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Martina Igel Darstellung und Vergleich der Frauengestalten in

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theatralische Attitüde, für welche die melodramatische Blumennie<strong>der</strong>legung am Grab <strong>der</strong> Mutter Nimptsch e<strong>in</strong>geradezu parodistisch anmutendes Beispiel gibt.Wenn es aber um die Wirklichkeit geht, bleibt Botho von diesem selbstentworfenen Bild weit entfernt <strong>und</strong> verhältsich nicht an<strong>der</strong>s als alle an<strong>der</strong>en adligen Offiziere se<strong>in</strong>es Alters. Ganz selbstverständlich verbr<strong>in</strong>gt er e<strong>in</strong>enGroßteil se<strong>in</strong>er Zeit mit se<strong>in</strong>en Kameraden <strong>und</strong> im Klub, wo er vollständig <strong>in</strong>tegriert ist. An den von ihm alsoberflächlich bezeichneten Gesprächen nimmt er regen Anteil <strong>und</strong> setzt diese Art <strong>der</strong> Konversation im HauseNimptsch <strong>und</strong> vor allem mit Frau Dörr munter fort. E<strong>in</strong> Beispiel für se<strong>in</strong>e mangelnde Bereitschaft zur ehrlichenKonfrontation mit Problemen ist se<strong>in</strong>e Reaktion auf Lenes Brief: Statt auf den Inhalt (Lenes Ängste <strong>und</strong> Wünsche)e<strong>in</strong>zugehen, hält er sich mit <strong>der</strong> äußeren Form (Lenes Rechtschreibung) auf: »Wie gut sie schreibt! Kalligraphischgewiß <strong>und</strong> orthographisch be<strong>in</strong>ah [...] <strong>der</strong> Brief ist wie Lene selber, gut, treu, zuverlässig, <strong>und</strong> die Fehler machenihn nur noch reizen<strong>der</strong>.«Krass ist auch se<strong>in</strong> Auftreten nach <strong>der</strong> geme<strong>in</strong>samen Liebesnacht <strong>in</strong> Hankels Ablage. Beim unerwartetenE<strong>in</strong>treffen se<strong>in</strong>er Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Geliebten unternimmt Botho nichts, um se<strong>in</strong>e Intimität mit Lene zu wahren,son<strong>der</strong>n geht sofort auf <strong>der</strong>en 'Spiel' e<strong>in</strong>. Dadurch stellt er Lene auf die gleiche Stufe mit den 'Ausgehaltenen',was sich auch re<strong>in</strong> äußerlich am geme<strong>in</strong>samen Spaziergang <strong>der</strong> vier Frauen festmachen läßt.Und schließlich enttäuscht er se<strong>in</strong>en Fre<strong>und</strong> Rex<strong>in</strong>, <strong>der</strong> sich an ihn wendet, weil er <strong>in</strong> Bothos früherer Beziehungzu Lene e<strong>in</strong>en Unterschied zu den sonst üblichen Liebschaften vermutet. Doch Botho offenbart <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em'Ratschlag' (»so beschwör’ ich Sie denn, bleiben Sie davon«) den Grad se<strong>in</strong>er Identifizierung mit <strong>der</strong>gesellschaftlichen Erwartungshaltung <strong>und</strong> entwertet damit nachträglich se<strong>in</strong> Verhältnis zu Lene.Am Rande sei noch bemerkt, daß <strong>der</strong> Text sogar die angeblich zur Heirat zw<strong>in</strong>gende f<strong>in</strong>anzielle Notlagerelativiert. »Er hat 9000 jährlich <strong>und</strong> gibt 12000 aus«, wird über Botho kommentiert – offensichtlich hätte schone<strong>in</strong>e weniger ausschweifende Lebensführung ihn vom unmittelbaren Druck, sich zu verehelichen, befreienkönnen. Irrungen, Wirrungen erzählt nicht die Geschichte e<strong>in</strong>es Menschen, den die Gesellschaft an se<strong>in</strong>empersönlichen Glück h<strong>in</strong><strong>der</strong>t, weil Botho sich viel zu sehr mit <strong>der</strong>en Wertvorstellungen identifiziert <strong>und</strong> sich umke<strong>in</strong>e wirkliche Alternative bemüht. Dennoch unterscheidet er sich von den meisten se<strong>in</strong>er Standesgenossen,<strong>in</strong>dem er e<strong>in</strong> klares Bewußtse<strong>in</strong> für die Oberflächlichkeit <strong>und</strong> Unnatürlichkeit dieser Lebensform entwickelt hat.Die Kluft zwischen Realität <strong>und</strong> Ideal bleibt aber für ihn unüberbrückbar; dadurch ist er zu e<strong>in</strong>er – auch nachse<strong>in</strong>em Selbstverständnis – wahrhaftigen Liebe nicht fähig. Für e<strong>in</strong>e kurze Zeitspanne kann er mit Lenezum<strong>in</strong>dest se<strong>in</strong>e Sehnsucht danach ausleben, darüber h<strong>in</strong>aus gelangt Premierlieutenant im Kaiser-Kürassier-Regiment Botho Freiherr von Rienäcker allerd<strong>in</strong>gs nicht.Katja Beyfuß / Axel SanjoséEffi BriestWie viele Romane <strong>und</strong> Erzählungen Fontanes geht Effi Briest auf e<strong>in</strong>e wahre Begebenheit zurück: die Geschichtevon Armand Léon Baron von Ardenne <strong>und</strong> se<strong>in</strong>er Frau Elisabeth (Else), geborene Frei<strong>in</strong> von Plotho. Elisabethheiratete ihn offenbar aufgr<strong>und</strong> e<strong>in</strong>er Intervention ihrer Mutter, obwohl sie ihn zuvor abgewiesen hatte. ImSommer 1881 übersiedelten die Eheleute nach Düsseldorf, wo Ardenne als Rittmeister bei den Husaren diente.Das gebildete, weltoffene Paar versammelte e<strong>in</strong>en großen Fre<strong>und</strong>eskreis um sich, zu dem auch <strong>der</strong> AmtsrichterHartwich zählte. Zwischen diesem <strong>und</strong> Else entwickelte sich e<strong>in</strong> <strong>in</strong>times Liebesverhältnis; beide hatten vor, sichvon ihren Ehepartnern zu trennen <strong>und</strong> zu heiraten. Armand von Ardenne, <strong>der</strong> <strong>in</strong>zwischen von <strong>der</strong> Affäre erfahrenhatte, verschaffte sich die Korrespondenz <strong>der</strong> beiden, reichte e<strong>in</strong>e Scheidungsklage e<strong>in</strong> <strong>und</strong> for<strong>der</strong>te se<strong>in</strong>enfrüheren Fre<strong>und</strong> zum Duell, das am 27. November 1887 stattfand. Hartwich erlag wenige Tage darauf se<strong>in</strong>erSchußverletzung, <strong>und</strong> am 15. März 1887 wurde die Ehe zwischen Armand <strong>und</strong> Else rechtskräftig geschieden.Ardenne wurde wegen des Duells zu Festungshaft verurteilt, bald darauf aber begnadigt <strong>und</strong> konnte se<strong>in</strong>emilitärische Karriere fortsetzen. Else durfte die geme<strong>in</strong>samen K<strong>in</strong><strong>der</strong> nicht wie<strong>der</strong>sehen; sie widmete sich für denRest ihres Lebens humanitären Aufgaben <strong>und</strong> starb 1952, e<strong>in</strong> Jahr vor ihrem h<strong>und</strong>ertsten Geburtstag.Fontane, <strong>der</strong> von diesen Vorfällen angeblich bei e<strong>in</strong>er Tischgesellschaft erfuhr, begann im Jahr 1888 mitVorarbeiten zum Roman, den er allerd<strong>in</strong>gs erst sechs Jahre später beendete; übrigens verarbeitete se<strong>in</strong> KollegeFriedrich Spielhagen, se<strong>in</strong>erzeit ebenso bekannt wie Fontane, dieselben Ereignisse zu e<strong>in</strong>em Roman mit demTitel Zum Zeitvertreib.Gegenüber den tatsächlichen Begebenheiten ist die Handlung des Romans stark verän<strong>der</strong>t, <strong>und</strong> das offenbarnicht nur aus Gründen <strong>der</strong> Diskretion – angefangen beim großen Altersunterschied des Paares (Effi ist zumZeitpunkt <strong>der</strong> Eheschließung 17, Innstetten 38) bis h<strong>in</strong> zum frühen Tod <strong>der</strong> Held<strong>in</strong>. Effis Seitensprung ist wenigerdas Ergebnis ihres eigenen Willens als vielmehr ihrer Unfähigkeit, sich dem Willen des Majors Crampas zuwi<strong>der</strong>setzen. Scheidung <strong>und</strong> Heirat ziehen Effi <strong>und</strong> Crampas nie ernsthaft <strong>in</strong> Erwägung, auch wenn Effi e<strong>in</strong>malvon »Flucht« spricht. Innstetten sucht nicht mit Absicht nach Beweismaterial für e<strong>in</strong>e Scheidung, son<strong>der</strong>n stolpertzufällig darüber <strong>und</strong> glaubt, <strong>der</strong> Pflicht zur Wie<strong>der</strong>herstellung se<strong>in</strong>er Ehre durch e<strong>in</strong> Duell genügen zu müssen. Soergibt sich, viel mehr als es <strong>in</strong> <strong>der</strong> Realität <strong>der</strong> Fall gewesen se<strong>in</strong> dürfte, das Bild e<strong>in</strong>er verhängnisvollenVerstrickung, die Crampas <strong>und</strong> Effi das Leben kostet <strong>und</strong> auch Innstetten ohne wirkliche Genugtuung zurückläßt.Aber wie kommt es zu dieser Katastrophe? Unübersehbar ist e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> Ursachen <strong>in</strong> Effis Charakter angelegt –denn obwohl ihr e<strong>in</strong>deutig die Sympathie des impliziten Erzählers gilt, ist sie doch e<strong>in</strong> typisches Beispiel fürFontanes im Alter zunehmend kritischer gewordene Sichtweise <strong>der</strong> bürgerlichen Frau. E<strong>in</strong>er Leser<strong>in</strong> schrieb er:Ja, Effi! Alle Leute sympathisieren mit ihr <strong>und</strong> E<strong>in</strong>ige gehen so weit, im Gegensatze dazu, den Mann als e<strong>in</strong>en'alten Ekel' zu bezeichnen. Das amüsiert mich natürlich, giebt mir aber auch zu denken, weil es wie<strong>der</strong> beweist,wie wenig den Menschen an <strong>der</strong> sogenannten 'Moral' liegt <strong>und</strong> wie die liebenswürdigen Naturen demMenschenherzen sympathischer s<strong>in</strong>d. [...] Denn eigentlich ist er doch <strong>in</strong> jedem Anbetracht e<strong>in</strong> ganzausgezeichnetes Menschenexemplar, dem es an dem, was man lieben muß, durchaus nicht fehlt.Dem heutigen Leser, dem das Ritual des Duells völlig fremd ist, mag Innstetten noch unsympathischerersche<strong>in</strong>en als den Zeitgenossen <strong>und</strong> Effi daher noch unschuldiger <strong>und</strong> bemitleidenswerter. Doch <strong>der</strong> Text28

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