<strong>Heft</strong> 1/<strong>09</strong>Tab. 1: Begonnene erzieherische Hilfen 1 für Ehepaare<strong>und</strong> nichteheliche Lebensgemeinschaftensowie für Alleinerziehende (Deutschland; 2007;pro 10.000 Haushalte der jeweiligen Familienform)Hilfen jenseits der Erziehungsberatungviermal sowie für Vollzeitpflege <strong>und</strong>Heimerziehung (familienersetzendeHilfen) zusammengenommen sogarfünfmal so hoch.Die Bef<strong>und</strong>lage weist in Anbetrachtdieser Deutlichkeit auf drei Punkte hin:Erstens ist die Gruppe der Alleinerziehenden– wie auch beim Sozialgeld<strong>und</strong> ALG II – in besonderer Weise mitProblemen des Aufwachsens konfrontiert.Zweitens deuten die Daten damitan, dass der Familienstatus alleinerziehendoffenk<strong>und</strong>ig weit mehr an öffentlicherUnterstützung benötigt als diesbislang politisch wahrgenommen wordenist. Und drittens erweckt die unterschiedlicheInanspruchnahme der verschiedenenHilfen den Eindruck, alswürden Hilfen in Deutschland noch immernach dem Muster der traditionellenFürsorge gewährt: intervenierende,also familienersetzende Hilfen stärkerfür die Gruppe der Alleinerziehenden,beratende <strong>und</strong> familienunterstützendeHilfen hingegen eher für <strong>Kinder</strong> vonzusammenlebenden Eltern.Armut – ein Erziehungsrisiko?Erstmalig sind über die <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> JugendhilfestatistikDaten zum Bezug10Ehepaareu. nichtehelicheLebensgemeinschaften2AlleinerziehendeVerhältnisderFamilienformenInsgesamt 3 351 1.022 1 : 2,9Beratung 4 267 641 1 : 2,4Amb. Hilfen 5 57 243 1 : 4,3Fremdunter. 6 28 138 1 : 5,035a-Maßn. 7 13 26 1 : 2,01 Einschl. Hilfen für junge Volljährige; 2 Für eine Trennungdieser Familienformen fehlen Kriterien, die für Mikrozensus<strong>und</strong> Jugendhilfestatistik gleichermaßen differenzbildendsind; 3 HzE insg. ohne § 35a; 4 Erziehungsberatung§ 28; 5 Familienunterstützende u. -ergänzende Hilfen §§27 (amb. Hilfen), 29-32, 35; 6 Familienersetzende Hilfen§§ 33, 34 <strong>und</strong> 27 (stat. Hilfen); 7 Eingliederungshilfen fürseelisch behinderte junge Menschen.Quelle: StaBa: Statistiken der <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> Jugendhilfe –Erzieherische Hilfen 2007; StaBa 2008a; eig. Berechn.von Transferleistungen für die Hilfenzur Erziehung in Anspruchnehmenden Familien erhobenworden. Dieses Merkmal liefertHinweise zur Inanspruchnahmevon Leistungen nach §§ 27ff. SGBVIII durch Familien, die zumindestvon Armut bedroht sind.Was bislang nur vermutet werdenkonnte, wird nunmehr auf derBasis der neuen Erhebung deutlichsichtbar: der Zusammenhangvon Armutslage <strong>und</strong> erzieherischemBedarf. Demzufolge liegtder Anteil der Familien, denen eineHilfe zur Erziehung (ohne Erziehungsberatung)gewährt wird <strong>und</strong>die zugleich Transferleistungenbeziehen, bei knapp 59%. Je nachHilfeart schwankt dieser Wert zwischen48% (Erziehungsbeistandschaft)auf der einen <strong>und</strong> 73%(Vollzeitpflege) auf der anderenSeite (vgl. Abb. 2).Demgegenüber liegt der Anteil derFamilien mit Bezug von Transferleistungenin der Erziehungsberatung bei lediglichknapp 17%. Und ebenfalls deutlichniedriger fällt in diesem Zusammenhangmit 25% das Ergebnis für dieEingliederungshilfen für seelisch behindertejunge Menschen nach § 35a aus.Dies verweist auf einen mit <strong>Blick</strong> auf dieErziehungsberatungwiederholt diskutiertenMittelschichtscharakter(vgl. bereitsBMJFFG 1990), dersich offenk<strong>und</strong>ig nunauch für die Diagnoseeiner »Seelischen Behinderung«andeutet.Obgleich die Erzie-%-Anteil10050070HzEinsgesamthungsberatung auchfür Familien mit Transfergeldbezugaufgr<strong>und</strong>der großen Absolutzahlenmit zuletztfast 49.000 Neufällender wichtigste Akteurist, ist der überproportionaleAnteil der Familienmit Transfergeldbezugbei allen anderenHilfen zur Erziehung doch sehr auffällig.<strong>Der</strong> bereits in der Bildung unterdem Etikett der »Bildungsarmut« diskutierteZusammenhang muss nun wohlauch unter dem Etikett der »Erziehungsarmut«für diese Fälle formuliertwerden.Kumulierte Erziehungsproblemebei Alleinerziehenden?Die bereits genannte Durchschnittszahlvon 59%, die einen Transfergeldbezugaufweisen <strong>und</strong> denen gleichzeitig eineHilfe zur Erziehung gewährt wird (ohneErziehungsberatung), erhöht sich nocheinmal bei der Gruppe der Alleinerziehenden(vgl. Abb. 2). Demnach erhöhtsich der Durchschnittswert auf einenAnteil von 70%; je nach Hilfeartschwankt dieser Anteil zwischen 58%<strong>und</strong> 78%. Das heißt z.B.: Von allen Alleinerziehenden,die jenseits der Erziehungsberatungeine Hilfe in Anspruchnehmen, sind 70% auf Transferleistungenangewiesen. Zum Vergleich: BeiEhepaaren <strong>und</strong> nichtehelichen Lebensgemeinschaftenliegt dieser Wert bei48%. Verdeutlicht wird hierüber, dassinsbesondere Alleinerziehende durchzusätzliche Belastungen in Form vonfehlenden materiellen Ressourcen stärkerunter Druck geraten. Die Wahrscheinlichkeitnegativer Auswirkungenauf das Erziehungsgeschehen steigtdadurch (vgl. Strantz 2006).Abb. 2: Anteil der Familien mit Transferleistungen 1 bei derGewährung von Hilfen zur Erziehung 2 (Deutschl.; 2007; in %)4878 766856SPFHEhepaare u. nichtehelicheLebensgemeinschaften70 6849 47ISE6240 3858VollzeitpflegeHeimerziehungTagesgruppeErziehungsbeist.AlleinerziehendeLesebeispiel: 76% aller Alleinerziehendenfamilien, die eine sozialpädagogischeFamilienhilfe (SPFH) in Anspruch nehmen, sind ganz oderteilweise auf Transferleistungen angewiesen. Bei den Ehepaaren <strong>und</strong>nichtehelichen Lebensgemeinschaften beträgt dieser Anteil 56%.1 Mit Transferleistungen sind gemeint: ALG II, Gr<strong>und</strong>sicherung (Altero. Erwerbsminderung), Sozialhilfe, <strong>Kinder</strong>zuschlag; 2 Begonnene Hilfeneinschl. Hilfen für junge Volljährige (ohne Erziehungsberatung).Quelle: StaBa: Statistiken der <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> Jugendhilfe – ErzieherischeHilfen 2007; eigene Berechnungen
März 20<strong>09</strong>Wie ›migrationssensibel‹ sind dieHilfen zur Erziehung?Die Analysen zum Familienstatus sowiezu ökonomisch prekären Lebenslagenzeigen, dass infolge der negativen Auswirkungenauf familiäre Erziehung die<strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> Jugendhilfe verstärkt überdas Angebot von Hilfen zur Erziehungreagiert. Es liegt nahe, dass dies auchbei Familien mit Migrationshintergr<strong>und</strong>der Fall ist. Dabei ist die Tatsache, dassjemand einen Migrationshintergr<strong>und</strong>aufweist, für sich betrachtet sicherlichnoch kein hinreichendes Merkmal einerprekären Lebenslage. Gleichwohl istbekannt, dass der Migrationsstatusnach wie vor eine diskriminierende Einflussvariablefür das Aufwachsen von<strong>Kinder</strong>n <strong>und</strong> Jugendlichen sein kann(vgl. Rauschenbach/Züchner 2007).Insofern ist es zunächst einmal auffällig,dass junge Menschen mit einemMigrationshintergr<strong>und</strong> mit <strong>Blick</strong> auf dieDaten 2007 in den erzieherischen Hilfenunterrepräsentiert sind. Unter Berücksichtigungdes Anteils dieserGruppe an der altersentsprechendenBevölkerung, der für die unter 21-Jährigenbei 28% liegt, ist der Anteil der jungenMenschen mit Migrationshintergr<strong>und</strong>bei den begonnenen erzieherischenHilfen mit 21% (einschl. Erziehungsberatung)deutlich darunter zuverorten (siehe auch Methodenkasten).Allerdings wird auch dieses Ergebnismaßgeblich durch die Erziehungsberatungbestimmt. Hier liegt der Anteilder jungen Menschen mit einem Migrationshintergr<strong>und</strong>bei 19%; <strong>und</strong> bei denEingliederungshilfen für seelisch behindertejungen Menschen sogar nur bei16%. Auch dies ist ein Indiz für den spezifischenCharakter dieser Hilfen.Bei den familienersetzenden Maßnahmen(Vollzeitpflege <strong>und</strong> Heimerziehung)sind die jungen Menschen mitMigrationshintergr<strong>und</strong> hingegen schonmit einem Anteil von immerhin 23% vertreten.Noch höher, nämlich bei 27%<strong>und</strong> damit nahe an dem über den Mikrozensusausgewiesenen Bevölkerungsanteilmit einem Migrationshintergr<strong>und</strong>,liegt indessen die Quote für diefamilienunterstützenden <strong>und</strong> -ergänzendenLeistungen, also die ambulantenHilfen jenseits der Erziehungsberatung.Auch hier zeigt sich also: Bei denstärker interventionsorientierten Hilfennimmt der Migrationsanteil deutlich zu.Bewertungen zu diesen Bef<strong>und</strong>enmüssen sicherlich noch sehr vorsichtigausfallen. Hierzu sollten die Detailanalysensowie die Ergebnisse der Folgejahreabgewartet werden, um so die Bef<strong>und</strong>ebesser in den fachlichen Diskursum interkulturelle Kompetenzen oderauch migrationssensibles Handeln der<strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> Jugendhilfe einzubinden.Migrationshintergr<strong>und</strong> im Spiegel von Mikrozensus <strong>und</strong> Jugendhilfestatistik[jp] <strong>Der</strong> Migrationshintergr<strong>und</strong> der jungen Menschen wird im Rahmen der amtlichen Statistik ab2007 über die Merkmale Herkunftsland der Eltern – mindestens ein Elternteil muss im Auslandgeboren sein – <strong>und</strong> der vorrangig in der Familie gesprochenen Sprache erfasst. In der erstenAuswertung der Daten wurde lediglich das Datum der Herkunft der Eltern in den <strong>Blick</strong> genommen.Als Referenzgröße wird hier auf die vom Statistischen B<strong>und</strong>esamt zur Verfügung gestelltenErgebnisse des Mikrozensus 2007 rekurriert. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Migrationskonzeptder <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> Jugendhilfestatistik nicht dem des Mikrozensus entspricht (vgl. hierzuauch auch DJI/AKJ Stat 2007, S. 160f.). Die derzeit verfügbaren Ergebnisse des Mikrozensus fassenMigration weiter als das Erhebungskonzept der Jugendhilfestatistik.Vorrangig sind zwei Abweichungen zu berücksichtigen. So zählt der Mikrozensus alle inDeutschland geborenen Ausländer, bei denen weder eine persönliche Zuwanderungserfahrungnoch eine der Eltern vorhanden ist, mit zu denjenigen mit einem Migrationshintergr<strong>und</strong>. Auch diemit einer deutschen Staatsangehörigkeit Geborenen, bei denen aber die Eltern unabhängig voneiner tatsächlichen Zuwanderungserfahrung eine andere als die deutsche Staatsangehörigkeitbesitzen, gehören laut Mikrozensus mit zu den Migranten (vgl. Statistisches B<strong>und</strong>esamt 2008b,S. 6). Nach dem hier zugr<strong>und</strong>e gelegten Kriterium der Jugendhilfestatistik – ausländische Herkunft(nicht Staatsangehörigkeit) eines Elternteils – zählen die beispielhaft genannten Bevölkerungsgruppenhingegen nicht zu einer Personengruppe mit einem Migrationshintergr<strong>und</strong>.Somit kann davon ausgegangen werden, dass bei gleicher Erfassungslogik der Anteil der erzieherischenHilfen in Anspruch nehmenden jungen Menschen mit Migrationshintergr<strong>und</strong> an allenMigranten – wenn auch nur geringfügig – höher ausfallen wird als mit den derzeit zur Verfügungstehenden Daten. Wie hoch diese Abweichungen sind, werden letztendlich weitere Auswertungendes Mikrozensus zeigen müssen.Allerdings zeigt sich schon jetzt,dass mit dem verfügbaren Datenmaterialweitaus verlässlicher die Inanspruchnahmeerzieherischer Hilfendurch Familien mit Migrationshintergr<strong>und</strong>beobachtet werden kann als zuvormit dem Merkmal Staatsangehörigkeit(vgl. Schilling u.a. 2007). So wirdkünftig das statistische Merkmal »Migrationshintergr<strong>und</strong>«des jungen Menscheneine notwendige Ergänzung derDebatte um die interkulturelle Öffnungder erzieherischen Hilfen darstellen.Individuelles Versagen oder sozialpolitischeHerausforderung?Es zeigt sich, dass die Hilfen zur Erziehungganz offenk<strong>und</strong>ig notwendigeUnterstützungsleistungen für Familienin schwierigen Lebenskonstellationensind. <strong>Der</strong> Ausfall eines oder beider Elternteile,die Trennung <strong>und</strong> Scheidung,aber auch die Folgen von fehlendenmateriellen Ressourcen sowie damitverb<strong>und</strong>ene Ausgrenzungsprozessestellen Lebenslagen dar, in denen eineHilfe zur Erziehung überproportionalhäufig die familiäre Erziehung unterstützt,nicht selten aber auch ersetzt.Die gute Nachricht ist, dass die <strong>Kinder</strong>-<strong>und</strong> Jugendhilfe Familien in erkennbarschwierigen Situationen unterstützt.Bedenklich stimmt die Verteilungder in Schwierigkeiten geratenen Personenmit <strong>Blick</strong> auf den Alleinerziehendenstatussowie den Bezug von Transferleistungen.Angesichts dessen fälltes schwer, die Inanspruchnahme einerHilfe ausschließlich als Konsequenz einerim Einzelfall nicht gelingenden familiärenErziehung zu begreifen.Vielmehr muss die sozialpolitischeSeite dieser Ergebnisse zur Kenntnisgenommen werden. So ist es schon eingesellschaftlicher Gradmesser, inwieweitFamilien in allen Fällen den Bedürfnissenvon <strong>Kinder</strong>n <strong>und</strong> Jugendlichen,aber auch den Anforderungen an einegelingende Erziehung gerecht werdenkönnen. Es drängt sich der Verdachtauf, dass Familien in prekären Lebenslagenhier strukturell benachteiligt sind.Thomas Rauschenbach/Jens Pothmann/Agathe Wilk11