Das Universale Recht bei Johannes Calvin - Doria
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36Vernunft. Der Wille ist in seinen Akten unabhängig, denn er folgt mitkeiner Notwendigkeit dem, das die Vernunft vorgeschlagen hat, sondernfrei von allen inneren und äußeren Motiven kann er entweder ihnenfolgen oder sie verwerfen. Auch bei Gott steht der Wille im Vordergrund,denn Sein Wille ist der einzige dem Menschen bekannte Grund dafür,dass einige Menschen errettet oder verdammt werden. 24Thomas von Aquin baute sein von christlichen Werten geprägtes Denkenauf die aristotelische Metaphysik, welches für die Naturrechtslehre zweiwesentliche neue Richtungen bringt: erstens hebt die Vernunft sich überden Willen und zweitens wird die Verbindung zwischen der Idee desRechts und der menschlichen Natur mit Hilfe des teleologischen Naturverständnissesvon Aristoteles aufgebaut. Die Vernunft ist die Regel oderdas Maß, deswegen muss das Gesetz als Regel und Maß der Handlungder Vernunft angehören. Damit das Recht beibehalten wird, muss derWille nach den Empfehlungen der Vernunft handeln. Das gilt sogar fürGott: auch er kann nichts wollen, welches seien Weisheit nichtbegründet. 25Ein neues Element als Zentrum des Denkens bringt Johannes Duns Scotus(ca. 1250–1308). Bei ihm steht statt Vernunft oder Wille die Liebe imVordergrund. Auch das Naturrecht kann nur aus der Liebe herausverstanden werden. Damit versteht er vor allem die geistige Liebe, dieihrem Objekt nachgeht, weil es in sich gut ist. Die sinnliche Liebe abererstrebt ihr Objekt, weil es für den Liebenden gut ist. Der Wille imeigentlichen Sinne ist der Wille zur Gerechtigkeit oder Rechtschaffenheit(affectio justitiae), weil er ein freier Wille ist, der das Gute will, weil es gutan sich ist. Duns Scotus bricht den Bund zwischen der natürlichenNeigung und dem sittlichen Wert, wenn er natürliche Neigungen mitSucht und Zwängen verbindet. 2624 De duabus animabus XII 6; De libero arbitrio 2.B XVIII 47; De civitate Dei XIV 6:"voluntas est quipe in omnibus (motibus); imo omnes nihil aliud quam voluntates suunt." —Welzel 1960, 53–54.25 ST II 1; qu. 90, 1, 1 ad 3; II 1 qu. 21, 1 ad 2; II 1 qu 17, 1. — Welzel 1960, 57.26 Opus Oxoniense IIId. 27 qu. un. n. 17: "hoc enim magis diligo ... pro cujus bonosalvando magis me expono ex amore, quia ‘exponere’ sequitur amorem."; IV d. 49 qu. 5 n. 3:
37Der freie auf das Gute um des Guten willen gerichtete Wille ist laut DunsScotus von der Vernunft geleitet und handelt auf Grund vernünftigerErkenntnis, die aber seine Handlungen nicht vorausbestimmt. Der Willeist in seinen Entscheidungen seine eigene Totalursache. So kann der Willedas lieben, was er als liebenswürdig betrachtet, wenn es auch nichtrational begründbar ist. Somit kommt Duns Scotus zum Vorrang desIndividuellen vor dem Allgemeinen, denn die Liebe geht nicht auf denallgemeinen Begriff, sondern auf das Individuum. 27Obwohl der menschliche Wille frei ist, das Gute zu erstreben oder dasBöse zu vermeiden, ist er doch begrenzt durch das Gesetz des Guten, dasihm objektiv, von außen Normen gibt, die er zu erfüllen hat, um richtigzu handeln. Er kann de facto gegen das Gesetz verstoßen, aber de jure ist eran das Gesetz gebunden. Seine Fähigkeit, richtig zu handeln, (potentiaordinata) ist vom Gesetz umgrenzt, aber seine Fähigkeit de facto zu handeln(potentia absoluta), geht über die vom Gesetz vorgeschriebenen Grenzenhinaus, so das der Mensch auch gesetzwidrig handeln kann. Laut DunsScotus ist die Lage bei Gott anders: über Gott steht kein Gesetz, das seineWillens- und Handlungsfreiheit begrenzen würde, denn erst sein Willemacht die Gesetze. So ist das Handeln Gottes immer richtig, und dieGerechtigkeit Gottes deckt die absolute Macht Gottes — seine potentiaordinata und potentia absoluta sind eins. 28"actus amicitiae tendit in objectum, ut est in se bonum; actus autem concupiscantiae tendit inillud, ut est bonum mihi."; III d. 17 qu. un. n. 3. — S. dazu Welzel 1960, 67–68.27 Opus Oxoniense II d. 43 qu. 2 n. 2: "voluntas agit per cognitionem intellectualem.";I d. 8 qu. 5 a. 3 n. 24: "quare voluntas voluit hoc, nulla est causa, nisi quia voluntas estvoluntas."; II d. 25 n. 22: "nihil aliud a voluntate est causa totalis volitionis in voluntate."; IId. 3 qu. 7 n. 10: "in principalibus autem entibus est a Deo intentum individuumprincipaliter."; III d. 32 qu. Un. n. 6: "vult alios condiligentes" [Gott bei seinemSchöpfungsakt] — Welzel 1960, 69–71.28 Opus Oxoniense I d. 44 qu. un. n. 1: "Quando in potestate agendis est lex et rectitudoeius, ita quod non est recta nisi quia est ab illo statuta, tunc potest recte agere agendo aliterquam lex illa dictet, quia tunc potest statuere aliam legem rectam, secundum quam agatordinate; nec tunc potentia sua absoluta simpliciter excedit potemtiam ordinatam, quia tuncesset ordinata secundum illam aliam legem, sicut secundum priorem; tamen exceditpotentiam ordinatam praecise secundum priorem, contra quam vel praeter quam facit."; —Welzel 1960, 72.
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36Vernunft. Der Wille ist in seinen Akten unabhängig, denn er folgt mitkeiner Notwendigkeit dem, das die Vernunft vorgeschlagen hat, sondernfrei von allen inneren und äußeren Motiven kann er entweder ihnenfolgen oder sie verwerfen. Auch <strong>bei</strong> Gott steht der Wille im Vordergrund,denn Sein Wille ist der einzige dem Menschen bekannte Grund dafür,dass einige Menschen errettet oder verdammt werden. 24Thomas von Aquin baute sein von christlichen Werten geprägtes Denkenauf die aristotelische Metaphysik, welches für die Naturrechtslehre zweiwesentliche neue Richtungen bringt: erstens hebt die Vernunft sich überden Willen und zweitens wird die Verbindung zwischen der Idee des<strong>Recht</strong>s und der menschlichen Natur mit Hilfe des teleologischen Naturverständnissesvon Aristoteles aufgebaut. Die Vernunft ist die Regel oderdas Maß, deswegen muss das Gesetz als Regel und Maß der Handlungder Vernunft angehören. Damit das <strong>Recht</strong> <strong>bei</strong>behalten wird, muss derWille nach den Empfehlungen der Vernunft handeln. <strong>Das</strong> gilt sogar fürGott: auch er kann nichts wollen, welches seien Weisheit nichtbegründet. 25Ein neues Element als Zentrum des Denkens bringt <strong>Johannes</strong> Duns Scotus(ca. 1250–1308). Bei ihm steht statt Vernunft oder Wille die Liebe imVordergrund. Auch das Naturrecht kann nur aus der Liebe herausverstanden werden. Damit versteht er vor allem die geistige Liebe, dieihrem Objekt nachgeht, weil es in sich gut ist. Die sinnliche Liebe abererstrebt ihr Objekt, weil es für den Liebenden gut ist. Der Wille imeigentlichen Sinne ist der Wille zur Gerechtigkeit oder <strong>Recht</strong>schaffenheit(affectio justitiae), weil er ein freier Wille ist, der das Gute will, weil es gutan sich ist. Duns Scotus bricht den Bund zwischen der natürlichenNeigung und dem sittlichen Wert, wenn er natürliche Neigungen mitSucht und Zwängen verbindet. 2624 De duabus animabus XII 6; De libero arbitrio 2.B XVIII 47; De civitate Dei XIV 6:"voluntas est quipe in omnibus (motibus); imo omnes nihil aliud quam voluntates suunt." —Welzel 1960, 53–54.25 ST II 1; qu. 90, 1, 1 ad 3; II 1 qu. 21, 1 ad 2; II 1 qu 17, 1. — Welzel 1960, 57.26 Opus Oxoniense IIId. 27 qu. un. n. 17: "hoc enim magis diligo ... pro cujus bonosalvando magis me expono ex amore, quia ‘exponere’ sequitur amorem."; IV d. 49 qu. 5 n. 3: