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<strong>Christiane</strong> <strong>Schmidt</strong>Fritz Schaefler (1888–1954)Expressionistische Arbeiten <strong>de</strong>r Jahre1918 bis 1919 in MünchenHerbert Utz Verlag · München


KunstwissenschaftenBand 19Zugl.: Diss., Köln, Univ., 2007Bibliografische Information <strong>de</strong>r DeutschenNationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothekverzeichnet diese Publikation in <strong>de</strong>r DeutschenNationalbibliografie; <strong>de</strong>taillierte bibliografische Datensind im Internet über http://dnb.d-nb.<strong>de</strong> abrufbar.Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt.Die dadurch begrün<strong>de</strong>ten Rechte, insbeson<strong>de</strong>re die<strong>de</strong>r Übersetzung, <strong>de</strong>s Nachdrucks, <strong>de</strong>r Entnahme vonAbbildungen, <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rgabe auf fotomechanischemo<strong>de</strong>r ähnlichem Wege und <strong>de</strong>r Speicherung in Datenverarbeitungsanlagenbleiben – auch bei nur auszugsweiserVerwendung – vorbehalten.Copyright © Herbert Utz Verlag GmbH · 2008ISBN 978-3-8316-0790-7Printed in GermanyHerbert Utz Verlag GmbH, München089-277791-00 · www.utz.<strong>de</strong>


DanksagungI. Einleitung 1a. Forschungsstand 4b. Expressionismus 13II. Biographie Fritz Schaefler 23III. Fritz Schaefler – Arbeiten <strong>de</strong>r Jahre1918 bis 1919 in München 29a. Arbeiten aus <strong>de</strong>r Kriegszeit 29i. Der Blick <strong>de</strong>r Expressionisten auf <strong>de</strong>n Krieg 29ii. Kriegsdarstellungen von Fritz Schaefler 39b. Arbeiten nach <strong>de</strong>r Kriegsverletzung 45i. Einführung 45ii. Irrenhausszenen 47iii. Religiöse Szenen 611. Expressionismus und Religion 612. Passionsdarstellungen Fritz Schaeflers 703. Weitere religiöse Arbeiten 87c. Arbeiten in Zusammenhang mit <strong>de</strong>r Münchner Revolutionund Räterepublik 101i. Vorraussetzungen und Verlauf <strong>de</strong>r Münchner Revolutionund Räterepublik 102ii. Kunstpolitik und Geistesleben in München – <strong>de</strong>r „(Politische) Ratgeistiger Arbeiter“, <strong>de</strong>r „Rat <strong>de</strong>r Bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Künstler“ und<strong>de</strong>r „Aktionsausschuß revolutionärer Künstler“ 119


1. Der „(Politische) Rat geistiger Arbeiter“,<strong>de</strong>r „Rat geistiger Arbeiter“ und <strong>de</strong>r „Rat<strong>de</strong>r Bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Künstler“ 1202. Der „Aktionsausschuß revolutionärer Künstler“ 1253. Die Situation <strong>de</strong>r Künstler nach <strong>de</strong>r Zerschlagung<strong>de</strong>r Räterepublik 141iii. Zu Schaeflers Arbeit für Zeitungen und Zeitschriften 1511. „Süd<strong>de</strong>utsche Freiheit“ 1522. „Der Weg“ 1613. „Die Bücherkiste“ 1774. Weitere Zeitschriften 1835. An<strong>de</strong>re Publikationen 186iv. Ausstellungen Fritz Schaeflers 1918 und 1919 191d. Porträts 195i. Das Porträt im Expressionismus 1971. Überblick 1972. Künstlerporträt und Selbstporträt 201ii. Porträts von Fritz Schaefler 2071. Überblick 2072. Porträts für „Der Weg“, „Süd<strong>de</strong>utsche Freiheit“und an<strong>de</strong>re expressionistische Zeitschriften 2093. Porträts von Weggefährten Fritz Schaeflers 2234. Die Familie 2395. Selbstporträts 2446. Zusammenfassung 249IV. Schlusswort 251V. Quellensammlung 257VI. Literatur- und Quellenverzeichnis 285VII. Katalog <strong>de</strong>r Abbildungen 319


I. EinleitungDas Interesse für ein Thema wird in einer ersten Begegnung geweckt: durch einErlebnis, ein Objekt, eine Erzählung. Durch die wie<strong>de</strong>rkehren<strong>de</strong> Beschäftigungentwickelt sich ein immer komplexeres Bild. Das Allgemeinwissen konkretisiertsich zu einem Spezialwissen, es wer<strong>de</strong>n weitere Seitenwege erschlossen, so dassschließlich ein facettenreiches Kaleidoskop entsteht.Auch für die kunsthistorische Expressionismusforschung gilt dieses Prinzip: zunächststan<strong>de</strong>n die Künstler <strong>de</strong>r Gruppe „Die Brücke“ und aus <strong>de</strong>m Umfeld <strong>de</strong>sAlmanachs „Der Blaue Reiter“ im Blickpunkt. Im Laufe <strong>de</strong>r Jahre erweitertesich das Interesse auf an<strong>de</strong>re Gruppierungen und Einzelgänger. Seit einigen Jahrenwer<strong>de</strong>n verstärkt die unbekannten Expressionisten <strong>de</strong>r sogenannten „ZweitenGeneration“ erforscht. Es entstand ein Begriffsbild, das zeigt, wie vielfältig alleine<strong>de</strong>r bildkünstlerische Part <strong>de</strong>s Expressionismus ist – ohne auf die Leistungenin Literatur, Theater, Architektur und Bildhauerei eingegangen zu sein.Aufgrund eines langjährigen Interesses am Expressionismus lag es nahe, sich imRahmen einer kunsthistorischen Abschlussarbeit eines unbekannten Expressionistenanzunehmen. Es ergab sich die Erschließung eines im KunsthistorischenInstitut <strong>de</strong>r Universität Köln befindlichen, bis dato nur inventarisierten, abernoch nicht bearbeiteten Konvoluts <strong>de</strong>s Expressionisten Fritz Schaefler, einemVertreter <strong>de</strong>r „Zweiten Generation“ <strong>de</strong>r Expressionisten, <strong>de</strong>r erst nach <strong>de</strong>m ErstenWeltkrieg expressionistisch arbeitete. Diese erste einordnen<strong>de</strong> Bestandsaufnahmein <strong>de</strong>r Magisterarbeit machte <strong>de</strong>utlich, dass es lohnt, <strong>de</strong>m Expressionismuseine neue Facette hinzuzufügen, die einen vielfältig begabten Vertreter <strong>de</strong>spolitisierten süd<strong>de</strong>utschen Nachkriegsexpressionismus 1918/1919 beleuchtet.Es waren zwar bereits Ausstellungskataloge zu Schaefler vorhan<strong>de</strong>n, aber nochnie hatte man sich ausschließlich mit dieser Zeit beschäftigt, die Fülle von Werkenzusammenhängend vorgestellt und in <strong>de</strong>n (kunst)historischen Kontext gesetzt.Dies ist das Ziel <strong>de</strong>r vorliegen<strong>de</strong>n Arbeit.Anhand zahlreicher Bildbeispiele und ausführlicher Bildbeschreibungen wirddas Werkkonvolut zweier Jahre aufgearbeitet, in <strong>de</strong>nen Schaefler fieberhaft gearbeitethaben muss. Es entstan<strong>de</strong>n nahezu ausschließlich Werke in <strong>de</strong>n grafischenTechniken Holzschnitt und Radierung. Die jeweiligen Ausdrucksmöglichkeitennutzte Schaefler konsequent für seine Bildinhalte.Fritz Schaefler gehörte zu <strong>de</strong>n engagierten avantgardistischen Künstlern Münchens.Diese Gruppe verfolgte ihre Ziele gegen die breite unpolitische Masse in <strong>de</strong>r Resi<strong>de</strong>nzstadt,die durch eine extreme Bürgerlichkeit geprägt war. Schaefler ließ sichauf die Mitarbeit in politischen Gruppierungen ein, die nach <strong>de</strong>m Ersten Weltkriegfür revolutionäre Verän<strong>de</strong>rungen einstan<strong>de</strong>n und arbeitete als Schriftleiter für bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>Kunst für die wichtige Zeitschrift „Der Weg“. Zahlreiche seiner Originalgrafikenerschienen in expressionistischen Zeitungen und Zeitschriften.1


In <strong>de</strong>r Literatur wur<strong>de</strong> Fritz Schaefler als „Portraitist <strong>de</strong>r revolutionären Bewegung“bezeichnet 1 – tatsächlich erlauben die zahlreichen Porträts einen Einblickin die bekannte und unbekanntere Münchner Gesellschaft von Künstlern undIntellektuellen. Mannigfache Verbindungen bestehen zwischen <strong>de</strong>n Porträtiertenund <strong>de</strong>r publizistischen Arbeit Schaeflers.Mittels <strong>de</strong>r <strong>de</strong>taillierten Schil<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r kulturpolitischen, <strong>de</strong>r Porträt- und <strong>de</strong>rpublizistischen Arbeit Schaeflers soll ein Künstler vorgestellt wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r, eingebettetin eine spannungsreiche und sich pulsierend verän<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Gesellschaft,innerhalb einer kurzen Zeitspanne Werke von höchster privater und gesellschaftsrelevanterIntensität schuf. Schaefler gehört mit seinem Werk zu <strong>de</strong>n führen<strong>de</strong>nsüd<strong>de</strong>utschen Expressionisten <strong>de</strong>r Nachkriegsjahre. Dieser Platz soll ihmmit dieser Monographie endgültig eingeräumt wer<strong>de</strong>n.Ziel dieser Arbeit ist es, in gleichwertig nebeneinan<strong>de</strong>r stehen<strong>de</strong>n Kapiteln diedrei großen Schwerpunkte <strong>de</strong>r künstlerischen Arbeit Fritz Schaeflers in <strong>de</strong>n Jahren1918 und 1919 in München ausführlich zu beleuchten: die künstlerischeUmsetzung <strong>de</strong>r Kriegseindrücke und <strong>de</strong>r schweren Kopfverletzung; die kulturpolitischenund künstlerischen Aktivitäten während <strong>de</strong>r Revolution und Räterepublikund die Arbeit als Porträtist <strong>de</strong>s künstlerischen und persönlichen Umfel<strong>de</strong>s.2Je<strong>de</strong>m Kapitel wird eine Einführung zum jeweiligen Kontext vorangestellt, diees erlaubt, das Werk Fritz Schaeflers einzuordnen. Dabei wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n Kapitelnzu <strong>de</strong>n Kriegsbil<strong>de</strong>rn, <strong>de</strong>n religiösen Bil<strong>de</strong>rn und <strong>de</strong>n Porträts bewusst zuerstbeispielhafte Werke an<strong>de</strong>rer expressionistischer Künstler vorgestellt, um imAnschluss die Bildlösungen Fritz Schaeflers dagegen zu setzen.Zunächst wird eine Einführung in <strong>de</strong>n Expressionismus gegeben (Kapitel I.), dienicht nur die zugrun<strong>de</strong>liegen<strong>de</strong>n Gedanken- und Formkonzepte erläutert, son<strong>de</strong>rnauch auf die Verän<strong>de</strong>rungen eingeht, die aufgrund gesellschaftlicher Entwicklungenund künstlerischer Aktivitäten innerhalb <strong>de</strong>r mehr als ein Jahrzehntwähren<strong>de</strong>n Zeitspanne <strong>de</strong>s alle künstlerischen Bereiche durchdringen<strong>de</strong>n PhänomensExpressionismus erfolgen – geprägt vor allem von <strong>de</strong>r entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Zäsurdurch <strong>de</strong>n Ersten Weltkrieg.Der folgen<strong>de</strong> biographische Überblick (Kapitel II.) ordnet die Münchner Jahrein das gesamte Leben und Schaffen Fritz Schaeflers ein.Das Kapitel III.a. widmet sich <strong>de</strong>n Arbeiten aus <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>s Ersten Weltkriegs.Es erläutert die Verän<strong>de</strong>rungen in <strong>de</strong>r künstlerischen Sichtweise auf <strong>de</strong>n Krieg1 Siehe: Hoffmann 1989, S. 22.2 Mehrere Darstellungen biographischen Charakters zu Fritz Schaefler liegen inzwischen vor; eineweitere Monographie dieser Art wäre nur dann sinnvoll, wenn man <strong>de</strong>n Fokus mehr auf das bildkünstlerischeWerk nach <strong>de</strong>r Mitte <strong>de</strong>r 1920er Jahre und auf die angewandten Arbeiten, vor allem auf dieFarbgestaltungen und die Glasarbeiten legte, <strong>de</strong>nn diese harren noch <strong>de</strong>r wissenschaftlichen Aufarbeitung.2


über die letzten Jahrhun<strong>de</strong>rte und zeigt, warum <strong>de</strong>r Erste Weltkrieg eine völligneue emotionale Erfahrung war und bei <strong>de</strong>n Expressionisten eine höchst subjektiveRezeption <strong>de</strong>s Schreckens auslöste. Es wer<strong>de</strong>n exemplarische Arbeiten aus<strong>de</strong>m viele Blätter umfassen<strong>de</strong>n Kriegsskizzenbuch Fritz Schaeflers vorgestellt;sie zeigen einen naturalistischen Stil, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m dokumentarischen Charakter ihrerInhalte entspricht.Das Kapitel III.b. analysiert die Auswirkungen <strong>de</strong>r Kriegserlebnisse und ihrekünstlerische Umsetzung in expressionistische Formensprache. Irrenhausszenengeben einen Eindruck von <strong>de</strong>r psychischen Qual, die Fritz Schaefler nach seinerKopfverletzung erlitten haben muss. Im Vergleich mit Werken an<strong>de</strong>rer Expressionistenzu diesem Themenkomplex wird ihre Einzigartigkeit offensichtlich.Eine Vielzahl von Blättern zu religiösen Themen, vor allem zur christlichen Passionsgeschichte,sind Zeugnisse einer unsicheren Weltanschauung, die nachAntworten sucht. Die Analyse greift auch die verschie<strong>de</strong>nen gestalterischenTechniken auf und fasst Werkgruppen zusammen.Das Kapitel III.c. beleuchtet die Münchner Revolution im November 1918 unddie daraus folgen<strong>de</strong> Errichtung einer Räterepublik. Ihre historischen Vorraussetzungen,die Entstehung und <strong>de</strong>r Verlauf wer<strong>de</strong>n, auch anhand zahlreicher Zeitungsartikel,ausführlich dargelegt, um eine Vorstellung zu erhalten, in welchempolitischen, gesellschaftlichen und geistigen Kontext radikal avantgardistischeKünstler wie Fritz Schaefler gewirkt haben und warum die Utopie einer neuenGesellschaft letztlich scheitern musste.Neben <strong>de</strong>r Untersuchung <strong>de</strong>r aktiven kulturpolitischen Arbeit Schaeflers wirddie im Gesamtwerk qualitativ wie quantitativ überragen<strong>de</strong> Kunstproduktion dieserMonate ausführlich dokumentiert und analysiert. Einen Schwerpunkt bil<strong>de</strong>nhierbei die Arbeiten für Zeitschriften und an<strong>de</strong>re Publikationen. Das Kapitelwird durch eine Übersicht zu <strong>de</strong>n Ausstellungen Schaeflers in <strong>de</strong>n Jahren 1918und 1919 abgeschlossen.Das Kapitel III.d. ist <strong>de</strong>m expressionistischen Porträt gewidmet. Fritz Schaeflerwird als Porträtist <strong>de</strong>r Münchner Kunst- und Intellektuellenkreise gewürdigt;ausführlich wer<strong>de</strong>n unter an<strong>de</strong>rem die zumeist bereits im vorangehen<strong>de</strong>n Revolutionskapitelerwähnten Porträtierten biographisch vorgestellt. Die Anwendungunterschiedlicher graphischer Techniken soll auf eine Unterstützung <strong>de</strong>r Aussagekraft<strong>de</strong>s jeweiligen Porträts untersucht wer<strong>de</strong>n. Es ergibt sich ein komplexesBild <strong>de</strong>s Wirkungskreises Schaeflers in <strong>de</strong>n bewegten Jahren 1918 und 1919 undsomit ein vielfältiges zeit- und kulturgeschichtliches Kaleidoskop. Der Künstlerwird aber auch als Dokumentarist seiner Familie und seiner selbst gewürdigt. In<strong>de</strong>r Betrachtung <strong>de</strong>r religiös konnotierten Selbstporträts schließt sich <strong>de</strong>r Kreiszu <strong>de</strong>n Kriegsbil<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s zweiten Kapitels.3


Das Schlusswort fasst anhand zweier Bildbeispiele die Inhalte in SchaeflersWerk <strong>de</strong>r Jahre 1917 bis 1919 zusammen und stellt sie in <strong>de</strong>n Kontext <strong>de</strong>s expressionistischenUmfel<strong>de</strong>s. Ein Ausblick skizziert die künstlerische Arbeit nach<strong>de</strong>m Weggang aus München Mitte 1919.Der Katalog <strong>de</strong>r Abbildungen folgt auf <strong>de</strong>n Textteil, um eine bessere Übersichtlichkeitzu gewährleisten. Die Qualität <strong>de</strong>r Abbildungen variiert gemäß <strong>de</strong>n jeweiligenVorlagen.Die Angaben zu <strong>de</strong>n Werken Schaeflers folgen <strong>de</strong>r Werkverzeichnisnummer(WVZ), die Vera Thiel vergeben hat; bisher nicht verzeichnete Werke sind als„nicht im WVZ“ gekennzeichnet. 3 Im Sinne einer Vereinfachung wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>nFußnoten auf eine Kennzeichnung <strong>de</strong>r von Fritz Schaefler selbst vergebenenBildtitel verzichtet; im Abbildungsverzeichnis erfolgt diese durch Anführungsstriche(„…“) bei originalen Bildtiteln.Die Angabe „im Nachlass“ weist auf <strong>de</strong>n Nachlass im Besitz <strong>de</strong>s Enkels, HerrnChristoph Schaefler hin; an<strong>de</strong>re Eigentümer sind <strong>de</strong>mentsprechend gekennzeichnet.In <strong>de</strong>n Anmerkungen wer<strong>de</strong>n Angaben zu <strong>de</strong>n Künstlerbiographien <strong>de</strong>r wenigerbekannten Expressionisten <strong>de</strong>r Zweiten Generation ausgeführt; dies dient dazu,weitere Facetten zum Expressionismus-Bild hinzuzufügen und das zeitliche wiekünstlerisch-gedankliche Umfeld Fritz Schaeflers zu beleuchten.Erläutern<strong>de</strong> Angaben wie Werkverzeichnisnummern und Provenienz zu Kunstwerkenan<strong>de</strong>rer Künstler erfolgen, wenn sie für <strong>de</strong>n Vergleich benötigt wer<strong>de</strong>n;im Rahmen <strong>de</strong>r Vorstellung <strong>de</strong>r expressionistischen Zeitschriften wur<strong>de</strong> wegen<strong>de</strong>r Fülle <strong>de</strong>s Materials auf diese Angaben verzichtet.a. ForschungsstandFritz Schaefler selbst hat kein Werkverzeichnis erstellt. Auch hat er seine Werke,mit Ausnahme früher grafischer Arbeiten, selten datiert.Ein Inventarverzeichnis, das im Jahr 1957 von Hannsotto Schaefler, <strong>de</strong>m SohnFritz Schaeflers angelegt wur<strong>de</strong>, verzeichnet 707 Nummern, wobei mancheNummern einhun<strong>de</strong>rt bis zweihun<strong>de</strong>rt einzelne Blätter subsumieren, zum Beispieldie Kriegsskizzen. Neben Ölgemäl<strong>de</strong>n, Aquarellen, Radierungen, Holzschnitten,Rötel-, Blei- und Kohlezeichnungen sind auch Kartons mit Fensterentwürfen,Kupfer-, Messing-, Zink- und Linolplatten, Holzstöcke, Hinterglasobjekteund Holzplastiken vermerkt.3 Siehe: Thiel 1996.4


Daneben existiert ein Abbildungsverzeichnis, das vermutlich von HannsottoSchaefler angelegt wur<strong>de</strong>, als dieser <strong>de</strong>n Nachlass übernahm. 4 Darin dokumentierenkleine Abbildungen in schwarzweiß einen Teil <strong>de</strong>r grafischen Arbeiten, allerdingsfehlen weitgehend Datierungen und Titel. Für manche heute nicht mehr nachweisbareBlätter bil<strong>de</strong>t dieses Verzeichnis die einzige Dokumentation.Einen Überblick über das Gesamtwerk zu erhalten ist auch insofern schwierig,als Fritz Schaefler zu Lebzeiten zum Verkauf etlicher Arbeiten in Privatbesitzgezwungen war, ferner durch die Tatsache, dass <strong>de</strong>r Sohn in späteren Jahren vieleWerke verkaufte, ohne sie vorher zu dokumentieren. Offensichtlich veräußerteer auch Materialien wie Briefe etc.. 5 Dementsprechend weit gestreut ist dieEigentümerschaft. Der Enkel Christoph Schaefler, bei <strong>de</strong>m sich <strong>de</strong>r restlicheNachlass inzwischen befin<strong>de</strong>t, bemüht sich seit einigen Jahren verstärkt um <strong>de</strong>nZusammenhalt und die Erfassung <strong>de</strong>s Gesamtwerks.Intensive Recherchen zur Vorbereitung <strong>de</strong>r vorliegen<strong>de</strong>n Arbeit, vor allem inzeitgenössischen Publikationen, in Museen und bei Privatleuten haben etlichenoch nicht verzeichnete Werke und einige verzeichnete, jedoch verschollen geglaubteWerke zutage geför<strong>de</strong>rt.QuellenlageDie Quellen zu Fritz Schaefler können in zwei Gruppen eingeteilt wer<strong>de</strong>n:Zum einen in die Primärquellen, also die zeitgenössische Kunstzeitschriften-Literatur <strong>de</strong>r expressionistischen Schaffensjahre zwischen 1918 und <strong>de</strong>n frühenZwanziger Jahren und in die Publikationen <strong>de</strong>r Werkphase ab Mitte <strong>de</strong>r ZwanzigerJahre bis in die Fünfziger Jahre. Diese thematisieren die zwischen 1919 und1927 am Chiemsee entstan<strong>de</strong>nen Arbeiten und ab 1927 hauptsächlich angewandteArbeiten Schaeflers (zum Beispiel die farbpsychologischen Aufträgesowie Glas- und Fassa<strong>de</strong>n-Arbeiten). Die zweite Gruppe umfasst die Sekundärquellen,das heißt die Publikationen, die vor allem in <strong>de</strong>n Jahren nach <strong>de</strong>mErsten Weltkrieg und dann seit <strong>de</strong>n siebziger Jahren, als man <strong>de</strong>n Künstler wie<strong>de</strong>rent<strong>de</strong>ckte,bis heute erschienen sind.1. PrimärquellenDie Publikationen aus <strong>de</strong>r expressionistischen Schaffenszeit Fritz Schaeflers sin<strong>de</strong>ntschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Bestandteil <strong>de</strong>r qualitativ wie quantitativ reichen Münchner Jahre1918 und 1919, die das Thema <strong>de</strong>r vorliegen<strong>de</strong>n Arbeit sind; sie lassen sich wie<strong>de</strong>rumin zwei Kategorien einteilen: in „konservative“ Kunstzeitschriften sowie in spezifischavantgardistische Organe.4 Bei<strong>de</strong> Verzeichnisse befin<strong>de</strong>n sich im Nachlass.5 Siehe: Interview mit Hans Fuhlrodt im Jahr 1995 (im Nachlass) [künftig zitiert als: Interview Fuhlrodt1995].5


Zur ersten Kategorie gehört das renommierte „Kunstblatt“, herausgegeben vonPaul Westheim, in <strong>de</strong>m in <strong>de</strong>n Jahren von 1918 bis 1922 mehrere Artikel zu ArbeitenSchaeflers erschienen, sie sind zumeist von <strong>de</strong>m Kunsthistoriker KurtGerstenberg geschrieben, <strong>de</strong>r das Schaffen Schaeflers seit 1917 begleitete unddokumentierte. 6 Weitere Artikel fin<strong>de</strong>n sich in <strong>de</strong>r „Kunstchronik“ (1918/19)und in „Cicerone“ (1920).Hauptsächlich jedoch wur<strong>de</strong>n Schaeflers Arbeiten in avantgardistischenPublikationen abgedruckt, oft als Originalgrafik. Am be<strong>de</strong>utendsten sind hier dieMünchner Zeitschrift „Der Weg“ (1919), an <strong>de</strong>ren Herausgabe Fritz Schaeflerals Schriftleiter für bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Kunst entschei<strong>de</strong>nd beteiligt war, sowie die MünchnerWochenzeitung „Süd<strong>de</strong>utsche Freiheit“, für die Schaefler mehrere Titelholzschnittefertigte. In <strong>de</strong>n Zeitschriften „Die Bücherkiste“, „Die neue Bücherschau“(1919), „Die Sichel“ (1920) und „Die rote Er<strong>de</strong>“ (1920) erschienenmehrfach Grafiken von Schaefler.Außer<strong>de</strong>m war Schaefler in Mappenwerken wie „Die Schaffen<strong>de</strong>n“ (1918 und1919) und „Die Fibel“ (1919) sowie in Überblicksdarstellungen wie „Das graphischeJahrbuch“ (1919) und „Neue Graphik“ (1920) vertreten.Seit <strong>de</strong>r Mitte <strong>de</strong>r Zwanziger Jahre erschienen selten Arbeiten von FritzSchaefler in Zeitschriften o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Publikationen. Ausnahmen sind Arbeitenbeziehungsweise Erwähnungen in „Der Bücherwurm“ (1926), in <strong>de</strong>r „Kunstchronik“(1927/28) und in <strong>de</strong>r „Zeitschrift für das gesamte Krankenhauswesen“(1929), in <strong>de</strong>r Schaefler mit W. Cro<strong>de</strong>l einen Artikel über „Farben im Krankenhaus“veröffentlichte; sowie in <strong>de</strong>r Zeitschrift „Frauenland“ (1933).Außer einem Artikel Kurt Gerstenbergs: „Bildnisradierungen von Fritz Schaefler“ in„Das Kunstwerk“ (1955/56) gab es in <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Jahren keine nennenswertenVeröffentlichungen zu <strong>de</strong>m in Vergessenheit geratenen Künstler.Des Weiteren seien vier frühe Ausstellungen genannt, <strong>de</strong>nn die zugehörigen Katalogebezeugen die Bandbreite innerhalb <strong>de</strong>s Werkes von Fritz Schaefler undgeben einen repräsentativen Überblick über das Schaffen und die WertschätzungFritz Schaeflers nach <strong>de</strong>m Ersten Weltkrieg.Bereits im Frühjahr 1918 stellte Schaefler, aus <strong>de</strong>m Krieg zurückgekehrt, innerhalb<strong>de</strong>r Neuen Secession München aus. Er zeigte hauptsächlich Arbeiten aus seiner erstenexpressionistischen Phase, in <strong>de</strong>nen er <strong>de</strong>n Krieg und seine schwere Kopfverletzungverarbeitete. 7Einen Höhepunkt bil<strong>de</strong>te die Ausstellung „Der expressionistische Holzschnitt“ imSommer 1918 in <strong>de</strong>r Münchener Galerie Neue Kunst Hans Goltz, die seit 1912 eineVorreiterrolle in <strong>de</strong>r Präsentation europäischer avantgardistischer Kunst in München6 Siehe die Korrespon<strong>de</strong>nz im Nachlass.7 Siehe: Galerie Caspari 1918.6


hatte. Dort war Schaefler mit dreizehn Werken vertreten, unter an<strong>de</strong>rem mit einerPassionsfolge. 8In Düsseldorf richtete das Graphische Kabinett ‚von Bergh und Co.‘ Fritz Schaefler1918 und 1919 jeweils eine Einzelausstellung aus; außer<strong>de</strong>m stellte Schaefler dortmehrfach mit an<strong>de</strong>ren Künstlern aus. 9Im Herbst 1919 waren Arbeiten von Schaefler Teil einer Gemeinschaftsausstellungmit Paul Klee und <strong>de</strong>m Bildhauer Theodor Caspar Pilartz in „Zinglers Kabinett fürKunst- und Bücherfreun<strong>de</strong>“ in Frankfurt am Main; Schaefler bestritt <strong>de</strong>n größtenTeil <strong>de</strong>r Ausstellung. 10Die Theaterarbeit Fritz Schaeflers ist bisher nur in Ansätzen gewürdigt wor<strong>de</strong>n,eine konsequente Aufarbeitung steht weiterhin aus. Im Kontext dieser Arbeit istsie ausgespart, da von Schaefler ausgestattete Aufführungen an verschie<strong>de</strong>nenMünchner Theatern erst 1920/21 stattfan<strong>de</strong>n. 11 Entwürfe für Kostüme und Bühnenbil<strong>de</strong>rbefin<strong>de</strong>n sich im Nachlass, in großer Zahl aber vor allem im TheatermuseumMünchen. 12 Das Werkverzeichnis von Vera Thiel gibt dazu einen vorläufigenÜberblick.In diesem Zusammenhang sind auch die Entwürfe für die Tänzerin Manda vonKreibig (1901–1989) interessant; Bilddokumente sind vor allem im Erwin vonKreibig-Museum in München verwahrt (Abb. 3). Das Deutsche TanzarchivKöln besitzt unter an<strong>de</strong>rem ein Plakat Fritz Schaeflers, dass das Indianerkostümfür Manda von Kreibig zeigt (Abb. 2). 13Die angewandten Arbeiten Fritz Schaeflers, das heißt die Farbgestaltungen, dieWandbemalungen, die kirchlichen und profanen Glasfenstergestaltungen, dieHolzschnitzereien und min<strong>de</strong>stens ein Teppichentwurf fin<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Schaefler-8 Siehe: Galerie Neue Kunst Hans Goltz 1918.9 März 1919: Gemeinschaftsausstellung junger Münchner Künstler mit Georg Birnbacher, Paul Klee,Adolf Schinnerer, Max Unold u.a.. Mitte bis En<strong>de</strong> Juli 1919: Kunst in Düsseldorfer Privatbesitz (Gemeinschaftsausstellung).Der Ausstellungskatalog „Von Nol<strong>de</strong> bis Dix. Der Düsseldorfer Arzt, Sammlerund Kunsthändler <strong>Dr</strong>. Hans Koch und „Das Graphische Kabinett von Bergh & Co.“ arbeitet diesesBeispiel <strong>de</strong>s Kunstmarktes für avantgardistische Kunst <strong>de</strong>r Jahre nach 1918 auf und dokumentiert damalsausgestellte Werke von Fritz Schaefler. Siehe: Von Nol<strong>de</strong> bis Dix 1995.10 Siehe: Zingler 1919.11 Allerdings gab es wohl bereits Mitte 1919 I<strong>de</strong>en zur Ausstattung eines Stückes von Georg Kaiser,<strong>de</strong>nn Hans Theodor Joel schrieb am 17.06.1919 an Schaefler: „Zu ihren Kaiser-Illustrationen: Sie habenmich völlig falsch verstan<strong>de</strong>n, wenn Sie <strong>de</strong>nken, ich sei damit nicht ganz einverstan<strong>de</strong>n. Ganz imGegenteil halte ich Ihre Lithographien für zum grössten Teil ausgezeichnete Illustrationen. Das mo<strong>de</strong>rneKostüm hat mich, wie schon gesagt, durchaus nicht gestört, ist mir im Moment überhaupt nichtaufgefallen. Im Übrigen stehe ich, was das anbelangt, auch fast ganz auf Ihrem Standpunkt. Man darfsich nicht an das Zeitkostüm bin<strong>de</strong>n. Ich wür<strong>de</strong> so weit gehen, ein in unserer Zeit spielen<strong>de</strong>s Stückunter Umstän<strong>de</strong>n in Rokokoklei<strong>de</strong>r zu stecken – je nach Sinn und Rythmus [sic!] <strong>de</strong>s Spiels. AuchKaiser hat sich überzeugt.“ (Brief im Nachlass).12 Siehe: Bühnenbil<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s 20. Jahrhun<strong>de</strong>rts 1976.13 Deutsches Tanzarchiv Köln, freundliche Auskunft <strong>de</strong>s Leiters <strong>Dr</strong>. Frank-Manuel Peter.7


Literatur zwar Erwähnung, wur<strong>de</strong>n aber noch nicht <strong>de</strong>tailliert wissenschaftlichbearbeitet, ebenso wenig wie das (abstrakte) Spätwerk nach <strong>de</strong>m Ersten Weltkrieg.Auch die restaurativen Arbeiten, die Schaefler in <strong>de</strong>n Jahren <strong>de</strong>s Zweiten Weltkriegesund danach in Köln und Umgebung an sakralen und profanen Gebäu<strong>de</strong>ngeleistet hat, sind gänzlich unerforscht. 142. Sekundärquellen 15Literatur zu Fritz Schaefler:Nach mehreren kleinen Ausstellungen in <strong>de</strong>n siebziger Jahren 16 fand erst im Jahr1983 im Aachener Suermondt-Ludwig-Museum die erste große Werkschau mitüber einhun<strong>de</strong>rt Arbeiten statt: „Fritz Schaefler (1888–1954). Ein unbekannterExpressionist“. 17 Dieser Katalog bil<strong>de</strong>t die maßgebliche Grundlage für die spätereSchaefler-Forschung. In <strong>de</strong>r Ausstellung wur<strong>de</strong>n Beispiele aus allen Zeitphasen,allen Techniken und, abgesehen von <strong>de</strong>n angewandten architektonischenFarbarbeiten, allen Arbeitsgebieten Schaeflers gezeigt.Im Katalog verknüpfte die Kuratorin Renate Puvogel kenntnisreich biographischeDetails mit <strong>de</strong>m künstlerischen Wer<strong>de</strong>gang Schaeflers. Anhand einerWerkchronologie gibt sie einen Überblick über das Schaffen Fritz Schaeflers.Puvogel nähert sich Schaefler vor allem über die technische Analyse, sie lieferteinen Vergleich zwischen radierten und in Holz geschnittenen Werken <strong>de</strong>r expressivenZeit sowie zwischen Aquarellen und Ölbil<strong>de</strong>rn und betont vor allemdas Können Schaeflers bezüglich <strong>de</strong>r grafischen Techniken.Puvogel sieht Fritz Schaefler als Vertreter <strong>de</strong>rjenigen Künstler, die mit ihremWerk ein Dokument <strong>de</strong>r Kulturgeschichte schufen: an<strong>de</strong>rs als die avantgardistischenVorreiter einer Bewegung sind sie <strong>de</strong>m Zeitstil verpflichtet, in<strong>de</strong>m sie dievorhan<strong>de</strong>nen I<strong>de</strong>en aufnehmen und in ihrem Sinne nutzen. Erst eine Darstellung<strong>de</strong>r Vorreiter als auch <strong>de</strong>r Mitstreiter ergibt einen Überblick über eine künstlerischeEpoche.Justin Hoffmann veröffentlichte 1989 eine Monographie „Der ExpressionistFritz Schaefler“, die sich vor allem auf die Arbeiten Schaeflers in <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>rMünchner Revolution und Räterepublik bezieht; sie begleitete eine Dauer-14 Siehe hierzu <strong>de</strong>n Briefwechsel zwischen Gerstenberg und Schaefler im Nachlass; dort ebenso weitereMaterialien.15 Genannt wer<strong>de</strong>n nur die wichtigsten Quellen; einen Überblick zu sämtlichen bisher erfassten ErwähnungenFritz Schaeflers gibt das Literaturverzeichnis.16 Siehe das Ausstellungsverzeichnis im Kap. III.c.iv. dieser Arbeit; teilweise existieren begleiten<strong>de</strong>Ausstellungskataloge; unter diesen ist <strong>de</strong>r Katalog von Christian Schaffernicht zur Ausstellung „FritzSchaefler. Ein unbekannter Expressionist zwischen Räterepublik und Mo<strong>de</strong>rne“ in <strong>de</strong>r Neuen MünchnerGalerie 1972 hervorzuheben (siehe: Schaffernicht 1972). In einer äußerst kompakten Form gibt ereinen chronologischen Überblick zum Schaffen Fritz Schaeflers.17 Siehe: Puvogel 1983.8


ausstellung mit Werken Schaeflers im Fritz-Lewerentz-Heim in Sten<strong>de</strong>n: „DerExpressionist Fritz Schaefler“. 18Nach einer Einführung „Kunst und Revolution in München 1918/19“ folgenkurze Kapitel, in <strong>de</strong>nen Hoffmann, meist anhand von einzelnen Bildbeispielen,Schwerpunkte <strong>de</strong>r Münchner Arbeit Schaeflers erläutert und sie in <strong>de</strong>n politischenwie kunsthistorischen Kontext setzt. 19 Durch das kleine Format <strong>de</strong>s Katalogskonnte Hoffmann nur oberflächlich auf die verschie<strong>de</strong>nen Aspekte eingehen;als Einführung in das Thema „Fritz Schaefler und die Münchner Revolutionund Räterepublik“ ist diese Publikation jedoch wegweisend.Das Werkverzeichnis erstellte Vera Thiel im Rahmen <strong>de</strong>r Vorbereitung zu <strong>de</strong>r1996 gezeigten Ausstellung „Fritz Schaefler 1888–1954. Im Spannungsfeld <strong>de</strong>sExpressionismus. Malerei und Grafik“ im Deutschen Klingenmuseum Solingen;es ist Teil <strong>de</strong>s reich bebil<strong>de</strong>rten Ausstellungskatalogs. 20Thiel gibt im Werkverzeichnis mehr als 1200 Nummern an und dokumentiertauch verschollene Werke. Sie bezog sich vor allem auf das Inventarverzeichnisaus <strong>de</strong>m Jahr 1957 und das Abbildungsverzeichnis und ergänzte diese durch dieim Nachlass vorhan<strong>de</strong>nen Arbeiten und Werke in Privatbesitz. Tatsächlich fehlenin ihrer Bearbeitung allerdings wichtige Arbeiten aus <strong>de</strong>r Münchner expressionistischenPhase wie die Holzschnitte zu Passionsthemen und Arbeitenaus zeitgenössischen Publikationen sowie <strong>de</strong>r Bestand einiger Privatsammlungenmit Werken aus allen Schaffensphasen. 21Inhaltlich folgt <strong>de</strong>r Ausstellungskatalog kapitelweise <strong>de</strong>n biographischen Stationen,hebt dabei prägnante Motive heraus und setzt sie in Bezug zu an<strong>de</strong>renexpressionistischen Künstlern. Innerhalb <strong>de</strong>r einzelnen Komplexe gehen so biographische,thematische und technische Aspekte ineinan<strong>de</strong>r über; <strong>de</strong>r dahinterstehen<strong>de</strong> Gedanke ist eine möglichst breitgefächerte und für ein Ausstellungspublikumverständliche Präsentation <strong>de</strong>s Werkes Fritz Schaeflers und einegleichzeitige Einordnung in die allgemeine expressionistische Kunst.1992 verfasste Roland Bonn die Magisterarbeit: „Fritz Schaefler (1888–1954) –Malerei als individuelle Bewältigung von Lebenserfahrungen. Ein Beitrag zurKunst <strong>de</strong>r „verschollenen Generation““; er gibt einen chronologischen Überblick18 Siehe: Hoffmann 1989.19 Die Überschriften lauten: „Die Kunstproduktion im Schatten <strong>de</strong>s Krieges“, „Bildagitator in <strong>de</strong>r Revolutions-und Rätezeit“, „Schriftleiter für bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Kunst in <strong>de</strong>r Zeitschrift „Der Weg““, „Portraitist<strong>de</strong>r revolutionären Bewegung“, „Mitglied <strong>de</strong>s Aktionsausschusses revolutionärer Künstler Münchens“,„Auf <strong>de</strong>r Flucht“.20 Siehe: Thiel 1996.21 Die umfangreichen Ergänzungen im Werkverzeichnis wer<strong>de</strong>n seit 1999 von <strong>de</strong>r Verfasserin katalogisiert.9


über das Gesamtwerk Schaeflers und setzt es in Bezug zu Arbeiten an<strong>de</strong>rerKünstler aus <strong>de</strong>m expressionistischen und nachexpressionistischen Umfeld. 22Bonns Augenmerk liegt vor allem auf <strong>de</strong>n Arbeiten aus <strong>de</strong>r expressionistischenWerkphase in München und auf <strong>de</strong>r Verortung Schaeflers als Künstler <strong>de</strong>r „verschollenenGeneration“. Dies sind die um 1890 und später geborenen Künstler,die zur Zweiten Generation <strong>de</strong>r Expressionisten gehören, das heißt erst nach<strong>de</strong>m Ersten Weltkrieg expressionistisch arbeiteten. Aufgrund <strong>de</strong>r Unterbrechungihrer jungen Karriere durch <strong>de</strong>n Ersten Weltkrieg und <strong>de</strong>r Verfemung ihrerKunst im <strong>Dr</strong>itten Reich wur<strong>de</strong>n sie an einer Festigung ihres Stiles – und damit<strong>de</strong>r Schaffung eines Namens – gehin<strong>de</strong>rt.Die Magisterarbeit: „Fritz Schaefler – Arbeiten in <strong>de</strong>r Graphischen Sammlung<strong>de</strong>s Kunsthistorischen Instituts“ <strong>de</strong>r Verfasserin <strong>de</strong>r vorliegen<strong>de</strong>n Arbeit aus<strong>de</strong>m Jahre 2000 beschäftigte sich mit rund sechzig Arbeiten aus <strong>de</strong>m Besitz <strong>de</strong>smit Fritz Schaefler sehr gut befreun<strong>de</strong>ten Kunsthistorikers Kurt Gerstenberg, dievor allem aus <strong>de</strong>r expressionistischen Werkphase stammen. Die Blätter wur<strong>de</strong>nanhand <strong>de</strong>r Techniken und <strong>de</strong>r Themen vergleichend ins Gesamtwerk eingeordnet.23 Vor allem konnten mehrere Holzschnitte die bisher nur als Abbildungenbekannten Einzelblätter einer Passions-Folge aus <strong>de</strong>n Jahren 1917 o<strong>de</strong>r1918 ergänzen.Der Aufsatz <strong>de</strong>r Verfasserin <strong>de</strong>r vorliegen<strong>de</strong>n Arbeit: „Von Qualen und Verspottung– Arbeiten <strong>de</strong>s Expressionisten Fritz Schaefler in <strong>de</strong>r GraphischenSammlung <strong>de</strong>s Clemens-Sels-Museum Neuss“ im Neusser Jahrbuch Novaesium2005 setzte <strong>de</strong>n Fokus dagegen auf mehrere grafische Werke Schaeflers, die seineAngst vor <strong>de</strong>m Irrsinn aufzeigen und mittels christlicher Passionssymbolikeinen Einblick in die Psyche <strong>de</strong>r vom Ersten Weltkrieg geprägten Künstler geben.24Weiterführen<strong>de</strong> Literatur:Bereits 1919 beleuchtete Gustav Friedrich Hartlaub in seiner Monographie„Kunst und Religion. Ein Versuch über die Möglichkeit neuer religiöser Kunst“Arbeiten von Fritz Schaefler und an<strong>de</strong>rer Expressionisten. In <strong>de</strong>r Verbindungvon Expressionismus und Religion <strong>de</strong>finierte Hartlaub das daraus entstehen<strong>de</strong>Kunstwerk als eines, das die Innerlichkeit zwischen Mensch und Gott betont. 25In <strong>de</strong>n Arbeiten Schaeflers sieht Hartlaub eine gelungene Verbindung von kubi-22 Siehe: Bonn 1992 (unveröffentlichte Magisterarbeit) [künftig zitiert als: Bonn 1992 I (Text) undBonn 1992 II (Abbildungen)].23 Siehe: <strong>Schmidt</strong> 2000. Über <strong>de</strong>n Nachlass <strong>de</strong>s ehemaligen Leiters <strong>de</strong>s Kunsthistorischen Instituts <strong>de</strong>rUniversität Köln, Heinz La<strong>de</strong>ndorf, kamen die Werke Schaeflers in die Graphische Sammlung <strong>de</strong>sInstituts; La<strong>de</strong>ndorf wie<strong>de</strong>rum hatte nach <strong>de</strong>ssen Tod die Bibliothek Gerstenbergs angekauft.24 Siehe: <strong>Schmidt</strong> 2005.25 Siehe: Hartlaub 1919.10


stisch-bewegten Formenprinzipien mit <strong>de</strong>r zeitgenössischen metaphysischenKomponente <strong>de</strong>r Passionsthematik.Die 1979 veranstaltete, äußerst materialreiche Ausstellung „Die zwanziger Jahrein München“ im Münchner Stadtmuseum versammelte Dokumente zur MünchenerGesellschaft, Kunst, Kultur und Politik aus <strong>de</strong>n Zwanziger Jahren <strong>de</strong>s 20.Jahrhun<strong>de</strong>rts. Sie gab aber auch einen Überblick auf <strong>de</strong>n Beginn <strong>de</strong>s 20. Jahrhun<strong>de</strong>rtsund vor allem auf die Zeit nach <strong>de</strong>m Ersten Weltkrieg mit <strong>de</strong>n gesellschafts-und kulturpolitischen Umwälzungen durch die Revolution und Räterepublik1918/1919. 26 In diesem Rahmen wur<strong>de</strong> auch auf das Engagement FritzSchaeflers eingegangen; nicht nur seine kulturpolitische Arbeit in <strong>de</strong>r Räterepublik,son<strong>de</strong>rn auch die Theaterarbeit zu Beginn <strong>de</strong>r Zwanziger Jahre fin<strong>de</strong>n Erwähnung.Im gleichen Jahr erschien die Aufsatzsammlung „München 1919, Bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>Kunst/ Fotografie <strong>de</strong>r Revolutions- und Rätezeit“, 27 zu <strong>de</strong>r Justin Hoffmann <strong>de</strong>nArtikel: „Der Aktionsausschuss revolutionärer Künstler Münchens“ beisteuerte.28 In einem Unterkapitel dokumentierte er auch erstmals ausführlich die ArbeitenFritz Schaeflers und ordnete sie in <strong>de</strong>n historischen Zusammenhang ein;dabei bediente er sich vor allem zeitgenössischer Quellen.Justin Hoffmanns Beschäftigung mit diesem Thema war Grundlage für sein späteresAusstellungsprojekt: „Süd<strong>de</strong>utsche Freiheit. Kunst <strong>de</strong>r Revolution in München1919“ im Jahre 1993 im Münchner Lenbachhaus. 29 Der <strong>de</strong>tailreich recherchierteAusstellungskatalog ist Ausgangspunkt für alle weiteren kunstwissenschaftlichenArbeiten zur Münchner Revolution; spätestens durch diese Ausstellungwird <strong>de</strong>utlich, welchen (kunst)historischen Stellenwert man inzwischenin <strong>de</strong>r Forschung diesem kurzzeitigen politischen und gesellschaftlichen Phänomenbeimisst.Joan Weinstein lieferte für diese Publikation eine Darstellung <strong>de</strong>r revolutionärenGeschehnisse und <strong>de</strong>r zugrun<strong>de</strong>liegen<strong>de</strong>n I<strong>de</strong>en. In äußerst komprimierter Formfolgt sie <strong>de</strong>m Verlauf <strong>de</strong>r Revolution und <strong>de</strong>r Ausrufung <strong>de</strong>r Räterepublik un<strong>de</strong>rläutert die Positionen <strong>de</strong>r Beteiligten, auch anhand von Bildbeispielen undQuellen.Justin Hoffmann stellte in seinem Katalogbeitrag die Protagonisten <strong>de</strong>r revolutionärenKünstlerbewegung vor, darunter die wichtigsten Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s radikalen„Aktionsausschuß revolutionärer Künstler“, zu <strong>de</strong>nen auch Fritz Schaefler ge-26 Siehe: Stölzl 1979. Zu Schaefler im Katalogteil und bei: Petzet 1979.27 Siehe: München 1919.28 Siehe: Hoffmann 1979.29 Siehe: Katalog Süd<strong>de</strong>utsche Freiheit 1993. Darin: Weinstein 1993; Hoffmann 1993; Lindner 1993.11


hörte; er untersuchte die unterschiedlichen i<strong>de</strong>ologischen Positionen sowie dasgesamtkünstlerische Netzwerk.Ein umfassen<strong>de</strong>r Artikel von Martin Lindner charakterisierte die verschie<strong>de</strong>nenMünchner Zeitschriften – ein wichtiger Aspekt, da 1918 und 1919 viele neuePublikationen die Anliegen <strong>de</strong>r avantgardistischen Kunst verbreiteten.Im Abbildungsteil sind unter verschie<strong>de</strong>nen Stichworten wie „Bildsprache“,„Politik“, „Porträts“, „Krieg“ und „Lebenswelten“ Werke heute bekannter undwie<strong>de</strong>rzuent<strong>de</strong>cken<strong>de</strong>r Künstler versammelt.In einen größeren Zusammenhang wur<strong>de</strong>n die Geschehnisse in München vonJoan Weinstein in ihrer Monographie “The end of expressionism – Art and novemberRevolution in Germany 1918–1919” gesetzt. In diesem Werk aus <strong>de</strong>mJahr 1990 analysiert sie ausführlich die revolutionären Bewegungen <strong>de</strong>s Novembers1918 mit ihren Folgen in Berlin, <strong>Dr</strong>es<strong>de</strong>n und München. 30 Zunächst habendie Künstler durch <strong>de</strong>n politischen Einschnitt <strong>de</strong>r Revolution in gesellschaftlicherwie künstlerischer Hinsicht alle Möglichkeiten eines Neuanfangs.Weinstein stellt die beson<strong>de</strong>ren Vorraussetzungen und Umstän<strong>de</strong> heraus,unter <strong>de</strong>nen diese Revolution stattfin<strong>de</strong>t, nämlich die enge Verknüpfung <strong>de</strong>rKünstler mit gesellschaftspolitischen und kulturellen Organisationen. Sie werteteine Fülle von Quellen aus, verfolgt die Entwicklungen, hebt einzelne Künstlero<strong>de</strong>r Projekte im laufen<strong>de</strong>n Text hervor und beschreibt die Grün<strong>de</strong> für dasScheitern <strong>de</strong>r revolutionären Erhebungen und die Mitverantwortung für das En<strong>de</strong><strong>de</strong>s Expressionismus.Im Kapitel über die Münchner Revolution und Räterepublik wird Fritz Schaeflerals herausragen<strong>de</strong>r Protagonist gewürdigt, <strong>de</strong>r vor allem mit seinen Holzschnittenfür die Zeitschriften „Süd<strong>de</strong>utsche Freiheit“ und „Der Weg“ politischerespektive künstlerische Zeichen setzt.Eine erste ausführliche Erwähnung <strong>de</strong>r Theaterarbeit Schaeflers fand sich imAusstellungskatalog „Bühnenbil<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s 20. Jahrhun<strong>de</strong>rts aus <strong>de</strong>n Bestän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>sTheatermuseums München“ aus <strong>de</strong>m Jahr 1976. 31Eine weitere Gegenüberstellung <strong>de</strong>r Theaterarbeit Schaeflers mit <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rer (expressionistischer)Künstler bot <strong>de</strong>r Frankfurter Ausstellungskatalog „Die Maler unddas Theater im 20. Jahrhun<strong>de</strong>rt“ von 1986. 32Aus <strong>de</strong>r vielfältigen allgemeinen Expressionismus-Literatur hervorzuheben istim Kontext <strong>de</strong>r vorliegen<strong>de</strong>n Arbeit <strong>de</strong>r Ausstellungskatalog „Expressionismus.Die zweite Generation 1915–1925“. 33 In ihm wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>tailreichen Aufsätzen30 Siehe: Weinstein 1990. Der Artikel Weinstein 1993 in Katalog Süd<strong>de</strong>utsche Freiheit 1993 ist eineZusammenfassung <strong>de</strong>s München-Kapitels <strong>de</strong>r erstgenannten Monographie.31 Siehe: Bühnenbil<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s 20. Jahrhun<strong>de</strong>rts 1976.32 Siehe: Die Maler und das Theater im 20. Jahrhun<strong>de</strong>rt 1986.33 Siehe: Barron 1989a.12


künstlerische Voraussetzungen, Inhalte und Gruppierungen beleuchtet, die durch<strong>de</strong>n Ersten Weltkrieg geprägt wur<strong>de</strong>n. Es wer<strong>de</strong>n zahlreiche, heute kaum nochbekannte expressionistische Künstler vorgestellt wie auch solche, die sich nacheiner expressionistischen Phase <strong>de</strong>r Neuen Sachlichkeit o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Kunststilenzuwandten (wie Otto Dix und George Grosz).b. ExpressionismusWann und wo <strong>de</strong>r Begriff „Expressionismus“ geprägt wur<strong>de</strong>, ist nicht zweifelsfreifestzustellen. 34 Man benutzte ihn 1911 auf <strong>de</strong>r 22. Ausstellung <strong>de</strong>r BerlinerSezession, um französische Künstler wie Georges Braque, André Derain, PabloPicasso und an<strong>de</strong>re zu bezeichnen, die keine Impressionisten waren. Der Begriffwur<strong>de</strong> im Umfeld französischer und <strong>de</strong>utscher Kunst, Literatur, Musik, Architektur,Film und Medien schnell verbreitet; allerdings war er zunächst ein unkonkreter,ein alles Zeitgenössische umfassen<strong>de</strong>r negativer Begriff. Diese negativeKonnotation wan<strong>de</strong>lte sich im Laufe <strong>de</strong>r nächsten Jahre; die große Bandbreite<strong>de</strong>ssen, was als Expressionismus bezeichnet wur<strong>de</strong>, blieb aber bestehen.Bis heute herrschen eingeschränkte Sichtweisen auf das, was „<strong>de</strong>n“ Expressionismusausmachte; viele thematische und geistige Einzelphänomene und -aspekte, wie Religion, Politik, Gesellschaft wer<strong>de</strong>n in dieser Verallgemeinerungnicht berücksichtigt.Durch die umfassen<strong>de</strong>n Verän<strong>de</strong>rungen in Gesellschaft, Wirtschaft, Medizin undTechnik zum En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts wur<strong>de</strong> die Menschheit wie <strong>de</strong>r einzelneMensch dazu gezwungen, sich neu zu <strong>de</strong>finieren. Die Technisierung <strong>de</strong>s Lebensschritt voran, aus Städten wur<strong>de</strong>n Großstädte, die konservativen politischenKräfte erstarkten, das Proletariat entstand, die Erkenntnisse von Freud undNietzsche verän<strong>de</strong>rten das Bild vom Menschen. In <strong>de</strong>r Kunst stießen sich neueAusdrucksformen an alten Konventionen, das Bürgertum, gezeichnet von doppelbödigerMoral, hielt verschreckt am Bekannten fest und blickte empört aufdie Avantgar<strong>de</strong>, die voranstürmte und Neues und Radikales erschuf. „Weil einKunstersatz <strong>de</strong>m Publikum jahrhun<strong>de</strong>rtelang Abbil<strong>de</strong>r statt Bil<strong>de</strong>r gab, sucht esin <strong>de</strong>n Bil<strong>de</strong>rn nach Abbil<strong>de</strong>rn von Gegenstän<strong>de</strong>n.“ 35Angefangen mit <strong>de</strong>m Impressionismus entstan<strong>de</strong>n Kunstrichtungen, die nichtsmehr mit <strong>de</strong>m konventionellen Aka<strong>de</strong>miestil gemeinsam hatten, <strong>de</strong>ren Vertreteraus <strong>de</strong>m Atelier in die Natur gingen und <strong>de</strong>n Fortschritt priesen.34 Eine Begriffs-Genese bei: Best 1982, S. 3f; eine an<strong>de</strong>re Erklärung siehe: N.N.: Um das Wort „Expressionismus“,in: Der Cicerone, Heft 1, 1920, S. 90.35 Siehe: Schreyer 1918, S. 22.13


Das nämlich ist die eigentliche Anschauung, das Schöpferische, das Bil<strong>de</strong>naus sich, das Gestalten. Je<strong>de</strong>r Besenstiel ein Pferd. Nachher lernt man,höchst verständig, dass das Pferd kein Besenstiel ist. Auf <strong>de</strong>m Besenstielkonnten wir einst alle reiten. Auf <strong>de</strong>m Pferd ist es nicht schwieriger, daserlernt sich. 36Im 20. Jahrhun<strong>de</strong>rt waren die Künstler nicht mehr auf eine Technik beschränkt.Selbst Künstler, die keinem Stil mehr folgten, sich vermeintlich von <strong>de</strong>n Konventionenund Traditionen losgesagt hatten, arbeiteten nicht im Nichts und aus<strong>de</strong>m Nichts, son<strong>de</strong>rn gingen im Unterbewussten mit überlieferten Strukturen undSymbolen um. An<strong>de</strong>re Künstler nutzten traditionelle Strukturen und kombiniertensie mit neuen Elementen. Dies war möglich, da sich die Ikonographieim Laufe <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts nicht mehr aus <strong>de</strong>m lange gültigen geschlossenenSystem aus überlieferten Emblemen, Symbolen und Allegorien zusammensetzte,37 son<strong>de</strong>rn von <strong>de</strong>n Künstlern in freiem Umgang benutzt wur<strong>de</strong>. Zum En<strong>de</strong><strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts wur<strong>de</strong>n Bildlösungen durch die Photographie noch komplexerverfügbar. 38 Wassily Kandinsky prägte <strong>de</strong>n Satz: „‚Verstehen‘ ist Heranbil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>s Zuschauers auf <strong>de</strong>n Standpunkt <strong>de</strong>s Künstlers.“ 39Als elementare expressionistische Gestaltungsmittel sind Farbe und Form zusehen. Sie haben einen ästhetischen Eigenwert und wur<strong>de</strong>n benutzt, um <strong>de</strong>nAusdruck zu steigern; einzelne Elemente wur<strong>de</strong>n dadurch betont o<strong>de</strong>r überbetont.Die Freiheit bezüglich <strong>de</strong>r Wahl <strong>de</strong>s Farbtons, <strong>de</strong>r Abstufungen von Helligkeitund Sättigung <strong>de</strong>r Farbe, <strong>de</strong>r Art <strong>de</strong>s Farbauftrags und <strong>de</strong>r Pinselführung,<strong>de</strong>s Einsatzes von Lokalfarbe und <strong>de</strong>r Formensprache machen die Vielfältigkeit<strong>de</strong>r expressionistischen Kunst aus.Die Bewegung, die man Expressionismus nennt, geht vom Gegenständlichenaus. Nur wird das Gegenständliche sofort als Element undnicht als Sinn <strong>de</strong>s Bil<strong>de</strong>s erkannt. Die Bil<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n nach Farb- undFormbeziehung ohne Rücksicht und ohne Willen zur Nachahmung nurmit Sicht auf das Bild als Einheit einer gestalteten Fläche gemalt. Die Bil<strong>de</strong>rsind nicht spielerisch (o<strong>de</strong>r wie man schlechter sagt: <strong>de</strong>korativ) zu sehen,sie sind Ausdruck einer Vision, Sichtbarwerdung einer Offenbarung,Gestaltung eines Gefühls mit <strong>de</strong>n Mitteln <strong>de</strong>r Malerei: Form und Farbe.Das Gefühl wird unmittelbar zur Gestaltung gebracht, nicht mittelbardurch das Gegenständliche. Farbe und Form sind als Mittel <strong>de</strong>r Gefühlsgestaltungebenso unmittelbar wie <strong>de</strong>r Ton. 4036 Siehe: Wal<strong>de</strong>n 1918a, S. 73.37 Siehe: Cesare Ripa: Iconologia: overo <strong>de</strong>scrittione di diverse imagini cavate dall’antichità, e di proprioinvenzione, Rom 1593. In <strong>de</strong>r „Iconologia“ sind Begriffspersonifikationen versammelt.38 Siehe: Adolphs 1993, S. 33–35.39 Siehe: Kandinsky 1952, S. 26.40 Siehe: Wal<strong>de</strong>n 1918b, S. 104.14


Die kennzeichnen<strong>de</strong>n Elemente <strong>de</strong>s Impressionismus – Atmosphäre, Licht,Stimmung – haben im Expressionismus keine Be<strong>de</strong>utung mehr; während im Impressionismussowohl in <strong>de</strong>r Form als auch im Inhalt das Nicht-Stoffliche dieFaszination für die Künstler ausmachte, suchten die Expressionisten im Gegensatzdazu das Dingliche, Allgemeine, mit festen Grundformen, harten Konturen,dynamischem Strich. Die Farbe ist im Impressionismus aufs Äußerste gesteigert,das Licht hat gestalten<strong>de</strong> Funktion. Im Expressionismus herrschen lokale Farben,Strich und Kontur.Der Bildaufbau im Impressionismus ist azentrisch, zum Rand hin komponiert. ImExpressionismus geht die Komposition von <strong>de</strong>r Mitte aus beziehungsweise zur Mittehin. Für <strong>de</strong>n Impressionismus stehen Begriffe wie: Zufälliges, Ausnahme, Asymmetrie,Aufgelöst-Schweben<strong>de</strong>s; für <strong>de</strong>n Expressionismus dagegen: Fixierung, Zusammenlegung,Symmetrie, Gelagert-Verbun<strong>de</strong>nes, Statik, Struktur.Der gefälligen impressionistischen Kunst steht das pathetisch Grelle <strong>de</strong>s Expressionismusgegenüber, das heißt Schönheit in Form und Farbe wird von Dekompositionund Form-Farbzertrümmerung abgelöst. 41An die Stelle <strong>de</strong>r Pietät tritt die Heftigkeit, an die Stelle <strong>de</strong>r Andacht <strong>de</strong>rSturm, an <strong>de</strong>n Platz unmittelbaren Erfahrens das Erwarten einer Offenbarung,an <strong>de</strong>n Platz <strong>de</strong>r Einsicht die Vision, an <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Innigkeit und <strong>de</strong>sVertrauens die Ekstase, an die Stelle <strong>de</strong>r stofflichen und auch <strong>de</strong>r geistigenSchönheit <strong>de</strong>r Dinge <strong>de</strong>r heftige Ruf nach einer Beziehung <strong>de</strong>r Gegenstän<strong>de</strong>,die mehr verheißt als <strong>de</strong>n schönen Zustand <strong>de</strong>s Daseins. 42In <strong>de</strong>n Werken Vincent van Goghs (1853–1890) erkannten die Expressionistendas Prinzip <strong>de</strong>r Farbe als Ausdrucksmittel; auch die französischen „Les Fauves“um Henri Matisse (1869–1954) waren mit ihrer Betonung <strong>de</strong>r Linien und <strong>de</strong>rPlatzierung von leuchten<strong>de</strong>n Farben in großen Flächen wichtige I<strong>de</strong>engeber. BeiEdward Munch (1863–1944) konnten die Expressionisten sehen, auf welcheWeise man seelische Bil<strong>de</strong>r wie Trauer, Sehnsucht, Einsamkeit darstellen kann.Im Jugendstil kam eine neue, abstraktere Farb- und Formgestaltung auf und imKubismus wur<strong>de</strong> das Naturvorbild in geometrischen Formen aufgebrochen.Geistesgeschichtlich gesehen hatte Friedrich Nietzsche (1844–1900) mit seinemWerk auch auf <strong>de</strong>n Expressionismus großen Einfluss. 43 Die Unbedingtheit seinesLebensentwurfs, die I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>s Schaffens, die Verabsolutierung <strong>de</strong>s kreativenSubjekts, die Vorstellung von <strong>de</strong>r Erneuerung <strong>de</strong>s Menschen sind wichtige As-41 Zur Unterscheidung zwischen Impressionismus und Expressionismus siehe: Hausenstein 1919b, S.33–39; eine zeitgenössische „konzentrierte“ Übersicht über die Grundgedanken expressionistischerMalerei liefert: Schreyer 1918, S. 22–28.42 Siehe: Hausenstein 1919b, S. 43.43 Einen umfassen<strong>de</strong>n Überblick über die Kunsttheorien <strong>de</strong>r Zeit liefert: Altmeier 1972.15


pekte, die von <strong>de</strong>n Expressionisten aufgegriffen und auf eine durch die eigenePersönlichkeit geprägte Art modifiziert und umgesetzt wur<strong>de</strong>n. 44Nietzsche war <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>engeber; er half beim Bruch mit Traditionen und altenFormen und setzte mit seinen Themen und durch einen neuen Weltentwurf <strong>de</strong>nAufbruch <strong>de</strong>r Gedanken in Bewegung, hin zur geistig-seelischen Erneuerung <strong>de</strong>sMenschen. Insofern kam er <strong>de</strong>n Expressionisten in ihrem Wunsch nach einerVerän<strong>de</strong>rung beziehungsweise Erneuerung <strong>de</strong>r Kunst entgegen und war ihnen informaler Hinsicht Vorbild durch sein Denken in utopischen Entwürfen.Unvermeidlich wur<strong>de</strong> durch die äußere Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Welt auch die innereWeltanschauung <strong>de</strong>r Menschen durcheinan<strong>de</strong>r geworfen; ein neuer geistiger Orientierungsrahmenmusste ent<strong>de</strong>ckt wer<strong>de</strong>n. Die Avantgar<strong>de</strong> kämpfte gegen das Schönein <strong>de</strong>r Kunst <strong>de</strong>r Jahrhun<strong>de</strong>rtwen<strong>de</strong> vom 19. zum 20. Jahrhun<strong>de</strong>rt; <strong>de</strong>r wilhelminischenGesellschaft wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Spiegel vorgehalten, weil man zeigen wollte, dassdie Vorstellung einer in sich geschlossenen Welt nicht mehr gültig war.Durch die tiefgreifen<strong>de</strong> Verunsicherung <strong>de</strong>r inneren Vorstellungswelt entstandunter an<strong>de</strong>rem die For<strong>de</strong>rung nach einem „Neuen Menschen“. Diesen Begriffhatte Nietzsche geprägt; sein I<strong>de</strong>al ist <strong>de</strong>r Übermensch, <strong>de</strong>r autark alles Lebensfeindlicheüberwin<strong>de</strong>t.Das Bild <strong>de</strong>s „Neuen Menschen“, das die Expressionisten beschworen, steht<strong>de</strong>m gegenüber: ihr „Neuer Mensch“ überwin<strong>de</strong>t in sozialer Gemeinschaft dasVergangene und geht seinem Ziel entgegen. Man appellierte an Menschlichkeitund Brü<strong>de</strong>rlichkeit, an das Wesentliche im Menschen. Es wäre aber zu einseitig(und doch wur<strong>de</strong> es lange in <strong>de</strong>r Rezeption so gesehen), <strong>de</strong>n Expressionismusnur auf diese sogenannte „Oh Mensch“-Pathetik zu reduzieren.Der Wunsch nach Befreiung aus alten Traditionen zeigte sich auch in <strong>de</strong>n Titelnvieler expressionistischer Zeitschriften; genannt seien: „Der Sturm“, „Revolution“,„Die Aktion“, „Der Weg“, „Der Gegner“. 45Viele Expressionisten begeisterten sich für die „supranaturalistische“ 46 Kunst <strong>de</strong>sMittelalters 47 und <strong>de</strong>r primitiven Völker.In allen Künsten, die <strong>de</strong>r expressionistische Geist aufsucht und durch dialektischeSchickung aufsuchen muß, entschei<strong>de</strong>t ein Element, das man alsÜberwältigung <strong>de</strong>s Einfach-Gegenständlichen, <strong>de</strong>s Unmetaphysischendurch Metaphysisches bezeichnen kann. 4844 Zu diesen Gedanken siehe vor allem: Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra, 1883–1885.45 Siehe: Raabe 1972; Raabe 1960.46 Siehe: Hausenstein 1919b, S. 31.47 Siehe u.a.: Bushart 1990; darin weiterführen<strong>de</strong> Literatur.48 Siehe: Hausenstein 1919b, S. 31.16


Formale Elemente <strong>de</strong>r Gotik wie Ausdruckhaftigkeit, Dynamik, Linearität und<strong>de</strong>r <strong>Dr</strong>ang zur Abstraktion faszinierten die Expressionisten, man empfand dieKünstler dieser Zeit allerdings weniger als Vorbil<strong>de</strong>r <strong>de</strong>nn als Seelenverwandte.Wie ist es nur möglich, daß dieselben Menschen, die sich nicht über DürersArabesken o<strong>de</strong>r die gothischen Gewandfalten zu wun<strong>de</strong>rn scheinen, wütendwer<strong>de</strong>n über die <strong>Dr</strong>eiecke, Scheiben und Röhrenformen unserer Bil<strong>de</strong>r? 49Die größte Verehrung erlangte Matthias Grünewald (um 1480–1528), man sahihn als Gefühlsekstatiker. Ab November 1918 wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Alten PinakothekMünchen Grünewalds in <strong>de</strong>n Jahren 1506 bis 1515 entstan<strong>de</strong>ner Isenheimer Altaraus Colmar gezeigt, <strong>de</strong>n man dort zum Schutz vor <strong>de</strong>m Krieg und zu Restaurierungszweckenverwahrt hatte; dies trug zur Verehrung <strong>de</strong>s Künstlers bei. 50Auf <strong>de</strong>r kunsttheoretischen Ebene hatte vor allem Wilhelm Worringer mit seinenSchriften zur Gotik bezüglich <strong>de</strong>s Expressionismus als Gotik-Nachfolger großenEinfluss. 51 Im Laufe <strong>de</strong>s Expressionismus än<strong>de</strong>rte sich das Gotik-Bild durch dieBetonung unterschiedlicher Aspekte: zunächst war die Gotik Inbegriff eines abstrakt-geistigenKunststils. Mit <strong>de</strong>m Beginn <strong>de</strong>s Ersten Weltkriegs stand sie alsSinnbild für das Weltmachtstreben Deutschlands und als Argument für <strong>de</strong>nKriegsimperialismus, um schließlich 1917/18 mit <strong>de</strong>m Bewusstsein um <strong>de</strong>n verlorenenKrieg und <strong>de</strong>n vermeintlichen Anbruch <strong>de</strong>s langersehnten religiösenZeitalters, das heißt <strong>de</strong>r Verheißung einer besseren Welt nach <strong>de</strong>m Krieg, imSinne <strong>de</strong>r Mystik <strong>de</strong>s Mittelalters als I<strong>de</strong>albild einer religiös motivierten Volkskunstge<strong>de</strong>utet zu wer<strong>de</strong>n. 52Die Dinge sollten nach ihrem geistigen Gehalt jenseits <strong>de</strong>s äußerlichen Bil<strong>de</strong>sbefragt wer<strong>de</strong>n, Inneres wur<strong>de</strong> „visionär“ nach außen gestellt. Abstraktionenwaren nicht formal, son<strong>de</strong>rn seelisch motiviert. „Wie <strong>de</strong>r Mystiker überschreiteter [<strong>de</strong>r expressionistische Künstler] die Grenzen eigenen Ichs, um vom Persönlichenzum Allgemeinen und vom Irdischen zum überirdischen [sic!] zu gelangen.“53Um sich auszudrücken, ging <strong>de</strong>r Künstler entwe<strong>de</strong>r in die Kontemplation o<strong>de</strong>r indie Ekstase, er vertiefte sich in die Dinge o<strong>de</strong>r in sich selbst. 5449 Zitat siehe: Marc 1978, S. 118, hier zitiert nach: Bushart 1990, S. 83–86.50 So unterschiedliche Künstler wie Mataré, Beckmann, Marcks, Eberz, Schlemmer und Meidner sahen inihrer Arbeit Bezüge zu Grünewald. Siehe dazu: Bushart 1990, S. 154, Anm. 67 sowie: Ulmer 1992.51 Siehe: Altmeier 1972: zu Worringer v.a. S. 10–15, S. 136–142; Bushart 1990, S. 224.52 Siehe: Bushart 1990, S. 15 bzw. 140; an<strong>de</strong>rerseits kann <strong>de</strong>r Rückgriff auf das Mittelalter auch alsRückgriff auf bessere Zeiten gesehen wer<strong>de</strong>n (S. 144).53 Ebd., S. 148f. Bushart nennt als Vertreter dieser Auffassung Mataré, Gropius, Meidner, Schlemmerund Grohmann (ebd., S. 147).54 Bushart merkt richtig an, dass die Vehemenz <strong>de</strong>r Nachkriegsexpressionisten bezüglich ihrer Darstellungvon Visionen und Ekstasen verwun<strong>de</strong>rt, da <strong>de</strong>r Expressionismus längst weitverbreitet ist.„Man hat <strong>de</strong>n Eindruck, als müßten die Künstler mit <strong>de</strong>r Authentizität ihrer Seelenerlebnisses zugleichdie Originalität ihrer Bil<strong>de</strong>rfindungen unter Beweis stellen.“ (Bushart 1990, S. 151).17


Die Einheit von Kunst und Leben sahen einige Expressionisten <strong>de</strong>m mittelalterlichenZustand nachempfun<strong>de</strong>n: die Religion als verbin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>s Glied und<strong>de</strong>r Künstler als Diener seines Werkes – diese Utopie allerdings entsprang einemI<strong>de</strong>albild <strong>de</strong>s Mittelalters, das man aus <strong>de</strong>r Romantik und <strong>de</strong>m beginnen<strong>de</strong>n 20.Jahrhun<strong>de</strong>rt übernommen hatte. 55Die Beschäftigung <strong>de</strong>s Expressionismus mit <strong>de</strong>r metaphysischen Komponenteführte auch zu einer erneuten Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit Religion und christlicherKunst. 56Eine an<strong>de</strong>re Inspirationsquelle war die überseeische Kunst <strong>de</strong>r primitiven Völker,die nach Meinung <strong>de</strong>r Expressionisten noch nicht durch künstlerische Überstilisierungund europäische Werte verdorben war. Die Südsee-Kunst Paul Gauguins,<strong>de</strong>n man in formaler Hinsicht auch wegen <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rbelebung <strong>de</strong>s Holzschnittsverehrte, spannte neben Besuchen in Völkerkun<strong>de</strong>museen <strong>de</strong>n Bogen zueiner Kunst <strong>de</strong>r Ursprünglichkeit, die man vor allem in <strong>de</strong>r Form <strong>de</strong>s Holzschnittsumsetzte und ausdrückte. Auch expressionistische Künstler begabensich in die exotische Ferne, so nahm Emil Nol<strong>de</strong> 1913/14 an einer Expeditionnach China und Neu-Guinea teil, Max Pechstein lebte 1914 fast ein Jahr auf <strong>de</strong>rSüdsee-Insel Palau.Durch <strong>de</strong>n Kolonialismus gelangte die Kunst <strong>de</strong>r Naturvölker in Museen undKunsthandlungen.Werner Hofmann beschreibt die schon En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 18. Jahrhun<strong>de</strong>rts beginnen<strong>de</strong>Suche nach <strong>de</strong>n Urvölkern und <strong>de</strong>r Ursprache als „Missmut <strong>de</strong>r Zivilisationsflüchtigen,<strong>de</strong>r das Natürliche – eines <strong>de</strong>r wichtigsten Leitbil<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts– vornehmlich in zwei Räumen sucht: in <strong>de</strong>r Reinheit <strong>de</strong>r Antike und in<strong>de</strong>r Unberührtheit exotischer Län<strong>de</strong>r“ 57 , wobei <strong>de</strong>r Historismus in die Vergangenheitzurückgeht, <strong>de</strong>r Exotismus dagegen in <strong>de</strong>r Gegenwart bleibt. 58Da die Lebenswelt <strong>de</strong>r frem<strong>de</strong>n Kulturen aber von <strong>de</strong>n Expressionisten nichtverstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n konnte, wur<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>r Übernahme in das eigene Schaffenbestenfalls die äußere Form übernommen, nicht aber das Welt- und Selbstverständnis<strong>de</strong>r jeweiligen überseeischen Künstler.55 Siehe: Bushart 1990, S. 173ff. Das 1921 gegrün<strong>de</strong>te Bauhaus übernahm <strong>de</strong>n mittelalterlichen Handwerksgedankenals Zusammenführung <strong>de</strong>r Künste ohne Industrie, dieses Mo<strong>de</strong>ll wur<strong>de</strong> jedoch 1923zu Gunsten <strong>de</strong>r Industrie aufgegeben unter <strong>de</strong>m Motto „Kunst und Technik eine neue Einheit“; ZitatWalter Gropius, zitiert nach: Wingler 1962, S. 90, siehe: Bushart 1990, S. 184. Siehe auch: Altmeier1972.56 Siehe z.B.: Hartlaub 1919.57 Siehe: Hofmann 1960, S. 241.58 Im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt wur<strong>de</strong>n Historismus und Exotismus zur Antike verschmolzen,zu einer Antike, die, i<strong>de</strong>ntisch mit <strong>de</strong>m Natürlichen, als Paradies gesehen wur<strong>de</strong>. Erst beiGauguin wur<strong>de</strong> die Antike nicht mehr mit <strong>de</strong>m Natürlichen gleichgesetzt. Der Exotismus war seit <strong>de</strong>rRomantik Thema <strong>de</strong>r Künstler, die exotischen Orte sind die Randlän<strong>de</strong>r Europas (Spanien, Italien,Balkan), <strong>de</strong>r Orient, Marokko und die ozeanischen Inseln. Siehe: Hofmann 1960, S. 242.18


Nicht nur Kritiker son<strong>de</strong>rn auch Künstlerkollegen lehnten <strong>de</strong>n Rückgriff auf diegotische Kunst und <strong>de</strong>n Primitivismus mit <strong>de</strong>m Hinweis ab, man lebe im 20.Jahrhun<strong>de</strong>rt beziehungsweise in <strong>de</strong>r Großstadt. 59Die Großstadt als avantgardistisches Bildthema wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>n Futuristen geprägtund war auch für einen Teil <strong>de</strong>r Expressionisten wichtig: man empfand sieals Fortschritt, aber auch als Gefahr. 60 Allerdings sahen die Expressionisten imUnterschied zu <strong>de</strong>n Futuristen das I<strong>de</strong>al nicht in <strong>de</strong>r Industriegesellschaft.Die althergebrachte Volkskunst (beispielsweise die Hinterglasmalerei), dieKunst von Kin<strong>de</strong>rn und die Kunst Geisteskranker hatte für Künstler wie WassilyKandinsky, Gabriele Münter und viele an<strong>de</strong>re eine Unmittelbarkeit <strong>de</strong>r geistigenAusdruckskraft, die sie in ihren eigenen Werken umsetzen wollten.Der Expressionismus lebte in <strong>de</strong>n Bereichen bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Kunst und Architektur, in<strong>de</strong>r Literatur, im Theater und in <strong>de</strong>r Musik. 61Die wichtigsten <strong>de</strong>utschen bildkünstlerischen Zentren bil<strong>de</strong>ten die 1905 in <strong>Dr</strong>es<strong>de</strong>ngegrün<strong>de</strong>te und 1910 nach Berlin übergesie<strong>de</strong>lte Künstlergruppe „Die Brücke“,die 1911 aus <strong>de</strong>r „Neuen Künstlervereinigung München“ abgespalteneGruppe „Der Blaue Reiter“, die um die gleiche Zeit entstan<strong>de</strong>ne Gruppe <strong>de</strong>r„Rheinischen Expressionisten“ um August Macke (erste Ausstellung in Bonn1913), die in Berlin seit 1910 bestehen<strong>de</strong> „Neue Secession“ sowie „Die Pathetiker“um Ludwig Meidner, gegrün<strong>de</strong>t 1912. Daneben existierte eine Vielzahlweiterer Gruppierungen und Künstler.Die Wege in die Zukunft sahen sehr verschie<strong>de</strong>n aus; so propagierte „Die Brücke“,Kunst möge aus <strong>de</strong>m allgemeinen Leben kommen, und, in einem vitalistischenVerständnis, <strong>de</strong>n Einklang <strong>de</strong>s Menschen mit <strong>de</strong>r Natur.Mit <strong>de</strong>m Glauben an Entwicklung, an eine neue Generation <strong>de</strong>r Schaffen<strong>de</strong>nwie <strong>de</strong>r Geniessen<strong>de</strong>n rufen wir alle Jugend zusammen. Und alsJugend, die die Zukunft trägt, wollen wir uns Arm- und Lebensfreiheitverschaffen gegenüber <strong>de</strong>n wohlangesessenen, älteren Kräften. Je<strong>de</strong>r gehörtzu uns, <strong>de</strong>r unmittelbar und unverfälscht das wie<strong>de</strong>rgibt, was ihn zumSchaffen drängt. 62„Die Brücke“ führte ein enges Gemeinschaftsleben und wollte <strong>de</strong>n künstlerischenIndividualismus zugunsten einer Gruppeni<strong>de</strong>ntität aufheben.Die Münchner Gruppe „Der Blaue Reiter“ arbeitete, gestützt durch <strong>de</strong>n namengeben<strong>de</strong>nAlmanach „Der Blaue Reiter“, mit einem radikaleren Grad an Abstraktionan einem eher metaphysisch orientierten Konzept, nach <strong>de</strong>m Kunst und59 Beispiele nennt z.B.: Bushart 1990, S. 88.60 1912 konnte man in <strong>de</strong>r „Sturm“-Galerie Herwarth Wal<strong>de</strong>ns in Berlin die erste Futuristen-Ausstellungsehen.61 Zur Literatur <strong>de</strong>s Expressionismus siehe: Best 1982; sowie: Raabe 1985.62 Zitat: Ernst Ludwig Kirchner, Holzschnitt 1906, Programm <strong>de</strong>r Künstlergruppe „Die Brücke“, u.a.abgedruckt in: Meisterwerke <strong>de</strong>s Expressionismus 1990, S. 11.19


Leben auf das gleiche geistige Ziel ausgerichtet sein sollten, während an<strong>de</strong>reGruppen – zumal nach <strong>de</strong>n psychischen und physischen Schrecken <strong>de</strong>s ErstenWeltkriegs – wie die Berliner „Novembergruppe“ o<strong>de</strong>r die <strong>Dr</strong>es<strong>de</strong>ner „SezessionGruppe 1919“ einen Sozialismus <strong>de</strong>r Menschheitsverbrü<strong>de</strong>rung anstrebten.Der Zusammenschluss zur Gruppe befreite nicht nur aus <strong>de</strong>r gesellschaftlichenIsolation und führte Gleichgesinnte zusammen; nur als Gruppe konnte man sichauch gegen <strong>de</strong>n aka<strong>de</strong>mischen und traditionellen Kunstbetrieb behaupten und ingemeinsamen Ausstellungen auf sich aufmerksam machen. Überall in Europaentstan<strong>de</strong>n avantgardistische Künstlergruppen, <strong>de</strong>ren Mitglie<strong>de</strong>rstrukturen internationalausgerichtet waren: „Das ganze Werk, Kunst genannt, kennt keineGrenzen und Völker, son<strong>de</strong>rn nur die Menschheit.“ 63Der Erste Weltkrieg und die folgen<strong>de</strong> Revolution stellten einen elementarenEinschnitt dar; man kann im Werk vieler Künstler ablesen, wie sie dadurch beeinflusstwur<strong>de</strong>n. Kriegserlebnisse wur<strong>de</strong>n thematisiert, Grauen und Ängste mithilfeeiner neu aufblühen<strong>de</strong>n christlichen Ikonographie umschrieben. SozialeThemen bekamen einen höheren Stellenwert.Während <strong>de</strong>s Ersten Weltkriegs und danach wuchs die sogenannte „Zweite Generation“<strong>de</strong>r Expressionisten heran, <strong>de</strong>ren Kunst sich insofern von <strong>de</strong>rjenigen<strong>de</strong>r ersten Generation unterschei<strong>de</strong>t, dass sie formal auf die Errungenschaften<strong>de</strong>r ehemaligen Avantgar<strong>de</strong> zugreifen konnte, inhaltlich aber durch <strong>de</strong>n Kriegan<strong>de</strong>re Themen hatte: ihre Kunst war vom Krieg geprägt und oftmals sozial orientiert;man engagierte sich tatsächlich politisch. 64Während die Expressionisten <strong>de</strong>r ersten Generation auf künstlerischem Wegemit <strong>de</strong>r Vergangenheit brechen wollten, sprach man nun von politischer Revolution.65 Im Umwälzungsprozess nach <strong>de</strong>m Krieg 1918 schienen diese Vorstellungenumsetzbar, allerdings mussten die undifferenzierten und naiven (Sozialismus-)Utopiensich auf Dauer als wirkungslos erweisen und <strong>de</strong>n realen gesellschaftlichenund politischen Entwicklungen weichen. Man war schon nach wenigenMonaten gezwungen zu erkennen, dass eine künstlerische Revolutionnicht mit einer politischen Revolution gleichgesetzt wer<strong>de</strong>n konnte. In expressionistischemSprachpathos resümierte <strong>de</strong>r Schriftsteller Ivan Goll:63 Aus <strong>de</strong>m Vorwort <strong>de</strong>r Redaktion <strong>de</strong>s Almanachs „Der Blaue Reiter“, Oktober 1911, siehe: DerBlaue Reiter 2000, S. 317.64 In einem Zeitungsartikel schrieb Gustav Friedrich Hartlaub 1920: „[…] die zweite Generation <strong>de</strong>rneuen Kunst, die Fortbildung <strong>de</strong>r im Inland und Ausland empfangenen Antriebe“, in: Frankfurter Zeitung,15.7.1920, S.1. Einen hervorragen<strong>de</strong>n Überblick über die (bekannten) Künstler <strong>de</strong>r Zweiten Generationgibt: Barron 1989a. Siehe auch: Raabe 1968. Zu <strong>de</strong>n unbekannteren, „verschollenen“ Künstlern<strong>de</strong>r Zweiten Generation siehe: Zimmermann 1994; Verfemt – Vergessen – Wie<strong>de</strong>rent<strong>de</strong>ckt 1999.Siehe auch: Pirsich 1985.65 Eine äußerst komprimierte Zusammenfassung zum Expressionismus <strong>de</strong>r Zweiten Generation liefert:Wei<strong>de</strong>mann 2004.20


Also: For<strong>de</strong>rung. Manifest. Appell. Anklage. Beschwörung. Exstase. [sic!]Kampf. Der Mensch schreit. Wir sind. Einan<strong>de</strong>r. Pathos. / Wer war nicht dabei?Alle waren dabei. Ich war dabei. […] Kein einziger Expressionist warReaktionär. Kein einziger war nicht Anti-Krieg. Kein einziger, <strong>de</strong>r nicht anBrü<strong>de</strong>rschaft und Gemeinschaft glaubte. Auch bei <strong>de</strong>n Malern. Beweis: Gesinnung./Und: Expressionismus war eine schöne, gute, große Sache. Solidarität<strong>de</strong>r Geistigen. Aufmarsch <strong>de</strong>r Wahrhaftigen./ Aber das Resultat ist lei<strong>de</strong>r,und ohne die Schuld <strong>de</strong>r Expressionisten, die <strong>de</strong>utsche Republik 1920. La<strong>de</strong>nschild.Pause. Bitte rechts rausgehen… 66Nach <strong>de</strong>m Ersten Weltkrieg wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Expressionismus zur „Massenbewegung“;dies wird am <strong>de</strong>utlichsten an <strong>de</strong>n vielen neuen Publikationen sichtbar,die nun im ganzen Land erschienen. 67Neue Künstlergruppen fan<strong>de</strong>n sich zusammen, es wur<strong>de</strong>n Zeitschriften und Grafikmappenherausgegeben, theoretische Publikationen veröffentlicht, die Theaterpräsentierten expressionistische Stücke.Im letzten Kriegsjahr gab es die ersten großen Ausstellungen expressionistischerKunst; Museen, Kritiker und Kunsthan<strong>de</strong>l erkannten <strong>de</strong>n Expressionismus allgemeinals Kunstrichtung an. Expressionistische Künstler wur<strong>de</strong>n gesellschaftsfähig,ihre Werke gewürdigt und sie erhielten Anstellungen als Lehrer in Schulenund Aka<strong>de</strong>mien.Ab 1920 wur<strong>de</strong> von Künstlern wie Kunsttheoretikern Kritik am Expressionismuslaut, man diskutierte über seine Aufgabe und Wirkung. 68Zu Beginn <strong>de</strong>r Zwanziger Jahre kam mit <strong>de</strong>r Stärkung von gesellschaftlichenund sozialen Themen ein neuer Realismus in <strong>de</strong>r Kunst auf, die sogenannte„Neue Sachlichkeit“. 69 Weitere angelehnte Kunststile sind <strong>de</strong>r Dadaismus und<strong>de</strong>r Konstruktivismus.Der Expressionismus reduzierte sich zunehmend im Ausdruck, zur Mitte <strong>de</strong>szweiten Jahrzehnts hatte er sich überlebt, nicht zuletzt durch das Scheitern seinerUtopien. 70Der Schriftsteller Kasimir Edschmid konstatierte 1921:Soviel <strong>de</strong>r Grün<strong>de</strong> sind, sie liegen alle aussen. Mit <strong>de</strong>r Kunst selbst, mit<strong>de</strong>m Werk haben sie nichts zu tun. Man muss die Sache gefühlsmässig,börsenhaft, politisch und menschlich fassen, dann bekommt man die Summeall jener Erregungen, die Hausse und Baisse verursachen, bestätigen66 Zitat Goll 1988, S. 346f, zitiert nach: Haug 1992, hier S. 511. Laut Raabe 1968, S. 56f ist <strong>de</strong>r Text1921 in <strong>de</strong>r jugoslawischen Zeitschrift „Zenit“ erschienen.67 Siehe: Raabe 1972; Schacherl 1957; Schlawe 1973.68 Siehe dazu u.a.: Hausenstein 1920; Worringer 1921.69 1925 veranstaltete Gustav Friedrich Hartlaub in Mannheim die Ausstellung: „Die neue Sachlichkeit.Deutsche Malerei seit <strong>de</strong>m Expressionismus“.70 Siehe dazu zusammenfassend: Altmeier 1972, S. 215–235.21


o<strong>de</strong>r töten – für <strong>de</strong>n Augenblick. Denn weiter hat dies ganze geschäftige<strong>Dr</strong>umherum keine Dauer. Dem Kunstwerk macht es nicht die Spur, ob eineZeit o<strong>de</strong>r auch nur eine Mo<strong>de</strong> es anerkennt o<strong>de</strong>r abtut. 7171 Siehe: Edschmid 1921.22


II. Biographie Fritz Schaefler 72Fritz Schaefler wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Silvesternacht 1888 in Eschau im Spessart geboren.Seine Jugend verbrachte er in <strong>de</strong>r Kleinstadt Eggenfel<strong>de</strong>n in Nie<strong>de</strong>rbayern, wohin<strong>de</strong>r Vater als Zollbeamter versetzt wor<strong>de</strong>n war. Ab 1899 besuchte er dasGymnasium in Aschaffenburg, ab 1900 das Landshuter Gymnasium. 1905 begannSchaefler in München seine künstlerische Ausbildung. Zunächst besuchteer die Polytechnische Hochschule, um Architektur zu studieren. Nebenbei ginger zur Abendschule sowie in die Städtische Gewerbeschule. 1906 wechselte erkurz in die Kunstgewerbeschule, kehrte aber bald in die Städtische Gewerbeschulezurück. 73 Das Arbeiten dort entsprach eher <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>e einer mo<strong>de</strong>rnen Malerei,<strong>de</strong>r Lösung von Aka<strong>de</strong>mischem. Freies Arbeiten war möglich und man lerntedas Handwerk. 74 Ab <strong>de</strong>m Sommersemester 1908 besuchte er die KöniglicheKunstaka<strong>de</strong>mie; sein Stil ist zu dieser Zeit an Wilhelm Leibl, Wilhelm Trübnerund vor allem an <strong>de</strong>m von ihm sehr verehrten Albert Weisgerber orientiert. 75An <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie blieb Schaefler bis zum Beginn seines einjährigen soldatischenFreiwilligendienstes beim Königlich-Bayerischen Infantrie-Leibregimentim Jahr 1909. Danach kehrte er an die Kunstaka<strong>de</strong>mie zurück. 76 Außer<strong>de</strong>m nahmer privaten Unterricht in <strong>de</strong>r Kunstschule von Carl Johann Becker-Gundahl inMünchen-Solln. In <strong>de</strong>r Schwabinger Zieblandstraße hatte Schaefler ein privatesAtelier.Erste Ausstellungen waren erfolgreich; 77 die Ausmalung eines Landshuter Gasthausesgemeinsam mit <strong>de</strong>m Künstler Ernst Lineker stellte dagegen keinen Erfolgdar. 78Immer wie<strong>de</strong>r arbeitete Schaefler mit an<strong>de</strong>ren Künstlern vor <strong>de</strong>r Natur am Simsseebei Rosenheim. Mit seinem Malerfreund Karl Puxkandl hatte Schaefler 1914dort kurz vor Kriegsbeginn eine Malschule gegrün<strong>de</strong>t; sie stellten sich reicheAmerikanerinnen als Schülerinnen vor. 79 Der Beginn <strong>de</strong>s Krieges setzte diesemVorhaben ein jähes En<strong>de</strong>.72 Biographische Angaben, soweit nicht an<strong>de</strong>rs angegeben, nach: Thiel 1996, S. 13f; ausführlich auchin: Puvogel 1983, S. 5–17. Siehe auch die Mitschriften eines Interviews von Fritz Schaefler mit HelmutFuhlrodt (um 1947) [künftig zitiert als: Interview Fuhlrodt 1947] und 1995 (Interview Fuhlrodt1995) und eines Interviews <strong>de</strong>s Sohnes Hannsotto Schaefler mit Renate Puvogel 1983 [künftig zitiertals: Interview Puvogel] (alle im Nachlass).73 Siehe: Thiel 1996, S. 15. Schaefler hatte dort Unterricht in Handwerken, Kunstgewerbe, Technikund Architektur (siehe: Puvogel 1983, S. 5).74 Siehe: Interview Puvogel.75 Siehe: Interview Fuhlrodt 1947.76 Bis 1909 war Schaefler in <strong>de</strong>r Zeichenklasse von Martin Feuerstein, wo er Kopf- und Aktzeichnennach <strong>de</strong>m Mo<strong>de</strong>ll lernte, 1910 besuchte er die Klasse von Angelo Jank.77 Siehe die Ausstellungskritik von 1911 in <strong>de</strong>r Landshuter Zeitung (im Nachlass).78 Die Gäste beschwerten sich über die <strong>de</strong>rbe Art <strong>de</strong>r Darstellung und verlangten die Übermalung; dasTriptychon stellte im Mittelteil nackte ba<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Frauen dar (Interview Fuhlrodt 1947).79 Siehe: Interview Fuhlrodt 1947 und Interview Puvogel.23


Schon 1914 wur<strong>de</strong> Schaefler an die Westfront einberufen; es entstan<strong>de</strong>n vieleSkizzen und Blätter, die vor allem <strong>de</strong>n Alltag <strong>de</strong>r Soldaten zeigen. An <strong>de</strong>r französischenSomme-Front wur<strong>de</strong> Schaefler im Herbst 1916 durch einen Kopfschussschwer verwun<strong>de</strong>t.Nach <strong>de</strong>r Genesung war <strong>de</strong>r Frontdienst für Schaefler been<strong>de</strong>t, aber man setzteihn im Winter 1917/1918 als Skilehrer für das Deutsche Alpencorps in Oberstdorfund in <strong>de</strong>n Dolomiten ein. In Oberstdorf lernte er Vera Linzen kennen, diedort mit ihrer Mutter Clara zum Skiurlaub weilte. 80Bereits 1917 heiratete Schaefler Vera Linzen; das Ehepaar bezog 1918 eineWohnung in <strong>de</strong>r Elisabethstraße in München-Schwabing (Abb. 1). Im Juli 1918kam ihr Sohn Hannsotto zur Welt.In <strong>de</strong>n Jahren 1918 und 1919 arbeitete Schaefler verstärkt mit druckgraphischenTechniken: es entstan<strong>de</strong>n zahlreiche Holzschnitte und Radierungen. Nach einerPhase <strong>de</strong>r Bewältigung von psychischen Ängsten, ausgelöst durch die Kopfverletzung,überwogen religiöse Themen sowie die Beschäftigung mit <strong>de</strong>m Irrsinn.Fritz Schaefler gehörte in München zur künstlerischen Avantgar<strong>de</strong> und stellte in<strong>de</strong>n Jahren 1918 und 1919 mehrfach in <strong>de</strong>r progressiv-avantgardistischen Galerie„Galerie Neue Kunst – Hans Goltz“ aus.Als im November 1918 wie in vielen an<strong>de</strong>ren <strong>de</strong>utschen Städten auch in Münchendie Revolution ausgerufen wur<strong>de</strong>, politisieren sich zahlreiche Kunstschaffen<strong>de</strong>und Intellektuelle, auch Fritz Schaefler. Er gehörte zu <strong>de</strong>n radikalenKünstlern, die sich En<strong>de</strong> Februar 1919 in München zum „Aktionsausschuß revolutionärerKünstler“ zusammenschlossen, um aktiv an einer Erneuerung <strong>de</strong>sKunstbetriebes mitzuwirken.Für die politische Münchner Wochenzeitschrift „Süd<strong>de</strong>utsche Freiheit“ lieferteer mehrere Titelblätter, außer<strong>de</strong>m weitere Arbeiten für an<strong>de</strong>re expressionistischePublikationen. Im Januar 1919 erschien die erste Ausgabe <strong>de</strong>r expressionistischenZeitschrift „Der Weg“; an <strong>de</strong>r Publikation dieser für das Jahr 1919 imsüd<strong>de</strong>utschen Raum sehr be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n Kulturzeitschrift war Schaefler alsSchriftleiter für bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Kunst verantwortlich.Neben vielen politisch motivierten Arbeiten entstand in dieser Zeit auch eineVielzahl von Porträts, die nicht nur die Familie und Freun<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn auchKünstler und Intellektuelle aus <strong>de</strong>n Münchner Kreisen zeigen – Fritz Schaeflerwur<strong>de</strong> so zum Porträtisten dieser bewegten Zeit. Er war auf <strong>de</strong>m Höhepunk seineskünstlerischen Schaffens und bei zahlreichen Ausstellungen in Münchenund an<strong>de</strong>ren Städten vertreten.80 Die Mutter Clara Linzen, geborene Ernst (später Ratzka) studierte Staatswissenschaften und schriebfür eine Zeitung <strong>de</strong>r Arbeiterbewegung. Im Ersten Weltkrieg verfasste sie 18 Romane, die sich gutverkauften. Später arbeitete sie als Nahostkorrespon<strong>de</strong>ntin für das Berliner Tageblatt (siehe: InterviewPuvogel).24


Nach <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rschlagung <strong>de</strong>r Revolution Anfang Mai 1919 flüchtete Schaeflerzunächst nach Passau und dann nach Prien am Chiemsee ins Haus seinerSchwiegereltern. In <strong>de</strong>r bayerischen Natur entstan<strong>de</strong>n vor allem farbenfroheLandschaftsdarstellungen.Der Kontakt zur Münchener Kunstszene flaute ab, Fritz Schaefler arbeitete in<strong>de</strong>n Jahren 1920/21 aber immer wie<strong>de</strong>r für Münchener Theater; so entwarf erunter an<strong>de</strong>rem Bühnenbil<strong>de</strong>r und Kostüme für Aufführungen <strong>de</strong>s Arbeitertheaters„Neue Bühne“ und <strong>de</strong>s Nationaltheaters. 81Schaefler arbeitete mit <strong>de</strong>r Experimentaltänzerin Manda von Kreibig (1901–1989) zusammen, für die er Kostüme und Plakate gestaltete (Abb. 2 und 3). 82Auf <strong>de</strong>r Münchner Gewerbeschau <strong>de</strong>s Jahres 1922 wur<strong>de</strong> ein Teppich ausgestelltund verkauft, <strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>m Entwurf Fritz Schaeflers von Johanna Schütz-Wolff,Leiterin <strong>de</strong>r Textilklasse an <strong>de</strong>r von Paul Thiersch gegrün<strong>de</strong>ten und geleitetenKunstgewerbeschule Burg Giebichenstein in Halle angefertigt wur<strong>de</strong>. 8381 Siehe: Hoffmann 1989, S. 29f; Thiel 1996, S. 65f; Bonn 1992 I, S. 60f; Puvogel 1983, S. 10; eine ersteBerührung mit <strong>de</strong>r Theaterarbeit fand schon Anfang 1916 in Péronne statt, wo Schaefler für längere Zeit stationiertwar. Für ein Fronttheater lieferte er die Bühnenausstattung (siehe: Puvogel 1983, S. 7).82 Siehe auch <strong>de</strong>n undatierten Brief von Kurt Gerstenberg [Ostern 1922]: „Vor kurzem tanzte hierManda von Kreibig. Ausgezeichnet! Aber die Hälfte <strong>de</strong>s Erfolgs dürfen Sie sich gutschreiben. DieKostüme wirkten so wohltuend und eigentlich auch so selbstverständlich schön wie ein farbiger Vogelirgendwo draußen im Feld. Der Ungar, Indianer, Neger gefielen mir am besten.“ (Brief im Nachlass).Siehe auch <strong>de</strong>n Artikel: Die Tänzerin Manda v. Kreibig, in: Elegante Welt. Die Zeitschrift <strong>de</strong>r Dame,Düsseldorf, Jg. 10/1921, Heft 21, S. 32, <strong>de</strong>r neben einem hymnischen Text auch „die originellen Kostüme,die von <strong>de</strong>m genialen Münchener Maler Fritz Schaefler entworfen und von Lene Lutz, München,ausgeführt wur<strong>de</strong>n“ in vier Photographien zeigt (freundlicher Hinweis von Herrn <strong>Dr</strong>. Frank-Manuel Peter, Leiter <strong>de</strong>s Deutschen Tanzarchivs Köln). Bis 1923 waren die Kostümentwürfe fürManda von Kreibig wohl alle von Fritz Schaefler, danach auch von ihrem Bru<strong>de</strong>r Erwin (laut freundlicherAuskunft von Frau Merzenich, Leiterin <strong>de</strong>s Erwin von Kreibig-Museums München), eine Zusammenarbeitwar auch 1928 noch gegeben. Von 1922 bis 1931 wirkte Manda als Solotänzerin undBallettmeisterin in Darmstadt, Braunschweig und zuletzt in Nürnberg. Sie arbeitete En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 1920erJahre auch am Bauhaus mit Oskar Schlemmer zusammen; dort entwickelte sie unter an<strong>de</strong>rem <strong>de</strong>n berühmtenStabtanz. 1931 musste sie wegen einer Verletzung ihre aktive Karriere been<strong>de</strong>n.83 Bereits 1920 hatte Gerstenberg an Schaefler geschrieben: „Thiersch ist bereit, Entwürfe von Ihnenin seiner Webklasse anfertigen zu lassen.“ (Brief vom 15.11.1920, im Nachlass). Trotz intensiver Recherchekonnten zum Verbleib dieses erwähnten Teppichs und möglicherweise weiteren Teppichenkeine neuen Informationen gewonnen wer<strong>de</strong>n. Für die Arbeit in <strong>de</strong>r Textilklasse von Burg Giebichensteingalt: „Die Bildwirkereien, die in <strong>de</strong>r Werkstatt ausgeführt wur<strong>de</strong>n, waren an<strong>de</strong>rer, eher geometrischerNatur. Auch wur<strong>de</strong>n Gobelins nach Künstlerentwürfen gearbeitet, beispielsweise nach <strong>de</strong>n Entwürfen<strong>de</strong>r expressionistischen Maler Fritz Schaefler und Erwin Hahs.“ Siehe: Johanna Schütz-Wolff1996, S. 21 sowie: Schnei<strong>de</strong>r 1992; v.a. S. 312–314 (Textband).25


Im Jahr 1923 sollte Schaefler <strong>de</strong>n Villa Romana-Preis in Florenz erhalten, erreiste mit Kurt Gerstenberg nach Italien, kehrte aber nach drei Tagen zurück,ohne <strong>de</strong>n Preis in Empfang genommen zu haben. 84An<strong>de</strong>rthalb Semester lang betätigte sich Schaefler 1925 o<strong>de</strong>r 1926 als Leiter <strong>de</strong>rMalklasse an <strong>de</strong>r angesehenen Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein in Halle,bis er die Lehrtätigkeit unvermittelt abbrach und nach Prien zurückkehrte. 85Bei<strong>de</strong> Episo<strong>de</strong>n sind Ausdruck eines unsteten Charakterzuges, <strong>de</strong>r FritzSchaefler daran hin<strong>de</strong>rte, Dinge konsequent zu En<strong>de</strong> zu führen. Dies und einegewisse Kompromisslosigkeit verhin<strong>de</strong>rten unter an<strong>de</strong>rem auch die Festigungeines theoretischen Grundlagenkataloges und damit letztlich die öffentliche Anerkennungfür die farbgestalterischen Theorien und praktischen Anwendungen,die Schaefler bereits seit 1919 betrieb.Das Haus <strong>de</strong>r Schaeflers war ein beliebter Treffpunkt für die Priener Künstlerszene.Es gab vielfältige Aktivitäten; so wur<strong>de</strong> beispielsweise ein von Schaeflerausgemalter Kino- und Veranstaltungssaal eröffnet, <strong>de</strong>r aus finanziellen Grün<strong>de</strong>njedoch bald wie<strong>de</strong>r schließen musste, da das Kino von <strong>de</strong>r Bevölkerungnicht frequentiert wur<strong>de</strong>. 86Im Jahr 1927 zog Schaefler mit seiner Familie nach Köln. Er wählte die Stadtallerdings nicht wegen <strong>de</strong>r immer noch aktiven kunstpolitischen Szene („KölnerProgressive“ 87 ), son<strong>de</strong>rn weil er auf Aufträge <strong>de</strong>r Gewerbeschule und <strong>de</strong>r Kirchehoffte. Diese sollte ihm <strong>de</strong>r in Köln leben<strong>de</strong> Architekt Hans Hansen, <strong>de</strong>n er bei84 Siehe: Interview Puvogel. Die Villa Romana in Florenz wur<strong>de</strong> im Januar 1905 vom DeutschenKünstlerbund gegrün<strong>de</strong>t, dort sollten <strong>de</strong>utsche Künstler die Möglichkeit haben zu arbeiten. Jährlichwur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Villa Romana-Preis an drei Künstler verliehen. Laut Auskunft <strong>de</strong>r Leitung und <strong>de</strong>s Archivs<strong>de</strong>r Villa Romana lebten und arbeiteten in <strong>de</strong>n Jahren 1915 bis 1929 in <strong>de</strong>r Villa keine Künstler, da dievon <strong>de</strong>m Künstler Max Klinger erworbene Villa im Jahr 1915 durch die Italiener enteignet wur<strong>de</strong>. Um1923/1924 begannen erst zögerlich neue Aktivitäten, <strong>de</strong>shalb gab es vor 1929 auch keinen Preisträger.1928 wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Preis an Gerhard Marcks verliehen, ohne dass dieser, wie üblich, in <strong>de</strong>r Villa arbeitenkonnte; vielleicht geschah diese Verleihung, um die Villa Romana wie<strong>de</strong>r ins Gespräch zu bringen,nach<strong>de</strong>m sie so lange als Institution nicht tätig war. Eventuell bekam Schaefler die Auszeichnung wieMarcks außerhalb <strong>de</strong>r üblichen Regularien o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Sohn irrte in <strong>de</strong>r Jahreszahl. Die Unterlagen sindunvollständig, sicher ist aber, dass Schaefler die Auszeichnung nicht zwischen 1928 und 1936 erhaltenhat (freundliche Auskunft von Herrn Joachim Burmeister (Leiter <strong>de</strong>r Villa Romana) und Herrn PhilippKuhn (Verfasser einer Chronik zur Villa Romana)).85 Siehe: Interview Puvogel. In <strong>de</strong>n Akten von Burg Giebichenstein ist kein Vermerk über eine LehrtätigkeitSchaeflers vorhan<strong>de</strong>n (siehe Brief <strong>de</strong>r Archivleiterin vom 3.7.1996 an Vera Thiel). Der Kontakt kam wohlüber <strong>de</strong>n Kunsthistoriker Kurt Gerstenberg zustan<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r in Halle lehrte. Es ist allerdings kein Hinweis erhalten;auch nicht in <strong>de</strong>r umfangreich erhaltenen Korrespon<strong>de</strong>nz zwischen Fritz Schaefler und Kurt Gerstenberg.86 Siehe: Interview Puvogel. Siehe auch <strong>de</strong>n Briefwechsel zwischen Fritz Schaefler und Kurt Gerstenberg (imNachlass).87 Es bestand ein loser Kontakt zu <strong>de</strong>n „Kölner Progressiven“ Heinrich Hoerle und Franz WilhelmSeiwert, Schaefler war aber nicht Mitglied <strong>de</strong>r Gruppe (siehe: Bonn 1992 I, S. 73f). „Obgleich sichSchaefler für die verschie<strong>de</strong>nen Gruppierungen interessierte und auch in Kontakt mit <strong>de</strong>n Mitglie<strong>de</strong>rnstand, beschränkte er sich wahrscheinlich darauf, <strong>de</strong>m ‚Dachverband‘ <strong>de</strong>r Künstlergruppierungen anzugehören.In <strong>de</strong>r Liste <strong>de</strong>r Bezirksgruppe Köln e.V. <strong>de</strong>s ‚Reichsverban<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n KünstlerDeutschlands, gegr. 1913‘ erscheint er als ‚Fritz Schäffler‘.“ (siehe: Bonn 1992 I, S. 75; Liste <strong>de</strong>r Bezirksgruppeabgedruckt in: Oellers 1987, S. 24).26


III. Fritz Schaefler – Arbeiten <strong>de</strong>r Jahre 1918 bis 1919 inMünchena. Arbeiten aus <strong>de</strong>r Kriegszeiti. Der Blick <strong>de</strong>r Expressionisten auf <strong>de</strong>n KriegEine Analyse <strong>de</strong>r Arbeiten Fritz Schaeflers <strong>de</strong>r Jahre 1918 und 1919, die so entschei<strong>de</strong>ndvom Krieg und <strong>de</strong>n sich im Anschluss ergeben<strong>de</strong>n revolutionären Erhebungengeprägt sind, muss mit einer Betrachtung <strong>de</strong>r Kriegszeit und <strong>de</strong>rkünstlerischen Umsetzung dieser Erlebnisse beginnen.Im Sinne einer Einordnung und Abgrenzung wer<strong>de</strong>n zunächst exemplarischekriegsbezogene Arbeiten an<strong>de</strong>rer Expressionisten vorgestellt, es folgt eine Betrachtungausgewählter Werke Fritz Schaeflers.Bis zum Beginn <strong>de</strong>s 20. Jahrhun<strong>de</strong>rts verän<strong>de</strong>rte sich <strong>de</strong>r Krieg entschei<strong>de</strong>nd.Dies betraf nicht nur die technische Durchführung, son<strong>de</strong>rn auch die Wahrnehmung<strong>de</strong>r Beteiligten und die Dokumentation <strong>de</strong>s Geschehens.Aus technischer Sicht wur<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>n neuen Waffen, die im Ersten Weltkrieg zumEinsatz kamen, aus <strong>de</strong>r Schlacht Mann gegen Mann eine Schlacht Maschine gegenMensch; aus <strong>de</strong>m Nahkampf ein Stellungskrieg aus ver<strong>de</strong>ckten Schützengräben; aus<strong>de</strong>m Kampf mit mechanischen Waffen ein Kampf auch mit chemischen Waffen –dies verän<strong>de</strong>rte zwangsläufig ebenso die abzubil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Motive. 95Im Ersten Weltkrieg erweiterten sich die Dokumentationsmöglichkeiten um dieneuen visuellen Medien Photographie und Film, die vornehmlich zu Propagandazweckeneingesetzt wur<strong>de</strong>n. Vielfach waren Photos gestellt, es herrschte Zensur.Selten sah man in <strong>de</strong>n heimischen Journalen Bil<strong>de</strong>r gefallener Soldaten.Filmaufnahmen direkt von <strong>de</strong>r Front scheiterten meist an <strong>de</strong>r Verweigerung <strong>de</strong>rMilitärs, die Filmen<strong>de</strong>n dorthin passieren zu lassen. Die militärische Geheimhaltungstand über <strong>de</strong>r Information <strong>de</strong>r Zivilisten. 96 Nicht verhin<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>nkonnten, obwohl offiziell verboten, die Photographien <strong>de</strong>r Soldaten, die einensehr realistischen Eindruck vom Kriegsgeschehen vermittelten, <strong>de</strong>nn die Entwicklungleichterer Photoapparate mit immer kürzeren Belichtungszeiten ermöglichtees, das Geschehen an <strong>de</strong>r Front bildlich zu dokumentieren. 97Insgesamt vermittelten die Medien ein wenig heroisches und nur selten ein authentischesAbbild <strong>de</strong>s Ersten Weltkrieges.95 Ausführlich zur Kunst, die <strong>de</strong>n Ersten Weltkrieg verarbeitet: Jürgens-Kirchhoff 1993; dort auchweiterführen<strong>de</strong> Literatur. Einen umfangreichen Überblick über die Vielfalt künstlerischer Darstellungenim Ersten Weltkrieg liefert auch: Rother 1994a. Siehe auch: Mai 1994.96 Siehe: Rother 1994b, S. 198.97 Siehe: Dewitz 1994.29


Da die Kriegswirklichkeit unübersehbar gewor<strong>de</strong>n war, war <strong>de</strong>r Leitgedanke in<strong>de</strong>r bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Kunst nun eine verstärkte Zeitzeugenschaft, nicht mehr das ästhetisieren<strong>de</strong>,komponierte I<strong>de</strong>al.Der Beginn <strong>de</strong>s Ersten Weltkrieges wur<strong>de</strong> jubelnd begrüßt, weil er als Erlösungaus <strong>de</strong>r Verunsicherung sich än<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>r Gesellschaftsstrukturen gesehen wur<strong>de</strong>,die sich um die Jahrhun<strong>de</strong>rtwen<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n europäischen Nationen entwickelt hatten.Diese, auch Fin <strong>de</strong> siècle genannte Zeit zwischen 1890 und 1914 war geprägt voneinem Schwanken zwischen Aufbruchsstimmung, Zukunftseuphorie, diffuser Zukunftsangstund Regression, zwischen Endzeitstimmung, Lebensüberdruss, Weltschmerz,<strong>de</strong>r Faszination von Tod und Vergänglichkeit und einer gewissen Leichtlebigkeit,Frivolität und Deka<strong>de</strong>nz. Vor allem in <strong>de</strong>r Musik und in <strong>de</strong>r Literatur, aberauch in <strong>de</strong>r bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Kunst fand diese Stimmung ihren geistigen Ausdruck. 98In Deutschland hoffte man, durch einen Krieg <strong>de</strong>r Lähmung durch Bürgerlichkeitentgehen zu können, die sich in vielen gesellschaftlichen wie geistigenLebensbereichen breit gemacht hatte. Auch die autoritäre Umklammerung <strong>de</strong>swilhelminischen Staatapparates war vielen Menschen zuwi<strong>de</strong>r gewor<strong>de</strong>n.Bildnerisches Zeichen für diesen Wunsch nach Befreiung sind die verstören<strong>de</strong>nWerke <strong>de</strong>s Expressionisten Ludwig Meidner, <strong>de</strong>r sich schon seit 1911 unter <strong>de</strong>mEindruck eines sowohl persönlichen wie auch weitverbreiteten Endzeitgefühlsimmer wie<strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>r Gesellschaft auseinan<strong>de</strong>rgesetzt hatte. Vor allem in <strong>de</strong>nJahren 1912 und 1913 schuf er zahlreiche apokalyptische Visionen von Krieg,Revolution und menschlichem Leid, die metaphorisch Meidners Sehnsucht nach<strong>de</strong>r Überwindung <strong>de</strong>r gegenwärtigen Epoche ausdrückten. Die im Rückblick auf<strong>de</strong>n Ersten Weltkrieg oft behauptete Interpretation dieser Werke als vorhersehen<strong>de</strong>Anklage gegen das kommen<strong>de</strong> Kriegsunheil war <strong>de</strong>mentsprechend nichtihre ursprüngliche Intention. 99Von <strong>de</strong>r 1914 in <strong>de</strong>r Bevölkerung weit verbreiteten Kriegsbegeisterung warenauch viele <strong>de</strong>r expressionistischen Künstler angesteckt – dass sie sich damit ineiner Reihe mit <strong>de</strong>n Anhängern <strong>de</strong>s wilhelminischen Militarismus befan<strong>de</strong>n, empfan<strong>de</strong>nsie nicht als Wi<strong>de</strong>rspruch. 100 Dem Krieg wur<strong>de</strong> von ihnen eine reinigen<strong>de</strong>Wirkung <strong>de</strong>s Geistes vorausgesagt; in <strong>de</strong>r heroisch-romantischen Vorstellung98 Als stellvertreten<strong>de</strong> Exponenten seien genannt: Richard Wagner, Jean Sibelius, Gustav Mahler, ThomasMann, Rainer Maria Rilke, Stefan George, Oscar Wil<strong>de</strong>, Anton Tschechow, Henrik Ibsen, GustavKlimt, Edvard Munch.99 Siehe: Ludwig Meidner 1990; sowie: Meidner 2004.100 Als „Kriegsfreiwillige“ seien beispielhaft genannt: Max Beckmann, Otto Dix, George Grosz, ErichHeckel, Ernst Ludwig Kirchner, Franz Marc, Heinrich Vogeler, Oskar Schlemmer. Siehe: Blume1986, S. 54, 55, 57; bzw.: März 1986, S. 126.30


vieler Künstler beziehungsweise Intellektueller sollte sich durch <strong>de</strong>n Krieg dieWelt zum Positiven verän<strong>de</strong>rn. 101 So schrieb Franz Marc 1914:Denn in diesem Kriege kämpfen nicht, wie es die Herren Politiker sagen,die Zentralmächte gegen einen äußeren Feind, auch nicht eine Rasse gegendie an<strong>de</strong>re, son<strong>de</strong>rn dieser Großkrieg ist ein europäischer Bürgerkrieg,ein Krieg gegen <strong>de</strong>n inneren, unsichtbaren Feind <strong>de</strong>s europäischenGeistes. Das muß einmal ausgesprochen und begriffen wer<strong>de</strong>n; dann wirdman auch begreifen, daß wir nach <strong>de</strong>m entsetzlichen Blutopfer <strong>de</strong>s Krieges<strong>de</strong>n inneren Feind, <strong>de</strong>n Ungott und Unhold Europas, die Dummheitund Dumpfheit, das ewig Stumpfe mit allen Waffen fort und fort bekämpfenmüssen, um zu helleren Klängen, zur Helligkeit <strong>de</strong>s europäischen Typusdurchzudringen. 102Mancher Künstler erwartete sich durch <strong>de</strong>n Krieg einen Anstoß für seine Kunst –wie es im oft zitierten Ausspruch Max Beckmanns heißt: „Für mich ist <strong>de</strong>r Krieg einWun<strong>de</strong>r, wenn auch ein ziemlich unbequemes. Meine Kunst kriegt hier zu fressen.“103 Die Meisten wur<strong>de</strong>n nach kurzem Kriegseinsatz durch die Realität bekehrt.Nach <strong>de</strong>r Rückkehr aus <strong>de</strong>m Krieg zog Max Pechstein 1919 Bilanz:Noch scheuchen Träume nachts <strong>de</strong>n Schläfer hoch, die Nerven wollen sichnoch nicht wie<strong>de</strong>r an die Ruhe eines bürgerlichen Daseins gewöhnen. Alles istneu: Wie habe ich doch früher meine Leinwän<strong>de</strong> grundiert und was nahm ichfür Farben? Allmählich stellt sich das Gedächtnis wie<strong>de</strong>r ein und ich male dieersten Bil<strong>de</strong>r, die mich schon im Fel<strong>de</strong> begleiteten. Es war ein dicker Strich,<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Schützengraben durch mein Leben gezogen, <strong>de</strong>nn während ich die gesamteZeit von einem Frontteil zum an<strong>de</strong>ren wan<strong>de</strong>rte, blieb mir nicht einmalgenug Zeit, um <strong>de</strong>n Körper auszuruhen. Die Sinne waren abgestumpft. Oftfürchtete ich seelisch zugrun<strong>de</strong> zu gehen. Und doch hätte ich es nicht ver-101 Siehe die Kapitel „Expressionistisches Pathos und die Mythisierung <strong>de</strong>s Krieges“ (S. 38–64) und„Der Schicksalskrieg“ als künstlerische Herausfor<strong>de</strong>rung (S. 65–72), in: Jürgens-Kirchhoff 1993. „Esist die Vision eines unvorstellbaren Krieges; er kann alles sein, Revolution, Aufstand, Eroberungskrieg,Freiheitskrieg, er kann auch ‚ungerecht‘ sein. So o<strong>de</strong>r so – <strong>de</strong>r Krieg erscheint als Geburtsakteiner neuen, einer ‚großen Zeit‘. In dieser mystifizieren<strong>de</strong>n Vorstellung verschwan<strong>de</strong>n die Klassenauseinan<strong>de</strong>rsetzungen,die politischen und die ökonomischen Krisen, die Interessen <strong>de</strong>r Herrschen<strong>de</strong>nund <strong>de</strong>r Beherrschten, die Lei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Künstler unter einer ‚kranken‘ Zeit. Alle scheinbar gleich, alleKrieger, mit gleichem Ziel und gleichem Feind, im gleichen <strong>Dr</strong>eck, gleich verwundbar, sahen nurnoch wenige, wie unterschiedlich und unvereinbar die Ziele und Zwecke waren, mit <strong>de</strong>nen Aristokraten,Bürger, Arbeiter, Künstler, Regierung und Regierte als Deutsche, als sogenannte Volksgemeinschaftin <strong>de</strong>n Krieg zogen.“ (siehe: Jürgens-Kirchhoff 1993, S. 55).102 Siehe: Marc 1914–1915, S. 630–636; zitiert nach: März 1986, S. 133.103 Brief Max Beckmanns vom 18.04.1915 an seine Frau Minna Tube. Siehe: Beckmann 1955, S. 38.Max Beckmann war im Frühjahr 1915 als Sanitätssoldat mit Erich Heckel in Flan<strong>de</strong>rn stationiert, erwur<strong>de</strong> im Herbst 1915 nach einem Nervenzusammenbruch aus <strong>de</strong>m Militärdienst entlassen.31


mocht, von sicherem Lan<strong>de</strong> aus zuzuschauen, wie meine Brü<strong>de</strong>r starben unddie Eltern sich quälten. Nun ist <strong>de</strong>r wil<strong>de</strong> Traum zu En<strong>de</strong>. 104Die Wandlung <strong>de</strong>r Haltung <strong>de</strong>r Intellektuellen ist auch in Zeitungen und Zeitschriftendokumentiert. Dem anfänglichen Enthusiasmus, <strong>de</strong>n Blätter wie„Kriegszeit“ verbreiteten, folgte spätestens ab 1916 <strong>de</strong>r Pessimismus beziehungsweiseeine Klarsichtigkeit auf das wahre Gesicht <strong>de</strong>s Krieges. 105Scharf kritisiert wur<strong>de</strong> die Kriegsbegeisterung in <strong>de</strong>r Zeitschrift „Die Aktion“von Franz Pfemfert („Kunst ist ein Instrument revolutionärer Politik“); sie erschienbereits seit 1911, vertrat eine sehr engagierte pazifistische linksgerichteteLinie und war vor allem zum Kriegsen<strong>de</strong> und für die revolutionären Bewegungen1918 ein äußerst wichtiges Forum <strong>de</strong>s politischen Protests. Ausdrücklichwandte sich Pfemfert gegen die seiner Meinung nach unreflektierte Kriegsbegeisterung<strong>de</strong>r Intellektuellen und Künstler. 106Viele Künstler kamen durch <strong>de</strong>n Krieg zu einem expressionistischen Stil – soauch Fritz Schaefler – <strong>de</strong>nn die nachimpressionistischen Stilmittel genügten alsAusdrucksform nicht mehr. 107Im Vorkriegs-Expressionismus waren bevorzugte Themen die schöpferischeEntfaltung <strong>de</strong>s Menschen einerseits und die Entfremdung <strong>de</strong>s Menschen durch<strong>de</strong>n Wan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>r Lebensumstän<strong>de</strong> an<strong>de</strong>rerseits. Der Krieg setzte neue Schwerpunkte:man for<strong>de</strong>rte eine soziale Gesellschaftsordnung und eine Geisteshaltung<strong>de</strong>s Miteinan<strong>de</strong>r. Thematisiert wur<strong>de</strong> auch das Lei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Menschen.Das Abstumpfen <strong>de</strong>r Emotionen und <strong>de</strong>r Phantasie durch das im Krieg Erlebteboten keine guten Voraussetzungen für intensive künstlerische Arbeit, dieKünstler kämpften jedoch mit ihrer Arbeit gegen die Lähmung ihrer Ausdrucksmöglichkeitenan. Im Laufe <strong>de</strong>s Ersten Weltkrieges und danach entstan<strong>de</strong>n vielfältigeexpressionistische Werke zum Thema „Krieg“, sie sind Form <strong>de</strong>r Auseinan<strong>de</strong>rsetzungmit <strong>de</strong>m Gesehenen, <strong>de</strong>r Anklage o<strong>de</strong>r auch <strong>de</strong>s Versuchs einerAnnäherung an das zukünftige Leben. Eindrückliche Zeugnisse sind vor allemdie Mappenwerke zahlreicher Künstler zu Krieg und Tod.104 Brief Max Pechsteins an <strong>de</strong>n Freund Georg Biermann vom 6. August 1919. Siehe: Biermann 1920, S. 16.105 Die Zeitschrift „Kriegszeit“ wur<strong>de</strong> zwischen 1914 und 1916 von Paul Cassirer herausgegeben; in <strong>de</strong>nArtikeln wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Krieg als reinigen<strong>de</strong> Kraft begrüßt. Im Verlauf <strong>de</strong>s Ersten Weltkriegs schwand diese Begeisterung,1916 wur<strong>de</strong> die Zeitschrift schließlich eingestellt und durch „Der Bil<strong>de</strong>rmann“ ersetzt; in dieserZeitschrift (1916–1918) wur<strong>de</strong>n Leid beziehungsweise Tod thematisiert. Siehe: Barron 1989b, S. 13.106 Einen Überblick gibt u.a.: Die Aktion 1984. Siehe auch: Raabe 1964b; sowie: Peter 1972.Die ebenfalls pazifistischen „Weißen Blätter“ von René Schickele mussten ab 1916 in <strong>de</strong>r Schweizerscheinen.107 Ein <strong>de</strong>utlicher Wan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>r Formensprache ist beispielsweise bei Max Beckmann zu beobachten.Seine im Frühwerk sichtbare vitalistische Weltsicht wur<strong>de</strong> durch die Kriegserlebnisse als freiwilligerKrankenpfleger vehement erschüttert. Die sezessionsimpressionistische Arbeitsweise wich einer ausdrucksstarkenFormensprache. Stilmittel wie eckige Formen, betonte Umrisse, Disproportionierungen,stumpfe Farbgebung etc. verliehen seinem Werk nun expressionistischen Charakter.32


Einige dieser Folgen wer<strong>de</strong>n vorgestellt, um die individuelle Umsetzung <strong>de</strong>sKriegserlebnisses zu zeigen. 108 Zu<strong>de</strong>m soll somit <strong>de</strong>r Kontext dargestellt wer<strong>de</strong>n,in <strong>de</strong>n die während <strong>de</strong>s Krieges entstan<strong>de</strong>nen tagebuchartigen bildlichen Schil<strong>de</strong>rungenFritz Schaeflers, sowie seine hauptsächlich kurz nach <strong>de</strong>m Krieg datieren<strong>de</strong>n,auf die Kriegserlebnisse bezogenen zyklenhaften Darstellungen vonLeid und Hoffnung einzuordnen sind.Eine <strong>de</strong>r frühen Mappen zum Krieg lieferte Willy Jaeckel (1888–1944) mit <strong>de</strong>r1915 im Verlag <strong>de</strong>s „Berliner Graphischen Kabinetts I.B. Neumann“ erschienenenFolge „Memento 1914/15“. 109 Jaeckel wur<strong>de</strong> als untauglich ausgemustertund bezog seine Motive aus <strong>de</strong>r Imagination o<strong>de</strong>r aus zweiter Hand. 110 LithographierteSzenen vom Nahkampf, von explodieren<strong>de</strong>n Granaten, Sterben<strong>de</strong>n,Vergewaltigung, einer toten Mutter mit Kind zeigen die Gräuel <strong>de</strong>s Krieges. 111Die Mappe wur<strong>de</strong> nach <strong>de</strong>m Erscheinen verboten. Einige <strong>de</strong>r Szenen sind alseine Hommage an Francisco <strong>de</strong> Goyas Graphikmappe „Los Desastres <strong>de</strong> laGuerra“ (1810–20) zu sehen. Die Kunst Willy Jaeckels ist von einer mystischverklärtenMetaphysik getragen, die sich mit <strong>de</strong>m Wer<strong>de</strong>n und Vergehen <strong>de</strong>sMenschen auseinan<strong>de</strong>rsetzt.Das letzte Blatt <strong>de</strong>r Folge zeigt eine Pietà (Abb. 4). Ein in <strong>de</strong>n Knien abgeknicktsitzen<strong>de</strong>r Soldat mit grotesk verdrehtem Körper umklammert eine Frau beziehungsweisewird von ihr gestützt. Sein Blick ist, analog zu <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Frau,nach unten gerichtet. Ein kahler kleiner Baum am linken Bildrand und ein zerstörtesHaus im Hintergrund bil<strong>de</strong>n die Umgebung. Die bei<strong>de</strong>n Figuren sindwohl Mutter und Sohn. Jaeckel verbin<strong>de</strong>t in dieser Szene inhaltlich wie ikonographischein Kriegsmotiv mit einem religiösen Motiv; <strong>de</strong>r Bezug zwischen <strong>de</strong>rMuttergottes, die ihren toten Sohn im Schoß hält zu dieser Mutter, die ihrenSohn küsst, ist naheliegend: bei<strong>de</strong> Frauen trauern um ihr totes Kind. Maria isthier I<strong>de</strong>ntifikationsfigur für Lei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> und Trauern<strong>de</strong>. 112108 Auf die ebenfalls mit <strong>de</strong>m Ersten Weltkrieg zu assoziieren<strong>de</strong> Mappe „9 Holzschnitte (Kristus)“ von Karl<strong>Schmidt</strong>-Rottluff, erschienen 1918 im Kurt Wolff Verlag, wird im Kap. III.b.iii.1. dieser Arbeit eingegangen.109 Willy Jaeckel: Memento 1914/15, Mappe mit 10 Lithographien, 1915 (siehe: Willy Jaeckel 1987; Kat.Nr.75). Siehe auch: Klein 1990, S. 109–111. Im Juni 1915 wur<strong>de</strong>n die Blätter im Berliner Graphischen KabinettIsrael Ber Neumanns sowie im Frühjahr 1916 in <strong>de</strong>r 28. Schau <strong>de</strong>r Berliner Secession ausgestellt. Bei I.B.Neumann erschien 1916 auch eine radierte Mappe „Biblische Motive“ von Jaeckel (siehe: Willy Jaeckel1987, Kat.Nr. 76).110 Siehe: Hahn 1915, o.S. (S. 7). Siehe zu Jaeckels Kriegswerken: Klein 1990, S. 26–35 sowie S. 108–121.111 Die Titel <strong>de</strong>r Blätter lauten: „Memento 1914/15“ (Titelblatt), „Sturmangriff“ (1. Blatt), „Platzen<strong>de</strong> Granate“(2. Blatt), „Tote Mutter und kleines Kind“ (3. Blatt), „Erschießung“ (4. Blatt), „Gefallener im Stacheldraht“(5. Blatt), „Vergewaltigung“ (6. Blatt), „Volltreffer“ (7. Blatt), „Nahkampf“ (8. Blatt), „Irren<strong>de</strong>r Verwun<strong>de</strong>ter“(9. Blatt), „Pietà“ (10. Blatt).112 Siehe: Jaeckel 1978, Kat.Nr. 75-10. Auch das Titelblatt <strong>de</strong>r 1915 erschienenen „Willy-Jaeckel-Nummer“<strong>de</strong>r Zeitschrift „Licht und Schatten“ (VI. Jahrgang, Nr. 1) zeigt eine „Pièta“ benannte Zeichnung. Zu sehen istein gegen einen Felsen aufgestützter sterben<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r toter Soldat, sein Kopf ist zur Seite gefallen. Hinter ihmsitzt eine Frau in dunklem Umhang, welcher Körper und Haare verhüllt. Sie führt die linke Hand <strong>de</strong>s Soldaten33


. Arbeiten nach <strong>de</strong>r Kriegsverletzungi. EinführungDie eminente Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Ausdrucksvokabulars von Fritz Schaefler wird<strong>de</strong>utlich, wenn man die im folgen<strong>de</strong>n Kapitel beschriebenen Werke aus <strong>de</strong>r Zeitnach <strong>de</strong>r aktiven Kriegsteilnahme mit <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>s vorangegangen Kapitels vergleicht.Mit <strong>de</strong>r Rekonvaleszenz begann eine Phase höchster Produktivität im künstlerischenSchaffen Fritz Schaeflers, die erst mit <strong>de</strong>m durch die Zeitläufte erzwungenenUmzug an <strong>de</strong>n Chiemsee Mitte 1919 in ruhigere Bahnen kam.Zunächst setzte Schaefler das im Krieg Erlebte und die Furcht vor <strong>de</strong>m Wahnsinnum. Es entstan<strong>de</strong>n düstere Blätter: Alptraumhaftes, Irrenhaus-Phantasien,biblisch-apokalyptische Szenen, auch einige Selbstbildnisse. Vornehmlich arbeiteteSchaefler mit Tusche o<strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>n 1918 neu erlernten Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Radierensund <strong>de</strong>s Holzschnei<strong>de</strong>ns. 151 Diese Techniken entsprachen in <strong>de</strong>r Verwendungstarker Hell-Dunkel-Kontraste seinen aktuellen Bildthemen.Eine Tuschezeichnung, genannt „Verräterbrücke“, zeigt eine wahre Begebenheit:ein Kommandant hatte auf einer Brücke Menschen an Galgen hinrichtenlassen. 152 Die Brücke ist quer über das Blatt gespannt. Die dunklen Silhouetten<strong>de</strong>r Gehängten strukturieren die Senkrechte, das bedrohlich dunkle Wasserrechts unten korrespondiert mit einem dunklen Vogelschwarm links oben.Mit <strong>de</strong>r Radierung „Trommelfeuer 1915“ aus <strong>de</strong>m Jahr 1918 griff Schaefler imNachhinein noch einmal das Grauen <strong>de</strong>r Soldaten auf, die im Schützengraben<strong>de</strong>m feindlichen Beschuss ausgesetzt waren (Abb. 21). 153 Im Vor<strong>de</strong>rgrund linkshält sich ein Mann die Ohren zu, im Mittelgrund <strong>de</strong>tonieren Sprengkörper zwischenSoldaten. Dicht gekreuzte Schraffuren schaffen eine bedrohliche Atmosphäre,Bün<strong>de</strong>l von Strahlen zeigen die Kraft <strong>de</strong>r Zerstörungen.Das Blatt „Pest“ zeigt eine Straßenszene (Abb. 22). 154 Vor <strong>de</strong>n Häusern stehen Menschen,abgemagert und krank, fast skeletthaft aussehend – die Köpfe ähneln Totenschä<strong>de</strong>ln.Sie lamentieren teils mit emporgestreckten Armen und sind weitgehendauf <strong>de</strong>n Ausdruck von Entsetzen reduziert. Hohe, schmale, eng aneinan<strong>de</strong>r gedrängte151 Eine genaue zeitliche Datierung <strong>de</strong>r getuschten Blätter fällt schwer, da kaum eines <strong>de</strong>r Blätter datiertist, im stilistischen und thematischen Vergleich sind sie aber in die Jahre 1917 bis in die erstenMonate <strong>de</strong>s Jahres 1918 einzuordnen. Danach begann Schaefler, die Tuschezeichnungen mit wenigAquarellfarbe zu kolorieren. Nach 1919 entstan<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r beschriebenen Technik keine Tuschezeichnungenmehr. Seit 1918 malte Schaefler auch reine Aquarelle. Die Radierungen sind meist datiert, siesind nicht früher als 1918 entstan<strong>de</strong>n. Ebenso verhält es sich mit <strong>de</strong>n Holzschnitten.152 WVZ 914: Die Verräterbrücke, Tusche, um 1917. Siehe: Interview Puvogel.153 WVZ 585: Trommelfeuer 1915, Radierung, 1918.154 Nicht im WVZ (Inv.Nr. 472 KHI Uni Köln): Pest, Tuschezeichnung. Eine Straßenszene zeigt auchdas Blatt „Höllentanz“ (Abb. 23): nackte Menschen tanzen unter einem dunklen Himmel (WVZ 904:Höllentanz, Tuschezeichnung, um 1917).45


Häuser dienen in ihrer wackeligen Schiefe nicht als schützen<strong>de</strong> Burgen. Die Enge<strong>de</strong>r Straße im Bildhintergrund suggeriert Bedrohung.Eine sehr grob ausgeführte Bleistiftzeichnung, bezeichnet „Der Mör<strong>de</strong>r“, zeigteinen Innenraum. Am Fuße <strong>de</strong>r nach oben führen<strong>de</strong>n steilen Treppe liegt ein toterMensch. Eine Rückenfigur wen<strong>de</strong>t <strong>de</strong>m Betrachter ihr bösartiges Gesichtzu. 155 Eine etwas <strong>de</strong>zidierter ausgeführte und um einen auf <strong>de</strong>r oberen Treppestehen<strong>de</strong>n Mann bereicherte Tuschezeichnung nannte Schaefler „Das böse Gewissen“.Hier ist die tote Person als Frau zu erkennen. 156 Welche Be<strong>de</strong>utung dieSzene für Fritz Schaefler hatte, ist ungewiss, aber sie war doch so wichtig, dasser sie ein zweites Mal mit einer allegorischen Bezeichnung wie<strong>de</strong>rholte. Möglicherweisesteht sie in Zusammenhang mit einem Kriegserlebnis.Einen starken Gegensatz zu <strong>de</strong>n düsteren Blättern dieser Zeit bil<strong>de</strong>n zarte, lichteKaltna<strong>de</strong>l-Radierungen, die im Frühjahr 1918 auf einer gemeinsamen Reise mit<strong>de</strong>m guten Maler-Freund Hans Baumann an <strong>de</strong>n Main und die Donau entstan<strong>de</strong>n.157 Fritz Schaefler radierte Straßen und Landschaften (Abb. 24 und 25).Der Duktus <strong>de</strong>r Linien ist schwingend, die Bil<strong>de</strong>lemente sind in knappen Umrissenbeschrieben, Schraffierungen wur<strong>de</strong>n nur sparsam zur An<strong>de</strong>utung vonSchatten beziehungsweise Bewegung eingesetzt. 158 Ludwig Coellen schrieb 1918über diese Blätter:Und dann hat sich das Formprinzip, das Schaefler als das seinige zu verwirklichensucht, zu klarer Sprache Bahn gebrochen; in Beschränkung <strong>de</strong>rFormglie<strong>de</strong>r und vereinfachen<strong>de</strong>r Verdichtung <strong>de</strong>r Mittel hat die Kunstdie wesenhaft Ordnung ist, persönlich geistig und formal die Bedrohungen<strong>de</strong>s Chaotischen gebändigt. 159Manche dieser Arbeiten erinnern an Landschaftsradierungen Erich Heckels aus<strong>de</strong>ssen Zeit als Sanitäter in Flan<strong>de</strong>rn 1916, die in wenigen Linien auf das Papiergebracht wur<strong>de</strong>n. 160155 Nicht im WVZ (Privatsammlung): Der Mör<strong>de</strong>r, Bleistiftzeichnung.156 Nicht im WVZ (Privatsammlung): Das böse Gewissen, Tuschezeichnung.157 Laut Aussage <strong>de</strong>s Sohnes Hannsotto Schaefler sollen sie auch bei Kiepenheuer gedruckt wor<strong>de</strong>n sein, dieslässt sich allerdings bis heute nicht nachweisen. Siehe: Interview Puvogel. Einzig das mit dieser Reise in Verbindungstehen<strong>de</strong> radierte Blatt „Flußlandschaft“ (Abb. 24) ist mit <strong>de</strong>m Zusatz „Besitz Verlag Kiepenheuer(Schaffen<strong>de</strong>n)“ versehen (WVZ 571: Flußlandschaft, Radierung, 1918). Es wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>m von Kiepenheuerherausgegebenen Mappenwerk „Die Schaffen<strong>de</strong>n“, 1. Jahrgang, 3. Mappe, 1918 veröffentlicht.158 Beispiele: WVZ 610: Mainbrücke, Radierung, 1918 (Abb. 25); WVZ 587: Fluß und Hügel, Radierung,1918; WVZ 579: Frühling, Radierung, 1918. Zu <strong>de</strong>n Radierungen siehe: Puvogel 1983, S. 30:„Von Feininger gibt es aus diesen Jahren vergleichbare feinfühlige Arbeiten.“.159 Siehe: Coellen 1918, S. 380.160 Siehe z.B.: Dube 1965: R 133, R 135–137.46


ii. IrrenhausszenenDie Ruhe, die <strong>de</strong>n Blättern von <strong>de</strong>r Reise innewohnt, erstaunt um so mehr, wennman das Konvolut <strong>de</strong>r Werke überblickt, das sich <strong>de</strong>m Thema „Irrsinn“ und„Krüppel“ widmet und ebenso 1918 entstand. 161Außer<strong>de</strong>m stammen aus dieser Zeit die im nächsten Kapitel besprochenen, nichtweniger düsteren Blätter zur Passion Christi und zu an<strong>de</strong>ren religiösen Themen.Knapp ein Dutzend Blätter zeigt Facetten <strong>de</strong>r Furcht vor <strong>de</strong>m Irrsinn, die sichFritz Schaeflers bemächtigt hatte, während er seine schwere Kopfverletzungauskurierte. 162 Auch wenn die Zusammenstellung <strong>de</strong>r Blätter nicht als Folge dokumentiertist, sind diese Arbeiten doch als zusammengehörig zu sehen und stehenim Kontext <strong>de</strong>r im vorausgegangenen Kapitel „Der Blick <strong>de</strong>r Expressionistenauf <strong>de</strong>n Krieg“ besprochenen mehrteiligen Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen mit <strong>de</strong>nErlebnissen im Ersten Weltkrieg.In <strong>de</strong>r Fülle und Aussagekraft <strong>de</strong>r Irrsinns-Darstellung bleibt Schaefler singulär;an<strong>de</strong>re expressionistische Künstler zeigen das Thema nur in einzelnen Werken.163 Dies wird im Folgen<strong>de</strong>n offensichtlich.Der Kunsthistoriker Kurt Gerstenberg, <strong>de</strong>r die Entwicklung Fritz Schaeflers seit1917 intensiv begleitete, schrieb:Schaefler mußte sich 1918 von <strong>de</strong>r Seele schreiben, was an Düsterem undwüsten Erinnerungen und Vorstellungen aus Kriegserlebnissen und krankhaftgesteigerter Phantasie damals in ihm aufstieg. Wahnsinn, Qualen aus bewußterund unterbewußter Schuld sowie die Tragödien <strong>de</strong>s Krüppeldaseinswaren Vorstellungen, die Schaefler bedrängten, und <strong>de</strong>ren er nun in einer An-161 Renate Puvogel sieht die Irrenhaus-Szenen als Illustration <strong>de</strong>s Dostojewski-Werkes „Aus einemTotenhaus“ (siehe: Puvogel 1983, S. 58, Kommentar zu Kat.-Nr. 79) – dies erscheint völlig abwegig,<strong>de</strong>nn die Arbeiten, die Schaefler nach Dostojewski angefertigt hat, wur<strong>de</strong>n von ihm auch als solchegekennzeichnet – dies ist aber bei <strong>de</strong>n Irrenhaus-Szenen nicht <strong>de</strong>r Fall. Werke zu Dostojewski: WVZ920: Zu Dostojewski „Doppelgänger“ II, Fe<strong>de</strong>rzeichnung, vermutlich 1918; WVZ 924: Doppelgängerl, Dostojewski, Fe<strong>de</strong>rzeichnung, um 1919; WVZ 1265: Die Betrunkenen (Dostojewski, aus einem Totenhaus),Lithographie, 1919; WVZ 1266: Hölle (Dostojewski, aus einem Totenhaus), Lithographie,1919; WVZ 1267: Susanna [falsch bezeichnet!], Lithographie, um 1919 (= Dostojewski: Aufzeichnungenaus einem Totenhaus: Das Theater <strong>de</strong>r Gefangenen. Abgedruckt in: Die Schaffen<strong>de</strong>n, JahrgangII, 2. Mappe, 1919, Bildtafel 24 (Hrsg.: Paul Westheim). Siehe auch: Dostojewski ist mein Freund1999; dort sind die Arbeiten Schaeflers verzeichnet.162 Dies sind: WVZ 584: Schrecken im Irrenhaus, Radierung, 1918 (Abb. 32); WVZ 591: Gewalttat,Radierung, 1918 (Abb. 30); WVZ 596: Erlösung, Radierung, 1918 (Abb. 31); WVZ 602: Aus einemIrrenhaus: Versammlung, Radierung, 1918 (Abb. 34); WVZ 605: Garten <strong>de</strong>r Irrsinnigen I, Radierung,1918 (Abb. 26); WVZ 606: Aus einem Irrenhaus: Verzweiflung, Radierung, 1918 (Abb. 33); WVZ615: Qualen <strong>de</strong>r Krüppel (auch benannt: Der unglückliche Liebhaber), Radierung, 1918 (Abb. 28);WVZ 631: Garten <strong>de</strong>r Irrsinnigen II, Radierung, 1918 (Abb. 27); nicht im WVZ (Inv.Nr. 490 KHI UniKöln): Garten <strong>de</strong>r Irren, Tuschzeichnung, aquarelliert (Tafel 2); nicht im WVZ (Clemens-Sels-Museum Neuss): Qualen <strong>de</strong>s Krüppel, Fe<strong>de</strong>r und Tusche über Aquarell (Tafel 3); nicht im WVZ (Privatsammlung):Qualen <strong>de</strong>s Krüppels, Radierung, 1918 (Abb. 29).163 Siehe: Guratzsch 2003, dort weiterführen<strong>de</strong> Literatur.47


zahl von Radierungen Herr zu wer<strong>de</strong>n suchte. Die Vorwürfe seiner Radierungenaus <strong>de</strong>m Jahre 1918 sind bezeichnend: Trommelfeuer, Irre, Erlösung(eine Irrenhausszene), Irrengarten, Schrecken im Irrenhaus, das Laster, Gewalttat,Qualen <strong>de</strong>s Krüppels. 164Lei<strong>de</strong>r existieren keinerlei schriftlichen Äußerungen Fritz Schaeflers zu dieserLebensphase, unbestritten ist aber schon bei <strong>de</strong>r Betrachtung <strong>de</strong>r Motive und <strong>de</strong>rStilentwicklung, dass die Eindrücke <strong>de</strong>s Krieges und <strong>de</strong>r Verwundung seineweitere Arbeit sehr geprägt haben und dass Schaefler in einem Zustand war,„<strong>de</strong>r ihn förmlich zwang, Aussagen zu machen“. 165Eines <strong>de</strong>r expressivsten Blätter aus <strong>de</strong>r Serie <strong>de</strong>r „Irrenhaus“-Darstellungen istdie Radierung „Garten <strong>de</strong>r Irrsinnigen I“ (Abb. 26). 166 Die Szene spielt in einemGarten, <strong>de</strong>r von einer hohen Mauer abgeschlossen ist; mit <strong>de</strong>m großen Turm amrechten Bildrand gleicht er einem Gefängnis. Somit wird dieser Garten zu einerUmkehrung <strong>de</strong>s „hortus conclusus“ als Symbol für Geborgenheit und Sündlosigkeit.Hinter <strong>de</strong>r Mauer sind im oberen Bilddrittel Häuser und eine vomMauerrand angeschnittene Kirche sichtbar, <strong>de</strong>ren Turmspitze das Kreisrund <strong>de</strong>rSonne tangiert. Die Sonne ist ein allgemein in <strong>de</strong>r Nachkriegszeit häufig eingesetztesBildsymbol, sie steht für eine helle, bessere Zukunft.Viele Kranke wan<strong>de</strong>rn durch <strong>de</strong>n Garten, im Bildmittelpunkt steht frontalansichtigein Mann mit nach rechts geneigtem Kopf und weit aufgerissenen Augen.Seine nach außen gedrehten Knie und die angewinkelten Arme sowie diemit gespreizten Fingern nach oben weisen<strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong> machen ihn zu einer verängstigtenund seiner Krankheit hilflos ausgelieferten Person. Einige Krankestarren ihn sich duckend an, an<strong>de</strong>re sind mit sich selbst o<strong>de</strong>r miteinan<strong>de</strong>r beschäftigt.Die Köpfe <strong>de</strong>r Kranken sind teilweise verformt, die Körperhaltungenzwanghaft.Die Hauptfigur dieser Radierung weist selbstbildnishafte Züge auf, wie im Vergleichmit zeitgleichen Selbstporträts zu erkennen ist; neben <strong>de</strong>r zum Kinn hinschmaler wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Gesichtsform legen dies vor allem die weit aufgerissenenAugen nahe. 167 Der Blick auf <strong>de</strong>n Betrachter verstärkt <strong>de</strong>n wechselseitigen Bezugvon Realität und Fiktion. Die nach oben weisen<strong>de</strong> rechte Hand <strong>de</strong>r Hauptfigurbil<strong>de</strong>t eine Bildachse mit <strong>de</strong>r Sonne und <strong>de</strong>r Kirchturmspitze. Glaube, Hoffnungund Schicksal wer<strong>de</strong>n so miteinan<strong>de</strong>r verknüpft.164 Siehe: Gerstenberg 1955/56.165 Siehe: Interview Puvogel.166 WVZ 605: Garten <strong>de</strong>r Irrsinnigen I, Radierung, 1918.167 Zum Vergleich: WVZ 583: Selbstbildnis III, Radierung, 1918 (Abb. 190). Auch auf drei religiösenBlättern aus <strong>de</strong>m Jahr 1918 lässt sich ein Gesicht in <strong>de</strong>r Menge als Selbstporträt mit weit aufgerissenenAugen ausmachen. Allerdings geht hier <strong>de</strong>r Blick eher ins Leere o<strong>de</strong>r ins Innere (siehe: WVZ 638:Golgatha, Radierung, 1918 (Abb. 62); WVZ 710: Der Tod am Kreuz, Holzschnitt, 1918 (Abb. 60);WVZ 717: Am Kreuze, Holzschnitt aquarelliert, 1918 (Tafel 8)).48


Die Weise, in <strong>de</strong>r die zentrale Bildfigur von <strong>de</strong>m Mann auf seiner linken Seiteund <strong>de</strong>m rechts hinter ihm Gehen<strong>de</strong>n angestarrt und umrun<strong>de</strong>t wird, gemahnt inihrer unterschwelligen Bösartigkeit an die Darstellung <strong>de</strong>r Verspottung Jesudurch die Soldaten und das Volk. Das psychisch Düster-Diffuse <strong>de</strong>r Situationwird mittels <strong>de</strong>r von dichten Kreuzschraffuren erzeugten Dunkelheit wi<strong>de</strong>rgespiegelt.Die Menschen – und mit ihnen Fritz Schaefler – sind ihrer Lebenssituation ausgeliefert,sie irren, dumpf und auf sich allein gestellt, umher. Vergleichbare Szenenkönnte Schaefler bei seinem Aufenthalt im Hirnverletzten-Lazarett bei Soldatenerlebt haben, die ähnlichen Verletzungen und Ängsten wie er selbst ausgesetztwaren.Schaefler verwen<strong>de</strong>t hier wie in an<strong>de</strong>ren frühen Radierungen Formprinzipien<strong>de</strong>s Futurismus: Kubische Halbkreis-, <strong>Dr</strong>ei- und Vierecksformen wer<strong>de</strong>n miteinan<strong>de</strong>rverschränkt, dadurch entstehen Kraftfel<strong>de</strong>r und prismatische Formen,die die Atmosphäre verdichten. Die Formzersplitterung steht hier gleichsam fürdie Zersplitterung <strong>de</strong>r (Schaefler’schen) Welt.Einen „Garten <strong>de</strong>r Irren“ fertigte Schaefler als Aquarell (Tafel 2). 168 Das Bedrohlichewird hier weniger durch die nur ange<strong>de</strong>uteten Figuren erzielt, son<strong>de</strong>rnvielmehr durch einen kalten Blauton und harte dunkle Tuscheschraffuren. Diestarke Sonne sorgt im Kontrast mit ihren in <strong>de</strong>n Garten hereinfallen<strong>de</strong>n Strahlenfür einen Hoffnungsschimmer. Die Mauer um <strong>de</strong>n Garten und <strong>de</strong>r Kirchturmdahinter haben nicht <strong>de</strong>n kubisch gebrochenen spitzwinklig-bedrohlichen Charakter<strong>de</strong>r Radierung „Garten <strong>de</strong>r Irrsinnigen I“. 169168 Nicht im WVZ (Inv.Nr. 490 KHI Uni Köln): Garten <strong>de</strong>r Irren, Tuschezeichnung, aquarelliert.169 In <strong>de</strong>r Gedichtsammlung „Umbra vitae“ von Georg Heym aus <strong>de</strong>m Jahr 1912 fin<strong>de</strong>t sich das Gedicht„Der Garten <strong>de</strong>r Irren“: „Am roten Teiche stehen viele Schatten/ Bei dünner Bäume schwächlichenGesichten,/ In Stille fort. Nur selten daß sich einer/ Herunter zu <strong>de</strong>m trüben Wasser bücket.//Und manche gehen in die entleerten Hecken/ In kühlen Gängen, die schon voller Lichter,/ Und schleifenmit <strong>de</strong>n Füßen in <strong>de</strong>m Laube/ Und sitzen wie<strong>de</strong>r sanft in <strong>de</strong>n Verstecken.// Der Strom ist weit hinabim blanken Scheine/ Bei Erlen und <strong>de</strong>n krumm gebornen Wei<strong>de</strong>n./ Und wer mit leichtem Kahn ihnüberbrücket,/ Er wird im Licht die gelben Blumen pflücken.“ 1924 erschien im Verlag Kurt WolffMünchen eine Ausgabe von „Umbra vitae“ mit 47 texttreuen Holzschnitten Ernst Ludwig Kirchners(Dube 1967: H 758–807). Die ersten Illustrationen schnitt Kirchner bereits 1919, die meisten jedocherst 1922 nach <strong>de</strong>r Auftragserteilung durch Wolff. Siehe: Lang 1975, S. 42. Der Holzschnitt Kirchners„Garten <strong>de</strong>r Irren“ (Dube 1967: H 768) zeigt mittig <strong>de</strong>n Strom, rechts gebeugte Menschenschatten,links Bäume und Blumen. Über <strong>de</strong>n Menschen strahlt eine Sonne mit Kraftringen und -linien – manvergleiche sie mit <strong>de</strong>n Sonnendarstellungen Schaeflers. In seinem Davoser Notizbuch notierte Kirchnerzwar die Arbeit an <strong>de</strong>n Gedichten Heyms, aber nicht, wann er welches Gedicht illustrierte. Siehe:Grisebach 1997.49


c. Arbeiten in Zusammenhang mit <strong>de</strong>r Münchner Revolution undRäterepublikMit <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Ersten Weltkrieges erarbeiteten in München und in an<strong>de</strong>renStädten <strong>de</strong>s Reiches Kreise engagierter, zumeist bürgerlicher Intellektueller eineneue, <strong>de</strong>m revolutionären Aufbruch entsprechen<strong>de</strong> Haltung und postulierten diesein Wort und Bild. Dies war durch die gesellschaftliche und geistige Umbruchstimmung<strong>de</strong>s ersten Jahrzehnts und die immense Zäsur <strong>de</strong>s Krieges vorbereitetwor<strong>de</strong>n.Auch Fritz Schaefler hat die kunstpolitischen Vorgänge während <strong>de</strong>r Revolutionund Räterepublik in <strong>de</strong>n Monaten zwischen <strong>de</strong>m November 1918 und Mai 1919intensiv künstlerisch und organisatorisch begleitet. Seine Mitarbeit bei mehrerenZeitschriften und Zeitungen sowie die Organisation von Ausstellungen stehenbeispielhaft für eine intensive, wenn auch kurzlebige Bereitschaft (avantgardistischer)Künstler, sich konkret in das politisch-gesellschaftliche Gescheheneinzubin<strong>de</strong>n und auf intellektueller Ebene eine Weltverbesserungsutopie auf <strong>de</strong>rBasis eines sozialistischen Staatssystems Realität wer<strong>de</strong>n zu lassen.Eine ausführliche Darstellung <strong>de</strong>s politischen Geschehens in München in <strong>de</strong>nJahren 1918/ 1919 scheint angebracht, um <strong>de</strong>n Verlauf wie auch das Scheitern<strong>de</strong>r Revolution verstehen und die Stellung <strong>de</strong>r Intellektuellen und Künstler indiese Entwicklung einbetten zu können; jene hatten in München schon durch dieVerbun<strong>de</strong>nheit <strong>de</strong>s Revolutionsanführers Kurt Eisner zu ihren Kreisen einewirkmächtigere Ausgangsposition als in an<strong>de</strong>ren Städten. 346Ebenso sollen ausführliche Textbeispiele aus <strong>de</strong>r wichtigsten Münchner Tageszeitung„Münchner Neueste Nachrichten“ und <strong>de</strong>n in Zusammenhang mit FritzSchaefler relevanten, revolutionären expressionistischen Publikationen einen Einblickin das geistig-kulturpolitische Umfeld geben, in <strong>de</strong>m Schaefler in <strong>de</strong>n Jahren1918 und 1919 wirkte. 347346 Auf die revolutionären Umtriebe in an<strong>de</strong>ren Städten und Regionen <strong>de</strong>s Deutschen Reichs soll indieser Arbeit nicht eingegangen wer<strong>de</strong>n.347 Um eine bessere Übersichtlichkeit zu gewähren, sind die vollständigen Quellen in einer Quellensammlungam En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Arbeit zitiert (Kap. V); im laufen<strong>de</strong>n Text bzw. in <strong>de</strong>r Fußnote ist die jeweiligeQuelle auf ihre Kernaussage konzentriert. Die Zeitung „Süd<strong>de</strong>utsche Freiheit“ wird in <strong>de</strong>n Fußnotenals „SF“ abgekürzt.101


i. Vorraussetzungen und Verlauf <strong>de</strong>r Münchner Revolution und Räterepublik348Um die Grün<strong>de</strong> für die Entstehung <strong>de</strong>r Münchner Revolution und <strong>de</strong>r späterenRäterepublik einschätzen zu können, soll zunächst ein Blick auf die wirtschaftlichenund gesellschaftlichen Vorraussetzungen geworfen wer<strong>de</strong>n, die sich inMünchen im zweiten Jahrzehnt <strong>de</strong>s 20. Jahrhun<strong>de</strong>rts präsentierten. 349München, nach Berlin, Köln und Hamburg die viertgrößte Stadt <strong>de</strong>s Reiches,war als einzige Großstadt von einem ausge<strong>de</strong>hnten agrarischen Umland umgebenund wirtschaftlich wie kulturell eng mit diesem verwurzelt. Dies prägte dieStadt ebenso wie die Tatsache, dass es durch <strong>de</strong>n Mangel an Bo<strong>de</strong>nschätzen keineSchwerindustrie, son<strong>de</strong>rn nur eine Vere<strong>de</strong>lungsindustrie gab. Durch die Lageam südlichen Ran<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Reiches wur<strong>de</strong> München immer mehr zum Han<strong>de</strong>lsplatzfür Warenverkehr aus Südosteuropa und Italien; dies bedurfte groß angelegterVerwaltungs- und Transporteinrichtungen. Auch <strong>de</strong>r Frem<strong>de</strong>nverkehr erlebtein <strong>de</strong>n Jahren vor <strong>de</strong>m Ersten Weltkrieg einen <strong>de</strong>utlichen Aufschwung. DasBaugewerbe war das führen<strong>de</strong> Gewerbe in <strong>de</strong>r Stadt.Vor allem aber war München als Resi<strong>de</strong>nz- und Hauptstadt das politische, verwaltungstechnischeund kulturelle Zentrum <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s Bayern. Dies spiegeltesich auch in <strong>de</strong>r gesellschaftlichen Struktur: es gab viele Beamte und Angestellte,Künstler, Stu<strong>de</strong>nten und Pensionäre, eine breite Schicht von mittleremund kleinem Bürgertum. Die Arbeiterschaft, die sich aus Einheimischen und ausin an<strong>de</strong>ren Teilen <strong>de</strong>s Reiches angeworbenen Männern rekrutierte, war auf kleinereund mittelgroße Betriebe verteilt, die mit ihren Erzeugnissen hauptsächlichMünchen und das Umland belieferten.Die beschriebenen unterschiedlichen Erwerbsquellen <strong>de</strong>r Bevölkerung bestimmtendie Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur Münchens und grenzten es von <strong>de</strong>n starkindustriell geprägten Großstädten im übrigen Reich ab. Schon im Herbst 1912 kündigtesich in München eine wirtschaftliche Depression an, die bis 1914 immer dramatischerwur<strong>de</strong>; Grün<strong>de</strong> waren ein Abflauen <strong>de</strong>r Wirtschaft nach <strong>de</strong>r Hochkonjunkturphase1911 und 1912, die Konfliktsituation auf <strong>de</strong>m Balkan und ein zunehmen<strong>de</strong>rGeldwertverfall. Die Arbeitslosigkeit stieg, bis 1914 war das niedrigste Beschäftigungsaufkommen<strong>de</strong>r letzten zehn Jahre erreicht, es kam immer wie<strong>de</strong>r zu Massenprotesten<strong>de</strong>r Arbeitslosen. Ein Konjunkturaufschwung fand erst seit <strong>de</strong>m Frühjahr1915 durch die Umstellung auf Kriegsproduktion statt. Daran nicht beteiligte Berufsgruppenlitten jedoch unter Arbeitsmangel, <strong>de</strong>r Baustop im Rahmen <strong>de</strong>s ErstenWeltkriegs traf die Münchner Wirtschaft massiv.348 In diesem Rahmen kann nur eine begrenzte chronologische Übersicht geleistet wer<strong>de</strong>n. Einen ausführlichenÜberblick über die Münchner Ereignisse liefert die Montierung zeitgenössischer Quellenin: Schmolze 1978. Einen ausführlichen tabellarischen Überblick liefert: Die Münchner Räterepublikvom 4. April bis 2. Mai 1919 – Vorgeschichte und Verlauf. Eine Chronologie, in: Viesel 1980, S. 25–32.349 Hierzu siehe vor allem: Hillmayr 1969.102


Die im Zusammenhang mit <strong>de</strong>r Kriegsproduktion neu entstehen<strong>de</strong> Industrie (Motoren,Flugzeuge, Munition und Kleinwaffen) mit ihren Tausen<strong>de</strong>n zusätzlich eingestelltenArbeitern verschob die bisher stabile soziale Schichtung <strong>de</strong>r Bevölkerungund för<strong>de</strong>rte die gesellschaftliche Unruhe. Es waren 52.000 Soldaten in Münchenstationiert. Die mit Beginn <strong>de</strong>s Krieges fortschreiten<strong>de</strong> Gel<strong>de</strong>ntwertung sorgte füreine schleichen<strong>de</strong> Inflation, die vor allem für die vielen Festbesol<strong>de</strong>ten (Beamte,Angestellte, Renten-/ Pensionsempfänger, etc.) in München katastrophale Auswirkungenhatte, da diese für Währungs- und Wirtschaftskrisen beson<strong>de</strong>rs anfälligsind.Dieser Umstand trägt mit zu einer befriedigen<strong>de</strong>n Antwort auf die Fragebei, warum sich gera<strong>de</strong> in München <strong>de</strong>r Umsturz so früh und so rasch undreibungslos vollziehen kann. Versucht man, die revolutionären Umwälzungenmit <strong>de</strong>m Anwachsen einer hauptsächlich von außen zugezogenenrevolutionsfreundlichen Arbeiterschaft zu erklären und <strong>de</strong>r Tatsache, daßman <strong>de</strong>n Arbeitern zu lange politische und soziale Rechte vorenthält, sobeleuchtet man damit nur einen Teil <strong>de</strong>s zur Revolutionszeit gegebenenSachverhalts. 350Auch die Wohnungsnot, die mangelhafte Versorgung mit Lebensmitteln und an<strong>de</strong>renGütern <strong>de</strong>s täglichen Bedarfs, sowie <strong>de</strong>r nicht angemessen auf die Problemereagieren<strong>de</strong> Verwaltungsapparat, erschwerten das Leben <strong>de</strong>r Menschen während<strong>de</strong>s Krieges. Die zivile Sterberate stieg beträchtlich. Die Stimmung schlugum, statt militärischer Siegesfeiern und monarchischer Verehrung gab es nunMassenstreiks und Demonstrationen. König Ludwig III. wur<strong>de</strong> mangeln<strong>de</strong> Autoritätund Versagen bei <strong>de</strong>r Beseitigung <strong>de</strong>r Missstän<strong>de</strong> vorgeworfen.Ebenso nahm <strong>de</strong>r Einfluss <strong>de</strong>r Kirche in <strong>de</strong>n Kriegsjahren <strong>de</strong>utlich ab, sie hattesich durch Siegesbeschwörungen und die Kaufempfehlung von Kriegsanleihenunglaubwürdig gemacht. Bereits im Sommer 1916 gab es Hunger<strong>de</strong>monstrationenauf <strong>de</strong>m Münchener Marienplatz, an <strong>de</strong>nen nicht nur randalieren<strong>de</strong> Jugendliche,son<strong>de</strong>rn auch Soldaten und Frauen beteiligt waren. Die Unzufrie<strong>de</strong>nheitbetraf nicht nur die unteren, son<strong>de</strong>rn nahezu alle Gesellschaftsschichten; auchdie Bauern im Umland äußerten über ihre Vertreter im Bayerischen Bauernbund(BBB) ihren Unmut über erhöhte Belastungen und die von Preußen gelenkteKriegswirtschaft. Von Seiten <strong>de</strong>r Bauern wur<strong>de</strong> eine Beseitigung <strong>de</strong>r bestehen<strong>de</strong>nVerhältnisse – und damit die Revolution – begrüßt, von Seiten <strong>de</strong>r Politikwar man sich <strong>de</strong>s Einflusses <strong>de</strong>r Bauern durchaus bewusst. 351350 Siehe: Hillmayr 1969, S. 465.351 Dies zeigt sich auch daran, dass Kurt Eisner, <strong>de</strong>r Vorsitzen<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Unabhängigen Sozial<strong>de</strong>mokratischenPartei Deutschlands (USPD) in Bayern, im Oktober 1918, also im Vorfeld <strong>de</strong>r Revolutionintensive Gespräche mit <strong>de</strong>m führen<strong>de</strong>n Vertreter <strong>de</strong>s revolutionären Flügels <strong>de</strong>s Bayerischen Bauernbun<strong>de</strong>s,Ludwig Gandorfer, führte. Gandorfer starb am 10. November 1918, <strong>de</strong>n Vorsitz im Bauernratübernahm sein Bru<strong>de</strong>r Karl.103


Wie in vielen an<strong>de</strong>ren Län<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s Deutschen Reichs kam es auch in Bayern imJanuar 1918 zu Massenstreiks. Kurt Eisner, <strong>de</strong>r Vorsitzen<strong>de</strong> <strong>de</strong>r UnabhängigenSozial<strong>de</strong>mokratischen Partei Deutschlands (USPD) in Bayern, 352 rief als Organisatoreiner Munitionsarbeiterversammlung zum Streik auf und wur<strong>de</strong> infolge<strong>de</strong>ssenverhaftet; er verblieb neun Monate in Untersuchungshaft. 353In <strong>de</strong>n letzten Kriegsmonaten wur<strong>de</strong>n die Lebensumstän<strong>de</strong> immer angespannter.Mit <strong>de</strong>r Gewissheit <strong>de</strong>r militärischen Nie<strong>de</strong>rlage im August 1918 wuchs die Verbitterung<strong>de</strong>r Bevölkerung erneut. Man sorgte sich spätestens nach <strong>de</strong>m Zusammenbruch<strong>de</strong>r Donaumonarchie Österreich-Ungarn im Oktober 1918 und <strong>de</strong>rsich daraus ergeben<strong>de</strong>n möglichen Besetzung Bayerns durch feindliche Truppenum die Zukunft Münchens. Der stete Zustrom von aus <strong>de</strong>m Krieg heimkehren<strong>de</strong>nSoldaten und entlassenen Arbeitskräften sorgte für eine Stärkung <strong>de</strong>r politischenLinken. Die Popularität Eisners und seiner USPD nahm, vor allem bei<strong>de</strong>r Arbeiterschaft, kontinuierlich zu. 354 Die politische Stimmung und die For<strong>de</strong>rungenradikalisierten sich zunehmend.352 Die USPD ging aus einer Gruppe von SPD-Abgeordneten im Reichstag hervor, die sich seit Beginn <strong>de</strong>sErsten Weltkriegs immer offener gegen die Unterstützung <strong>de</strong>s Krieges durch die SPD aussprach. Auf einemParteitag im April 1917 wur<strong>de</strong> die Gründung <strong>de</strong>r USPD als eigene Partei neben <strong>de</strong>r SPD beschlossen. DiePartei bestand aus heterogenen Gruppierungen: linken SPD-Abweichlern (wie Kurt Eisner), marxistischenProgramm-Theoretikern, aber auch „rechten“ reformorientierten Revisionisten, die nur die Kriegsbeteiligungablehnten, aber keine Revolution anstrebten. Außer<strong>de</strong>m gehörte als äußerster linker Parteiflügel die seit 1915bestehen<strong>de</strong> „Gruppe Internationale“ um Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Clara Zetkin dazu, die sich ab1916 „Spartakusgruppe“, seit November 1918 „Spartakusbund“ nannte. Im Gegensatz zu an<strong>de</strong>ren StädtenBayerns war die Münchener USPD eher kleinbürgerlich als proletarisch geprägt.353 Kurt Eisner wur<strong>de</strong> 1867 als Sohn eines jüdischen Fabrikanten in Berlin geboren. Er studierte in BerlinPhilosophie und Germanistik und arbeitete zunächst an<strong>de</strong>rthalb Jahre für die „Frankfurter Zeitung“, danachvon 1893 bis 1898 in Marburg als Journalist für die „Hessische Lan<strong>de</strong>szeitung“. 1897 wur<strong>de</strong> Eisner wegenMajestätsbeleidigung im Rahmen eines Zeitungsartikels zu neun Monaten Haft verurteilt. 1898 trat er in dieSozial<strong>de</strong>mokratische Partei Deutschlands (SPD) ein und arbeitete bis 1905 am Parteiorgan „Vorwärts“ mit.1907 wur<strong>de</strong> er Chefredakteur <strong>de</strong>r sozial<strong>de</strong>mokratischen „Fränkischen Tagespost“ in Nürnberg, 1910 zog ernach München, um für die „Münchner Post“ als Parlamentsberichterstatter und Theaterkritiker zu arbeiten.Sein politisches Engagement galt vor allem <strong>de</strong>r Bildungspolitik. 1910 bis 1916 gab er das wöchentlich erscheinen<strong>de</strong>„Arbeiter-Feuilleton“ heraus. In <strong>de</strong>n Jahren 1914/15 entwickelte Eisner sich zum Gegner <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschenKriegspolitik und trat für die Anerkennung <strong>de</strong>r Kriegsschuld Deutschlands ein. Deshalb verließ Eisnerdie SPD und wur<strong>de</strong> 1917 Vorsitzen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r links einzuordnen<strong>de</strong>n, von <strong>de</strong>r SPD abgespaltenen UnabhängigenSozial<strong>de</strong>mokratischen Partei Deutschlands (USPD) in Bayern. „Alle, die Eisner kannten, bestätigen, daß erselbstlos war, früh durch die Schule <strong>de</strong>s philosophischen <strong>de</strong>utschen I<strong>de</strong>alismus gegangen, ein ästhetisch feinfühligerMensch, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Kunst <strong>de</strong>n retten<strong>de</strong>n Ausweg aus <strong>de</strong>r qualvollen Gegenwart sah. Im Grun<strong>de</strong> genommenkein Schüler von Marx, mit <strong>de</strong>ssen strengen Anhängern er sich immer überworfen hatte; das geistigeLeben, nicht die Wirtschaft, stand im Mittelpunkt seines Denkens: Fichte war ihm Gipfel <strong>de</strong>r Aufklärung –das heißt <strong>de</strong>r Demokratie, die sich nun sozialistisch vollen<strong>de</strong>.“ (Zitat von Karl Alexan<strong>de</strong>r von Müller; zitiertnach: Schmolze 1978, S. 133).354 Mitte Oktober 1918 wur<strong>de</strong> Kurt Eisner aus <strong>de</strong>r Haft entlassen, da ihn die USPD als Gegenkandidat vonErhard Auer (SPD) für eine Reichstagsersatzwahl aufstellte, die am 17. November stattfin<strong>de</strong>n sollte: gesuchtwur<strong>de</strong> ein Nachfolger für Georg von Vollmar (SPD), <strong>de</strong>r sein Mandat nie<strong>de</strong>rgelegt hatte.104


Der politische Unmut erstreckte sich über das ganze Deutsche Reich; aus einer Meutereivon Matrosen auf einzelnen Schiffen <strong>de</strong>r Kaiserlichen Kriegsmarine vor Wilhelmshavenam 29. Oktober 1918 als Reaktion auf <strong>de</strong>n Plan <strong>de</strong>r Seekriegsleitung,ohne Wissen <strong>de</strong>r Regierung gegen England auszulaufen und somit die Soldaten ineiner sinnlosen Schlacht zu opfern, 355 entwickelte sich am 3. November in Kiel einMatrosenaufstand, <strong>de</strong>r sich als Novemberrevolution innerhalb weniger Tage überDeutschland ausbreitete und schließlich am 9. November Berlin erreichte.Unter <strong>de</strong>m <strong>Dr</strong>uck <strong>de</strong>r Ereignisse gab Reichskanzler Prinz Max von Ba<strong>de</strong>n andiesem Tag die Abdankung Kaiser Wilhelms II., und damit das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r konstitutionellenMonarchie, bekannt und ernannte <strong>de</strong>n Parteivorsitzen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r SPD,Friedrich Ebert, zum neuen Reichskanzler. 356 Der SPD-Politiker Philip Schei<strong>de</strong>mannrief am gleichen Tag vom Balkon <strong>de</strong>s Reichstags die erste Deutsche Republikaus. Wenige Stun<strong>de</strong>n später proklamierte Karl Liebknecht als Vertreter<strong>de</strong>s Spartakusbun<strong>de</strong>s von einem Fenster <strong>de</strong>s Berliner Schlosses die „Freie SozialistischeRepublik Deutschland“ mit <strong>de</strong>m Ziel einer internationalen sozialistischenRevolution. Die unterschiedlichen Proklamationen weisen auf <strong>de</strong>nkommen<strong>de</strong>n Konflikt zwischen Parlamentarismus und Räte<strong>de</strong>mokratie hin. 357Ebenfalls am 9. November wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r „Rat <strong>de</strong>r Volksbeauftragten“ gebil<strong>de</strong>t, eineKoalitionsregierung aus SPD und USPD mit Friedrich Ebert und Hugo Haase(USPD) als Vorsitzen<strong>de</strong>; am 10. November wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Rat von <strong>de</strong>n Berliner Arbeiter-und Soldatenräten teilweise, auf <strong>de</strong>m vom 16. bis 20. Dezember stattfin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>nReichskongress <strong>de</strong>r Arbeiter- und Soldatenräte endgültig bestätigt.In Bayern gab am 2. November 1918 König Ludwig III. einen Erlass über die schonlänger gefor<strong>de</strong>rte Neuordnung <strong>de</strong>r Regierung auf parlamentarischer Grundlage heraus.Am 3. November for<strong>de</strong>rte Kurt Eisner bei einer Kundgebung <strong>de</strong>r USPD auf <strong>de</strong>rMünchener Theresienwiese zum Sturz <strong>de</strong>r Monarchie und zur Revolution auf. Beieiner nächtlichen Wahlversammlung <strong>de</strong>r USPD auf <strong>de</strong>r Theresienwiese am 5. Novembergab er die feste Zusage, dass in München innerhalb <strong>de</strong>r nächsten 48 Stun<strong>de</strong>ndie revolutionäre Erhebung stattfin<strong>de</strong>n wird.Polizei und Regierung rechneten nicht mit <strong>de</strong>m großen Einfluss, <strong>de</strong>n Eisner undseine Genossen auf die Menschen hatten, sie hin<strong>de</strong>rten <strong>de</strong>ren Aktivitäten nicht.Am 7. November fand auf <strong>de</strong>r Theresienwiese zum ersten Jahrestag <strong>de</strong>r russi-355 Tatsächlich wur<strong>de</strong> am 11. November 1918 <strong>de</strong>r Waffenstillstandsvertrag zwischen <strong>de</strong>n Alliiertenund <strong>de</strong>m Deutschen Reich unterzeichnet.356 Bis zum 23. November 1918 mussten alle regieren<strong>de</strong>n Fürsten <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Län<strong>de</strong>r abdanken.357 Die parlamentarische Demokratie setzte sich letztlich durch: Am 19. Januar 1919 wur<strong>de</strong> in Weimarnach <strong>de</strong>m Willen <strong>de</strong>s Rates <strong>de</strong>r Volksbeauftragten und <strong>de</strong>s Arbeiter- und Soldatenrates die Nationalversammlunggewählt; erstmals nicht nur von Männern ab <strong>de</strong>m vollen<strong>de</strong>ten 20. Lebensjahr, son<strong>de</strong>rnauch von Frauen. Die Stimmverteilung lag bei: SPD: 37,9 %; Zentrum: 19,7 %; DDP (Deutsche DemokratischePartei): 18,6 %; DNVP (Deutschnationale Volkspartei): 10,3 %; USPD: 7,6 %; DVD(Deutsche Volkspartei): 4,4 %; BBB (Bayerischer Bauernbund): 0,9 %. <strong>Dr</strong>ei weitere kleine Parteienerreichten zusammen 0,7 %. Die Nationalversammlung ernannte Friedrich Ebert am 11. Februar 1919zum Reichspräsi<strong>de</strong>nten und Philip Schei<strong>de</strong>mann zum Reichsministerpräsi<strong>de</strong>nten (= Reichskanzler).105


d. Porträts 701Wie in <strong>de</strong>n vorangegangenen Kapiteln ausführlich dargelegt, war Fritz Schaeflerin <strong>de</strong>n Jahren 1918 und 1919 vielfältig beschäftigt: Er erlernte die Techniken <strong>de</strong>sRadierens und <strong>de</strong>s Holzschnei<strong>de</strong>ns, er arbeitete die Kriegserlebnisse und dieschwere Verletzung auf, radierte, inspiriert von einer Reise durch Süd<strong>de</strong>utschlandzarte Landschaften, nahm als Mitglied <strong>de</strong>s „Aktionsausschuß radikalerKünstler“ aktiv am kulturpolitischen Leben in München teil, stellte alleine undmit an<strong>de</strong>ren Künstlern aus, entwarf und publizierte mit Gleichgesinnten die Zeitschrift„Der Weg“, lieferte Titelbil<strong>de</strong>r für die Zeitung „Süd<strong>de</strong>utsche Freiheit“und zahlreiche grafische Blätter für an<strong>de</strong>re Publikationen.Während die vorhergehen<strong>de</strong>n Kapitel einzelne Schaffensphasen beziehungsweise-bereiche beleuchteten, würdigt dieses abschließen<strong>de</strong> Kapitel explizit <strong>de</strong>nPorträtisten Fritz Schaefler. Im Werk Schaeflers <strong>de</strong>r Jahre 1918 und 1919 bil<strong>de</strong>ndie zahlreichen Porträts einen Schwerpunkt, <strong>de</strong>nn sie sind nicht nur Zeugnisseseiner Sicht auf die Familie und sich selbst, son<strong>de</strong>rn vor allem Dokumente vonWeggefährten und Freun<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>r Kultur- und Künstlerszene einer intensiven,wenn auch kurzen historischen Perio<strong>de</strong>.Der Analyse <strong>de</strong>r Porträts Fritz Schaeflers ist eine Abhandlung zum Porträt imExpressionismus vorangestellt.Unter einem Porträt beziehungsweise Bildnis versteht man die Darstellung einesMenschen in seiner individuellen äußerlichen und/ o<strong>de</strong>r inneren Erscheinung. Zuunterschei<strong>de</strong>n ist zwischen Porträts, die <strong>de</strong>n Menschen als Persönlichkeit zeigenund solchen, die Ausdruck einer Gesellschaft beziehungsweise <strong>de</strong>r Stellung <strong>de</strong>sMenschen in <strong>de</strong>rselben sind. Weiterhin muss zwischen öffentlichen und privatenPorträts unterschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n, sowie zwischen Porträts, die <strong>de</strong>n Fokus auf dasäußerliche Abbild <strong>de</strong>s Porträtierten legen und solchen, die vor allem das Innenlebenabbil<strong>de</strong>n. Nicht <strong>de</strong>r Grad <strong>de</strong>r Individualisierung gibt <strong>de</strong>n Ausschlag, obeine Arbeit als Porträt gesehen wer<strong>de</strong>n kann, son<strong>de</strong>rn die Art <strong>de</strong>r Individualisierung– es geht darum, einen Menschen in seinem Charakter und in seinemBezug zur Welt darzustellen. Der Betrachter, <strong>de</strong>r ebenfalls in einem Weltbezugsteht, rekonstruiert <strong>de</strong>n Weltbezug <strong>de</strong>s Porträts – manchmal ist dieser ihm fremdund muss erlernt wer<strong>de</strong>n, so wie dies auch bei <strong>de</strong>r Betrachtung an<strong>de</strong>rer Bildgattungenvorkommt. 702 Zwischen <strong>de</strong>m Betrachter und <strong>de</strong>m Dargestellten hat <strong>de</strong>rKünstler eine Vermittlerposition.Generell gilt, dass ein Künstler bei <strong>de</strong>r Fertigung eines Porträts nie <strong>de</strong>n abgebil<strong>de</strong>tenMenschen in seiner vermeintlichen Gesamtheit abbil<strong>de</strong>n kann, son<strong>de</strong>rn701 Die Begriffe Porträt und Bildnis wer<strong>de</strong>n synonym verwandt. Die Entwicklung und die Darstellungsformen<strong>de</strong>s Porträts sind in <strong>de</strong>r Literatur ausführlich gewürdigt wor<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>shalb wird hier darauf verzichtet.702 Siehe: Schumacher-Haardt 1997, S. 23f.195


immer nur Aspekte, Stimmungen, Details, die ihn ansprechen o<strong>de</strong>r die er darstellensoll.Meist wer<strong>de</strong>n nur Hals und Kopf gezeigt (Bildniskopf), o<strong>de</strong>r aber <strong>de</strong>r Kopf mit <strong>de</strong>moberen Teil <strong>de</strong>r Brust (Bildnisbüste) beziehungsweise mit <strong>de</strong>r ganzen Brust (Brustbildnis).Es gibt aber auch Porträts als Halbfigur, Kniestück o<strong>de</strong>r als Ganzfigur. DerPorträtierte wird in Vor<strong>de</strong>ransicht gegeben (en face), in Seitenansicht/ im Profil, imHalbprofil o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r <strong>Dr</strong>eiviertelansicht. Die Formen <strong>de</strong>s Porträts sind Einzelbildnis(mit <strong>de</strong>m Son<strong>de</strong>rfall Selbstbildnis), Doppelbildnis und Gruppenbildnis (Son<strong>de</strong>rfälle:Familienbildnis und Schützenbildnis). 703 Standardisierte Posen sind die Schrägstellung<strong>de</strong>s Oberkörpers zum Raum und die Gegenbewegung <strong>de</strong>s Kopfes zur en face-Haltung. Außer<strong>de</strong>m hellt man <strong>de</strong>n Hintergrund auf, um <strong>de</strong>n Eindruck einer „Aureole“um das Gesicht entstehen zu lassen.Ausgehend von <strong>de</strong>r Abbildung eines Menschen als Stellvertreter eines Typs o<strong>de</strong>r alsRepräsentant einer Gesellschaftsform kam es im Laufe <strong>de</strong>r Jahrhun<strong>de</strong>rte zu einerimmer stärker wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Fokussierung auf <strong>de</strong>n Dargestellten als Individuum. DiePorträtmalerei dokumentiert die Verän<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s menschlichen Weltbil<strong>de</strong>s überdie Jahrhun<strong>de</strong>rte. Mit <strong>de</strong>r Erfindung <strong>de</strong>r Photographie im 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt entstan<strong>de</strong>ine neue Möglichkeit <strong>de</strong>r Abbildung, aber sie löste das klassische Porträt, wie von<strong>de</strong>n Künstlern befürchtet und in <strong>de</strong>r Literatur behauptet, nicht ab. 704703 Siehe: Wörterbuch <strong>de</strong>r Kunst 1989, S. 92.704 Zur Porträtphotographie siehe: Lichtbildnisse 1982; darin v.a.: Krueger 1982; Honnef 1982;Schwarzbauer 1982. Siehe auch: Malerei und Photographie im Dialog 1977. Bezüglich <strong>de</strong>r wahrhaftigenAbbildung <strong>de</strong>s Äußeren erlaubt die Photographie durch das technisierte Abbil<strong>de</strong>n scheinbar eineabsolute Objektivierung <strong>de</strong>s subjektiven Blickes eines Malers o<strong>de</strong>r Zeichners – aber selbst photographischePorträts sind nur annähernd „echt“. Belichtung, Blickpunkte, Ausschnitte und die Auswahl<strong>de</strong>s Abzubil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n geben selbst <strong>de</strong>m photographischen Porträt eine gewisse Subjektivität – im Laufe<strong>de</strong>r Entwicklung <strong>de</strong>r Photographie wur<strong>de</strong> das vermeintlich objektive Motiv immer stärker von formalenVorstellungen <strong>de</strong>s Photographen abhängig. Die Porträtphotographie kann i<strong>de</strong>ntifizieren, muss abernicht zwangsläufig individualisieren. Außer<strong>de</strong>m erfor<strong>de</strong>rt sie ebenso wie die bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Kunst ein verstehen<strong>de</strong>sSehen.196


i. Das Porträt im Expressionismus 705Es kann nicht Ziel dieses Kapitels sein, einen umfassen<strong>de</strong>n Überblick über dasexpressionistische Porträt zu geben. Dies wur<strong>de</strong> bereits in an<strong>de</strong>ren Publikationengeleistet. 706 Vielmehr sollen vor allem Aspekte <strong>de</strong>s Themas angesprochen wer<strong>de</strong>n,die für die Betrachtung <strong>de</strong>r Porträts von Fritz Schaefler relevant sind. Diessind das Künstlerporträt, das Selbstporträt und das religiöse Selbstporträt. 7071. ÜberblickVor allem die Porträts Vincent van Goghs und Edvard Munchs waren Vorbildfür die <strong>de</strong>utschen Künstler <strong>de</strong>s frühen 20. Jahrhun<strong>de</strong>rts; Emil Nol<strong>de</strong>, Oskar Kokoschkaund Ernst Ludwig Kirchner wur<strong>de</strong>n stark von ihnen beeinflusst. Vincentvan Gogh wollte „mo<strong>de</strong>rne Porträts“ malen: „Diese Wirkung strebe ichnicht über photographische Ähnlichkeit an, son<strong>de</strong>rn über lei<strong>de</strong>nschaftliche Momente,in<strong>de</strong>m ich unser Wissen und unser mo<strong>de</strong>rnes Gefühl für Farbe als Mittelfür Ausdruck und Steigerung <strong>de</strong>s Charakters nütze.“ 708 Für Edvard Munch hingegenspielte weniger die Farbe eine große Rolle als vielmehr <strong>de</strong>r Ausdruck einesGemütszustan<strong>de</strong>s, <strong>de</strong>r durch starke Kontraste in <strong>de</strong>n Tonwerten erreichtwer<strong>de</strong>n sollte.Von <strong>de</strong>n Künstlern <strong>de</strong>r „Brücke“-Gruppe gibt es eine Vielzahl von Porträts, zumeistaus <strong>de</strong>m künstlerischen Umfeld. 709 Im Kreis um <strong>de</strong>n „Blauen Reiter“ schufvor allem Alexej Jawlensky Porträts; später nahmen seine Bildnisse abstraktenCharakter an. 710 Wassily Kandinsky und Franz Marc bevorzugten an<strong>de</strong>re, meta-705 Jutta Hülsewig-Johnen unterschei<strong>de</strong>t generell zwischen <strong>de</strong>n Begriffen „Portrait“ und „Bildnis“, wobeifür sie das Bildnis dann Portrait ist, wenn <strong>de</strong>r dargestellte Mensch nicht mehr für „überindividuelleInhalte“ steht, son<strong>de</strong>rn „ausschließlich als Individuum in seiner Beson<strong>de</strong>rheit und Unverwechselbarkeit“(siehe: Hülsewig-Johnen 1992, S. 10) – m. E. ist diese Trennung speziell für das expressionistischePorträt nur schwer zu treffen; Hülsewig-Johnen schließt für <strong>de</strong>n Expressionismus allerdingsdas Vorhan<strong>de</strong>nsein von Bildnissen als Porträts aus, da die Parameter „Individualität“ und „Kommunikationmit <strong>de</strong>m Betrachter“ dafür nicht erfüllt seien; im Expressionismus beherrscht ihrer Meinungnach <strong>de</strong>r Ausdruck <strong>de</strong>s Allgemeinen <strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Individuellen. (S. 11). Kritik an diesem Standpunkt übtu.a.: Schumacher-Haardt 1997, S. 17–23.706 Einen ersten Überblick über die Vielfalt <strong>de</strong>s expressionistischen Porträts bietet: Whitford 1987.Weiterhin: Schumacher-Haardt 1997; O Mensch! 1992; Lohmann-Siems 1972; Heusinger von Wal<strong>de</strong>gg1976; Hodurek 1976.707 Zum Verständnis <strong>de</strong>r über die Jahrhun<strong>de</strong>rte erfolgten Verän<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s jeweiligen Begriffs stehtam Anfang dieses Kapitels und am Anfang <strong>de</strong>s Selbstporträt-Kapitels ein chronologischer Überblick.708 Zitat Vincent van Gogh in einem Brief an seine Schwester Will aus Auvers-sur-Oise, 1. Junihälfte1890 (W 22), zitiert nach: Whitford 1987, S. 19.709 Siehe das folgen<strong>de</strong> Kapitel: „Künstlerporträt und Selbstporträt“ dieser Arbeit. 1917 und 1918 fertigtebeispielsweise Ernst Ludwig Kirchner eine Reihe großformatiger Porträtholzschnitte an, alleineim Winter 1917/18 waren es 17 Stück.710 Beispielhaft seien genannt: Alexej Jawlensky: Mädchen mit Pfingstrosen, Öl auf Karton, 1909 (CR237; Von <strong>de</strong>r Heydt-Museum, Wuppertal); Alexej Jawlensky: Das Staunen, Öl auf Papier, 1919 (CR1064; Norton Simon Museum, Passa<strong>de</strong>na, Kalifornien; Galka Scheyer Collection).197


physische Sujets beziehungsweise die Abstraktion. Ludwig Meidner malte undzeichnete sehr viele Porträts, ebenso Egon Schiele; die Kunst bei<strong>de</strong>r ist häufigdurch eine gewisse Aggressivität und Groteske geprägt. Oskar Kokoschka gehörteebenso zu <strong>de</strong>n aktiven Porträtisten. Die Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r <strong>Dr</strong>esdner „SezessionGruppe 1919“ bil<strong>de</strong>ten sich gegenseitig ab, so porträtierte zum Beispiel ConradFelixmüller Otto Dix und umgekehrt. 711Die frühen Bildnisse von Otto Dix bestechen durch ihre expressive Gestik,Form- und Farbbehandlung, wogegen jene aus <strong>de</strong>r späteren Zeit eher <strong>de</strong>r NeuenSachlichkeit verpflichtet sind und <strong>de</strong>n Dargestellten in einem <strong>de</strong>tailliert ausgearbeitetenUmraum zeigen. 712 Mitte <strong>de</strong>r 1920er Jahre porträtierte Conrad Felixmüllerin großformatigen Holzschnitten Kollegen aus Literatur und bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>rKunst. 713 Die Art <strong>de</strong>r Darstellung tendierte bereits zum Realismus.In <strong>de</strong>n 1920er Jahren war das Porträt neben figürlichen und genreartigen Szenenein Hauptmotiv in <strong>de</strong>r Neuorientierung nach <strong>de</strong>m Krieg: wie steht <strong>de</strong>r Mensch in<strong>de</strong>r Gesellschaft? Wie verhält er sich als Individuum? 714 Viele Künstler stelltendiese Fragen unter Einbeziehung <strong>de</strong>r sozialen Situation und trugen somit inhaltlich<strong>de</strong>r „Neuen Sachlichkeit“ Rechnung. Ebenso wur<strong>de</strong>n Intellektuelle porträtiert,<strong>de</strong>ren Charakterisierung sich durch die Herausarbeitung <strong>de</strong>r „geistigen Arbeit“von <strong>de</strong>r Darstellung <strong>de</strong>r körperlich arbeiten<strong>de</strong>n Masse unterschei<strong>de</strong>t. 715Der in <strong>de</strong>r zweiten Hälfte <strong>de</strong>r Zwanziger Jahre vorherrschen<strong>de</strong> Verismus schwächtesich in <strong>de</strong>r offiziellen Kunst <strong>de</strong>r Nationalsozialisten in einen „altmeisterlichen Naturalismus“ab. Neben repräsentativen Darstellungen zeigten Porträts Menschen in <strong>de</strong>rHeimat(region), als Sportler o<strong>de</strong>r Kriegshel<strong>de</strong>n, selten als Arbeiter.Farbe und Form bestimmen <strong>de</strong>n Aufbau <strong>de</strong>s expressionistischen Bil<strong>de</strong>s im Sinneeiner malerischen Verwendung <strong>de</strong>r Farbe als Kompositionsmittel im einen Fall,im Sinne einer Unterlegung von graphischem Liniengerüst im an<strong>de</strong>ren Fall.Ludwig Meidner umschrieb dies folgen<strong>de</strong>rmaßen:711 Conrad Felixmüller: Portrait Otto Dix (malend), Öl auf Leinwand, 1920 (Spielmann 206; NationalgalerieBerlin) und: Otto Dix zeichnet, Radierung, 1920 (Söhn/ Felixmüller, 227); Otto Dix: FamilieFelixmüller, Öl auf Leinwand, 1919 (Löffler 1919/10; ohne Ort).712 Beispiele aus <strong>de</strong>m Werk von Otto Dix: Selbstbildnis als Soldat, Öl auf Papier, 1914 (Löffler1914/4; Galerie <strong>de</strong>r Stadt Stuttgart); Bildnis <strong>Dr</strong>. med. Hans Koch (Dermatologe und Urologe), Öl aufLeinwand, 1921 (Löffler 1921/13; Museum Ludwig, Köln).713 Zu nennen wären: Conrad Felixmüller: Carl Sternheim, Holzschnitt, 1925 (Söhn/ Felixmüller, 334);Conrad Felixmüller: Max Liebermann, Holzschnitt, 1926 (Söhn/ Felixmüller, 366).714 Zu <strong>de</strong>n wichtigsten Porträtisten <strong>de</strong>r Zwanziger Jahre zählen Emil Orlik und Hermann Struck (siehe: Künstlerunter sich 1983, S. 19 bzw. 21).715 Im Laufe <strong>de</strong>r 1920er Jahre reduzierte sich die Menge <strong>de</strong>r Arbeiterporträts, da sich die WeimarerRepublik stabilisierte und die Kunst an<strong>de</strong>re Themen fand. Aufrechterhalten wur<strong>de</strong> das Thema vonKünstlern, die <strong>de</strong>m Kommunismus verpflichtet waren, z.B. <strong>de</strong>r Gruppe ASSO (Assoziation revolutionärerbil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Künstler). Mitglie<strong>de</strong>r waren u.a. George Grosz, John Heartfield, Alice Lex und OskarNerlinger. Der Zusammenschluss erfolgte im März 1928 in Berlin. Nach Meinung <strong>de</strong>r ASSO solltenKunst und Arbeiterklasse Kontakt haben. Ihre Ziele basierten auf <strong>de</strong>r Kulturresolution <strong>de</strong>s XI.Parteitag <strong>de</strong>r KPD in Essen. Siehe: Oellers 1976, S. 77.198


Fürchte dich nicht vor <strong>de</strong>m Antlitz <strong>de</strong>s Menschen, das ein Abglanz himmlischerHerrlichkeit ist, aber noch häufiger ein Schlachtfest mit blutigenFetzen. Nimm Runzelstirne, Nasenwurzel und Augen eng zusammen.Bohr dich wie ein Wühltier in <strong>de</strong>n unerklärlichen Pupillengrund und dasAugenweiß <strong>de</strong>ines Gegenübers und laß’ <strong>de</strong>ine Fe<strong>de</strong>r nicht rasten, bis du<strong>de</strong>ines Gegenübers Seele mit <strong>de</strong>r <strong>de</strong>inen zu einem pathetischen Bun<strong>de</strong>vermählt hast. Versenke dich in die Innigkeit, in die feuchte und schrecklicheInnigkeit eines Lippenpaares. Beachte die spitze o<strong>de</strong>r zernarbteWeichheit <strong>de</strong>s Kinns. Das Ornament <strong>de</strong>s Ohrs soll dich immer wie<strong>de</strong>r entzückenund die lo<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n Haare, die Haarwellen, die Haar-Asche um dürreWangen, die stechen<strong>de</strong>n Borsten, die Härlein um <strong>de</strong>n Mund seien einWohlgeschmack für <strong>de</strong>ine flitzen<strong>de</strong> Fe<strong>de</strong>r. 716Der Einsatz von Farbe orientiert sich nicht mehr an <strong>de</strong>n „realen“ Motiven, son<strong>de</strong>rnan subjektiv wahrgenommenen Empfindungen:Das expressionistische Bild-Ich kennt Affekte und Lei<strong>de</strong>nschaften, Dämonieund Ängste, extreme Empfindungen, Abgrün<strong>de</strong>, Heftigkeiten, Getriebenseinin Daseins-Befindlichkeiten in jedwe<strong>de</strong>r Richtung, die <strong>de</strong>r Filter<strong>de</strong>r Konventionen <strong>de</strong>r alten Ordnung und ihrer Bildauffassungen bisherverbarg. Nun kommen sie, ungefiltert und unkonventionell zum bildlichenAusdruck, wer<strong>de</strong>n verbildlicht in Farbstürmen und Formverzerrungen. 717Die Farbe hat nicht mehr mimetische Funktion, son<strong>de</strong>rn wird zum Be<strong>de</strong>utungsträger.Als solche wird sie charakterisierend zur Sichtbarmachung von Wesenszügeno<strong>de</strong>r Befindlichkeiten eingesetzt. Der expressionistische Künstler kanndadurch einen subjektiven Ausdruck gestalten, obwohl er ikonographische Traditionenbeibehält.Auch die Formgebung folgt subjektiven Kriterien. Die Verzerrung <strong>de</strong>r Formenkann, muss aber nicht Zeichen innerer Bewegung sein; sie wird vor allem imHolzschnitt als Gestaltungsmittel zur Verdichtung <strong>de</strong>r Formen genutzt.Übersteigerte Einzelelemente und die subjektive Betrachtung durch <strong>de</strong>n meistvorhan<strong>de</strong>nen inneren Bezug von Porträtieren<strong>de</strong>m zu Porträtiertem können zuAusdruckporträts führen, bei <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Dargestellte nicht mehr über äußereMerkmale zu erkennen ist. Durch <strong>de</strong>n Verzicht <strong>de</strong>s Künstlers auf <strong>de</strong>n Naturalismusals gemeinsamen Nenner verläuft die Kommunikation zwischen Dargestelltemund Betrachter nicht mehr so geradlinig wie in <strong>de</strong>n Porträts frühererZeiten. In manchen Fällen geht es <strong>de</strong>m Künstler eher um die Darstellung einerAtmosphäre als um die porträthafte Wie<strong>de</strong>rgabe eines Menschen. 718 Zumeist las-716 Zitat aus: Meidner 1918, zitiert nach: Künstler unter sich 1983, S. 30.717 Siehe: Hülsewig-Johnen 1992, S. 19.718 Als Beispiel wäre zu nennen: Gabriele Münter: Mann im Sessel (Paul Klee), 1913, Bayerische Staatsgemäl<strong>de</strong>sammlung,München. Dazu schrieb Gabriele Münter: „Es will kein Porträt sein, wie das schon <strong>de</strong>r TitelMann im Sessel anzeigt, son<strong>de</strong>rn ist ein Bild-gewor<strong>de</strong>nes Augenerlebnis von einem Ganzen… Und doch liegt199


IV. SchlusswortAuffällig ist, dass häufig in <strong>de</strong>r Literatur zu Künstlern, die sich wie FritzSchaefler in <strong>de</strong>n Jahren 1918/1919 engagierten, keine Erwähnung <strong>de</strong>r politischenGeschehnisse o<strong>de</strong>r gar eine Dokumentation ihres kulturpolitischen Engagementszu fin<strong>de</strong>n ist – dies ist nicht nur auf die kurze Dauer <strong>de</strong>s „revolutionärenZwischenspiels“ zwischen <strong>de</strong>n großen historischen Epochen <strong>de</strong>s Kaiserreichsund <strong>de</strong>r Weimarer Republik zurückzuführen, die eine Beteiligung nichterwähnenswert erscheinen ließe. Vielmehr zeugt es von <strong>de</strong>r Vehemenz, mit <strong>de</strong>rviele Künstler diese Lebensspanne verleugneten, aus Angst, als Revolutionär,Kommunist, Anarchist o<strong>de</strong>r als weltfrem<strong>de</strong>r „Spinner“ gebrandmarkt zu wer<strong>de</strong>nund (politische) Repressalien o<strong>de</strong>r Spott erdul<strong>de</strong>n zu müssen.Erst in <strong>de</strong>n vergangenen Jahren wur<strong>de</strong>n die Lebensläufe einiger dieser Künstlerund Intellektuellen <strong>de</strong>m historischen Dunkel entrissen; dies geschah parallel zueinem generell steigen<strong>de</strong>n, wertungsfreien Interesse an <strong>de</strong>n politischen und kulturellenEntwicklungen <strong>de</strong>r Monate nach <strong>de</strong>m Ersten Weltkrieg.Diese späte Aufarbeitung erstaunt um so mehr, da das Gesamtwerk dieserKünstler nur unter Berücksichtigung ihres Engagements in jener Lebensphaseverstan<strong>de</strong>n und eingeordnet wer<strong>de</strong>n kann. Das Werk Fritz Schaeflers liefert dafürein exemplarisches Beispiel.Die Betrachtung <strong>de</strong>r künstlerischen Produktion <strong>de</strong>r Jahre 1918/1919 hat gezeigt,wie paradigmatisch das Schaffen Fritz Schaeflers für <strong>de</strong>n Wunsch avantgardistischerKünstler steht, in dieser bewegten Zeit persönliche und historische Erlebnissedurch die Kunst auszudrücken. Die Vielzahl und Qualität <strong>de</strong>r entstan<strong>de</strong>nenWerke sprechen für sich.1918 war Fritz Schaefler auf <strong>de</strong>m Höhepunkt seines künstlerischen Schaffens.Mit <strong>de</strong>r Überwindung <strong>de</strong>s nachimpressionistischen Stils, geprägt in <strong>de</strong>r Studienzeitvor <strong>de</strong>m Ersten Weltkrieg, erwuchsen ihm völlig neue künstlerische Möglichkeitenzur Umsetzung seiner Themen.Darüber hinaus benötigte Schaefler für seine gewan<strong>de</strong>lte Weltsicht nach <strong>de</strong>m Kriegseinsatzeine neue Bildsprache – die er in <strong>de</strong>n Techniken <strong>de</strong>s Holzschnitts und <strong>de</strong>rRadierung und <strong>de</strong>n Stilmitteln <strong>de</strong>s Expressionismus fand. Die Tatsache, dass aus <strong>de</strong>rZeit vor 1917 keinerlei expressiven Werke erhalten sind, spricht für die Radikalitätund Bestimmtheit, mit <strong>de</strong>r Fritz Schaefler seinen Stil än<strong>de</strong>rte. Erst 1918 bekamenseine Formen expressiven Duktus, erhielten die Farben symbolisch-unterstützen<strong>de</strong>nCharakter.Ein hervorragen<strong>de</strong>s frühes Beispiel ist das Blatt „Fränkisches Städtchen“ (Tafel 1unten), bei <strong>de</strong>m Fritz Schaefler mit groben Tuschpinselstrichen die Konturen <strong>de</strong>rspitzgiebeligen, scheinbar aufeinan<strong>de</strong>r zustürzen<strong>de</strong>n Häuser setzte und mit <strong>de</strong>n fah-251


len Farben die verwinkelt-enge Atmosphäre <strong>de</strong>s Bil<strong>de</strong>s prägte. 915 Das Blatt erinnertan Stadtdarstellungen von Ernst Ludwig Kirchner o<strong>de</strong>r Ludwig Meidner.Zu höchster Expressivität gesteigert ist das 1918 entstan<strong>de</strong>ne Blatt „Gesichte <strong>de</strong>sKünstlers“ (Tafel 15) in Aquarelltechnik mit Tusche: In <strong>de</strong>r Verbindung vonschwarzer Tusche und leuchten<strong>de</strong>r Aquarellfarbe konzentrierte Schaefler dieseDarstellung angesichts <strong>de</strong>r Kriegserlebnisse zum Fanal eines persönlichen wiezeitimmanenten Ausdrucks tiefster Hoffnungslosigkeit und <strong>de</strong>m Wunsch undVertrauen auf Erlösung. 916 Das Blatt gehört qualitativ zu <strong>de</strong>n Besten <strong>de</strong>r zahlreichenWerke, die Fritz Schaefler zum Passionsgedanken schuf.Im Vergleich mit <strong>de</strong>r Fülle expressionistischer Grafik zu religiösen Themen wirdsichtbar, dass Fritz Schaefler die tradierte Ikonographie eigenständig interpretierteund sie dadurch zu einem mo<strong>de</strong>rnen Aussageträger wan<strong>de</strong>lte. Vor allem seineHolzschnitte zur Passion überzeugen durch ihre bewegte Bildsprache, ohne mit<strong>de</strong>m spätexpressiven Pathos manch an<strong>de</strong>rer zeitgenössischer Künstler überla<strong>de</strong>nzu sein.Auch die Meisterschaft Fritz Schaeflers im Bereich <strong>de</strong>s Porträts klingt in <strong>de</strong>mBild „Gesichte <strong>de</strong>s Künstlers“ an. In diesem Fall ist es ein Porträt seiner selbst,in <strong>de</strong>m er sein Leben zur Passion Jesu in Bezug setzte. Schaefler porträtierte sichin diesen Jahren mehrfach, drückte seine Ängste aus und hinterfragte seine Stellungin <strong>de</strong>r Welt.Ebenfalls in <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>r persönlichen Verarbeitung von Erlebtem gehörendie Irren-Darstellungen aus <strong>de</strong>m Jahr 1918. Diese Radierungen sind einerseitsAusdruck <strong>de</strong>r ureigenen Ängste Fritz Schaeflers vor <strong>de</strong>m Wahnsinn, sie habenaber auch eine zeitlos-universelle Aussagekraft bezüglich elementarer Lebensthemenwie Sehnsucht, Glaube, Liebe und Hoffnung. In ihrem Ausdrucksverlangenund <strong>de</strong>r zyklischen Ausführung stehen sie im Expressionismus singulärund müssen zukünftig in die Forschung zu Expressionismus und Wahnsinneingebun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Die Symbolhaftigkeit dieser Blätter liegt in vielen ikonographischenDetails, die zeigen, dass Schaefler ein genuin schaffen<strong>de</strong>r Künstlerwar, <strong>de</strong>r sich nicht „nur“ von <strong>de</strong>r Zeitströmung tragen ließ.In <strong>de</strong>r Beleuchtung <strong>de</strong>r kulturpolitischen Arbeit Schaeflers wird „pars pro toto“die mitreißen<strong>de</strong> Energie spürbar, die die Münchner Revolution 1918/1919 nichtnur im politischen Bereich, son<strong>de</strong>rn auch bei <strong>de</strong>n Vertretern einer engagiertenkünstlerischen Avantgar<strong>de</strong> nach <strong>de</strong>m Ersten Weltkrieg freisetzte. Bis zum Zu-915 Nicht im WVZ (Inv.Nr. 501 KHI Uni Köln): Fränkisches Städtchen, Aquarell und Tusche.916 WVZ 226: Gesichte <strong>de</strong>s Künstlers, Aquarell, Tusche und Bleistift, 1918. Siehe das Kap. III.d.ii.5.dieser Arbeit.252


V. QuellensammlungAbkürzungen:MNN = Münchner Neueste NachrichtenSF = Süd<strong>de</strong>utsche FreiheitMP = Münchner PostNr. 1: An das Volk in Baiern!, in: MNN, Montag, 07.04.1919, Nr. 159, S. 1Nr. 2: Moritz Geiger: Die Räte geistiger Arbeiter, in: SF, Nr. 21, 07.04.1919, S. 3Nr. 3: Manifest <strong>de</strong>r Novembristen (Entwurf). Zitiert nach: Manifeste Manifeste1965, Band 1, S. 156fNr. 4: Rat <strong>de</strong>r Bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Künstler, in: MNN, Freitag, 22.11.1918, Nr. 590, S. 1Nr. 5: Künstlerversammlung, in: MNN, Montag, 23.12.1918, Nr. 647, S. 1Nr. 6: MNN, Montag, 24.03.1919, Nr. 135, S. 1Nr. 7: Antwort <strong>de</strong>s Aktionsausschusses revolutionärer Künstler (ARK) auf <strong>de</strong>nAufruf <strong>de</strong>r russischen fortschrittlichen bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Künstler an die <strong>de</strong>utschen Kollegen,in: MNN, Mittwoch, 09.04.1919, Nr. 162, S. 3Nr. 8: Ernst Hoferichter: Proletariat – Kunst – Theater, in: MNN, Donnerstag,10.04.1919, Nr. 164, S. 1Nr. 9: Revolutionierung <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie <strong>de</strong>r bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Künste, in: MP, 10.04.1919,Nr. 84, S. 5Nr. 10: Ludwig Coellen: Die neue Kunst, in: MNN, Mittwoch, 09.04.1919, Nr.161, S. 1Nr. 11: Titus Tautz: Die Kunst und das Proletariat, in: MNN, Mittwoch, 09.04.1919,Nr. 161, S. 1Nr. 12: Hans-Theodor Joel: Zur neuen Kunst, in: MNN, Samstag/Sonntag,12./13.04.1919, Nr. 168, S. 1fNr. 13: <strong>Dr</strong>. Richard Fischer: Expressionismus und Politik, in: MNN, Samstag/Sonntag,12./13.04.1919, Nr. 168, S. 2fNr. 14: Vitus Brèg: Krisis <strong>de</strong>s Geistes, in: SF, Nr. 17, 10.03.1919, S. 4Nr. 15: Der Fachrat und Aktionsausschuß <strong>de</strong>r Kunstgewerbeschule: An alle Lernen<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Kunstgewerbeschule, in: MP, 29.04.1919, Nr. 99, S. 1fNr. 16: Erste freie Kunstausstellung München 1919, in: MNN, Montag,10.03.1919, Nr. 111, S. 1Nr. 17: Glaspalast-Ausstellung, in: MNN, Donnerstag, 20.03.1919, Nr. 129, S. 1Nr. 18: Hans Hansen: Revolutionäre Künstler, in: Der Weg, April 1919, Heft 4,S. 2–6Nr. 19: Aufruf <strong>de</strong>r Unbeteiligten, in: MNN, Freitag, 09.05.1919, Nr. 180Nr. 20: Georg Tappert, Zitat aus: Wietek 1980, S.48–50; zitiert nach: Roters1989, S. 58, Anm. 39Nr. 21: Gustav Klingelhöfer, in: SF, Nr. 6, 23.12.1918, S. 2 unten257


VI. Literatur- und QuellenverzeichnisIn das Verzeichnis aufgenommen wur<strong>de</strong> diejenige Literatur, die im Text erwähnt ist;darüber hinaus fin<strong>de</strong>n aufgrund <strong>de</strong>r Fülle <strong>de</strong>r Expressionismus-Literatur nur ausgewähltePublikationen Erwähnung, die gedankliche Anregung gaben.Folgen<strong>de</strong> Glie<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Verzeichnisses wur<strong>de</strong> vorgenommen, die Nennung erfolgtdabei jeweils in alphabetischer Reihenfolge:1. Monographien und Kataloge2. Handbücher3. Zeitungs- und Zeitschriftenartikel4. Mappen5. weitere Quellen1. Monographien und KatalogeAdolphs, Volker: Der irren<strong>de</strong> Ritter. Zur Ikonographie <strong>de</strong>s Selbstportraits imExpressionismus, in: O Mensch! Das Bildnis <strong>de</strong>s Expressionismus (Hrsg.: JuttaHülsewig-Johnen), Kunsthalle Bielefeld, Bielefeld 1992, S. 76–89Adolphs, Volker: Der Künstler und <strong>de</strong>r Tod. Selbstdarstellungen in <strong>de</strong>r Kunst<strong>de</strong>s 19. und 20. Jahrhun<strong>de</strong>rts, Dissertation Aachen 1989, Köln 1993Albrecht Dürer: Das druckgraphische Werk. Band II: Holzschnitte und Holzschnittfolgen(Bearbeitet von: Rainer Schoch, Matthias Men<strong>de</strong> und Anna Scherbaum),München, Berlin, London, New York 2002Alexej von Jawlensky. Catalogue Raisonné of the oil paintings. Volume one1890–1914, London 1991Alexej von Jawlensky. Catalogue Raisonné of the oil paintings. Volume two1914–1933, London 1992Aloys Wach 1892–1940 (Hrsg.: Peter Assmann), Oberösterreichische Lan<strong>de</strong>sgalerie,Linz 1993Altmeier, Werner: Die bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Kunst <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen Expressionismus im Spiegel<strong>de</strong>r Buch- und Zeitschriftenpublikationen zwischen 1910 und 1925. Zur Debatteum ihre Ziele, Theorien und Utopien, Saarbrücken 1972285


) Sonstige QuellenBayerisches Hauptstaatsarchiv München- Brief von Edgar Jaffé vom 17.01.1919- Satzung <strong>de</strong>s Rates <strong>de</strong>r bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Künstler Münchens, MA 92225Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Archiv für Bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Kunst- Material zu Conrad Felixmüller (Teil 10, Karton 10)Rehse Collection, Library of Congress, Manuscript Division, Washington D.C.- Container Nr. 439: Abschrift eines Sitzungsprotokolls <strong>de</strong>s Aktionsausschuß<strong>de</strong>r revolutionären Künstler im Münchner Landtagsgebäu<strong>de</strong> vom 22.04.1919Staatsarchiv München- Staatsanwaltschaft München I, 1915, Akten Eduard Trautner- Staatsanwaltschaft München I, 2077, Gustav Klingelhöfer, Bd. 3, 16.01.1919- Staatsanwaltschaft München Nr. 3076: Gerichtsunterlagen Georg und MargaretheKaiser, Eingabe von Kaisers Verteidiger, 27.10.1920, Seite 66a–69a- Aussage Fritz Schaefler vom 12.07.1919, Staatsanwaltschaft München 1915,Nr. 37318


VII. Katalog <strong>de</strong>r AbbildungenTitel von Werken Fritz Schaeflers, die in Anführungsstrichen („…“) stehen, sindvom Künstler selbst vergeben, Titel ohne Anführungsstriche sind nicht original.921Bei Werken, die nicht im Werkverzeichnis vertreten sind („Nicht im WVZ“), istdahinter in Klammern die Provenienz angegeben, wenn sich das Werk nicht imNachlass befin<strong>de</strong>t. Die Angaben „H“ bzw. „R“ mit einer Nummer kennzeichnenzumeist bislang verschollene Werke und beziehen sich auf ein kopiertes Abbildungsverzeichnismit kleinformatigen Abbildungen im Nachlass Schaefler. 922Dementsprechend min<strong>de</strong>rwertig ist die Qualität <strong>de</strong>r Abbildungen dieser Werke.Die Maßangaben in Klammern bei Radierungen bezeichnen die Blattgröße, siekonnten nicht in je<strong>de</strong>m Fall ermittelt wer<strong>de</strong>n.Bei Werken an<strong>de</strong>rer Künstler beschränken sich die Angaben auf die Werkverzeichnisnummerbzw. die Provenienz.Abkürzungen:WVZ = Werkverzeichnis 923 , u. = unten, o. = oben, li. = links, re. = rechts, KHIUni Köln = Kunsthistorisches Institut Universität Köln, Graphische SammlungMNN = Münchner Neueste Nachrichten, SF = Süd<strong>de</strong>utsche FreiheitTafel 1 oben:Nicht im WVZ (Inv.Nr. 496 KHI Uni Köln): „Im Unterstand“, Gouache und Tusche,25,5 x 34 cm, sign. o.re.: F. Schaefler, verso bez.: Im UnterstandTafel 1 unten:Nicht im WVZ (Inv.Nr. 501 KHI Uni Köln): „Fränkisches Städtchen“, Aquarellund Tusche, 43,2 x 33,5 cm, fest verklebt auf Karton, sign. u.Mitte: F. Schaefler,verso bez.: Fränkisches StädtchenTafel 2:Nicht im WVZ (Inv.Nr. 490 KHI Uni Köln): „Garten <strong>de</strong>r Irren“, Tuschzeichnung,aquarelliert, 20,6 x 17 cm, fest verklebt auf Papier, auf <strong>de</strong>m Blatt sign. u.Mitte: F. Schaefler, bez. u.li.: Garten <strong>de</strong>r Irren921 Siehe: Thiel 1996.922 Siehe <strong>de</strong>n Forschungsstand (Kap. Ia) dieser Arbeit.923 Siehe: Thiel 1996.319


Tafel 3:Nicht im WVZ (Clemens-Sels-Museum Neuss, Inv.Nr. Gr 1980, 162): „Qualen<strong>de</strong>s Krüppel“, Fe<strong>de</strong>r und Tusche in Schwarz über Aquarell, 20 x 24,3 cm, sign.o. Mitte: F. Schaefler, verso sign. u. bez. o.li.: Qualen <strong>de</strong>s Krüppel F. SchaeflerTafel 4:Nicht im WVZ (Inv.Nr. 498 KHI Uni Köln): Christus am Ölberg, Aquarell mitTusche, 20,4 x 18,8 cm, sign. u.Mitte: F. SchaeflerTafel 5:Nicht im WVZ (Clemens-Sels-Museum Neuss, Inv.Nr. Gr 1980, 159): „VerspottungChristi“, Tusche über Aquarell und Bleistift, 1918, 44 x 54 cm, festverklebt auf Papier, sign. und dat. u.re.: F. Schaefler 18, bez. u.li.: VerspottungChristiTafel 6:WVZ 222: „Verspottung“, Tusche und Aquarell, 1917, 52 cm x 29,5 cm, versosign., dat. und bez.: VerspottungTafel 7:Nicht im WVZ (Clemens-Sels-Museum Neuss, Inv.Nr. Gr 1980, 161): „Seht <strong>de</strong>nMenschen!“, Fe<strong>de</strong>r über Aquarell, 1918, 24,5 x 21,3 cm, verso u.re. sign. unddat.: F. Schaefler 18, bez. u.re.: Seht <strong>de</strong>n Menschen!, bez. o.Mitte in Tinte: SeinBlut komme über euch und eure Kin<strong>de</strong>r!Tafel 8:WVZ 717: „Am Kreuze“, Holzschnitt aquarelliert, 1918, 34 x 24 cm, sign. unddat. u.re.: F. Schaefler 18, bez. u.li.: Am KreuzeTafel 9:WVZ 227: „Golgatha“, Tusche und Aquarell, 1918, 40 x 30 cm in Passepartout,auf <strong>de</strong>m Passepartout sign. und dat. u.re.: F. Schaefler 18, bez. u.li.: GolgathaTafel 10:WVZ 916: Am Kreuze, Tusche und Aquarell, 1918, 56,6 x 49,7 cm in Passepartout,sign. und dat. o.re.: F. Schaefler 18Tafel 11:WVZ 9: Kopf eines jungen Mannes, Öl, 1919, 48 x 35 cm auf doublierter Leinwand,bez. u.Mitte: X320


Tafel 12 oben:WVZ 257: Männliches Porträt im <strong>Dr</strong>eiviertelprofil nach links gewandt, Aquarellüber Bleistift, um 1919, 20 x 15 cm, sign. o.li.: F. Schaefler, verso bez.: A.W.[Aloys Wach]Tafel 12 unten:WVZ 377: „Kopf meines Vaters“, Aquarell, 1919, 25 x 22 cm u., 25 x 19 cm o.auf Papier in Trapezformat, sign. und dat. u.li.: F. Schaefler 19, verso bez.: Kopfmeines VatersTafel 13:Nicht im WVZ (Privatbesitz): Georg Kaiser, Aquarell, 34 x 39,5 cm, nicht sign.und bez.[recto: WVZ 244: Zwei Männer am Wasser (auch abstrakte Komposition undWasserspiegel betitelt), Aquarell, 1919, 34 x 39,5 cm]Tafel 14 oben:WVZ 239: Ehepaar Mühsam, Aquarell, 1919, 37 x 34,5 cm, sign. und dat. u.re.:F. Schaefler 19Tafel 14 unten:WVZ 237: „Ehepaar Mühsam“, Aquarell, 1919, 49 x 39 cm, verso sign., dat.und bez.: Ehepaar MühsamTafel 15:WVZ 226: „Gesichte <strong>de</strong>s Künstlers“, Aquarell und Tusche, 1918, 49 x 38 cm,sign. und dat. u.re.: F. Schaefler 18, verso bez.: Gesichte <strong>de</strong>s KünstlersTafel 16:WVZ 266: Selbstbildnis mit Hut und Brille, Aquarell, 1920, 38 x 30 cm, dat. re.,sign. u.Mitte: F. SchaeflerAbb. 1:Fritz und Vera Schaefler, Photographie, 1917Abb. 2:Der Indianer, Plakat (Deutsches Tanzarchiv Köln)Abb. 3:Manda von Kreibig als Indianer, Photographie (Erwin von Kreibig Museum,München)321


Abb. 192:Nicht im WVZ (H 13): Selbstbildnis, Holzschnitt, 21,1 x 17 cmAbb. 193:WVZ 716: Bildnis eines Mannes mit run<strong>de</strong>r Brille (Selbstbildnis?), Holzschnitt,1918, 35 x 22 cm, nicht original sign. und dat. u.re.: Schaefler 18Abb. 194:WVZ 669: Selbstbildnis, Radierung, 1920, 29 x 23,5 cm, sign. u.re.: F. Schaefler341


Tafel 1 oben: „Im Unterstand“, Gouache und TuscheTafel 1 unten: „Fränkisches Städtchen“, Aquarell und Tusche


Tafel 2: „Garten <strong>de</strong>r Irren“, Tuschzeichnung, aquarelliert


<strong>Christiane</strong> <strong>Schmidt</strong>Fritz Schaefler (1888–1954) Expressionistische Arbeiten <strong>de</strong>r Jahre 1918 bis1919 in MünchenAufbruch, Neubeginn – die mitreißen<strong>de</strong> Energie, die die Münchner Revolution undRäterepublik (1918/1919) nicht nur in <strong>de</strong>r Gesellschaft, son<strong>de</strong>rn ebenso bei <strong>de</strong>r künstlerischenAvantgar<strong>de</strong> und im politischen Expressionismus freisetzte, wird im Werk Fritz Schaeflers,eines Vertreters <strong>de</strong>r zweiten Generation <strong>de</strong>r Expressionisten, <strong>de</strong>utlich: Den traumatischenEreignissen <strong>de</strong>s Ersten Weltkrieges folgte eine intensive Schaffensperio<strong>de</strong>, in <strong>de</strong>r Schaeflerseine Kriegserlebnisse mittels einer komplexen Passions- und Irrsinnssymbolik aufarbeitete,die im Vergleich mit an<strong>de</strong>ren Expressionisten eindrücklich die Eigenständigkeit seinesWerkes offenbart.Vor diesem gesellschaftshistorischen Hintergrund wird überdies Fritz SchaeflersPorträttätigkeit beleuchtet, die sich aus überkommenen Strukturen löst, getreu <strong>de</strong>s Appell <strong>de</strong>svon ihm porträtierten Verlegers Felix Stiemer: »Bil<strong>de</strong>r sind Extrablätter über <strong>de</strong>n letztenStand <strong>de</strong>s Geistes. Fort aus <strong>de</strong>n Ausstellungen. Auf die Straße!«20,5 × 14,5 cm, 497 S. Hardcover2008ISBN-10: 3-8316-0790-7ISBN-13: 978-3-8316-0790-759,00 Euro

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