Das Universale Recht bei Johannes Calvin - Doria

Das Universale Recht bei Johannes Calvin - Doria Das Universale Recht bei Johannes Calvin - Doria

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34und der höher stehenden Rechtsebene Vorrang zu geben. Im Naturrechtgibt es zwei Ebenen, die ersten Prinzipien und die aus ihnen folgendenSchlussfolgerungen. Das wesentliche Merkmal des Naturrechts ist seineUnveränderlichkeit. 17Wenn der junge Melanchthon eine Verbindung zwischen dem WerkGottes und den menschlichen Rechtssatzungen verneint, gibt es eineVerbindung vom göttlichen Recht über das Naturrecht in das positiveRecht in seinem späteren Denken. Das Naturrecht ist in seinem späterenDenken mit der Erkenntnis der Schöpfungsordnung identisch, und sosieht er im Naturrecht eine Partizipation des Menschen in der WeisheitGottes, eine Teilhabe, die er aus der Sicht des Menschen betrachtet. DasGesetz Gottes enthält Moralgesetze, die im Dekalog zusammengefasstsind, und das natürliche Gesetz stimmt seinerseits inhaltlich mit denMoralgesetzen des göttlichen Gesetzes überein. So kommt das natürlicheGesetz in seinem Inhalt dem Gesetz Gottes sehr nah, das aber durch dieOffenbarung Gottes das gesetzte Recht ist. Der Dekalog als Erscheinungdes göttlichen Gesetzes ist so auch ein Teil der Offenbarung, und wirdvielleicht gerade deswegen von Melanchthon nie mit dem Naturrechtidentifiziert. Das Naturrecht wird aber durch die Verbindung mit demgöttlichen Recht begründet. 182.2. NaturrechtserkenntnisEine extrem allgemeine Aussage über den Inhalt des Rechts wird zumersten Mal durch die Ideenlehre Platons möglich. Die Ideenlehre bedeuteterstens, dass die Ideen allgemein erkannt werden, weil sie unabhängigvon jedem Einzelfall in allen Einzelfällen in Kraft sind. Zweitensermöglichen diese Inhalte ein absolut sicheres Erkennen der Dinge, unddrittens sind sie ewige Wahrheiten der Vernunft. 19 Ein Beispiel dafürbietet Platon in seinem Eutyphoron-Dialog mit Überlegungen über dieGerechtigkeit, die seiner Aussage nach Gott wohlgefällt, weil sie gerecht17 Bauer 1965, 295, 277, 282, 301, 302, 287; Strohm 2000, 339–340 listet die Schriften undReden Melanchthons über das Naturrecht auf, und 341–342 stellt gewisse neuplatonischeEinflüsse im Denken Melanchthons vor.18 Bauer 1965, 297, 271, 279, 283, 296. Strohm 2000, 343.19 Politeia 477, 505, 508, 509. — S. auch Welzel 1960, 21–25.

35ist. 20 So sind in seinem Denken auch das Gute und das Böse, das Gerechteund das Ungerechte nicht göttliche Willensakte, sondern ewige Vernunftwahrheiten,die vor einem göttlichen Willen existieren und an die auchGott gebunden ist.Im Denken der Stoa ist nomos ein Teil der Allvernunft, an welcher jederMensch durch seine individuelle Vernunft Teil hat. Durch diese Teilhabesind alle Menschen Bürger in einem Weltstaat. Die Stoa vertiefte dieWerte des subjektiv-sittlichen Handelns, indem sie die Verantwortung indem Gewissen verankerte, das dem Menschen innewohnt. Schon derBegriff der "richtigen Vernunft" sagt aus, dass ein jeder Mensch zwischendem Guten und dem Bösen wählen kann. Seneca nennt das Entscheidungsvermögenconscientia. Es ist laut ihm unabhängig von jeglichenWertungen von außen. Mit dem Gedanken, dass der Mensch die größteTugend verwirklichen kann, wenn er bereit ist, seinen guten Ruf aufzugeben,um ein gutes Gewissen zu bewahren, führt er die subjektiveMoralität beinahe zur moralischen Autonomie. 21 Cicero (106–43 v.Chr.)seinerseits sieht, dass es im Menschen angeborene sittliche Grundideensind, die dem Menschen ein natürliches Licht (lumen naturae) bilden undihn auch die Stimme der Natur und der Wahrheit über sittliche Begriffehören lassen. 22Augustin nahm aus dem Neuplatonismus die platonische Ideenlehre, dieer so formulierte, dass Ideen die ersten und unabänderlichen Formen oderBegriffe der Dinge sind, nach denen Gott die Welt geschaffen hat. Aufihnen liegen alle Weltordnungen, die allen veränderlichen Dingen eineunfehlbare Leitung erbieten. Die Ideen haben ihren Sitz im Geiste Gottes,denn in seinem Schöpfungsakt nahm Gott die gedanklichen Vorbilder derDinge aus seinem Geiste. Weil alles im Geiste Gottes ewig und unveränderlichist, sind auch die Ideen wahr. Mit diesen antiken Gedankenverband er ein voluntaristisches Moment, nach dem das Wesen der Dingevon der Kenntnis Gottes abhängt. 23 Bei Augustin steht der Wille über der20 Eutyphron 10 A, E21 Seneca Ep. 41,2; Ep. 81,21 — S. Welzel 1960, 46.22 Cicero De finibus V 21,59; Tusc. I 24,57; Tusc. III 1,2; Tusc. I 13,30; 15,35.23 De diverses quastionibus 83, qu. 43 de ideis; De trinitate XV 13. — Welzel 1960, 52–53.

34und der höher stehenden <strong>Recht</strong>sebene Vorrang zu geben. Im Naturrechtgibt es zwei Ebenen, die ersten Prinzipien und die aus ihnen folgendenSchlussfolgerungen. <strong>Das</strong> wesentliche Merkmal des Naturrechts ist seineUnveränderlichkeit. 17Wenn der junge Melanchthon eine Verbindung zwischen dem WerkGottes und den menschlichen <strong>Recht</strong>ssatzungen verneint, gibt es eineVerbindung vom göttlichen <strong>Recht</strong> über das Naturrecht in das positive<strong>Recht</strong> in seinem späteren Denken. <strong>Das</strong> Naturrecht ist in seinem späterenDenken mit der Erkenntnis der Schöpfungsordnung identisch, und sosieht er im Naturrecht eine Partizipation des Menschen in der WeisheitGottes, eine Teilhabe, die er aus der Sicht des Menschen betrachtet. <strong>Das</strong>Gesetz Gottes enthält Moralgesetze, die im Dekalog zusammengefasstsind, und das natürliche Gesetz stimmt seinerseits inhaltlich mit denMoralgesetzen des göttlichen Gesetzes überein. So kommt das natürlicheGesetz in seinem Inhalt dem Gesetz Gottes sehr nah, das aber durch dieOffenbarung Gottes das gesetzte <strong>Recht</strong> ist. Der Dekalog als Erscheinungdes göttlichen Gesetzes ist so auch ein Teil der Offenbarung, und wirdvielleicht gerade deswegen von Melanchthon nie mit dem Naturrechtidentifiziert. <strong>Das</strong> Naturrecht wird aber durch die Verbindung mit demgöttlichen <strong>Recht</strong> begründet. 182.2. NaturrechtserkenntnisEine extrem allgemeine Aussage über den Inhalt des <strong>Recht</strong>s wird zumersten Mal durch die Ideenlehre Platons möglich. Die Ideenlehre bedeuteterstens, dass die Ideen allgemein erkannt werden, weil sie unabhängigvon jedem Einzelfall in allen Einzelfällen in Kraft sind. Zweitensermöglichen diese Inhalte ein absolut sicheres Erkennen der Dinge, unddrittens sind sie ewige Wahrheiten der Vernunft. 19 Ein Beispiel dafürbietet Platon in seinem Eutyphoron-Dialog mit Überlegungen über dieGerechtigkeit, die seiner Aussage nach Gott wohlgefällt, weil sie gerecht17 Bauer 1965, 295, 277, 282, 301, 302, 287; Strohm 2000, 339–340 listet die Schriften undReden Melanchthons über das Naturrecht auf, und 341–342 stellt gewisse neuplatonischeEinflüsse im Denken Melanchthons vor.18 Bauer 1965, 297, 271, 279, 283, 296. Strohm 2000, 343.19 Politeia 477, 505, 508, 509. — S. auch Welzel 1960, 21–25.

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