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DIE REPORTAGE - made in LEVERKUSEN

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WOZU<br />

ZEICHNER<br />

IN DÜRFTIGER-<br />

ZEIT?<br />

Interview mit Liliana Stallbaum,<br />

geführt von Eva Görgen, am 10. Juli 2005.<br />

Wozu Zeichner <strong>in</strong> dürftiger Zeit? Ist<br />

dies e<strong>in</strong>e Frage die du dir öfter stellen<br />

musst?<br />

Ja, e<strong>in</strong> Ausruf von Otmar Osten, den ich<br />

als Künstler sehr schätze, hat sich besonders<br />

tief <strong>in</strong> me<strong>in</strong>e Er<strong>in</strong>nerung e<strong>in</strong>genistet:<br />

„Künstler aller Länder rechtfertigt euch!“<br />

Die Frage nach dem S<strong>in</strong>n und Uns<strong>in</strong>n des<br />

eigenen Tun kann nicht oft gestellt werden.<br />

Und das nicht nur die Kunst betreffend.<br />

Wie ist also de<strong>in</strong>e Antwort auf das<br />

paraphrasierte Hölderl<strong>in</strong>sche Dilemma?<br />

Wozu das Zeichnen?<br />

Zeichnen ist für mich e<strong>in</strong>e Art Sprache.<br />

Ich zeichne das, was ich nicht anders ausdrücken<br />

kann. E<strong>in</strong>e Art von Übersetzung<br />

und Formf<strong>in</strong>dung für das, was mich beschäftigt,<br />

nach Ausdruck ruft und sich nun so<br />

artikulieren möchte. Nicht alles lässt sich<br />

durch e<strong>in</strong>e Zeichnung ausdrücken – es gibt<br />

sicher Themen die besser durch e<strong>in</strong>en Song,<br />

e<strong>in</strong>e Malerei, oder andere Formen ihre optimale<br />

Form f<strong>in</strong>den können.<br />

Was s<strong>in</strong>d die Themen, die dich<br />

zeichnerisch ansprechen?<br />

Es gibt im Grunde ke<strong>in</strong> festgelegtes Spektrum.<br />

Es kann alles se<strong>in</strong>, Materielles und<br />

Immaterielles, vorhandenes Bildmaterial,<br />

Fotos, Zeitungsschnipsel, Fundstücke, Gesehenes,<br />

Erlebtes und vieles mehr. Meistens<br />

s<strong>in</strong>d es Fragen, die sich mit diesen „Zündpunkten“<br />

verb<strong>in</strong>den und um ihre Antwort<br />

r<strong>in</strong>gen. Die L<strong>in</strong>ie fängt dann an, diese Antworten<br />

zu umkreisen, sie so zu präzisieren<br />

oder ganz im Gegenteil, sie aufzulösen.<br />

Du arbeitest oft <strong>in</strong> Serien und<br />

Zyklen – heißt es, dass die Antworten<br />

nicht endgültig zu f<strong>in</strong>den s<strong>in</strong>d?<br />

Es hat sicher damit zu tun. Es gibt eben<br />

viele Ansichten, die e<strong>in</strong>e Sache betreffen.<br />

Um ihr auf den Grund zu gehen, versuche<br />

ich sie von mehreren Perspektiven zu<br />

beschauen, zu bezeichnen. Auf diese Weise<br />

nähere ich mich dem Kern der D<strong>in</strong>ge.<br />

Manchmal bearbeite ich auch me<strong>in</strong>e alten<br />

Zeichnungen und sehe dabei, dass ich selbst<br />

me<strong>in</strong>e eigene Perspektive verändert habe<br />

und aus dem Kern von damals e<strong>in</strong>e neue<br />

Wirklichkeit entsteht.<br />

Spielt die Ane<strong>in</strong>anderreihung von<br />

Bildern <strong>in</strong> de<strong>in</strong>en Heften und<br />

Büchern e<strong>in</strong>e ähnliche Rolle?<br />

Die Hefte be<strong>in</strong>halten noch e<strong>in</strong>e andere<br />

Komponente: die Zeit. Das Blättern, das<br />

h<strong>in</strong>tere<strong>in</strong>ander schauen, der Spannungsaufbau<br />

und -abbau er<strong>in</strong>nern an das Erzählen<br />

e<strong>in</strong>er Geschichte und an Bilderbücher. Ich<br />

spiele gerne mit dem Narrativen, mit Worten<br />

und Doppeldeutigkeiten. Vielleicht f<strong>in</strong>den<br />

sich hier die restlichen roten Fäden zu me<strong>in</strong>em<br />

Literaturstudium vor Jahren an der Krakauer<br />

Uni. Weil mich viel mehr die Form als<br />

die Farbe <strong>in</strong>teressiert, habe ich an der Europäischen<br />

Akademie für Bildende Kunst <strong>in</strong><br />

Trier mehrere Graphikkurse belegt und auch<br />

im Intensivstudium me<strong>in</strong>en Schwerpunkt<br />

darauf gelegt. Was natürlich nicht heißt,<br />

dass mich auch schon mal e<strong>in</strong> Farbenrausch<br />

erwischt. Die Wahl der Mittel ist eben immer<br />

von den Themen abhängig.<br />

KÜNSTLER<strong>REPORTAGE</strong><br />

Das Zeichnen bleibt jedoch das bevorzugte<br />

Mittel. Bei der Bleistiftausstellung im Künstlerbunker<br />

2001 <strong>in</strong> Opladen habe ich e<strong>in</strong> Netz<br />

direkt auf die verputzte Wand e<strong>in</strong>es kle<strong>in</strong>en<br />

Ausstellungsraums gezeichnet. Viele Besucher<br />

haben mich gefragt, warum ich es nicht<br />

auf Papier gezeichnet habe, es wird doch wieder<br />

verschw<strong>in</strong>den. Es war me<strong>in</strong> Spiel mit der<br />

Zeit. Nichts ist endgültig. Die L<strong>in</strong>ien haben<br />

den Raum für e<strong>in</strong>e begrenzte Zeit verändert.<br />

Kommen wir zurück zu der Anfangsfrage:<br />

Zeichnen <strong>in</strong> dürftiger Zeit?<br />

E<strong>in</strong>er schnelllebigen und <strong>in</strong>stabilen Zeit.<br />

Vielleicht war es schon immer so und es ist<br />

nur unser subjektives Empf<strong>in</strong>den, dass sich<br />

die Uhren heute schneller drehen als früher.<br />

Noch e<strong>in</strong> Literaturfaden: Georg Büchner,<br />

Dantons Tod, II, 2:<br />

„Was haben Sie denn?“<br />

„Ach nichts! Ihre Hand Herr! Die Pfütze, so!<br />

Ich danke Ihnen. Kaum kam ich vorbei, das<br />

konnte gefährlich werden!“<br />

„Sie fürchten doch nicht?“<br />

„Ja, die Erde ist e<strong>in</strong>e dünne Kruste, ich me<strong>in</strong>e<br />

immer ich könnte durchfallen, wo so e<strong>in</strong> Loch<br />

ist. Man muss mit Vorsicht auftreten, man<br />

könnte durchbrechen.“<br />

Vielleicht ist es so, dass ich mir e<strong>in</strong>fach auf<br />

diese Weise e<strong>in</strong>e Art Rettungsnetze mit dem<br />

Bleistift stricke, um nicht durchzufallen. Stricken,<br />

weben, vernetzen, wie so viele Frauen<br />

vor mir <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er unermüdlichen Frauenhandarbeit.<br />

DAS REGIONALE FREIZEITMAGAZIN 4/2005 9

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