Das Universale Recht bei Johannes Calvin - Doria
Das Universale Recht bei Johannes Calvin - Doria Das Universale Recht bei Johannes Calvin - Doria
38Ulpian (3. Jh.) versteht unter dem Naturrecht ein Recht, das den Menschenund den Tieren gemeinsam ist und das von der Natur allen Lebendengelehrt wird. Es ist die Quelle des Rechts schlechthin. Im Menschen steigtes aus seiner animalischen Natur und wirkt in instinktiven Handlungen.Sowohl im Mensch als auch im Tier ist es eine angeborene Fähigkeit, aberim Menschen wird es durch die Vernunft geleitet. Das Völkerrecht ist fürUlpian ein als Vernunftsrecht verstandenes Naturrecht. Es ist allenMenschen gemeinsam und wird von der Vernunft geleitet, womit es sichvom Naturrecht, im Sinne Ulpians, unterscheiden kann. 29Der zur Schule von Bologna gehörende Dekretist Huguccio(1130/1140–1210) fasst in seiner Summa (von 1178–1190) die verschiedenMeinungen über das Naturrecht in vier Bedeutungen zusammen. Erstensist das Naturrecht die Vernunft, ratio, die innere Kraft, mit der der Menschdas Gute vom Bösen unterscheidet und durch die er nach dem Gutenstrebt und das Böse vermeidet. Diese Erklärung des Naturrechtsbegründet er auch etymologisch: es ist Recht, das anordnet (ius — iubet),und Gesetz, das bindet (lex — ligat) oder treibt zur legalen Handlung, undes ist natürlich, weil es eine natürliche Gabe ist und mit der höchstenNatur übereinstimmt. In der zweiten Bedeutung ist es der Beschluss derVernunft und somit der tatsächliche Akt der Unterscheidung des Gutenund des Bösen. In dieser Bedeutung geht es aber seines Erachtens nichtum das eigentliche Naturrecht, weil es vom Naturrecht in der erstenBedeutung abgeleitet ist. Die dritte Bedeutung findet Huguccio direkt beiUlpian, wobei er diese jedoch um einiges erweitert: zum Naturrechtgehört alles, was Menschen und Tieren in ihren sensitiven Neigungengemeinsam ist. In der vierten Bedeutung ist Naturrecht mit dem immosaischen Gesetz und im Gesetz des Evangeliums offenbarten göttlichenRecht identisch. Auch dieses hält Huguccio jedoch nicht für Naturrecht imeigentlichen Sinne, aber er nennt es doch Naturrecht und teilt es inGebote, Verbote und Hinweise ein. Die Gebote und die Verbote sind29 D 1.1.1 § 3 "Ius naturale est quod natura omnia animalia docuit: nam ius istud nonhumani generis proprium, sed omnium animalium, quae in terra, quae in mari nascuntur,avium quoque commune est. hinc descendit maris atque feminae coniunctio, quam nosmatrimonium appellamus, hinc liberorum procreatio, hinc educatio: videmus etenim ceteraquoque animalia, feras etiam istius iuris perita censeri." — Weigand 1967, 12–14.
39unveränderlich, aber was die Hinweise angeht, sind sowohl Änderungenals auch gegensätzliches Recht möglich. Zu Hinweisen zählt er auch dasErlaubte und das Angeratene. Menschen erlangten die Kenntnis über dieGebote Gottes vor der Gesetzgebung durch die mündliche Überlieferung,die mit Adam anfing. 30Luther akzeptiert die Grundvoraussetzungen des mittelalterlichenNaturrechtsdenkens: das Moralgesetz stimmt mit der eigenen Natur desMenschen überein und wirkt bereits im Menschenleben. Er sieht die Weltals Gottes eigenen Willen an, den der Mensch nicht mit Hilfe vernünftigerIdeen erkennen kann. Mit seiner Vernunft kann der Mensch sich eine sehrallgemeine Kenntnis von Gott verschaffen, die einige Wesenseigen-30 "Quia de iure naturali diuersi diuersa sentiunt, ideo eius diuersas acceptiones inmedium (pro)ponamus. Ius ergo naturale diciter ratio, scilicet naturalis uis animi ex quahomo discernit inter bonum et malum, eligendo bonum et detestando malum. Et dicitur ratioius, quia iubet, lex quia ligat uel quia legitime agere compellat, naturale uel naturalis, quiaratio unum est de naturalibus donis uel quia summe nature consonat et ab ea non dissentit.De hac lege uel iure naturali dicit Apostolus: ‘Video aliam legem in membris mesrepugnantem legi mentis’, id est rationi que dicitur lex sicut dictum est. Dicitur etiamsecundo loco ius naturale iudicium rationis, scilicet motus proueniens ex ratione directo uelnon directo, id est quodlibet opus uel operari ad quod ex ratione tenetur homo ut estdiscernere, eligere et operari bonum, dare elemosinam, diligere deum et huiusmodi. ... Itemtertio modo dicitur ius naturale instinctus et ordo nature quo similia de similibuspropagantur, quo similia similibus gaudent, quo inter se conueniunt, quo partus nutriunt,quietem appetunt, moolestias fugiunt et cetera faciunt que secundum sensualitatem, id estnaturalem appetitum habent fieri. Hoc ius nil aliud uidetur esse quam sensualita. .... Itemquarto modi dicitur ius naturale ius divinum, scilicet quod continetur in lege mosayca eteuangelica; sic accipitur in principio. Et dicitur hoc ius naturale, quia summa natura, id estdeus, nobis illud traditit et docuit per legem et prophetas et euangelium, uel quia ad ea queiure continentur, naturalis ratio etiamin extrinseca eruditione ducit et impellit. ... Hoc iusconsistit in tribus, scilicet in preceptis, prohibitionibus et demonstrationibus: ...Vnde contrahanc demonstrationem iuris naturalis illa iura potuerunt habere originem secundum que resunius appropiantur alteri; nam iuri naturali quod continetur n lege uel euangelio quamtumad prohibitiones et precepta non est derogatum, set quantum ad demonstrationem eiderogatum nos est inparte." D. 1. pr.; "Si queras qualiter precepta decalogi seruabantur uelqualiter crimina que in decalogo uel euangelio uel prohibentur, tunc temporis uitabanturcum lex adhuc non esset lata que talia docuit, dico quod tunc sicut et nunc homines doctierant talia per legem naturalem et per patres descendentes ab Adam qui ea dicidit cumangelicis interfuit choris et ea suam posteritatem docuit." C. 32 q. 4 c. 3. — Weigand 1967,217–221.
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38Ulpian (3. Jh.) versteht unter dem Naturrecht ein <strong>Recht</strong>, das den Menschenund den Tieren gemeinsam ist und das von der Natur allen Lebendengelehrt wird. Es ist die Quelle des <strong>Recht</strong>s schlechthin. Im Menschen steigtes aus seiner animalischen Natur und wirkt in instinktiven Handlungen.Sowohl im Mensch als auch im Tier ist es eine angeborene Fähigkeit, aberim Menschen wird es durch die Vernunft geleitet. <strong>Das</strong> Völkerrecht ist fürUlpian ein als Vernunftsrecht verstandenes Naturrecht. Es ist allenMenschen gemeinsam und wird von der Vernunft geleitet, womit es sichvom Naturrecht, im Sinne Ulpians, unterscheiden kann. 29Der zur Schule von Bologna gehörende Dekretist Huguccio(1130/1140–1210) fasst in seiner Summa (von 1178–1190) die verschiedenMeinungen über das Naturrecht in vier Bedeutungen zusammen. Erstensist das Naturrecht die Vernunft, ratio, die innere Kraft, mit der der Menschdas Gute vom Bösen unterscheidet und durch die er nach dem Gutenstrebt und das Böse vermeidet. Diese Erklärung des Naturrechtsbegründet er auch etymologisch: es ist <strong>Recht</strong>, das anordnet (ius — iubet),und Gesetz, das bindet (lex — ligat) oder treibt zur legalen Handlung, undes ist natürlich, weil es eine natürliche Gabe ist und mit der höchstenNatur übereinstimmt. In der zweiten Bedeutung ist es der Beschluss derVernunft und somit der tatsächliche Akt der Unterscheidung des Gutenund des Bösen. In dieser Bedeutung geht es aber seines Erachtens nichtum das eigentliche Naturrecht, weil es vom Naturrecht in der erstenBedeutung abgeleitet ist. Die dritte Bedeutung findet Huguccio direkt <strong>bei</strong>Ulpian, wo<strong>bei</strong> er diese jedoch um einiges erweitert: zum Naturrechtgehört alles, was Menschen und Tieren in ihren sensitiven Neigungengemeinsam ist. In der vierten Bedeutung ist Naturrecht mit dem immosaischen Gesetz und im Gesetz des Evangeliums offenbarten göttlichen<strong>Recht</strong> identisch. Auch dieses hält Huguccio jedoch nicht für Naturrecht imeigentlichen Sinne, aber er nennt es doch Naturrecht und teilt es inGebote, Verbote und Hinweise ein. Die Gebote und die Verbote sind29 D 1.1.1 § 3 "Ius naturale est quod natura omnia animalia docuit: nam ius istud nonhumani generis proprium, sed omnium animalium, quae in terra, quae in mari nascuntur,avium quoque commune est. hinc descendit maris atque feminae coniunctio, quam nosmatrimonium appellamus, hinc liberorum procreatio, hinc educatio: videmus etenim ceteraquoque animalia, feras etiam istius iuris perita censeri." — Weigand 1967, 12–14.