktionen f mit f (x) = sin(x 2 + 1) oder f (x) = cos 2 (x) := (cosx) 2 sind Beispiele fürVerkettungen.Sei f : X → Y eine Funktion. Eine Funktion g : Y → X heißt Umkehrfunktion von f , wennf ◦g = id Y und g◦ f = id X gelten. Eine Umkehrfunktion existiert genau dann, wenn f bijektiv ist.Eine Umkehrfunktion ist, wenn sie denn existiert, eindeutig bestimmt. Man schreibt allgemeinf −1 für die Umkehrfunktion von f . Es gilty = f (x) ⇐⇒ x = f −1 (y).Hieraus folgt für reelle Funktionen mit X,Y ⊆ R, dass man den Graphen der Umkehrfunktiondurch Spiegelung des Graphen der Funktion an der 45 ◦ -Diagonalen erhält.Die Umkehrfunktion der Quadratfunktion x ↦→ x 2 auf [0,∞[ ist die Quadratwurzelfunktiony ↦→ √ y. Die Umkehrfunktion der Exponentialfunktion ist der Logarithmus.Wir werden die gennanten Funktionen noch genauer einführen und ihre Eigenschaften studieren.15


7 Trigonometrische FunktionenEs geht hier vor allem um Winkel und um die Sinus- und Cosinus-Funktionen. Wir führen dieseFunktionen rein geometrisch ein. Später werden wir ihre Darstellung durch konvergente Reihenkennenlernen, auf der Berechnungsmethoden beruhen.Wir fassen die Ebene als Ebene der komplexen Zahlen z = x + y j ∈ C auf. Durch die Zahl 1ist die Längeneinheit festgelegt. Wir setzen die Formeln für die Längen gerader Strecken undvon Kreisbögen als bekannt voraus. Insbesondere benutzen wir die Kreiszahl π = 3,1415...,auf deren genaue Definition und Berechnung wir erst in späteren Kapiteln eingehen können.Sei z = x + y j ein Punkt auf der Einheitskreislinie. Wir betrachten zwei Halbstrahlen, dievom Nullpunkt ausgehen. Der erste verläuft entlang der positiven reellen Achse, der andere gehtdurch z. Die beiden Halbstrahlen schließen einen Winkel t ein. Wir fällen das Lot von z aufdie reelle Achse und erhalten ein rechtwinkliges Dreieck, dessen Hypothenuse die Strecke von0 nach z ist. Der Cosinus und der Sinus des Winkels sind die Koordinaten von z, d.h. sein RealundImaginärteil:cost = x, sint = y, z = cost + j sint.Der Satz von Pythagoras besagt für dieses Dreieck, dasscos 2 t + sin 2 t = 1gilt, denn cos 2 t +sin 2 t = x 2 +y 2 = |z| 2 = 1. Der Cosinus und der Sinus sind (vorzeichenbehaftete)Längen. Was ist der Winkel t? – Auch eine Länge, nämlich die des aus der Einheitskreislinieausgeschittenen Kreisbogens (Bogenmaß). Der Vollwinkel hat die Länge 2π, der rechte Winkeldie Länge π/2. (Man spricht manchmal von „Einheit Radian“ obwohl hier überhaupt keine neueEinheit eingeführt wird, sondern nur die bereits festgelegte Längeneinheit.) Der Winkel wächst,wenn die Einheitskreislinie gegen den Uhrzeigersinn durchlaufen wird.Es ist üblich, Winkel in Grad anzugeben. Grade werden weiter – in babylonischer Tradition –in Bogenminuten und weiter in Bogensekunden unterteilt: 1 ◦ = 60 ′ und 1 ′ = 60 ′′ . Der Vollwinkel2π entspricht 360 ◦ . Dementsprechend hat man mit dem Umrechnungsfaktor 180/π bzw. mitseinem Kehrwert zu multiplizieren um in das Gradmaß bzw. vom Gradmaß umzurechnen.Für eine komplexe Zahl z ≠ 0 ist r = |z| > 0 sein Abstand zum Nullpunkt. Die Zahl z/r liegtauf der Einheitskreislinie. Wir finden einen Winkel t ∈ R, sodass eine sogenannte Polardarstellungfür z gilt.z = r cost + jr sint.Man nennt den Radius r und den Winkel t Polarkoordinaten von z. Der Winkel ist bis auf ganzeVielfache von 2π eindeutig bestimmt. Es ist üblich, ihn durch Bedingungen wie 0 ≤ t < 2π oder−π < t ≤ π eindeutig festzulegen. Man nennt den Winkel auch das Argument von z und schreibtarg(z) = t.Sind w = coss + j sins und z = cost + j sint komplexe Zahlen vom Betrag 1, dann liegt auchdas Produkt wz auf der Einheitskreislinie, denn |wz| = |w||z| = 1. Welchen Winkel hat wz? –Antwort: s + t, d.h. bei der Multiplikation komplexer Zahlen addieren sich die Winkel. Diesfolgt direkt aus dem Multiplikationsgesetz für komplexe Zahlen und den Additionstheoremenfür Sinus und Cosinus.16


7.1 Satz (Additionstheoreme). Für alle s,t ∈ R geltencos(s +t) = cos(s)cos(t) − sin(s)sin(t),sin(s +t) = sin(s)cos(t) + cos(s)sin(t).Eine Begründung des Additionstheorems für den Sinus zeigt die Abbildung 1.Abbildung 1: Additionstheorem für den SinusDie Multiplikation mit einer gegebenen komplexen Zahl w ≠ 0 ist eine Abbildung der Ebenein sich:C → C; z ↦→ wz.Hat w den Betrag 1 und das Argument s, wenn also w = coss + j sins gilt, dann ist diese Abbildungdie Drehung um den Nullpunkt mit dem Winkel s. Ist |w| > 1, dann liegt eine Drehstreckungvor; ist |w| < 1, dann liegt eine Drehstauchung vor. In der Polardarstellung ist dieMultiplikation komplexer Zahlen einfach zu beschreiben: Beträge werden multipliziert, Winkeladdiert. Für Potenzen gilt:z n = r n (cos(nt) + j sin(nt)) wenn z = r(cos(t) + j sin(t).Eine Zahl z heißt n-te Wurzel aus einer Zahl w, wenn w = z n gilt. Im Fall n = 2 spricht man vonQuadratwurzeln. Geht man von einer Polardarstellung aus, dann ist es leicht die Quadratwurzelnanzugeben: Die Quadratwurzeln aus w = ρ(coss + j sins) sindz 1 = √ ρ(cos(s/2) + j sin(s/2)),z 2 = √ ρ(cos(s/2 + π) + j sin(s/2 + π)).17


Beispiel: −1 = cosπ + j sinπ hat die Quadratwurzeln j = cos(π/2) + j sin(π/2) und − j =cos(3π/2) + j sin(3π/2). Eine n-te Wurzel aus w ist n √ ρ(cos(s/n) + j sin(s/n)). Die n-ten Wurzelnaus der Zahl 1 heißen n-te Einheitswurzeln; sie bilden die Ecken des regelmäßigen n-Ecks,dessen Ecken auf der Einheitskreislinie liegen und welches 1 als eine Ecke besitzt.Wir befassen uns mit weiteren Eigenschaften der Sinus- und der Cosinusfunktion. Aus sin2π =0 und cos2π = 1 folgt mit den Additionstheoremen, dass Sinus und Cosinus 2π-periodischeFunktionen sind. Nützliche Spezialfälle der Additionstheoreme sind:sin2t = 2sint cost, cos2t = cos 2 t − sin 2 t,sin3t = 3sint − 4sin 3 t,cos3t = 4cos 3 t − 3cost.Man kann hiermit spezielle Werte des Sinus und des Cosinus berechnen, z.B. folgt aus0 = sinπ = sin(3 · (π/3)) = 3sin(π/3) − 4sin 3 (π/3)für y = sin(π/3) > 0 die Gleichung 3 = 4y 2 . Folglich ist sin(π/3) = √ 3/2. Man erhält so eine(kleine) Wertetabelle für sin und cos. Die Graphen von Sinus und Cosinus gegen auseinanderdurch Verschieben umd ±π/2 entlang der x-Achse hervor.Die Funktion cos : R → R ist nicht bijektiv, besitzt daher keine Umkehrfunktion. Durch Einschränkungder Cosinusfunktion cos : [0,π] → [−1,1] erhält man jedoch eine bijektive Funktion;ihre Umkehrfunktion nennt man den Arcuscosinus: arccos = cos −1 .Weitere (Symmetrie-)Eigenschaften von sin und cos: Der Cosinus ist eine gerade Funktion,der Sinus eine ungerade, d.h. es giltcos(−x) = cos(x) und sin(−x) = −sin(x).Bei einer Verschiebung des Arguments um π = 180 ◦ wechselt das Vorzeichen:cos(x + π) = −cos(x) und sin(x + π) = −sin(x).Die Tangens- und Cotangensfunktion sind definiert durchtanx = sinxcosx ,cosxcotx =sinx ,wobei die Nullstellenmengen der Nennerfunktionen nicht zum Definitionsbereich gehören: tan :R \ N c → R und cot : R \ N s → R,tan : R \ (π/2 + πZ) → R, cot : R \ πZ → R.Der Tangens und der Cotangens sind π-periodisch. Der Tangens bildet das Intervall ]−π/2,π/2[bijektiv auf die reelle Zahlenachse ab; die Umkehrfunktionarctan := tan −1 : R →] − π/2,π/2[,y = arctan(x) ⇐⇒ x = tan(y),heißt Arcustangens. Der Tangens und der Arcustangens sind ungerade Funktionen.18


In günstigen Situationen kann man mittels Additionstheoremen und Arcusfunktionen sogenanntegoniometrische Gleichungen auflösen. Ein Beispiel hierfür: Die Gleichungsin(x + π/6) + cos(x + π/4) = 0sei zu lösen. Mit den Additionstheoremen und der Kenntnis der Werte von sin und cos an denStellen π/6 und π/4 folgt, dass diese Gleichung gleichwertig ist zu√32 sinx + 1 √22 cosx + (cosx − sinx) = 0.2Nullstellen des Cosinus sind keine Lösungen. Nach Division durch cosx ist die Gleichunggleichwertig mit( √ 3 − √ 2)tanx + (1 + √ 2) = 0.Die Lösungen sind( √ ) 1 + 2x = −arctan √ √ + kπ, k ∈ Z.3 − 28 VektorrechnungPhysikalische Größen wie Kraft oder elektrische Feldstärke werden mathematisch durch Vektorenbeschrieben. Vektoren −→ a haben eine Richtung und eine Länge a = | −→ a |. Vektoren sind in derRegel frei, d.h. beliebig verschiebbar. Mit −→ PQ bezeichnet man den Vektor mit Anfangspunkt Pund Endpunkt Q. Spezielle Vektoren: Nullvektor −→ 0 , Einheitsvektor, inverser Vektor − −→ a zu −→ a .Vektoren können addiert und mit Skalaren multipliziert werden; Rechenregeln: Kommutativ-,Assoziativ- und Distributivgesetz.Geschlossene Streckenzüge entsprechen Gleichungen −→ a 1 + ··· + −→ a n = −→ 0 . Beispielsweise giltfür die Seitenvektoren eines Dreieckes die Gleichung −→ a + −→ b + −→ c = −→ 0 . Die Addition komplexerZahlen entspricht der Addition von Vektoren in der Ebene.Zwei vom Nullvektor verschiedene Vektoren −→ a und −→ b schließen einen Winkel ∡( −→ a , −→ b ) ∈ Rein. Es gelten:∡( −→ b , −→ a ) = −∡( −→ a , −→ b ), ∡(λ −→ a , µ −→ b ) = ∡( −→ a , −→ b ),für λ,µ > 0. Vektoren heißen kollinear oder parallel, wenn der eingeschlossene Winkel Nullist. Sie stehen senkrecht aufeinander (sind zueinander orthogonal), wenn der Cosinus des eingeschlossenenWinkels Null ist.Die reelle Zahl−→ a · −→ b := abcosϕ, ϕ = ∡(−→ a ,−→ b )heißt Skalarprodukt der Vektoren −→ a und −→ b . Vektoren sind genau dann zueinander orthogonal,wenn ihr Skalarprodukt Null ist. Für das Rechnen mit dem Skalarprodukt gelten Kommutativ-,Assoziativ- und Distributivgesetze. Die Länge eines Vektors ist die Wurzel aus dem Skalarproduktdes Vektors mit sich:a = | −→ a | = √ −→ a · −→ a .19


Es gelten die Ungleichungen| −→ a · −→ b | ≤ | −→ a || −→ b | (Cauchy-Schwarz-Ungleichung),| −→ a + −→ b | ≤ | −→ a | + | −→ b | (Dreiecksungleichung).Die Cauchy-Schwarz-Ungleichung korrespondiert mit der Ungleichung −1 ≤ cost ≤ 1. DieDreicksungleichung leitet man mit Hilfe der Cauchy-Schwarz-Ungleichung her.Ist −→ b ≠ −→ 0 , dann ist die Länge b > 0. Wir nennen den Einheitsvektor −→ e b = 1 b−→ b den Einheitsvektorin Richtung von −→ b . Die senkrechte Projektion eines Vektors −→ a auf die durch einenVektor −→ b ≠ −→ 0 ist der Vektor ( −→ a · −→ e b ) −→ e b = b −2 ( −→ a · −→ b ) −→ b .Für das praktische Rechnen mit Vektoren ist die Festlegung eines rechtwinkligen Koordinatensystemspraktisch. Im dreidimensionalen Raum legt man ein xyz-Koordinatensystem festdurch Angabe von paarweise zueinander senkrechten Einheitsvektoren −→ e x , −→ e y und −→ e z , die inRichtung der entsprechenden Koordinatenachsen zeigen. Es wird angenommen, dass das Koordinatensystemgemäß der Rechten-Hand-Regel orientiert ist. Jeder Vektor −→ a kann mit eindeutigbestimmten Koeffizienten als eine sogenannte Linearkombination der Einheitsvektoren dargestelltwerden:−→ a = ax−→ ex + a y−→ ey + a z−→ ez .Die Koeffizienten fasst man zum Koordinatenvektor zusammen:⎡ ⎤a xa = ⎣a y⎦ ∈ R 3a zKoordinatenvektoren addiert man komponentenweise. Man multipliziert mit Zahlen (Skalaren),indem man die Komponenten mit den Skalaren multipliziert. Dann entspricht beispielsweisedem Vektor −→ c = λ −→ a + −→ b der Koordinatenvektor c = λa + b. Das Skalarprodukt kann überdie Koordinaten berechnet werden:−→ a · −→ b = a · b := ax b x + a y b y + a z b z .Insbesondere erhält man a x = a · e x = −→ a · −→ e x usw. für die Komponenten. Ausgehend von derFormela · b = abcos(ϕ), ϕ = ∡( −→ a , −→ b )(bestimmt man den eingeschlossenen Winkel: ϕ = arccos8.1 Beispiele. Berechnung von Skalarprodukten, Längen, Winkeln und senkrechten Projektionen.(i) Winkel ϕ zwischen der Raumdiagonale −→ d und der x-Achse:⎡ ⎤ ⎡ ⎤cosϕ = 1 1 1d d · e x, d = ⎣1⎦, e x = ⎣0⎦1 0Wegen d = √ 3 ist ϕ = arccos(1/ √ 3) = 0.95532 = 54.73 ◦ .a·bab).20


(ii) Gegeben seien Vektoren −→ a und −→ b in der Ebene mit den Koordinatenvektoren:[ ] [ −1 4a = , b = .2 1]Ihre Längen sind a = √ 5 und b = √ 17. Das Skalarprodukt ist −→ a · −→ b = −2. Der eingeschlosseneWinkel istϕ = arccos(−2/ √ 85) = 1.789··· ≈ 102 ◦ 32 ′ .Die Projektion des Vektors −→ a auf den Vektor −→ b ist:−→ p = b −2 ( −→ a · −→ b ) −→ b = −17−→ 2 [ ]2 4 b , p = − .17 1In welcher Hinsicht unterscheidet sich das Konzept des Vektors von dem eines Koordinatenvektors?Koordinatenvektoren beziehen sich auf ein Koordiatensystem, Vektoren dagegen nicht.Flächeninhalt des von Vektoren −→ a und −→ b aufgespannten Parallelogramms:F = F( −→ a , −→ b ) = absinϕ, ϕ = ∡( −→ a , −→ b ).Dies gilt in der Ebene und im Raum; F < 0 ist zugelassen (orientierte Flächeninhalte). Für dieAbhängigkeit des Flächeninhaltes von den Vektoren hat man z.B.:F( −→ a , −→ b ) = −F( −→ b , −→ a ), F( −→ a , −→ a ) = 0, F( −→ a , −→ b + λ −→ a ) = F( −→ a , −→ b ), ...Dreiecksflächeninhalte sind die Hälfte der entsprechenden Parallelogramminhalte.8.2 Beispiel. Welchen Flächeninhalt F ∆ hat das Dreieck mit den Ecken A = (2,4), B = (4,−1)und C = (1,1)? Die Seitenvektoren−→ a =−→ CB = 3−→ ex − 2 −→ e y ,−→ b =−→ CA = 1−→ ex + 3 −→ e yspannen ein Parallelogramm mit folgenden Flächeninhalt auf:F( −→ a , −→ b ) = 9F( −→ x , −→ y ) + 0 + 0 + (−2)F( −→ y , −→ x ) = 11.Folglich ist F ∆ = 11/2.Das Vektor- oder Kreuzprodukt zweier räumlicher Vektoren −→ a und −→ b ist der Vektor−→ −→ a × b = |F(−→ −→ a , b )|−→ e ,wobei −→ e der Einheitsvektor ist, der senkrecht auf dem von −→ a und −→ b aufgespannten Parallelogrammsteht und mit diesen Vektoren ein Rechtssystem ( −→ a , −→ b , −→ e ) bildet. Man kann folgendeRechenregeln und Formeln beweisen:−→ b ×−→ a = −−→ a ×−→ b ,−→ a × (−→ b +−→ c ) =−→ a ×−→ b +−→ a ×−→ c , ...21


Für Koordinatenvektoren gilt:⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤a x b x a y b z − b y a z⎣a y⎦ × ⎣b y⎦ = ⎣a z b x − b z a x⎦a z b z a x b y − b x a yDen Flächeninhalt F eines von zwei Vektoren −→ a und −→ b aufgespannten Parallelogrammsfindet man als Länge des Kreuzproduktes: F = | −→ a × −→ b |. Für die praktische Berechnung vonZahlenwerten ist es oft günstig, mit Koordinatenvektoren zu arbeiten: F = |a × b|.Das Vektorprodukt ist nur für dreidimensionale Vektoren definiert. Anders als das Skalarprodukt,welches eine Zahl ergibt, ist das Vektorprodukt ein Vektor. Das Resultat eines Vektorprodukteskann wieder Faktor eines Vektorproduktes sein. Bei mehrfachen Vektorprodukten istaber die Klammerung wesentlich, denn das Vektorprodukt ist nicht assoziativ, wie das folgendeBeispiel zeigt.8.3 Beispiel. Es kann gelten( −→ a × −→ b ) × −→ c ≠ −→ a × ( −→ b × −→ c ).Wähle dazu −→ a und −→ b mit ( −→ a × −→ b ) × −→ b ≠ −→ 0 . Setze −→ c = −→ a + −→ b . Ausfolgt die Behauptung.−→ a × (−→ b ×−→ c ) = ··· =−→ a × (−→ b ×−→ a ) = (−→ a ×−→ b ) ×−→ a ≠ (−→ a ×−→ b ) ×−→ cDie dreidimensionale Verallgemeinerung eines Parallelogramms ist ein Spat oder Parallelflach.Ein solcher wird von drei Vektoren −→ a , −→ b und −→ c aufgespannt, die nicht in einer Ebeneliegen. Die Seitenflächen sind Parallelogramme, wobei gegenüberliegende Seiten parallel undkongruent sind. Die dreidimensionale Version des Scherungssatzes zeigt, dass das Spatproduktdas (orientierte) Volumen des Spats ist:[ −→ a , −→ b , −→ c ] := ( −→ a × −→ b ) · −→ c = ±V.Die Berechung des Spatproduktes mit Koordinatenvektoren läuft auf die Berechnung der Determinanteeiner 3 × 3-Matrix hinaus:∣ a x b x c x ∣∣∣∣∣[a,b,c] =a y b y c y .∣ a z b z c z9 Konvergenz von FolgenDie ersten Glieder der Folge der Kehrwerte natürlicher Zahlen sind1, 1 2 , 1 3 , 1 4 ,...22


Lässt man die Anzahl der Folgenglieder gegen Unendlich gehen, dann nähern sich ihre Werteder Zahl 0 an; die Folge konvergiert gegen Null.Wir wollen den Begriff einer Zahlenfolge und die Definition der Konvergenz präzise fassen.Man nummeriert die Glieder einer Folge durch: a 1 ,a 2 ,a 3 ,... Dabei sind die a n reelle oder komplexeZahlen. Genauer versteht man unter eine reellen Zahlenfolge eine Funktiona : N → R, n ↦→ a n .Man schreibt (a n ) n∈N oder kurz (a n ) für eine solche Folge. Die Menge a(N) der Folgengliederist keine vollständige Angabe der Folge. Entsprechend ist komplexe Zahlenfolge eine Funktiona : N → C, n ↦→ a n .9.1 Beispiele. Einige reelle und komplexe Zahlenfolgen:(i) ( )1n(harmonische Zahlenfolge)n∈N(ii) ( 2 −n) (eine geometrische Folge)n∈N(iii) ( (−1) n) (alternierende Folge)n∈N(iv) −1,1,1,1,· ist eine von der alternierenden Folge verschiedene Folge mit derselben Mengeder Folgenglieder.(v) ( j n) , also: j,−1,− j,1, j,...n∈N(vi) (I n ), wobei I n der Flächeninhalt des einem Einheitskreis einbeschriebenen regelmäßigenn-Ecks ist.(vii) (x n ) mit x 1 = 2 und x n+1 = x n2 + 1 .x nWenn sich die Folgenglieder a n für große Indizes n einem Wert annähern, dann spricht manvon Konvergenz. Genauer definiert man:9.2 Definition. Eine (reelle oder komplexe) Zahlenfolge (a n ) n∈N heißt konvergent gegen g,wenn gilt:∀ε > 0 ∃N ∈ N ∀n ≥ N : |a n − g| < ε.Man nennt dann g den Grenzwert der Folge, und man schreibt g = lim n→∞ a n . Eine Folge heißteine Nullfolge, wenn sie gegen 0 konvergiert.Die folgende „offensichtliche“ Eigenschaft der reellen Zahlen folgt nicht aus den bisher aufgeführtenAxiomen der reellen Zahlen.Archimedisches Axiom: Zu jeder reellen Zahl x gibt es eine natürliche Zahl n mit n ≥ x.Das Archimedische Axiom wird in einigen Konvergenzbeweisen verwendet, beispielsweisefür die folgende Aussage,9.3 Satz. Es gilt lim n→∞ 1/ √ n = 0.Beweis. Sei ε > 0 vorgelegt. Nach dem Archimedischen Axiom existiert ein N ∈ N mit 0 0 beliebig ist, ist der Konvergenzbeweis erbracht.23


Man sieht leicht ein, dass eine Folge (a n ) n∈N genau dann gegen g konvergiert, wenn die reelleFolge (|a n − g|) n∈N eine Nullfolge ist.Folgen, die nicht konvergieren, heißen divergent. Beispiele divergenter Folgen sind die Folge(n) n∈N der natürlichen Zahlen und die alternierende Folge ((−1) n ) n∈N .Eine Folge (a n ) n∈N schreiben wir auch kürzer als (a n ) n ; z.B. (3n 2 − 8n) n .Das folgende Konvergenzkriterium wird auch Sandwich-Kriterium genannt.9.4 Satz (Einschließungskriterium). Seien (a n ) n , (b n ) n und (c n ) n reelle Zahlenfolgen, für die gilta n ≤ b n ≤ c n(∀n ∈ N).Sind die einschließenden Folgen konvergent gegen denselben Grenzwert, lim n→∞ a n = g = lim n→∞ c n ,dann konvergiert auch die eingeschlossene Folge: lim n→∞ b n = g.Beispiel: Aus −1/n ≤ (−1) n n −2 ≤ 1/n folgt, dass lim n→∞ (−1) n n −2 = 0 gilt.Eine Folge (a n ) n heißt beschränkt, wenn es eine Schranke S ≥ 0 gibt, sodass |a n | ≤ S für allen ∈ N gilt.9.5 Satz. Konvergente Folgen sind beschränkt.9.1 Folgerung. Unbeschränkte Folgen sind divergent.Das Archimedische Axiom besagt, dass die Folge der natürlichen Zahlen unbeschränkt ist;hieraus ersieht man, dass diese Foleg divergiert.In einfachen Fällen sind die folgenden Rechengesetze anwendbar und ermöglichen eine Grenzwertbestimmung.9.6 Satz. Seien (a n ) n und (b n ) n konvergente Folgen mit Grenzwerten a bzw. b. Dann geltenlim (a n ± b n ) = a ± b,n→∞lim (a n b n ) = ab.n→∞Sind zusätzlich b ≠ 0 und alle b n ≠ 0, dann gilt auch lim n→∞ a n /b n = a/b.Im Beweis des Satzes muss man auf die Konvergenzdefinition zurückgreifen.9.7 Beispiel. Die durch a n = 4n3 − 66n 3 + 2n 2 gegebene Folge (a n) n ist auf Konvergenz zu untersuchen.Um den obigen Satz anwenden zu können wird der Ausdruck für a n zuerst durch einegeeignete Erweiterung des Bruches vereinfacht:Die Folge konvergiert also gegen 2/3.a n = 4n3 − 66n 3 + 2n 2 = 4 − 6n−36 + 2/n → 4n→∞ 6 = 2 3 .Dass die Folge (2 −n ) n eine Nullfolge ist, kann mit dem Sandwich-Kriterium einsehen. DieseFolge ein Beispiel einer geometrischen Folge.9.8 Satz. Die geometrische Folge (z n ) n ist für |z| < 1 konvergent und für |z| > 1 divergent.24


Für 0 < |z| < 1 führt man Konvergenzbeweis wie folgt. Setze kurz Abkürzung x = 1/|z|−1 >0. Die Bernoulli-Ungleichung ergibt|z| −n = (1 + x) n ≥ 1 + nx ≥ nxund damit |z n − 0| ≤ 1/nx. Die Konvergenz lim n→∞ |z n − 0| = 0 folgt nun mit dem Sandwich-Kriterium.Weitere Beispiele konvergenter Folgen: (i) lim n→∞n√ c = 1 für c > 0, (ii) limn→∞n√ n = 1.Ist (a n ) n eine Folge, dann ist beispielsweise auch (a 2n 2 +1) n eine Folge. Letztere ist eine Teilfolgevon (a n ) n .9.9 Definition. Sei (a n ) n eine Folge, d.h. eine Funktion a : N → C, n ↦→ a n . Sei ν : N → N, k ↦→ n keine streng wachsende Funktion, d.h. wenn k < l ist, dann ist auch n k < n l . Die Verkettunga ◦ ν : N → C, k ↦→ a nk ist eine Teilfolge (a nk ) k von (a n ) n .9.10 Satz. Jede Teilfolge einer konvergenten Folge (a n ) n konvergiert, und ihr Grenzwert istebenfalls lim n→∞ a n .Beispielsweise folgt so aus lim n→∞ 2 −n = 0 auch lim k→∞ 2 −2n2−1 = 0.Ein weiteres Beispiel (Übungsaufgabe 33): Gilt lim n→∞ a n = g, dann konvergiert auch(lim (a2n ) 2 )− 3a n+7 = g 2 − 3g.n→∞9.2 Folgerung. Besitzt eine Folge zwei konvergente Teilfolgen, deren Grenzwerte verschiedensind, dann ist die Folge divergent.Beispiel: Die Divergenz der alternierenden Folge kann man damit einsehen.10 VollständigkeitBisher trat im Verlauf der Vorlesung der Unterschied zwischen R und Q nicht klar hervor. Aufdiesen Unterschied gehen wir nachfolgend ein. Die reellen Zahlen sind vollständig, die rationalenZahlen nicht. Geometrische Größen entsprechen immer reellen Zahlen; nur in Ausnahmefällensind diese auch rational. Die Länge der Diagonale in einem Einheitsquadrat ist nachPythagoras √ 2.10.1 Satz. √ 2 ist nicht rational.Der folgende Beweis ist indirekt, d.h. aus der Annahme des Gegenteils der Aussage des Satzeswird ein Widerspruch hergeleitet, und daraus schließt man, dass der Satz wahr ist. Die Argumentationdes Beweises kann mit einer elementargeometrischen Konstruktion veranschaulichtwerden.Beweis. Die Behauptung besagt, dass √ 2 kein Quotient ganzer Zahlen ist. Angenommen, dieswäre falsch. Dann gäbe es natürliche Zahlen m und n mit √ 2 = m/n. Dies bedeutet, dass in einemQuadrat mit der Kantenlänge n die Diagonale die Länge m hat. Die folgende Rechnung zeigt,25


dass dann auch in einem Quadrat mit der Kantenlänge m−n die Diagonalenlänge ganzzahlig ist(nämlich = 2n − m):2n − mm − n = 2n2 − mnn(m − n) = m2 − mnn(m − n) = m n .Zudem gilt 1 ≤ m − n < 2n − m. Wiederhole die Konstruktion mit n := m − n und m := 2n − m.Nach höchstens n Schritten gilt 1 = n < m. Hieraus würde aber folgen, dass √ 2 eine ganze Zahlist. Da 2 offenbar keine Quadratzahl ist, haben wir einen Widerspruch erhalten. Damit ist dieAnnahme falsch und folglich der Satz richtig.Eine reelle Folgen (a n ) n heißt monoton wachsend, wenn für alle n gilt: a n ≤ a n+1 . Mittelseiner vollständigen Induktion folgt hieraus, dass a m ≤ a n gilt, wenn m < n ist. Monoton fallendeFolgen sind entsprechend definiert. Eine Folge, die monoton wachsend oder monoton fallend istheißt monoton. Konstante Folgen sind die einzigen Folgen, die sowohl monoton wachsend alsauch fallend sind. Die Folge (1/n) n ist monoton fallend; die Folge ((−1) n ) n ist nicht monoton;beide Folgen sind beschränkt.Konvergente Folgen sind beschränkt; beschränkte Folgen konvergieren i.A. nicht. Der folgendeSatz ist äquivalent zur sogenannten Vollständigkeit von R. Die entsprechende Aussage ist fürQ falsch.10.2 Satz (Monotoniekriterium). Monotone, beschränkte reelle Zahlenfolgen konvergieren.Das Archimedische Axiom kann man als eine Folgerung aus dem Monotoniekriterium erhalten.Der Nachweis der Konvergenz einer Folge und die Bestimmung des Grenzwertes sind oft sehrverschiedene Aufgaben. Das folgende Beispiel zum Monotoniekriterium illustriert dies.10.3 Beispiel. Durch a 1 = 2 und das Rekursionsschemaa n+1 = a n2 + 1 a nwird eine Folge (a n ) n aus positiven reellen Zahlen definiert. Wir zeigen, dass diese Folge monotonfallend und beschränkt ist. Dazu zeigen wir in einer Vorüberlegung mittels vollständigerInduktion, dass a 2 n ≥ 2 für alle n gilt. Für n = 1 ist dies wahr, damit liegt ein Induktionsanfangvor. Zum Beweis des Induktionsschrittes setzen wir a 2 n ≥ 2 als richtig voraus. Folgende Rechnungzeigt, dass dann auch a 2 n+1 ≥ 2 gilt:a 2 n+1 = (a n + (a n+1 − a n )) 2 ≥ a 2 n + 2a n (a n+1 − a n ) = a 2 n + a n ( 2 a n− a n ) = 2.Die Monotonie folgt ausa n+1 = a n( 12 + 1 a 2 n)≤ a n ,wobei 1/a 2 n ≤ 1/2 benutzt wurde. Die Beschränktheit folgt aus 0 < a n ≤ a 1 = 2. Nach demMonotoniekriterium konvergiert die Folge gegen einen Grenzwert g ∈ R. Es gilt(ang = lim a n+1 = limn→∞ n→∞ 2 + 1 )= g a n 2 + 1 g .26


Also erfüllt der Grenzwert die quadratische Gleichung g 2 = 2, d.h. g = √ 2. Man beachte, dassalle Folgenglieder a n rationale Zahlen sind; der Grenzwert ist eine reelle Zahl, die aber wie wirwissen nicht rational ist.Die Menge Q der rationalen Zahlen ist löchrig in dem Sinne, dass Folgen, deren Konvergenzerwartet werden muss, oft keinen rationalen Grenzwert haben. Allgemein gibt es keinen Grunddafür, weshalb ein Grenzwert als ein Bruch ganzer Zahlen darstellbar sein soll.10.4 Beispiele. Weitere Beispiele monotoner, beschränkter und damit konvergenter Folgen, derenGrenzwert nicht rational ist.(i) Die Folge ( )I 2 nn der dem Einheitskreis einbeschriebenen regelmäßigen 2n -Ecke. Der Grenzwertist die Kreiszahl π.(ii) Die Folge ( (1 + 1/n) n) ist, wie man zeigen kann, monoton wachsend und beschränkt,nalso konvergent. Ihr Grenzwert ist die Euler’sche Zahl e = 2.71828...Statt des Monotoniekriteriums verwendet man oft das Supremumsaxiom, das Intervallschachtelungsprinzipoder das Cauchy-Kriterium zur Charakterisierung der Vollständigkeit.Wir formulieren nur das Cauchy-Kriterium. Dieses gilt gleichermaßen für R und für C.10.5 Definition. Eine (reelle oder komplexe) Folge (a n ) n heißt eine Cauchyfolge, wenn gilt:∀ε > 0 ∃N ∈ N ∀m,n ≥ N : |a n − a m | < ε.Diese Definition sieht der Konvergenzdefinition für eine Folge sehr ähnlich. Es gibt aber einenentscheidenden Unterschied: In der Definition einer Cauchyfolge wird nicht auf einen GrenzwertBezug genommen.10.6 Satz (Cauchy’sches Konvergenzkriterium). Eine Folge (a n ) n ist genau dann konvergent,wenn sie eine Cauchyfolge ist.Anwendungen dieses Kriteriums gibt es u.A. in der Theorie unendlicher Reihen.11 Unendliche ReihenEine unendliche Reihe wird oft in folgender allgemeiner Form geschrieben: ∑ ∞ k=0 a k. Hier ist(a k ) k∈N0 eine Folge reeller oder komplexer Zahlen. Die „unendliche Summe“ muss als Grenzwertverstanden werden, nämlich als der Grenzwert – wenn er denn existiert – der Folge(s n ) n , s n := ∑ n k=0 a kder Partial- oder Teilsummen. Die Reihe ist nichts anderes als die Folge der Teilsummen; siekonvergiert (nach Definition) genau dann, wenn diese Folge konvergiert und man setzt dann∑ ∞ k=0 a k := limn→∞s nDer Grenzwert wird auch die Summe der Reihe genannt.27


11.1 Satz (über die geometrische Reihe). Die geometrische Reihe ∑ ∞ k=0 zk = 1 + z + z 2 + ...konvergiert, wenn |z| < 1 ist, und es gilt dann∑ ∞ k=0 zk = 11 − z .Beweis. Für die Teilsummen der geometrischen Reihe kennen wir bereits die geometrischeSummenformel:s n = ∑ n k=0 zk = 1 − zn+1,1 − zwenn z ≠ 1. Die geometrische Folge (z n+1 ) n ist im Falle |z| < 1 eine Nullfolge. Daraus folgt dieAussage des Satzes.Beispiel: 1 + 1 2 + 1 4 + 1 8 + ··· = 2Ein weiteres Beispiel einer Reihe, für die die Summe bestimmt werden kann, ist∑ n k=11k(k + 1) = 1.Wegen 1/k(k + 1) = 1/k − 1/(k + 1) hat man als Teilsummen ∑ n k=1 k(k+1)= 1 − 1/(n + 1) (Teleskopsumme).Im Grenzübergang n → ∞ folgt die angegebene Formel für die Summe.Konvergenzkriterien für Folgen übersetzen wir in solche für Reihen.11.2 Satz (Monotoniekriterium für Reihen). Eine Reihe ∑ ∞ k=0 a k mit nichtnegativen Reihengliedern,a k ≥ 0 für alle k, ist genau dann konvergent wenn ihre Teilsummen beschränkt sind.Wegen s n+1 = s n +a n+1 ≥ s n ist die Folge (s n ) n der Teilsummen monoton wachsend. Der Satzfolgt daher aus dem Monotoniekriterium für Folgen.11.3 Beispiel. Die harmonische Reihe ∑ ∞ k=1 1/k divergiert, denn die Folge ihrer Teilsummen istunbeschränkt:1 + 1 ( 12 + 3 + 1 )+ ... ≥ 1 + 1 42 + 21 4 + 41 8 + ...11.4 Beispiel. Die Reihe ∑ ∞ k=1 1/k2 konvergiert, denn ihre Reihenglieder sind ≥ 0 und wegens n = ∑ n k=11k 2 ≤ ∑ n 2k=1 k(k + 1) ≤ 2ist die Folge der Teilsummen beschränkt. Die Bestimmung des Grenzwertes ist viel schwieriger(ehemaliges Basler Problem): Euler hat bewiesen, dass ∑ ∞ k=1 1/k2 = π 2 /6.In diesen Beispielen ist der erste Summenindex einer Reihe 1 und nicht 0. Allgemeiner definiertman in naheliegender Weise Reihen ∑ ∞ k=k 0a k . Zur Vereinfachung der Schreibweise werdenwir solch allgemeinen unendlichen Reihen kurz als ∑ k a k notierenDas Cauchy-Kriterium überträgt man unmittelbar von Folgen auf Reihen.128


11.5 Satz (Cauchykriterium für Reihen). Eine Reihe ∑ k a k konvergiert genau dann, wenn gilt:∀ε > 0 ∃N ∀N ≤ m < n : |∑ n k=m a k| < εDer Nutzen dieses Satzes liegt weniger in seiner Anwendung auf konkrete Reihen als in denaus ihm folgenden praktischen Konvergenzkriterien.11.1 Folgerung. Ist eine Reihe konvergent, dann ist die Folge der Reihenglieder eine Nullfolge.Also: Ist ∑ k a k konvergent, dann gilt lim k→∞ a k = 0.Die Reihe ∑ ∞ k=0 (−1)k = 1 − 1 + 1 − 1 ± ... ist divergent.Aber: Wenn die Reihenglieder eine Nullfolge ist, muss die Reihe nicht konvergieren; diessieht man am Beispiel der harmonischen Reihe.11.6 Satz. Ist für eine Folge (a k ) k die Reihe ∑ k |a k | konvergent, dann konvergiert auch die Reihe∑ k a k .Eine Reihe ∑ k a k heißt absolut konvergent, wenn die Reihe ∑ k |a k | konvergiert. Der vorstehendeSatz kann nun so formuliert werden: Absolut konvergente Reihen sind (insbesondere)konvergent.11.7 Satz (Majorantenkriterium). Gilt |a k | ≤ b k für alle k und ist ∑ k b k konvergent, dann ist ∑ k a kabsolut konvergent.Beispiel: Die Reihe ∑ k (−1) k k −3 ist absolut konvergent, denn z.B. ist die konvergente Reihe∑ k k −2 eine Majorante.Das Majorantenkriterium mit der geometrischen Reihe als Vergleichsreihe liefert die Konvergenzaussagedes folgenden wichtigen Kriteriums. nützliche Konvergenzkriterium.11.8 Satz (Quotientenkriterium). Für eine vorgelegte Reihe seien alle Reihenglieder a k ≠ 0 undes existiere der GrenzwertL := lim k→∞∣ ∣∣∣ a k+1a k∣ ∣∣∣.Ist L < 1, dann ist die Reihe ∑ k a k absolut konvergent. Ist L > 1, dann ist die Reihe divergent. ImFalle L = 1 liefert das Kriterium keine Aussage.Beispiel: ∑ ∞ k=1 (k3 + 3k 2 )2 −k konvergiert.11.9 Satz (Wurzelkriterium). Für ein vorgelegte Reihe ∑ k a k existiere der Grenzwert√kL := lim k→∞ |ak |.Ist L < 1, dann ist die Reihe ∑ k a k absolut konvergent. Ist L > 1, dann ist die Reihe divergent. ImFalle L = 1 liefert das Kriterium keine Aussage.Beispiel: ∑ ∞ k=0 (√ k + 2 j) −k konvergiert.Das Quotienten- und das Wurzelkriterium gelten auch unter schwächeren Bedingungen, indenen die Konvergenz der Folgen (|a k+1 /a k |) k bzw. ( k √|ak |) k nicht vorausgesetzt wird.Die obigen Konvergenzkriterien betreffen absolute Konvergenz. Bei alternierenden Reihenkann (normale) Konvergenz vorliegen, ohne dass diese auch absolut ist.29


11.10 Satz (Leibniz’sches Konvergenzkriterium). Sei (a k ) k eine monoton fallende Nullfolge mita k ≥ 0 für alle k. Dann konvergiert die alternierende Reihe ∑ k (−1) k a k .Der Beweis beruht auf folgender Beobachtung über die Teilsummen:s 2n−1 ≤ s 2n+1 ≤ s 2n+2 ≤ s 2n .Die monotonen Teilfolgen (s 2n ) n und (s 2n−1 ) n sind beschränkt und konvergieren. Da (a k ) k eineNullfolge ist haben sie denselben Grenzwert s; dieser ist die Summe der Reihe. Man erhältfolgende nützliche Abschätzung für den Fehler, den man begeht, wenn man die Summe s durcheine Teilsumme ersetzt:s 2n−1 ≤ s ≤ s 2n .Beispiel: ∑ ∞ k=1 (−1)k /k konvergiert. Die Konvergenz ist nicht absolut, denn die harmonischeReihe ∑ ∞ k=1 1/k divergiert.Die Rechengesetze für Folgen überträgt man sinngemäß auf Reihen, z.B.∑ k(a k + b k ) = ( ∑ ka k)+(∑k a k), ∑ kca k = c∑ ka k .Das Produkt zweier Reihen kann allerdings nicht einfach durch komponentenweise Multiplikationgebildet werden. Dies macht man sich etwa wie folgt klar:(a 0 +a 1 + a 2 + ...)(b 0 + b 1 + b 2 + ...)= a 0 b 0 + (a 0 b 1 + a 1 b 0 ) + (a 0 b 2 + a 1 b 1 + a 2 b 0 ) + ...11.11 Satz (Cauchyprodukt von Reihen). Seien ∑ ∞ k=0 a k und ∑ ∞ k=0 b k absolut konvergente Reihen.Setzec n = ∑ n k=0 a kb n−k .Dann ist ∑ ∞ k=0 c k absolut konvergent mit Summe∑ ∞ k=0 c k = ( ∑ ∞ k=0 a k)( ∞∑ k=0 b )k .Man beachte, dass hier die absolute Konvergenz der Reihen vorausgesetzt wird.Beispiel: ∑ ∞ k=0 (k + 1)zk = ( ∑ ∞ k=0 zk) 2 = (1 − z) −2 , wenn |z| < 1.12 Die ExponentialreiheDie Exponentialreihe ∑ ∞ k=0 zk /k! ist eine der wichtgsten Reihen. Sie definiert nicht nur die Exponentialfunktion,sondern auch die trigonometrischen Funktionen. Mit dem Quotientenkriteriumsieht man ein, dass diese Reihe für jedes z ∈ C absolut konvergiert.12.1 Satz (über die komplexe Exponentialfunktion). Die komplexe Exponentialfunktionerfüllt exp(0) = 1 und das AdditionsheoremAußerdem gilt exp(¯z) = exp(z).exp : C → C, exp(z) := ∑ ∞ k=0z kk! ,exp(z + w) = exp(z)exp(w) für z,w ∈ C. (7)30


Wir beweisen (7). Mit dem (wegen absoluter Konvergenz anwendbaren!) Cauchy-Produkt undmit dem Binomialtheorem haben wir:(exp(z)exp(w) = ∑ ∞ z k )(k=0 k!∑ ∞ w k ) (=k=0 k!∑ ∞ n=0 ∑ n z k w n−k )k=0 k! (n − k)!( )= ∑ ∞ 1 nn=0 n! ∑n z k w n−k =k=0 k∑ ∞ 1n=0 n! (z + w)n = exp(z + w).Die Exponentialfunktion hat nie den Wert 0, denn wegen exp(z)exp(−z) = exp(0) = 1 gilt:exp(z) ≠ 0,(exp(z)) −1 = exp(−z).Ist z reell, dann ist z = ¯z und aus der letzten Aussage des Satzes folgt, dass auch exp(z) reell ist.Wir erhalten die reelle ExponentialfunktionR → R,x ↦→ exp(x) = ∑ ∞ k=0 xk /k!.Für x > 0 sind alle Reihenglieder positiv, daher gilt exp(x) > 1 + x > 1 falls x > 0 ist. Wegenexp(x) = 1/exp(−x) folgt, dass die reelle Exponentialfunktion nur positive Werte annimmt. DieEuler’sche Zahl ist wie folgt gegeben:e := exp(1) = ∑ ∞ 1/k! = 2,71828...k=0Aus (7) ergibt sich e n = exp(n) für n ∈ Z und m√ e = exp(1/m) für m ∈ N. Dies rechtfertigt die beider reellen Exponentialfunktion übliche Potenzschreibweise e x := exp(x) mit den Eigenschaftene 0 = 1 und e x+y = e x e y . Wenn x keine rationale Zahl ist, also kein Bruch ganzer Zahlen, dann iste x nur als Grenzwert der Exponentialreihe zu verstehen.Beispiel: e√2= exp( √ 2) = 1 + √ 2 + ( √ 2) 2 /2! + ...Die reelle Exponentialfunktion ist streng monoton wachsend, d.h. es giltx < y =⇒ e x < e y ,denn e y = e x e y−x und e y−x > 1 weil y − x > 0.Die reelle Exponentialfunktion beschreibt Wachstums- und Abklingvorgänge. Beispiel: DerLadestrom eines Kondensators C bei Aufladung über einen Ohm’schen Widerstand R mit konstanterLadespannung U ist i(t) = Ie −t/τ , wobei I = U/R und τ = RC. Man nennt τ die Zeitkonstante.Zum Zeitpunkt t = 6τ beträgt der Ladestrom nur noch etwa 0,25% des Ladestromsi(0) = I zu Beginn der Aufladung, denn i(6τ) = Ie −6 = 0,0025I.Wichtig ist auch folgende Darstellung:e x = lim n→∞(1 + x n) n.Wir benutzen auch für komplexes Argument die Potenzschreibweise, also e z = exp(z) fürz ∈ C. Welche Bedeutung hat die Exponentialfunktion für nichtreelles Argument? Für rein imaginäreArgumente gilt(ejt ) −1 = e− jt = e jt , |e jt | = 1, wenn t ∈ R.31


Die Einschränkung der Exponentialfunktion auf die imaginäre Achse durchläuft die Einheitskreisliniegegen den Uhrzeigersinn. Auf Euler geht die Einsicht zurück, dass folgender Zusammenhangzwischen der e-Funktion und dem Sinus und Cosinus besteht:d.h. cos(t) ist der Realteil und sin(t) der Imaginärteil von e jt :e jt = cos(t) + j sin(t), t ∈ R, (8)cost = Ree jt = 1 2(e jt + e − jt) ,sint = Ime jt = 1 2 j(e jt − e − jt) .Die Additionstheoreme für Sinus und Cosinus sind äquivalent zu der kompakteren Formel e j(s+t) =e js e jt . Die komplexe Exponentialfunktion kann also allein durch die reelle Exponentialfunktionund die trigonometrischen Funktionen ausgedrückt werden:exp(z) = e x( cos(y) + j sin(y) ) ,z = x + jy.Die Polardarstellung einer komplexen Zahl z mit Radius r = |z| > 0 und Winkel ϕ hat folgendekompakte Form: z = re jϕ . Hervorzuheben sind folgende Werte:e 2π j = 1, e π j = −1, e π j/2 = j.Produkte, Potenzen und Wurzeln sind bei Verwendung der Polardarstellung bequem angebbar.12.2 Beispiel.(1 + j) 14 (1 + √ 3 j) 7 = (√ 2e π j/4) 14(2eπ j/3 ) 7 = 2 14 e π j(7/2+7/3) = −2 14 5π j/6eKomplexe Rechnung ist nützlich bei der Behandlung von Überlagerungen von Schwingungen:12.3 Beispiel. Eine Überlagerung gleichfrequenter Schwingungen kann so aussehen:A 1 cos(ωt + α 1 ) + A 1 cos(ωt + α 1 ) = Acos(ωt + α),wobei die Amplituden und die Phasen reelle Zahlen sind. Zweckmäßig ist es, zuerst mit derkomplexen Darstellung zu rechnen:A 1 e j(ωt+α 1) + A 2 e j(ωt+α 2) = (A 1 e jα 1+ A 2 e jα 2)e jωt = Ae jα e jωt = Ae j(ωt+α) .Durch Übergang zu Realteilen gewinnt anschließend die Darstellung über den Cosinus.Nimmt man den Real- und den Imaginärteil der Exponentialreihe für exp( jt), dann erhält manReihendarstellungen für den Cosinus und den Sinus:cost = ∑ ∞ k=0 (−1)kt2k(2k)! , sint = ∑ ∞ t 2k+1k=0 (−1)k (2k + 1)! .Die ersten Glieder der Sinusreihe sindsint = t −t 3 /3 +t 5 /5! −t 7 /7! ± ...Abbildung 2 zeigt die Sinusfunktion und einige Teilsummen s 2n+1 (t) = ∑ n k=0 (−1)kSinusreihe.t2k+1(2k+1)! der32


Abbildung 2: Sinus und Teilsummen der Sinusreihe13 Stetigkeit. FunktionengrenzwerteExistiert der Grenzwertg := lim n→∞ sin(e n√ 13 ) = ...?Wir wissen, das limn√n→∞ 13 = 1 gilt. Können wir schließen, dass der obige Grenzwert existiertund durch Einsetzen gewonnen wird? — Ja, denn die Funktion x ↦→ sin(e x )) ist stetig, und dahergilt g = sin(e 1 ) = sine.Sei f : D → C eine Funktion mit Definitionsbereich D ⊆ C. Ist z ∈ D, dann heißt f stetig in z,wenn für jede Folge (z j ) j in D, die gegen z konvergiert, auch die Bildfolge ( f (z j )) j gegen f (z)konvergiert, kurz:z = lim z j =⇒ f (z) = lim f (z j )j→∞ j→∞oder noch kürzer:f (limj→∞z j ) = limj→∞f (z j ).Man sagt, dass f stetig ist, wenn f in jedem Punkt seines Definitionsbereiches D stetig ist.13.1 Beispiele. Die folgenden Funktionen sind stetig.(i) Die Exponentialfunktion exp : C → C, z ↦→ e z . Es genügt, die Stetigkeit im Nullpunkt zuzeigen, und diese folgt aus der für |z| ≤ 1 gültigen Ungleichung |e z − 1| ≤ e|z|.(ii) Die reelle Exponentialfunktion R → R, x ↦→ e x .(iii) Sinus und Cosinus.(iv) Polynomfunktionen, z.B. f (x) = 2x 5 − 5x 2 + 1.(v) Die Betragsfunktion z ↦→ |z|.(vi) Die Real- und Imaginärteilfunktionen Re,Im : C → R.33


13.2 Beispiele. Die folgenden Funktionen sind nicht stetig.(i) Die Heaviside’sche Sprungfunktion H : R → R,{1, wenn x ≥ 0,H(x) =0, wenn x < 0ist (im Nullpunkt) nicht stetig, dennlim H(−1/n) = 0 ≠ 1 = H(0) = lim H(1/n).n→∞ n→∞(ii) Die Stufenfunktion x ↦→ [x], wobei [x] die größte ganze Zahl ≤ x ist, ist in Z unstetig.(iii) Die Funktion f : R → R mit f (x) = sin(1/x) für x ≠ 0 und f (0) = 0 ist im Nullpunktunstetig.13.3 Satz (Nullstellensatz). Eine stetige Funktion f : [a,b] → R, die ihr Vorzeichen wechselt,hat (mindestens) eine Nullstelle in [a,b].Ein (strikter) Vorzeichen wechsel liegt vor, wenn f (a) f (b) < 0 gilt. Für unstetige Funktionenmuss die Aussage des Satzes nicht gelten. I.W. äquivalent zu dem Nullstellensatz ist derZwischenwertsatz.13.4 Satz (Zwischenwertsatz). Sei I ⊆ R ein Intervall und f : I → R stetig. Dann ist J := f (I)ein Intervall.Um die Aussage des Zwischenwertsatzes besser zu verstehen, beweisen wir ihn unter Voraussetzungdes Nullstellensatzes. Seien y 1 ,y 2 ∈ J, y j = f (x j ), und y 0 ∈ R mit y 1 < y 0 < y 2 gegeben.Es ist zu zeigen, dass es ein x 0 ∈ I mit y 0 = f (x 0 ) gibt, d.h., dass y 0 der Wert von f an einer Zwischenstelleist. Sei [a,b] das Intervall mit den Endpunkten x 1 und x 2 . Die Funktion g : [a,b] → R,g(x) = f (x)−y 0 ist stetig, da f stetig ist. Sie wechselt ihr Vorzeichen im Intervall, hat daher eineNullstelle x 0 . Für diese gilt f (x 0 ) = y 0 .Den Nullstellensatz beweist man wie folgt mit dem sogenannten Bisektionsverfahren (Intervallhalbierung).Es wird eine Intervallschachtelung[a,b] =: [a 0 ,b 0 ] ⊇ [a 1 ,b 1 ] ⊇ [a 2 ,b 2 ] ⊇ ...gefunden derart, dass in jedem Intervall ein Vorzeichenwechsel vorliegt und dass sich die Intervalllängehalbiert. Genauer: Wir nehmen an, dass f (a k ) ≤ 0 ≤ f (b k ) gilt. Dann betrachten wirden Funktionswert im Mittelpunkt m = (a k + b k )/2. Ist f (m) < 0, dann setzen wir a k+1 = mund b k+1 = b k ; anderenfalls setzen wir a k+1 = a k und b k+1 = m. Die Folge (a k ) k ist monotonwachsend und beschränkt; sie konvergiert also gegen eine Zahl α = lim k→∞ a k . Die Folge (b k ) kist monoton fallend und beschränkt; sie konvergiert also gegen eine Zahl β = lim k→∞ a k . Wegen0 ≤ b k+1 − a k+1 = 1 2 (b k − a k ) = ... = 2 −k−1 (b − a)gilt lim k→∞ (b k − a k ) = 0, also x 0 := α = β. Da f in x 0 stetig ist, giltlim k→∞ f (a k ) = f (x 0 ) = lim k→∞ f (b k ).34


Die links stehende Grenzwert ist ≤ 0, denn f (a k ) ≤ 0 nach Konstruktion. Entsprechend folgt,dass der rechts stehende Grenzwert ≥ 0 ist. Folglich ist f (x 0 ) = 0, womit die Existenz einerNullstelle bewiesen ist.Das obige Verfahren zur Nullstellensuche ist auf einem Rechner durchführbar; es konvergiertsicher, ist aber vergleichsweise langsam. Effizientere Verfahren sind das Sekantenverfahren unddas Newton’sche Verfahren.Summen, Produkte und Verkettungen stetiger Funktionen sind ebenfalls stetig. Dies gilt auchfür Quotienten, wenn der Nenner nullstellenfrei ist.Beispiele stetiger Funktionen sind f (x) = 4x 3 exp(3xsin 2 (x))) auf R und der Cotangens cotx =cosx/sinx auf R \ πZ.Die Quadratwurzelfunktion [0,∞[→ [0,∞[, x ↦→ √ x ist die Umkehrfunktion der Quadratfunktion[0,∞[→ [0,∞[, x ↦→ x 2 . Letztere ist stetig; Erstere auch? — Ja, denn es gilt:13.5 Satz (Stetigkeit der Umkehrfunktion). Sei I ⊆ R ein Intervall. Sei f : I → R stetig undstreng monoton. Dann ist die Umkehrfunktion f −1 : J → I stetig. Hier ist J das Intervall f (I).Weitere Beispiele stetiger Umkehrfunktionen: Arcuscosinus, Arcustangens, Logarithmus (nächstesKapitel).Grenzwerte einer Funktion f bei einer Stelle a; Definitionen vonlim f (x),x→alim f (x),x↑alim f (x).x↓aBeispiel: Aus sinx ≤ x ≤ tanx für x > 0 folgt nach Umstellung mit der Stetigkeit des Cosinusund mit dem Einschließungskriterium:sinxlim = 1.x↓0 xEs ist zweckmäßig auch ∞ und −∞ als Grenzwerte zuzulassen. Dies führt auf die Definitionuneigentlicher Grenzwerte. Man hat dann beispielsweiselimn→∞ n2 = ∞,1limx↑0 x = −∞,lim exp(x) = 0.x↓−∞14 Logarithmus. Allgemeine PotenzenDie reelle e-Funktion bildet R bijektiv auf die positive Halbachse ]0,∞[ ab. Die Umkehrfunktionist stetig, sie heißt natürlicher Logarithmus:Eigenschaften:Zahlenbeispiele:ln :]0,∞[→ R, y = lnx ⇐⇒ x = e y .ln1 = 0, lne = 1, ln(xy) = ln(x) + ln(y), ln(x n ) = nln(x).35


Was versteht man unter einer Potenz a x zu einer Basis a? Für x = 2 und andere ganze Zahlenx ist dies klar. Aber was ist etwa π π ? Potenzen zu allgemeinen Basen a > 0 werden über die(reelle) Exponentialfunktion und den natürlichen Logarithmus definiert:Es geltena x := exp(xlna) = ∑ ∞ k=01k! (xlna)k .a 0 = 1, a 1 = a, a x+y = a x a y .Für n ∈ N ist a n dann das n-fache Produkt von a mit sich selbst. Im Beispiel7 2 =∞∑k=01k! (2ln7)kwird man den Wert 49 nicht über die Sumation der Reihe bestimmen wollen. Im Falleπ π =∞∑k=01(π lnπ)kk!muss aber die Reihe verwenden.Logarithmus zu einer Basis a > 0 ist definiert durchy = log a x ⇐⇒ x = a y .Die Logarithmusfunktionen zu verschiedenen Basen unterscheiden sich nur durch einen Faktor,z.B. giltlog a x = lnxlna .15 Grundlagen der DifferentialrechnungDas Differenzieren von Funktionen wird benutzt, um Bewegungen in der Mechanik, Veränderungenelektromagnetischer Felder, Steigungen von Tangenten u.v.A.m. zu beschreiben.Liegt ein Weg-Zeit-Gesetz s = s(t) einer eindimensionalen Bewegung vor, dann ist ∆s :=s(t) − s(t 0 ) die in der Zeitspanne ∆t := t −t 0 zurückgelegte Wegstrecke. Den Quotienten ∆s/∆tversteht man als eine Durchschnittsgeschwindigkeit. Die Momentangeschwindigkeit zum Zeitpunktt 0 definiert man als folgenden Grenzwert der Durchschnittsgeschwindigkeiten:∆sv(t 0 ) := limt→t0 ∆t = lim s(t) − s(t 0 ).t→t 0 t −t 015.1 Definition. Eine Funktion f : I → R auf einem Intervall I ⊆ R heißt differenzierbar inx 0 ∈ I, wenn der Grenzwertf ′ f (x) − f (x 0 )(x 0 ) := limx→x0 x − x 0existiert. Man nennt dann den Grenzwert f ′ (x 0 ) die Ableitung von f bei x 0 . Ist f in jedem Punktvon I differenzierbar, dann heißt f differenzierbar in I. In diesem Fall definieren die Ableitungeneine Funktion f ′ : I → R, die Ableitung von f .36


Für die Ableitung einer Funktion y = f (x) sind verschiedene Schreibweisen üblich:f ′ (x) = dfdx = dydx .Die Ableitung einer Funktion y = f (x) hat folgende geometrische Bedeutung: a := f ′ (x 0 ) istdie Steigung der Tangente, die den Graphen der Funktion im Punkt (x 0 ,y 0 ), y 0 := f (x 0 ) berührt.Die Tangente selbst is durch die Gerade mit der Gleichungy = ax + b, a = f ′ (x 0 ), b = y 0 − ax 0gegeben. Der Schnittwinkel α der Tangente errechnet sich aus der Tangentensteigung a gemäßa = tanα.15.2 Beispiele. Folgende Funktionen y = f (x) sind differenzierbar mit den angegebenen Ableitungen.(i) (ax + b) ′ = a; speziell ist die Ableitung konstanter Funktionen Null.(ii) (x 2 ) ′ = 2x, denn x2 − x02 = x + x 0 −→ 2x 0 .x − x 0x→x0(iii) (sinx) ′ = cosx und (cosx) ′ = −sinx. Dies folgt aus Folgerungen der Additionstheoremeund der Stetigkeit von Sinus und Cosinus.(iv) (e x ) ′ = e x . Mit einer Abschätzung der Exponentialreihe erhält man zunächst∣ ex − 1− 1 ∣ ≤ e|x| für |x| ≤ 1,xdaraus folgen lim x→0 (e x − 1)/x = 1 und schließliche x − e x 0lim = e x e x−x 0− 10lim = e x 0.x→x 0 x − x 0 x−x 0 →0 x − x 015.3 Satz. Differenzierbare Funktionen sind stetig.Dies folgt aus(lim f (x) = lim f (x 0 ) + f (x) − f (x )0)· (x − x 0 )x→x 0 x→x0 x − x 0= f (x 0 ) + f ′ (x 0 ) · 0 = f (x 0 ).Umgekehrt muss eine stetige Funktion aber nicht differenzierbar sein. Ein Beispiel hierfürist die Betragsfunktion x ↦→ |x|; diese ist überall stetig, aber im Nullpunkt nicht differenzierbar.Weierstraß hat eine stetige Funktion f : R → R angegeben, die in keinem Punkt differenzierbarist!Sind f ,g : I ⊆ R → R differenzierbare Funktionen, dann sind f + g und f g differenzierbarund für die Ableitungen gelten folgende Rechenregeln:Linearität ( f + g) ′ = f ′ + g ′ und (α f ) ′ = α f ′ wenn α ∈ R.Beispiel: (3x 2 + e x ) ′ = 3(x 2 ) ′ + (sinx) ′ = 6x + cosx.Produktregel ( f g) ′ = f ′ g + f g ′ . Beispiel: (x 2 sinx) ′ = 2xsinx + x 2 cosx.37


( ) f ′Quotientenregel = f ′ g − f g ′. Beispiel:gg 2(tanx) ′ =( ) sinx ′= cos2 x + sin 2 xcosx cos 2 = (cosx) −2 .xDie Formel (x n ) ′ = nx n−1 zeigt man mit vollständiger Induktion über n; dabei beweist man mitfolgender Anwendung der Produktregel den Induktionsschritt:(x n+1 ) ′ = (x · x n ) ′ = x ′ · x n + x · (x n ) ′ = x n + x · nx n−1 = (n + 1)x nDie Verkettung stetiger Funktionen ist stetig. Ist die Verkettung differenzierbarer Funktionendifferemzierbar?15.4 Satz (Kettenregel). Seien f : I → R und g : J → R differenzierbare Funktionen auf IntervallenI,J ⊆ R. Es gelte f (I) ⊆ J. Dann ist g ◦ f : I → R, x ↦→ g( f (x)) differenzierbar, und fürdie Ableitung dieser Verkettung gilt(g ◦ f ) ′ (x) = g ′ (z) f ′ (x) wobei z = f (x).Somit ist die Ableitung der Verkettung das Produkt der Ableitung der äußeren Funktion (hierg) und der Ableitung der inneren Funktion (hier f ).Beispiel: (sinx 2 ) ′ = (cosx 2 ) · 2xEine Funktion g heißt Umkehrfunktion für f , wenn (g ◦ f )(y) = y und ( f ◦ g)(x) = x gelten.Man schreibt f −1 für die Umkehrfunktion g. Sind f und g differenzierbar, dann folgt mit derKettenregel f ′ (g(x))g ′ (x) = x ′ = 1, und somit g ′ (x) = 1/ f ′ (g(x)), wenn f ′ nirgends Null ist.15.5 Satz (Ableitung der Umkehrfunktion). Sei f : I → R differenzierbar auf dem Intervall I. Esgelte f ′ (x) ≠ 0 für alle x ∈ I. Dann existiert die Umkehrfunktion f −1 : J → I auf dem BildintervallJ := f (I), und diese ist differenzierbar mit Ableitung( f −1 ) ′ (x) = 1f ′ (y)wobei x = f (y).15.6 Beispiele. Mit Hilfe dieses Satzes erhält die Differenzierbarkeit und Formeln für die Ableitungenfolgender Funktionen.(i) ( √ x) ′ = 1/2 √ x, wenn x > 0.(ii) (lnx) ′ = 1/x, wenn x > 0.(iii) (arcsinx) ′ = 1/ √ 1 − x 2 , wenn |x| < 1.(iv) (arctanx) ′ = 1/(1 + x 2 ).Die allgemeinen Potenz- und Exponentialfunktion sind durch die natürliche Exponentialfunktionund den natürlichen Logarithmus wie folgt gegeben:y = x a = e alnx bzw. y = a x = e xlna .Ihre Ableitungen berechnet man hieraus mit der Kettenregel:(x a ) ′ = ax a−1 , (a x ) ′ = (lna)a x .38


Ist f : I → R differenzierbar, dann heißt f zweimal differenzierbar, wenn die Ableitungf ′ : I → R differenzierbar, und man nennt dann die Funktion f ′′ : I → R, x ↦→ ( f ′ ) ′ (x) die zweiteAbleitung von f . Entsprechend definiert man n-malige Differenzierbarkeit und die n-te Ableitungrekursiv wie folgt:f (n) = ( f (n−1)) ′ , f (1) = f ′ .Beispiele: (cosx) ′′ = −cosx, (x n ) (n) = n!.16 Der Mittelwertsatz und FolgerungenViele Eigenschaften differenzierbarer Funktionen basieren auf folgendem grundlegenden Satz.16.1 Satz (Mittelwertsatz (MWS)). Sei f : [a,b] → R differenzierbar. Dann gibt es eine Stelle z,a < z < b, für die giltf (b) − f (a)= f ′ (z).b − aEs kann mehr als einen solche Zwischenstelle z geben. Über den genauen Wert über solchenStellen macht der Satz keine Aussage. In den nachfolgenden Anwendungen würde ein solcherZahlenwert unwichtig sein.Sei f : I → R differenzierbar, I ⊆ R ein Intervall16.1 Folgerung. Ist f ′ = 0, dann ist f konstant.16.2 Folgerung. Ist f ′ = f , dann gilt f (x) = Ce x mit einer Konstanten C.Man rechnet nach, dass ( f (x)e −x ) ′ = 0 gilt. Folglich ist f (x)e −x konstant.16.3 Folgerung. Gilt f ′ (x) > 0 für alle x ∈ I, dann ist f streng monoton wachsend.Seien x 1 ,x 2 ∈ I mit x 1 < x 2 . Nach dem MWS existiert ein z ∈ I, sodassf (x 2 ) − f (x 1 ) = f ′ (z)(x 2 − x 1 ) > 0.Die Ungleichung folgt aus f ′ (z) > 0 und x 1 < x 2 .16.2 Beispiele. Durch Differenzieren kann man Monotoniebereiche von Funktionen bestimmen.(i) Exponentialfunktion und natürlicher Logarithmus sind streng monoton wachsend.(ii) y = sinx ist streng monoton wachsend im Intervall ] − π/2,π/2[ und streng monoton fallendim Intervall ]π/2,3π/2[, denn cosx = (sinx) ′ ist in diesen Intervallen positiv bzw.negativ.(iii) y = x x ist streng monoton wachsend für 1/e < x und streng monoton fallend für 0 < x


Abbildung 3: Die Funktion y = x x .falls g(a) ≠ 0 ist. Ist g(a) = 0 aber f (a) ≠ 0, dann erhält man einen uneigentlichen Grenzwert ∞oder −∞. Im Falle einer 0/0-Situation, d.h., wenn f (a) = 0 = g(a) gilt, dann kann der Grenzwert– falls vorhanden – so nicht bestimmt werden. In diesem Fall liefert die Differentialrechnungfolgende nützliche Methode zur Grenzwertbestimmung.16.3 Satz (Regel von de l’Hospital). Seien f ,g :]a,b[→ R differenzierbar, g(x) ≠ 0 und g ′ (x) ≠ 0für a < x < b. Außerdem gelte lim x↓a f (x) = 0 und lim x↓a g(x) = 0. Dann giltvorausgesetzt der Grenzwert auf der rechten Seite existiert.f (x)limx↓a g(x) = lim f ′ (x)x↓a g ′ (x) , (9)Diese Regel folgt aus dem Verallgemeinerten MWS, welcher besagt, dass es zu x 1 < x 2 eineZwischenstelle z ∈]x 1 ,x 2 [ gibt mitf (x 2 ) − f (x 1 )g(x 2 ) − g(x 1 ) = f ′ (z)g ′ (z) .Für g(x) = x ist dies genau der eingangs formulierte Mittelwertsatz.40


Beweis von Satz 16.3. Zum Beweis der Formel (9) bezeichne γ den Grenzwert der rechten Seitein (9). Sei ε > 0 gegeben. Es ist zu zeigen, dass es ein δ > 0 gibt derart, dass | f (x)/g(x)−γ| ≤ εgilt, wenn a < x < a + δ. Nach Definition von γ existiert ein δ > 0, sodassf ′ ∣(z) ∣∣∣∣ g ′ (z) − γ ≤ ε wenn a < z < a + δ.Fixiere nun ein beliebiges x ∈]a,a + δ[. Setze x n = a + (x − a)/2n. Nach dem verallgemeinertenMWS gibt es z n ∈]a,x[ mitf (x) − f (x n )g(x) − g(x n ) = f ′ (z n )g ′ (z n ) .Folglich haben wir für alle n ∈ N:∣ f (x) − f (x n ) ∣∣∣∣ g(x) − g(x n ) − γ ≤ ε.Wegen lim n f (x n ) = 0 und lim n g(x n ) = 0 folgt mit den Rechenregeln für Grenzwerte∣ f (x) ∣∣∣∣ g(x) − γ ≤ ε,was zu zeigen war.Die Regel von de l’Hospital gilt natürlich auch für linksseitige Grenzwerte; sie gilt auch fürx → ∞ oder x → −∞. Ferner gilt die Regel auch, wenn g(x) gegen ∞ oder −∞ konvergiert. Diede l’Hospital’sche Regel muss gegebenenfalls mehrmals angewendet werden, bis ein Grenzwertbestimmt ist.16.4 Beispiele. Hier sind einige Grenzwertberechungen mit der de l’Hospital’schen Formel.Man beachte, dass die Voraussetzungen für die Anwendung der Formel in jedem Beispiel erfülltsind.(i) limx→1lnxx 2 − 1 = limx→11/x2x = 1 21 − cosx(ii) Zweimalige Anwendung von (9): limx→0 x 2lnx(iii) limxlnx = limx↓0 x↓0 1/x = lim 1/xx↓0 −1/x 2 = 0lnx(iv) Für b > 0: limx↓∞ x b = lim 1/x 1= limx↓∞ bxb−1 x↓∞ bx b = 017 Extremwertaufgabensinx= limx→0 2x = lim cosx= 1x→0 2 2Wir betrachten wieder eine Funktion f : I → R, die auf einem Intervall I ⊆ R definiert ist. EineStelle x 0 ∈ I heißt eine (globale) Maximumstelle für f , wenn f (x) ≤ f (x 0 ) gilt für alle x ∈ I;x 0 heißt eine lokale Maximumstelle für f , wenn es ein δ > 0 gibt, sodass f (x) ≤ f (x 0 ) giltfür alle x ∈ I mit |x − x 0 | < δ. Globale Maximumstellen sind auch lokale Maximumstellen; dieUmkehrung hiervon gilt jedoch nicht. Analog definiert man Minimumstellen. Extremstelle istder Sammelbegriff für Maximum- oder Minimumstelle. Die Differentialrechnung ermöglichtdie Bestimmung lokaler Extremstellen.41


17.1 Satz. Sei f :]a,b[→ R differenzierbar. Liegt in x 0 ∈]a,b[ eine lokale Extremstelle vor, dannist f ′ (x 0 ) = 0.Begründung: Ist etwa x 0 eine lokale Maximumstelle, dann ist der Differenzenquotientf (x) − f (x 0 )x − x 0≤ 0 wenn x > x 0 und ≥ 0, wenn x < x 0 .Da die Ableitung f ′ (x 0 ) (= Limes der Differenzenquotienten) existiert, muss dieser ≤ 0 und ≥ 0sein; folglich f ′ (x 0 ) = 0.Warum lässt man im Satz keine Intervalle der Gestalt [a,b] zu?Mit Hilfe der zweiten Ableitung erhält man auch hinreichende Bedingungen für die Existenzlokaler Exstremstellen.17.2 Satz. Sei f :]a,b[→ R zweimal differenzierbar mit stetiger zweiter Ableitung. Sei x 0 ∈]a,b[gegeben mit f ′ (x 0 ) = 0 und f ′′ (x 0 ) > 0. Dann liegt in x 0 eine lokale Minimumstelle für f vor.(Entsprechend liegt im Fall f ′′ (x 0 ) < 0 eine lokale Maximumstelle vor.)Einen Beweis erhält man mit einer Anwendung des folgenden Spezialfalls der Taylorformel,die wir erst später behandeln werden:f (x) = f (x 0 ) + f ′ (x 0 )(x − x 0 ) + 1 2 f ′′ (z)(x − x 0 ) 2gilt mit einer geeigneten Stelle z, die zwischen x 0 und x liegt.Man kann mit Hilfe dieser Sätze Extremstellen von Funktionen bestimmen oder Extremwertaufgabenlösen.17.3 Beispiel. Ein rechteckiges Blech mit Kantenlängen 16 und 6 Meter sei das Ausgangsmaterialdafür, einen quaderförmigen, nach oben offenen Behälter zu formen. Welches Fassungsvermögenkann der Behälter maximal haben? Wie hoch ist ein solcher Behälter? Die Höhe inMeter werde mit x > 0 bezeichnet. Das Volumen V = V (x) in Kubikmeter des Behälters undseine ersten Ableitungen nach x sind:V (x) = (16 − 2x)(6 − 2x)x = 4x 3 − 44x 2 + 96x,V ′ (x) = 12x 2 − 88x + 96,V ′′ (x) = 24x − 88.Die Nullstellen x 1,2 der Ableitung sind die Lösungen der quadratischen Gleichung x 2 − 22x/3 +8 = 0, also x 1 = 6 und x 2 = 4/3. Offenbar ist nur x 2 weiter zu betrachten. Wegen V ′′ (x 2 ) < 0liegt eine (lokale und globale) Maximumstelle vor. Bei einer Höhe von 4/3 Metern wird dasmaximale Fassungsvermögen von V max = 128 Kubikmeter erreicht.18 Das bestimmte IntegralDen Flächeninhalt einer krummlinig begrenzten Figur approximiert man durch Summen vonRechteckflächen (Ausschöpfungsprinzip). Der Subgraph einer nichtnegativen Funktion f : [a,b] →R ist die MengeS( f ) := {(x,y) ∈ R 2 ; a ≤ x ≤ b, 0 ≤ y ≤ f (x)}.42


Ihren Flächeninhalt nähert man etwa durch Riemannsummen an:F ≈ ∑ N k=1 y k(x k − x k−1 ), (10)wobei a = x 0 < x 1 < x 2 < ··· < x N = b eine Zerlegung Z des Intervalles [a,b] ist und y k =f (z k ) Zwischenwerte der Funktion sind für x k−1 ≤ z k ≤ x k . Sind die y k die Maxima von f inden Teilintervallen [x k−1 ,x k ], dann heißt die Riemannsumme in (10) die zur Zerlegung gehörigeObersumme O( f ,Z). Sind die y k dagegen die Minima, dann spricht man von der UntersummeU( f ,Z). Die Untersumme unterschätzt den Flächeninhalt, die Obersumme überschätzt ihn:U( f ,Z) ≤ F ≤ O( f ,Z).Für „gutartige“ Funktionen f erwartet man, dass für jede vorgebene Toleranz ε > 0 eine hinreichendfeine Zerlegung Z des Intervalls [a,b] gefunden werden kann, sodass 0 ≤ O( f ,Z) −U( f ,Z) ≤ ε gilt. Solche Funktionen heißen Riemann-integrierbar und der gemeinsame Grenzwertder Ober- bzw. Untersummen heißt das bestimmte (oder Riemann’sche) Integral von f :∫ bf (x) dx := lim Z O( f ,Z) = lim Z U( f ,Z).aFür die Definition des Integrals ist die Voraussetzung f ≥ 0 nicht notwendig. Allerdings ist nurim Fall f ≥ 0 das bestimmte Integral auch der Flächeninhalt F. Im Allgemein gibt ist das Integraldie Differenz zweier Flächeninhalte.18.1 Satz. Jede stetige Funktion f : [a,b] → R ist integrierbar.Der Beweis dieses Satzes beruht auf der Tasache, dass f sogar gleichmäßig stetig auf demkompakten Intervall [a,b] ist, d.h. für jedes ε > 0 gibt es ein δ > 0, sodass gilt:Hieraus folgt nämlich, dass|x 1 − x 2 | ≤ δ =⇒ | f (x 1 ) − f (x 2 )| ≤ ε.O( f ,Z) −U( f ,Z) ≤ ε falls δ(Z) := max(x k − x k−1 ) ≤ δ.kMan nennt δ(Z) die Feinheit von Z. Die Feinheit ist die maximale Länge der Teilintervalle.18.2 Beispiele. In einigen Fällen kann man Integrale über Ober- und Untersummen berechnen.(i) ∫ ba 1 dx = b − a, denn alle Ober- und Untersummen sind gleich der Länge des Intervalls.(ii) Zur Berechnung von ∫ 10 x dx zerlegt man [0,1] in N Intervalle gleicher Länge. Die Zerlegungspunktesind x k = k/N. Für die Ober- und Untersummen hat manO( f ,Z N ) = ∑ N k 1k=1 N N = N−2 ∑ N k=1 k = 1 N−2 N(N + 1),2U( f ,Z N ) = ∑ N k − 1 1k=1 N N = ··· = 1 N−2 N(N − 1).2Für N → ∞ konvergieren die Summen gegen den Grenzwert ∫ 10 x dx = 1 2. Allgemeiner gilt∫ ba x dx = 1 2 (b2 − a 2 ).43


(iii) Ähnlich berechnet man ∫ 10 x2 dx = 1 3 .(iv) Für ∫ 10 ex dx verwenden wir auch die obigen Zerlegungen und die Formel für geometrischeSummen:O( f ,Z N ) = ∑ N 1 k=1 ek/N N = 1 N e1/N ∑ N−1 (k=0 e1/N ) k= 1 1 − eN/Ne1/NN 1 − e 1/N = (e − 1/n1)e1/Ne 1/N − 1Für N → ∞ folgt O( f ,Z N ) → e − 1, denn lim x→0 e x x= 1 und lim x→0 e x −1= 1 (nach l’Hospital).Die Folge der Untersummen hat denselben Grenzwert; folglich ist ∫ 10 ex dx = e − 1.Für das bestimmte Integral leitet man folgende Eigenschaften und Rechengesetze her:Positivität f ≥ 0 =⇒ ∫ baf (x) dx ≥ 0Linearität ∫ ba (α f (x) + βg(x)) dx = α ∫ ba f (x) dx + β ∫ ba g(x) dx für α,β ∈ R.Beispiel: ∫ 10 (5x + 2ex ) dx = 5 ∫ 10 x dx + 2∫ 10 ex dx = 5 2 + (e − 1) = 1 2 + e.Teilintegration Seien a < b < c und f : [a,c] → R. Dann ist f über [a,c] integrierbar, wenn füber die Teilintervalle [a,b] und [b,c] integrierbar ist, und es gilt∫ c ∫ b ∫ cf (x) dx = f (x) dx + f (x) dx. (11)aabBeispiel: ∫ 2−1 |x| dx = ∫ 0−1 (−x) dx + ∫ 20 x dx = 5 2 .Mittelwertsatz der Integralrechnung Das bestimmte Integral ist gleich einer Rechteckfläche,deren Grundseite das Integrationsintervall ist und deren Höhe ein Funktionswert an einergeeigneten Zwischenstelle ist:∫ bf (x) dx = f (z)(b − a) für ein z ∈]a,b[.aAus der Regel für die Teilintegration und dem Satz über die Integrierbarkeit stetiger Funktionenfolgt, dass auch stückweise stetige Funktionen interierbar sind. Es gibt Funktionen, dienicht integrierbar sind. – Beispiele?Bisher setzen wir bei bestimmten Integralen ∫ ba f (x) dx stets a < b voraus. Es ist praktisch,auch den Fall a ≥ b durch folgende Definitionen zuzulassen:∫ aaf (x) dx := 0,∫ baf (x) dx := −∫ abf (x) dx.Damit gilt (11) für alle a,b,c ∈ R.Das bestimmte Integral tritt nicht nur bei der Berechnung von Flächeninhalten auf, sondernbeispielsweise auch bei der Bestimmung von Kurvenlängen. Man nähert den Graphen von f :[a,b] → R durch einen Polygonzug an und erhält folgende Näherung für seine Länge L:L ≈ ∑ N k=1√(x k − x k−1 ) 2 + (y k − y k−1 ) 2 = ∑ N k=1√1 + ( f ′ (z k )) 2 (x k − x k−1 ).44


Hier sind a = x 0 < x 1 < ··· < x N = b eine Zerlegung des Intervalls [a,b], y k = f (x k ), und diez k ∈]x k−1 ,x k [ sind Zwischenstellen aus dem Mittelwertsatz der Differentialrechnung:y k − y k−1x k − x k−1= f ′ (z k ).Ist f differenzierbar mit stetiger Ableitung, dann existiert der Grenzwert der Näherungen, wenndie Feinheiten gegen Null gehen. Somit istdie Länge des Graphen von f .L =∫ ba√1 + f ′ (x) 2 dx18.3 Beispiel. Das bestimmte Integral I = ∫ 21√1 + x −2 dx ist sowohl Flächeninhalt des Subgraphendes Integranden als auch die Längen des Graphen von y = lnx für 1 ≤ x ≤ 2.19 Der Hauptsatz der Differential- und IntegralrechnungDifferentiation und Integration betreffen Konzepte und Fragestellungen, die auf den ersten Blicknichts miteinander zu tun haben: einerseits Tangentensteigungen und Extremwertaufgaben, andererseitsFlächeninhalte und Längen. Ein tiefer Zusammenhang wurde im 17-ten Jahrhundertvon Barrow, Newton und Leibniz aufgedeckt. Dieser Zusammenhang wird sichtbar, wenn manden Flächeninhalt variert, indem man die obere Integrationsgrenze als eine Variable t ansieht.Dann betrachtet man die Integral- oder Flächenfunktion I zu einer gegebenen (stetigen) Funktionf :∫ tI(t) := f (x) dx.aDiese Funktion ist differenzierbar, und ihre Steigung ist I ′ (t) = f (t), dennI(t + h) − I(t)= 1 ( ∫ t+h ∫ t)f (x) dx − f (x) dx = 1 ∫ t+hf (x) dx = f (t + θh)h h aah twobei 0 < θ < 1 nach dem MWS der Integralrechnung existiert. Aus der Stetigkeit von f bei tfolgt I ′ (t) = f (t), d.h. die Integralfunktion I ist eine Stammfunktion für f .Offenbar ist I(a) = 0. Daher ist I(b)−I(a) = ∫ ba f (x) dx. Ändert man I(t) durch Addition einerKonstanten ab, so bleibt diese Formel gültig.19.1 Satz (Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung). Die Integralfunktion einer stetigenFunktion f : [a,b] → R ist eine Stammfunktion für f . Ist F irgendeine Stammfunktion für f , danngilt∫ bf (x) dx = F(b) − F(a) =: F| b a. (12)aDa F(t) und die Integralfunktion I(t) dieselbe Ableitung haben, unterscheiden sie sich nur umeine Konstante (Folgerung aus dem MWS der Differentialrechnung). Nach Obigem gilt daherdie Formel (12).45


19.2 Beispiele. Die Formel (12) erlaubt oft eine einfache Berechnung von Integralen.(i) ∫ ba 1 dx = x|b a = b − a(ii) ∫ ba xn dx = 1n+1 (bn+1 − a n+1 )(iii) ∫ 10 ex dx = e x | 1 0 = e − 1(iv) ∫ π0 sinx dx = −cosx|π 0 = 2Die Menge aller Stammfunktionen F von f nennt man das unbestimmte Integral von f undschreibt dafür ∫ f (x) dx:∫f (x) dx = F(x) +C ⇐⇒ F ′ (x) = f (x),C eine Konstante. Das Aufsuchen einer Stammfunktion („Aufleiten“) ist nach dem Hauptsatzeine Technik zur Berechnung von Integralen. Mit unserer Kenntnis von speziellen Ableitungenkönnen wir eine einfache Tabelle von Grundintegralen aufstellen:∫f (x)f (x) dx∫ 2x a (a ≠ −1)1xa x (a > 0,a ≠ 1)x a+1a + 1 +Cln|x| +Ca xlna +Csinx −cosx +Ccosx sinx +C11 + x 2 arctanx +C. . . . . .Eine Anwendung: 4 x dx = 4x∣ 20 ln40 = 152ln2Der Hauptsatz besagt, dass ein Integral sofort berechnet werden kann, wenn der Integrandeine Ableitung ist:∫ baf ′ (x) dx = f (b) − f (a)Eine andere Formulierung des Hauptsatzes ist:20 Integrationsmethodenund∫∫d xf (t) dt = f (x).dx af ′ (x) dx = f (x) +C.Aus den Rechengesetzen für das Differenzieren erhält man mit Hilfe des Hauptsatzes Methodenzur Berechnung bestimmter Integrale. Diese Gesetze werden für bestimmte und für unbestimmteIntegrale formuliert.46


Partielle IntegrationDie Produktregel der Differentialrechnung lautet (uv) ′ = u ′ v+uv ′ . Integriert man die umgestellteFormel uv ′ = (uv) ′ − u ′ v, dann erhält man die Regeln der partiellen Integration (oder Produktintegration):∫∫u(x)v ′ (x) dx = u(x)v(x) − u ′ (x)v(x) dx,∫ bau(x)v ′ (x) dx = u(x)v(x) ∣ ∫ bb a − u ′ (x)v(x) dx.20.1 Beispiele. Wir wenden partielle Integration an.∫∫(i) xcosx dx = xsinx − sinx dx = xsinx + cosx +C(ii)∫∫lnx dx =∫x ′ lnx dx = xlnx −x 1 dx = xlnx − x +Cxa(iii)∫ b∫ bcos 2 x dx = cosx(sinx) ′ dx = (cosxsinx) ∣ ∫ bb 0 + sin 2 x dx.000Ersetze sin 2 x durch 1 − cos 2 x und stelle um:Folglich haben wir2∫ b0∫ bSpeziell gilt ∫ π/20cos 2 x dx = π/4.Substitution0cos 2 x dx = cos(b)sin(b) +∫ bcos 2 x dx = 1 2 cos(b)sin(b) + b 2 .Eine Verkettung G(t) = F(x(t)) differenzierbarer Funktionen differenziert man nach der Kettenregel:G ′ (t) = F ′ (x(t))x ′ (t).Ist F eine Stammfunktion von f , dann hat manIntegriert man, dann ergibt sich∫ ba01 dx.f (x(t))x ′ (t) = G ′ (t), F ′ (x) = f (x), G(t) = F(x(t)).∫ bf (x(t))x ′ (t) dt = G ′ (t) dt = G ∣ ∫ x(b)b a = F∣ ∣ x(b)x(a) = f (x) dx.ax(a)Wir damit eine Form der Substitutionsregel erhalten:∫ x(b)x(a)∫ bf (x) dx = f (x(t))x ′ (t) dt (13)a47


20.2 Beispiel. Mit x(t) = 2t + 1 und f (x) = √ x gilt∫ 402 √ 2t + 1 dt =∫ 91√ x dx =23 x3/2∣ ∣ 9 0 = 523 .Bei Verwendung unbestimmter Integrale ist eine Rücksubstitution auszuführen:∫f (x) dx ∣ ∫x=x(t)= f (x(t))x ′ (t) dt.Das obige Beispiel kann mit unbestimmter Integration etwa so behandelt werden:∫2 √ ∫ √x 22t + 1 dt = dx =3 x3/2 = 2 3 (2t + 1)3/2 +C.In der Praxis rechnet man häufig wie folgt: dx = 2 dt und daher∫2 √ 2t + 1 dt =∫ √x dx = ...Die zugehörige allgemeine Formel lautet∫∫f (x(t)) dt =f (x) dtdx dx.Bei bestimmter Integration ist keine Rücksubstitution nötig. Stattdessen muss man aber die Integrationsgrenzenumwandeln:∫ b20.3 Beispiele. Integration mittels Substitution.a∫ x(b)f (x(t)) dt = f (x) dt dx. (14)x(a) dx(i) Flächeninhalt F des Einheitskreises. Wir substituieren x = sint in∫ 1F = 2= 2−1∫ π/2−π/2√∫ π/21 − x 2 dx = 2cos 2 t dt = π.−π/2√1 − sin 2 t dt(ii) Mit der Substitution x = t 2 erhält man∫te −t2 dt = 1 ∫e −x dx = − 1 22 e−x +C = − 1 2 e−t2 +C.Im letzten Schritt wurde eine Rücksubstitution durchgeführt.Viele in Integraltafeln angegebene Integrale werden mittels partieller Integrationen oder mitHilfe von Substitutionen berechnet.20.4 Beispiele. Weitere Beispiele für Integration mittels Substitution:48


(a)∫ √1 − x 2 dx = 1 ( √x 1 − x22 + arcsinx ) +C, denn mit der Substitution x = sint haben wirdx = cost dt und∫ √∫ √∫1 − x 2 dx = 1 − sin 2 t cost dt = cos 2 t dt= 1 ( ) 1( √sint cost +t = sint 1 − sin 2 t +t ) .22Die Rücksubstitution t = arcsinx liefert die behauptete Formel. In den Rechnungen wird|x| < 1 angenommen.∫∫(b) f (e x ) dx = f (s) 1 s ds mit s = ex , ds = s dx. Zahlenbeispiel:∫ 10e x ∫ e1 + e 2x dx = s 11 + s 2 ds = arctan(e) − arctan(1)s1(c)∫ ba∫ −bf (−x) d= −−a∫ −af (z) dz =−bf (x) dxEine Funktion f heißt gerade (bzw. ungerade), wenn gilt f (−x) = f (x) (bzw. f (−x) =− f (x)) für alle x ∈ R gilt. Aus Obigem folgt, dass ∫ b−b f (x) dx = 2∫ b0 f (x) dx gilt, wennf gerade ist und b > 0. Für ungerades f gilt dagegen ∫ b−b f (x) dx = 0. Beispiele geraderFunktionen sind cos und cosh. Dagegen sind sin und sinh ungerade Funktionen.Integration rationaler FunktionenEine wichtiger Schritt bei der Berechnung von Integralen ist oft eine Vereinfachung des Integranden:20.5 Beispiel. Integration nach Zerlegung eines Bruches in einfachere Ausdrücke:∫ 2x 4 + x 2 − 3x 2 + 1∫ (2xdx =2 − 1 − 2 ) 2 dx =x 2 + 1 3 x3 − x + 2arctan(x) +C.Der gegebene Integrand ist eine rationale Funktion, d.h. ein Bruch von Polynomen. Durch Polynomdivisionwurde der Integrand vereinfacht.Ist der Grad des Zählerpolynoms mindestens so groß wie der des Nennerpolynoms, dann isteine Polynomdivision mit Rest durchführbar. Die zugehörige rationale Funktion wird dadurchzerlegt in eine Summe aus einem Polynom und einer echt gebrochenen rationalen Funktion, fürdie der Zählergrad echt kleiner ist als der Nennergrad.Echt gebrochene rationale Funktionen versucht man mit einer Partialbruchzerlegung (PBZ)zu vereinfachen; im Idealfall:p(x)q(x) = A 1+ ··· +A N.x − a 1 x − a NDazu zerlegt man das Nennerpolynom in Linearfaktoren, q(x) = (x − a 1 )...(x − a N ), bringt dierechte Seite auf den Hauptnenner und bestimmt schließlich die Koeffizienten A j .49


5x + 120.6 Beispiel.x 2 + x − 6 = 5x + 1(x − 2)(x + 3) = Ax − 2 + Bx + 3 .Die Koeffizienten A und B der PBZ bestimmt man ausMan erhält A = 11 5∫ 435x + 1 = A(x + 3) + B(x − 2).14und B =5. Damit erhält man beispielsweise5x + 1x 2 + x − 6 dx = 11 521 Die Taylorformel∫ 43dxx − 2 + 14 ∫ 4 dx5 3 x + 3 = 115 ln(x − 2)|4 3 + 145 ln(x + 3)|4 3Die Tangente einer differenzierbaren Funktion ist eine Näherung an die Funktion:f (x) ≈ f (x 0 ) + f ′ (x 0 )(x − x 0 ) für x ≈ x 0 .Wie gut ist diese Näherung tatsächlich? Kann man den Fehler abschätzen, den man begeht,wenn man f durch seine Tangente ersetzt? Ist f zweimal differenzierbar mit stetiger zweiterAbleitung, dann liefert folgender Spezialfall der Taylor’schen Formel ein Antwort:f (x) = f (x 0 ) + f ′ (x 0 )(x − x 0 ) + 1 2 f ′′ (z)(x − x 0 ) 2 , (15)wobei z = x 0 + θ(x − x 0 ), 0 < θ < 1, eine (i.A. unbekannte) Stelle zwischen x 0 und x ist. Mitbeweist (15) z.B. mit folgender Rechnung:∫ x ∫ xf (x) − f (x 0 ) = f ′ (t) dt = 1 · f ′ (t) dt = (t − x) f ′ (t) ∣ ∫ xx − (t − x) · f ′′ (t) dtxx 0 x 0 0 x 0= (x − x 0 ) f ′ (x 0 ) + f ′′ (z)∫ xx 0(x −t) dt = (x − x 0 ) f ′ (x 0 ) + f ′′ (z) 1 2 (x − x 0) 2 .Es ist nützlich, Bezeichnungen für Mengen von Funktionen zu haben. Sei I ⊂ R ein Intervall.Mit C(I) bezeichnet man die Menge aller stetigen Funktionen f : I → R. Für k ∈ N bezeichnetC k (I) die Menge aller k-mal differenzierbaren Funktionen f : I → R mit stetiger k-ter Ableitungf (k) : I → R. Funktionenf ∈ C ∞ (I) := ∩ k∈N C k (I)nennt man beliebig oft differenzierbar.Beispiele: exp,sin ∈ C ∞ (R), ln ∈ C ∞ (R + ); y = |x| 3 liegt in C 2 (R), aber nicht in C 3 (R).21.1 Satz (Taylorformel). Sei I =]a,b[, x 0 ∈ I. Sei f ∈ C n+1 (I). Zu x ∈ I gibt es eine zwischenx 0 und x gelegene Stelle z, sodass giltf (x) = f (x 0 ) + f ′ (x 0 )(x − x 0 ) + ··· + 1 n! f (n) (x 0 )(x − x 0 ) n+1(n + 1)! f (n+1) (z)(x − x 0 ) n+1 .(16)50


Das folgende Polynom in x,T n (x) = T n (x;x 0 , f ) :=n1∑j=0j! f ( j) (x 0 )(x − x 0 ) j ,heißt Taylorpolynom n-ten Grades von f bezüglich des Entwicklungspunktes x 0 . Man kann dieTaylorformel (16) auch so schreiben:f (x) = T n (x) + R n (x), R n (x) :=1(n + 1)! f (n+) (z)(x − x 0 ) n+1 .Man nennt R n (x) das Restglied der Taylorformel. Eine präzise Darstellung des Restgliedes istdie Integralformel∫ xR n (x) = 1 (x −t) n f (n+1) (t) dt. (17)n! x 0Entsprechend hat man folgende Alternative zu (16), in der keine unbekannte Zwischenstelleauftritt:f (x) = f (x 0 ) + f ′ (x 0 )(x − x 0 ) + ··· + 1 n! f (n) (x 0 )(x − x 0 ) n+ 1 ∫ x(18)(x −t) n f (n+1) (t) dt.n! x 0Im Falle n = 0 ist (18) genau die Formel des Hauptsatzes der Differential- und Integralrechnung,und (16) ist dann der MWS der Differentialrechnung. Die Taylorformel (16) folgt (18) mit einerVariante des Mittelwertsatzes der Integralrechnung, die hier aber nicht formuliert werden soll.Eine partielle Integration im Integral (17) liefert:R n (x) =1(n + 1)! f (n+1) (x 0 )(x − x 0 ) n+1 + R n+1 (x).Dies ist i.W. der Induktionsschritt für einen Beweis von (18) mittels vollständiger Induktion übern.Man benutzt die Taylorformeln (16) und (18), welche auch Taylorentwicklungen genannt werden,um eine gegebene Funktion y = f (x) in der Nähe des Entwicklungspunktes x 0 durch ihrTaylorpolynom y = T n (x) anzunähern oder sogar zu ersetzen. Das Restglied R n (x) gibt die Genauigkeitder Näherung bzw. den Ersetzungsfehler an.21.2 Beispiele. Beispiele für Taylorentwicklungen Restglied in der in (16) verwendeten Lagrange’schenForm:(i) Die Exponentialfunktion um den Entwicklungspunkt x 0 = 0:e x = 1 + x + 1 2 x2 + ··· + 1 n! xn + e z 1(n + 1)! xn+1 .(ii) Taylorentwicklung von y = sinx um x 0 = 0 bis zum Polynomgrad 7:sinx = x − x33! + x55! − x77! + sin(z)x8 8! .Wegen |sinz| ≤ 1 folgt hieraus die Abschätzung |sinx − T 7 (x)| ≤ |x| 8 /8!.51


(iii) Taylorentwicklung von y = x 3 um x 0 = 1 bis zum Polynomgrad 3:x 3 = 1 + 3(x − 1) + 3(x − 1) 2 + (x − 1) 3 .Die rechte Seite ist Binomialformel für x 3 = (1 + (x − 1)) 3 . Das Restglied ist in diesemFalle Null.Ist f ∈ C ∞ (I) und x 0 ∈ I =]a,b[, dann giltf (x) =∞∑k=01k! f (k) (x 0 )(x − x 0 ) k (19)falls lim n→∞ R n (x) = 0 gilt. Man nennt die Reihe die Taylorreihe von f um den Entwicklungspunktx 0 . Für sogenannte analytische Funktionen f gilt die Reihendarstellung (19) für alle x ∈ Imit |x − x 0 | < R, wobei R > 0 der sogenannte Konvergenzradius der Reihe ist.Beispiele: Die Exponentialreihe ist die Taylorreihe der Exponentialfunktion. Die geometrischeReihe ist die Taylorreihe für y = 1/(1 − x); ihr Konvergenzradius ist R = 1.Von den vielen Anwendungen der Taylorformel betrachten hier nur noch Folgende:21.3 Satz. Sei f ∈ C n (I), I =]a,b[ und n > 1. Sei x 0 ∈ I mitf ′ (x 0 ) = 0, ..., f (n−1) (x 0 ) = 0, f n (x 0 ) ≠ 0.In x 0 liegt genau dann eine lokale Extremstelle vor, wenn n gerade ist; dabei ist die Extremstelleein Minimum (bzw. ein Maximum), wenn f n (x 0 ) > 0 (bzw. f n (x 0 ) < 0) gilt.Zum Beweis verwendet man die Taylorentwicklung bis zum Polynomgrad n − 1. Aus denVoraussetzungen folgt:f (x) = f (x 0 ) + 1 n! f (n) (z)(x − x 0 ) n .Da f (n) stetig ist, hat f (n) (z) dasselbe Vorzeichen wie f (n) (x 0 ), wenn x nahe bei x 0 liegt. Manüberlegt sich dann leicht, dass f (x) < f (x 0 ) gilt für 0 < |x − x 0 | < δ, wenn δ > 0 klein genuggewählt wird, und f (n) (x 0 ) < 0 ist. Ähnlich zeigt man die anderen Behauptungen.22 Einführung in gewöhnliche DifferentialgleichungenDifferentialgleichungen (DGLen) sind Gleichungen für Funktionen, d.h. die gesuchten Lösungensind nicht Zahlen, sondern (differenzierbare) Funktionen. In diesen Gleichungen treten nebenden gesuchten Funktionen auch einige ihrer Ableitungen auf. Die höchste auftretende Ableitungsordnungnennt man die Ordnung der Differentialgleichung.22.1 Beispiele. Hier sind Differentialgleichungen für y : R → R, x ↦→ y(x):(a) yy ′ = x ist eine DGL erster Ordnung. Die Funktion y(x) = x ist eine Lösung.(b) y ′′ + 4y = 0 ist eine DGL zweiter Ordnung; y(x) = cos(2x) aber auch y(x) = sin(2x) sindLösungen dieser DGL, y(x) = x ist dagegen keine Lösung.52


(c) x 2 y ′′′ y ′ +2e x y ′′ +x 2 y 5 +cos(x 2 ) ist eine DGL dritter Ordnung. Ich kenne keine Lösung dieserDGL.Wir befassen uns ausschließlich mit gewöhnlichen Differentialgleichungen. Bei diesen sinddie gesuchten Lösungen Funktionen einer unabhängigen Variablen, y : I → R n wobei I ⊂ R einIntervall ist. Meist betrachten wir skalare DGLen, bei denen n = 1 gilt. Differentialgleichungenfür Funktionen, die von mehreren unabhängigen Variablen (typisch: Ortsvariablen und Zeit)abhängen, heißen partielle Differentialgleichungen. Mit diesen können wir uns jetzt noch nichtbefassen. DGLen kommen in den Naturwissenschaften und in der Technik sehr häufig vor, dennsie sind oft genau die Formulierung relevanter Gesetze, wie die der Energie-, Massen- oderImpulserhaltung.22.2 Beispiele. Einige Differentialgleichungen aus Anwendungen.(i) ṁ(t) = −km(t) ist die DGL für den radioaktiven Zerfall mit Zerfallsrate k > 0. Hier istm(t) die Masse der radioaktiven Substanz zur Zeit t, ṁ(t) := d dtm(t) die Ableitung (Änderungsrate).Die allgemeine Lösung hat die Form m(t) = m(0)e −kt .(ii) Newton’sche Bewegungsgleichungen in einem räumlichen Kraftfeld −→ F : R 3 → R 3 :m d2dt 2 −→ x =−→ F (−→ x ),−→ x : R → R 3 .(iii) Für einen elektrischen LRC-Schwingkreis gelten nach den Kirchhoff’schen Regeln:U C +U L +U R = 0, C ˙U C = I, Lİ = U L , U R = RI.Dies führt auf die SchwingungsgleichungLCÏ + RCİ + I = 0,eine DGL zweiter Ordnung für den Strom I = I(t):Wir befassen uns in diesem Abschnitt mit einigen speziellen Lösungsmethoden für skalareDGLen erster Ordnung, welche von der allgemeinen Form y ′ (x) = f (x,y(x)) sind. Um eindeutigeLösungen zu erhalten, fordert man zusätzlich oft das Erfülltsein einer Anfangsbedingung:y ′ = f (x,y), y(x 0 ) = x 0 .Die Funktion f : G ⊆ R 2 → R und der Anfangswert (x 0 ,y 0 ) ∈ G sind gegeben; eine differenzierbareLösungsfunktion y : I ⊆ R → R ist gesucht.22.3 Beispiele. Folgende Differentialgleichungen sind uns bekannt:(i) y ′ = 0 ist die einfachste DGL; ihre Lösungen sind die konstanten Funktionen.(ii) y ′ = f (x) zu lösen ist gerade die Aufgabe der unbestimmten Integration; die gesuchtenLösungen sind gerade die Stammfunktionen von f .(iii) y ′ = y hat die Exponentialfunktion y = e x als (bis auf Vielfache einzige) Lösung; dies isteine der fundamentalsten DGLen.53


Wir betrachten eine spezielle Klasse von DGLen, nämlich die mit getrennten Variablen. Diessind DGLen der Formy ′ = g(x)h(y) mit h(y) ≠ 0.Hierfür ist ein Lösungsrezept vorhanden:y ′ = g(x)h(y) ⇐⇒ dy = g(x)h(y) ⇐⇒dydx∫ ∫dy⇐⇒h(y) = g(x) dx;berechne die Integrale, und löse nach y auf: y = y(x).22.4 Beispiele. Lösung durch Trennung der Variablen x und y:(a) Lösung y(x) > 0 von y ′ = xy:∫ dyy = ∫Lösung durch Exponentieren: y(x) = e C e x2 /2(b) Vorgelegt sei die Anfangswertaufgabe für y = y(t):Die eindeutige Lösung ist:Eine DGL der Gestalt= g(x) dxh(y)x dx ⇐⇒ ln|y| = 1 2 x2 +C.y ′ = e y sint, y(0) = 1.y(t) = −ln(e −1 − 1 + cos(t)).y ′ + a(x)y = 0heißt homogene lineare DGL erster Ordnung. Gegeben ist die Koeffizientenfunktion a ∈ C(I);gesucht ist eine (die allgemeine) Lösung y ∈ C 1 (I). Hier liegt ein spezieller Typ von DGLen mitgetrennten Variablen vor. Gemäß obigem Vorgehen löst man die DGL wie folgt:∫ dyy = ∫a(x) dx =⇒ y(x) = e −∫ a(x) dx .22.5 Beispiele. (i) Das Anfangswertproblem y ′ +y/x 2 = 0, y(1) = 2 hat die Lösung y = 2 e e1/x .(ii) Die DGL (1 + x 2 )y ′ = y hat die Lösung y = e arctanx .Man kann die Lösungsmethode bei DGLen mit getrennten Variablen auch mittels bestimmterIntegration und die Substitutionsregel herleiten: Eine Lösung y(x) eines Anfangswertproblemsy ′ = g(x)h(y), y(x 0 ) = y 054


hat an der Stelle x = x 1 den Wert y 1 = y(x 1 ), wobei∫ x1x 0g(x) dx =∫ x1x 0y ′ (x)h(y(x)) dx = ∫ y1y 01h(y) dygilt. Dies ist eine Gleichung für y 1 . Im Falle eines homogenen linearen Anfangswertproblemsy ′ + a(x)y = 0, y(x 0 ) = y 0kann man die Lösung in folgender Form hinschreiben:y(x) = y 0 e −∫ xx0 a(s) ds .Es gibt interessante Problemstellungen, die auf DGLen mit getrennten Variablen führen.22.6 Beispiel. Endgeschwindigkeit eines aus dem Stand konstant beschleunigten Autos. Bewegungsgleichungmit Anfangsbedingung:mv ′ = K − wv 2 , v(0) = 0,wobei v = v(t) die Momentangeschwindigkeit, m > 0 die Masse, K die Beschleunigungskraftund w > 0 der Luftwiderstand ist. Lösung Anfangswertproblems durch Trennung der Variablen:∫ v(T )0m dvK − wv 2 = ∫ TMit der Substitution u(t) = √ w/Kv(t) erhalten wir:∫ v(T )0m dvK − wv 2 = m √ ∫ K u(T ) duK w 0 1 − u 2= m2 √ Kw ln∣ ∣ u + 1∣u − 1 ∣0u(T )Hier wurde das Integral mit Hilfe einer PBZ berechnet:∫2∫duu 2 − 1 =0∫duu − 1 −1 dt = T.= m2 √ Kw ln∣ ∣ v(T ) + √ K/wv(T ) − √ ∣∣.K/wduu + 1 = ln∣ ∣ u − 1 ∣∣.u + 1Für T → ∞ muss der Logarithmus auch gegen Unendlich gehen. Das ist nur möglich, wennv(T ) → v ∞ = √ K/w gilt.23 Homogene lineare Differentialgleichungen mit konstantenKoeffizientenEine DGL der Gestalty ′′ + ay ′ + by = 055


heißt homogene lineare Differentialgleichung zweiter Ordnung mit konstanten Koeffizientena,b ∈ R. Eine Lösung hierfür ist eine Funktion y ∈ C 2 (R), x ↦→ y(x), welche y ′′ (x) + ay ′ (x) +by(x) = 0 für alle x ∈ R erfüllt. Allgemeiner versteht man unter einer linearen DGL der Ordnungn eine Gleichunga n (x)y (n) + ··· + a 1 (x)y ′ + a 0 (x)y = g(x). (20)Die Koeffizienten a j und die Störfunktion g sind gegebene stetige Funktionen auf einem IntervallI ⊆ R. (Damit die Ordnung der DGL gleich n ist, muss a 0 ≠ 0 sein.) Ist g = 0, dann heißt (20)homogen, anderenfalls inhomogen.23.1 Satz. Sind y 1 (x) und y 2 (x) Lösungen der derselben homogenen DGL, d.h. Lösungen von(20) mit g(x) = 0, dann ist für alle Konstanten C 1 ,C 2 ∈ R die durch y(x) = C 1 y 1 (x) +C 2 y 2 (x)gegebene Funktion ebenfalls eine Lösung der homogenen DGL. Die Differenz zweier Lösungeneiner inhomogenen DGL (mit derselben Störfunktion) ist eine Lösung der zugehörigen homogenenDGL.Sind die Koeffizienten keine Funktionen, die von der unabhängigen Variablen abhängen, sondernreelle Zahlen, dann spricht man von einer linearen DGL mit konstanten Koeffizienten.Wir betrachten homogene lineare Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten:a n y (n) + a n−1 y (n−1) + ··· + a 1 y ′ + a 0 y = 0, (21)wobei a n ≠ 0. (Ohne Einschränkung kann man a n = 1 voraussetzen.) Man löst diese DGL miteinem e-Ansatz. Die Funktion y(x) = e λx ist genau dann eine Lösung von (21), wenn λ eineNullstelle des zur DGL gehörigen charakteristischen Polynomsp(λ) := a n λ n + a n−1 λ n−1 + ··· + a 1 λ + a 0 (22)ist: p(λ) = 0. Dies folgt aus folgendem Resultat, das man direkt nachrechnet.23.2 Satz. Für y(x) = e λx gilta n y (n) (x) + a n−1 y (n−1) (x) + ··· + a 1 y ′ (x) + a 0 y(x) = p(λ)e λx . (23)23.3 Beispiele. DGLen für die man alle Lösungen mittels e-Ansatz findet:(i) y ′ + ay = 0. Die einzige Nullstelle des charakteristischen Polynom ist λ = −a. Durchy(x) = Ce −ax ist die allgemeine Lösung gegeben.(ii) y ′′ +4y ′ +3y = 0; das charakteristische Polynom lautet p(λ) = λ 2 +4λ +3. Die Nullstellender charakteristischen Gleichung sind λ 1 = −1 und λ 2 = −3. Man erhält die Lösungen:y(x) = C 1 e −x +C 2 e −3x .(iii) y ′′′ − 6y ′′ + 11y ′ − 6y = 0. Man erhält die Lösungen:y(x) = C 1 e x +C 2 e 2x +C 3 e 3x .56


Findet man alle Lösungen der DGL mit dem e-Ansatz? – Nicht ohne Weiteres. Wenn mehrfacheund/oder nichtreelle Nullstellen des characteristischen Polynoms vorliegen, dann gibt esLösungen, die nicht mit dem obigem Ansatz gefunden werden können. Dies gilt beispielsweisefür die DGLen y ′′ = 0 und y ′′ +y = 0. Hier lauten die charakteristischen Gleichungen λ 2 = 0 bzw.λ 2 + 1 = 0, und die allgemeinen Lösungen sind y(x) = C 1 +C 2 x bzw. y(x) = C 1 cosx +C 2 sinx.Es ist sinnvoll, auch komplexwertige Lösungsfunktioneny(x) = u(x) + jv(x),u und v reellwertig,zuzulassen. Die Ableitungen sind komponentenweise zu bilden, also y ′ (x) = u ′ (x) + jv ′ (x). Mitdem e-Ansatz erhält man im Falle nichtreeller Nullstellen des charakteristischen Polynoms komplexwertigeLösungen. Da die Koeffizienten a j als reell vorausgesetzt sind, ist y(x) genau danneine Lösung der DGL, wenn der Realteil u(x) und der Imaginärteil v(x) Lösungen sind.23.4 Beispiel. Die charakteristischen Gleichung λ 2 + 1 = 0 der DGL y ′′ + y = 0 hat die Nullstellenλ = ± j. Daher sind y 1 (x) = e jx und y 2 (x) = e − jx komplexwertige Lösungen. Man erhälthieraus reellwertige Lösungen:cosx = Rey 1 (x),sinx = Imy 1 (x).Im Falle einer m-fachen Nullstelle λ der charakteristischen Gleichung erhält man folgendeLösungen:e λx , xe λx , ..., x m−1 e λx .Man kann dies einsehen, wenn man (23) nach λ differenziert. Beispielsweise isty(x) = xe λx =eine Lösung, wenn p(λ) = 0 und p ′ (λ) = 0.ddλ eλx23.5 Beispiel. y ′′ − 2y ′ + y = 0 hat die charakteristische Gleichung 0 = λ 2 − 2λ + 1 = (λ − 1) 2 .Die allgemeine Lösung der DGL isty(x) = C 1 e x +C 2 xe x .Erhält man mit dem e-Ansatz einschließlich der genannten Erweiterungen alle (reellwertigen)Lösungen der DGL? – Ja! Man schließt dies mit Hilfe eines allgemeinen Satzes über dieeindeutige Lösbarkeit von Anfangswertproblemen. Diesen Satz besprechen wir hier nicht.23.6 Beispiel. Die Bewegung einer an einer Feder aufgehängten Masse genügt einer Schwingungsgleichung:ẍ + 2δẋ + ω 2 0 x = f (t).Hier sind x(t) die Auslenkung aus der Ruhelage zur Zeit t, ω0 2 der Quotient aus Federkonstanteund Masse, und δ ist die Dämpfung. Wir werden annehmen, dass keine äußere Kraft vorliegt,d.h., es gilt f (t) = 0. Die charakteristische Gleichung ist die quadratische Gleichungλ 2 + 2δλ + ω 2 0 = 0.57


Sie hat die Lösungen√λ 1,2 = −δ ± δ 2 − ω0 2.Anhand des Vorzeichen der Diskrimante D = δ 2 − ω0 2 unterscheidet man drei Fälle.Schwingfall δ < ω 0 : Es liegt eine gedämpfte Schwingung mit der Kreisfrequenz ω vor:√x(t) = Ce −δt sin(ωt + ϕ), ω = ω0 2 − δ 2 .Zahlenbeispiel: ẍ + 4ẋ + 13x = 0 mit x(t) = Ce −2t sin(3t + ϕ). Die Konstanten C und ϕsind aus den Anfangswerten zu bestimmen. Beispielsweise folgen aus x(0) = 0 und ẋ(0) =1: C = 1/3 und ϕ = 0.Dämpfungsfall δ > ω: Hier sind λ 1,2 < 0, und die Lösung ist (stark) gedämpft ohne Schwingungsverhalten:x(t) = C 1 e λ 1t +C 2 e λ 2t .Kriechfall δ = ω: Hier ist die Lösungx(t) = (C 1 +C 2 t)e −δt .In den Beispielen 22.2 haben wir die SchwingungsgleichungLCÏ + RCİ + I = 0für einen elektrischen LCR-Schwingskreis angegeben. Der Schwingsfall tritt ein, wenn R 2 C


Literatur[MV01] K. Meyberg und P. Vachenauer, Höhere <strong>Mathematik</strong> 1, Springer, Berlin, 2001.[RW99] L. Rade und B. Westergren, Springers mathematische Formeln, Springer, Berlin, 1999.59

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