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BDA Informationen 2.11 - Bund Deutscher Architekten BDA

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tischen Massen ein Machtfaktor, der durch Getreidelieferungenund Feiertage bei Laune gehalten werden musste. Dies fand seineFortsetzung in Byzanz, wo die so genannten Zirkusparteien (alsoeigentlich Sport-Fanclubs) zugleich politische Parteien waren underheblichen Einfluss auf die Politik des Reiches ausübten.Der versetzte Kopf: KonstantinopelDamit sind wir bei einem bemerkenswerten Beispiel, der Verlagerungeiner Hauptstadt „bei laufendem Betrieb“. Der Regierungsumzugnach Byzanz durch Kaiser Konstantin trug der ErfahrungRechnung, dass das Römische Reich von Rom aus nicht mehr zuregieren war; dem vorausgegangen waren Experimente Diokletiansmit verschiedenen Reichsaufteilungen und dem entsprechendenTeilhauptstädten. Eine Verlagerung der Hauptstadt an den Bosporushatte für das Römische Reich weitreichende Folgen: dieOsthälfte Roms blieb länger lebensfähig, der Westen ging in derVölkerwanderung unter. Der Umzug nach Konstantinopel war eineRochade, die das Matt des Römischen Reiches um ein Jahrtausendverzögerte.Der ausgetauschte Körper: IstanbulDie geographisch exzellente Lage der Stadt Konstantinopel undihre großzügige Infrastruktur führten dazu, dass sie nach Belagerungund Fall im Jahr 1453 ihre Bedeutung nicht verlor, sondernvielmehr erneuerte und nun dem Osmanischen Reich als Hauptstadtdiente. Erst mit dem Verzicht auf die Hegemonialansprüchedes Osmanischen Reiches und nach einem politischenSystemwechsel musste sie diese Rollean Ankara abgeben. Paradoxerweise gewannund verlor Byzanz-Konstantinopel-Istanbulsomit die Hauptstadtrolle jeweils während derDauer eines Reiches und behielt sie, als dieReiche wechselten. Solchen Systemwechselnbei gleichbleibendem Staatsgebiet verdanktauch St. Petersburg seine Entstehung, seineHauptstadtrolle und deren Verlust. Zar Peter I.demonstrierte mit dieser Neugründung seineÖffnung zum Meer und zum Westen. Die(vorläufige) Rückbesinnung auf Russlands Autarkieführte zur Rückführung der Hauptstadtnach Moskau. Und ähnlich wie Byzanz mussteauch St. Petersburg in seiner vergleichsweisejungen Geschichte mehrere Namenswechsel(Petrograd, Leningrad, dann wieder Petersburg)über sich ergehen lassen.Ewige Stadt, wechselnder Körper: RomWenn von Hauptstädten die Rede ist, kannauch bei oberflächlicher Betrachtung (wiedieser) eine nicht fehlen: Rom hat sich (oderwurde) immer wieder neu erfunden als Stadtstaat,als Hauptstadt der Römischen Republikund des Kaiserreichs, als Sitz des Bischofsvon Rom, als Hauptstadt der Päpste und alsHauptstadt des modernen Italien. Zu groß warwohl das historische Gewicht der Stadt, alsdass nach dem Risorgimento andere Städte,wie etwa das kulturell und wirtschaftlich starkeMailand eine Chance gehabt hätten. Ähnlichwie bei Washington oder Bern bietet seinezentrale Lage einen Ausgleich zwischen denGeltungsansprüchen Nord- und Süditaliens.Immer wieder aufs Neue belebt, konnte dieStadt so auch Niederlagen hinnehmen, die fürandere Städte das Ende bedeutet hätten, wieetwa der bereits genannte Umzug Konstantinsnach Byzanz.Kopf ohne Körper: WienKonstantinopel kann für vieles als Beispielherhalten, so auch als Hauptstadt, die ihrenStaats-Körper verliert. Über ein Jahrtausendschrumpfte das Staatsgebiet des ByzantinischenReiches; 1453 umfasste es fast nurnoch die Stadt selbst. Ähnliches erlebte Wien,das auch nach dem Verlust der deutschen Kaiserkronenoch Zentrum eines grossen Vielvölkerstaatesblieb, bis dieses Reichsgebiet 1919schlagartig auf die Größe eines Kleinstaatesreduziert wurde. Als eine von ganzen wenigenMetropolen schrumpfte Wien nach demErsten Weltkrieg dramatisch; es verlor fast einDrittel seiner Einwohnerzahl. Bis heute ist das Missverhältnis zwischenimperialem Anspruch und relativer politischer Bedeutungslosigkeitzu spüren. Zugleich ergeben sich aus dieser neutralen Lagezwischen größeren Kraftzentren Chancen, wie sich am Sitz zahlreicherinternationaler Organisationen in Wien zeigt.Körper ohne Kopf: BonnNach verschiedenen Lokalisierungen des „Kopfes“ für ein Land,nach „wechselnden Köpfen“ und wechselnden Staatskörpernmüssen wir abschließend einen weiteren Sonderfall bedenken: denStaatskörper, dem der Kopf fehlt. Damit sind wir bei der Ausgangslagefür die Gründung der <strong>Bund</strong>esrepublik 1949. Dem aus drei vonvier Besatzungszonen hervorgegangenen Staat war die Hauptstadtabhanden gekommen; ein Staat, dessen Zukunft und Stabilität ungewisswaren. Wie um die Demontage des alten Staates perfekt zumachen, war nicht nur der Staatskörper, sondern auch der Staatskopf,die ehemalige Hauptstadt, „gevierteilt“.Die Selbstbescheidung und der provisorische Charakter der jungenRepublik hätte keinen deutlicheren Ausdruck finden können als inder Wahl Bonns zur <strong>Bund</strong>eshauptstadt. Die Lage am Rhein veranschaulichteWestausrichtung, die Kleinheit der Stadt Abkehr vonGroßmachtträumen (und die Verdrängung der neueren Geschichte),die Adaption bestehender Gebäude Bescheidenheit und dieEinrichtung im Vorläufigen. Die <strong>Bund</strong>esrepublik wählte sich mitAbsicht einen auf Dauer viel zu kleinen Kopf.38 39

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