Das Universale Recht bei Johannes Calvin - Doria

Das Universale Recht bei Johannes Calvin - Doria Das Universale Recht bei Johannes Calvin - Doria

10.07.2015 Aufrufe

126drittens, dass der Mensch mit seinen Werken das ewige Leben nichtverdienen kann. 287Ein Gericht beurteilt ja nachher die Taten eines Menschen und ihreGerechtigkeit und Gesetzmäßigkeit. Wenn Calvin das Gewissen miteinem Gericht vergleicht, kommt die Eigenart seiner Gewissensauffassungzum Vorschein: Das Gewissen ist erst nach der Tat tätig, wie ein Gericht,und beurteilt dann, ob der Mensch richtig oder falsch gehandelt hat. DieUnterscheidung zwischen dem Guten und dem Bösen ist für Calvin dieAufgabe des Gewissens erst nach der Tat, wodurch er sich von denDenkern des Mittelalters unterscheidet, die das Gewissen schon imVorfeld aktiv sehen wollen, wenn über den Wert und die Stellung einergeplanten Tat zu entscheiden ist.4.3.6. AuswertungNach dem scholastischen Denken ist das Gewissen aktiv vor der Tat (conscientiaantecedens) und beurteilt sie dann wieder nachher (conscientiaconsequens). 288 Dieser Tradition schließt Calvin sich nicht an. Für ihn istdas Gewissen ein Empfinden, das die Tat nacher beurteilt und denMenschen vor ihn selbst und vor Gott anklagt, womit seine Auffassungdie conscientia consequens der scholastischen Auffassung deckt. DieAufgaben der scholastischen conscientia antecedens liegen bei Calvin aufdem Verstand und dem Willen: der Verstand erkennt und unterscheidetdas Gute bzw. das Böse, und er empfiehlt dem Willen das Gute, und dannist es die Aufgabe des Willens, das Gute zu wählen — welches er, weil287 “ Quanto rectius Bernardus: Testimonium, inquit, conscientiae, quod piorumgloriam vocat Paulus [2. Cor. 1. e. 12], in tribus consistere credo. .Necesse enim primoomnium est, credere quod remissionem peccatorum habere non possis nisi per indulgentiamDei: deinde quod nihil prorsus habere queas operis boni nisi et hoc dederit ipse: postremoquod vitam aeternam nullis potes operibus promereri nisi gratis detur et illa [Sermo 1. inAnnuntiatione].” IIIii41 — Vgl. zu Thomas von Aquin: Baylor 1977, 41 “Aquinas set forththree broad categories for the different acts of conscience. Conscience, first, witnesses ortestifies that something has been done or not been done. Secondly, the conscience incites orbinds in its judgment we determine that something should be done or not be done. Sothirdly, the act of lent that is conscience excuses, accuses or torments: “we judge ofsomething that has been done whether it has been done well or done badly.””288 Zu wichtigen Gewissensauffassungen des Mittelalters s. Potts 1980.

127verdorben, nicht kann. 289 Der Verstand erkennt also vor der Tat, was dasnatürliche Gesetz verlangt, und das Gewissen bewertet nachher dieResultate der Zusammenarbeit des Verstandes und des Willens. 290Bei dem Gewissen kommt die eigenartige Terminologie Calvins zumVorschein. Inhaltlich hat er eine conscientia antecedens, die er aber nichtdem Begriff des Gewissens unterordnet, sondern die in seinem Denkeneine Funktion des vor der Tat aktiven Verstandes ist. 291 Das Gewissen, vorallem als ein Gericht im Menschen, gibt ein düsteres Bild von der Aufgabeund der Arbeit des Gewissens. Ein anderes Bild sieht man darin, dass derMensch in seinem Gewissen dem Willen Gottes begegnet, den Gott in derSchöpfung offenbart hat. Dank des Gewissens kennt der Mensch einigesvom Willen Gottes und dank des Gewissens kann er Gutes von Bösemund Richtiges von Falschem unterscheiden. So macht das Gewissen esauch denen, die der Heilige Geist nicht berufen hat, und denen, die diebesondere Offenbarung Gottes in der Heiligen Schrift nicht kennen,möglich, Gottes Willen in äußeren Taten zu folgen.4.4. Das natürliche GesetzIn der Institutio stellt Calvin fest, dass der Mensch sich der Werke derGerechtigkeit bewusst ist und dass der Menschensinn in diesen oftschärfer ist als in höheren, d.h. dem Heil zugehörenden Dingen. Zugleichweist er auf Römer 2:14–15 hin, laut dem das Gesetz im Herzen geschriebenist. 292 Er kommentiert Römer 2:14 damit, dass die Völker durch289 IIiii8.— Nach Chenevière 1937, 63 ist das Gewissen nach Calvin nicht mit der Vernunftidentisch, aber es kann der Vernunft Verständnis darbieten: “Ainsi la conscience n’est pas laraison, mais elle peut donner des raisons à l’endentement.”290 Baur 1965, 208 grenzt aber anders ab: die Vernunft wirkt wie die Erkenntnis derzweiten Tafel, das Gewissen dagegen die Erkentnis des Sittengesetzes in seinem vollenUmfang. Auch wenn ich seine Calvin-Deutung insoweit für richtig halte, dass die Vernunftder ersten Tafel nicht mächtig ist und dass das Gewissen auch ein geistliches Empfinden ist,kann ich seine Schlussfolgerung aus der Sicht des Naturrechtes nicht bejahen. Ich sehe Calvinkeine angeborene Fähigkeit des gefallenen Menschen, die erste Tafel zu kennen und zuverwirklichen, anerkennen.291 Hier ist eine Ähnlichkeit mit Philo von Alexandrien zu sehen; s. Blühdorn 204.292 "Restat tertium illud membrum, de cognoscenda vitae probe instituendae regula,quam vere operum iustitiae notitiam nuncupamus: ubi videtur mens humana esse aliquantoquam in superioribus acutior." IIii22

127verdorben, nicht kann. 289 Der Verstand erkennt also vor der Tat, was dasnatürliche Gesetz verlangt, und das Gewissen bewertet nachher dieResultate der Zusammenar<strong>bei</strong>t des Verstandes und des Willens. 290Bei dem Gewissen kommt die eigenartige Terminologie <strong>Calvin</strong>s zumVorschein. Inhaltlich hat er eine conscientia antecedens, die er aber nichtdem Begriff des Gewissens unterordnet, sondern die in seinem Denkeneine Funktion des vor der Tat aktiven Verstandes ist. 291 <strong>Das</strong> Gewissen, vorallem als ein Gericht im Menschen, gibt ein düsteres Bild von der Aufgabeund der Ar<strong>bei</strong>t des Gewissens. Ein anderes Bild sieht man darin, dass derMensch in seinem Gewissen dem Willen Gottes begegnet, den Gott in derSchöpfung offenbart hat. Dank des Gewissens kennt der Mensch einigesvom Willen Gottes und dank des Gewissens kann er Gutes von Bösemund Richtiges von Falschem unterscheiden. So macht das Gewissen esauch denen, die der Heilige Geist nicht berufen hat, und denen, die diebesondere Offenbarung Gottes in der Heiligen Schrift nicht kennen,möglich, Gottes Willen in äußeren Taten zu folgen.4.4. <strong>Das</strong> natürliche GesetzIn der Institutio stellt <strong>Calvin</strong> fest, dass der Mensch sich der Werke derGerechtigkeit bewusst ist und dass der Menschensinn in diesen oftschärfer ist als in höheren, d.h. dem Heil zugehörenden Dingen. Zugleichweist er auf Römer 2:14–15 hin, laut dem das Gesetz im Herzen geschriebenist. 292 Er kommentiert Römer 2:14 damit, dass die Völker durch289 IIiii8.— Nach Chenevière 1937, 63 ist das Gewissen nach <strong>Calvin</strong> nicht mit der Vernunftidentisch, aber es kann der Vernunft Verständnis darbieten: “Ainsi la conscience n’est pas laraison, mais elle peut donner des raisons à l’endentement.”290 Baur 1965, 208 grenzt aber anders ab: die Vernunft wirkt wie die Erkenntnis derzweiten Tafel, das Gewissen dagegen die Erkentnis des Sittengesetzes in seinem vollenUmfang. Auch wenn ich seine <strong>Calvin</strong>-Deutung insoweit für richtig halte, dass die Vernunftder ersten Tafel nicht mächtig ist und dass das Gewissen auch ein geistliches Empfinden ist,kann ich seine Schlussfolgerung aus der Sicht des Naturrechtes nicht bejahen. Ich sehe <strong>Calvin</strong>keine angeborene Fähigkeit des gefallenen Menschen, die erste Tafel zu kennen und zuverwirklichen, anerkennen.291 Hier ist eine Ähnlichkeit mit Philo von Alexandrien zu sehen; s. Blühdorn 204.292 "Restat tertium illud membrum, de cognoscenda vitae probe instituendae regula,quam vere operum iustitiae notitiam nuncupamus: ubi videtur mens humana esse aliquantoquam in superioribus acutior." IIii22

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!