Das Universale Recht bei Johannes Calvin - Doria
Das Universale Recht bei Johannes Calvin - Doria Das Universale Recht bei Johannes Calvin - Doria
164Billigkeit”, wodurch er die dem praktischen Leben gehörenden seelsorglichenAnweisungen an eine Ethik der goldenen Regel anschließt. Beiihm ist Billigkeit der zentrale Begriff. Er verbindet sie neben der goldenenRegel auch mit der Nächstenliebe. Die Billigkeit weist den Menschen zurVerwirklichung der Nächstenliebe an und macht sie bekannt. Über dieRegel der Billigkeit benutzt er dasselbe Bild wie über das natürlicheGesetz: sie ist dem Menschen ins Herzen geschrieben oder eingeprägt.Das deutet auf eine in der Schöpfung gegebene Erkenntnis, die sich injedem Menschen verwirklichen kann. 96Es ist interessant, wie wenig Beachtung Calvin der goldenen Regel in derInstitutio zumißt und wie zentral sie doch in den Anweisungen ist, die dasalltägliche Leben angehen. Die Institutio beinhaltet nur zwei Bezugnahmenauf die goldene Regel, und auch in einer von der beiden ist siemit der Billigkeit und der Nächstenliebe verbunden. 97 Das zeigt, dass er inverschiedenen Kontexten anders — oder besser gesagt: mit unterschiedlicherStrenge — sich mit Dingen auseinandersetzt: in seinemdogmatischen Werk beschränkt er sich auf das Wesentliche und legt siestrenger dar als in seinen Kommentaren und in seinen seelsorgerlichenBriefen und Schriften. Das wiederum gibt ein mehrsichtiges Persönlich-96 Bei Luther bildet die goldene Regel die zentrale naturrechtliche Struktur, und siebringt das Gesetz der Liebe zur Vorschein, welches Laulaja 1980 und Raunio 1993 bewiesenhaben.97 “Ergone, inquies, pluris est ad iustitiae summam, cum hominibus innocenter vivere,quam pietate Deum honorare ? Minime; sed quia non temere quis charitatem per omniacustodit, nisi Deum serio timeat, inde quoque pietatis approbatio sumitur. Huc accedit, quodDominus quum probe noverit nihil beneficentiae a nobis pervenire ad seipsum posse (quodet per Prophetam testatur) non sibi officia nostra deposcit, sed erga proximum bonisoperibus nos exercet [Psal.l6.a.2.]. Itaque non sine causa Apostolus totam sanctorumperfectionem in charitate reponit [Ephe. 3. d. 19.]. Nec ipsam alibi absurde vocat Legiscomplementum: addens, Legem perfecisse qui diligit proximum [Rom. 13. b. 8.]. Item TotamLegem uno verbo comprehendi, Dilige proximum sicut teipsum [Gal. 5. c. 14.]. Non enimaliud docet quam Christus ipse, dum ait, Quaecunque vultis ut faciant vobis homines,eadem facite illis; hoc est enim Lex et Prophetae [Matth. 7. b. 12]. Certum est, in Lege etProphetis primum locum tenere fidem et quicquid ad legitimum Dei cultum pertinet,inferiore loco subsidere dilectionem: sed intelligit Dominus, in Lege nobis tantum praescribiiuris et aequitatis inter homines observantiam, qua ad testandum pium eius timorem, siquisin nobis est, exerceamur” IIviii53
165keitsbild von ihm: in der Lehre ist er streng und sehr genau, aber in derSeelsorge versteht er die Tatsachen und Umstände des Lebens und nimmtsie wahr. 98 Das zeigt m.E., dass Calvin sich eindeutig der Rechtstraditionanschließt, die Billigkeit als das zentrale naturrechtliche Prinzip sieht.5.4.2. aequitas im gesellschaftlichen LebenFür Calvin haben die außerhalb des Dekalogs stehenden Regelungen desMose-Gesetzes ihre Verbindlichkeit verloren, aber die Anforderung derLiebe ist geblieben. Die der zweiten Tafel des Dekalogs angeschlossenenStellen des Mose-Gesetzes gelten, sofern sie der Verwirklichung derGerechtigkeit und der Billigkeit dienen. Die Billigkeit setzt er mit dergoldenen Regel gleich, die er “die ewige Regel der Liebe” (aeterna regulacharitatis) nennt. In der Zinsfrage kristallisiert sich seine Auffassung indem Gedanken, dass das entscheidende Motiv des Christen das Beste desin Not stehenden Nächsten sein soll, und nicht eigener Gewinn. 99Die Billigkeit mißt aber nicht nur das Verhalten der einzelnen Menschen,sondern auch die in verschiedenen Ländern und in verschiedenen Zeitengegebenen politischen Gesetze. Calvin stellt zwei Seiten eines jedenweltlichen Gesetzes vor: die äußere Form, die Konstitution (constitutio)einerseits, und das beinhaltete Recht oder die Billigkeit (aequitas)anderseits. Die Völker können relativ frei Gesetze geben, aber die Gesetzemüssen der Billigkeit entsprechen und sie ausdrücken. Anders formuliert:die Gesetze müssen so gegeben werden, dass sie die christliche Nächstenliebeberücksichtigen. Ein Gesetz, das der Billigkeit entspricht, ist gut undakzeptabel, ein unbilliges Gesetz ist schlecht. 10098 S. Witte & Kingdon 2005, 9: “Calvin had put firm laws on the books aboutinterreligious marriage, separation, and divorce. These letters forced him to think hard avouthow to apply these laws with full equity. Calvin wrote comparably tender letters to manyfriends about their marriage, ... These letters often show a very gentle and generous side toCalvin that is harder to see in his stern laws, Consistorial rebukes, and his bibllicalexposition.”99 "Il y a la substance qui nous demeure, c'est-à-dire l'èquité et la droicture." SrDtn CO28, 115. — Über den Verbindung des Mose-Gesetzes und der Forderung der Liebe s. Ramp1949, 85–86 und Schultze 1984, 221. Über die Verbindung der Billigkeit und der goldenenRegel Baur 1965, 61.100 "Id quos dixi planum fiet si in legibus omnibus duo haec, ut decet, intuemur: legis
- Seite 117 und 118: 113Begriffsgeschichte anhand der Li
- Seite 119 und 120: 115In das mittelalterliche Denken k
- Seite 121 und 122: 117nicht unter das Gewissen (syneid
- Seite 123 und 124: 119ein Empfinden über das Urteil G
- Seite 125 und 126: 121seinen Sitz im Menschen und wirk
- Seite 127 und 128: 123Obwohl das Gewissen für Calvin
- Seite 129 und 130: 125nehmen, aber anderseits kann er
- Seite 131 und 132: 127verdorben, nicht kann. 289 Der V
- Seite 133 und 134: 129Gerechtigkeit des Gesetzes in ih
- Seite 135 und 136: 131stellungen billigen und mit Belo
- Seite 137 und 138: 133Im Lichte jener Predigt scheint
- Seite 139 und 140: 1355. WIRKSAMKEIT DES UNIVERSALEN R
- Seite 141 und 142: 137bedeutet, dass der Mensch sie au
- Seite 143 und 144: 139Nicht-Gläubige können moralisc
- Seite 145 und 146: 141gemeinschaftliche Gebrauch des G
- Seite 147 und 148: 143zusammen betrachte, komme ich zu
- Seite 149 und 150: 145der vollständigen Einhaltung de
- Seite 151 und 152: 147geholfen wird. 41 Die Menschlich
- Seite 153 und 154: 149Fluch und den Tod. Nach Calvin i
- Seite 155 und 156: 151der negativen Form und in der In
- Seite 157 und 158: 153untergeordnete Stellung als Ausd
- Seite 159 und 160: 155alterliche weltliche als auch ka
- Seite 161 und 162: 157versuche ich, die Stellung des N
- Seite 163 und 164: 159stück oder Gebäude und hält e
- Seite 165 und 166: 161denken viele, dass sie frei und
- Seite 167: 163Wenn Calvin, anders als es im Ch
- Seite 171 und 172: 167Die Richtschnur für Gesetze bes
- Seite 173 und 174: 169Calvin schließt sich der Tradit
- Seite 175 und 176: 171Das Gesetz hat im Denken Calvins
- Seite 177 und 178: 173gerechnet. Obwohl die ganze Natu
- Seite 179 und 180: 175Entscheidung entzogen werden, we
- Seite 181 und 182: 177Gewissen vor allem ein geistlich
- Seite 183 und 184: 179Lage eines Menschen aus zu sagen
- Seite 185 und 186: 181Zinsnahmeverboten verpflichten n
- Seite 187 und 188: 1837. QUELLEN, LITERATUR UND ANHANG
- Seite 189 und 190: 185CCCM Corpus Christianorum, Conti
- Seite 191 und 192: 1871963 L'homme et la femme dans la
- Seite 193 und 194: 189VJean Calvin. Les hommes et les
- Seite 195 und 196: 191Lane, A.N.S.1981 Calvin's Use of
- Seite 197 und 198: 193Exiztenz heute, N.F. 152. Münch
- Seite 199 und 200: 195Positionen. Opladen.Veijola, Tim
- Seite 201 und 202: 197Aristoteles . . . . . . . . . .
- Seite 203 und 204: 1997.5. Anhang: Calvins Gliederung
- Seite 205 und 206: 201Lev 19:17 / Lev 19:18 / Lev 19:1
- Seite 207: "Porro haec ipsa quae ex duabus tab
164Billigkeit”, wodurch er die dem praktischen Leben gehörenden seelsorglichenAnweisungen an eine Ethik der goldenen Regel anschließt. Beiihm ist Billigkeit der zentrale Begriff. Er verbindet sie neben der goldenenRegel auch mit der Nächstenliebe. Die Billigkeit weist den Menschen zurVerwirklichung der Nächstenliebe an und macht sie bekannt. Über dieRegel der Billigkeit benutzt er dasselbe Bild wie über das natürlicheGesetz: sie ist dem Menschen ins Herzen geschrieben oder eingeprägt.<strong>Das</strong> deutet auf eine in der Schöpfung gegebene Erkenntnis, die sich injedem Menschen verwirklichen kann. 96Es ist interessant, wie wenig Beachtung <strong>Calvin</strong> der goldenen Regel in derInstitutio zumißt und wie zentral sie doch in den Anweisungen ist, die dasalltägliche Leben angehen. Die Institutio <strong>bei</strong>nhaltet nur zwei Bezugnahmenauf die goldene Regel, und auch in einer von der <strong>bei</strong>den ist siemit der Billigkeit und der Nächstenliebe verbunden. 97 <strong>Das</strong> zeigt, dass er inverschiedenen Kontexten anders — oder besser gesagt: mit unterschiedlicherStrenge — sich mit Dingen auseinandersetzt: in seinemdogmatischen Werk beschränkt er sich auf das Wesentliche und legt siestrenger dar als in seinen Kommentaren und in seinen seelsorgerlichenBriefen und Schriften. <strong>Das</strong> wiederum gibt ein mehrsichtiges Persönlich-96 Bei Luther bildet die goldene Regel die zentrale naturrechtliche Struktur, und siebringt das Gesetz der Liebe zur Vorschein, welches Laulaja 1980 und Raunio 1993 bewiesenhaben.97 “Ergone, inquies, pluris est ad iustitiae summam, cum hominibus innocenter vivere,quam pietate Deum honorare ? Minime; sed quia non temere quis charitatem per omniacustodit, nisi Deum serio timeat, inde quoque pietatis approbatio sumitur. Huc accedit, quodDominus quum probe noverit nihil beneficentiae a nobis pervenire ad seipsum posse (quodet per Prophetam testatur) non sibi officia nostra deposcit, sed erga proximum bonisoperibus nos exercet [Psal.l6.a.2.]. Itaque non sine causa Apostolus totam sanctorumperfectionem in charitate reponit [Ephe. 3. d. 19.]. Nec ipsam alibi absurde vocat Legiscomplementum: addens, Legem perfecisse qui diligit proximum [Rom. 13. b. 8.]. Item TotamLegem uno verbo comprehendi, Dilige proximum sicut teipsum [Gal. 5. c. 14.]. Non enimaliud docet quam Christus ipse, dum ait, Quaecunque vultis ut faciant vobis homines,eadem facite illis; hoc est enim Lex et Prophetae [Matth. 7. b. 12]. Certum est, in Lege etProphetis primum locum tenere fidem et quicquid ad legitimum Dei cultum pertinet,inferiore loco subsidere dilectionem: sed intelligit Dominus, in Lege nobis tantum praescribiiuris et aequitatis inter homines observantiam, qua ad testandum pium eius timorem, siquisin nobis est, exerceamur” IIviii53