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BDA Informationen 2.11 - Bund Deutscher Architekten BDA

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wie direkte Demokratie, auf den Volksversammlungenim antiken Athen oder in Rom.Eine solche städtische Konzentration kann,muss aber eine republikanische Verfasstheitnicht zwingend hervorbringen: PositiveBeispiele sind neben den genannten in derAntike die phönizischen Städte, im Mittelalterdie unabhängigen Stadtstaaten Italiens oderFlanderns, die Hansestädte oder die freienReichsstädte. Gegenbeispiele sind das antikeMesopotamien, das über mehrere Jahrtausendeimmer neue Stadtstaaten hervorbrachte,die hierarchisch verfasst waren ohne politischeTeilhabe der breiten Massen, oder umgekehrtdie Schweiz, die direkte Demokratie auchohne stadtstaatliche Verfasstheit erreicht.Immerhin zeigt ebenso dieses Beispiel, dassdie regionale Überschaubarkeit Voraussetzungfür direkte Demokratie darstellt. Trotzdem: InSumme gilt, dass das enge Zusammenlebenvon Menschen und ihr unmittelbarer Austauschgute Voraussetzungen bilden für diePartizipation breiter Bevölkerungsschichten ander politischen Macht.Die Stadt und die RevolutionDies gilt auch für das Gegenteil von funktionierenderpolitischer Gestaltung: den politi-schen Umsturz. Dass in den genannten stadtstaatlichen Beispielender Antike oder des Mittelalters sich auch die gewaltsamen politischenUmwälzungen in der jeweiligen Stadt selbst ereigneten,versteht sich fast von selbst; ein Beispiel dafür sind in Athen derStaatsstreich des Peisistratos, der Tyrannenmord an seinen Söhnenoder die Herrschaft der 30 Tyrannen. Das gleiche gilt für Rom,etwa die Umsturzversuche der Gracchen 133 und 123 vor Christus.Als das Schicksal Roms nicht mehr in der Stadt, sondern auf denSchlachtfeldern von Pharsalos und Philippi entschieden wurde, wares schon keine funktionierende Republik mehr.In großen Flächenstaaten spielen die Metropolen als politischeGemeinwesen eine untergeordnete Rolle – welche Bedeutunghaben sie in Phasen politischer Umwälzungen? Auch hier ist es dieKonzentration von Menschen und ihre Chance, sich unmittelbar zuverständigen, die dazu führt, dass Aufstände zumeist von Städten– und zumeist von besonders großen Städten – ihren Ausgangnehmen. Die französischen Revolutionen von 1789, 1830, 1848,1871 und auch die Studentenrevolution von 1968 nahmen ihrenAusgang in Paris, die russische Oktoberrevolution in St. Petersburg,die deutsche von 1918 in Berlin und anderen Großstädten.Die ungeheure Vielfalt des historischen Geschehens kennt auchhier Gegenbeispiele, Revolutionen, die vom flachen Land ihrenAusgang nahmen: die Bauernaufstände von 1525 etwa oder dieroyalistische „Konterrevolution“ in der Vendeé 1793. Von solchen– übrigens letztlich erfolglosen – Ausnahmen abgesehen: derBeginn eines Umsturzes in den Städten ist eher die Regel. Nebender reinen Konzentration von Menschen auf engem Raum spielenhier auch soziale Verhältnisse eine große Rolle, beispielsweise dieKonzentration des Proletariats im Ballungsraum der Großstädteund, am anderen Ende der sozialen Skala, der zumeist hohe Anteil(politisch) Gebildeter. Dennoch: Die schiere Möglichkeit, eine großeAnzahl von Menschen in kurzer Zeit auf die Beine zu bringen undihnen ein Wir-Gefühl zu vermitteln, macht die politische Brisanzvon Städten aus. Eine für den Einzelnen unabsehbare Menge vonMenschen, und sei deren Anzahl bezogen auf die Gesamteinwohnerzahleines Landes noch so klein, ruft unweigerlich den Eindruckhervor, eben für dieses gesamte Land repräsentativ zu sein. Bereitsim Mittelalter fürchteten die Mächtigen zu Recht städtische Aufstände.Die Lage der jeweiligen Residenz (und/oder Zwingburg) amStadtrand, die einen rechtzeitigen Rückzug ins offene Land ermöglichte,ist dafür ein Beleg. Bei wachsenden Städten wurde dann,wie in München, die Residenz ebenfalls weiter nach außen verlegt(vom Alten Hof an die jetzige Stelle). Stadtluft machte oft freier, alsmanchem Herrschenden lieb war.Die Revolution und das NetzDas weltweite Netz und seine Betreiber schaffen völlig neue Räumeund damit neue Formen von Gemeinschaft (etwa die Facebookoderdie Twitter-Gemeinde), einander überlagernd, vielfach unübersichtlichund der Kontrolle des Einzelnen weitgehend entzogen.Das Netz hat aufgrund des Fehlens von Hierarchien und räumlichenGrenzen von vorneherein den Charakter des Anarchischen. Esist das ideale Medium für die, die an politischer, publizistischer,wirtschaftlicher und sozialer Macht nicht oder noch nicht teilhaben.<strong>Informationen</strong>, Scheininformationen und Meinungen finden in äußersterSchnelligkeit Verbreitung über die Grenzen des cartesischenRaumes hinweg: Ihre Realität ist der multiple,virtuelle Raum.Welche Bedeutung hat diese Entwicklung fürden Realraum? Verliert die physische Präsenzvon Menschen ihre Bedeutung für die Politik?Wird die klassische Demonstration durchihr virtuelles Gegenstück im Netz abgelöst?Ein Blick in die neuere Geschichte bestätigtdiese Vermutung nicht. Der Übergang vomanarchischen virtuellen Raum des Netzes zumcartesischen Raum geordneter, wenn auchoft unbefriedigender politischer Strukturenist schmerzhaft. Ein Aktivist, ein Meinungsmacherim Netz kann in der Realwelt vonder politischen Polizei buchstäblich aus dem(Internet)verkehr gezogen werden und istdann, neben anderen schlimmen Konsequenzen,ebenfalls im Netz aus dem Spiel. Auchohne Anwendung physischer Gewalt verlierenzum Beispiel chinesische Dissidenten durchvöllige Kommunikationssperre ihre medialeExistenz.Für den politischen Umsturz bedarf es immernoch der physischen Präsenz in der Realwelt.Aufstände erfolgen da, wo eine kritischeMasse, die physische Präsenz einer großenZahl von Menschen erreicht werden kann.Die letzten Monate zeigen dies deutlich. 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