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Martina Igel Darstellung und Vergleich der Frauengestalten in

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L<strong>in</strong>dau stirbt, lässt Fontane se<strong>in</strong>e Effi Briest als tragische Held<strong>in</strong>, die am Konflikt zwischen Individuum <strong>und</strong>Gesellschaft zerbricht, im jungen Alter von knapp 26 Jahren sterben.Fontane erfuhr von dieser Geschichte wahrsche<strong>in</strong>lich bei e<strong>in</strong>em gesellschaftlichen Anlass <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, denn<strong>der</strong> Ehebruchskandal um die Familie Ardenne war zu se<strong>in</strong>er Zeit das Stadtgespräch. 1888 begann er mit<strong>der</strong> literarischen Ausarbeitung des Stoffes, die zu se<strong>in</strong>em größten Erfolg als Romancier werden sollte <strong>und</strong>se<strong>in</strong>e Stellung als bedeutendster Schriftsteller des bürgerlichen Realismus bis heute endgültig begründet.Versucht man nachzuvollziehen, wie Fontane selbst se<strong>in</strong>e Romanfigur e<strong>in</strong>schätzt, so wird zuerst deutlich,wie sehr ihn ihr Schicksal <strong>und</strong> ihre Persönlichkeit <strong>in</strong>teressiert haben müssen. Denn im Gegensatz zuvielen se<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en Romane schil<strong>der</strong>t er hier fast ihr gesamtes Leben, angefangen bei <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit <strong>und</strong>Jugend, die zwar nur <strong>in</strong> den ersten beiden Kapiteln kurz dargestellt werden, aber trotzdem e<strong>in</strong>ebeachtliche Rolle spielen, bis zu ihrem frühen, tragischen Tod. Somit steht fest, dass er <strong>in</strong> ‚Effi Briest‘ diegesamte Persönlichkeit se<strong>in</strong>er Hauptfigur den Lesern mitteilen will. Diese Erkenntnis führt wie<strong>der</strong>um zudem Schluss, dass Fontane am Charakter Effis etwas Beson<strong>der</strong>es ausdrücken will.Betrachtet man sich die Art <strong>und</strong> Weise, wie Fontane se<strong>in</strong>e Effi Briest darstellt, so fällt auf, dass siewährend des ganzen Romans – obwohl sie gegen die gesellschaftlichen Normen verstößt – immer denE<strong>in</strong>druck e<strong>in</strong>es zwar schwachen, aber liebenswürdigen Opfers macht. Sie, das anmutige Naturk<strong>in</strong>d, wirdnur durch fragwürdige <strong>und</strong> überholten Konventionen <strong>in</strong> ihr Ver<strong>der</strong>ben getrieben <strong>und</strong> zerbricht somit an <strong>der</strong>Gesellschaft. Diese <strong>Darstellung</strong> erklärt nicht nur die Sympathie <strong>der</strong> Leser, die Instetten – obwohl ermoralisch korrekt gemäß diesen Normen handelt – als „altes Ekel“(14/ S.111) verurteilen, son<strong>der</strong>n zeigtauch die beson<strong>der</strong>e Rolle auf, die die Figur <strong>der</strong> Effi Briest für Fontane spielt.Desweiteren ist trotz e<strong>in</strong>er gewissen Wi<strong>der</strong>sprüchlichkeit <strong>in</strong> ihrer Persönlichkeit, die vielleicht für denSchriftsteller den beson<strong>der</strong>en Reiz bei <strong>der</strong> <strong>Darstellung</strong> ausmachte, Effis wichtigstes Wesensmerkmal ihrek<strong>in</strong>dliche Natürlichkeit. Fontane , <strong>der</strong> se<strong>in</strong> Werk 1895 im Alter von 75 Jahren veröffentlichte, schrieb imselben Jahr <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Brief: „Dies Natürliche hat es mir seit lange angetan, ich lege nur darauf Gewicht,fühle mich nur dadurch angezogen […]“(14/ S.110). Auf Gr<strong>und</strong> se<strong>in</strong>er Menschenkenntnis <strong>und</strong>Lebenserfahrung blickt er h<strong>in</strong>ter die Konventionen <strong>und</strong> schätzt Natürlichkeit als das wirklich Wesentliche.Indem er dieses für ihn Wesentliche <strong>in</strong> <strong>der</strong> Person <strong>der</strong> Effi Briest deutlich darstellt, übt er gleichzeitigdurch das Schicksal, das ihr wi<strong>der</strong>fährt, Kritik an e<strong>in</strong>er Gesellschaft, die „dies Natürliche“ nicht akzeptiert,son<strong>der</strong>n <strong>in</strong> e<strong>in</strong> starres ‚Regelkorsett‘ zu drängen versucht.Deshalb fühlt er Mitleid für die empf<strong>in</strong>dliche Effi, die stellvertretend für die Natürlichkeit an diesenUmständen zerbricht. Dieses Mitgefühl <strong>und</strong> die dar<strong>in</strong> verpackte Kritik Fontanes an <strong>der</strong> Gesellschaft s<strong>in</strong>ddadurch begründet, dass Effi zwar so geschil<strong>der</strong>t ist, dass man fast zwangsläufig für sie Sympathieempf<strong>in</strong>det, sie aber trotz allem Verständnis, das <strong>der</strong> Leser ihr gegenüber aufbr<strong>in</strong>gt, letztendlich dochsterben muss. Somit ist se<strong>in</strong>e wirklich bemitleidenswerte Effi Briest mit all ihren Anlagen <strong>und</strong> ihremSchicksal als Kritik an <strong>der</strong> Gesellschaft aufzufassen.Aus heutiger, mo<strong>der</strong>ner <strong>und</strong> emanzipierter Sicht lässt sich diese Kritik an <strong>der</strong> Gesellschaft vor allem auchauf das von Effi Briest repräsentierte Frauenbild ausweiten. Natürlich s<strong>in</strong>d Effis natürlicher Charme, ihregefühlvolle Wärme <strong>und</strong> auch ihr liebenswertes Wesen nicht von <strong>der</strong> Hand zu weisen, aber so fallen heutemanche Charakterzüge doch beson<strong>der</strong>s negativ auf.Alle<strong>in</strong> die Tatsache, dass sie mit ihren 17 Jahren noch so k<strong>in</strong>dlich – naiv ist <strong>und</strong> sich ke<strong>in</strong>erlei Gedankenum die Bedeutung ihrer ‚Entscheidung‘ für ihre Zukunft macht, ist heute nahezu <strong>und</strong>enkbar. Daneben wirdvor allem ihre während des ganzen Romanverlaufs deutlich zum Ausdruck kommende Passivität ausheutiger Perspektive als negativ beurteilt o<strong>der</strong> entspricht zum<strong>in</strong>dest nicht dem heutigen Frauenbild. DaEffi es nicht e<strong>in</strong>mal versucht, sich gegen die Verführung o<strong>der</strong> gegen ihre ‚Bestrafung‘ wehren,geschweige denn sich im letzten Falle zu verteidigen o<strong>der</strong> zu erklären, wirkt sie nicht nur passiv, son<strong>der</strong>nvor allem auch schwach.Deshalb wird auch ihr Wutausbruch, <strong>in</strong> dem sie das e<strong>in</strong>zige Mal die Gesellschaft anklagt <strong>und</strong> <strong>der</strong> somite<strong>in</strong>en kurzfristigen Ausbruch aus dieser Passivität darstellt, von den heutigen Leser(<strong>in</strong>nen) als positivbewertet, denn er entspricht eher ihren Auffassungen. Um so enttäuschen<strong>der</strong> ersche<strong>in</strong>t <strong>in</strong> dieser H<strong>in</strong>sichtfür den Leser <strong>der</strong> heutigen Zeit dann wie<strong>der</strong>um Effis Versöhnungsversuch kurz vor ihrem Tode, da siesich so wie<strong>der</strong>um <strong>in</strong> die sie hart treffenden Konventionen fügt.E<strong>in</strong> weiterer Kritikpunkt aus emanzipierter Perspektive ist ihre Unselbständigkeit, durch die sie ihr ganzesLeben lang abhängig von an<strong>der</strong>en Personen bleibt. Sogar um sich zu unterhalten braucht Effioberflächliche Zerstreuung <strong>und</strong> ist somit wie<strong>der</strong> auf ihr Umfeld angewiesen, denn sie kann sich e<strong>in</strong>fachnicht alle<strong>in</strong>e beschäftigen. Noch deutlicher wird diese Unselbständigkeit daran, dass Effi vor allem <strong>in</strong>f<strong>in</strong>anzieller H<strong>in</strong>sicht immer von an<strong>der</strong>en – sei es ihr Ehemann, o<strong>der</strong> seien es ihre Eltern – abhängig ist.Die Annahme <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Interpretation des Werkes, Effi wäre „[…] durchaus fähig, auf sich selbst gestellt zuleben [.]“(12/ S.53), die sich auf ihre Lebenssituation <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> nach <strong>der</strong> Entdeckung <strong>der</strong> Affäre bezieht,erweist sich bei genauer Betrachtung als schlichtweg falsch. Sie wird dadurch wi<strong>der</strong>legt, dass Effie<strong>in</strong>erseits auf die f<strong>in</strong>anzielle Unterstützung ihrer Eltern angewiesen ist – sie selbst kann sich ihreneigenen Lebensunterhalt nicht f<strong>in</strong>anzieren, da sie nie gelernt hat zu arbeiten - <strong>und</strong> an<strong>der</strong>erseits durch dieTatsache, dass Roswitha, das frühere K<strong>in</strong><strong>der</strong>mädchen ihrer Tochter Annie, für sie sorgt.Somit ist festzustellen, dass das von Effi Briest vertretene Frauenbild, obwohl sie ihre gesellschaftlicheRolle zwar nicht erfüllt, genau se<strong>in</strong>er Zeit entspricht: Sie repräsentiert das ‚Ideal‘ des liebreizenden, aberpassiv – schwachen naiven ‚Frauchens‘, das <strong>in</strong> allem was es tut von an<strong>der</strong>en abhängig ist.Aus heutiger Sichtweise entspricht dieses Bild nicht den mo<strong>der</strong>nen Vorstellungen e<strong>in</strong>er selbständigen,aktiven <strong>und</strong> selbstbewussten, kurzum e<strong>in</strong>er emanzipierten Frau. Nach diesen Maßstäben beurteilt erfüllt19

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