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BDA Informationen 2.11 - Bund Deutscher Architekten BDA

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DER STADT ENTFREMDET?NUR WENN VIELES ZUSAMMENKOMMT (1)Franz FüegVor bald 600 Jahren hat ein Mann in Florenzein Buch über das Hauswesen verfasst. EinHaus müsse solid gebaut sein, hat er geschrieben,es müsse praktisch eingerichtet sein undes müsse angenehm zum Leben sein. Der Verfasserist sehr ausführlich. Er rät gar, wo derMisthaufen zu liegen hat und beschreibt, warumer woanders nicht hingehört. Dann, einigeJahre später verfasst der Mann, es ist LeonBattista Alberti, ein weiteres Buch, diesmalüber die Architektur. Und jetzt schreibt er, dieBaukunst sei nicht die letzte unter den ersten,sie sei sowohl öffentlich als auch privat fürdas Menschengeschlecht besonders geeignet.Wie geht das zusammen? Es geht zusammen,wenn sehr vieles zusammen kommt.Praktisch soll etwas sein, das gebaut wird,solid und sicher soll es sein, ökologisch soll essein, nicht zu viel soll es kosten, gut aussehensoll es und den Nachbarn nicht stören. Fürall das gibt es heute Vorschriften, sehr vieleVorschriften. Und die Ämter prüfen, ob sieauch eingehalten werden, sehr viele Ämter.Für den Bau von Häusern, von Autobahnen,von Abfallcontainern.Das ist das eine. Etwas anderes ist unsereErinnerung an damals, als wir Kinder waren.Wir erinnern uns noch, wie die Wohnung warund die Häuser drumherum, die Gartenzäuneund Bäume, der Schulweg und das Schulhaus.Mit dieser Erinnerung ist stets auch ein StückErinnerung an Heimat verbunden. Wie dieHäuser ausgesehen haben? Nun, sie wareneinfach da, die Strassen auch. Und für dieKinder von heute ist es nicht anders. Nur hatdie Straße jetzt gelbe Zebrastreifen, und zumRadfahren muss der Sturzhelm aufgesetztwerden. Auch für diese Kinder wird einmal, inder Erinnerung, die Wohnung und das, wasdraußen ist, Erinnerung an ein Stück Heimatsein. Wie die Häuser aussehen, die Straße unddie Straßenlaternen? Wie gesagt – sie sindeinfach da. Kommt etwas Neues dazu, stört es vielleicht; bald aberhat man sich daran gewöhnt. Nur wer partout sich nicht daran gewöhnenwill, hat sein Ärgernis. Ein Buch kann man weglegen, einBild auch, der Musik kann man entfliehen. So einfach sind Häuserund Straßen nicht wegzuschaffen. Wir sind ihnen ausgeliefert, abermeist nehmen wir sie hin, ohne genauer hinzuschauen.Dann aber kann es sein, dass uns ein Haus besonders ins Augefällt, ein Platz, ein Dorfkern. Oder die Fassade einer besonderen Barockkirche.Ein nicht sicher zu bestimmender Architekt soll beteiligtgewesen sein, ein Bauleiter, viele Steinmetzen und Stuckateure,Einheimische und solche aus Nord, Ost und von jenseits der Alpen.Das Werk sei geschaffen nach einem Grundkonzept von Bauleutenaus dem Vorarlberg, genauer von Leuten aus dem damals ärmstender Armenhäuser, dem Bregenzerwald. Und dieses Ganze zeigtsich als eine große Einheit, geschaffen von einem buchstäblichbunten Haufen. Wie ist die Qualität zustande gekommen? Es mussda jemand gewesen sein, der die Fähigkeit der Leute gekannt, sieausfindig gemacht, sie gerufen hat. Keine Chronik nennt ihn. Eswar jemand, der das Auge hatte.Das Auge! Auf Ton- und Steintafeln der alten Ägypter ist es bekannt.Ein Auge und sonst nichts, aber mit ganzzahligen Proportionen.Es ist das „Auge der Form“ (2). Und es ist eben die Form, mitder Architektur zum Ausdruck kommt.Wenn Sie es noch nicht gesehen haben sollten: Anders als die oftgrobschlächtig in die schwierige Topographie gebaute Autobahnim Urnerland wirkt sie in der Leventina elegant: die Einfahrtenin die Tunnels, die hoch aufragenden Brückenpfeiler. Nicht nur6 7


wie direkte Demokratie, auf den Volksversammlungenim antiken Athen oder in Rom.Eine solche städtische Konzentration kann,muss aber eine republikanische Verfasstheitnicht zwingend hervorbringen: PositiveBeispiele sind neben den genannten in derAntike die phönizischen Städte, im Mittelalterdie unabhängigen Stadtstaaten Italiens oderFlanderns, die Hansestädte oder die freienReichsstädte. Gegenbeispiele sind das antikeMesopotamien, das über mehrere Jahrtausendeimmer neue Stadtstaaten hervorbrachte,die hierarchisch verfasst waren ohne politischeTeilhabe der breiten Massen, oder umgekehrtdie Schweiz, die direkte Demokratie auchohne stadtstaatliche Verfasstheit erreicht.Immerhin zeigt ebenso dieses Beispiel, dassdie regionale Überschaubarkeit Voraussetzungfür direkte Demokratie darstellt. Trotzdem: InSumme gilt, dass das enge Zusammenlebenvon Menschen und ihr unmittelbarer Austauschgute Voraussetzungen bilden für diePartizipation breiter Bevölkerungsschichten ander politischen Macht.Die Stadt und die RevolutionDies gilt auch für das Gegenteil von funktionierenderpolitischer Gestaltung: den politi-schen Umsturz. Dass in den genannten stadtstaatlichen Beispielender Antike oder des Mittelalters sich auch die gewaltsamen politischenUmwälzungen in der jeweiligen Stadt selbst ereigneten,versteht sich fast von selbst; ein Beispiel dafür sind in Athen derStaatsstreich des Peisistratos, der Tyrannenmord an seinen Söhnenoder die Herrschaft der 30 Tyrannen. Das gleiche gilt für Rom,etwa die Umsturzversuche der Gracchen 133 und 123 vor Christus.Als das Schicksal Roms nicht mehr in der Stadt, sondern auf denSchlachtfeldern von Pharsalos und Philippi entschieden wurde, wares schon keine funktionierende Republik mehr.In großen Flächenstaaten spielen die Metropolen als politischeGemeinwesen eine untergeordnete Rolle – welche Bedeutunghaben sie in Phasen politischer Umwälzungen? Auch hier ist es dieKonzentration von Menschen und ihre Chance, sich unmittelbar zuverständigen, die dazu führt, dass Aufstände zumeist von Städten– und zumeist von besonders großen Städten – ihren Ausgangnehmen. Die französischen Revolutionen von 1789, 1830, 1848,1871 und auch die Studentenrevolution von 1968 nahmen ihrenAusgang in Paris, die russische Oktoberrevolution in St. Petersburg,die deutsche von 1918 in Berlin und anderen Großstädten.Die ungeheure Vielfalt des historischen Geschehens kennt auchhier Gegenbeispiele, Revolutionen, die vom flachen Land ihrenAusgang nahmen: die Bauernaufstände von 1525 etwa oder dieroyalistische „Konterrevolution“ in der Vendeé 1793. Von solchen– übrigens letztlich erfolglosen – Ausnahmen abgesehen: derBeginn eines Umsturzes in den Städten ist eher die Regel. Nebender reinen Konzentration von Menschen auf engem Raum spielenhier auch soziale Verhältnisse eine große Rolle, beispielsweise dieKonzentration des Proletariats im Ballungsraum der Großstädteund, am anderen Ende der sozialen Skala, der zumeist hohe Anteil(politisch) Gebildeter. Dennoch: Die schiere Möglichkeit, eine großeAnzahl von Menschen in kurzer Zeit auf die Beine zu bringen undihnen ein Wir-Gefühl zu vermitteln, macht die politische Brisanzvon Städten aus. Eine für den Einzelnen unabsehbare Menge vonMenschen, und sei deren Anzahl bezogen auf die Gesamteinwohnerzahleines Landes noch so klein, ruft unweigerlich den Eindruckhervor, eben für dieses gesamte Land repräsentativ zu sein. Bereitsim Mittelalter fürchteten die Mächtigen zu Recht städtische Aufstände.Die Lage der jeweiligen Residenz (und/oder Zwingburg) amStadtrand, die einen rechtzeitigen Rückzug ins offene Land ermöglichte,ist dafür ein Beleg. Bei wachsenden Städten wurde dann,wie in München, die Residenz ebenfalls weiter nach außen verlegt(vom Alten Hof an die jetzige Stelle). Stadtluft machte oft freier, alsmanchem Herrschenden lieb war.Die Revolution und das NetzDas weltweite Netz und seine Betreiber schaffen völlig neue Räumeund damit neue Formen von Gemeinschaft (etwa die Facebookoderdie Twitter-Gemeinde), einander überlagernd, vielfach unübersichtlichund der Kontrolle des Einzelnen weitgehend entzogen.Das Netz hat aufgrund des Fehlens von Hierarchien und räumlichenGrenzen von vorneherein den Charakter des Anarchischen. Esist das ideale Medium für die, die an politischer, publizistischer,wirtschaftlicher und sozialer Macht nicht oder noch nicht teilhaben.<strong>Informationen</strong>, Scheininformationen und Meinungen finden in äußersterSchnelligkeit Verbreitung über die Grenzen des cartesischenRaumes hinweg: Ihre Realität ist der multiple,virtuelle Raum.Welche Bedeutung hat diese Entwicklung fürden Realraum? Verliert die physische Präsenzvon Menschen ihre Bedeutung für die Politik?Wird die klassische Demonstration durchihr virtuelles Gegenstück im Netz abgelöst?Ein Blick in die neuere Geschichte bestätigtdiese Vermutung nicht. Der Übergang vomanarchischen virtuellen Raum des Netzes zumcartesischen Raum geordneter, wenn auchoft unbefriedigender politischer Strukturenist schmerzhaft. Ein Aktivist, ein Meinungsmacherim Netz kann in der Realwelt vonder politischen Polizei buchstäblich aus dem(Internet)verkehr gezogen werden und istdann, neben anderen schlimmen Konsequenzen,ebenfalls im Netz aus dem Spiel. Auchohne Anwendung physischer Gewalt verlierenzum Beispiel chinesische Dissidenten durchvöllige Kommunikationssperre ihre medialeExistenz.Für den politischen Umsturz bedarf es immernoch der physischen Präsenz in der Realwelt.Aufstände erfolgen da, wo eine kritischeMasse, die physische Präsenz einer großenZahl von Menschen erreicht werden kann.Die letzten Monate zeigen dies deutlich. Der10 11


Umsturz gelingt oder scheitert in den Städten, in den Metropolenund Kapitalen, in Tunis, Kairo, Sanaa oder Damaskus. Nicht zuletztdie Erfahrungen der Wende von 1989 bestätigen dies: Leipzig,Berlin, Warschau, Prag, Bukarest, Moskau ... Doch gibt es ebensoBeispiele des Scheiterns: der Tien-an-men-Platz 1989 und Teheran2009. Es gilt immer noch: Eine gelingende Revolution erfordert denSieg auf den Straßen der Städte.MUC VIA NYC UND ZURÜCKAndreas WinklerAls ich aus New York zurückkam, war es da.Das Gefühl der Entfremdung. Was war ausihr geworden. Meiner Heimat. Meiner Stadt.München.Viele Jahre war ich an anderen Orten: Studium,Praktika und Berufstätigkeit in Paris undNew York. Dort habe ich zum ersten Mal erlebt,was „gentrification“ bedeutet, welcheFolgen es hat, wenn ein Viertel „aufgewertet“wird. Eine davon ist sicherlich auch Entfremdung,wenn die Bewohner nicht mehr Schritthalten können.In New York haben wir damals für den ehemaligenPräsidenten Bill Clinton ein Büro inder 55 West 125th Street eingerichtet. Ursprünglichsollte er ein Büro in den CarnegieTowers beziehen. Stattdessen wurde ein Gebäudegewählt, das zwar nahe des südlichgelegenen Central Parks, eigentlich jedochbereits mitten in Harlem stand. Die Nachrichtwar noch druckfrisch, da verließen schon dieersten Nachbarn ihre angrenzenden Häuserund Wohnungen. In New York ist es nichtschwer, den Mieter vor die Tür zu setzen,wenn sich ein lukratives Geschäft bietet.Binnen kürzester Zeit waren alle Häuser im Block renoviert und erstrahltenin neuem Glanz. Die ehemaligen Bewohner konnten sichihr Zuhause indes nicht mehr leisten und machten Platz für Andere,Wohlhabendere.Dieses Phänomen lässt sich überall in der Stadt beobachten. Als ichdas erste Mal in New York war, wohnte ich in der Second Avenue,nahe des Gramercy Parks, einem kleinen eingezäunten Privatpark.Das angrenzende East Village war schon damals, im Jahr 1998 imUmbruch. Dies macht die Viertel ja meist besonders interessant.Alte Bausubstanz, eine soziale Durchmischung der Bewohner, ersteGalerien und Bars, die eröffnet werden, weitere, die folgen. Bis vonder alten Struktur und dem Charme des Aufbruchs nichts mehrbleibt. Dann ist ein solches Viertel beispielsweise vergleichbar mitSoho, wo sich eine Galerie an die nächste reiht, ein Abendessenunerschwinglich ist und die Künstler längst weggezogen sind.Im Falle von East Village ging dieser Prozess erstaunlich schnell.1998 war die Avenue A gerade hip und angesagt. Auf der AvenueB öffneten schon die ersten Bars. Avenue C war schon eher sketchyund Avenue D mit den am East River stehenden social housingblocks definitiv No-Go-Area. Als ich 2001 wiederkam und einApartment auf der Avenue B bezog, war diese das, was drei Jahrezuvor die Avenue A war und auf der Avenue D öffneten die erstenBars. Ich hörte sogar davon, dass erste Penthäuser hoch oben aufden social housing blocks am East River bereits als Luxuswohnungengehandelt wurden. Die Mietpreise im East Village hatten dieUpper East Side am Central Park längst überholt. Wer „in“ seinwill, der zahlt. Das war nun auch in der südlich zwischen East Villageund Chinatown gelegenen Lower East Side zu spüren. Ein Viertel,vormals von emigrierten Juden und späterhauptsächlich von Hispanics bewohnt. Als icheinige Jahre später wiederkam, hatte BernardTschumi gerade seinen Blue Tower in derLower East Side fertig gestellt. Er steht kurzvor der Delancey Street und somit nicht mehrweit weg von Chinatown. Damals wohnte einFreund von mir gleich um die Ecke. Wer hiernun wohl einziehen wird?Nun war ich zurück aus New York. Ich warwieder dahoam. Bei all meiner Reiselust undNeugier für andere Städte, wollte ich wiederin „meinem“ München leben. Allerdings wardas nach Hause kommen wider Erwarten allesandere als ein „Heimspiel“. Der Arbeitsmarktwar rau und der Wohnungsmarkt mau. Esgab wenig Angebote, meist in mittelmäßigenLagen mit schlechten Ausrichtungen und miserablenGrundrissen, aber das störte anscheinendniemanden. Im Treppenhaus bildetensich Schlangen, um doch einen Blick auf diemöglichen neuen vier Wände zu erhaschen,den Makler mit den gewünschten <strong>Informationen</strong>über Position, Gehalt, Rücklagen undso weiter zu versorgen und bei Interesse amObjekt anzubieten, doch noch etwas draufzulegen.Nun sind zehn Jahre vergangen, undnichts hat sich an dieser Situation geändert.Es ist eher schlimmer geworden. Durch die12 13


Finanzkrise und unsichere Börsen drängen verstärkt Kapitalanlegerin den Wohnungsmarkt. Renditen sind gefragt, in New York wieauch in München.Was sich jedoch geändert hat, das bin ich. Ich bin nicht mehr derArchitektur-Vagabund von damals, der lediglich acht qm in einerWG in Manhattan braucht, um nur mitten drin zu sein. Für meinekleine Familie suchte ich mehr Raum. In meiner Stadt. Ich hatteGlück. Eine Drei-Zimmer-Wohnung in Isarnähe im Gärtnerplatzviertel.Mittlerweile unbezahlbar. Um mich herum wird luxussaniert,was geht. Das Heizkraftwerk wird zur teuersten Immobilie derStadt. Alle Hinterhöfe werden mit moderner Architektur bestückt.Eigentlich aus Sicht des <strong>Architekten</strong> nicht schlecht, wenn nur diegroßen Autos der neuen Nachbarn nicht so viel Platz bräuchten.Wenn nur die schicken Läden auch eine Jeans unter 200 Euroim Sortiment hätten. Wenn nur die Bars nicht bereits über dieGrenzen hinaus bekannt wären und sich nicht alle Sprachen derWelt zur gemeinsamen Zigarette vor meinem Fenster versammelnwürden...Und wären für unsere vier Köpfe nicht doch vier Zimmer besser?100 qm? Mit ein wenig Grün? Und wie wäre es gar mit eigenenvier Wänden? Vielleicht auch etwas zum Renovieren in Eigenregie?In München. Und auch noch in guter Lage? Bei den Preisen? Beidem Markt?In meiner Stadt. Oder bin ich ihr entfremdet?Eine kleine Zitatauswahl zum Thema„Entfremdung ist eine spezifische Form vonMachtverlust: Man driftet durchs Leben, dieDinge passieren einfach, das eigene Lebennimmt sich als selbstständiges Geschehen aus,auf das man keinen Einfluss hat. Sich mit derWelt nichtentfremdet in Beziehung zu setzenheißt, sich diese anzueignen, und Aneignungbedeutet – nehmen wir nur das Beispiel öffentlicherRäume – mehr, als dass man sie nurbenutzt; Aneignung ist getragen von derFähigkeit, die Umstände des eigenen Lebensauch zu prägen… Von Entfremdung sprichtman spezifischer, sofern sich jemand mit densozialen oder politischen Institutionen, indenen er lebt, nicht identifizieren, sie nicht alsdie seinen begreifen kann. Leicht romantisiertwird Entfremdung als Ausdruck von Entwurzelungund Heimatlosigkeit verstanden, die imkonservativ kulturkritischen Repertoire auf dieUnübersichtlichkeit oder Anonymität modernerLebensverhältnisse oder auf die Künstlichkeitihrer medialen Vermittlung zurückgeführtwird…“ (Rahel Jaeggi)„Sich in einer Stadt nicht zurechtfinden heißtnicht viel. In einer Stadt sich aber zu verirren,wie man in einem Walde sich verirrt, brauchtSchulung.“ (Walter Benjamin)14


FREMDES UND VERTRAUTES –STADTSKIZZEN AUS INDIENMichael GebhardNew-DelhiStadt ohne Eigenschaften, Planungsimport desbeginnenden 20. Jahrhunderts. Lange Achsen,sternförmig von roundabouts ausstrahlend,so begrünt, ja so begrünt, dass sich New-DelhisHäuser dahinter zu verstecken scheinen.Ein getrübter Blick sucht die Ferne im Smog.New-Delhi belohnt uns mit Kopfschmerz amNachmittag. Connaught Place – als Zentrumbeschrieben. Connaught Place – als zentralesNiemandsland erlebt. New Delhis Häuser sindHäuser mit einem grünen Bart, einem struppigenGewächs, das alles auf Distanz hält. ZweiHäuser einander gegenüber, Nachbarn sozusagen.In New-Delhi kennen sie sich nicht. Siebleiben einander fremd, genauso fremd wieuns New-Delhi bleibt. (1)Old-DelhiDas Gegenteil von New Delhi. Der Inderwarnt: No-Go-Area – selbst für manche Inder.Dicht, dichter, am dichtesten. Menschen undAutos und Mopeds und Rikschas und Warenund Händler, alle in einem Raum, der bei unsStraße genannt wird, in Old Delhi Lebensraumist. Selbst der Luftraum wird benutzt. Kabel-gewirr als Affenpfade, auf ihren eigenen Wegen über den Straßenund über den Häusern. Gassen, drei Mann breit und vier Geschossehoch – schattiges Halbdunkel, das nur mit etwas Mut betretenwerden kann. Geruch nach Gewürzen, Moder, Verfall, Urin undimmer wieder Urin. Auslagen mit Nüssen, Mandeln, Kardamon,Chilis, Masalas in allen Schattierungen. Bettler, Hunde, Krüppel,kleine schwarzbraune Kinder, die die Hand aufhalten. Hupenimmer wieder hupen – das indische Stadtkonzert. DunkelhäutigeMänner mit dunklen Augen, dunkelhäutige Frauen in farbenfrohenGewändern, sitzend, stehend, fahrradfahrend, lastentragend inund aus allen Richtungen. Ein stetes dichtes Fließen und Kreuzen,sich begegnend, sich störend, einander ausweichend im unendlichenFluss der Bewegung. (2)nialen Aufbruchs, in ihrer Weite und rudimentärenFassung durch drei Monumentalbautenheute nur noch als große unzusammenhängendeWeite lesbar. Austausch verhindertdurch räumliche Distanz. Es flanierenRatte und Eidechse. Trotz allem oder geradedeshalb – Chandigarh ist die teuerste StadtIndiens, ein heißbegehrter Wohnort. (3)JaipurPinke Stadt – pinke Stadt? Eher sand- odererdrosa – zu Ehren eines britischen Prinzgemahls.Pink als indisches Symbol für Gastlichkeit.Die Altstadt – klare, eindeutige Räumeals Hinterlassenschaft einer starken, planendenHand – Maharaj Jai Singh II. Sandrosaoder erdpink, sandpink und erdrosa haltenin ihren Abtönungen alles zusammen. ErdgeschossigeArkaden über hunderte von Meterngeben dem Auge Halt, Pink bändigt die sichdarüber gen Himmel arbeitende indischeFormenvielfalt. Fußgänger – sie schreitenhier leicht erhaben über der Straße, gedecktvom nicht enden wollenden Arkadendach.Geschäfte – unzählige und klein – meist nurein Raum, völlig zur Straße zu öffnen – bis andie Decke mit Waren gefüllt – Ausbuchtungender Straße. Sitzen möchten wir hier, inRuhe schauen, ein Stück weitergehen, wiedersitzen, chai masala trinken – welch euro-ChandigarhChandigarh, oh Chandigarh, Ikone der Moderne. Höhepunkt europäischenStädtebaus und europäischer Architektur seiner Zeit – einerdamals jungen Nation implantiert als Symbol ihres Aufbruchs indie Unabhängigkeit. Heute befällt uns ein gewisses Unbehagen, einzwiespältiger Eindruck. Wir vermissen hier Indien. In wohlgeplanterOrganisation entstanden in sich ungewöhnlich unindisch ruhigeSektoren – ein uns bekanntes europäisches Raumgefühl, ein europäischesFlair. Zwischen den Sektoren – als Tribut sozusagen – dieZirkulation der Fahrzeuge in erschreckender Ausschließlichkeit.An den Rändern der Sektoren – Mauern, die sich mit den breitenStraßen gegen den Wunsch der Sektorenbewohner nach Näheverschworen haben. Das Regierungsforum in Sektor 1, nördlicherKopf und Highlight vor den Bergen des Himalayas, monumentalerräumlicher Versuch und ultimative Ikone Corbusierscher Raumprägung.Räumlich-architektonisches Symbol eines politisch-postkolozentrischeVorstellung. Indien funktioniert so nicht. Stehen heißthandeln, Sitzen heißt Verkaufsgespräch. Alles ist geschäftig, laut,schmutzig und trotzdem faszinierend, faszinierend vielfältig unddicht und intensiv. Gegensätze aller Orten, Geschäftemacher stetsan deiner Seite. (4)JaisalmerDie Stadt am Rande der Wüste Thar, die goldene Stadt – wiederso ein schöner Name. Die bewohnte Festung. Dicht und eng sitztsie 99-fach bastoniert über der Stadt, eins mit dem Berg auf demsie thront. Die Stadt – ohne Autos, nur Motorräder, auch dieseomnipräsent und laut. Prachtvolle, feinstziselierte Bauten an jederEcke. Gelber Sandstein. Stein der Wüste Thar, fünf Tage gewässert,dann mikrofein gemeißelt. Feinste Strukturen vor flächigem Hintergrundoder filigranste Gitter komplett durchbrochen. Fassadenflächig mit Mustern überzogen, vorspringende Erker, Dachgesimsein allen Höhen lassen uns tatsächlich an tausend und eine Nachtdenken. Handels- und Kaufmannshäuser – Haveli genannt, drei-,vier-, fünf- und sechsgeschossig errichtet um eine Mitte aus ruhigen,kühlen Höfen. Prachträume mit Spiegelfliesen und belgischemGlas, gesplittert, mit Fehlstellen, Spiegel des vergangenen Glanzes– des Opiumhandels. Fette Mörtelfugen als moderne Allzweckwaffegegen den omnipräsenten Zerfall. Der Charme des Morbiden alszwiespältige Frucht allgegenwärtiger Korruption. (5)(1) New-Delhi: Hauptstadt Indiens; im Norden Indiens, ca. 300.000Einwohner, 6.900 Einwohner/qkm; 1912 bis 1928 nach Plänen vonSir Edward Luytens südlich des alten Delhi errichtet, löste Kalkuttaals Hauptstadt des britischen Indiens ab.16 17


(2) Old-Delhi: Wie New-Delhi Teil des HauptstadtterritoriumsDelhi mit ca. 18 Mio. Einwohnern;Old-Delhi ca. 600.000 Einwohner,Dichte ca. 20.000 Einwohner/qkm; Ursprüngeder heutugen Stadt bis ca. 730 n. Chr., ersteSiedlungsspuren bereits 1.200 v. Chr.(3) Chandigarh: Stadt im Norden Indiens,nördlich von Delhi, ca. 1,1 Mio. Einwohner,ca. 9.300 Einwohner/qkm, ab 1947 nachPlänen von Albert Mayer, Maciej Nowicki undnachfolgend von Le Corbusier entwickeltePlanstadt.(4) Jaipur: Stadt im Norden Indiens, 300 kmsüdwestlich von Delhi, ca. 2,4 Mio. Einwohner,Hauptstadt des <strong>Bund</strong>esstaates Rajastan,Gründung 1727.(5) Jaisalmer: Stadt im Nordwesten Indiens,nahe der Grenze zu Pakistan in der WüsteThar gelegen, ca. 60.000 Einwohner, gegründet1156.FREMD ODER NICHT FREMD? BUNTE FARBENIN DER STADTMonica HoffmannDer eine oder andere Leser wird ihn kennen, Ruy Ohtake, Architektaus Sao Paulo. Ich habe von ihm in der Frankfurter AllgemeineZeitung gelesen, als Anfang November 2009 Josef Oehrlein einenBeitrag über ihn geschrieben hat: nicht über seine bekannten modernenBauten, sondern über seine Aktion zur Verschönerung derFavela Heliópolis in Sao Paulo. „Die Farbe macht den Unterschied“,lautet sein Motto für die Verschönerung der Elendssiedlung, undgemeinsam mit der „Gesellschaft für Wohnungsbau und städtischeEntwicklung von Sao Paulo“ hat er in nur zwei Tagen ein kleinesWunder vollbracht. Die Bewohner von Heliópolis wählten 278 Gebäudeaus, die als erste einen bunten Anstrich erhalten sollten undlegten die Farben fest, aus denen Ohtake eine Skala für die Häuserentwarf. Acht Arbeitslosen wurde das Anstreichen beigebracht, sieerhielten 16 EUR am Tag, eine Firma stellte kostenlos das Materialzur Verfügung.Statt der unverputzten, grauen oder verschmutzten Wändewechseln sich nun blaue, gelbe, orange, grüne, rosa Flächen aufden Fassaden der sich dicht an dicht reihenden kleinen Häuser ab.Nach fünf Monaten Arbeit geben die vielfältigsten Bunttöne denausgesuchten Gebieten in der Sonnenstadt ein neues Antlitz. Essind fröhliche, kräftige Farben für die Siedlung, die auf kleinteiligenFassaden aufgetragen lebendige Muster in die Straßen bringenund – da von Ohtake geschickt aufeinander abgestimmt – wederaufdringlich noch unharmonisch erscheinen. In Heliópolis wirkt diebunte Farbe gemeinschaftsbildend und motivierend. Sie stärkt dasVerantwortungsgefühl ihrer Bewohner für ihr Viertel und hält dieöffentliche Hand an, die Urbanisierung von Heliópolis mit seinen130.000 Einwohnern voranzutreiben. In dem nun legalisierten Umfeldmit einer funktionierenden Infrastruktur wird den Bewohnernder soziale Aufstieg erleichtert, Läden machen bessere Geschäfte,viele Bürger sind nun stolz, in Heliópolis zu wohnen.Kräftige bunte Farbigkeit an Fassaden kann aber auch das Gegenteilbewirken: Sie kann trennen statt verbinden und ein Gebäudevon seinem Umfeld entfremden. Ein Beispiel in der MünchenerMaxvorstadt: Von einer respektvollen Haltung kann keine Redesein, wenn sich ein grelles Orange auf der Fassade eines gewöhnlichenWohnhauses zeigt, das inmitten von steinsichtigen, fein inden Nuancen abgestimmten und großteils denkmalgeschütztenBauten steht. Durch ihr lautes Auftreten zerstört eine solche Fassadeeinen harmonisch wirkenden Straßenraum und auch geschlossenwirkenden Innenhof, gebärdet sich rücksichtslos gegenüberseinen Nachbarn, die nun nicht mehr mit eleganten steinsichtigenTönungen punkten, sondern neben dem reinen Orange zwangsläufigverschmutzt wirken.Apfelgrün, Zitronengelb, Veilchenblau, immer wieder und immeröfter tauchen sie auf in der Stadt: Gebäude, bei denen aus Gedankenlosigkeitoder im Bestreben nach etwas Anderem, Besonderenzu kräftig in den Farbtopf gegriffen wurde und andere nicht nurzur Nachahmung, sondern zu noch mehr Mut zur bunten Farbeanstiftet. Je auffallender, desto besser. Schließlich wird dann übersie geschrieben – zumindest in deutschen Architekturzeitschriften,in denen das Thema Farbe am Bau mit kräftiger Buntheit gleichgesetztwird. Ganz anders in Schweizer Bauzeitschriften, in denenes um den konzeptionellen Einsatz der Farbegeht und auch feinsinnig abgestimmte Farbgebungenbeachtet werden.Starkbunte Fassaden, die vereinzelt auftreten,ziehen unsere Aufmerksamkeit an. Großflächigsind sie unserem Auge ungewohntund in der gebauten Umwelt einer Stadt wieMünchen materiell nicht selbstverständlichverankert. Doch keiner empört sich mehr.Spektakel? Auffallen um jeden Preis? Alles istmöglich? Differenzierung statt Gemeinschaft?Ein Zeichen der Zeit, dass sich selbst in derFarbgebung von Bauwerken niederschlägt?Oder etwa Gleichgültigkeit gegenüber demErscheinungsbild der Stadt? Die weitere Entwicklungbleibt abzuwarten. Auf jeden Fallwird der empfindsame Ästhet, den die Disharmonieschmerzt, noch für einige Zeit somanche Straßen meiden müssen, und so mancheWohnungen werden tagsüber aufgrundihres extrem leuchtenden Gegenübers keineweißen Wände mehr haben. Na und? Freiheitnennt man das dann gerne. Stimmt. Stadthat viel mit Freiheit zu tun. Doch es stimmtauch, dass Stadt mit Vertrauen in Regeln undmit Rücksichtnahme zu tun hat. Gerade Farbeist bestens geeignet, im gebauten Raum dieBalance zwischen Individualität und Bezugnahmeherzustellen. Und das heißt einfach18 19


nur, vor dem Anstreichen oder der Wahl der Fassadenbekleidungnachzudenken, natürlich dann nicht das bequeme Gleiche zuwählen, sondern den besonderen farblichen Charakter des Umfeldeserspüren, die Vielfalt der Bauwerke, ihre Andersartigkeit zubetonen und sich doch mit dem Straßenraum oder dem Platz zuidentifizieren. Für dieses Sowohl-als-auch bietet das GestaltungsmittelFarbe schier unerschöpfliche Möglichkeiten.Jede Stadt hat ihren eigenen Farbakkord, der sich historisch entwickeltund dabei auch immer wieder verändert, gleichwohl sind diemeisten Städte noch immer geprägt durch die Gesteine und dieErden der sie umgebenden Landschaft, aus denen sich die meistenFassadenfarben ergeben haben. Erst mit der Herstellung vonsynthetischen Pigmenten sowie Bindemitteln und der Option, Bekleidungsmaterialienaus allen Winkeln der Erde herbeizuschaffen,hat sich das grundlegend geändert. Den Farbwünschen sind heutekaum noch Grenzen gesetzt. Natürlich darf Identität einer Stadtnicht zum Stillstand führen. Zur Stadt gehört ebenso das Neue, dieVeränderung. Die aber nur Bestand haben wird, wenn sie sich immernoch bezieht, wenn sie die individuellen Qualitäten einer Stadterforscht und berücksichtigt. Dazu gehört beispielsweise auch,solche Farben einzusetzen, die im Licht des Ortes ihren eigenenCharakter ausspielen können. Deswegen sind Farben in Hamburganders zu wählen als in München. Ein Blau strahlt im kühlen Lichtdes Nordens eben viel intensiver.Stadt hat mit Raum zu tun und mit gestalterischer Dramaturgie.Die Straße, der Platz, sich öffnend und wieder verschließend, eineAbfolge von spannenden Räumen im Idealfall, die zum Flaniereneinladen oder zum Verweilen. Solche städtischen Situationenwerden auch durch die Farbigkeit geprägt,ohne dass sie grell und auffallend sein muss.Allein durch die Wahl ihrer Helligkeit kann sieRaumtiefen steigern, Engen betonen, an KreuzungenAkzente setzen, durch gleiche Farbtönekönnen Ruhezonen geschlossen, durchdynamische Kompositionen Bewegungsräumeoptisch gesteigert werden. Farbdramaturgiein der Stadt kann prägnante Orte und visuelleZusammenhänge bestens stärken. Neues mussdabei nicht zwangsläufig Disharmonie erzeugen.Wie gesagt, Stadt ist beides: Freiheit undBezogensein. Jede Stadt hat ihre eigene Atmosphäre,jedes Viertel seinen eigenen Charme.Die Maxvorstadt ist eben nicht Heliópolis.VOM WIEDERAUFBAU ZUR VERÖDUNG?Erwien Wachter zu einem Interview mit Harald BodenschatzEinem Interview der <strong>Bund</strong>eszentrale für politische Bildung mitHarald Bodenschatz, Professor für Planungs- und Architektursoziologiean der TU Berlin mit den ForschungsschwerpunktenPlanungs- und Architektursoziologie, Stadtplanungs- und Städtebaugeschichtesowie postmoderner Städtebau, ist die Feststellungvorangestellt, dass 60 Jahre nach Kriegsende eine Verödung derStädte zu beobachten sei. Die Ursachen seien sowohl auf sozialerund wirtschaftlicher wie auch geistiger Ebene zu suchen.Für Harald Bodenschatz ist diese Zustandsbeschreibung nicht angemessen.Man könne nicht von einem durchgängigen Trend derVerödung sprechen, da weder alle Städte noch alle Räume in derStadt betroffen seien. Dennoch, so Bodenschatz, seien Problemewie etwa die Zersiedelung unübersehbar. Wichtige Rahmenbedingungenauf der Ebene des <strong>Bund</strong>es, beispielsweise Pendlerpauschaleoder Eigenheimzulage, förderten diese Entwicklung. Mit „Leitprojektenund den aktiven Aufbau einer Innenstadtrevitalisierungskoalition“könnten die Kommunen die Dezentralisierung zumindestbremsen. Dass auch einige schrumpfende Städte den Strukturwandelzu Gunsten der Innenstädte wenden können, zeigten zahlreicheBeispiele in Europa. Ein Problem bleibe, so Bodenschatz weiter:die Konkurrenz innerhalb der Stadtregion. Diese müsse durch neueKooperationen heruntergefahren werden. Auf die leeren Kassenvieler Kommunen angesprochen, stelle sich die Frage, ob bei demdadurch verknappten Handlungsspielraum Deutschlands Städte nurnoch von ihrer Substanz lebten. Bodenschatz sieht die Kommunenim Vergleich zu früheren Perioden in einer dramatischen Lage. Siemüssten heute ihre aktive Rolle neu bestimmen.Selbstbewusst sollten Rahmen gesetztwerden, die eine öffentliche Projektklärunggarantieren. Das helfe auch – seriösen – Investorenund Fondgesellschaften ihre Bauprojekteauf den Filetstücken im Stadtraum mitden Bedürfnissen der Bürger und Bewohnerin Einklang zu bringen. Schwindende Identitätund Zugehörigkeitsgefühl stellten in derheutigen Stadt, die von einer zersplitterten,von Parallelgesellschaften und steigender Armutgekennzeichneten Gesellschaft geprägtwird, ein weiteres Problem dar. Für Bodenschatzverbindet sich damit die Klärung desUmfangs und der Orte dieser Erscheinungen.Zu bedauern sei, dass sich die Identifikationmit einer Stadt immer mehr auf das Zentrumbeschränkt, das zwar aufregt und bewegt,aber bei aller Bedeutung von den Bürgernselbst kaum besucht und genutzt wird. HaraldBodenschatz: „Die Zukunft der Großstadtzentrenwird daher letztlich, das wäre meinezentrale These, nicht so sehr in den Zentrenentschieden, sondern an der Peripherie. Wenndas Wachstum der Peripherie weiter treibhausmäßiggefördert wird, bleibt die Konkurrenzzwischen Zentrum und Peripherie einHase-Igel-Rennen.“Quelle: www.bpb.de20 21


IN EIGENER SACHEErwien Wachter1926 forderte Paul Valéry in analytischer Schärfe, die nichts anAktualität verloren hat, von einem Druckwerk, dass es „ein Dingsei mit eigener Persönlichkeit, das den Stempel eines besonderenGeistes trägt und das hohe Bemühen um eine ausgewogene undbewusste Ordnung verrät“. Ein hehres Ziel, das sich die Redaktionenseit der Gründung 1967 für die „Braunen Blätter“ gesetzthaben könnten. Im Rahmen unserer Möglichkeiten heißt dies, einelebendige Zeitschrift rund um die Architektur zu schaffen, die sichverändern und nicht im Korsett der Konservierung erstarren will.Dazu gehört auch, immer wieder ein Signal zu setzen, an einenRelaunch zu denken. In guter Tradition fiel die neueste Veränderungmoderat aus. Da wir alle die Sprache lieben und ihr die Krafteigener Bildhaftigkeit einräumen, wird das Bilderlose geradezuals Pflicht bewahrt, die Wahl des Papiers, seiner Farbe, seinerhaptischen Qualität weiterhin ihren Erkennungswert in die Zukunfttransformieren. Modernisiert wurden das äußere und innereErscheinungsbild, neue Rubriken füllen die Zeitschrift, Zeitgemäßessoll spannend und prägnant den Leser antreffen, auch mit Charmeund auf keinen Fall glattgebügelt. Wir finden Anregungen, Austausch,konträre Meinungen gut. Wir lassen uns inspirieren undgern überzeugen. Wir wollen Anstöße geben und Perspektivenaufzeigen. Wenn wir dabei auch einmal anecken, das gehört zuunserem Metier.McLuhan jedes neue Medium seine unvorbereitetenBetrachter. Aber ausgereifte Medienwerden dadurch ja nicht obsolet – obschondie, die viel Geld in neue Techniken investierthaben, das natürlich gerne sehen würden.Internet ist Fernsehen plus Interaktion plusMassenspeicher plus technifizierter Zeitdruck.Über dieses Medium unsere Bildungsprozessezu befördern, ist ein Versuch, in demleicht Datenverarbeitung mit Wissenserwerbverwechselt wird und das Bewusstsein verlorengeht, dass Denken Zeit und Geduld, miteinem Wort: die Langsamkeit braucht. Davonüberzeugt, hält die Redaktion an den materialen„Braunen Blättern“ fest und hat einenkleinen Wettbewerb zwischen jungen Grafikdesignerninitiiert. Das Ergebnis hat sich inHeft 1.11 gezeigt. Ob es gefällt, das entscheidenunsere Leser, am Besten jeder für sich.Die <strong>BDA</strong> <strong>Informationen</strong> 3-2011 befassen sichmit dem Thema „Echt“. Und wie immer freuenwir uns über Anregungen, über kurze und natürlichauch längere Beiträge unserer Leser.Redaktionsschluss: 19. September 2011Immer wieder wird auch auf das modernere Medium: den Bildschirmverwiesen. Die Metapher Valérys gewinnt aber dadurchheute eine noch schärfere Kontur. Freilich bannt laut H. M.22


CONTRA„DIE JURY“Gerd FeuserIm Feuilleton zum Wochenende am 30. April2011 veröffentlichte die SZ einen Beitragvon Gerhard Matzig zum Wettbewerb fürdas Denkmal der Deutschen Einheit, wenigspäter am 2. Mai 2011 ein Interview mitdem Preisgerichtsvorsitzenden Meinhard vonGerkan zum gleichen Thema. Matzig kritisierteeinleitend das Ergebnis, dann im Hauptteilbesprach er die Arbeit einer Jury. Daher derTitel. Jedoch war es nicht die Berliner Preisgerichtssitzung,sondern eine fiktive, mit keinererkennbaren Aufgabenstellung. Aus der Kritikam Wettbewerbsergebnis machte Matzigeinen Verriss, für uns verständlich. Unverständlicherweiseaber wird seine Schilderungeiner Preisgerichtssitzung auch ein Verriss. Dieherbe Kritik am Berliner Ergebnis ist richtig, denn diese betrifft unsalle als Bürger. Das Zerrbild einer Preisgerichtssitzung und damitdes Wettbewerbs allgemein aber trifft unseren Berufsstand. DasBild ist verletzend und dient der Sache in keiner Weise. Anlass istwohl eine schlechte Erfahrung in einer Jury. Darüber aber hätteman zeitnah berichten und die Fehler aufzeigen müssen.Von Gerkan, der Preisgerichtsvorsitzende, gibt ein Interview zumErgebnis und Sitzungsablauf. „Ach du Schande“, hofft GerhardMatzig, möge jemand ausgerufen haben am Ende der Preisgerichtssitzungfür das Denkmal der Deutschen Einheit, als die Arbeitvon Milla & Partner mit Sascha Waltz, eine Schaukel, von der Jurymit dem 1. Preis bedacht wurde. Matzigs Einschätzung zum Urteiltrifft zu. Sie trifft aber auch zu für die Auslobung, angefangenvon der schwachen Aufgabenformulierung bis zu den magerenBeurteilungskriterien. Die Kriterien sind wirklich mager, beschränktausschließlich auf wenige Begriffe, nämlich „Entwurfsidee / Leitgedanke“und „Inhaltliche Aussage“. Nur diese zielen auf den Kernder Aufgabe. So mager wie die Kriterien waren dann auch Kritikund Ergebnis.Zweifel und Schwierigkeiten wurden schon bald nach dem Beschlussdes <strong>Bund</strong>estags 2007 deutlich. So definierte der RegierungsbeauftragteZiele zur Form und Gestaltung des Denkmalszurückhaltend: „Das Denkmal kann nicht die tiefgreifende Beschäftigungmit den vielfältigen Fragestellungen ersetzen, die sich ausder Diskussion um Freiheit und Einheit in Europa ergeben.“ Trotzder erkennbaren Unsicherheit meint Matzig, „die Berliner Wipp-Jury“ hat bestimmt tadellos gearbeitet in den beiden Bewertungsrunden.Matzig schönt. Zerstritten seien die Preisrichter gewesen,berichtet von Gerkan und das Ergebnis sei„missverständlich, kitschig, vordergründig“.Unsicherheiten in der Auslobung und seineSchilderung lassen vermuten, die „hochkarätigbesetzte Jury“ habe eben nicht tadellosgearbeitet. Besonders die Vorbereitung warnicht tadellos. „Die Preisrichter und ihreStellvertreter sollen sich an der Vorbereitungder Auslobung, an der Preisrichtervorbesprechung,Kolloquium und Beantwortung vonRückfragen beteiligen“, fordern die Regelnfür einen Wettbewerb. Die beklagte Zerstrittenheitim Preisgericht und folgerichtigdas schwache Ergebnis sprechen nicht füreine gute Vorbereitung. So wurde Beliebigesgefordert und auch angeboten. Hier zum beliebigenGebrauch ein großes Spielzeug, eineSchaukel. Dies wirft die Frage erneut auf, obman zur Erinnerung an die Wiedervereinigungheute ein Denkmal braucht.Die Kritik von Gerkans trifft zu, nicht aber seineArgumente, mit denen er den Rücktritt ausdem Preisgericht begründet. Der Vorsitzendewollte dem Ergebnis nicht zustimmen. Erhätte es verhindern können, möglicherweiseschon vor der schwierigen Preisgerichtssitzungdurch sein Eingreifen bei der Formulierung derZiele und der Kriterien in den Vorbesprechun-24 25


gen. Somit sind wir wieder, wie oben, bei der sorgfältigen Vorbereitung,die wesentlich dazu beiträgt, den Erfolg eines Wettbewerbszu sichern.Nun zu Matzigs Hauptteil, der einen Widerspruch im Interesse der<strong>Architekten</strong> verlangt: Es ist die Schilderung einer Preisgerichtssitzung,in der alle Beteiligten wie Karikaturen verzerrt werden undder Sitzungsablauf zu einer Farce gerät. Die Schilderung ist keineswegswitzig, sondern eine fortgesetzte Beleidigung für alle, diesich mit einem Wettbewerb jemals befasst haben, für Auslober,Preisrichter, Teilnehmer und auch für alle diejenigen, die sich inden Kammern und Verbänden für Wettbewerbe eingesetzt haben.Warum?Matzig verschiebt seine Darstellung einer Preisgerichtssitzunghinaus aus Berlin und auch hinaus aus der Realität, er macht darauseine fiktive Veranstaltung. Er kann somit keine bestimmten Vergehenanprangern und kein bestimmtes Urteil, sondern kommtzwangsläufig zu einem Vorurteil gegen das Wettbewerbswesen.Er übergeht auf grobe Art die beiden wesentlichen Grundsätze,die die den Wettbewerb rechtfertigen. Sie lassen sich auf nur zweieinfache Fragen zurückführen: Was ist ein Wettbewerb? Was kannder Wettbewerb leisten?In einem Wettbewerb werden von den Teilnehmern unter gleichenBedingungen deskriptive Lösungen einer gleichen Aufgabein Plan, Modell und Erläuterungen verlangt. In dieser Form werdenalle Beiträge unter strengster Wahrung von Anonymität zurBeurteilung durch ein unabhängiges Preisgericht eingebracht. DieWettbewerbsleistung hat zum Inhalt somit nur eine Idee, kein fertigesWerk, und Urteile zu Ideen haben mehrmutmaßlichen Charakter als einen Wahrheitscharakter„richtig“ oder „falsch“.Die Leistungen des Wettbewerbs zielen ab aufeine klare Aufgabe aus der Architektur oderder bildenden Kunst. Gesucht werden sowohldie beste Lösung für die Aufgabe wie auch fürdie Ausführung des Werkes der geeignete Architektoder Künstler. Diese Definition von Zielenund Zweck war schon in der Präambel derguten alten GRW „Grundsätze und Richtlinienzum Wettbewerbswesen“ klar festgehalten,wurden aber in der schlechteren RPW von2009 übernommen. So ist die Durchführungvon Wettbewerben eine bundesweite kulturelleund gesellschaftliche Aufgabe. Sie verdientUnterstützung und keinen Spott.Die acht Abschnitte in Matzigs Hauptteil sindalle betitelt, teilweise mit Begriffen aus demWettbewerbswesen, wahllos, fast keiner setztsich mit dem geregelten Ablauf einer Jury auseinander.Mit den Karikaturen zu den Beteiligtenfolgen Falschaussagen in der Sache. DazuBeispiele: Erstes Opfer ist der Vorsitzende. Erhat die Aufgabe, den rechtlich geregelten Ablaufzu besorgen und die diversen Einzelbeurteilungenaus unterschiedlichen Fachbereichenzu bündeln, nicht zu spalten wie Matzig sagt,und zudem jede Arbeit und ihren Verfasser alsAnwalt zu vertreten. Unangemessen ist auchder alte Vorwurf, verlorene Wettbewerbsbeiträgeso vieler <strong>Architekten</strong> seien verschwendetesVermögen. Wettbewerbe boten schonimmer das Feld, auf dem junge <strong>Architekten</strong> ihrKönnen messen wollen. Auch deshalb verdienensie unseren Schutz. Alle diese Teilnehmerkennen Ablauf und Bewertungsverfahren:Im ersten Rundgang kann eine Arbeit nureinstimmig ausgeschlossen werden. In denfolgenden Rundgängen wird nach dem Prinzipder Negativauslese verfahren, wie es in den„Grundsätzen und Richtlinien zum Wettbewerbswesen“vorgesehen ist. Die dargestellte,beschreibende Definition von Qualitätsmerkmalenist Grundlage zur Beurteilung. Sie lässtkeine andere gerechte Auslese zu.Unter einem eigenen Abschnitt wird angezweifelt,ob eine innovative Arbeit bei dieserAuslese eine Chance hat. Sie hat diese regelgerechteChance wirklich, die durch einstimmigesVotum zu einem Sonderpreis und Auftragführen kann, auch wenn das Programmabweichend erfüllt wurde. Matzig schriebim Zorn und daher missverständlich, erzielteÄrger und verfehlte sein Ziel. Die von derGRW abgelöste RPW hat durch europaweitverpflichtete Überarbeitung und durch andereAnforderungen an Umfang zugenommen und muss auf denPrüfstand. Kritik also sollte sein mit dem Ziel, weiterhin zur Durchführungvon Wettbewerben ein brauchbares, knappes Regelwerkin der Hand zu haben, das wieder mehr für diese Verfahren wirbt,indem es auch einen für den Auslober tragbaren Kostenrahmensetzt und möglichst vielen, besonders jungen <strong>Architekten</strong> die Teilnahmeermöglicht.26 27


KRITIK DER KRITIK VIIIWOLFGANG JEAN STOCKIM GESPRÄCHWJS: drei Buchstaben, eine Marke der Architekturkritik– Wolfgang Jean Stock. Dass erein alter Haudegen der Kritik sei, das wisse erselbst, sagt WJS. Dass alte Degen auch scharfsein können, beweist er stets aufs Neue – soauch hier. Er ist einer der scheinbar gar nichtwenigen, die aus verwandten Bereichen, wieGeschichte, Politologie und Soziologie zumJournalismus und zur Kritik gestoßen sind.Wenn er nebenbei erzählt, dass er schon alsTeenager sein Taschengeld für seine damaligen„Götter“ Le Corbusier und RichardNeutra ausgegeben habe, so verwundert es,dass er nicht gleich Architekt wurde. Er hatuns nicht verraten, ob er das bedauert. SeineLeser, glaube ich, sind nicht traurig darüber.Ist doch ein weiterer Architekt gut, ein schlagfertiger Kritiker aberkaum verzichtbar.Die Kritik ist in der Krise – ein vielbeschworenes Szenario. Wenaußer einem eingeschworenen Zirkel aus <strong>Architekten</strong> und Kritikerninteressiert sie denn noch – die Kritik?Die Architekturkritik interessiert viele Menschen. Sie könnte nochmehr interessieren, wenn sie anders auftreten würde. Aus meinerlangjährigen Tätigkeit als Kritiker ist mir bewusst, dass das Publikumder unterschiedlichen Medien, in denen Kritik stattfindet, sehrverschieden ist. In einer seriösen Tages- oder Wochenzeitung mussich ein Publikum erreichen, das nicht bis in die letzten Feinheitenvon Konstruktion oder Materialverwendung aufgeklärt werdenmöchte. Umgekehrt wird von einer Fachkritik in einer Architekturzeitschrifterwartet, dass man sich von der städtebaulichen Situationüber den Entwurf bis hin zur Lösung von Details umfassend aufein Thema einlässt. In der seriösen Tages- und Wochenpresse wirdmir manchmal jedoch zu viel fachgesimpelt. Man sollte gerade indiesem Bereich überlegen, ob man die Geschichten nicht anderserzählen sollte.Wie würden Sie Ihr Verhältnis zur aktuellen Architekturkritik beschreiben?Sie können mich heute in einem Zustand von einerseits Zufriedenheitund andererseits Zorn erleben. Mit Zufriedenheit sehe ich,dass die Architektur beim breiten Publikum in den letzten 15 bis20 Jahren mehr Interesse findet als davor.Das hat aber nicht nur Licht-, sondern auchseine Schattenseiten. Ganz fatal finde ich denunerträglichen Star-Kult, der in den Mediengetrieben wird. Dadurch wird die Architekturin der Rezeption des Publikums auf einpaar dominierende „Marken“ eingeengt. Inder Architekturszene wird das unmittelbarrelevant für die Existenz zahlreicher Büros,weil viele Bauherren sich auf genau dieseMarken versteifen und viele Talente dadurchkeine Chance mehr erhalten. Es wird heuteviel zu viel personalisiert. Man redet nichtmehr zuerst von der Architektur selbst undfragt erst dann nach dem Entwurfsverfasser,sondern stellt die Person in den Vordergrund.Dabei ist Architektur die spannendste, aberauch schwierigste und verantwortungsvollsteKulturaufgabe, die wir haben. Die Architekturbestimmt ja unseren Alltag vom Aufstehen biszum Schlafengehen.Gleichgültigkeit und Übersättigung sind diegrößten Feinde der Kritik. Das ist kein fruchtbaresFeld, das ist ein steiniger Acker! Wiereagiert die Kritik?Die Kritik sollte einen viel offeneren Blick fürdie aktuelle oder künftige Entwicklung haben,28 29


also weg von der Konzentration auf Sonderaufgaben wie Museen,Bahnhöfe, Konzertsäle und so weiter, die bevorzugt veröffentlichtwerden. Die Mehrheit der Menschen interessiert sich durchausauch für andere Themen wie etwa das Wohnen. Auch hier gibt esimmer wieder aktuelle Entwicklungen, die der Betrachtung undder Kritik wert sind. Ich bin übrigens einer der wenigen Kritiker,die immer in Neubauten gewohnt haben. Die meisten Kritiker wieauch <strong>Architekten</strong> wohnen in Altbauwohnungen mit abgetrenntenZimmern – eben nicht in den von ihnen so oft gepriesenen Raumkontinua.Grundsätzlich käme es darauf an, dass die Kritik vielmehr Projekte am Ort oder in der Region vorstellt. Dabei sollte manso lehrreich wie anschaulich den Menschen Leistungen nahebringen,die ihnen eine Orientierung geben können.spiel hervorheben, aus einer SZ-Serie, in derArchitekturbüros vorgestellt wurden. GottfriedKnapp hatte das Büro von Zaha Hadid in Londonbesucht. Er hat dann ohne jedes Vorurteileinfach beschrieben, wie es dort so zugeht.Fazit war: Diese Frau ist eine egozentrische,über alle Maßen ehrgeizige Sklavenhalterin.Der Artikel war einerseits lehrreich, weil manetwas über die Arbeitsbedingungen in einemdieser international tätigen Büros erfuhr, under war unterhaltsam, weil man die Hintergründeund Einstellungen der entscheidendenPersonen mitbekam.Man muss es ja mit der Seriosität und Ernsthaftigkeitnicht übertreiben. Man sollte aberwissen, dass man als Schreibender eine ganzgroße Verantwortung hat. Als ich Ende 1985vom Kunstverein München ins Feuilleton derSZ kam, war einer der ersten Sätze von DorisSchmidt, der wirklich erfahrungsgesättigten,älteren Dame: „Mein lieber Jean, ich freuemich, dass Sie nun zu unserem Kritikerteamgehören, aber bitte bedenken Sie, dass Siemit nur einer Kritik, in der Sie harsche Worteverwenden, die Karriere eines Künstlers oder<strong>Architekten</strong> ruinieren können.“Ich lese auch viel Architekturkritik im englischen Original und stelledabei immer wieder fest, wie anders, sozusagen freier die Angelsachsenschreiben. Peter Davey, eine große Figur der internationalenArchitekturkritik, langjähriger Leiter der Architectural Review inLondon, hat kürzlich die Werkmonographie eines finnischen Büroseingeleitet. Darauf folgte der Text einer finnischen Wissenschaftlerin,und im Vergleich konnte man die Unterschiede unmittelbar erkennen.Das hängt vermutlich auch mit der Sprache selbst zusammen.Ich will zu den nationalen Unterschieden noch ein anderesBeispiel geben: In der italienischen Kritik wird nicht selten auf sehrschwelgerische, ja teilweise lobhudelnde Art und Weise über dieHintergründe und den Überbau eines Entwurfs gesprochen.Wir Leser fordern Kritiken mit Unterhaltungswert. Wieviel Unterhaltungswertmuss oder darf Kritik haben?Auch wenn wir eine Theaterkritik lesen, möchten wir ja nichtnur informiert werden und eine Wertung erhalten. Wir möchtenauch unterhalten werden. Gerhard Stadelmeier zum Beispiel, derTheaterkritiker der FAZ, der nicht immer so schreibt, wie ich es fürrichtig hielte, unterhält mich. Den lese ich deshalb trotzdem gern.Es gibt Kritiken von Joachim Kaiser über Musik, die den Leser sozusagenim Sprachfluss mitgezogen haben. Ob man seiner Meinungbeipflichtete, dass etwa das Adagio richtig ausgeführt wurde, spieltdann keine Rolle. Ich frage mich schon, warum man sich das nichtbei der Architekturkritik traut. Was es allerdings nicht geben darf,sind Gags, genauso wenig, wie nach meiner Auffassung Gags inder Architektur selbst erlaubt sind. Ich will noch ein positives Bei-Auch der Unterhaltungswert hat seine Tücken.Es gibt, insbesondere in der Feuilltonkritik,einen gerne gebrauchten Duktus, derdie Dinge, über die gesprochen wird, in einemamüsant ironischen Ton an den Leser zubringen versucht. Manchmal kommt einembei diesem Tonfall der Ambiguität der Verdacht,dass der Autor seine Thesen nur zurProbe lanciert, um sie gegebenenfalls gleichwieder einzukassieren und beim nächstenMal das Gegenteil zu behaupten. Unterstellt,dass Ernsthaftigkeit ein wesentliches Fundamentoder gar der Kern der Kritik sei, kanneine Kritik dieses ambiguen Tons noch ernstgenommen werden?Ich finde, es existiert ein wunderbares Gegenstückzur deutschen Feuilletonkritik unsererTage – Dorothy Parker, die New Yorker Literatur-und Theaterkritikerin der 1920er Jahre.Ihre Kritik ist ebenso messerscharf schneidendwie treffend, und man hat nie den Eindruck,dass sie auch nur ein Wort zurücknehmenwürde. Ein Beispiel ihrer unglaublichen Frechheiten– Kathrin Hepburn beherrscht die Skalader Gefühle von A bis B. Ist das ein angelsächsischesPhänomen, das in Deutschland nichtwiederholbar ist, oder fehlen uns einfach dieentsprechend veranlagten Kritiker?Architekturkritiker kommen aus den unterschiedlichsten Randbereichen,die mit Architektur verbunden sind. Manche haben eineArchitekturausbildung, andere sind Kunsthistoriker etc. WolfgangBachmann hat sich einmal verwundert gezeigt, warum nicht mehrarchitektonische Laien der schreibenden Zunft sich der Architekturkritikannehmen würden. Wäre das eine echte Bereicherungoder doch nur die Verbreitung laienhafter Vorurteile? Ich denke dabeispielsweise an den Artikel von Martin Mosebach in der FAZ undseine Wirkung.Verheerend!Aber gut geschrieben!30 31


Hier kommt die Lust des Germanisten an derprovozierenden Sprache zum Ausdruck. Dabeifällt ihm jedoch nicht auf, dass er ein architektonischesVorbild für die Gegenwart formuliert,das spätestens im frühen 20. Jahrhundert,etwa mit der Prinzregentenzeit hier inMünchen, als großbürgerliches Wohnen anein Ende gekommen war. Er vergisst auch völligden ganzen sozialen Aspekt. Es gab dochdie Mietskasernenstädte neben und im Gegensatzzu den prächtigen Bürgerhäusern.Dieser Aufsatz war ein unsägliches Stück.Übigens, was heißt Vorurteile von Laien? Gehenetwa manche Kritiker nicht mit Vorurteilenans Werk? Da sagt der Eine zum Beispiel:ach, schon wieder diese Vorarlberger Lattenästhetik,und der Andere hasst einfach Stahlglasfassaden.Wenn Sie eine Reihe von Kritikernauf einem Podium nebeneinander setzenwürden, dann wären Sie überrascht, was daalles an Vorurteilen zum Vorschein käme.Was halten Sie denn für eine gute Herkunftfür den Beruf des Kritikers?Viele, die eine Ingenieurausbildung gemachthaben und zunächst nicht für das Schreibenprädestiniert schienen, respektiere ichaußerordentlich, weil sie über das Fachlichehinaus, das sie beherrschen, im Hinblick auf städtebauliche Kultur,soziale Ausrichtung von Aufgaben und so weiter einen klaren Blickbewiesen haben. Zur zweiten Gruppe gehören jene, die aus denSozialwissenschaften kommen und eine kulturelle Leidenschaftmitgebracht haben. Denen fühle ich mich zugehörig. Bei Kunsthistorikernwäre ich schon vorsichtiger. Da ist mir bei vielen zu vielFormalismus im Spiel, da wird vieles zu sehr nach formalen Kriterienbeurteilt.„Ich fordere: Weg mit der sprachlichen und intellektuellen Elite!Das Publikum will geführt werden, also rein in den Alltag desKleinen und ahnungsvoll Unbedeutenden. Auch das ist Kultur.“ EinZitat von Woizek Cjaza und ein Credo, das auch von Ihnen stammenkönnte?Das ist mir zu polemisch, doch eine richtige Richtung steckt darin.Die Bildungshuberei, die wir teilweise in der Architekturkritik finden,halte ich für kontraproduktiv. Ich denke da an einen früherenDirektor des Deutschen Architekturmuseums, den wir als Autor im„Baumeister“ hatten. Ehe er in einer Besprechung zum eigentlichenBauwerk vorgestoßen ist, hat er erst einmal seine gesammelteKenntnis der europäischen Architekturgeschichte ausgebreitet.Wird die klassische Kritik, wie Sie sie vertreten, langfristig überlebenkönnen?Ja, wenn die Kritik möglichst nahe am Menschen bleibt oder nochnäher zu ihm kommt. Wenn sie aber meint, sie könne sich im sogenannten Elitismus bewegen, wird der Kreisder Leser immer kleiner werden. Was mir fehltist, dass in den unglaublich einflussreichen,mit teilweise größerer Auflage als die bekanntengroßen Tageszeitungen ausgestattetenRegionalzeitungen die Kritik zur Architekturam eigenen Ort, in der eigenen Stadt, in dereigenen Region so gut wie nicht stattfindet.Dort müsste die Kritik beginnen.Worauf sind Sie als Kritiker besonders stolz?Stolz wäre der falsche Ausdruck. Ich empfindeaber eine Befriedigung, wenn ich mithelfenkann, dass ein bis dato über enge Fachkreisehinaus nicht bekanntes Büro den Bekanntheitsgraderlangt, der ihm aufgrund seinerarchitektonischen Leistungen zusteht.Haben Sie noch einen abschließendenWunsch, den Sie loswerden möchten?Ja, ganz dringend wünsche ich mir, dass ichnicht jeden Monat in mehr oder minder allenFachzeitschriften den gleichen internationalenBrei sehen muss. Dieser globale Brei langweiltnicht nur, sondern nimmt auch anderen denbegrenzten Publikationsplatz weg. Ein Beispielgeben die Skandinavier: Wenn ich die Zeitschriften aus Norwegen,Dänemark, Schweden und Finnland aufschlage, dann weiß ich,dass es um neue Architektur in genau diesen Ländern geht. Dasgibt diesen Zeitschriften ein Profil, das unverwechselbar ist.Das Gespräch führte Michael Gebhard.32 33


VOM BAUENSTADT, LAND, EINFLUSS: DIEPOLITISCHE BEDEUTUNG VONHAUPTSTÄDTENCornelius TafelDas Präfix „Haupt-“ ist ein Synonym für „dasWichtigste“. In dem Sinne sprechen wir voneiner Haupt-Sache, einem Haupt-Eingang, einemHaupt-Bahnhof. Die in den romanischenSprachen verwendete (und ältere) Form desBegriffs Haupt-Stadt, nämlich „Kapitale“ (voncaput: das Haupt), weist aber darauf hin, dassin diesem Falle das Wort „Haupt“ (im Sinnevon Kopf) durchaus wörtlich zu verstehen ist(anders als etwa beim Bahnhof: Kopf- undHauptbahnhof sind keine Synonyme). AlsSitz der Regierung ist die Hauptstadt also derpolitische Kopf eines Landes. Es liegt nahezu vermuten, dass beides zusammenfällt: die35


wichtigste Stadt eines Landes ist auch der Regierungssitz. In vielenFällen ist das tatsächlich so: London oder Paris, Madrid, Warschauoder Prag, Buenos Aires oder Tokio sind die bedeutendsten Metropolenihrer Länder und auch deren Hauptstädte.Hauptstadt = Haupt-Stadt?Auffällig häufig sind jedoch eben nicht die großen MetropolenHauptstädte. Bern und Den Haag sind Regierungssitze, die anwirtschaftlicher Bedeutung hinter den Metropolen Zürich oderAmsterdam zurückstehen; ähnliches gilt für Washington D.C., Canberraoder Brasilia. Um in der Körperanalogie zu bleiben: Wie beimmenschlichen Körper können auch bei den Staaten die wichtigstenFunktionen (Herz, Lunge, Magen, Gehirn) auf verschiedene Zentrenverteilt sein (Wirtschafts-, Handels-, politische und kulturelleZentren); nicht zwingend ist eine Finanzmetropole wie Frankfurtauch von gleichem politischem Gewicht. Im Licht dieser Analogie,aber ohne systematischen Zwang, sind im Folgenden verschiedeneMöglichkeiten des Zusammenhangs von Haupt-Stadt und Staat,von Kopf und Körper aufgezeigt. Dieser Ansatz hat Tradition;bereits die Physiokraten des 18. Jahrhunderts veranschaulichtenihre Theorien über das Funktionieren eines Staates anhand einerAnalogie mit dem menschlichen Körper. Beginnen wir zunächst mitden Staatsformen, bei denen eine feste Hauptstadt (noch) nichtexistiert.Der wandernde KopfIn der Moderne sind nicht nur feste Staatsgrenzen,sondern auch feste Orte für den Regierungssitzdie Regel. Für nomadische Kulturengilt dies naturgemäß nicht: Die ungeheuredynamische Kraft solcher Kulturen bestehtauch darin, dass das Machtzentrum immer anden Ort des politischen, zumeist militärischenGeschehens mitwandert; das gilt für AttilasHunnen ebenso wie für die Mongolen DschingisKhans. Die infrastrukturellen Mängel desmittelalterlichen deutschen Königtums machteneine Hofhaltung notwendig, die, mit nichtganz der gleichen Beweglichkeit, ebenfalls zurständigen Verlagerung des Machtzentrumsvon Pfalz zu Pfalz führte. Dies führte zu einerwechselnden Fokussierung der Politik, die inmodernen Staaten in diesem Ausmaß undenkbarwäre. Im Extremfall führte diese Strukturfahrender Politik zur Anarchie in den vomjeweiligen Zentrum ferneren Reichsteilen.Der Kopf da, wo sonst nichts ist:Washington, Canberra, BrasiliaIn vielen Fällen ist der Festlegung einerHauptstadt ein längeres politisches Geschehenvorangegangen. Washington als Stadtneu-gründung im eigens dafür eingerichteten District of Columbia botdie Möglichkeit, an (seinerzeit) zentraler Stelle und ohne Rücksichtauf bestehende Strukturen eine Kapitale in großem Maßstab zu errichten;zugleich konnten damit die Ansprüche konkurrierender bestehenderMetropolen (etwa Boston, New York oder Philadelphia)zurückgedrängt werden. Ähnliches gilt für Canberra, dessen Wahlzur Hauptstadt eine Entscheidung zwischen Sidney und Melbournevermied. Darüber hinaus sollte in diesen beiden Fällen die Hauptstadteben nur Regierungssitz sein und nicht anderen Einflüssen,etwa durch wirtschaftliche oder lokale politische Machtfaktorenunterliegen. Lobbyismus in den Hauptstädten auf diese Weise zuunterbinden, ist allerdings ein frommer Wunsch geblieben. Auchdie Gründung von Brasilia mitten im Urwald ist einem utopischenKonzept von Modernität und Unabhängigkeit der herrschendenpolitischen Klasse geschuldet.Der Kopf in der Mitte: Washington, BernBei Ländern mit heterogenem Staatsgebiet, wie etwa Belgienoder der Schweiz, liegen die Hauptstädte an der Nahtstelle unterschiedlicherLandesteile. Auch hier ist Washington mit seiner Lagezwischen den Nord- und Südstaaten ein Beispiel. Und Bern liegtnahe genug an der französischen Schweiz, um wenigstens diesenLandesteil neben der deutschsprachigen Schweiz zufrieden zustellen (wenn auch nicht die rätoromanischen oder italienischenLandesteile). Ähnliche Überlegungen führten, diesmal bei einemStaatenbund, zu Straßburg als Sitz des Europäischen Parlaments.Die Stadt liegt zwar auf französischem Staatsgebiet, aber dochnahe an Deutschland. Historisch immer wieder umkämpft, ist sieheute Symbol für den Brückenschlag zwischenden beiden Ländern.Der Kopf am Rand der Metropole:VersaillesWährend diese Beispiele Bedürfnissen derVölker Rechnung tragen, sind Hauptstädtean der Peripherie eher Ausdruck der Angstder Herrschenden vor der politischen Kraftder städtischen Bevölkerung. Bei LudwigXIV. führte sein Jugendtrauma, Aufständein Paris und die Rebellion des Hochadels,zur Einrichtung seines Regierungssitzes zwarnahe der Metropole, aber außerhalb von ihrin Versailles. Historisch gesehen zu Recht: DieGeschichte Frankreichs hat sich immer in Parisund zumeist unter Mitwirkung der städtischenMassen entschieden. Nach der Einberufungder Generalstände 1789 kehrte die Regierungnach Paris zurück. Angst vor dem Druck derStrasse spielt bei vielen Hauptstadtplanungeneine Rolle. Nachdem Paris als Hauptstadt aufDauer nicht zu verhindern war, versuchte BaronHaussmann im Zweiten Kaiserreich durchradikalen Stadtumbau die Stadt zu zähmen:Erfolglos, wie sich schon sehr bald beim Aufstandder Kommune 1871 zeigte. Bereits inder römischen Antike waren die hauptstäd-36 37


tischen Massen ein Machtfaktor, der durch Getreidelieferungenund Feiertage bei Laune gehalten werden musste. Dies fand seineFortsetzung in Byzanz, wo die so genannten Zirkusparteien (alsoeigentlich Sport-Fanclubs) zugleich politische Parteien waren underheblichen Einfluss auf die Politik des Reiches ausübten.Der versetzte Kopf: KonstantinopelDamit sind wir bei einem bemerkenswerten Beispiel, der Verlagerungeiner Hauptstadt „bei laufendem Betrieb“. Der Regierungsumzugnach Byzanz durch Kaiser Konstantin trug der ErfahrungRechnung, dass das Römische Reich von Rom aus nicht mehr zuregieren war; dem vorausgegangen waren Experimente Diokletiansmit verschiedenen Reichsaufteilungen und dem entsprechendenTeilhauptstädten. Eine Verlagerung der Hauptstadt an den Bosporushatte für das Römische Reich weitreichende Folgen: dieOsthälfte Roms blieb länger lebensfähig, der Westen ging in derVölkerwanderung unter. Der Umzug nach Konstantinopel war eineRochade, die das Matt des Römischen Reiches um ein Jahrtausendverzögerte.Der ausgetauschte Körper: IstanbulDie geographisch exzellente Lage der Stadt Konstantinopel undihre großzügige Infrastruktur führten dazu, dass sie nach Belagerungund Fall im Jahr 1453 ihre Bedeutung nicht verlor, sondernvielmehr erneuerte und nun dem Osmanischen Reich als Hauptstadtdiente. Erst mit dem Verzicht auf die Hegemonialansprüchedes Osmanischen Reiches und nach einem politischenSystemwechsel musste sie diese Rollean Ankara abgeben. Paradoxerweise gewannund verlor Byzanz-Konstantinopel-Istanbulsomit die Hauptstadtrolle jeweils während derDauer eines Reiches und behielt sie, als dieReiche wechselten. Solchen Systemwechselnbei gleichbleibendem Staatsgebiet verdanktauch St. Petersburg seine Entstehung, seineHauptstadtrolle und deren Verlust. Zar Peter I.demonstrierte mit dieser Neugründung seineÖffnung zum Meer und zum Westen. Die(vorläufige) Rückbesinnung auf Russlands Autarkieführte zur Rückführung der Hauptstadtnach Moskau. Und ähnlich wie Byzanz mussteauch St. Petersburg in seiner vergleichsweisejungen Geschichte mehrere Namenswechsel(Petrograd, Leningrad, dann wieder Petersburg)über sich ergehen lassen.Ewige Stadt, wechselnder Körper: RomWenn von Hauptstädten die Rede ist, kannauch bei oberflächlicher Betrachtung (wiedieser) eine nicht fehlen: Rom hat sich (oderwurde) immer wieder neu erfunden als Stadtstaat,als Hauptstadt der Römischen Republikund des Kaiserreichs, als Sitz des Bischofsvon Rom, als Hauptstadt der Päpste und alsHauptstadt des modernen Italien. Zu groß warwohl das historische Gewicht der Stadt, alsdass nach dem Risorgimento andere Städte,wie etwa das kulturell und wirtschaftlich starkeMailand eine Chance gehabt hätten. Ähnlichwie bei Washington oder Bern bietet seinezentrale Lage einen Ausgleich zwischen denGeltungsansprüchen Nord- und Süditaliens.Immer wieder aufs Neue belebt, konnte dieStadt so auch Niederlagen hinnehmen, die fürandere Städte das Ende bedeutet hätten, wieetwa der bereits genannte Umzug Konstantinsnach Byzanz.Kopf ohne Körper: WienKonstantinopel kann für vieles als Beispielherhalten, so auch als Hauptstadt, die ihrenStaats-Körper verliert. Über ein Jahrtausendschrumpfte das Staatsgebiet des ByzantinischenReiches; 1453 umfasste es fast nurnoch die Stadt selbst. Ähnliches erlebte Wien,das auch nach dem Verlust der deutschen Kaiserkronenoch Zentrum eines grossen Vielvölkerstaatesblieb, bis dieses Reichsgebiet 1919schlagartig auf die Größe eines Kleinstaatesreduziert wurde. Als eine von ganzen wenigenMetropolen schrumpfte Wien nach demErsten Weltkrieg dramatisch; es verlor fast einDrittel seiner Einwohnerzahl. Bis heute ist das Missverhältnis zwischenimperialem Anspruch und relativer politischer Bedeutungslosigkeitzu spüren. Zugleich ergeben sich aus dieser neutralen Lagezwischen größeren Kraftzentren Chancen, wie sich am Sitz zahlreicherinternationaler Organisationen in Wien zeigt.Körper ohne Kopf: BonnNach verschiedenen Lokalisierungen des „Kopfes“ für ein Land,nach „wechselnden Köpfen“ und wechselnden Staatskörpernmüssen wir abschließend einen weiteren Sonderfall bedenken: denStaatskörper, dem der Kopf fehlt. Damit sind wir bei der Ausgangslagefür die Gründung der <strong>Bund</strong>esrepublik 1949. Dem aus drei vonvier Besatzungszonen hervorgegangenen Staat war die Hauptstadtabhanden gekommen; ein Staat, dessen Zukunft und Stabilität ungewisswaren. Wie um die Demontage des alten Staates perfekt zumachen, war nicht nur der Staatskörper, sondern auch der Staatskopf,die ehemalige Hauptstadt, „gevierteilt“.Die Selbstbescheidung und der provisorische Charakter der jungenRepublik hätte keinen deutlicheren Ausdruck finden können als inder Wahl Bonns zur <strong>Bund</strong>eshauptstadt. Die Lage am Rhein veranschaulichteWestausrichtung, die Kleinheit der Stadt Abkehr vonGroßmachtträumen (und die Verdrängung der neueren Geschichte),die Adaption bestehender Gebäude Bescheidenheit und dieEinrichtung im Vorläufigen. Die <strong>Bund</strong>esrepublik wählte sich mitAbsicht einen auf Dauer viel zu kleinen Kopf.38 39


Die wiedergewonnene Hauptstadt: Berlin(West)Deutschland richtete sich so sehr einin Bonn, dass die durch Wiedervereinigungmögliche Rückverlegung nach Berlin keineswegsselbstverständlich war und nur durchein knappes Abstimmungsergebnis bestätigtwurde: In Berlin muss sich der neue deutscheStaat in ganz anderer Art und ganz anderemUmfang seiner internationalen Verantwortungund auch seiner Geschichte stellen. Dass mitBerlin als Hauptstadt die Bedeutung der neuen<strong>Bund</strong>esländer und die Notwendigkeit derIntegration beider zuvor getrennter Staatsteilegewürdigt wurden, ist naheliegend. Zu fragenwäre jedoch, inwieweit sich die deutschePolitik auch sonst verändert hat. Die stärkereinternationale Beteiligung Deutschlands, auchdie militärische, setzt etwa zeitgleich mit demRegierungsumzug ein (nicht etwa mit derWiedervereinigung). Wer beobachtet, wie sichBerlin als Regierungssitz repräsentiert, geradeauch architektonisch, wird einen solchenZusammenhang nicht nur für ein zufälligeszeitliches Zusammentreffen halten.Fazit: Wo der Kopf sitzt, ist obenLage, Größe und Bedeutung einer Hauptstadt bilden nicht nur dasSelbstverständnis eines Staates ab, sie sind auch wesentliche Faktorenfür die Politik. Selbst in einer Zeit, in der durch mediale Vernetzungdie Orte für politische Entscheidungen scheinbar unwichtigwerden, spielt die Hauptstadt eines Landes eine zentrale Rollefür die Politik. In Berlin wird anders regiert als in Bonn, in Ankaraanders als in Istanbul. Es ist nicht nur wichtig, wer regiert, sondernauch, wo regiert wird. Wo der Kopf sitzt, ist oben.KRITISCHE GESCHICHTSAUF-FASSUNG UND KULTURELLESGEDÄCHTNIS – DIE ARCHITEK-TONISCHE MODERNE UND IHRVERHÄLTNIS ZUR GESCHICHTECornelius TafelTeil 2: Die architektonische Moderne undihr Umgang mit der GeschichteExemplarisch für diese Form des kritischenUmgangs mit der Geschichte ist beispielsweiseLe Corbusiers Plan Voisin, mit dem er imFalle einer Realisierung weite Teile des dichtbebauten Stadtzentrums von Paris für eineBebauung von Wolkenkratzern inmitten einerparkähnlich angelegten Freifläche geopferthätte. Der radikale Gestus dieses Projektes istunübersehbar. Um Luft, Licht, Besonnung zuschaffen, wird die Vergangenheit „zerbrochenund aufgelöst“. Sie wird „verurteilt“, wie beispielsweiseaus dem nachfolgenden Zitat aus„Vers une architecture“ hervorgeht: „Der alteGesetzeskodex der Architektur, der im Verlaufvon vierzig Jahrhunderten immer wieder mitneuen Artikeln überlastet wurde, geht unsnichts mehr an. Die Umwertung aller Wertehat stattgefunden: der Begriff Architektur hatseine Revolution hinter sich.“Mit den „neuen Artikeln“, die den überlebten „alten Gesetzeskodexder Architektur“ überlasten, sind die tradierten Schmuckformenund die Regeln für ihre Anwendung in den historischen Stilengemeint. Die „Revolution in der Architektur“, von der Le Corbusierspricht, entsorgt all diese Form- und Schmuckelemente rückstandslos.Mit dem Zitat von der „Umwertung aller Werte“ bezieht sichLe Corbusier hier selbst auf Nietzsche, wenn auch nur mit einempopulären Schlagwort.Hatte noch Semper das Schmücken anthropologisch begründet– „Das Schmücken gehört zu den Privilegien des Menschen. Esist der erste und bedeutsamste Schritt zur Kunst.“ – und sich aufden Zusammenhang von Schmuckfreude und der Entstehung vonKultur in der Frühgeschichte des Menschen bezogen, so kehrtAdolf Loos ein halbes Jahrhundert später diesen Begründungszusammenhangum: Primitive Kulturen brauchen den Schmuck, fürdie moderne Kultur ist er dagegen überflüssig und damit schädlich:„ornamentlosigkeit ist ein zeichen geistiger kraft.“Die völlige Absage an historische Referenzen reinigt die Architekturvon überlebten Formen, führt aber zu einer drastischenReduzierung des Formenapparats. Siegfried Kracauer, der dieEntwicklung der modernen Architektur mit kritischer Sympathieverfolgt, schreibt am 31. Juli 1927 in der Frankfurter Zeitung überdie Werkbundausstellung in Stuttgart: „Wahrscheinlich sind dieneuen Häuser Reste, das heißt, zeitgemäße konstruktive Fügungender von schlechtem Überfluss gereinigten Elemente. Aber es wäregut, wenn aus ihnen die Trauer über die Entsagung spräche, die sieüben müssen. Denn die Hausgerippe sind nicht Selbstzweck, sondernDurchgang zu einer Fülle, die keiner Abzüge mehr bedarf.“40 41


Die von Kracauer geäußerte Hoffnung aufeinen neuen Reichtum architektonischerGestaltung hat sich nicht erfüllt. Der spätereÜberdruss an der Moderne resultiert nichtzuletzt aus ihrer Bilderarmut, dem Fehlen vonsymbolischen Formen. Ernst Bloch hat bereitszu einem frühen Zeitpunkt die Erstarrung derModerne in formaler Askese beklagt: „Seitüber einer Generation stehen darum diesesStahlmöbel-, Betonkuben-, Flachdach-Wesengeschichtslos dar, hochmodern und langweilig,scheinbar kühn und echt trivial, voll Hassgegen die Floskel angeblich jedes Ornamentsund doch mehr im Schema festgerannt als jeeine Stilkopie im schlimmen 19. Jahrhundert.“(Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung, AusgabeFrankfurt/Main 1973) Die kritische Geschichtsauffassungder Moderne lässt weder einenlegitimen Rückgriff auf die Geschichte zu,noch ermöglicht sie die Bildung einer neuenTradition.Zugleich sind die Formen der Vergangenheit,wenn auch ohne Relevanz für die Gegenwart,immer noch präsent. Sie hinterlassen tausendSpuren im Alltag, sei es als Firmenzeichen, aufReiseprospekten, auf Geldscheinen etc. undin den Bildern der Sprache – die Architekturder historischen Epochen und ihre Formenweltsind ein wesentlicher Teil unseres kulturel-len Gedächtnisses. In den Worten von Jan Assmann: „KulturellesGedächtnis bezeichnet die Tradition in uns, die über Generationen,in jahrhunderte-, ja teilweise jahrtausendelanger Wiederholung gehärtetenTexte, Bilder und Riten, die unser Zeit- und Geschichtsbewusstsein,unser Selbst- und Weltbild prägen.“ Dazu zählen auchund nicht zuletzt die architektonischen Bilder.So befindet sich die architektonische Moderne in einem Zwiespaltzwischen jenem, für sie konstitutiven kritischen Verhältnis zurGeschichte, das Nietzsche beschrieben hat und seinen zugespitztenAusdruck in dem zuvor zitierten Text von Corbusier findet, undjenem kulturellen Gedächtnis, das den nicht zu leugnenden Erinnerungshintergrundfür die Wahrnehmung von Architektur bildet.Und noch einmal Nietzsche, der genau auch diese Gefährdungfür die kritische Geschichtsauffassung vorausgesehen hat: „Es istimmer ein gefährlicher, nämlich für das Leben selbst gefährlicherProzeß: und Menschen oder Zeiten, die auf diese Weise dem Lebendienen, daß sie eine Vergangenheit richten und vernichten, sindimmer gefährliche und gefährdete Zeiten und Menschen. .... Wennwir jene Verirrungen verurteilen, so ist die Tatsache nicht beseitigt,daß wir aus ihnen herstammen.“Die symbolischen Formen vergangener Epochen befriedigen einBedürfnis nach Bildern, nach visueller Information, nach Identifikation,dem die Moderne nicht genügen kann. Die architektonischePostmoderne stellt den Versuch dar, diesem Bedürfnis durchden Rückgriff auf die Geschichte dennoch zu entsprechen. Dereigentlich reaktionäre Akt eines neuerlichen Historismus wird inder ideologischen Verkrustung der spätmodernen Architektur zumrevolutionären Tabubruch. Der Widerspruch, dass damit für dieGegenwart nicht mehr relevante Formelemente reaktiviert werden,wird auf diese Weise nicht ausgeräumt.„Die Frage ist nun, wie sich die kulturelle Erinnerung in der gegenwärtigenArchitektur äußern kann. Sie kann es nicht, indemsie auf den Eklektizismus zurückgreift. Architektur ist eine Formvon Kenntnis durch Erfahrung. Es ist aber dieses Element innererKenntnis, das heute fehlt. Es ist bloß die Vergangenheit als Vergangenheit– the pastness of the past – die nun evoziert wird.“ (AlanColquhoun, Historismus, in archithese 4/1986, S. 20ff) Wie lässtsich der Zwiespalt zwischen dem Bedürfnis nach Bauschmuck undsymbolischen Formen einerseits und der asketischen Bildlosigkeitder Moderne andererseits auflösen?Robert Venturi ist in den 1960er Jahren einer der ersten modernen<strong>Architekten</strong>, der historische Zitate in seine Entwürfe integriert. SeinHanna House ist ein postmoderner Bau avant la lettre. Der Eingangdes Hauses wird von einem Bogenmotiv bekrönt, das ganz offensichtlichnachträglich appliziert wurde und zudem einen Betonsturzüberschneidet, der sich ebenfalls oberhalb der Türöffnung befindet.Beide Motive schließen einander eigentlich aus; jedes für sichwürde genügen, den oberen Abschluss der Eingangssituation zubilden. Die Botschaft ist deutlich: Hier geht es um ein intellektuellesSpiel mit Architekturmotiven, nicht um die Veranschaulichung vonKonstruktion im Sinne der klassischen Moderne. Die Eingangssituationist gleichsam eine Illustration zu Venturis Erfolgstitel „Complexityand Contradiction in Architecture“. Anders als manche naivpostmodernen<strong>Architekten</strong> trägt Venturi der Unwiederbringlichkeitder klassischen Architektur durch die Ironie Rechnung, mit der erihre Motive anwendet. Ironie ist ein seit der literarischen Romantikgeläufiges Stilmittel der Distanzierung. Siewird, wenn auch selten in der Qualität wiebei Venturi, zu einem der Leitmotive in derArchitekturdebatte der Postmoderne. Zugleichenthält Venturis Umgang mit den historischenMotiven einen echten Bezug zur Architekturgeschichte:Die bewusste Regelverletzung,die sich in der sinnwidrigen Überschneidungbeider Motive äußert, ist ein Rückgriff auf Entwurfsstrategiendes Manierismus, wie sie sichbeispielsweise am Palazzo del Te in Mantuafinden lassen.In der post-postmodernen Moderne verschwindendie historischen Zitate und Bezügeso schnell aus dem architektonischen Repertoire,wie sie hineingeraten sind. Es bleibt aberein gelockerter Umgang mit den Dogmen derarchitektonischen Moderne; dies gilt insbesonderefür das Verhältnis zum Ornament. ZweiBeispiele aus dem Werk des Münchener ArchitekturbürosHild & K können dies veranschaulichen.Das erste, ein äußerst kleines Objekt inLandshut, besteht im Wesentlichen aus einemgekanteten Cortenstahlblech. Um Möglichkeitendes Durchblicks zu schaffen und dasGewicht des Blechs zu reduzieren, wurde ausdem Blech ein florales Motiv ausgeschnitten,das einem Musterbuch aus dem 19. Jahrhundertentnommen wurde. Bemerkenswert ist42 43


die Begründung für die Wahl des Motivs: statisch und konstruktivsei die Form des Ausschnitts beliebig gewesen, und es sei nun einmalnichts beliebiger als das Ornament. Die <strong>Architekten</strong> bedienensich mit einer bis dato seltenen Unbefangenheit des historischenMotivs und des von ihm ausgehenden ästhetischen Reizes, ohneihm eine über diesen Reiz hinausgehende Bedeutung zuzubilligen.Bei der Sanierung eines Gründerzeithauses in Berlin wünschte dieBauherrschaft die Wiederherstellung der nach dem Krieg nichtwieder rekonstruierten Fassade. Als Vorlage diente eine historischeFassadenzeichnung. Die <strong>Architekten</strong> ließen diese Zeichnungeinschließlich aller Schraffuren auf Kunststoff-Dämmelementeübertragen und der Fassade applizieren. Die dem Vernehmen nachzufriedene Bauherrschaft bekam also nicht eine Rekonstruktion derFassade, sondern das applizierte Bild der Fassade.In beiden Fällen findet ein raffiniert-distanzierendes, ja ironischesSpiel mit historischen Formen statt, die ihrerseits dem Historismusdes 19. Jahrhunderts entstammen und damit bereits eine Transformationvon Bedeutungsträgern eines historischen Stils hin zueklektizistischen Versatzstücken durchlaufen haben. Ähnlich wiebei Venturi und Stirling vierzig Jahre zuvor findet Geschichte in denEntwurf nur als Zitat und ironisches Spiel Eingang.Auch in der Spätmoderne ist ein „monumentalischer“ Umgang mitder Geschichte nicht möglich. Die Architektur der Moderne bewegtsich weiterhin in ungelöster Spannung zwischen „kritischer“ Geschichtsauffassungund kulturellem Gedächtnis.SIEBEN FRAGEN ANINGRID BURGSTALLER1. Warum haben Sie Architektur studiert?Es begann mit einem kindlichen Erfolgserlebnis:Mit Acht habe ich den ersten Entwurfzum geplanten häuslichen Dachausbau gezeichnet.Ich vermute auf Basis der Gesprächemeiner Eltern. Es wurde dann genau so!Später konnte ich trotz der Warnungen vordiesem Beruf keine für mich besser passendenAlternativen finden.2. Welches Vorbild haben Sie?Persönlichkeiten, die wissen, wie es um dieWelt bestellt ist und trotzdem nicht aufgeben,an eine bessere glauben zu wollen und daranaktiv arbeiten.3. Was war Ihre größte Niederlage?Frei nach Uwe Dick: „Fehler machen alle. Die Dummen immer wiederden Gleichen, die Gescheiten immer wieder einen Anderen.“Das findet er spannender. Ich auch.4. Was war Ihr größter Erfolg?Sich selbst immer wieder/immer noch aus dem Sumpf ziehen zukönnen.5. Was wäre Ihr Traumprojekt?Ein größeres komplexes Stück Stadt zu planen, dabei ein Schlüsselprojektbauen zu dürfen, in einem an der Sache konstruktivinteressierten Umfeld.6. Inwiefern haben sich Ihre Vorstellungen erfüllt?Mit 30 dachte ich, mein Horizont sei grenzenlos, mit 40 sah ichdessen Begrenzung, seitdem ich 50 bin, erkenne ich möglicheWege dorthin.7. Was erwarten Sie sich vom <strong>BDA</strong>?Eine Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen, die mich inspiriert.Ambitionierte und trotzdem solidarische Mitglieder, die umihre gesellschaftliche Verantwortung als <strong>Architekten</strong> und Stadtplanerwissen und dies nach außen glaubwürdig vermitteln. Ein Poolvon Kollegen, die ich jederzeit gerne treffen möchte.44 45


<strong>BDA</strong><strong>BDA</strong> WAHLSIEGER 2011Erwien WachterMit beachtlichen 11.009 Stimmen bestätigtendie Mitglieder der Bayerischen <strong>Architekten</strong>kammererneut die erfolgreiche Arbeit des<strong>BDA</strong> im Vorstand und in den Gremien sowieseine herausragende Bedeutung für den Berufsstand.Mit 38 Sitzen stellt der <strong>BDA</strong> Bayernwieder die stärkste Fraktion in der Vertreterversammlung.Mit dem guten Wahlergebniskommt nicht zuletzt auch das große Engagementdes <strong>BDA</strong> in den Regionen zum Ausdruck.Die Wahlbeteiligung von 46,61 Prozentzeigt entgegen der bundesweit sinkendenTeilnahmezahlen in allen anderen Länderkammernmit einem Plus von 2,04 Prozentgegenüber 2007 eine steigende Tendenz auf.Mit den drei Positionen Zusammenhalt stärktAkzeptanz, Wertschätzung bringt Wertschöpfungund Identität fördert Qualität hat der<strong>BDA</strong> Bayern seine Arbeitsschwerpunkte für diekommenden fünf Jahre definiert.In der konstituierenden Sitzung der Vertreterversammlungam 1. Juli 2011 wurden RudolfScherzer als 2. Vizepräsident sowie IngridBurgstaller, Karlheinz Beer und Volker Heidals Vorstandsmitglieder mit einem herausragendenStimmenanteil für ihr hervorragendesEngagement für den gesamten Berufsstandwiedergewählt. Unter dem Vorsitz des altenund neuen Präsidenten Lutz Heese, der in derKammerwahl im April mit einer bemerkenswertenStimmenanzahl von 1250 aufhorchenließ, gelten sie zusammen mit dem neuen1. Vorsitzenden Hans Dörr und den weiterenVorstandsmitgliedern Ursula Hochrein, KlausNeisser, Andreas von Fürstenberg sowie denneu gewählten Mitgliedern Alexander Schwabund Rainer Hilf als Garanten einer kontinuierlichenFortsetzung des Einsatzes für die Lösungbrennender Themen wie beispielsweiseVergabemodalitäten, auskömmliche Honorierungssicherungund Haftungsfragen. Es bleibtzu wünschen, dass sich in dieser erfahrenenGruppierung eine tragfähige Zukunftsvisionfür die gesamte <strong>Architekten</strong>schaft begründet.FESTLICHES IM HAUS DER ARCHITEKTURErwien WachterIn einem Festakt im Haus der Architektur wurde im April in Anwesenheitdes Bayerischen Innenministers, Joachim Herrmann, das40-jährige Bestehen der Bayerischen <strong>Architekten</strong>kammer gefeiert.Kontinuität ist eines ihrer Merkmale. Sie spiegelt sich nicht alleinin der Tatsache wider, dass bislang nur drei Präsidenten von derÄra Ernst Maria Lang (1971 bis 1991), über Peter Kaup (1991 bis2003) bis hin zum derzeit amtierenden Lutz Heese die Geschickeder Kammer führten, sondern auch darin, dass seit Gründung derKammer nur zwei Hauptgeschäftsführer mit Wolfgang Pöschl undnun Sabine Fischer ein stabiles Rückgrat bildeten. Eine beachtlicheLeistung angesichts verdreifachter Mitgliederzahl und wachsenderAufgaben durch veränderte Rahmenbedingungen.Ein Highlight des Festakts war die dritte Verleihung des BayerischenArchitekturpreises. Das Kuratorium unter Vorsitz von Günther Hoffmann,Ministerialdirektor im <strong>Bund</strong>esministerium für Verkehr, Bauund Stadtentwicklung, einigte sich auf drei Auszeichnungen. Diemit jeweils 10.000 EUR dotierten Preise gingen an arc-architektenmit Horst Biesterfeld, Manfred Brennecke und Thomas Richter – fürihr beispielhaftes Bauen im ländlichen Raum; an Nicola Borgmann –für die Entwicklung der Architekturgalerie München zu einemwichtigen Ausstellungsort der Gegenwartsarchitektur und an Prof.Dr.-Ing. Winfried Nerdinger für sein Engagement als Architekturhistorikerund Direktor des Architekturmuseums der TUM, das mitseinen fundierten Ausstellungen auch gesellschaftspolitisch relevanteThemen aufgreift. Nerdinger wurde dafür zusätzlich mit demBayerischen Staatspreis für Architektur ausgezeichnet.46 47


DER ARCHITEKT EINESLEUCHTTURMSZur „Ära Berschneider“ im <strong>BDA</strong> KreisverbandRegensburg-Niederbayern-OberpfalzWolfgang Jean StockSamstag, 30. Mai 2000: Eröffnung der Ausstellung„Aktuelle Architektur der Oberpfalz“im Reitstadel von Neumarkt. Die Einladunghatte uns neugierig gemacht, gerade deshalb,weil wir uns unter der angekündigtenArchitektur nichts Rechtes vorstellen konnten.Natürlich wussten wir, dass besondersin Regensburg tüchtige Büros tätig waren.Aber in der ganzen Oberpfalz? Die Vernissageder Ausstellung bot eine Überraschung.An einer Vielzahl von Beispielen konnte mansehen, dass eine große Region im baukulturellenAufbruch war. Und noch etwas spürteman: Hier verließen sich überwiegend jüngere<strong>Architekten</strong> nicht auf irgendwelche Förderungenvon außen, sondern auf die eigene Kraft.Wie kraftvoll diese Initiative von Anfang anwar, zeigte sich auch daran, dass zur Ausstellungein umfangreicher Katalog erschien, dersich hervorragend zur Werbung für die neueBaukultur eignete. Unser Bericht im Juli-Heftdes „Baumeister“ trug dann die Überschrift„Stolze Provinz“.Unter den vielen neuen Köpfen, die wir kennen lernen durften, wareiner sozusagen der Gastgeber: Johannes Berschneider, Architektin Pilsach bei Neumarkt. Inmitten seiner ebenso motiviertenKollegen sprühte er vor Ideen, wie sich der kulturbewusste Teilder Bevölkerung für eine anspruchsvolle Architektur gewinnenließe, vor allem aber private Bauherren und Investoren. NachdemBerschneider ein Jahr später zum Vorsitzenden des <strong>BDA</strong> Regensburg-Niederbayern-Oberpfalzgewählt worden war, ging es dannSchlag auf Schlag. Der Erste war die Vortragsreihe „Architektur +Baukultur“ in Neumarkt, die im Oktober 2001 begann und dannim Verlauf von zehn Jahren nicht weniger als 61 Veranstaltungenzählte. Außenstehenden war es anfangs ein Rätsel, wie es gelingenkonnte, auch europäische Prominenz in die mittelgroße Kreisstadtzu locken, darunter Klaus Kada aus Graz, Meinhard von Gerkanaus Hamburg und Luigi Snozzi aus Locarno.Warum, haben wir dann selbst erlebt, als wir einen Vortrag überdie moderne finnische Architektur innerhalb eines Jahres an vierOrten hielten: In der TU München war der Hörsaal gut besetzt,in Augsburg war das Publikum schon spärlicher, erst recht inKempten, doch in Neumarkt war der Reitstadel rappelvoll. Dabeihatten etliche Zuhörer eine lange Anfahrt hinter sich. 2004 war esBerschneider und seinem Team offensichtlich gelungen, die Aktivitätenregional zu vernetzen – von Tirschenreuth in der nördlichenOberpfalz über Weiden und Regensburg bis hin nach Landshut,Deggendorf und Passau.Als zweiter Schlag orientierte sich dann das Programm der „ArchitektOurbusse“bereits auf ganz Ostbayern. Sein wachsender Zuspruchlässt sich allein daran ablesen, dass von 2001 bis 2011 übervierzig Fahrten durchgeführt wurden, vorzugsweisein Neumarkt und Landshut. Damitaber nicht genug: Parallel zu den genanntenVeranstaltungen wurden Ausstellungen undFilme gezeigt, Bauherrentage und Podiumsdiskussionenabgehalten. Aber auch der <strong>BDA</strong>selbst kam nicht zu kurz. Um die Leistungenseiner Mitglieder in der Öffentlichkeit bekanntzu machen, wurde dreimal der RegionalpreisNiederbayern-Oberpfalz ausgelobt, dessenErgebnisse jeweils in einer Wanderausstellungdurch das Gebiet des Kreisverbands zusehen waren.Aus der zehnjährigen Erfolgsgeschichte desKreisverbands unter seinem VorsitzendenJohannes Berschneider lässt sich ein Fazitziehen: Anspruchsvolle, beispielhafte undzugleich praxistaugliche Architektur ist dieVoraussetzung – sie muss aber der Bevölkerungnahe gebracht werden, damit aus ihreine neue und auch gesellschaftlich akzeptierteBaukultur hervorgeht. Der Kreisverband hatgezeigt, wie das geht. Er hat auf dem Feldder Architekturvermittlung einen „Leuchtturm“errichtet, an dem sich andere orientierenkönnen.Ohne den tatkräftigen Einsatz seiner Kollegenschmälern zu wollen, darf man wohl sagen,dass dieser Leuchtturm einen <strong>Architekten</strong> hat: Johannes Berschneider.Wir gratulieren ihm zu seiner großen Leistung, die er zusammenmit seiner Ehefrau und Büropartnerin Gudrun erbracht hat,gerade deshalb, weil wir selber stets die These vertreten haben:„Baukultur ist machbar, Herr Nachbar!“48 49


BEINE STATT STEINETitus BernhardDas Drama um die fehlende Fassade des FCAugsburg-Stadions am südlichen Stadtrandvon Augsburg geht in die nächste Runde: eineChronologie der leeren Versprechungen undkommunalpolitischen Peinlichkeiten, die sichdie Stadt Augsburg und die Region eigentlichnicht mehr leisten können.Dabei begann das Stadionprojekt zunächstvielversprechend. Mit der Präsentation derWettbewerbsarbeiten im Frühjahr 2006 warenalle Beteiligten euphorisch, denn die Erkenntnis,dass Profi-Fußball nur bestehen kann,wenn man eine adäquate Spielstätte bietet,die mit besten Sichtlinien, guter Akustik,sicher im Betrieb und mediengerecht dasteht,bleibt unbestritten.Die Beauftragung unseres Entwurfs und derGeneralplanervertrag mit der HBM Sportstätten-GmbH,einer Tochter der Bam DeutschlandAG, lief zügig und die Zusammenarbeitklappte gut. Die Fassade war nicht Gegenstanddes GMP-Vertrages, sondern wurdeseparat vom FC Augsburg beauftragt. DerVerein zeigte zunächst auch keine Scheu, dieim Wettbewerb visualisierte Glasfassade ausseriellen, eingefärbten Profilit-Elementen zum Zwecke der Eigenwerbungund Außendarstellung fleißig in allerlei Printmedien zumissbrauchen. Dann hat er auf Zeit gespielt und bald wurde klar,dass ein wirkliches Interesse oder der tatsächliche politische Wille„pro Fassade“ nie existierte.Wir Planer wurden aufgefordert, den ermittelten Budget-Rahmenaus dem Wettbewerb zu halbieren, was nicht eine Vereinfachungdes bestehenden Konzeptes, sondern eine generelle Neuorientierungder Idee, der Konstruktion und der zu erzielenden Wahrnehmungim öffentlichen Raum bedeutete. Nach insgesamt fünfVorentwürfen mit unterschiedlichen Materialien und Strukturenwurde schließlich ein Geflecht aus insgesamt 36 km Alurohren,gleichsam einer Metapher „den Gegner einwickeln“, mit einer vonZumtobel mit uns neu entwickelten LED-Röhren-Beleuchtung imBaukunstbeirat befürwortet und mit Stadtratsbeschluss im Sommer2009 zur weiteren Realisierung freigegeben. Gebaut wurde nicht,die Unterschrift des Präsidenten fehlte.Hätte Walther Seinsch von Anfang seine Parole „Beine statt Steine“klar kommuniziert, hätten wir das Stadion anders geplant. DieTragik liegt ja gerade darin, dass alle Beteiligten dem Präsidentenmit seinem enormen Engagement und seiner gewaltigen finanziellenUnterstützung zu Dank verpflichtet sind. Ohne ihn würde derFC Augsburg noch in der 5. Liga spielen. Somit ist es eine Sachedes ganzheitlichen Verständnisses, die dem vermögenden ehemaligenKIK-Manager möglicherweise fehlt, um seinen FC Augsburg ineinem ebenso ganzheitlichen Licht erstrahlen zu lassen: die CorporateIdentity eines mittelständischen Betriebes drückt sich nicht nurim sportlichen Erfolg aus.Am Tag vor der Stadioneröffnung im Frühherbst 2009 schrieb dieSüddeutsche Zeitung im Untertitel: „innen hui – außen pfui“…Das fanden die Verantwortlichen im Verein nicht gut. Gemeint wardas halbfertige Stadion ohne Fassade, das irgendwie in die Reiheder Pleiten, Pech und Pannen größerer Bauvorhaben in Augsburgpasste und nichts mit dem aus dem Wettbewerb eingefordertenZeichen an der südlichen Stadteinfahrt neben der B17 zu tun hatte.Im Frühjahr und Sommer 2010 erschienen im DBZ SonderheftStadien und im Baumeister ausführliche Reportagen über dieImpuls-Arena mit viel Lob und Zuspruch bezüglich Funktion undAtmosphäre im Inneren. In dem Beitrag „Das nackte Stadion“ vonJochen Paul wurden Fans befragt, ob denn was fehle. Fazit: nur20 Prozent der FC Augsburg-Anhänger bemerken überhaupt, dassman an dem Betongerippe noch etwas „verbessern“ könne…, derSpielbetrieb funktioniere ja bestens.Der <strong>BDA</strong> Kreisverband Augsburg-Schwaben hatte sich eigeninitiativund vorbildlich in einem offenen und sehr kollegialen Briefim Oktober 2010 gegenüber der Stadtregierung und dem Vereinzur Außenwahrnehmung des Stadions geäußert und eindringlichdie Bedeutung eines medialen Werbeträgers für die Region angemahnt,nicht zuletzt auch in Hinblick auf die nun stattfindendeFußball-Frauen-WM 2011.Noch am Tag vor der Stadtratssitzung im Mai 2011 schrieb AngelaBachmair, Feuilletonistin der Augsburger Allgemeine Zeitung, einenklugen Artikel mit dem Titel „Hüllenlos – das passt nicht“. Auchdies vergebens!Mein Versuch, dem Oberbürgermeister wieauch Stadträten verschiedener Fraktionen inpersönlichen Telefonaten darzustellen, welchunglückliche Außenwahrnehmung nicht nurder Rohbau an sich vermittelt, sondern ebensodie Glaubwürdigkeit der Stadtverantwortlichenin Frage stellt, endete damit, dass derOberbürgermeister den seit einiger Zeit schonim Gespräch befindlichen Vorschlag lancierte,die Gebäudehülle doch gänzlich aus Solarbzw.Photovoltaikpaneelen zu erstellen. Dasmache sich grundsätzlich gut in der aktuellenEnergie-Debatte. Nur: das Gespräch wurde niemit uns geführt, die Investitionskosten hierfürwären auch bei großzügigem Sponsoring ausder freien Wirtschaft exorbitant, die statischeKonstruktion der Arena gibt solch eine Lösungnicht her und lediglich etwa ein Drittel derFlächen wären vom Wirkungsgrad bzgl. einerEnergiegewinnung überhaupt geeignet. DerRest müsste mit Fake-Paneelen bestückt werden,um ein einheitliches Bild zu erzeugen.Nun aber bekommt die Geschichte eine neuerlicheWendung: Der alte Namensgeber derArena, die Impuls Finanzdienstleistungs-AGwurde aus ihrem Acht-Jahres-Vertrag entlassenund durch die SGL Carbon ersetzt. DasStadion wird von nun an SGL-Arena heißen,und somit gibt es neue Impulse, mit einem zu-50 51


kunftsorientierten, aufstrebenden Unternehmen aus dem Landkreisdie Sache doch noch zu einem guten Ende zu führen.Jetzt haben sich die Stadträte fraktionsübergreifend von der Euphorieob des Aufstiegs des FC Augsburg in die 1. Fussball-<strong>Bund</strong>esligaüberrumpeln lassen und die Arena Besitz- und Betriebsgesellschaftam 26. Mai 2011 aus der Verpflichtung entlassen, die bereits imErbpachtvertrag von 2006 verankerte Fassade aus dem Wettbewerbsgewinnzu realisieren. Dem Argument des FC Augsburg,man hätte nicht die finanziellen Mittel und würde den Abstiegriskieren, wenn die Stadt die Realisierung einfordere, wurde Folgegeleistet. Zum Vergleich: 2009 wurden 2,5 Mio. Gesamtkosten fürdie Fassade inklusive Nebenkosten als Festpreis mit Preisbindung imVergabevorschlag verankert, dies bei einer Gesamtinvestition vonannähernd 60 Mio. EUR für Stadion, Ausbau, Außenanlagen undNebenkosten.60 Mio. EUR dürfte in etwa die Hülle der Allianz-Arena in Münchengekostet haben; diese beleuchtete Fassade macht das Stadion zueiner Ikone, die weltweit mit dem Ort und dem Verein in Verbindunggebracht wird. In Augsburg hätten wir mit bescheidenerenMitteln, dem Status des Vereins entsprechend, auch ein gestalterischesZeichen für die Region setzen wollen und können.Nun gibt es einen neuen Anlauf: Wir haben den Frust überwundenund sind gelassener geworden. … Fortsetzung folgt.Anmerkung der Redaktion: Zu dem Themaschrieb Jürgen Marks im Blog der AugsburgerAllgemeine am 8. Juni 2011: „Und wenn dieseVision Stadion 20 ein Traum bleibt? Dannbesänftigen wir alle Architekturliebhabermit einem nüchternen Blick auf die anderenEingangstore Augsburgs. Im Norden, Westenund Osten empfangen entweder IKEA, graueLogistik-Zweckbauten oder eine Müllverbrennungsanlagedie Besucher der Renaissancestadt.Wenn man ehrlich ist, hat das Augsburgbislang auch nicht geschadet.“ Ja, wenn eswoanders schon so schlimm ist, dann muss esja hier auch nicht besser werden, oder?<strong>BDA</strong>-REISE NACH MADRIDUlrich Karl PfannschmidtDie letzte <strong>BDA</strong>-Reise nach Madrid und Umgebung fand vom 5. biszum 10. Juni 1996 statt. Höchste Zeit, wieder einmal dorthin zufahren. Es hat sich unglaublich viel getan in der drittgrößten StadtEuropas mit ca. 6,1 Millionen Menschen auf 8 000 km². SelbstMenschen, die Heidelberg in vier Stunden abhaken, werden inMadrid einige Tage brauchen, und wer glaubt, Madrid zu kennen,wird sich wundern, was es alles an Neuem gibt.Weltweit einzigartig ist das Manzanares Rio Projekt. Mehr als zehnKilometer Stadtautobahn entlang des Manzanares Flusses sind ineinen Tunnel verlegt und der Fluss angestaut worden. Darübererstreckt sich heute, geplant von Christian Dobrink/West 3 ausRotterdam, ein Park, der den Stadtbezirken an den Ufern einevollkommen neue Qualität verleiht. Mit besonderen Projekten vonMVRDV oder Thom Mayne von Morphosis sind periphere Stadtviertelaufgewertet worden. Die Gruppe Ecosistema Urbano, diezurzeit im DAZ in Berlin ausstellt, hat einen interessanten Platzgestaltet. Aus dem Schlachthof ist ein Kulturzentrum geworden,aus einer Brauerei ein Archiv, aus einer Klosterruine eine Bibliothek.Neben Bauten von international tätigen Büros zeigen die spanischenStudios, wie von Mansilla + Tunon, Paredes + Pedrosa oderLinazasoro, was sie können.Was die drei Tenöre für die Oper, sind die vier Museen für diebildende Kunst und ihre Erweiterungen nicht zu übergehen: Prado,Museo de la Reina Sofia, Museo Thyssen-Bornemisza und Caixa-Forum. Mehrere Theater ergänzen die kulturelle Szene. Kontaktezu <strong>Architekten</strong> vor Ort sorgen für Führungenund Begleitungen. Ausflüge nach El Escorial,Segovia, Toledo und Aranjuez spannen einenBogen zwischen Gegenwart und Vergangenheit,zwischen Philipp II. und Philipp V.Die Exkursion findet statt von Mittwoch,26.10. bis Montag, 31.10.2011. Start und Zielist München. Kleine Reisegruppen haben sichbewährt. Die Anzahl der Mitfahrer ist deshalblimitiert. Der Reisepreis beträgt 1.055 EUR/Personim Doppelzimmer inkl. Kerosinzuschlag,der Einzelzimmerzuschlag 285 EUR. Enthaltensind Flug, die neue Luftverkehrssteuer,Transfer vom und zum Flughafen, fünf Übernachtungenmit Frühstück in einem gutenMittelklassehotel in verkehrsgünstiger Lageder Innenstadt, ein Ausflug mit Bus über Land,die Kosten des öffentlichen Nahverkehrs, dieDokumentation der Objekte und nicht zuletztdie Kosten der Führungen. Anmeldungennimmt die Geschäftsstelle des <strong>BDA</strong> ab sofortentgegen.52 53


EIN SCHÖNES STÜCK EUROPAUlrich Karl PfannschmidtWer hat schon gewusst, bevor er Luxemburg betrat, dass der berühmteHauptmann von Köpenick dort auf dem Liebfrauenfriedhofbegraben worden ist. Die Fama sagt, ein Trupp französischer Soldatensei dem Leichenzug begegnet und habe ihm das Ehrengeleitgegeben, als er erfuhr, dass der berühmte „Capitaine de Coepenick“zu Grabe gefahren werde. Ein wahrhaft standesgemäßer Abschiedfür den vielfach vorbestraften Schuster Wilhelm Voigt, dereinmal Preußen in den Grundfesten erschüttert hatte. Das geschaham 3. Januar 1922, also lange vor Gründung der Europäischen Union.Die Stadt pflegt seit 1975 das Grab des denkwürdigen Diebesund Hochstaplers, das der Zirkus Sarasani seinerzeit gestiftet hat.Ein Schelm, wer einen Zusammenhang mit der Tatsache sehen will,dass heute mehr als 170 Banken in der Stadt ansässig sind.Die Studienreise des Kreisverbandes von Freitag, 20. Mai bis Sonntag,22. Mai 2011 diente allerdings weniger dem Sammeln vonErkenntnissen zu Wilhelm Voigt, sondern einigen Schwerpunktender Architektur in Luxemburg und Metz. Interessiert hat, wie Hermann& Valentiny das Dorf Schengen-Remerschen und andere Ortemit ihren Bauten verwandelt haben und was die Stadt Luxemburgdurch ihre Rolle in der Europäischen Gemeinschaft an internationalerArchitektur gewonnen hat. Auf dem Kirchbergplateau stehenheute Bauten von Dominique Perrault, Ieoh Ming Pei, Christiande Portzamparc, Gottfried Böhm, Ingenhoven Architects, Ricardo,Bofill, Wilhelm Kücker und vielen anderen.Großartige Parkanlagen vom Büro Latz &Partner lockern die Bebauung auf. Das eineoder andere Kunstwerk von Richard Serraoder Frank Stella reichert das Stadtbild an.Ursprünglich als Arbeitsort geplant, wird esjetzt allmählich zum Standort für das Wohnenweiter entwickelt. Ausgezeichnete Mitarbeiterdes Büros Hermann & Valentiny, wie Letz undChristmann führten in Schengen und Heisdorf,während in Luxemburg Damen des Tourismusbürosuns sehr instruktiv durch die neuePhilharmonie und den Stadtteil Kirchbergführten. Die alte Festungsstadt Luxemburg mitihren riesigen Mauern und steilen Schluchtenfasziniert. Um ihre wunderbar gepflegtenParks könnte man sie beneiden. Nach all dermodernen Architektur betrachteten die 25Teilnehmer der Reise ein wenig verwundertam Sonntag die seltsame Cité Judicaire, dieam Rand der Altstadt von Rob und Leon Kriererrichtet worden ist.Ein letzter, nicht zu übertreffender Höhepunktwar die Außenstelle des Centre Pompidouin Metz von Shigeru Ban. Ein räumlich differenzierterBau, nicht einfach zu verstehen,überrascht von Geschoß zu Geschoß mitneuen Eindrücken und großartigem Inhaltunter seinem auffallenden Dach. Das Hausbesetzt einen Unort hinter dem Bahnhof, aufden Bilbao-Effekt vertrauend. Und der Besucherstromrechtfertigt das Vertrauen. ShigeruBans Museum lockt die Menschen in Scharenan. Was kann man zu solch einem <strong>Architekten</strong>noch sagen außer voller Bewunderung:Saupreiss, japanischer.54


DER BASIS ENTFREMDETKlaus FriedrichUnlängst wurde ich an einen Comic der Serie„Clever und Smart“ erinnert, der mich vorJahren durch seinen absurden Witz gefesselthatte. Es war eine Episode, in der eine bahnbrechendeErfindung mit dem Versprechenvorgestellt wurde, das Stadtleben grundlegendzu verändern und der Menschheit niedagewesene Annehmlichkeiten zu bereiten.Mopeds waren in der Lage, selbstständig,jedoch fahrer- und führerlos, kreuz und querdurch die Straßen zu knattern, während sichihre Besitzer daran erfreuten, nun nicht mehrden Qualen des Straßenverkehrs ausgesetztzu sein. Der Irrsinn bestand freilich darin, dassauch niemand mehr befördert wurde.Unlängst feierte die Bayerische <strong>Architekten</strong>kammerihr 40-jähriges Bestehen. Wer nunglaubt, bei dem Fest in der WaisenhausstraßeMitglieder der Kammer anzutreffen, mussteetwas länger suchen. Die bayerische Politik,Vertreter der Medien, Presse und Ehrengästewaren präsent, wie es sich von selbst versteht,doch das Fußvolk? Fehlanzeige.Der Eindruck, der entstand, war der einerKammer, die mehr um das öffentliche Bildihrer selbst bemüht ist, als um Wohl und Wehe ihrer Mitglieder –vergleichbar mit den Mopeds ohne Fahrer. Die Verdienste um denErhalt der Baukultur, die Bemühungen, eine breite Öffentlichkeitfür die Architektur zu interessieren, die Förderung des Wettbewerbswesensund jüngst die Ausbildung von Kindern in Schulensind nicht zu verschweigen. Die berufspolitische Unterstützungihrer Mitglieder – insbesondere kleinerer sowie mittlerer Bürostrukturen– und die Förderung des Nachwuchses sind auf jedenFall verbesserungswürdig. Die Novellierung der HOAI ist bis datonoch keine Erfolgsgeschichte, die man sich ans Revers heften kann,genauso wenig wie es die Anfangs des Jahres mitgeteilten Ertragskürzungenbei der <strong>Architekten</strong>vorsorge sind.Damit auch jene, die nicht Politik machen, mit Stolz auf die vergangenen40 Jahre Bayerische <strong>Architekten</strong>kammer zurückblickenkönnen, sind weitere Anstrengungen nötig. Heute mehr denn je!SEITENBLICKESOZIOLOGISCHE STADT-EINSICHTENMonica Hoffmann„Auf einer Vortragsreise (in eine belebte,lebendige südeuropäische Stadt) holte micheine junge Kollegin, Tochter aus gutem Hause,ab. Sie entschuldigte sich, dass die Fahrt zumeinem Hotel umständlich und langwierig sei,da sie mitten durch die belebten und verstopftenHauptstraßen der Innenstadt führenwürde. Wir brauchten fast zwei Stunden vomFlughafen zu meinem Hotel. Am Tag meinerAbreise bot mir die junge Dame an, mich zurückzum Flughafen zu fahren. Da ich wusste,wie anstrengend und ermüdend diese Fahrtwerden würde, dankte ich ihr für das freundlicheAngebot und sagte ihr, ich würde einTaxi nehmen. Mit dem Taxi dauerte die Fahrt56 57


vom Hotel zum Flughafen kaum zehn Minuten. Allerdings fuhr derTaxifahrer durch verwinkelte und heruntergekommene Straßen,durch gottverlassene Slums (...). Der Hinweis meiner Gastgeberin,es gebe keine Alternative zur Route durch die Innenstadt, war nichtvorgeschoben. Dieser Weg entsprach ihrer geistigen Landkarte derStadt, in der sie seit ihrer Geburt lebte. Die heruntergekommenenDistrikte, durch die ich mit dem Taxi fuhr, waren auf dieser Landkartenicht verzeichnet. Auf dieser Karte waren dort, wo dieseDistrikte lagen, weiße Flecken, leere Räume.“Dies ist ein Zitat aus dem Buch „Flüchtige Moderne“ von ZygmuntBauman, Soziologe polnischer Herkunft, der bis zu seiner Emeritierungan der Universität Leeds in England lehrte. Es lohnt sich, daseine oder andere Buch von Bauman zu lesen, um weiße Fleckenzu vermeiden und Gegenwartsphänomene, die alle Lebensbereichedurchdringen, besser verstehen und distanzierter betrachtenzu können. Bauman ist ein Skeptiker, wenn es um den ewigenForschrittsglauben geht, in denen sich Menschen beispielsweisepermanent neu erfinden müssen, um im Rennen des ständigenKonsumierens bleiben zu können. Doch vermittelt er auch einenHauch von Optimismus, wenn es gelänge, dass alle Menschen, alsoauch die schwachen Mitglieder der Gesellschaft, die diesen Anforderungennicht gewachsen seien, ein gelingendes Leben führenkönnen.Im Kontext des Schwerpunktthemas dieser <strong>BDA</strong> <strong>Informationen</strong> verweiseich speziell auf seinen kleinen Band „Flüchtige Zeiten. Lebenin der Ungewissheit“. Hier versammeln sich essayistisch anmutendeBeiträge, in denen es um die Folgen der Globalisierung geht. Indem Beitrag „In Einsamkeit vereint“ widmet er sich der Stadt, inder sich die zunehmenden Unsicherheiten undÄngste der Menschen in verdichteter Formoffenbarten und zu Abschottungen in „GatedCommunities“ führten. Zu Entwicklungenalso, die genau das verstärkten, wogegenman sich schützen wolle. Sein dringenderAppell an <strong>Architekten</strong> und Stadtplaner istdaher, diesen Abschottungswünschen nichtzu folgen, sondern diese Tendenzen aufzubrechenund Foren der Begegnung aller Bürgerzu ermöglichen. Erste positive Beispiele gibtes bereits: in Oslo das Opernhaus als „publicspace“ und in Sevilla der Metropol Parasol.IM NAMEN DER REPUBLIKErwien WachterIm Nachbarland Österreich ist man nicht zimperlich. Das HandelsgerichtWien verurteilte einen Wiener Medienvertrieb wegen Urheberrechtsverletzungim Zusammenhang mit dem „Hundertwasser-Haus“ zu einem Gesamtstreitwert von 87.252,30 Euro. Inhalt desUrteils ist einmal die sofortige Unterlassung der Vervielfältigungund/oder Verbreitung des „Hundertwasser-Hauses“ ohne Bezeichnungdes Originalmiturhebers (em. Univ. Prof. Arch. DI JosefKrawina). Dies gilt sowohl für bearbeitete wie auch veränderteFormen insbesondere unter Einbeziehung anderer Werke Hundertwassersauf der Grundlage von Plänen, Entwürfen und Modellensowie plastischen Nachbildungen. Weiterhin erstreckt sich die Unterlassungspflichtauch auf die <strong>Bund</strong>esrepublik Deutschland, wennAbbildungen nicht von einem allgemein zugänglichen Ort undinsbesondere auf jene, die von einem höhergelegenen Stockwerkeines dem „Hundertwasser-Haus“ gegenüberliegenden Gebäudesaufgenommen wurden.Entnommen einer Anzeige in der NZZ vom 5. März 201158 59


LESEN – LUST UND FRUSTWER REGIERT DIE WELT?Michael GebhardWer regiert die Welt? Welch reißerischer Titel!Welch nahezu anmaßende Aufgabe hat sichder Historiker und Archäologe Ian Morris hiergestellt: zu erklären, welche Entwicklungsmustermenschlicher Gesellschaften sich durchdie Jahrtausende (!) der Menschheitsgeschichteidentifizieren lassen, welche maßgebendenEinflussfaktoren im Verlauf der GeschichteEntwicklungen begünstigt oder verhinderthaben.Schon das zeitliche Spektrum der Betrachtungbeginnend bei der Verbreitung der erstenHominiden, über das römische Weltreich, diechinesischen Dynastien der Song und Mingbis zu den neuzeitlichen Entwicklungen derWeltmachtstellung der USA und Chinas nötigtgewaltigen Respekt ab.Morris bedient sich in seiner vergleichendenBetrachtung zweier von ihm definierter Hemisphären,einer westlichen und einer östlichen.Für diese ermittelt er anhand selbst aufgestellter,quantifizierbarer Kriterien zu wichtigenhistorischen Zeitpunkten Entwicklungsstände,die er einander gegenüberstellt. So werdenParallelen zwischen der Entwicklung östlicherund westlicher protagonistischer Gesellschaftensichtbar, die man bisher selten in solcherZusammenschau findet. Das für sich wärebereits ein Grund, dieses Werk zu lesen. DieFaszination des Buches liegt jedoch in denvon Morris gezeichneten wiederkehrendenMustern gesellschaftlicher Entwicklungensowie dem Aufzeigen von Einflussfaktoren,die sich in einem Fall begünstigend, in einemanderen Fall aber auch hemmend auswirkenkönnen. Für Morris entsteht so ein stetes Spielaus Entwicklung bis zu einem kritischen, inder betrachteten Epoche noch nicht zu überwindendenPunkt und dem folgenden Rückfallin frühere Entwicklungsstufen, sofern keinezusätzlichen begünstigenden Faktoren Energienfreisetzen, die die Überschreitung deskritischen Punktes ermöglichen.Dieses Wechselspiel, konsequent durch die Jahrtausende dermenschlichen Entwicklung verfolgend, glaubt Ian Morris als wiederkehrendesEntwicklungsmuster identifiziert zu haben. Gerüstetmit den Ergebnissen seiner Langzeitanalyse wagt er sich am Endeseines Buches sogar an die Prognose künftiger Entwicklungen. Sieendet – wie zu erwarten – zwar nicht in einer eindeutigen Aussage,sondern in zwei Entwicklungsszenarien, von denen eines jedemApokalyptiker geläufig sein dürfte, das andere, wünschenswertere,so manche science fiction novel in den Schatten stellt. Die Menschheitwird, so Morris, einen evolutionären Quantensprung vollbringenmüssen, um auf einem Niveau ähnlich dem heutigen überlebenzu können. Der neue Mensch wird dem homo sapiens noch soähnlich sein wie dieser dem homo habilis.Vergleichende Menschheitsgeschichte in komprimierter Form,überraschende Einsichten in bekannte und weniger bekannteStränge der Menschheitsentwicklung, eingebettet in einen Spannungsbogen,der die Flamme der Neugier auf die jeweils nächsteEntwicklungsstufe stets von neuem auflodern lässt.Morris, Ian, Wer regiert die Welt? Warum Zivilisationen herrschenund beherrscht werden. Frankfurt: Campus Verlag, 201160 61


PERSÖNLICHESALEXANDER VON BRANCAZUM ABSCHIEDErwien WachterSeine Familie, die Architektur, die Baukulturseiner Heimat – sie füllten das LebenAlexander von Brancas aus. Ein Leben, dasvon seinem Talent, seinem Glauben, seinemselbstverständlichen Dienst am Gemeinwesenund der steten Bewahrung seiner Unabhängigkeitgetragen wurde. Es war ein langes, einbewegtes und erfülltes Leben, begleitet vonhohem öffentlichem Ansehen.Den Münchnern ist Alexander von Brancabekannt als Architekt der drei U-BahnhöfeMarienplatz, Theresienwiese, Prinzregentenplatzund natürlich der Neuen Pinakothek.Die Begeisterung der zahlreichen Besucherüber die Präsentation der Bilder und die lobende Beschreibung vonJ. M. Montaner als „ein großartiges Beispiel mit seiner offenenForm und seinen klaren Raumstrukturen“ wurde jedoch überschattetdurch die Kritik der Fachpresse an der Fassadengestaltungdes Museums. Darüber hat er sich beklagt und ist seinen eigenenWeg weitergegangen.In einem halben Jahrhundert hat er ein beeindruckendes Gesamtwerkgeschaffen, das vielfältigste Bauaufgaben einschließt, indem der Sakralbau jedoch den gewichtigsten Anteil einnimmt.Damit begann er sein Leben als Architekt und gewann mit derKlosterkirche Herz Jesu in München Anfang der fünfziger Jahrein Zusammenarbeit mit Herbert Groethuysen die Anerkennungder Fachwelt. Wilhelm Kücker: „In ihrer Synthese von traditionsverpflichteterRaumidee und moderner Gestaltung kann sie alserste Neuinterpretation eines (katholischen) Sakralbaus der Nachkriegszeitgelten.“ Intensiv und lange hat er sich mit jedem seinerKirchenbauten beschäftigt. Der Formel „form follows function“von Louis Sullivan ist er in der gebräuchlichen Interpretation nichtgefolgt. Bezogen auf seine Sakralbauten ist für ihn die Funktioneiner Kirche, „die Menschen aus der Zerstreutheit in die Sammlungzu führen. Wenn ich Sammlung will, muß der Raum so sein, daß erSammlung zulässt.“ Das ist ihm immer wieder aufs Neue gelungen,in besonderer Intensität bei einem seiner letzten Bauvorhaben, derneuen Bischofsgrablege des Bamberger Doms in der Westkrypta,die mit ihrer archaisch anmutenden Schlichtheit nichts als kontemplativeRuhe hervorruft.Auf Initiative von Hans Döllgast wurdeAlexander von Branca im Jahr 1953 in den<strong>BDA</strong> berufen. Hier fand er Weggefährtenund Freunde. Sein Engagement galt einerhochwertigen qualitativen Architektur. Leidenschaftlichäußerte er sich zu aktuellenarchitektonischen Themen und scheute keineAuseinandersetzung. 1999 schrieb er an den<strong>BDA</strong> Bayern: „Das Entscheidende im Ganzenist ja wohl, dass die Verwirklichung der eigenenZielvorstellung in irgendeiner Formin Einklang gebracht werden muss mit demZusammenklang eines Ganzen, was denendient, denen wir dienen. Das Bild unsererUmwelt wird ja noch ganz entscheidendvon uns geprägt.“ Der <strong>BDA</strong> hat einen seinerbedeutendsten Mitstreiter verloren. Am 21.März 2011 ist Alexander von Branca im Altervon 92 Jahren gestorben.62 63


FRIEDHELM AMSLINGER 1929 BIS 2011Gerd FeuserKennengelernt haben den <strong>Architekten</strong>kollegen FriedhelmAmslinger viele von uns im Studium als wissenschaftlichen Assistentenam Lehrstuhl für Städtebau der TH München zwischen 1955und 1960. Dort war er nicht zu übersehen wegen seiner im weitestenSinn aufrechten, doch freundlichen Haltung, noch weniger zuüberhören mit seinem markanten schwäbischen Tonfall, währender die Arbeiten korrigierte und den Studenten guten Rat mit aufden Weg gab.Friedhelm Amslinger wurde in Günzburg geboren, hat dort 1948Abitur gemacht, ging nach München zum Studium und schloss1954 ab. Er war Stipendiat in der Studienstiftung des DeutschenVolkes wegen seiner sehr guten Leistungen und wurde bereitsein Jahr später Assistent bei Professor Georg Werner. Nach 1960führte er sein eigenes Architekturbüro in München, war seit 1963Mitglied des <strong>BDA</strong>, seit 1971 Mitglied der Deutschen Akademie fürStädtebau und Landesplanung und seit 1976 im Werkbund. In seinerPromotionsarbeit behandelte er ebenfalls mit sehr gutem Erfolgein städtebauliches Thema zur Platzgestaltung in München.Die Art zu zeichnen bestimmt selten das Werk eines <strong>Architekten</strong>derart prägend wie bei Friedhelm Amslinger. Döllgast war sein Lehrerund Förderer, doch er hat sich eigenständig vom Vorbild gelöst.Sein unglaublich feiner doch kräftiger Strich mit der Feder, seinesichere, strenge und sparsame Art in der Zeichnung, die wesentlichenMerkmale von Architektur und Landschaft zu erfassen, habenihn herausgehoben als einen der Besten seiner Generation. Diese,seine Arbeitsweise und Bildauffassung hat erauch in seinen Planungen umgesetzt.Als Architekt hat Friedhelm Amslinger vorwiegendin seiner schwäbischen Heimat geplantund gebaut. Mit Leidenschaft zur Architekturwidmete er größte Aufmerksamkeit der Planungvon neuen Siedlungen und Wohnhäusern,aber auch der Sanierung alter Stadtkerneund Häuser. Der Siedlungsbau mit seinenunterschiedlichen Wohnformen, sorgfältigausgebildet, gegliedert und angeordnet zueinem städtebaulich ganzheitlichen Gefüge,lag im Mittelpunkt seines Schaffens. Um denherum lagen, wie auf einem breiten Fächer,viele Interessen und Aufgabenfelder: technischeBauwerke, Werkstätten, Verwaltungsbauten,Schulen, Kindergärten und Kirchen.Außen, an den Rändern des Fächers lagen dieEntwürfe für Einrichtungen, Möbel, Schriftzügeund Inschriften auf Papier und Stein.Blicke in das von ihm selbst zusammengestellteArchiv zeigen die Vielfalt seines Schaffens,seine Liebe zum Beruf und seine Sorgfaltim Umgang mit allem, was er als Auftrag inseine Hände nahm. So wollen wir uns seinererinnern.NOTIZMit 120.599 eingetragenen <strong>Architekten</strong>,Innenarchitekten, Landschaftsarchitektenund Stadtplanern haben die <strong>Architekten</strong>kammernder sechzehn <strong>Bund</strong>esländer 2008zwar einen neuen Mitgliederrekord erreicht,allerdings nahm die Anzahl der Eintragungengegenüber dem Vorjahr lediglich um 1.174Personen oder 1,0 Prozent zu. Die <strong>Architekten</strong>sind jedoch nicht gleichmäßig auf Deutschlandverteilt. Die höchsten <strong>Architekten</strong>dichtenhaben Hamburg mit 471 Einwohnern je Architektsowie Baden-Württemberg und Berlin(482 und 483). Die niedrigsten <strong>Architekten</strong>dichtenfinden sich in Sachsen-Anhalt (2.651)und Brandenburg (2.225). In Bayern kommen583 Einwohner auf einen <strong>Architekten</strong>.64 65


IMPRESSUMHerausgegeben vom Arbeitskreis für Presseund Information im Landesverband Bayerndes <strong>BDA</strong>Die <strong>BDA</strong>-<strong>Informationen</strong> erscheinen in unregelmäßigerFolge viermal im Jahr und können imJahresabonnement für EUR 16,00 incl. Portobeim Arbeitskreis für Presse und <strong>Informationen</strong>,Geschäftsstelle des <strong>BDA</strong>-LandesverbandesBayern, Türkenstraße 34, 80333 München,Telefon 089-186061 bezogen werden.Redaktion: Dipl.-Ing. Klaus Friedrich, Dipl.-Ing.Michael Gebhard, Dipl.-Päd. Monica Hoffmann,Prof. Dr.-Ing. Wilhelm Kücker, Dr.-Ing.Cornelius Tafel, Dipl.-Ing. Erwien WachterAutoren:Dipl.-Ing. Titus Bernhard, Augsburg; Dipl.-Ing. Gerd Feuser, München;Prof. Dr. H.c. Franz Füeg, Zollikon, Schweiz; Dipl.-Ing. UlrichPfannschmidt, Gerbrunn; Wolfgang Jean Stock, Autor und Architekturkritiker,München; Dipl.-Ing. Andreas Winkler, MünchenVerantwortlich für dieses Heft: Dipl.-Ing. Erwien WachterDie vom Autor vertretene Auffassung ist nicht unbedingt mit derdes Herausgebers identisch.Layout: Sabine SeidlTextredaktion und Gestaltung: Monica HoffmannDruck: Ortmaier Druck GmbH, FrontenhausenEinsendungen werden an den Arbeitskreis für Presseund Information erbeten als Word-Datei per E-Mail ansekretariat@bda-bayern.de, per Fax an 089-184148 oderper Post an den <strong>BDA</strong> Bayern, Türkenstraße 34, 80333 München.66


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