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DIE REPORTAGE - made in LEVERKUSEN

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Das Ende ist bekannt: E<strong>in</strong>e Woche, nachdem<br />

der damals 23-jährige Leverkusener<br />

Lichtenberg <strong>in</strong> der Metropole angekommen<br />

war, fiel die Berl<strong>in</strong>er Mauer, und Egon Krenz<br />

sah Jahre später ganz andere Mauern – nämlich<br />

die e<strong>in</strong>es <strong>in</strong>zwischen gesamtdeutschen<br />

Gefängnisses.<br />

Zeitsprung: E<strong>in</strong>e<strong>in</strong>halb Jahrzehnte s<strong>in</strong>d<br />

seit jenen bewegten Herbsttagen des Jahres<br />

1989 <strong>in</strong>zwischen <strong>in</strong>s wiedervere<strong>in</strong>igte Land<br />

gezogen, und aus dem Studenten Bernd Lichtenberg<br />

wurde zwischenzeitlich e<strong>in</strong>er der<br />

erfolgreichsten deutschen Drehbuchautoren<br />

der jungen Generation. Was das alles mit Berl<strong>in</strong><br />

zu tun hat? Nun, zunächst e<strong>in</strong>mal dies: Es<br />

blieb für Lichtenberg nicht bei e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>maligen<br />

Besuch <strong>in</strong> der Hauptstadt. Offensichtlich<br />

war der 1966 <strong>in</strong> Leverkusen geborene<br />

und <strong>in</strong> Bergisch Gladbach aufgewachsene<br />

Westdeutsche von der pulsierenden Metropole<br />

schwer bee<strong>in</strong>druckt. „Die Veränderungen,<br />

die anarchistischen Momente dieser Zeit<br />

<strong>in</strong> Ostberl<strong>in</strong> fand ich sehr spannend“,<br />

er<strong>in</strong>nert sich Lichtenberg, der im Frühjahr<br />

1990 für e<strong>in</strong> Jahr <strong>in</strong> die alte Frontstadt des<br />

Kalten Krieges zog, um die Atmosphäre des<br />

Umbruchs hautnah mitzuerleben.<br />

So wie es auch jenem Alex g<strong>in</strong>g, der<br />

Hauptfigur des <strong>in</strong>zwischen zu Kultstatus<br />

gelangten Spielfilms „Goodbye Len<strong>in</strong>“, zu<br />

dem ausgerechnet der Wessi Bernd Lichtenberg<br />

das Drehbuch lieferte. Alex, e<strong>in</strong> 21-jähriger<br />

Ostberl<strong>in</strong>er mit l<strong>in</strong>ientreuer Mutter, bastelt<br />

<strong>in</strong> den Monaten nach den Revolutionen<br />

<strong>in</strong> Osteuropa e<strong>in</strong>e Sche<strong>in</strong>welt, e<strong>in</strong>e M<strong>in</strong>iausgabe<br />

der längst untergegangenen DDR, um<br />

se<strong>in</strong>er zwischenzeitlich <strong>in</strong>s Koma gefallenen<br />

und – wie gesagt – von der Überlegenheit des<br />

Sozialismus immer noch überzeugten Frau<br />

Mama nach dem Wiederaufwachen e<strong>in</strong>en<br />

allzu großen Schock zu ersparen. Was da auf<br />

wenigen Quadratmetern e<strong>in</strong>er typischen Ostberl<strong>in</strong>er<br />

Wohnung entsteht, ist aber nur auf<br />

den ersten Blick alle<strong>in</strong> komisch. Denn<br />

immerh<strong>in</strong> steckt h<strong>in</strong>ter der Geschichte, die<br />

unzählige K<strong>in</strong>obesucher <strong>in</strong> wahre Lachkrämpfe<br />

und respektablen Bauchmuskelzerrungen<br />

trieb, e<strong>in</strong> durchaus tragischer Kern.<br />

Mit der alten DDR g<strong>in</strong>gen nämlich auch<br />

Lebensentwürfe und sche<strong>in</strong>bar unverrückbare<br />

Wahrheiten über die große Politik im allgeme<strong>in</strong>en<br />

und das ganz private Leben im<br />

speziellen zu Bruch – hauptsächlich im<br />

Osten, aber eben nicht nur dort. Jedenfalls<br />

glaubt Lichtenberg, dass se<strong>in</strong>e Figur Alex<br />

nicht nur für se<strong>in</strong>e Mutter den Untergang<br />

des eigenen Staates mit allerlei Griffen <strong>in</strong><br />

Trickkiste aufzuhalten versucht: „Am Ende<br />

lässt Alex die DDR vielleicht hauptsächlich<br />

für sich selbst weiterexistieren. Die letzte<br />

große Lüge <strong>in</strong> dem Film hat ja hauptsächlich<br />

e<strong>in</strong>en symbolischen Wert.“ Soll heißen, dass<br />

der Filmheld <strong>in</strong> der Wendezeit nicht nur<br />

Abschied vom eigenen Staat, sondern auch<br />

von se<strong>in</strong>er Jugend und mit der DDR von fast<br />

allem bislang für sicher gehaltenen E<strong>in</strong>stellungen<br />

nehmen muss. Alex wird erwachsen,<br />

etwas Altes vergeht, aber das Neue ist noch<br />

ziemlich undeutlich.<br />

Autobiographische Züge? Bernd Lichtenberg<br />

ist sich da nicht so sicher. „Ich b<strong>in</strong><br />

nicht unbed<strong>in</strong>gt jemand, der solche Bilder<br />

benutzt“, erklärt der heute <strong>in</strong> Köln und Berl<strong>in</strong><br />

lebende freie Drehbuchautor. Aber dennoch,<br />

auch Lichtenberg selbst befand sich<br />

e<strong>in</strong>e zeitlang auf der Suche nach der eigenen<br />

Rolle, nach der eigenen Profession.<br />

Nach dem Abitur studierte er Philosophie<br />

und Theologie, zunächst <strong>in</strong> Köln und Bonn,<br />

später dann <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>. Und dort, <strong>in</strong> der<br />

Hauptstadt, machte der Mittzwanziger Anfang<br />

der 90er Jahre während e<strong>in</strong>es Praktikums<br />

bei e<strong>in</strong>em Fernsehsender die ersten<br />

Schritte <strong>in</strong> Richtung Film. Jedenfalls war die<br />

Leidenschaft für dieses Medium schnell<br />

geweckt. Lichtenberg absolvierte nach se<strong>in</strong>er<br />

Rückkehr aus Berl<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Filmstudium an der<br />

Kunsthochschule für Medien <strong>in</strong> Köln und<br />

PORTRAIT<br />

siegte 1995 beim Drehbuchwettbewerb des<br />

nordrhe<strong>in</strong>-westfälischen Kultusm<strong>in</strong>isteriums.<br />

Dabei beschränken sich die Talente des<br />

39-Jährigen längst nicht auf das Verfassen<br />

von Skripten für Kunstwerke auf Zelluloid.<br />

1997 führte Lichtenberg zum Beispiel <strong>in</strong><br />

dem Kurzfilm „Deja vu“ Regie, e<strong>in</strong>em Kammerspiel<br />

mit Katr<strong>in</strong> Saß und Wolfgang<br />

W<strong>in</strong>kler. Und auch als Buchautor machte<br />

der Leverkusener kürzlich auf sich aufmerksam.<br />

In diesem Jahr erschien „E<strong>in</strong>e von vielen<br />

Möglichkeiten, dem Tiger <strong>in</strong>s Auge zu<br />

sehen“ – e<strong>in</strong> Band mit Geschichten, <strong>in</strong><br />

denen Lichtenberg alltägliche Momente mit<br />

enormer Präzision <strong>in</strong> ihre Bestandteile zerlegt.<br />

Die Atomisierung des ganz persönlichen<br />

Lebens und der großen<br />

Geschichte – erst diese fe<strong>in</strong>e Sezierung lässt<br />

Tragisches zu Komischem und Komisches zu<br />

Tragischem werden und im Auge des<br />

Betrachters zu e<strong>in</strong>er Symbiose verschwimmen.<br />

Fast wie <strong>in</strong> dem Film „Goodbye<br />

Len<strong>in</strong>“, für den Bernd Lichtenberg zusammen<br />

mit Regisseur Wolfgang Becker den<br />

Deutschen Drehbuchpreis bekam.<br />

Dort taucht nämlich e<strong>in</strong> gewisser Sigmund<br />

Jähn auf, e<strong>in</strong> Mann, der im Osten<br />

noch heute e<strong>in</strong>e Berühmtheit ist, im Westen<br />

aber längst vergessen oder sogar verdrängt<br />

wurde. Jener Sigmund Jähn war als Gast des<br />

großen Bruders Sowjetunion und als Kosmonaut<br />

1978 der erste Deutsche im Weltall und<br />

bescherte der DDR damit e<strong>in</strong>en ihrer seltenen<br />

Siege über den Klassenfe<strong>in</strong>d. Denn erst<br />

Jahre danach griff e<strong>in</strong> Bürger der Bundesrepublik<br />

als Astronaut nach den Sternen. Und<br />

was sagt unser tragischer Held Alex, dessen<br />

Vater zeitgleich <strong>in</strong> den Westen rübermachte,<br />

über e<strong>in</strong> Jahrzehnt später zu diesem Meilenste<strong>in</strong><br />

auf dem verme<strong>in</strong>tlichen Weg zum Sozialismus?<br />

„1978 war die DDR auf Weltniveau<br />

und unsere Familie g<strong>in</strong>g den Bach runter.“<br />

Komischer als Bernd Lichtenberg hätte man<br />

die Tragödie kaum <strong>in</strong> Worte fassen können.<br />

DAS REGIONALE FREIZEITMAGAZIN 4/2005 31

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