Peripherie & Plastikmeer: Globale Landwirtschaft - Subkulinaria.de

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JOb Hungerrevolten im globalen Süden, wütende Proteste von Milchbauernund -bäuerinnen in Deutschland oder weltweiter Widerstand gegen gentechnologischmanipuliertes Saatgut - es liegt schon lange zurück, dass landwirtschaftspolitischeFragestellungen derart viel Beachtung in den (Massen-)Medien erfahren haben wie zur Zeit. Auf diese Weise wird der ebenso simplewie grundsätzliche Umstand in Erinnerung gerufen, dass im Kapitalismusselbst die Produktion von Nahrungsmitteln der schnöden Logik des Profitsgehorcht. Einer der diesbezüglich markantesten Sachverhalte ist zweifelsohnedas komplexe Verhältnis zwischen Landwirtschaft und Migration - ihm soll indieser Broschüre nachgegangen werden.JNoLager Bremen, Europäisches BürgerInnenforum (Hg Innen ) PERIPHERIE & PLASTIKMEERPERIPHERIE & PLASTIKMEERGlobale Landwirtschaft - Migration - WiderstandHerausgeberInnen: NoLager Bremen, Europäisches BürgerInnenforumHerausgeberInnen: NoLager Bremen, Europäisches BürgerInnenforum

JOb Hungerrevolten im globalen Sü<strong>de</strong>n, wüten<strong>de</strong> Proteste von Milchbauernund -bäuerinnen in Deutschland o<strong>de</strong>r weltweiter Wi<strong>de</strong>rstand gegen gentechnologischmanipuliertes Saatgut - es liegt schon lange zurück, dass landwirtschaftspolitischeFragestellungen <strong>de</strong>rart viel Beachtung in <strong>de</strong>n (Massen-)Medien erfahren haben wie zur Zeit. Auf diese Weise wird <strong>de</strong>r ebenso simplewie grundsätzliche Umstand in Erinnerung gerufen, dass im Kapitalismusselbst die Produktion von Nahrungsmitteln <strong>de</strong>r schnö<strong>de</strong>n Logik <strong>de</strong>s Profitsgehorcht. Einer <strong>de</strong>r diesbezüglich markantesten Sachverhalte ist zweifelsohnedas komplexe Verhältnis zwischen <strong>Landwirtschaft</strong> und Migration - ihm soll indieser Broschüre nachgegangen wer<strong>de</strong>n.JNoLager Bremen, Europäisches BürgerInnenforum (Hg Innen ) PERIPHERIE & PLASTIKMEERPERIPHERIE & PLASTIKMEER<strong>Globale</strong> <strong>Landwirtschaft</strong> - Migration - Wi<strong>de</strong>rstandHerausgeberInnen: NoLager Bremen, Europäisches BürgerInnenforumHerausgeberInnen: NoLager Bremen, Europäisches BürgerInnenforum


Die SOC-SAT ist eine andalusische LandarbeiterInnengewerkschaft. Sie setzt sich nicht nur für diesozialen Rechte von LandarbeiterInnen ein. Zu ihrer Agenda gehören auch antirassistische Aktivitäten,nicht zuletzt die offensive Unterstützung papierloser MigrantInnen in <strong>de</strong>r agrarindustriellenObst- und Gemüseproduktion Südspaniens. Diese doppelte Ausrichtung <strong>de</strong>r SOC-SAT ist in Europanahezu einzigartig. Wir rufen <strong>de</strong>shalb dazu auf, die Arbeit <strong>de</strong>r SOC-SAT mit Spen<strong>de</strong>n zu stärken:Bankverbindung: Posojilnica-Bank Železna Kapla/Bad Eisenkappel BLZ: 39130Konto: Verein Europäisches BürgerInnenforum/Österreich, Nr.: 8.055.451IBAN: AT94 3913 0000 0805, BIC: VSGKAT2K130Betreff: SOC-SAT Kampagne


PERIPHERIE & PLASTIKMEER<strong>Globale</strong> <strong>Landwirtschaft</strong> - Migration - Wi<strong>de</strong>rstandHerausgeberInnen: NoLager Bremen, Europäisches BürgerInnenforum2008JJJ


Impressum:HerausgeberInnen: NoLager Bremen, Europäisches BürgerInnenforumV.i.S.d.P.: Lisa Bolyos & Dieter Behrc/o Europäisches BürgerInnenforumLobnik 16A-9135 Eisenkappel/Železna KaplaErscheinungsort und -jahr: Wien 2008Herstellerin: REMAprint, 1160 WienLayout: Lisa BolyosFotografien: Lisa Bolyos, Haidy Damm, Leona GoldsteinÜbersetzungen: Trixie Graf, Nathali Eschenbacher, Conni Gunnser, Sarah Prehsler, Dieter Behr, SteffiWeiss, Lisa Bolyos, Kathi Hahn, Peter GerberTechnische Unterstützung: Michi BigusNachweise: Einige <strong>de</strong>r Texte sind bereits in folgen<strong>de</strong>n Zeitungen bzw. Zeitschriften erschienen: Archipel,Zeitung <strong>de</strong>s Europäischen BürgerInnenforums; Hinterland, Zeitschrift <strong>de</strong>s Bayrischen Flüchtlingsrates;ak – analyse & kritik – Zeitung für linke Debatte und Praxis; Frankfurter Rundschau. Lediglichim Fall <strong>de</strong>r Reportage „Gekentert im <strong>Plastikmeer</strong>“ ist es uns nicht gelungen, die Autorin direkt zukontaktieren und eine Abdruckgenehmigung zu erfragen. Im Interesse <strong>de</strong>r Sache haben wir uns<strong>de</strong>nnoch für einen Abdruck entschie<strong>de</strong>n.Copyleft: Die Inhalte von „<strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>” stehen, außer wenn an<strong>de</strong>rs angegeben, unter<strong>de</strong>r GNU-Lizenz für freie Dokumentation2


InhaltEditorial1. Teil: MigrantInnen in <strong>de</strong>r <strong>Landwirtschaft</strong>Was hat Gemüse mit Migration zu tun?Lebens- und Arbeitsbedingungen von MigrantInnen in <strong>de</strong>r europäischen<strong>Landwirtschaft</strong>Lisa Bolyos, Dieter Behr/Europäisches BürgerInnenforumDas Rote GoldfieberDie Logik <strong>de</strong>r Erdbeerproduktion in Huelva, SüdspanienSissel Brodal/Europäisches BürgerInnenforumGekentert im <strong>Plastikmeer</strong>Eine Reportage über die Arbeitsbedingungen <strong>de</strong>r TagelöhnerInnen in AlmeríaShelina Islam„Hier bist du nur zum Arbeiten – das ist alles“Erfahrungen einer polnischen Saisonarbeiterin in SüdspanienInterview: Emmanuelle Hellio/Volontärin <strong>de</strong>s Austauschprogramms„echanges et partenariats“„Wir hätten alles, was wir brauchen...“Erfahrungen rumänischer ArbeiterInnen in SüdspanienInterview: Silvia Perez VitoriaBittere ErdbeerenRekrutierung von marokkanischen ArbeiterInnen zur Erdbeerernte nachSüdspanienLucile Dumas/ATTAC MarokkoSaftige Tomaten, aber nicht für alle...Agrar-industrielle Tomatenproduktion in SüditalienCristina Brovia/Volontärin <strong>de</strong>s Austauschprogramms „echanges et partenariats“71112152024262831Inhalt3


„Eine Saison in <strong>de</strong>r Hölle“Arbeitsbedingungen in <strong>de</strong>r süditalienischen <strong>Landwirtschaft</strong>Zusammenfassung eines Berichts von Ärzte ohne Grenzen Italien, SteffiWeiss342. Teil: Hintergrün<strong>de</strong> von MigrationWenn sich die Blicke Richtung Senegal wen<strong>de</strong>nWeshalb junge SenegalesInnen immer wie<strong>de</strong>r die Bootspassage über <strong>de</strong>nAtlantik wagenSpitou Mendy/SOC-SAT„Wir haben Werte und wir haben Reichtümer“Zur Ausplün<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Kongo durch transnationale Konzerne, IWF & CoInterview: Dieter Behr/Europäisches BürgerInnenforum<strong>Globale</strong> <strong>Landwirtschaft</strong>, Migration & Mega-Cities8 Thesen zur Geschichte eines komplexen VerhältnissesGregor Samsa/NoLager BremenWo das Meer die Söhne verschlingtSelbsthilfe ist für viele Frauen im Senegal das Gebot <strong>de</strong>r Stun<strong>de</strong>Haidy Damm/Medienkombinat Berlin<strong>Peripherie</strong> als schwarzes LochGesellschaftliche Entwicklungen in Mittelosteuropa seit 1989Gregor Samsa/NoLager Bremen394044515861Fotoessay SenegalHaidy DammFotoessay Burkina FasoLeona GoldsteinFotoessay AndalusienLisa Bolyos6670764 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


3. Teil: Strategien <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rstands¡Tierra y Libertad!Landbesetzungen und migrantische SelbstorganisationLisa Bolyos, Dieter Behr/Europäisches BürgerInnenforum„Revolución“ im TreibhausPestizid-Kampagne von Greenpeace zeigt erste WirkungenGreenpeace DeutschlandNervosität bei <strong>de</strong>r PlastiklobbySpanische Agrarunternehmen machen LandarbeiterInnengewerkschaft fürGreenpeace-Kampagne verantwortlichNicholas Bell/Europäisches BürgerInnenforumArbeitskämpfe im GerichtssaalLandarbeiterInnen in Südfrankreich klagen gegen OMI-VerträgeNicholas Bell/Europäisches BürgerInnenforumContratos en origenGewerkschaftliche Aktion in Südspanien gegen Saisonnier-VerträgeNicholas Bell/Europäisches BürgerInnenforum„Das war ein Schwein...“Von <strong>de</strong>r Erntearbeit zur Gewerkschaft: Magda erzählt ihre GeschichteInterview: Cristina Brovia/Volontärin <strong>de</strong>s Austauschprogramms„echanges et partenariats“Höfesterben und mo<strong>de</strong>rne Sklaverei – Was tun?Anmerkungen anlässlich einer DelegationsreiseNicolas Duntze/Confe<strong>de</strong>ration PaysanneSupermärkte und GlobalisierungVom Ausverkauf sozialer Rechte durch EU, Lidl & Co.NoLager Bremen858689919399102104106Anhang109Inhalt5


EditorialLiebe LeserInnen,ob Hungerrevolten im globalen Sü<strong>de</strong>n, wüten<strong>de</strong> Proteste von Milchbauern und-bäuerinnen in Deutschland o<strong>de</strong>r weltweiter Wi<strong>de</strong>rstand gegen gentechnologischmanipuliertes Saatgut – es liegt schon lange zurück, dass landwirtschaftspolitischeFragestellungen <strong>de</strong>rart viel Beachtung in <strong>de</strong>n (Massen-)Medien erfahren haben wiezur Zeit. Wir begrüßen das – bei aller Dramatik <strong>de</strong>s Anlasses. Wird doch auf dieseWeise <strong>de</strong>r ebenso simple wie grundsätzliche Umstand in Erinnerung gerufen, dassim Kapitalismus auch die Produktion von Nahrungsmitteln <strong>de</strong>r schnö<strong>de</strong>n Logik<strong>de</strong>s Profits gehorcht. Einer <strong>de</strong>r diesbezüglich markantesten Sachverhalte ist zweifelsohnedas komplexe Verhältnis zwischen <strong>Landwirtschaft</strong> und Migration. Ihmmöchten wir im Rahmen dieser Broschüre auf drei Ebenen nachgehen:a) Spätestens seit Anfang <strong>de</strong>r 1990er Jahre ist es im weltweiten Einzelhan<strong>de</strong>l zuenormen Konzentrationsten<strong>de</strong>nzen gekommen. Hierdurch haben insbeson<strong>de</strong>reSupermarktketten eine gera<strong>de</strong>zu aberwitzig anmuten<strong>de</strong> Marktmacht erlangt. Konkreter:Mittels Preisdiktaten wer<strong>de</strong>n ZuliefererInnen massiv unter Druck gesetzt– wer nicht pariert, bleibt auf <strong>de</strong>r Strecke. Eines <strong>de</strong>r prominentesten Beispiele istzweifelsohne die agrarindustrielle Obst- und Gemüseproduktion in Europa. Vorallem <strong>de</strong>shalb, weil sie ohne die billige und flexible Arbeitskraft von MigrantInnen– viele von ihnen ohne Papiere – überhaupt nicht <strong>de</strong>nkbar wäre. Wir haben <strong>de</strong>swegenim ersten Teil <strong>de</strong>s Rea<strong>de</strong>rs Texte zusammengestellt, die sich mit <strong>de</strong>r Situationvon migrantischen LandarbeiterInnen beschäftigen, und zwar vornehmlich in Italienund Spanien, woher ein beträchtlicher Teil <strong>de</strong>s hiesigen Obstes und Gemüsesstammt. Selbstre<strong>de</strong>nd ist dies nicht möglich, ohne das Mo<strong>de</strong>ll landwirtschaftlicherIntensivproduktion als solches näher in <strong>de</strong>n Blick zu nehmen – einschließlich <strong>de</strong>rgezielten Rekrutierungsstrategien von MigrantInnen als SaisonarbeiterInnen bzw.TagelöhnerInnen.b) Ist von Migration die Re<strong>de</strong>, stehen in aller Regel die Verhältnisse in <strong>de</strong>n sogenannten Aufnahmegesellschaften im Mittelpunkt – bisweilen auch die katastrophalen,ja tödlichen Bedingungen auf <strong>de</strong>n Flucht- bzw. Migrationsrouten. Demgegenüberbleibt weitgehend unbesprochen, weshalb MigrantInnen überhauptaufbrechen und was dies mit jenen Prozessen zu tun hat, welche gemeinhin unter<strong>de</strong>m Schlagwort <strong>de</strong>r Globalisierung firmieren. In diesem Sinne haben wir für <strong>de</strong>nzweiten Teil <strong>de</strong>s Rea<strong>de</strong>rs Texte und Interviews ausgewählt, welche exemplarischEditorial7


die gesellschaftlichen Hintergrün<strong>de</strong> von Migration ausleuchten. Mit landwirtschaftlichenPerspektiven hängt all dies insofern zusammen, als in großen Teilen<strong>de</strong>s globalen Sü<strong>de</strong>ns <strong>Landwirtschaft</strong> und Migration die bei<strong>de</strong>n Seiten <strong>de</strong>rselbenMedaille darstellen.c) Die Arbeits- und Lebensbedingungen von LandarbeiterInnen in Europa sindzwar krass, mitunter auch verstörend. Dennoch regt sich schon seit langemWi<strong>de</strong>rstand. Hervorgehoben sei insbeson<strong>de</strong>re die andalusische LandarbeiterInnen-Gewerkschaft SOC-SAT, in welcher viele Hun<strong>de</strong>rt MigrantInnen – insbeson<strong>de</strong>reaus afrikanischen Län<strong>de</strong>rn – organisiert sind. Unterstützt wird die SOC-SAT seitvielen Jahren durch das Europäische BürgerInnenforum. So ist es etwa durch eineeuropaweite Spen<strong>de</strong>n-Kampagne gelungen, zwei von <strong>de</strong>r SOC-SAT betriebenesoziale bzw. gewerkschaftliche Zentren mitten in <strong>de</strong>n Gemüseanbaugebieten rundum Almeria zu finanzieren. Hierzulan<strong>de</strong> ist dieser Impuls von unterschiedlicherSeite aufgenommen wor<strong>de</strong>n, unter an<strong>de</strong>rem während <strong>de</strong>r G8-Proteste vergangenesJahr in Heiligendamm. Stellvertretend sei etwa eine Kundgebung vor einer Filiale<strong>de</strong>r Discounter-Kette Lidl im Rahmen <strong>de</strong>s Migrationsaktionstages am 4. Junierwähnt – im übrigen unter Beteiligung eines Vertreters <strong>de</strong>r SOC-SAT. Hierzupasst, dass aktuell mehrere Gruppen – darunter die HerausgeberInnen diesesRea<strong>de</strong>rs – mit <strong>de</strong>r Frage befasst sind, wie eine längerfristig angelegte Kampagne zuSupermärkten aussehen könnte, auch in Hinblick auf die bereits laufen<strong>de</strong> Lidl-Kampagne <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Kurzum: Im drittenTeil <strong>de</strong>s Rea<strong>de</strong>rs wird es um Wi<strong>de</strong>rstandspraxen gehen – aktuelle wie zukünftige.In Sachen Supermarkt-Kampagne fin<strong>de</strong>t Mitte Mai 2008 in Bremen eine erstegrößere Veranstaltung statt – unter <strong>de</strong>m Motto „Supermärkte und Globalisierung.Vom Ausverkauf sozialer Rechte durch EU, Lidl & Co.“. Neben einer Lidl-Kampagnerinvon ver.di – sowie weiteren Gästen – wird an dieser Veranstaltung auchSpitou Mendy von <strong>de</strong>r SOC-SAT teilnehmen. Das ist insofern be<strong>de</strong>utsam, als sicherst vor diesem Hintergrund die konkreten Zielsetzungen benennen lassen, welchewir mit <strong>de</strong>r Erstellung dieses Rea<strong>de</strong>rs verbin<strong>de</strong>n: Erstens möchten wir die Arbeit<strong>de</strong>r SOC-SAT politisch und materiell unterstützen – <strong>de</strong>r ausdrückliche Verweisauf das diesbezügliche Spen<strong>de</strong>nkonto (vgl. Umschlaginnenseite) ist <strong>de</strong>shalb mehrals bloße Solidaritätsfolklore! Zweitens möchten wir uns für Kooperationsprojekteentlang so genannter Wertschöpfungsketten stark machen – etwa zwischen Lidl-Beschäftigten in Deutschland und papierlosen LandarbeiterInnen in Südspanien.Ein Unterfangen – so viel dürfte sich von selbst verstehen – welches nur gelingenwird, so <strong>de</strong>nn Differenzen und Wi<strong>de</strong>rsprüche offen angegangen wer<strong>de</strong>n: etwa dieDebatte um die von antirassistischer Seite propagierte For<strong>de</strong>rung nach globalerBewegungsfreiheit (verwiesen sei in diesem Zusammenhang auch auf die Initiativewww.globale-soziale-rechte.<strong>de</strong>). Drittens möchten wir einen Beitrag zur Forcierungtransnationaler Organisierungsprozesse leisten. Exemplarisch sei das Interview8 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


mit <strong>de</strong>m kongolesischen Via Campesina-Aktivisten Victor Nzuzi hervorgehobeno<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Bericht einer transnational zusammengesetzten Gewerkschaftsreise nachRumänien.Der hier vorgelegte Rea<strong>de</strong>r ist keineswegs vom Himmel gefallen, er steht vielmehrin unmittelbarem Zusammenhang mit früheren, wärmstens empfohlenen Publikationen:Zum einen mit zwei vom Europäischen BürgerInnenforum herausgegebenSammelbän<strong>de</strong>n: “Bittere Ernte - Die mo<strong>de</strong>rne Sklaverei in <strong>de</strong>r industriellen<strong>Landwirtschaft</strong> Europas/2004” und „Anatomie eines Pogroms - z.B. El Ejido:Bericht einer Delegation europäischer Bürgerinnen und Bürger über die rassistischenAusschreitungen vom Februar 2000 in Andalusien“. Zum an<strong>de</strong>ren mit <strong>de</strong>mvom „Aktionsnetzwerk globale <strong>Landwirtschaft</strong>“ anlässlich <strong>de</strong>s G8-Gipfels erstelltenRea<strong>de</strong>r „Wi<strong>de</strong>rstand ist fruchtbar. Analysen und Perspektiven für eine nichtkapitalistische<strong>Landwirtschaft</strong>“. Ihr fin<strong>de</strong>t genauere Angaben zu diesen und vielenan<strong>de</strong>ren Publikationen und Links im letzten Teil <strong>de</strong>r Broschüre.Last but not least: Wir möchten all jenen InterviewpartnerInnen danken, die vonihren eigenen Erfahrungen in <strong>de</strong>r Saisonarbeit berichtet haben! Denn meist sin<strong>de</strong>s erst solche Berichte, welche überhaupt einen Zugang zu <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n reichenIndustrielän<strong>de</strong>rn gemeinhin verdrängten Welt landwirtschaftlicher Produktionermöglichen.Wien/Bremen, im April 2008Editorial9


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1. Teil: MIGRANTiNNEN IN DER LANDWIRTSCHAFTWas hat Gemüse mit Migration zu tun?/Lisa Bolyos, Dieter Behr J Das RoteGoldfieber/Sissel Brodal J Gekentert im <strong>Plastikmeer</strong>/Shelina Islam J „Hier bistdu nur zum Arbeiten – das ist alles“/Interview: Emmanuelle Hellio J „Wir hättenalles, was wir brauchen...“/Interview: Silvia Perez Vitoria J Bittere Erdbeeren/Lucile Dumas J Saftige Tomaten, aber nicht für alle.../Cristina Brovia J „EineSaison in <strong>de</strong>r Hölle“/Zusammenfassung von Steffi Weiss1. Teil: MigrantInnen in <strong>de</strong>r <strong>Landwirtschaft</strong>11


Was hat Gemüse mit Migration zu tun?Lebens- und Arbeitsbedingungen von MigrantInnen in <strong>de</strong>r europäischen <strong>Landwirtschaft</strong>Soziale Entrechtung von LandarbeiterInnen, die offene rassistische Stimmung unddie fortgesetzte Umweltzerstörung im südspanischen Almería geben nach wie vorAnlass, sich über die industrielle <strong>Landwirtschaft</strong> in Europa kritische Gedanken zumachen.In <strong>de</strong>r Region, die sich über ca. hun<strong>de</strong>rt Kilometer entlang <strong>de</strong>r Mittelmeerküsteerstreckt, bedingt <strong>de</strong>r intensive Obst- und Gemüsebau die Anstellung einerVielzahl entrechteter LandarbeiterInnen aus afrikanischen, lateinamerikanischenund osteuropäischen Län<strong>de</strong>rn. Aber auch im landwirtschaftlichen Sektor an<strong>de</strong>rereuropäischer Län<strong>de</strong>r existieren Strukturen <strong>de</strong>r Ausbeutung, von <strong>de</strong>nen ArbeitsmigrantInnenbetroffen sind. Dagegen regt sich an vielen Orten Wi<strong>de</strong>rstand.Der Anlass zum Beginn von Recherchen und Solidaritätsarbeit zum ThemaArbeitsmigration in <strong>de</strong>r <strong>Landwirtschaft</strong> war ein alarmieren<strong>de</strong>r: In <strong>de</strong>n erstenFebruartagen <strong>de</strong>s Jahres 2000 ereigneten sich in <strong>de</strong>r Provinz Almeria während dreiTagen gewalttätige Pogrome gegen marokkanische ArbeitsmigrantInnen, die in<strong>de</strong>r intensiven Gemüseproduktion <strong>de</strong>r Region beschäftigt waren. EinwohnerInnen<strong>de</strong>r Stadt El Ejido, die nahe an <strong>de</strong>r andalusischen Mittelmeerküste liegt, jagtenMigrantInnen mit Baseballschlägern durch die Straßen, zerstörten ihre Geschäfte,Lokale, ihre Kultstätten und ihre ärmlichen Behausungen. Das Europäische BürgerInnenforum1 (im folgen<strong>de</strong>n EBF) organisierte daraufhin die erste internationaleMenschenrechts-Delegation, die die Hintergrün<strong>de</strong> für <strong>de</strong>n Rassismus zu ergrün<strong>de</strong>nversuchte. Noch im Herbst <strong>de</strong>s Jahres 2000 erschien die Publikation „El Ejido –Anatomie eines Pogroms“.Das EBF beobachtet seit<strong>de</strong>m die Situation in <strong>de</strong>r Region aufmerksam und unterstütztdie LandarbeiterInnengewerkschaft SOC-SAT 2 (Syndicato dos Obreras/os<strong>de</strong>l campo) im Kampf um Arbeits- und Sozialrechte sowie für die Legalisierungvon papierlosen Migrantinnen und Migranten. In <strong>de</strong>n letzten Jahren wur<strong>de</strong> eineSolidaritätskampagne in mehreren europäischen Län<strong>de</strong>rn lanciert, um in <strong>de</strong>rRegion die Einrichtung zweier Gewerkschaftslokale für ArbeitsmigrantInnen zuermöglichen.Strukturelle Hintergrün<strong>de</strong>Auf mehr als fünfunddreißigtausend Hektar erstrecken sich die Plastikgewächshäuserim „Poniente”, <strong>de</strong>r Region zwischen El Ejido und Almería im südspanischen12 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


Andalusien. Auf dieser Fläche wird für je<strong>de</strong>n und je<strong>de</strong> EuropäerIn mehr als zehnKilo Treibhausgemüse im Jahr produziert. Es han<strong>de</strong>lt sich um die größte Konzentrationvon Gemüse- und Obstanbau unter Plastik weltweit. Während <strong>de</strong>r Hochsaisonim Winter verlassen täglich rund tausend Lastwagen das „<strong>Plastikmeer</strong>“, um dieWare an die Supermärkte in ganz Europa auszuliefern. Eine zerstörte Umwelt, einevon Pestizi<strong>de</strong>n und üblen Gerüchen gesättigte Luft, eine Landschaft ohne Grünflächen,ohne Bäume, ohne sauberes Wasser, kurzum, eine industrielle Einö<strong>de</strong>, das ist<strong>de</strong>r Preis.ArbeitsmigrantInnen, die aus afrikanischen, lateinamerikanischen o<strong>de</strong>r osteuropäischenLän<strong>de</strong>rn kommen, sind unerlässlich für die Aufrechterhaltung dieses„Wirtschaftswun<strong>de</strong>rs“. Von <strong>de</strong>n rund 90.000 übers Jahr Beschäftigten sind ca.96% MigrantInnen, viele davon illegalisiert. Die ArbeiterInnen müssen je<strong>de</strong>rzeitzu Verfügung stehen und leben nach <strong>de</strong>n Vorstellungen <strong>de</strong>r Patrons am besten inRufweite in einem Plastikverschlag. Prekäre Arbeitsverhältnisse und Illegalisierungschaffen eine Situation, in <strong>de</strong>r die MigrantInnen ohne soziale Absicherung nachBelieben eingestellt und wie<strong>de</strong>r entlassen wer<strong>de</strong>n können. Eine verschärfte Konkurrenzzwischen <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen MigrantInnengruppen, soziale Ausgrenzungund Rassismus sind feste Bestandteile dieses Systems. Unzwei<strong>de</strong>utig manifestiertsich <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital, zwischen sklavereiähnlichenLebens- und Arbeitsbedingungen für migrantische LandarbeiterInnen undagroindustrieller Gewinnabschöpfung.Aufbau von Forschungs- und SolidaritätsnetzwerkenAb <strong>de</strong>m Jahr 2000 organisierte das EBF auch Arbeitstreffen und Symposien, bei<strong>de</strong>nen die europäische Dimension <strong>de</strong>s Themas „Arbeitsmigration in <strong>de</strong>r <strong>Landwirtschaft</strong>“diskutiert wur<strong>de</strong>. In diesem Netzwerk waren von Anfang an Bauern undBäuerinnen, WissenschaftlerInnen, GewerkschafterInnen und VertreterInnen vonMigrantInnenorganisationen aus Frankreich, Spanien, Deutschland, <strong>de</strong>r Schweiz,Österreich, <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n, England und Polen vertreten.Ascen Uriarte vom Europäischen BürgerInnenforum schrieb in <strong>de</strong>r Oktoberausgabe2001 <strong>de</strong>s „Archipel“, <strong>de</strong>r Monatszeitung <strong>de</strong>s EBF, über ein Treffen in <strong>de</strong>rsüdfranzösischen Provinz Bouches du Rhônes vom August <strong>de</strong>sselben Jahres: „Dievom EBF durchgeführten Nachforschungen über die Ereignisse in El Ejido bestätigendie Tatsache, dass die Ausbeutung von ImmigrantInnen und Rassismus festeBestandteile <strong>de</strong>s herrschen<strong>de</strong>n Wirtschaftssystems sind. Es genügt jedoch nicht,nur die Situation im Sü<strong>de</strong>n Spaniens anzuprangern, weil diese Art von Ausbeutungim Sektor Obst und Gemüse auch in <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Län<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r EuropäischenUnion praktiziert wird. (...) Mehrere Gruppen haben sich gebil<strong>de</strong>t, welche dieseUntersuchungen auf europäischer Ebene weiterführen wer<strong>de</strong>n” (Archipel Nr. 87,Oktober 2001).Auf <strong>de</strong>r Basis dieser Zusammenarbeit entstand 2004 die Publikation „Bittere ErnteWas hat Gemüse mit Migration zu tun?13


– die mo<strong>de</strong>rne Sklaverei in <strong>de</strong>r industriellen <strong>Landwirtschaft</strong> Europas“, die Beiträgeaus Spanien, Frankreich, <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r Schweiz, Österreich, Deutschlandund Polen umfasst sowie die Rolle <strong>de</strong>r Supermärkte beleuchtet.Die AutorInnen gingen von <strong>de</strong>r These aus, dass die Entwicklungen im „<strong>Plastikmeer</strong>von Almería“, aber auch im gesamten Obst- und Gemüsesektor in ursächlichemZusammenhang stehen mit <strong>de</strong>r Umsetzung von agroindustriellen Leitliniendurch die gemeinsame Agrarpolitik <strong>de</strong>r EU. Das in Europa dominieren<strong>de</strong> <strong>Landwirtschaft</strong>smo<strong>de</strong>ll<strong>de</strong>s „Wachsens o<strong>de</strong>r Weichens” bringt in verschie<strong>de</strong>nen Län<strong>de</strong>rnähnliche Strukturen hervor, ob auf <strong>de</strong>n Pfirsichplantagen Südfrankreichs, in <strong>de</strong>nholländischen High-Tech-Glashäusern, im süditalienischen Apulien o<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>nSpargel- und Erdbeerfel<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s ostösterreichischen Marchfelds. Um gewinnbringendzu wirtschaften und konkurrenzfähig zu bleiben, müssen die mo<strong>de</strong>rnenAgrarunternehmen über eine Reservearmee von billigen, möglichst rechtlosenausländischen Arbeitskräften verfügen können. Die Arbeitskräfte stellen meist <strong>de</strong>neinzigen variablen Kostenfaktor im Produktionsprozess dar.Gleichzeitig entwickelt sich aber auch Wi<strong>de</strong>rstand, und Prozesse <strong>de</strong>r Selbstorganisationvon MigrantInnen beginnen sichtbar zu wer<strong>de</strong>n. Eingebettet in transnationaleNetzwerke artikulieren die AkteurInnen ihre For<strong>de</strong>rungen und setzen <strong>de</strong>rZersplitterung und Ausbeutung ihre Solidarität und Kampfbereitschaft entgegen.Lisa Bolyos, Dieter Behr/Europäisches BürgerInnenforum12Das EBF wur<strong>de</strong> einige Monate nach <strong>de</strong>m Fall <strong>de</strong>r Berliner Mauer gegrün<strong>de</strong>t. Die Initiative ging vonMenschen aus Ost- und Westeuropa aus, die bereits im Rahmen <strong>de</strong>s Europäischen Komitees zurVerteidigung <strong>de</strong>r Flüchtlinge und ArbeitsmigrantInnen (C.E.D.R.I.), <strong>de</strong>r Europäischen Fö<strong>de</strong>rationFreier Radios (F.E.R.L.) und <strong>de</strong>r Europäischen Kooperative Longo Mai zusammengearbeitet hatten.Das EBF organisierte zahlreiche Projekte mit JournalistInnen, GewerkschafterInnen, WissenschafterInnen,freien Radiostationen und selbstverwalteten Kooperativen aus und außerhalb von Europa.Die SOC (Syndicato <strong>de</strong> obreros/as <strong>de</strong>l campo) schloss sich im Jahr 2007 mit <strong>de</strong>r Gewerkschaft„autonomia obrera“ zum Gewerkschaftsbund SAT zusammen (Syndicato Andaluz <strong>de</strong> trabajadoras/os). Je nach Kontext schreiben wir in <strong>de</strong>r vorliegen<strong>de</strong>n Broschüre „SOC” bzw. „SOC-SAT”.14 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


Die Produktion ist seit einigen Jahren stabil, die Anzahl <strong>de</strong>r Hektar – heute etwa7000 – sinkt aber (um 30 Prozent in fünf Jahren), ebenso die Anzahl <strong>de</strong>r Betriebe.Der Grund dafür ist, dass für je<strong>de</strong> Etappe dieses Anbaus viel Geld nötig ist:30 Prozent <strong>de</strong>r Erdbeeren wachsen unter gewöhnlichen Tunnels, die restlichen70 Prozent unter „Mikro-Tunnels“. Schwarzes Plastik be<strong>de</strong>ckt <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n. Dieseswird je<strong>de</strong>s Jahr ausgewechselt, die Tunnels können zwei bis drei Jahre halten. Dasjährliche Gesamtgewicht dieser Abfälle beträgt etwa 15.000 Tonnen, nur ein Teildavon wird wirklich entsorgt. Um Krankheiten und Parasiten zu vermei<strong>de</strong>n, wird<strong>de</strong>r Bo<strong>de</strong>n mit einem Mittel <strong>de</strong>sinfisziert, das seit 2005 von <strong>de</strong>r EU verboten ist.Für die Regionen Almería und Huelva wur<strong>de</strong> aber eine Ausnahme gemacht, weilbisher kein so effizientes und weniger schädliches Mittel erfun<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong>.Die Pflanzen stammen alle aus <strong>de</strong>r Davis-Universität in Kalifornien, die auchPatentgebühren erhebt. Sie wer<strong>de</strong>n ein erstes Mal in <strong>de</strong>r Region von Segovia eingepflanzt,wo das kühle Klima sie resistent macht, um dann im Oktober nach Huelvaverpflanzt zu wer<strong>de</strong>n. Pro Hektar wer<strong>de</strong>n 70.000 Pflanzen gesetzt. Je<strong>de</strong> davon trägtetwa 800 bis 900g Erdbeeren. Sie müssen regelmäßig gegen ihre zwei Todfein<strong>de</strong>,die rote Spinne und „Threts“ behan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n, einmal alle 14 Tage mit „traditionellen“,heute aber verbotenen Mitteln, o<strong>de</strong>r aber zwei bis dreimal die Woche mitzugelassenen Mitteln.Die Ernte dauert normaler Weise von Februar bis En<strong>de</strong> Mai. Die Pflanzen wer<strong>de</strong>ndann ausgerissen, wenn sie am meisten produzieren, weil <strong>de</strong>r einzige Vorzug <strong>de</strong>r„Erdbeere aus Huelva“ ist, dass sie früher als alle an<strong>de</strong>ren auf <strong>de</strong>m Markt ist. DerVerkauf innerhalb von Spanien beträgt weniger als ein Drittel <strong>de</strong>r Gesamtproduktion.Deutschland ist <strong>de</strong>r größte Abnehmer, darauf folgen Großbritannien, Frankreichund Italien. Der Han<strong>de</strong>l wird über Zwischenhändler abgewickelt, welche dieWare in 70 bis 80 Prozent <strong>de</strong>r Fälle an Großketten verkaufen. Die landwirtschaftlichenBetriebe haben dabei gar nichts zu sagen. Die Abnehmer bestimmen <strong>de</strong>nPreis. Zu Beginn <strong>de</strong>r Saison können sie bis 3,50€ pro Kilo zahlen und am En<strong>de</strong>nur noch 0,50€. Die Erdbeeren sind eine heikle Ware, und ist <strong>de</strong>r Abnehmer nichtzufrie<strong>de</strong>n, kann es passieren, dass er gar nichts zahlt. In <strong>de</strong>r Obst- und Gemüsekettemacht <strong>de</strong>rjenige am meisten Profit, <strong>de</strong>r am weitesten von <strong>de</strong>r Produktionentfernt ist.Die vielen BesitzerInnen von zwei bis drei Hektaren sind oft sehr verschul<strong>de</strong>t. Ihrfinanzielles Gleichgewicht ist so anfällig, dass sie meistens nur ein einziges schlechtesJahr überstehen können. Viele müssen aufgeben. Nur die, die schon groß sind,wachsen weiter. Sie sind es auch, die hinter <strong>de</strong>r einzigen wirklichen Konkurrenzfür die „Erdbeere aus Huelva“ stehen – <strong>de</strong>r Erdbeere aus Marokko. Dort ist dieSonne noch wärmer und die Arbeitskraft noch billiger. Die großen Unternehmeraus Huelva sie<strong>de</strong>ln sich dort an und produzieren Erdbeeren zur Hälfte <strong>de</strong>r Kosten.90 Prozent <strong>de</strong>r marokkanischen Erdbeeren sind spanisch und wer<strong>de</strong>n oft als solcheverkauft, über dieselben Kanäle. In Huelva för<strong>de</strong>rn die gleichen Unternehmer die16 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


Diversität: Auf Hun<strong>de</strong>rten von Hektaren blühen jetzt Pfirsiche, Himbeeren undan<strong>de</strong>res Kleinobst. Auch das erfor<strong>de</strong>rt große Investitionen.Die Produktionskosten für ein Kilo Erdbeeren belaufen sich auf 0,80€. Davon sindbis 70 Prozent Lohnkosten. Dies ist <strong>de</strong>r einzige Posten <strong>de</strong>s Budgets, bei <strong>de</strong>m dieUnternehmerInnen einen gewissen Spielraum haben. Unter solchen Umstän<strong>de</strong>nverwan<strong>de</strong>lt sich <strong>de</strong>r Arbeitsmarkt schnell in ein Schlachtfeld, auf <strong>de</strong>m alle Metho<strong>de</strong>n,von <strong>de</strong>nen man annimmt, dass sie die Kosten senken wer<strong>de</strong>n, zum Einsatzkommen. Das älteste und wirksamste Mittel ist, einen Überschuss an Arbeitskräftenzu schaffen.In Almería ist <strong>de</strong>r Boom <strong>de</strong>s Sommergemüses in Winterzeiten vor allem durch dieausländischen ArbeiterInnen möglich gewor<strong>de</strong>n. Die Erdbeeren hingegen wur<strong>de</strong>nwährend Jahren von spanischen TagelöhnerInnen geerntet. Je<strong>de</strong> Provinz verhan<strong>de</strong>ltdie Kollektivverträge separat aus. In <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Provinzen, Almeria und Huelva,sind die Arbeitsbedingungen die schlimmsten, die Löhne die niedrigsten, die Kollektivverträgewer<strong>de</strong>n am wenigsten eingehalten. Die Arbeit in <strong>de</strong>n Erdbeerplantagenist gänzlich saisonbedingt, und die Mehrheit <strong>de</strong>r ArbeiterInnen kommt nur fürdie Ernte. Dies erschwert jegliche gewerkschaftliche Organisation.Diejenigen spanischen TagelöhnerInnen, die eine Wahl treffen können, ziehendaher an<strong>de</strong>re Ernten vor o<strong>de</strong>r arbeiten auf <strong>de</strong>m Bau. Seit etwa zehn Jahren habenAfrikanerInnen und an<strong>de</strong>re MigrantInnen ihren Platz eingenommen. Anfänglichsind diese Saisonniers, ob „legal“ o<strong>de</strong>r „illegal“, eher <strong>de</strong>sorientiert und relativ leichtauszubeuten, mit <strong>de</strong>r Zeit wer<strong>de</strong>n sie aber unbequemer und stellen For<strong>de</strong>rungen.Im Jahr 2001, nach langen und harten Kämpfen, vor allem von Seiten <strong>de</strong>r Marokkaner,erhielten mehrere Tausend von ihnen eine Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung.Dann plötzlich, im Jahr 2002, brauchten die UnternehmerInnen sie nichtmehr – sie hatten 7.000 Frauen aus Polen und Rumänien mit Herkunftsverträgenkommen lassen. Männer aus <strong>de</strong>m Sü<strong>de</strong>n stan<strong>de</strong>n auf einmal unter unbeschreiblichenBedingungen da: keine Arbeit, keine Wohnung, kein Geld, keine Lebensmittel.Seither ist diese Organisation zur Regel gewor<strong>de</strong>n: Auf <strong>de</strong>r einen Seite die spanischenTagelöhnerInnen und mehr und mehr Frauen aus Osteuropa und Marokkomit Herkunftssverträgen, auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren die Reservearmee, vor allem Männer aus<strong>de</strong>m Sü<strong>de</strong>n mit o<strong>de</strong>r ohne gültige Papiere. Sie hausen in Chabolas, zusammengestückelteUnterkünfte aus Plastik und an<strong>de</strong>ren Abfällen. In Perio<strong>de</strong>n mit wenigArbeit geschieht es oft, dass Wächter und Polizei die Unterkünfte nie<strong>de</strong>rreißen unddie BewohnerInnen in <strong>de</strong>n Wald jagen, damit niemand sie sieht. Auf <strong>de</strong>m Höhepunkt<strong>de</strong>r Saison wird es toleriert, dass sie sich in <strong>de</strong>r Nähe <strong>de</strong>r Höfe wie<strong>de</strong>r nie<strong>de</strong>rlassen.Die UnternehmerInnen holen sie zur Arbeit für eine lächerliche Summe,wenn es viel zu ernten gibt, am Abend, an Sonntagen o<strong>de</strong>r ganz einfach, wenn sie<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren klar machen wollen, dass es immer noch eine Reserve gibt, die bereitDas rote Goldfieber17


Die Erdbeerfel<strong>de</strong>r erwecken <strong>de</strong>n Eindruck eines riesigen Experimentierfelds, womo<strong>de</strong>rne Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Arbeitsorganisation ausprobiert wer<strong>de</strong>n und wo die einendie an<strong>de</strong>ren durch ein ständiges Hin und Her ersetzen: Die MigrantInnen ersetzendie „Ansässigen“, die „Illegalen“ die „Legalen“, die Frauen die Männer, die „Legalen“die „Illegalen“, und neue Varianten wer<strong>de</strong>n noch dazukommen. Die „contratosen origen“, die Herkunftsverträge wer<strong>de</strong>n als ein Mittel gegen die Schattenwirtschaftund die „illegale“ Arbeit dargestellt. Sie sind keineswegs eine spanischeErfindung, ähnliche Verträge gibt es unter an<strong>de</strong>ren Namen in vielen europäischenLän<strong>de</strong>rn. Die Vorteile sind auffallend: Die ArbeiterInnen, die einen solchen Vertragunterzeichnen, haben fast gleich wenig Rechte wie Illegalisierte, dazu kommeneinige Verpflichtungen, vor allem an die Staatskasse. Dies ist <strong>de</strong>r Preis <strong>de</strong>r Legalität.Oft sind die Verträge aber <strong>de</strong>r erste Schritt in die „Illegalität“. Um dies zu verhin<strong>de</strong>rn,reicht es nicht, wie es in Huelva <strong>de</strong>r Fall ist, Frauen auszuwählen, die Mannund Kin<strong>de</strong>r zu Hause haben, im Gegenteil: Beson<strong>de</strong>rs sie müssen Geld mit nachHause bringen und so kommt es, dass sie sich oft in an<strong>de</strong>ren Sektoren verdingen.Für die Saison 2005 haben mehr als 800 Frauen aus Marokko Herkunftsverträgeunterschrieben 3 . Die marokkanische Presse war beunruhigt: Wie wer<strong>de</strong>n sie sichverhalten? Wer<strong>de</strong>n sie nach Hause zurückkehren? Wer<strong>de</strong>n sie verstehen, dass <strong>de</strong>rRuf Marokkos als Lieferant von Arbeitskräften auf <strong>de</strong>m Spiel steht? Um diesen Rufzu schützen, „muss Marokko alles tun, um die illegale Immigration zu verhin<strong>de</strong>rn“(vgl. Maroc Hebdo, 2.1.2005). So wie es die Europäische Union auch tut. ImApril 2005 hat sie 9.600 Millionen Euros <strong>de</strong>s Budgets 2007-2012 für <strong>de</strong>n „Kampfgegen <strong>de</strong>n Terrorismus und für die Sicherheit“ bewilligt. Der größte Posten? Der„Kampf gegen die illegale Immigration“ – fast 6 Milliar<strong>de</strong>n Euro. Die marokkanischenMänner stehen hier hoch oben auf <strong>de</strong>r Liste, in <strong>de</strong>m einen Fall wie iman<strong>de</strong>ren.Sissel Brodal/Europäisches BürgerInnenforum123An <strong>de</strong>r Delegation nahmen teil: Ryszard Strycharczuk, D-Berlin; Sandra Blessin, Agrarreferentinbei <strong>de</strong>r BUKO Agrar Koordination, D-Hamburg; Hei<strong>de</strong>marie Rest-Hinterseer,Nationalratsabgeordnete „Die Grünen“, ÖBV (Österreichische Bergbauern- und BergbäuerinnenVereinigung),A-Dorfgastein; Ab<strong>de</strong>selam Mahmoudi, Politikwissenschafter,Übersetzer, Asylkoordination Österreich, A-Graz; Kathi Hahn, EBF Österreich, Longomaï, A-Eisenkappel/Železna Kapla; Urs Sekinger, Koordinator Solifonds, Präsi<strong>de</strong>ntVPOD-NGO, mandatiert von UNIA, CH-Zürich; Raymond Gétaz, Forum CiviqueEuropéen, CH-Un<strong>de</strong>rvelier; Sissel Brodal, CEDRI, Comité Européen pour la Défense<strong>de</strong>s Réfugiés et <strong>de</strong>s Immigrés, N-FjerdingbyVgl. „Das kalifornische Mo<strong>de</strong>ll“ in „Bittere Ernte. Die mo<strong>de</strong>rne Sklaverei in <strong>de</strong>r industriellen<strong>Landwirtschaft</strong> Europas“. EBF, 2004Im Jahr 2008 waren es bereits 12.000 ArbeiterInnen aus Marokko. Siehe auch Artikel„Bittere Erdbeeren“ von Lucile DumasDas rote Goldfieber19


Gekentert im <strong>Plastikmeer</strong>Eine Reportage über die Arbeitsbedingungen <strong>de</strong>r TagelöhnerInnen in AlmeríaWenn es in Europa Winter wird, fin<strong>de</strong>n KonsumentInnen hierzulan<strong>de</strong> beim Gangin <strong>de</strong>n Supermarkt trotz <strong>de</strong>r Jahreszeit in <strong>de</strong>r Obst- und Gemüseabteilung ein reichesAngebot vor. Frische Paprika, Tomaten und Zucchini füllen die Auslagen <strong>de</strong>rDiscounter. Doch <strong>de</strong>r mediterrane Sommersalat zur Vorweihnachtszeit wird teuerbezahlt: ArbeitsmigrantInnen aus Län<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s Maghreb, Subsahara- Afrika undOsteuropa schuften in <strong>de</strong>n Gewächshäusern Südspaniens, wo ihnen die fundamentalstenMenschenrechte verwehrt wer<strong>de</strong>n.Es ist sieben Uhr morgens im südspanischen El Ejido. Der Boulevard am Ortsausgangliegt im gelben Licht <strong>de</strong>r Nachtlaternen, die Rolllä<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Häuser undGeschäfte sind noch geschlossen. Kaum einer sieht das Schattenspiel, das sichallmorgentlich vor <strong>de</strong>n Fenstern neu inszeniert. Aus <strong>de</strong>m Schutz <strong>de</strong>r Dunkelheittauchen sie auf, die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen, stumm, unauffällig. Inkleinen Gruppen sammeln sie sich am Straßenrand und auf <strong>de</strong>r Tankstelle amBoulevard. Das Licht <strong>de</strong>r Straßenlaternen erhellt hier und da ein mü<strong>de</strong>s Gesicht,es fallen kaum Worte. Vans fahren im Schritttempo <strong>de</strong>n Boulevard hinauf, einerhält vor einer versprengten Gruppe. Ein Fenster wird heruntergekurbelt, Bewegungkommt in die Warten<strong>de</strong>n. Ein kurzer Wortwechsel, sie steigen ein und <strong>de</strong>rVan entfernt sich so lautlos, wie er gekommen ist. Als <strong>de</strong>r Tag anbricht und sichhektische Geschäftigkeit in <strong>de</strong>n Straßen breit macht, sind die MigrantInnen aus<strong>de</strong>r Stadt verschwun<strong>de</strong>n.Täglich warten im Intensivanbaugebiet von Almería tausen<strong>de</strong> TagelöhnerInnen aufihre Anwerbung durch die Patrones, um in einem <strong>de</strong>r Gewächshäuser einen Tagesjobals ErntehelferIn zu ergattern. Die meisten von ihnen sind papierlose MigrantInnenaus <strong>de</strong>m Maghreb o<strong>de</strong>r aus Län<strong>de</strong>rn südlich <strong>de</strong>r Sahara, die in Booten vor<strong>de</strong>n Kanarischen Inseln aufgegriffen wer<strong>de</strong>n. Nur selten protestieren sie nach <strong>de</strong>ndurchgestan<strong>de</strong>nen Strapazen noch gegen die Lebensbedingungen, die sie erwarten,wenn sie spanisches Festland erreichen. Doch was sich für die ProduzentInnen alsgutes Geschäft mit billiger Arbeitskraft herausstellt, bezahlen die ArbeiterInnenteuer. Und <strong>de</strong>n EndverbraucherInnen ist selten klar, unter welchen Produktionsbedingungendie günstigen Obst- und Gemüseangebote in ihren Supermärktenzustan<strong>de</strong> gekommen sind.20 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


fatal. Sie wer<strong>de</strong>n ausgebeutet und leben mit <strong>de</strong>r ständigen Angst, abgeschoben zuwer<strong>de</strong>n. Obwohl <strong>de</strong>r Vertrag für TagelöhnerInnen in <strong>de</strong>r <strong>Landwirtschaft</strong> auch fürdie Papierlosen gilt, wird mit ihren Rechten Schindlu<strong>de</strong>r getrieben. Die Patronesüberziehen willkürlich die Arbeitszeit und zahlen viel zu wenig. Die Leute spritzenPestizi<strong>de</strong> ohne Schutzkleidung und lei<strong>de</strong>n an Hautausschlag und Kopfschmerzen,manche bekommen Krebs.“„Die ArbeiterInnen weigern sich, Schutzkleidung zu tragen. Wieso sollte ich siedazu zwingen?“ Juan Andrés, Sozio einer großen Treibhausplantage, <strong>de</strong>monstriert<strong>de</strong>n GewerkschafterInnen zwei Gasmasken und dazugehörige Schutzanzüge inseinem Werkschrank. „Außer<strong>de</strong>m, was soll’s. Wenn sie wirklich durchs Sprühenkontaminiert wer<strong>de</strong>n, dann sind sie es eh längst.“ Dreißig seiner ArbeiterInnenbefin<strong>de</strong>n sich seit <strong>de</strong>n Morgenstun<strong>de</strong>n im Streik und for<strong>de</strong>rn sauberes Trinkwasser,Atemschutzmasken und <strong>de</strong>n vertraglich festgelegten Stun<strong>de</strong>nlohn. Sie stehen in<strong>de</strong>r sengen<strong>de</strong>n Mittagssonne vor <strong>de</strong>r Halle, Staub be<strong>de</strong>ckt ihre Füße, einige tragenSandalen, dazu T-Shirts, abgetragene Hosen. Mohammed hat seine Papiermaskein die Stirn geschoben. „Seit vier Monaten sprühe ich Tag für Tag Gift. Immernur mit dieser Maske aus Papier. Manchmal arbeite ich sechzehn Stun<strong>de</strong>n am Tagund bekomme dafür 36 Euro.“ Mit verschränkten Armen stehen sie ihrem Patróngegenüber. „Mehr kann ich nicht zahlen“, wettert Juan Andrés, er schwitzt, seinBauch quillt über <strong>de</strong>n Hosenbund. Mehr Geld, dafür weniger Leute, das ist seinAngebot. „Sehen sie, was die mit mir machen. Die Produktion muss heute nochraus!“ Vor <strong>de</strong>r Halle steht ein BMW-Luxusmo<strong>de</strong>ll.Bei Agrupaejido, einer <strong>de</strong>r größten Versteigerungsplattformen für Obst- undGemüse in <strong>de</strong>r Region, herrscht sechs Tage in <strong>de</strong>r Woche geschäftiges Treiben.Fünftausend Bauern und Bäuerinnen setzen hier pro Jahr ihre Treibhausprodukteab, die an Abnehmer in ganz Europa gehen. Durch Billigdiscounter und Supermärktelan<strong>de</strong>n die Produkte ohne Umwege auf <strong>de</strong>n Tischen <strong>de</strong>r VerbraucherInnen.Auch wenn einige <strong>de</strong>r Produkte einer gewissen Kontrolle durch lokale Behör<strong>de</strong>nund Zertifizierungsinstanzen wie EurepGAP unterliegen, reicht das noch langenicht aus, um die menschenunwürdige Situation <strong>de</strong>r ArbeiterInnen vor Ort zuverbessern. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace setzt sich schon seit langemfür Umweltstandards in <strong>de</strong>r Agrarindustrie ein. Seit<strong>de</strong>m hat sich auch das Bewusstseinvieler KonsumentInnen über die Qualität ihrer Lebensmittel geschärft. Dochwährend Normen für einen ökologisch verantwortungsvollen Umgang in <strong>de</strong>r<strong>Landwirtschaft</strong> langsam Fuß fassen, bleibt die Sorge um menschenwürdige LebensundArbeitsbedingungen <strong>de</strong>r ArbeiterInnen auf <strong>de</strong>r Strecke. Initiativen wie die <strong>de</strong>rBSCI („Business Social Compliance Initative“) für verbesserte Arbeitsbedingungengibt es bereits. Doch bislang fehlt <strong>de</strong>r nötige Druck auf Anbieter und Institutionen,diese auch zu implementieren und umzusetzen.Shelina Islam (Rechte bei <strong>de</strong>r Autorin)Gekentert im <strong>Plastikmeer</strong>23


„Hier bist du nur zum Arbeiten - das ist alles“Erfahrung einer polnischen Saisonarbeiterin in SüdspanienM. aus Polen hat zwei Jahre während <strong>de</strong>r Erdbeersaison in Spanien mit Herkunftsverträgengearbeitet. Nach einem Streik weigerte sich ihr Arbeitgeber, <strong>de</strong>n Vertragfür das nächste Jahr zu verlängern.Das erste Mal bin ich 2004 hierher gekommen, um von März bis September zuarbeiten. Wenn du in Spanien angekommen bist, kommen die Unternehmer zurKooperative und sagen „Hier, ich brauche zehn.“ Und um ihre Wahl zu treffen,sehen sie dich an und beurteilen dich nach <strong>de</strong>inem Aussehen und <strong>de</strong>iner Statur.Mein Chef kam mit zwei Polinnen, damit sie ihn beraten, welche Frauen er nehmensoll. Es war unglaublich, ich hatte so etwas noch nie zuvor in meinem Lebenmiterlebt, wir waren wie... Tiere, zum Verkauf.Hier bist du nur da zum Arbeiten, Arbeiten, Arbeiten – das ist alles. Du darfstdir nicht erlauben, etwas zu sagen, du darfst keinen Freund haben o<strong>de</strong>r ausgehen.Solche Dinge haben wir nur im Geheimen gemacht. Der Chef kontrollierte unserganzes Leben, die Art wie du arbeitetest, wo du hin gingst, wie du dich geklei<strong>de</strong>thast. Er wollte alles kontrollieren, alles, als ob du sein Eigentum wärst. Wenn einMädchen ihm gefiel, wur<strong>de</strong> er übergriffig. Hier sagen die Chefs: „Wenn du nichtmit mir schläfst, gehst du. Heute Nacht schlafe ich mit dir.“Wir arbeiteten je<strong>de</strong>n Tag auf <strong>de</strong>n Fel<strong>de</strong>rn, von Montag bis Sonntag, und wir machtenunbezahlte Überstun<strong>de</strong>n, ein, zwei o<strong>de</strong>r drei Überstun<strong>de</strong>n pro Tag, je nachZeit und Reife <strong>de</strong>r Erdbeeren. Wenn die Erntezeit richtig einsetzt, gibt es keineFeiertage mehr. Und das kann zwei Monate so gehen. Wenn du nur einen Tag aufhörstzu arbeiten, sagen sie dir: „Du wirst die nächsten drei Tage nicht arbeiten.“Sie bestrafen dich auf diese Art und Weise. Wenn du krank wirst o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>ine Arbeitschlecht machst, ist es dasselbe: „Heute arbeitest du nicht. Und morgen wirst duauch nicht arbeiten.“ Sie sagen dir auch, dass du eine größere Anzahl an Kisten mitErdbeeren pflücken musst. Aber es ist unmöglich, mehr zu tragen, als <strong>de</strong>ine Kräfteerlauben. Wir arbeiteten bereits mit vier Holzkisten, die jeweils zweieinhalb Kilowiegen, das macht zusammen zehn Kilo.Je<strong>de</strong>n Tag schlug <strong>de</strong>r Patron eine Stun<strong>de</strong>, eineinhalb Stun<strong>de</strong>n, zwei Stun<strong>de</strong>n drauf.Alle waren mü<strong>de</strong> – niemand kann so viele Stun<strong>de</strong>n arbeiten. An einem Tag habenwir dann gestreikt. Aber dieser Streik hat folgen<strong>de</strong>rmaßen ausgesehen: Wir habeneinfach gearbeitet wie normal vorgesehen: Sieben Stun<strong>de</strong>n; und das war’s dann, wirsind rausgeflogen. Aufgrund dieses Vorfalls wur<strong>de</strong>n dann auch unsere Verträge fürdas nächste Jahr nicht erneuert.24 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


Die Unternehmer benehmen sich gegenüber <strong>de</strong>n Frauen sehr schlecht, sie respektierensie nicht. Sie erpressen sie und nützen sie körperlich aus. Das habe ich vonvielen Frauen gehört und das muss sich unbedingt än<strong>de</strong>rn. Es ist wichtig, dieseDinge öffentlich zu machen, im Radio o<strong>de</strong>r im Fernsehen, o<strong>de</strong>r wo es auch sei,damit das ein En<strong>de</strong> hat. Die Frauen wer<strong>de</strong>n ge<strong>de</strong>mütigt und sie müssen die Situationoftmals ertragen, <strong>de</strong>nn sie haben zu Hause in Polen Kin<strong>de</strong>r, o<strong>de</strong>r sie sind inschwierigen Situationen und können sich nicht erlauben, ihre Arbeit zu verlieren.Ich will, dass es Kontrollen gibt und dass jemand auf die Fel<strong>de</strong>r kommt, die nachsieht,wie es <strong>de</strong>n Frauen geht. Dafür sollte eine bezahlte Stelle eingerichtet und einBüro aufgemacht wer<strong>de</strong>n. Wenn du protestierst, sagen sie dir: „Du kennst ja <strong>de</strong>ineRechte ohnehin nicht“ und die Mädchen glauben, dass das tatsächlich stimmt. Ichwollte gegen das Unternehmen Anzeige erstatten, damit sie mir die unbezahltenÜberstun<strong>de</strong>n abgelten, all die Samstage, Sonntage, aber kein Mensch hat michunterstützt. Wenn du aussagst, wird dich <strong>de</strong>in Chef in <strong>de</strong>r nächsten Saison nichtmehr einstellen.Interview: Emmanuelle Hellio/Volontärin <strong>de</strong>s Austauschprogramms „echanges et partenariats“„Hier bist du nur zum Arbeiten - das ist alles”25


„Wir hätten alles, was wir brauchen...”Erfahrungen rumänischer ArbeiterInnen in SüdspanienArbeiterin:Die Unternehmer verlangten von uns eine bestimmte Arbeitsleistung. Alle sechsStun<strong>de</strong>n mussten wir eine bestimmte Menge erzielt haben. Aufgrund <strong>de</strong>r Tatsache,dass die Arbeit extrem anstrengend war, traf ich die Entscheidung, die rumänischeBotschaft in Spanien anzurufen. Ich telefonierte mit einer sehr netten Frau, diesehr entgegenkommend war. Am Tag darauf wur<strong>de</strong> ich allerdings von <strong>de</strong>n Unternehmerngerufen. Sie haben mir gedroht, mich nach Rumänien zurückzuschicken,<strong>de</strong>nn sie seien mit <strong>de</strong>r rumänischen Botschaft gut befreun<strong>de</strong>t. Es war ein Fehler,die rumänischen Behör<strong>de</strong>n in Spanien zu kontaktieren. Nach diesem Ereignis wur<strong>de</strong>ich wie ein Mensch ohne jegliche Wür<strong>de</strong> behan<strong>de</strong>lt. Ich konnte keine meinerRechte mehr geltend machen. Die Unternehmer haben mich komplett ignoriert.Arbeiter:Ich habe in Spanien gearbeitet. Die Arbeitsbedingungen waren vorzüglich unddie Unterbringung war in Ordnung. Meine Frau allerdings, die noch immer inSpanien ist und mit mehreren Verträgen gearbeitet hat, trifft nicht auf dieselbenUmstän<strong>de</strong> wie ich. Ihre Arbeitsbedingungen sind schlecht. Das Verhältnis zwischen<strong>de</strong>n Frauen, die arbeiten, und <strong>de</strong>n Unternehmern ist nicht gut. Meine Frauhatte keine Möglichkeit, mit jeman<strong>de</strong>n zu sprechen, die/<strong>de</strong>r ihr hätte helfen können.Gemeinsam mit an<strong>de</strong>ren Frauen hat sie sich dann an einem Streik beteiligt.Nach<strong>de</strong>m sie diesen Streik gemacht hatten, sind die Verhältnisse zwischen ihnenund <strong>de</strong>n Unternehmern, die ohnehin schon sehr schlecht waren, noch schlechtergewor<strong>de</strong>n. Aufgrund dieses Ereignisses wur<strong>de</strong>n all diese Frauen rausgeworfen undmussten sich an<strong>de</strong>rswo Arbeit suchen.Ich habe mich entschie<strong>de</strong>n, aus Rumänien wegzugehen. Ich wür<strong>de</strong> zwar gerne dortbleiben, aber die Löhne sind zu niedrig. Ich weiß, was es heißt wegzugehen. Esbe<strong>de</strong>utet, dass du <strong>de</strong>iner Familie <strong>de</strong>n Rücken kehrst. Ich habe ein Kind, das bereitsgroß ist, aber ich kenne Leute, die weggehen und die kleine Kin<strong>de</strong>r haben, die ihreEltern nicht kennen. Sie haben sie nur auf Fotos o<strong>de</strong>r in kleinen Vi<strong>de</strong>oaufnahmenübers Internet gesehen. Wir leben in einem schönen Land und es bewegt unsinnerlich sehr, dass wir weggehen müssen. Es bleibt aber nichts an<strong>de</strong>res, aufgrund<strong>de</strong>r schlechten Löhne. Wir hätten hier in Rumänien alles was wir brauchen, abernicht alle können darüber verfügen.26 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


Arbeiterin:Ich gehe nach Spanien, um Geld zu verdienen. Hier arbeite ich sehr sehr viel, aberich verdiene nicht genug Geld. Ich arbeite auf meinem Grund und Bo<strong>de</strong>n. Wirhaben vier Kühe, sechs Schweine und einige Hühner. Es fehlt aber an Geld fürInvestitionen. Ich verkaufe etwas Milch. Das Geld reicht gera<strong>de</strong> zum Überleben,aber we<strong>de</strong>r, um das Haus instand zu halten, noch um ein Auto o<strong>de</strong>r eine Waschmaschninezu kaufen. Ich kann einfach gar nichts kaufen.Die Zukunft ist sehr ungewiss. Wenn sich die Regierung <strong>de</strong>r <strong>Landwirtschaft</strong>annehmen wür<strong>de</strong> und Geld dafür übrig hätte, könnten wir hier leben, aber da eskeine Subventionen gibt, können wir nicht bleiben.Das Geld, das ich hier verdiene, dient in erster Linie dazu, <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn die Ausbildungzu bezahlen und sie mit Essen zu versorgen. Das Geld fließt auch in dasHaus – ich bräuchte eine Waschmaschine, ich müsste das Haus streichen. Einenweiteren Ausgabenpunkt stellt <strong>de</strong>r Diesel für die landwirtschaftliche Arbeit dar.Ich möchte nicht, dass meine Kin<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r <strong>Landwirtschaft</strong> arbeiten. Meine zweiKin<strong>de</strong>r leben in Bukarest, <strong>de</strong>nn hier ist es unmöglich, seinen Lebensunterhalt zubestreiten.Was Spanien betrifft: Nicht alle Unternehmer sind schlecht, manche sind nett undhelfen uns. Aber für viele Patrones sind wir nichts. Sie sind niemals zufrie<strong>de</strong>n, siewollen immer mehr und sagen niemals, dass man gut gearbeitet hat. Wir hörenimmer: „Du arbeitest nicht gut“, „mach schneller“. Das ist das einzige, was sie zudir sagen. Immer nur „Los! Schneller!“Das erste Jahr ist meistens das schwierigste für die Frauen. Sie sprechen die Sprachenicht, sie wissen nicht Bescheid, wo man zu Essen kauft, o<strong>de</strong>r Wasser, o<strong>de</strong>r einfachnur Brot. Niemand hilft ihnen, und es gibt keine Transportmittel. Viele von ihnenen<strong>de</strong>n auf <strong>de</strong>r Straße.Interview: Silvia Perez Vitoria, auf einer Delegationsreise durch Rumänienvon 18. bis 25. Februar 2008 (Rechte bei <strong>de</strong>r Autorin)siehe auch Artikel „Höfesterben und mo<strong>de</strong>rne Sklaverei – Was tun?„Wir hätten alles, was wir brauchen...“27


Bittere Erdbeeren 1Rektrutierung von marokkanischen ArbeiterInnen zur Erdbeerernte nach Südspanien12.000 marokkanische ArbeiterInnen sind im Jahr 2008 im Rahmen bilateralerVerträge, die Spanien und Marokko abgeschlossen haben, in die Region Huelva inSüdspanien zur Erdbeerernte gekommen. Hafid Kamal, <strong>de</strong>r Direktor <strong>de</strong>sArbeitsamts (ANAPEC), reibt sich die Hän<strong>de</strong>. Er verwaltet die Anwerbungenmarokkanischer Saisonniers, die in diesem Jahr vier Mal so hoch sind wie zweiJahre zuvor. Damit die andalusischen LandwirtInnen die unzähligen Tonnen anglänzen<strong>de</strong>m Gemüse zu billigen Preisen verkaufen können, bemüht er sich darum,eine geeignete Anzahl an Arbeitskräften aufzutreiben, um diese zu ernten.Hafid Kamal ist überall hingegangen, um Arbeitskräfte anzuwerben: Nach Khénifra,Azrou, Mi<strong>de</strong>lt, Meknès, Zerhoun, Berrechid, Oujda, Beni Mellal...in je<strong>de</strong>rProvinz haben die Büros <strong>de</strong>r ANAPEC eine Stelle für diese weitreichen<strong>de</strong> Aktion<strong>de</strong>r Rekrutierung eingerichtet.Aber Vorsicht: Spanien ist anspruchsvoll und es ist notwendig, sich diesen Ansprüchenzu beugen: Um in <strong>de</strong>r „Extremadura“ Erdbeeren pflücken zu dürfen,musst du eine Frau sein, außer<strong>de</strong>m arm, im Alter zwischen 18 und 40 Jahren,verheiratet und Mutter von Kin<strong>de</strong>rn, die unter 14 Jahren alt sind. Mensch fragtsich zurecht: Was haben all diese Bedingungen mit einer fachlichen Eignungfür diese Arbeit zu tun? Gar nichts. Frau Rabbaj, Mitarbeiterin <strong>de</strong>r ANAPEC inTanger bestätigt dies: „Bei <strong>de</strong>n Gesundheitskontrollen <strong>de</strong>r ArbeiterInnen – die dieGrundlage für die Auswahl <strong>de</strong>r ArbeiterInnen bil<strong>de</strong>n – spielt die Schulausbildungbzw. die Berufserfahrung keine Rolle.“ Wie in guten alten Zeiten geht es lediglichdarum, sich zu versichern, dass die Arbeitskraft in gutem physischen Zustand ist.Sie muss kräftig sein, im besten Alter und sie muss Durchhaltevermögen besitzen.Immerhin wird ja auch erwartet, dass eine Arbeiterin zwischen 130 und 160 kgErdbeeren pro Tag pflückt.Wenn <strong>de</strong>r Arbeitsvertrag en<strong>de</strong>t, en<strong>de</strong>t auch die Aufenthaltsbewilligung in Spanien.Diese Frauen kommen zum Arbeiten und es stellt sich nicht die Frage, ob sie nach<strong>de</strong>m En<strong>de</strong> ihres Vertrages noch einen Tag länger bleiben. Der spanischen Staat istbeinahe besessen davon, die Rückkehr <strong>de</strong>r ArbeiterInnen in ihr Herkunftslandunter allen Umstän<strong>de</strong>n sicher zu stellen. Um gut Erdbeeren pflücken zu können,musst du also verheiratet sein und zu Hause kleine Kin<strong>de</strong>r haben, damit du dichnicht zu lange auf <strong>de</strong>n spanischen Fel<strong>de</strong>rn herumtreibst. Hier schert sich alsoniemand mehr darum, dass die Bedingungen <strong>de</strong>r Anstellung sowohl nach spanischemals auch nach marokkanischem Recht <strong>de</strong>m Nicht-Diskriminierungs-Gesetz28 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


wi<strong>de</strong>rsprechen. Ebenso wenig spielt eine Rolle, dass diese Verhältnisse <strong>de</strong>n Grundbedürfnissen<strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r ArbeiterInnen wi<strong>de</strong>rsprechen, die ihre Mütter um sichhaben wollen. Damit wir uns richtig verstehen: Diese Bedürfnisse wer<strong>de</strong>n bei <strong>de</strong>nArmen als zweitrangig eingestuft – es sind Privilegien <strong>de</strong>r Reichen!Als Arbeiterin ist es auch notwendig, fügsam zu sein – sonst gibt’s im nächsten Jahrkeinen Vertrag mehr. Als Konsequenz kann sich <strong>de</strong>r marokkanische Staat damitbrüsten, einen hohen Prozentsatz an RückkehrerInnen aufzuweisen: ca. 90 % allerArbeiterInnen. Herr Kamal ist darauf sehr stolz. In <strong>de</strong>r Zeitung „Aujourd’hui leMaroc“ wird er zitiert: „Diese Regelung wird oft als Vorbild für ein funktionieren<strong>de</strong>sMo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>r zirkulären Migration angeführt.“Fürwahr, ein funktionieren<strong>de</strong>s Mo<strong>de</strong>ll.... Der Vertrag wird über 3 bis 6 Monateausgestellt, ohne Garantie für die nächste Saison. Die ArbeiterInnen verdienenoffiziell zwischen 30 und 35 Euro am Tag. Darüber hinaus ist die Rekrutierungso organisiert, dass selten davon ausgegangen wer<strong>de</strong>n kann, dass eine Arbeiterinwährend ihrer Anstellung je<strong>de</strong>n Tag Beschäftigung hat: Viele Aussagen vonArbeiterInnen, die von <strong>de</strong>r Gewerkschaft SOC-SAT aufgenommen wur<strong>de</strong>n, lassenerahnen, welche brutale Konkurrenz zwischen <strong>de</strong>n Saisonniers marokkanischer,rumänischer, polnischer o<strong>de</strong>r senegalesischer Herkunft herrscht.In <strong>de</strong>r marokkanischen Presse wird vorgegeben, dass die ArbeiterInnen gratisuntergebracht wer<strong>de</strong>n. Dies scheint weit ab <strong>de</strong>r Realität zu sein, <strong>de</strong>nn meist wirdfür die Unterbringung ein bestimmter Betrag vom Lohn abgezogen. Immerhinist dieses Jahr eine offizielle marokkanische Delegation losgezogen, um sich <strong>de</strong>s„Komforts“ <strong>de</strong>r Unterbringung ihrer Landsleute zu versichern. Hier ein Auszug aus<strong>de</strong>m Bericht über <strong>de</strong>n Besuch im marokkanischen Wochenblatt „La vie economique“:„Die Delegation wird in <strong>de</strong>r Barackensiedlung mit „Youyou“- Schreienempfangen. Niemals zuvor haben marokkanische ArbeiterInnen im Ausland eine<strong>de</strong>rart wichtige Delegation empfangen. Zwei Minister stehen an ihrer Spitze:Arbeitsminister Jamal Rhmani und Mohammed Ameur, <strong>de</strong>r das Reseau MREleitet (Marocains Resi<strong>de</strong>nts a l’Etranger – Ministerium für die Angelegenheiten<strong>de</strong>r AuslandsmarokkanerInnen). Der Anblick <strong>de</strong>r Behausungen, in <strong>de</strong>nen dieArbeiterinnen leben, verdunkelt allerdings <strong>de</strong>n herzlichen Empfang: Über mehrerehun<strong>de</strong>rt Meter stehen da ca. dreißig Baracken, aus Blech zusammengezimmert,jeweils in <strong>de</strong>r Größe eines kleinen Containers. Darin schmutzige Stockbetten undzusammengebastelte Möbel. Keine Toiletten, keine Duschen, keine Küchen – alldas fin<strong>de</strong>t sich draußen. Angesichts <strong>de</strong>r Bedingungen, unter <strong>de</strong>nen die Frauen hierleben, wollten einige Arbeiterinnen auf <strong>de</strong>r Stelle nach Hause zurückkehren.“Großmütig erklärten die bei<strong>de</strong>n Minister nach ihrem Besuch, dass sie Garantieüber <strong>de</strong>n Bau neuer Unterbringungen für die nächste Saison bekommen hätten.Tja, wir wer<strong>de</strong>n sehen!Herr Kamal vom ANAPEC legt unter<strong>de</strong>ssen in seiner Propaganda noch eins drauf:Bittere Erdbeeren29


„Mittels <strong>de</strong>r Saisonarbeit können die Arbeiterinnen pro Jahr ca. 30.000 bis 40.000Dirhams verdienen. Mit dieser Summe konnten einige Frauen bereits Mikrokrediteaufnehmen und somit neue Gewinne erzielen.“ Wir haben bereits ausgeführt,wie unwahrscheinlich es ist, dass die Frauen tatsächlich diese Summe Geld verdienen.Wie auch immer <strong>de</strong>m sei, die „Caixa <strong>de</strong> Catalogne“ übernimmt in Zusammenarbeitmit <strong>de</strong>r „Banque Populaire marocaine“ <strong>de</strong>n Transfer <strong>de</strong>s Gel<strong>de</strong>s nachMarokko. In <strong>de</strong>n Zeiten <strong>de</strong>s Liberalismus wird das Ersparte <strong>de</strong>r MigrantInnen gutbetreut! Es gibt also die absur<strong>de</strong> Vorstellung, dass die Frauen mit <strong>de</strong>m verdientenGeld nicht nur sich selbst und ihre Kin<strong>de</strong>r versorgen sollen; sie wer<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>nBanken noch dazu aufgefor<strong>de</strong>rt, Mikro- Kredite für die Entwicklung ihres Lan<strong>de</strong>saufzunehmen! Erstaunlich, was mit einem so mageren Gehalt in Marokko alles erreichtwer<strong>de</strong>n kann! Hochtrabend wird das alles als „Co-Development“ bezeichnet.Das ist also die Art, wie Europa, das sich als Vorreiter für Frauenrechte in muslimischenLän<strong>de</strong>rn präsentiert, mit Arbeitsrechten umgeht: Hier wer<strong>de</strong>n junge Frauenvon ihren Kin<strong>de</strong>rn getrennt und sämtliche Nicht-Diskriminierungsgesetze verletzt.So wer<strong>de</strong>n die schlimmsten Arbeitsbedingungen geschaffen: Unterwerfung undAusbeutung müssen akzeptiert wer<strong>de</strong>n, um in <strong>de</strong>r nächsten Saison wie<strong>de</strong>r aufandalusischen Fel<strong>de</strong>rn arbeiten zu dürfen. Die Arbeiterinnen können als „legaleSans Papiers“ bezeichnet wer<strong>de</strong>n. Dass die Arbeitsrechte sowie die Rechte <strong>de</strong>r MigrantInnenhier <strong>de</strong>rmaßen mit Füßen getreten wer<strong>de</strong>n, ist übrigens nur mittels <strong>de</strong>sEinsatzes von Steuergel<strong>de</strong>rn möglich: In <strong>de</strong>n Jahren 2005 bis 2007 hat die EU fürdie ANAPEC sowie für die spanischen Unternehmerverbän<strong>de</strong> 1,2 Millionen Eurofür die Rekrutierung von Arbeitskräften lockergemacht.Hier sieht man also, auf welche Art Marokko die Arbeitskraft <strong>de</strong>r Frauen an dieeuropäischen Sklavenhändler vermietet. Der größte Nutzen entsteht dabei fürdie multinationalen Konzerne und die Supermarktketten, die in letzter Instanzdie Bedingungen <strong>de</strong>r Produktion und <strong>de</strong>s Verkaufs landwirtschaftlicher Produktebestimmen. Marokko hingegen spezialisiert sich auf <strong>de</strong>n „tonnenweisen“ Exportvon Arbeitskraft. Was die „Importlän<strong>de</strong>r“ dieser Arbeitskraft betrifft – in diesemFall Spanien – so sind es nicht einmal Personen, die rekrutiert wer<strong>de</strong>n: Die Visaswer<strong>de</strong>n nicht für die einzelnen Arbeiterinnen ausgefertigt, son<strong>de</strong>rn für eine gesamte„Bestellung“.Bereits jetzt heißt es: Für die nächste Saison wer<strong>de</strong>n 20.000 Arbeiterinnen ausMarokko gebraucht.Lucile Dumas/ATTAC Marokko1Der Titel dieses Textes greift <strong>de</strong>n Titel einer Broschüre auf, die die andalusische LandarbeiterInnengewerkschaftSOC-SAT veröffentlicht hat und die die miserablen Bedingungen schil<strong>de</strong>rt, unter<strong>de</strong>nen Erdbeerpflückerinnen arbeiten.30 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


Saftige Tomaten, aber nicht für alle...Agrar-industrielle Tomatenproduktion in SüditalienIn Apulien, in Süditalien, wer<strong>de</strong>n die Tomaten für die Agro-Lebensmittelindustrie– wie in <strong>de</strong>n meisten landwirtschaftlichen Intensivregionen Europas – von migrantischenSaisonarbeiterInnen geerntet. Die meisten von ihnen arbeiten ohne Vertragund ohne Papiere. Diese ArbeiterInnen wer<strong>de</strong> auf einem Arbeitsmarkt ausgebeutet,<strong>de</strong>r durch die organisierte Kriminalität kontrolliert wird, unterVerletzung fundamentalerMenschenrechte.Die Region um Foggia im Sü<strong>de</strong>n Italiens ist eine weite, landwirtschaftlich genutzteEbene. Es ist eine <strong>de</strong>r wichtigsten agrarischen Zonen Italiens. Die Tomate ist eineihrer Spezialitäten. Diese Kulturen be<strong>de</strong>cken 28.000 Hektar <strong>de</strong>r Region, und ihreProduktion hat einen Anteil von 30-35% am nationalen Markt. Der Wirtschaftsbereich„Tomate“ ist bereits zu einer eigenen agro-industriellen Branche gewor<strong>de</strong>n.Ihre Produktion, ihre Bearbeitung und ihre Vermarktung benötigen enormviele Arbeitskräfte, insbeson<strong>de</strong>re während <strong>de</strong>r Ernteperio<strong>de</strong>. Die Mehrheit dieserArbeitskräfte sind MigrantInnen.Ein eingefahrenes und tief verwurzeltes AusbeutungssystemDie Mehrheit <strong>de</strong>r SaisonarbeiterInnen im Wirtschaftsbereich „Tomate“ wird aufinformelle Weise rekrutiert und irregulär beschäftigt, auf einem Markt, <strong>de</strong>r durchdie organisierte Kriminalität kontrolliert wird. In dieser Region wie im gesamtenSü<strong>de</strong>n Italiens stellen die Schattenwirtschaft und die Ausbeutung <strong>de</strong>r Arbeitskräfteschon seit langer Zeit eine tief verwurzelte Realität dar. Bevor MigrantInnen ingroßer Zahl gekommen sind, waren es vor allem die ohnehin Marginalisierten <strong>de</strong>ritalienischen Gesellschaft, welche diese Arbeit ausübten – insbeson<strong>de</strong>re Frauen aus<strong>de</strong>m ländlichen Milieu.Rekrutierung und Weitervermittlung <strong>de</strong>r ArbeiterInnen wird von sogenannten „caporali“durchgeführt. Der caporale (in <strong>de</strong>n allermeisten Fällen han<strong>de</strong>lt es sich dabeium Männer) kann <strong>de</strong>finiert wer<strong>de</strong>n als ein Vermittler zwischen <strong>de</strong>n ArbeiterInnenund <strong>de</strong>n ArbeitgeberInnen. Er rekrutiert, organisiert und kontrolliert die Arbeitskräfteund <strong>de</strong>ren Arbeitsrhythmus. Er ist es, <strong>de</strong>r die SaisonarbeiterInnen auswählt,die Löhne aushan<strong>de</strong>lt und die Arbeitskräfte an ihre Arbeitsplätze transportiert.Er bezieht seine gesamte Macht aus diesen Aktivitäten. Macht, die er oft mittelsEinschüchterung und allen Formen von Gewalt ausübt. Die MigrantInnen habenzunehmend die ItalienerInnen in dieser Rolle ersetzt. Heute rekrutieren und ver-Saftige Tomaten, aber nicht für alle...31


walten die caporali ArbeiterInnen, die aus ihrem eigenen Land o<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>rselbengeographischen Zone kommen.Dramatische Arbeits- und Lebensbedingungen 1Die meisten <strong>de</strong>r ausländischen SaisonarbeiterInnen, die von <strong>de</strong>r Organisation„Ärzte ohne Grenzen“ im Nor<strong>de</strong>n Apuliens angetroffen wur<strong>de</strong>n, haben erklärt,dass sie ohne Vertrag arbeiten (siehe auch Artikel „Eine Saison in <strong>de</strong>r Hölle“). Einegroße Mehrheit unter ihnen besitze keinen Aufenthaltstitel. Diese Daten, obwohlschwer überprüfbar, scheinen <strong>de</strong>r Realität nahe zu kommen.Diese ArbeiterInnen sind unterbezahlt (im Durchschnitt 2,50 Euro pro Stun<strong>de</strong>),wer<strong>de</strong>n zu einem erschöpfen<strong>de</strong>n Arbeitsrhythmus gezwungen und sind Einschüchterungenvon Seiten <strong>de</strong>r caporali ausgesetzt. Manchmal wer<strong>de</strong>n sogar ihre I<strong>de</strong>ntitätspapierekonfisziert und es kommt vor, dass ArbeiterInnen an ihrem Arbeitsplatzeingesperrt wer<strong>de</strong>n. Im Allgemeinen wohnen sie in verlassenen Baracken mittenin <strong>de</strong>r Landschaft, ohne Sanitäranlagen, ohne Trinkwasser und Elektrizität, oft ineiner ersticken<strong>de</strong>n Enge.Eine gedul<strong>de</strong>te SituationAll dies passiert unter <strong>de</strong>n Augen und mit <strong>de</strong>m Wissen <strong>de</strong>r Bevölkerung, <strong>de</strong>r Organisationen<strong>de</strong>r Zivilgesellschaft, <strong>de</strong>r Gewerkschaften sowie <strong>de</strong>r lokalen Behör<strong>de</strong>n.Die Vereinigungen beginnen nun, Kampagnen zu starten, um die MigrantInnenzu unterstützen. Aber in diesem Kontext <strong>de</strong>r totalen Verweigerung von Rechten,an diesen Orten, die von <strong>de</strong>r organisierten Kriminalität regiert wer<strong>de</strong>n, sind dieHandlungsspielräume beschränkt – auf rechtlicher Ebene wie auch auf <strong>de</strong>r Ebene<strong>de</strong>s gewerkschaftlichen Kampfs. Die Organisationen agieren meist nur in Notfällen,was auf mittlere und längere Sicht nichts bewirkt.In letzter Zeit wur<strong>de</strong>n Maßnahmen auf institutioneller Ebene getroffen. Unteran<strong>de</strong>rem hat die Regionalregierung eine neue Gesetzgebung in Kraft gesetzt, dieanstrebt, die Schattenwirtschaft zu bekämpfen. Sie hat auch einige hun<strong>de</strong>rt Schlafplätzefür die SaisonarbeiterInnen eingerichtet. Und <strong>de</strong>nnoch – unterm Strich wirddie aktuelle Situation mehr o<strong>de</strong>r weniger offen toleriert. Denn eines ist unabweisbar:Für die Ökonomie <strong>de</strong>r Region sind die MigrantInnen absolut erfor<strong>de</strong>rlich.Eine einzige Regel: konkurrenzfähig bleiben!Die Ausbeutung von flexiblen Arbeitskräften, unterdrückt und unterbezahlt, erlaubt<strong>de</strong>n Unternehmen <strong>de</strong>r Agro-Lebensmittelindustrie, die Kosten <strong>de</strong>r Produktionerheblich zu reduzieren und auf <strong>de</strong>m internationalen Markt wettbewerbsfähigzu bleiben. Dies geht einher mit <strong>de</strong>r Verweigerung von elementaren Rechten fürtausen<strong>de</strong> migrantische ArbeiterInnen. Eine italienische Journalistin schrieb dazu:32 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


Diese Saisonarbeitskräfte seien die „Kollateralschä<strong>de</strong>n“ eines Systems, in <strong>de</strong>m dieReduzierung <strong>de</strong>r Kosten mit allen Mitteln durchgesetzt wer<strong>de</strong> (Gatti, Fabrizio, „Io,schiavo in Puglia” Ich war Sklave in Apulien, L’Espresso, 1. Sept. 2006)Cristina Brovia/Volontärin <strong>de</strong>s Austauschprogramms „echanges et partenariats“1Die Lebens- und Arbeitsbedingungen <strong>de</strong>r Mehrheit <strong>de</strong>r SaisonarbeiterInnen in <strong>de</strong>r <strong>Landwirtschaft</strong>Süditaliens sind <strong>de</strong>rart dramatisch, dass man nicht „einfach“ von Verletzungen <strong>de</strong>s Arbeitsrechtso<strong>de</strong>r von Schattenwirtschaft re<strong>de</strong>n kann. Einige dieser ArbeiterInnen können mit Opfern vonMenschenhan<strong>de</strong>l verglichen wer<strong>de</strong>n. In Italien sieht ein einschlägiger Gesetzesartikel eigentlich dieAusstellung eines Aufenthaltstitels zum „sozialen Schutz“ im Fall von Gewalt o<strong>de</strong>r schwerwiegen<strong>de</strong>rAusbeutung eines Migranten/einer Migrantin vor. Besagter Gesetzesartikel wird im Bereich <strong>de</strong>sKampfs gegen <strong>de</strong>n Menschenhan<strong>de</strong>l als einer <strong>de</strong>r besten <strong>de</strong>r Welt betrachtet, weil er <strong>de</strong>n Status <strong>de</strong>sOpfers anerkennt – ohne die Verpflichtung, <strong>de</strong>n Ausbeuter zu <strong>de</strong>nunzieren. Diese Vorschrift wur<strong>de</strong>häufig bei sexualisierter Ausbeutung angewandt, aber nicht bei Ausbeutung durch Arbeit. Einebreite Anwendung <strong>de</strong>s Artikels 18 im Bereich <strong>de</strong>r Arbeit könnte ein erster Schritt in Richtung <strong>de</strong>rAnerkennung <strong>de</strong>r Rechte von Hun<strong>de</strong>rten ausgebeuteter ArbeiterInnen sein, und das nicht nur imAgrarsektor.Saftige Tomaten, aber nicht für alle...33


Zahlen„Eine Saison in <strong>de</strong>r Hölle“Arbeitsbedingungen in <strong>de</strong>r süditalienischen <strong>Landwirtschaft</strong>Von Juni bis November 2007 ist eine mobile Klinik <strong>de</strong>r Ärzte ohne Grenzen durchdie Regionen Süditaliens gereist und hat, zusätzlich zur medizinischen Hilfestellung,eine Untersuchung zu Arbeits- und Lebensbedingungen und zum Gesundheitszustand<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r <strong>Landwirtschaft</strong> beschäftigten MigrantInnen durchgeführt.Auch wenn <strong>de</strong>r ökonomische Nutzen illegalisierter Arbeitskraft klar benannt wird,hatten Ärzte ohne Grenzen mit dieser Untersuchung nicht die Absicht (wie sieselber hervorheben), eine allgemeine Analyse über das italienische Grenzregimezu erstellen. Es ging vielmehr darum, die konkrete Lebens-, Arbeits- und Gesundheitssituationmigrantischer LandarbeiterInnen aufzuzeigen und die Ergebnissemit For<strong>de</strong>rungen an die italienischen Behör<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>n italienischen Staat zuverknüpfen. Im Folgen<strong>de</strong>n eine kurze Zusammenfassung <strong>de</strong>s Berichts.Insgesamt wur<strong>de</strong>n 600 Menschen befragt, sie repräsentieren mehrere Tausend in<strong>de</strong>r <strong>Landwirtschaft</strong> beschäftigte MigrantInnen. Die befragten Personen waren zu97% Männer, 84% zwischen 20 und 40 Jahre alt. Sie kamen überwiegend ausLän<strong>de</strong>rn südlich <strong>de</strong>r Sahara, <strong>de</strong>m Maghreb und <strong>de</strong>m ostasiatischen Raum (vorallem Indien). Lediglich 5% waren EU-BürgerInnen (ausschließlich BulgarInnenund rumänische Roma). Von ihnen hatten 72% keine gültige Aufenthaltsgenehmigung,28% waren entwe<strong>de</strong>r im Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung, einesFlüchtlingsstatus o<strong>de</strong>r waren Asylsuchen<strong>de</strong>.Zu <strong>de</strong>n Arbeitsbedingungen„Die Lohnzahlung kommt immer zu spät, manchmal warte ich bis zu 40 Tagen. Wirwer<strong>de</strong>n schlecht behan<strong>de</strong>lt, sie lassen uns die gefährlichsten und schmutzigsten Arbeitenohne Schutzkleidung verrichten, sie bezahlen uns wenig und manche zahlen auch garnicht. Nach<strong>de</strong>m wir ohne Papiere sind, können wir ohnehin nichts machen.“M., Arbeiter aus MarokkoAuch von <strong>de</strong>n LandarbeiterInnen, die im Besitz einer Aufenthaltsgenehmigungwaren, müssen 68% ohne Arbeitsvertrag arbeiten, insgesamt haben 90% <strong>de</strong>rBefragten keine offizielle Arbeitserlaubnis. Die Arbeit fin<strong>de</strong>t unter Bedingungenintensivster Ausbeutung statt. Die LandarbeiterInnen bekommen größtenteils34 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


keine Schutzkleidung o<strong>de</strong>r Handschuhe; Stiefel und Gesichtsschutz müssen siesich selbst kaufen, meist arbeiten sie aufgrund fehlen<strong>de</strong>r finanzieller Mittel jedochlediglich mit leichten Küchenhandschuhen, oft auch ohne Arbeitsstiefel. OhneArbeitsvertrag haben auch die mit Aufenthaltsgenehmigung ausgestatteten ArbeiterInnenkeinerlei gewerkschaftlichen Schutz, und die Arbeit wird komplett außerhalb<strong>de</strong>r gängigen Sicherheitsnormen und <strong>de</strong>r hygienischen Normen verrichtet.Arbeitslosengeld, Krankenstand o<strong>de</strong>r Bezahlungen bei Berufsunfall sind natürlichein ferner Traum.Ein Arbeitstag dauert 8 bis 10 Stun<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r Lohn beträgt durchschnittlichzwischen 24 und 30 Euro pro Tag. Oft gibt es nicht mehr als 4 Tage die WocheArbeit. Ein Beispiel: Für das Ernten von 350 kg Tomaten wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r ProvinzFoggia rund 4 bis 6 Euro bezahlt. Die LandabeiterInnen berichten, Gewaltaktenund Schikanen von Seiten <strong>de</strong>r Arbeitgeber ausgesetzt zu sein, 30% von ihnen bekommenkeine regelmäßige Bezahlung, oft wer<strong>de</strong>n sie auch gar nicht bezahlt. EinEmigrantischeR, in <strong>de</strong>r <strong>Landwirtschaft</strong> tätigeR SaisonarbeiterIn verdient im Durchschnitt240 Euro monatlich. Auch wenn die meisten <strong>de</strong>r befragten MigrantInnengekommen sind, um die Familien im Herkunftsland zu unterstützen, können 38%von ihnen kein Geld in die Heimat überweisen, das Leben in Italien wird für sieselbst zum Überlebenskampf.Die in <strong>de</strong>r <strong>Landwirtschaft</strong> in Süditalien tätigen MigrantInnen verrichten einensehr großen Teil <strong>de</strong>r Arbeiten in diesem Sektor und tragen entschei<strong>de</strong>nd zumFunktionieren dieses Sektors bei. Sie selbst sind jedoch gezwungen, in extremerArmut zu leben.Zu <strong>de</strong>n Lebensverhältnissen„Hier geht es uns wie man sieht sehr schlecht: es gibt kein Wasser und kein Licht, es gibtkeine sanitären Einrichtungen, oft haben wir nichts zu essen und während <strong>de</strong>s Wintersdrohen wir zu erfrieren. Ich kann mir keine Zukunft vorstellen, wenn ich in diesenBedingungen lebe.“A., 20 Jahre, aus Mali, lebt zur Zeit in Apulien„In <strong>de</strong>r Nacht kann ich nicht hinausgehen, weil draußen italienische Jugendliche sind,die uns beschimpfen und uns schlagen. Es gibt Freun<strong>de</strong> von mir, die mehrere Male vonItalienern geschlagen wor<strong>de</strong>n sind und wir haben Angst ins Spital o<strong>de</strong>r zur Polizei zugehen. Auch ich bin zwei Mal geschlagen wor<strong>de</strong>n, einmal mit einem Schlagstock unddas zweite Mal wur<strong>de</strong> ich von einer Flasche getroffen, mit <strong>de</strong>r jemand aus einem Autoauf mich gezielt hat.“H., aus Marokko, lebt zur Zeit in <strong>de</strong>r Region KampanienDie hygienischen und sanitären Bedingungen sind dramatisch, die Landarbeite-„Eine Saison in <strong>de</strong>r Hölle”35


Innen leben in extremer Armut und <strong>de</strong>s sozialen Ausschlusses. Sie sind dadurchoft auch Akten <strong>de</strong>r Gewalt und <strong>de</strong>r Intoleranz ausgesetzt, ohne die Möglichkeit zuhaben sich zu wehren. Der italienische Staat stellt laut Ärzte ohne Grenzen nichteinmal die grundlegendsten Einrichtungen zur Verfügung, die <strong>de</strong>n ankommen<strong>de</strong>nund asylsuchen<strong>de</strong>n MigrantInnen einen minimalen Standard zum Überlebenbieten wür<strong>de</strong>n.65% <strong>de</strong>r Befragten leben in verlassenen Häusern, Scheunen o<strong>de</strong>r Hallen, 20% vonihnen in gemieteten Wohnungen, lediglich 10% von ihnen leben in Flüchtlingsunterkünfteno<strong>de</strong>r -zelten, welche von <strong>de</strong>n Gemein<strong>de</strong>n bzw. vom italienischenStaat zur Verfügung gestellt wer<strong>de</strong>n. In einem süditalienischen Dorf (Alcamo) sindalle LandarbeiterInnen gezwungen, auf <strong>de</strong>r Straße und auf öffentlichen Plätzen zuschlafen, da es keinerlei alternative Möglichkeiten gibt.Ein Fünftel <strong>de</strong>r Befragten müssen die eigene Matratze mit einer o<strong>de</strong>r mehrerenPersonen teilen, die Mehrheit schläft auf <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>, entwe<strong>de</strong>r auf einem Kartono<strong>de</strong>r einer Matratze. Auch diejenigen, die ein Zimmer o<strong>de</strong>r eine Wohnstrukturgemietet haben, müssen das eigene Zimmer mit drei o<strong>de</strong>r mehr Personen teilen.62% <strong>de</strong>r befragten MigrantInnen verfügen an ihrem Wohnort über keinerleisanitäre Einrichtungen, 64% von ihnen haben kein fließen<strong>de</strong>s Wasser und müssenweite Distanzen zurücklegen, um zu (Trink-)Wasser zu gelangen. 69% habenkeinerlei Elektrizität im Wohnbereich und 92% <strong>de</strong>r bewohnten und gemietetenStrukturen haben keine Heizeinrichtungen. In <strong>de</strong>n Herbst- und Wintermonatensind die MigrantInnen <strong>de</strong>r Nässe und <strong>de</strong>r Kälte ausgesetzt.Diese prekäre Lebenssituation betrifft auch die Ernährung: ein großer Teil <strong>de</strong>rLandarbeiterInnen essen vor und während <strong>de</strong>s Arbeitstages gar nichts.Gesundheit„Es ist mir in Italien einige Male passiert, dass ich in <strong>de</strong>n mobilen Kliniken, die wirfür irreguläre MigrantInnen eingerichtet haben, PatientInnen zu untersucht hatte,die an chronischen Krankheiten wie Diabetes o<strong>de</strong>r Bluthochdruck litten. Sie hattenin Italien bis dato jedoch keine Untersuchungen o<strong>de</strong>r Kontrollen gemacht und keineMedikamente gekauft, weil sie nicht wussten, an wen sie sich wen<strong>de</strong>n sollten bzw. nichtgenügend Geld hatten. Dies, obwohl diese Menschen schon lange in Italien leben.“Francesca, Ärztin bei Ärzte ohne Grenzen.Die gesundheitlichen Zustän<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Befragten sind schlecht und dies, obwohl dieüberwiegen<strong>de</strong> Mehrheit angab, gesund in Italien eingereist zu sein. Theoretischhaben laut aktueller Auslän<strong>de</strong>rInnengesetzgebung MigrantInnen ohne Papieredas Recht, einen Arzt o<strong>de</strong>r ein Spital aufzusuchen (Art.34/35/36, T.U.286/1998,Legge Turco Napolitano). Die Mehrheit von ihnen hat trotz gesundheitlicherBeschwer<strong>de</strong>n jedoch noch nie einen Arzt o<strong>de</strong>r ein Krankenhaus aufgesucht: Vielesind über diese Möglichkeit nicht informiert, viele haben Angst, kontrolliert zu36 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


wer<strong>de</strong>n und einen Abschiebebefehl zu bekommen. Oft ist in <strong>de</strong>n ländlichen Gebietenauch kein Arzt o<strong>de</strong>r Krankenhaus ohne Auto erreichbar.Zum Schluss„Eine Saison in <strong>de</strong>r Hölle. Wir haben diesen Titel für diesen Bericht <strong>de</strong>r Ärzte ohneGrenzen gewählt, weil er eine I<strong>de</strong>e darüber gibt, was Tausen<strong>de</strong> MigrantInnen inSüditalien je<strong>de</strong>s Jahr erleben, wenn sie sich von Region zu Region bewegen, um in <strong>de</strong>r<strong>Landwirtschaft</strong> als SaisonarbeiterInnen zu arbeiten.“Einleitungssatz im Bericht <strong>de</strong>r Medici Senza Frontiere, ItalienAuszüge aus einem Bericht von Ärzte ohne Grenzen, ItalienZusammenfassung von Steffi WeissVollständiger Bericht auf:http://www.medicisenzafrontiere.it/msfinforma/pubblicazioni.asp?id=1644„Eine Saison in <strong>de</strong>r Hölle”37


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2. Teil: HINTERGRÜNDE VON MIGRATIONWenn sich die Blicke Richtung Senegal wen<strong>de</strong>n/Spitou Mendy J „Wir habenWerte und wir haben Reichtümer“/Interview: Dieter Behr J <strong>Globale</strong> <strong>Landwirtschaft</strong>,Migration & Mega-Cities/Gregor Samsa J Wo das Meer die Söhneverschlingt/Haidy Damm J <strong>Peripherie</strong> als schwarzes Loch/Gregor Samsa J2. Teil: Hintergrün<strong>de</strong> von Migration39


Wenn sich die Blicke Richtung Senegal wen<strong>de</strong>nWeshalb junge SenegalesInnen immer wie<strong>de</strong>r die Bootspassage über <strong>de</strong>n Atlantik wagenDer Autor Spitou Mendy war im Senegal Professor für Sprachen. Vor 7 Jahren ister nach Spanien gekommen. Heute ist er als Gewerkschafter in <strong>de</strong>r andalusischenLandarbeiterInnengewerkschaft SOC-SAT tätig.Die Anzahl <strong>de</strong>r Toten, die das Abenteuer <strong>de</strong>r Migration for<strong>de</strong>rt, ist unaufhörlichgestiegen. Die Opfer, oft junge Leute, die noch kaum ihre Kindheit hinter sichhaben, gehen mit großer Hoffnung an Bord <strong>de</strong>r kleinen Holzboote, um <strong>de</strong>n Ozeanzu überqueren. Sie haben <strong>de</strong>n Traum, in einem Land anzukommen, in <strong>de</strong>m sie ihreigenes Leben wie auch das Leben ihrer Familien radikal verän<strong>de</strong>rn können. Letzterehaben sie in einem Land voller Elend zurückgelassen, in Afrika, im Senegal.Und <strong>de</strong>nnoch...Migration ist kein neues Phänomen, es ist keine Realität, die ausschließlich Afrika,Lateinamerika bzw. die Län<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r so genannten Dritten Welt betrifft. Es ist vielmehrein globales Phänomen, das mit <strong>de</strong>r Menschheitsgeschichte beginnt. Wennwir davon ausgehen, dass Afrika die Wiege <strong>de</strong>r Menschheit ist, dann verstehen wirauch, dass ohne Migrationsbewegungen Europa, Asien, Amerika und Ozeaniennicht bevölkert wären. Die Entwicklung <strong>de</strong>r Zivilisationen verdankt <strong>de</strong>m Potential<strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Ethnien, ihre jeweiligen Fähigkeiten auszutauschen, sehr viel.Ohne weit zurückblicken zu müssen, kann gesagt wer<strong>de</strong>n, dass es bereits in <strong>de</strong>n1960er Jahren eine große Einwan<strong>de</strong>rungswelle in Richtung <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r Zentralafrikas,vor allem nach Zaire, gab. Damals haben sich MigrantInnen mit Tollkühnheitund unter Lebensgefahr in <strong>de</strong>n Diamantenhan<strong>de</strong>l hineinbegeben und einige sindreich gewor<strong>de</strong>n und mit Ruhm zurückgekommen. In <strong>de</strong>n 1970er Jahren hat sichdann die Migration Richtung Europa verlagert und seither nicht mehr aufgehört.Das Errichten wie das Überwin<strong>de</strong>n von Grenzen war also immer eine Form <strong>de</strong>rKonstruktion von verschie<strong>de</strong>nen Gesellschaften. In dieser Dynamik wur<strong>de</strong>n dieGrenzen abgesteckt und verän<strong>de</strong>rt – in Frie<strong>de</strong>nszeiten geschah dies mittels Verträgen,nach Kriegen wur<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Besiegten Grenzen aufgezwungen, wie MadjigueneCissé in ihrem Buch „Papiere für alle“ nachweist. Auf diese Weise haben lokaleo<strong>de</strong>r globale Kriege immer wichtige Bevölkerungsbewegungen verursacht – einfachaus <strong>de</strong>r Notwendigkeit für die Betroffenen, vor Tod, Gewalt, Not und Armutzu fliehen. Das Europa <strong>de</strong>s beginnen<strong>de</strong>n 21. Jahrhun<strong>de</strong>rts versucht jedoch, seine40 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


Grenzen vor <strong>de</strong>n Armen dieser Welt zu schließen. Hierbei übernimmt Frontex dieRolle, je<strong>de</strong>n Versuch <strong>de</strong>r Grenzüberschreitung zu verhin<strong>de</strong>rn.Der Fall Spanien schockiert...Heute ist Spanien für eine Vielzahl von Immigrationsgesetzen bekannt. Es wirdverkün<strong>de</strong>t, dass diese Gesetze „zu Gunsten <strong>de</strong>r ImmigrantInnen“ erlassen und geän<strong>de</strong>rtwür<strong>de</strong>n. Es ist aber vielmehr so, dass sich vieles zum Schlechten verän<strong>de</strong>rt.Die spanischen Botschaften in <strong>de</strong>n Herkunftslän<strong>de</strong>rn haben daran einen wichtigenAnteil – sie sind eine wichtige Stütze für die Politik <strong>de</strong>r Selektion und <strong>de</strong>r Limitierung<strong>de</strong>r Einreise von MigrantInnen.Die MigrantInnen in Spanien wissen nicht mehr ein noch aus, da we<strong>de</strong>r die Gesetzenoch die Kollektivverträge (saisongebun<strong>de</strong>ne Arbeitsverträge für ausländischeArbeitskräfte – die Red.) ihnen gegenüber respektiert wer<strong>de</strong>n. Dies trifft beson<strong>de</strong>rsauf die Provinz Almería zu, die nach wie vor das Zentrum <strong>de</strong>r Verweigerung<strong>de</strong>r Rechte für MigrantInnen bleibt. Diese Region zeichnet sich durch <strong>de</strong>n dortvorherrschen<strong>de</strong>n Machiavellismus aus, durch Aggressionen, die ohne Konsequenzenbleiben, durch seine mafiösen Strukturen und all das, was nach geschminkterAusgrenzung riecht. Mit <strong>de</strong>m neuen System <strong>de</strong>r Rekrutierung <strong>de</strong>r Arbeitskräfte aus<strong>de</strong>n Herkunftslän<strong>de</strong>rn – in diesem Fall aus <strong>de</strong>m Senegal – durch spanische Betriebewird Beihilfe für die Rückkehr <strong>de</strong>r Sklaverei betrieben, <strong>de</strong>nn die Bedingungen<strong>de</strong>r Unterbringung und <strong>de</strong>r Arbeit sind mit letzterer vergleichbar....mit <strong>de</strong>n mehr als waghalsigen jungen SenegalesInnen...In Afrika hat <strong>de</strong>r Senegal in <strong>de</strong>n letzten Jahren traurige Berühmtheit erlangt – wegen<strong>de</strong>r Findigkeit <strong>de</strong>r jungen Leute, <strong>de</strong>m Land <strong>de</strong>n Rücken zu kehren. Die Kriseim Land hat ihnen Flügel, o<strong>de</strong>r besser gesagt, Ru<strong>de</strong>r gegeben. Die Leichen <strong>de</strong>rjenigen,die nicht angekommen sind, liegen auf <strong>de</strong>m Grund <strong>de</strong>r Ozeane. Sie habenHunger: die <strong>Landwirtschaft</strong> ist zu Schleu<strong>de</strong>rpreisen verkauft wor<strong>de</strong>n, sie sindkrank, <strong>de</strong>nn das Gesundheitssystem ist veraltet, sie haben nicht mehr die Möglichkeitzu studieren, das Bildungssystem entspricht nicht mehr ihren Ansprüchen. Siegehen weg, und wer<strong>de</strong>n weiterhin weggehen, solange sie keinen Streifen Hoffnungam Horizont sehen und nicht die Überzeugung erlangen, dass ihr Herkunftslandnicht auch für sie Perspektiven bieten kann....und ihren Grün<strong>de</strong>n wegzugehenIm Senegal genießt einE MigrantIn, die es schafft, in <strong>de</strong>n Westen zu kommen, ungeheuressoziales Prestige. Bei <strong>de</strong>r Auswan<strong>de</strong>rung han<strong>de</strong>lt es sich um <strong>de</strong>n Versuch,das eigene Schicksal zu bezwingen, auf einem Kontinent, <strong>de</strong>r von allen als unheilbarverloren wahrgenommen wird und <strong>de</strong>r keinerlei Perspektiven bietet. Der/dieWenn sich die Blicke Richtung Senegal wen<strong>de</strong>n41


MigrantIn, das ist also eine Person, die es geschafft hat, rauszukommen aus einemmühsamen, ja unerträglichen Alltag und die zurückkommt am Steuer eines Autosmit vielen Zylin<strong>de</strong>rn und die sich eine riesige Villa hat bauen lassen, in einemLand, in <strong>de</strong>m Konsum und Überfluss selbstverständlich sind. Darüber hinausverstehen die Jugendlichen ihre Odyssee als eine Art „ökonomischen Djihad“, undsie haben das Gefühl, dass sie sich für das Kollektiv bzw. die Familie opfern, umschließlich ihre Verwandten von <strong>de</strong>r Armut zu befreien. Deshalb wer<strong>de</strong>n diejenigen,die im Zuge dieser Reise zu To<strong>de</strong> kommen, als MärtyrerInnen gesehen, alsheroische Kamikaze-KriegerInnen, die es vorgezogen haben, ihr Glück herauszufor<strong>de</strong>rnanstatt vor <strong>de</strong>m Schicksal zu resignieren.Hinzu kommt eine katastrophenähnliche Sicht auf <strong>de</strong>n afrikanischen Kontinentund eine soziale Hoffnungslosigkeit, sodass diese Verdammten <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>, die nunVerdammte <strong>de</strong>s Meeres gewor<strong>de</strong>n sind, davon überzeugt sind, dass die einzigeLösung ihrer Probleme im Westen zu fin<strong>de</strong>n ist – nichts klarer als das.Es sollte genügen, dieses düstere Bild zu zeichnen, um das Ausmaß und <strong>de</strong>n Ernstjenes komplexen Phänomens <strong>de</strong>r Migration begreiflich zu machen – diese Bewegungenvon Menschen, welche in einer totalen Verzweiflung leben und welche dieeinzige Alternative darin sehen, um je<strong>de</strong>n Preis wegzugehen.Alles in allem ist es überhaupt nicht notwendig, auf die Zahlen zurückzugreifen,um sich von dieser Tatsache zu überzeugen. Die Situation ist mit Tausen<strong>de</strong>n vonToten mehr als dramatisch. Es sind im Wesentlichen junge Leute, <strong>de</strong>ren einzigesVerschul<strong>de</strong>n darin besteht, aus einem Land zu kommen, wo sie je<strong>de</strong> Hoffnung aufeine sozial-ökonomische Einglie<strong>de</strong>rung, die ihrem Streben als mo<strong>de</strong>rne Menschenin einer globalisierten Welt gerecht wer<strong>de</strong>n könnte, verloren haben.Was tun? Mit welchen Perspektiven?Es ist klar, dass es in diesem Stru<strong>de</strong>l <strong>de</strong>r „mo<strong>de</strong>rnen Zeit“ ebenso viele Antwortenwie beteiligte AkteurInnen gibt. Je<strong>de</strong>R entsprechend <strong>de</strong>r eigenen Interessen und<strong>de</strong>r Situation, in <strong>de</strong>r sie bzw. er sich im Moment <strong>de</strong>r Antwort befin<strong>de</strong>t. Zur Veranschaulichung:Während die Herren Zapatero und Wa<strong>de</strong> in Dakar ein „Memorandum<strong>de</strong>r Verständigung über die bilateralen Beziehungen“ zwischen Spanienund <strong>de</strong>m Senegal unterschrieben, in <strong>de</strong>m es um <strong>de</strong>n Kampf gegen das organisierteVerbrechen wie um <strong>de</strong>n Schutz <strong>de</strong>r unbegleiteten min<strong>de</strong>rjährigen Flüchtlinge ging,die in Spanien ankommen, haben sich die AktivistInnen <strong>de</strong>r SOC-SAT, SpanierInnenund MigrantInnen, um junge Leute aus Afrika gekümmert, die komplett<strong>de</strong>sorientiert in Almería ankamen und zum Spielball <strong>de</strong>r sie marginalisieren<strong>de</strong>nGesetze wur<strong>de</strong>n. Die SOC-SAT hat sich dazu entschlossen, für die Respektierung<strong>de</strong>r Menschenrechte und die Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>s einzelnen Menschen zu kämpfen. DieseGewerkschaft verwen<strong>de</strong>t ihre Energie darauf, sich <strong>de</strong>r Orientierung, <strong>de</strong>r Ausbildungund <strong>de</strong>r Selbstermächtigung <strong>de</strong>r MigrantInnen in <strong>de</strong>r Region von Almeríaim Süd-Osten von Spanien zu widmen.42 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


Überzeugt von <strong>de</strong>r Richtigkeit ihrer gewerkschaftlichen Aktion für die Respektierung<strong>de</strong>r Menschenrechte und <strong>de</strong>r Rechte <strong>de</strong>r MigrantInnen im speziellen,plant die SOC-SAT nun, eine internationale Kampagne zum Austausch und zumsozialen Dialog rund um das Thema Migration zu lancieren, sowohl in <strong>de</strong>n Herkunftslän<strong>de</strong>rn(speziell im Senegal) wie auch in <strong>de</strong>n Aufnahmelän<strong>de</strong>rn (Spanien,Frankreich, Schweiz, Italien etc.).Spitou Mendy/SOC-SATWenn sich die Blicke Richtung Senegal wen<strong>de</strong>n43


„Wir haben Werte und wir haben Reichtümer”Zur Ausplün<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Kongo durch transnationale Konzerne, IWF & CoDer folgen<strong>de</strong> Text beruht auf einem Interview mit Victor Nzuzi aus <strong>de</strong>r DemokratischenRepublik Kongo, geführt von Dieter Behr/EBF während <strong>de</strong>s Maghreb-Sozialforums in Bouznika/Marokko im Januar 2008 1 . Anhand zahlreicher Beispielewird gezeigt, wie die Zerstörung kleinbäuerlicher Existenzgrundlagen mit <strong>de</strong>rFlucht in Megastädte wie Kinshasa einhergeht. Victor Nzuzi ist Bauer und Mitgliedvon Via Campesina sowie vom migrationsbezogenen Netzwerk „manifesteeuro-africain“.Wenn wir also am Beispiel <strong>de</strong>r D.R. Kongo eine Verbindung herstellen zwischen<strong>de</strong>n Themen <strong>Landwirtschaft</strong> und Migration, sehen wir, dass es sich tatsächlichum einen Zusammenhang han<strong>de</strong>lt, <strong>de</strong>r sehr be<strong>de</strong>utend ist. Die Zerstörung <strong>de</strong>r<strong>Landwirtschaft</strong> hat eine sehr starke Auswirkung auf die Migrationsbewegungen <strong>de</strong>rBevölkerung.Da in <strong>de</strong>r D.R. Kongo Krieg herrscht, sind die Bauern und Bäuerinnen in <strong>de</strong>nZonen <strong>de</strong>s Kriegs die ersten Opfer, <strong>de</strong>nn sie leben in ihren Dörfern ohne jeglichenSchutz. Und diese BäuerInnen ziehen weg, sie fliehen vor <strong>de</strong>m Krieg, sie verlierenihr Saatgut, und wenn sie zurückkommen, fängt <strong>de</strong>r Krieg von neuem an und siemüssen wie<strong>de</strong>r fliehen. Schlussendlich verlieren sie also ihre Fel<strong>de</strong>r, die oft vonMinen kontaminiert sind, wo Kämpfe stattfin<strong>de</strong>n, o<strong>de</strong>r die von Kämpfen zerstörtwur<strong>de</strong>n.Der Kongo ist auch ein Land <strong>de</strong>r Bo<strong>de</strong>nschätze. Angesichts all <strong>de</strong>r Verträge, diemit <strong>de</strong>n multinationalen Konzernen abgeschlossen wer<strong>de</strong>n, wird die bäuerliche Bevölkerungoft ganz einfach verjagt. Auch in Waldgebieten! Denn fälschlicher Weisewird oft nicht anerkannt, dass <strong>de</strong>r Wald von Bauern, Fischerinnen und Jägerngenützt wird! Diese Leute verlieren dann auf <strong>de</strong>r Stelle die Konzession, ihrer Arbeitnachgehen zu dürfen, da gesagt wird, „ab jetzt wird dieser Wald forstwirtschaftlichverwertet.“ Die Betroffenen gehen also in die Städte, und vor allem die Jungentrachten danach, etwas an<strong>de</strong>res zu fin<strong>de</strong>n.ImportflutEs darf nicht vergessen wer<strong>de</strong>n, dass heute bei uns <strong>de</strong>r Markt überschwemmtwird mit importierten Produkten aus Europa und Amerika. Es gibt sogar Erzeugnisse,die aus Brasilien kommen, z.B. Hühnerfleisch, o<strong>de</strong>r aus Argentinien, wiez.B. bestimmte Maissorten. All das fin<strong>de</strong>t man auf <strong>de</strong>n Märkten im Kongo. Die44 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


erwähnten Produkte sind aufgrund <strong>de</strong>r Exportsubventionen billiger als die lokalenProdukte. Die Leute im Kongo, die kein o<strong>de</strong>r ein geringes Einkommen haben –man muss sich die Lebensumstän<strong>de</strong> von KongolesInnen ohne Einkommen ersteinmal vorstellen – haben keine Wahl! Sie kaufen also die billigeren Produkte ausEuropa o<strong>de</strong>r Amerika, anstatt <strong>de</strong>n Mais o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Maniok zu kaufen, <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>nDorfbewohnerInnen erzeugt wird. Bei <strong>de</strong>n importierten Produkten han<strong>de</strong>lt es sichvor allem um Fleisch und um Getrei<strong>de</strong> (Mais, Weizen etc.).Wir haben es hier mit einer regelrechten Kampagne zu tun, die die Essgewohnheiten<strong>de</strong>r Bevölkerung än<strong>de</strong>rn soll. Es wird aus <strong>de</strong>r Armut und <strong>de</strong>r fehlen<strong>de</strong>nKaufkraft <strong>de</strong>r KonsumentInnen Profit gezogen. Den Leuten wird eingebläut, dassman zum Frühstück Tee o<strong>de</strong>r Kaffee mit Weißbrot essen soll. Wir aber haben zumTee o<strong>de</strong>r Kaffee immer Maniok, Banane, Süßkartoffel, Tarot o<strong>de</strong>r Niam gegessen.Heute heißt es, man muss, anstatt diese lokalen Produkte zu kaufen, Weißbrotkaufen, das mit importiertem Weizen hergestellt wur<strong>de</strong>. Die Konsequenz ist, dassdiejenigen, die die lokalen Produkte herstellen, kein Einkommen mehr haben.Kurz gesagt, die Bauern und Bäuerinnen verlieren ihre Arbeit. Wenn man nunein Kind aus einer bäuerlichen Familie fragt, ob es <strong>Landwirtschaft</strong> betreiben will,wird es antworten: „Was wer<strong>de</strong> ich damit gewinnen? Ich ziehe es allemal vor, indie Stadt zu gehen.“ In <strong>de</strong>r Stadt aber gibt es auch wenig Arbeit o<strong>de</strong>r nur schlechtbezahlte Arbeit. Natürlich versuchen die Jungen da, an<strong>de</strong>rswo hinzugehen, dort wosie sich ein Leben aufbauen können. Die Migration ist also eine direkte Konsequenz<strong>de</strong>r Zerstörung <strong>de</strong>r <strong>Landwirtschaft</strong>.Mo<strong>de</strong>rnisierung?Es gibt Bestrebungen, im Kongo die <strong>Landwirtschaft</strong> zu mo<strong>de</strong>rnisieren, mit <strong>de</strong>mZiel, Investoren für die Produktion von Agrotreibstoffen auf <strong>de</strong>r Basis von Palmölzu gewinnen. Wir sagen an dieser Stelle: „Wenn das auf Kosten <strong>de</strong>r Produktionvon Lebensmitteln geschieht, die die Bevölkerung ernährt, dann gehen wir damit<strong>de</strong>n falschen Weg!“ Und wir versuchen, eine große Mobilisierung zu diesem Themazu erreichen. Denn diejenigen, die hinter diesen Projekten stehen, sind großeFirmen, die mit großen Maschinen ankommen und <strong>de</strong>r bäuerlichen Bevölkerungfür eine kleine Entschädigung das Land abknöpfen. Letztere wer<strong>de</strong>n also wie<strong>de</strong>rumgezwungen sein, in die Städte zu gehen, und dort wer<strong>de</strong>n sie in <strong>de</strong>n meisten Fällenin <strong>de</strong>n Slums lan<strong>de</strong>n. Die Regierung hat nun einen Vertrag mit China zur Pflanzungvon Palmölkulturen über 600 Millionen Euro abgeschlossen.Ich möchte auch ein an<strong>de</strong>res Investitionsvorhaben erwähnen, bei <strong>de</strong>m eine <strong>de</strong>utscheFirma mit <strong>de</strong>m Namen UNCEDEL im Spiel ist: Ca. 150 km von Kinshasaentfernt wird Jatropha angebaut. Jatropha ist eine kleine Pflanze, die gut hitzebeständigist. Mit ihr wer<strong>de</strong>n auch Agrotreibstoffe erzeugt. Wir fragen uns: „Untersuchtman hier wirklich ernsthaft die Konsequenzen, die all das auf unser täglichesLeben haben kann?“ Diese Kulturen wer<strong>de</strong>n auf enorm großen Flächen angebaut,„Wir haben Werte und wir haben Reichtümer”45


Flächen, auf <strong>de</strong>nen bis heute Bauern und Bäuerinnen arbeiten! An dieser Stellemuss hinzugefügt wer<strong>de</strong>n: Wir verstehen darunter auch die Arbeit in Champignon-Kulturen,in Raupen-Kulturen, die Nutzung <strong>de</strong>r Medizinalpflanzen o<strong>de</strong>r dieJagd. Das wird oft nicht anerkannt. Einfach anzukommen und zu behaupten, eshandle sich um ungenutzte Flächen, ist falsch! Es gibt praktisch keine ungenutztenFlächen, es sind Flächen, um beispielsweise Raupen zu sammeln o<strong>de</strong>r auf die Jagdzu gehen! Wenn diese Flächen von Palmölkulturen besetzt wer<strong>de</strong>n, versteht es sichvon selbst, dass diese Tiere nicht mehr in ihrem Milieu leben können. Daraus wirdresultieren, dass sich die Ernährungslage <strong>de</strong>r ländlichen Bevölkerung verschlechternwird und dass große Teile in die Städte gehen wer<strong>de</strong>n.Und es gibt noch ein Phänomen, von <strong>de</strong>m ich re<strong>de</strong>n will: In Kinshasa wird vielFischerei betrieben. Nun bauen die BewohnerInnen aufgrund <strong>de</strong>r extremen Armutihre Hütten dort, wo es eigentlich untersagt ist zu bauen. In Kinshasa also, einerriesigen Agglomeration von über 8 Millionen EinwohnerInnen, geht aller Sand,<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>r Erosion entsteht, in die kleinen Bäche und in die Flüsse, dorthin, wodie FischerInnen Fischfang betreiben. An ihren Wohn- und Arbeitsorten ist nunalles mit Sand aus <strong>de</strong>r Erosion aufgeschüttet! Die FischerInnen verlieren also auchihre Arbeit und sie fin<strong>de</strong>n sich oft in einem System wie<strong>de</strong>r, in <strong>de</strong>m sie nun mitihren kleinen Booten, anstatt Fischfang zu treiben, Güter und Menschen über<strong>de</strong>n Fluss von Kinshasa nach Brazzaville schmuggeln. Das ist eine äußerst prekäreArbeit, also eine extreme Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen.Um ein an<strong>de</strong>res Beispiel zu nennen: Die Fischerei im Gebiet von Muanda, an <strong>de</strong>rAtlantikküste, ist äußert bedroht von <strong>de</strong>r Erdölindustrie. Unlängst gab es eine französischeGesellschaft, PENECO, die ihr Öl genau in <strong>de</strong>n Fischgrün<strong>de</strong>n abfließenließ. Es gab keine Reparationszahlungen! Es wur<strong>de</strong> zwar eine Untersuchungskommissionvon <strong>de</strong>r Regierung eingerichtet, aber wir wissen genau, es wird praktischkeine Entschädigungen geben.Vor diesem Unglück hatte Angola einen Vertrag über die Fischerei mit China un<strong>de</strong>inigen europäischen Län<strong>de</strong>rn unterzeichnet. Das entsprechen<strong>de</strong> Unternehmen hatsich in Angola nie<strong>de</strong>rgelassen und ist mit seinen Booten nach Nor<strong>de</strong>n, bis in dasGebiet <strong>de</strong>s Kongo gekommen und hat dort alles leergefischt! Die von <strong>de</strong>r Fischereileben<strong>de</strong> Bevölkerung hat also ihre Arbeit verloren und was ist zu tun, wenn mandie Arbeit verliert? Man muss wegziehen! Die Leute wer<strong>de</strong>n dir sagen: „UnsereKin<strong>de</strong>r können nicht mehr fischen, die importierten Fische überschwemmen <strong>de</strong>nMarkt, an <strong>de</strong>r Küste errichtet man Fabriken, die das Meer verunreinigen... DieJungen wer<strong>de</strong>n ihr Glück an<strong>de</strong>rswo suchen!“.Aufgezwungene ProgrammeDie Importindustrie hat an Be<strong>de</strong>utung zugenommen seit <strong>de</strong>r Krise im Kongo in<strong>de</strong>n 1980er Jahren. Zur Zeit <strong>de</strong>r Strukturanpassungsprogramme, als die Weltbankdas Land dazu verpflichtete, seine Schul<strong>de</strong>n zurückzuzahlen, wur<strong>de</strong>n Staudäm-46 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


me zur Elektrizitätserzeugung errichtet. Diese Staudämme haben allerdingsnicht gebracht, was man erwartete. Bereits mit <strong>de</strong>m Beginn <strong>de</strong>r Ölkrise im Jahr1973 haben die Strukturanpassungsprogramme eingesetzt. Im Jahr 1976 gab esein Programm, das vom Internationalen Währungsfonds verordnet wur<strong>de</strong>. DieAusgaben <strong>de</strong>s Staates mussten gesenkt wer<strong>de</strong>n, also hat man verschie<strong>de</strong>ne öffentlicheLeistungen, z.B. im Gesundheitswesen, privatisiert. Der Staat hatte keinGeld mehr und die Administration war gezwungen, Lebensmittel zu importieren,um Hungerrevolten gegen <strong>de</strong>n Diktator zu vermei<strong>de</strong>n. Mit <strong>de</strong>r Verschlimmerungdieser Krise und <strong>de</strong>m Einsetzen <strong>de</strong>s Krieges (in <strong>de</strong>n 1990er Jahren) wur<strong>de</strong> es auchimmer schwieriger, die Bo<strong>de</strong>nschätze, welche die Aufrechterhaltung <strong>de</strong>r öffentlichenDienstleistungen garantieren sollten, zu exportieren. Der Staat hatte alsofast kein Geld und es waren die privaten Firmen, welche die landwirtschaftlichenProdukte ins Land importierten.In <strong>de</strong>m Zeitraum, <strong>de</strong>n ich eben schil<strong>de</strong>rte, haben viele afrikanische Län<strong>de</strong>r eineähnliche Entwicklung mitgemacht. Es gab beispielsweise viele kleine Hühnerfarmen,die nicht weiter existieren konnten. Man hat uns eine Logik aufgezwungen,in <strong>de</strong>r selbst das Viehfutter importiert war – von einem Konzern namens MIDE-MA. Dieser Konzern, <strong>de</strong>r zu einem bestimmten Zeitpunkt in französische Hän<strong>de</strong>gekommen ist, hat Weizen importiert, diesen in <strong>de</strong>n Fabriken geschält und dieAbfälle als Hühner- und Schweinefutter verkauft. Bevor dieser Konzern auftauchte,fütterten die BäuerInnen ihr Vieh mit lokalem Mais und Soja. Es war eine großeMedienkampagne <strong>de</strong>r multinationalen Konzerne, mittels <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Leuten eingere<strong>de</strong>twur<strong>de</strong>: „Damit ein Huhn gut wächst, muss es mit Futter aus Europa o<strong>de</strong>rAmerika gefüttert wer<strong>de</strong>n!“ Wie so oft war dieses Futter zu Beginn recht billig, umdann immer teurer zu wer<strong>de</strong>n – also mussten die kleinen Betriebe schließen.Es ist auch wichtig zu erwähnen, welchen Effekt die Fleischimporte hatten. Denn,wie ich nicht mü<strong>de</strong> wer<strong>de</strong> zu wie<strong>de</strong>rholen, sind unsere Ziegen, Schweine undSchafe das, was man eine Bank nennen kann. Wenn du also ein Problem hast,wenn <strong>de</strong>in Kind beispielsweise krank ist, o<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>r Schule fliegt, weil das Schulgeldnicht bezahlt wur<strong>de</strong>, nimmst du <strong>de</strong>ine Ziege o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>in Schaf, verkaufst es auf<strong>de</strong>m Markt und wirst damit das Problem beheben können. Wenn du allerdingsheute mit <strong>de</strong>inem Huhn o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>inem Schwein auf <strong>de</strong>n Markt kommst, fin<strong>de</strong>st dudie importierten Schweinekoteletts, die <strong>de</strong>n Preis ruinieren – du wirst <strong>de</strong>in Kindalso nicht zur Schule schicken können!Und die Jungen sehen diese Misere; sie verlassen ihre Dörfer, selbst die Elterngehen weg, weil sie nicht leben können. Das ist also auch ein Grund, warumKinshasa heute 8 Millionen EinwohnerInnen hat. Alle großen Städte Afrikas sindheute im Begriff, enorm anzuwachsen. Und die Lebensbedingungen dort sindunvorstellbar. Man muss einmal in die Slums gehen und sich ansehen, wie siegrößer wer<strong>de</strong>n. Die Leute haben kein Trinkwasser, keine Sanitäranlagen. Wenn siealso unter diesen Umstän<strong>de</strong>n leben und in <strong>de</strong>n europäischen o<strong>de</strong>r amerikanischen„Wir haben Werte und wir haben Reichtümer”47


Filmen die konstruierte Realität sehen – man zeigt ja in diesen Filmen keine Obdachlosen,son<strong>de</strong>rn nur Leute mit großen Autos – wer<strong>de</strong>n sie sagen: „Warum sollich hier im Dorf o<strong>de</strong>r im Slum weiterleben, wo es unmöglich ist, gut zu leben?“MobilisierungWir verstehen es als unsere Arbeit, die Leute zu mobilisieren und zu sensibilisieren,um zu sagen: „Wir haben Werte und wir haben Reichtümer.“ Es ist Unsinn, immerhierher zu kommen und die Armut und das Elend hervorzukehren. Die jungeGeneration, die gera<strong>de</strong> dabei ist wegzugehen, das ist ein unglaublicher Reichtumund diese Leute haben Energie! Man hat uns Afrika immer als einen kleinen Kontinentpräsentiert. Auf allen alten Karten war Afrika im Vergleich zu Europa relativklein – heute sehen wir, dass dieser Kontinent in all seinen Dimensionen unglaublichgroß ist! Das Problem ist, dass immer das Afrika <strong>de</strong>r Kriege, <strong>de</strong>r Korruption,<strong>de</strong>s Aids, <strong>de</strong>r Krankheiten, das Afrika <strong>de</strong>s Hungers gezeigt wird. Aber man zeigtnicht die Reichtümer Afrikas, die wir uns wie<strong>de</strong>r aneignen müssen! Das betrifftauch unsere Lebensmittel!Die Raupen – das isst man in Europa nicht - o<strong>de</strong>r die Pilze. Das sind Lebensmittel,die sehr viele Nährstoffe enthalten. Heute will man uns einre<strong>de</strong>n, dass dieseLebensmittel keinen Sinn haben. In <strong>de</strong>r Werbung wird die lokale Hühnerproduktionals etwas Unhygienisches <strong>de</strong>nunziert.Die <strong>Landwirtschaft</strong>spolitik in unseren verschie<strong>de</strong>nen Län<strong>de</strong>rn hier ist eine Politikfür die ausländischen Investoren. Es geht nicht um die Unterstützung <strong>de</strong>r lokalenProduktion. Es gibt bei uns sogar ein Gesetz zur Investitionsför<strong>de</strong>rung im landwirtschaftlichenSektor – um die Investoren anzulocken! Bei einer bäuerlichenBevölkerung von 80 Prozent müsste man hingegen die Bauern und Bäuerinnenunterstützen! Statt<strong>de</strong>ssen importieren wir Lebensmittel. Wenn unsere <strong>Landwirtschaft</strong>funktionieren wür<strong>de</strong>, hätten wir Lebensmittel im Überfluss. Was wir brauchensind Straßen, um die Produkte zu <strong>de</strong>n KonsumentInnen zu bringen, manmüsste auch die Verarbeitung und Konservierung <strong>de</strong>r Produkte erleichtern – dashat die Regierung aber nicht im Sinn, und ebenso wenig die Europäische Unionund die internationalen Finanzinstitutionen. Diese sagen vielmehr: Mo<strong>de</strong>rnisierung<strong>de</strong>r <strong>Landwirtschaft</strong>! Aber wir wissen doch genau, dass diese Mo<strong>de</strong>rnisierungin Europa zu einer fatalen Überproduktion von Lebensmitteln schlechter Qualitätgeführt hat, mit <strong>de</strong>nen nun unser Kontinent überschwemmt wird. Es fin<strong>de</strong>t eineZerstörung <strong>de</strong>r afrikanischen <strong>Landwirtschaft</strong> statt, und das ist wirklich ein Drama.Migration innerhalb AfrikasNoch ein Wort zur Migration: Ein großer Teil dieser Migration fin<strong>de</strong>t innerhalbvon Afrika statt. Nehmen wir das Beispiel <strong>de</strong>s Bergbaus in Angola: Viele Leuteaus <strong>de</strong>m Kongo sind dorthin gegangen, um im Diamantenabbau zu arbeiten. Das48 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


waren Leute, die zuerst im Kongo <strong>Landwirtschaft</strong> betrieben und dort auch nachDiamanten gesucht hatten: Als sich bei ihnen zu Hause <strong>de</strong>r Diamantenabbauvon <strong>de</strong>r Oberfläche in die Tiefe verlagerte und dadurch <strong>de</strong>r Ackerbau unmöglichwur<strong>de</strong>, sind sie nach Angola gegangen. Was ist nun passiert: Letztes Jahr, 2007, hatAngola 200.000 kongolesische ArbeitsmigrantInnen ausgewiesen und all ihr Habund Gut konfisziert! Die Leute kehren ohne einen Pfennig in <strong>de</strong>r Tasche zurück,und zu Hause ist <strong>de</strong>r landwirtschaftliche Bo<strong>de</strong>n bereits zerstört!Die Machthaber in Afrika lernen also davon, wie das in Europa gemacht wird! Eswird zur gängigen Praxis, MigrantInnen auszuweisen!Im Kongo gibt es Flüchtlinge aus Angola, die seit langer Zeit hier leben. Als ichklein war, hatte ich eine Reihe von angolanischen Onkeln. Heute setzt ein Diskursein, bei <strong>de</strong>m gesagt wird: „Dieser da ist Angolaner.“ Ok, wir wussten immer, dassdas so ist, aber es gab keine ethnische Barriere. Das war so bis in <strong>de</strong>n Nor<strong>de</strong>n, bisnach Gabun. Heute besteht die Gefahr, dass man die Leute aus Angola, die sichhier nie<strong>de</strong>rgelassen haben und wie die an<strong>de</strong>ren leben und arbeiten – im Kleinhan<strong>de</strong>l,sogar in Fabriken – ausweist. Denn Kongo will es Mosambique, Angola o<strong>de</strong>rLibyen gleichtun. Es wird gesagt: „Wenn MigrantInnen bei euch sind, gibt es dieseund jene Normen, die ihr befolgen müsst, wie in Europa. Wenn sie irregulär hiersind, müsst ihr sie ausweisen.“ Es gibt also nun auch bei uns Schikanen, die dazuführen, dass sich die MigrantInnen in einer sehr schlechten Lage wie<strong>de</strong>r fin<strong>de</strong>n.Letzten Oktober o<strong>de</strong>r November gab es in Kinshasa einen Streik <strong>de</strong>r NigerianerInnen.Sie haben protestiert, <strong>de</strong>nn die Polizei hatte etwa zehn MigrantInnen ausNigeria verhaftet. Man muss mit dieser Politik aufhören, <strong>de</strong>nn sie beginnt sehrnegative Auswirkungen in Afrika zu haben. Der europäische rassistische Diskurswird hier in Afrika kopiert!Und um es noch einmal zu unterstreichen: Diese Politik hat einen direkten Bezugzur ökonomischen Ausbeutung <strong>de</strong>r Menschen. Denn das Land wird zu einemkommerziellen, zu einem finanziellen Wert gemacht. Dem Land wird <strong>de</strong>r kulturelleWert, <strong>de</strong>n es hatte, entzogen. Für uns ist das Land das Land <strong>de</strong>s Fischfangs,<strong>de</strong>r <strong>Landwirtschaft</strong>, <strong>de</strong>r Jagd. Heute ist dieses Land da, um nach Bo<strong>de</strong>nschätzen zusuchen, o<strong>de</strong>r um Kaffee o<strong>de</strong>r Palmöl zu produzieren. Wer reißt sich das Land unter<strong>de</strong>n Nagel? Die multinationalen Konzerne beziehungsweise ihre Strohmänner.Hier am Sozialforum haben wir bereits gehört, wie es in Marokko funktioniert: Esgibt marokkanische Immobilienspekulanten, aber wenn man genau hinsieht, sin<strong>de</strong>s französische o<strong>de</strong>r spanische Firmen. In <strong>de</strong>r Konsequenz zahlen sie nicht die vollenSteuern und <strong>de</strong>r Staat hat kein Geld, um die sozialen Ausgaben zu bestreiten.Auch in diesem Fall versuchen die Leute, das Land zu verlassen.Interview: Dieter Behr/Europäisches BürgerInnenforum„Wir haben Werte und wir haben Reichtümer”49


1Zu diesem ersten Maghreb-Sozialforum reisten statt <strong>de</strong>r erwarteten 700 über 1400 TeilnehmerInnennach Bouznika an <strong>de</strong>r Atlantikküste zwischen Rabat und Casablanca. Darunter waren sehrviele junge Leute aus Marokko, u.a. vom Netzwerk RESAQ aus Casablanca, aber auch Subsahara-MigrantInnen, die in Marokko leben, und über 100 AktivistInnen aus an<strong>de</strong>ren Maghreb-Län<strong>de</strong>rn,Subsahara-Afrika und Europa. Letztere vor allem auf Einladung <strong>de</strong>s Migrationsnetzwerks ManifesteEuro-Africain, das seit <strong>de</strong>r NGO-Konferenz „Migrationen, Grundrechte und Bewegungsfreiheit“En<strong>de</strong> Juni 2006 in Rabat besteht (siehe auch www.fluechtlingsrat-hamburg.<strong>de</strong> unter EU-Migrationspolitik).Das Thema Migration wur<strong>de</strong> aufgrund <strong>de</strong>s Engagements dieses transnationalen Netzwerksund <strong>de</strong>s großen Interesses vor allem <strong>de</strong>r marokkanischen Jugendlichen zu einem Schwerpunkt <strong>de</strong>sForums.50 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


These 1Spätestens seit <strong>de</strong>m 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt sind die bei<strong>de</strong>n Bereiche <strong>Landwirtschaft</strong> undMigration auf vielfältige Weise verzahnt. Sie stehen überdies – bis auf <strong>de</strong>n heutigenTag – in enger Tuchfühlung mit <strong>de</strong>n Prozessen kapitalistischer Industrialisierungund Urbanisierung, also auch jener Dynamik, welche immer wie<strong>de</strong>r von neuemdie hierarchischen Beziehungen zwischen <strong>Peripherie</strong> und Zentrum hervorbringt.Politisch hat all das in <strong>de</strong>n vergangenen an<strong>de</strong>rthalb Jahrzehnten keine nennenswerteRolle gespielt – je<strong>de</strong>nfalls hierzulan<strong>de</strong>. Hintergrund dürfte vor allem <strong>de</strong>r Kollapsinternationalistischer Politik nach 1989 gewesen sein. Denn hierdurch ist es zueiner weitreichen<strong>de</strong>n, mitunter grotesk anmuten<strong>de</strong>n Weltvergessenheit nahezu<strong>de</strong>r gesamten Linken gekommen. Selbst in antirassistischen Zusammenhängenwur<strong>de</strong> die Situation in <strong>de</strong>n Herkunftslän<strong>de</strong>rn von Flüchtlingen und MigrantInnenbestenfalls punktuell, meist jedoch holzschnittartig zur Sprache gebracht. Erst imZuge globalisierungskritischer Proteste sind weltweite Macht-, Abhängigkeits- undAusbeutungsverhältnisse wie<strong>de</strong>r verstärkt auf die (bewegungs-)politische Tagesordnunggerückt. Insofern war es gera<strong>de</strong>zu folgerichtig, dass <strong>Globale</strong> <strong>Landwirtschaft</strong>zu einem von drei thematischen Aktionstagen während <strong>de</strong>r Gipfelproteste inHeiligendamm im Juni 2007 avanciert ist – neben Migration einerseits sowie Kriegund Folter an<strong>de</strong>rerseits. Und doch: Die Debatte über Zusammenhänge zwischenglobaler <strong>Landwirtschaft</strong> und Migration steckt noch in <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rschuhen – genausowie viele <strong>de</strong>r verwandten Fragestellungen. Als Darstellungsform empfiehltsich <strong>de</strong>shalb – im Sinne einer ersten Selbstverständigung – die Formulierungvorläufiger Thesen.These 2<strong>Globale</strong> <strong>Landwirtschaft</strong>, Migration & Mega-Cities8 Thesen zur Geschichte eines komplexen VerhältnissesAus landwirtschaftlicher Perspektive waren es min<strong>de</strong>stens vier Entwicklungen,welche die kapitalistische Industrialisierung in Europa und <strong>de</strong>n USA ermöglichthaben: Erstens die Privatisierung <strong>de</strong>r Bo<strong>de</strong>nnutzung. Zweitens die drastischeAusweitung <strong>de</strong>r landwirtschaftlichen Nutzfläche – allein zwischen 1840 und 1880ist es zu einem weltweiten Wachstum von 50 Prozent gekommen. Drittens die systematischeZurichtung <strong>de</strong>r Kolonien im Sü<strong>de</strong>n zu agrarischen Rohstofflieferanten,d.h. zu so genannten Extraktionsökonomien. Und viertens die rasanten Produktivitäts-bzw. Ertragssteigerungen in <strong>de</strong>r landwirtschaftlichen Produktion und somitdie massenhafte Freisetzung landwirtschaftlicher Arbeitskräfte in Europa. Dies<strong>Globale</strong> <strong>Landwirtschaft</strong>, Migration & Mega-Cities51


hatte einerseits mit einer effektiveren Bo<strong>de</strong>nnutzung, nicht zuletzt auf Grundlageeiner neu entwickelten ‚Landbauwissenschaft’ zu tun, an<strong>de</strong>rerseits mit <strong>de</strong>r systematischenIndustrialisierung <strong>de</strong>r (west-)europäischen und nordamerikanischen<strong>Landwirtschaft</strong>. Zu nennen ist vor allem <strong>de</strong>r stetig wachsen<strong>de</strong> Maschineneinsatz,die umfassen<strong>de</strong> Verwendung chemischer Produkte (Industriedünger, Pestizi<strong>de</strong>,Herbizi<strong>de</strong> etc.) sowie die Einführung mo<strong>de</strong>rner Transport- und Kommunikationssysteme,um auf diese Weise einen direkten Zugang zu <strong>de</strong>n überregionalen bzw.weltweiten Märkten zu gewährleisten.Hinsichtlich Landflucht und Migration ist zweierlei anzumerken:a) So sehr die aus <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n schießen<strong>de</strong> Industrie sowie die boomen<strong>de</strong>n Städteauf Arbeitskräfte vom Land angewiesen waren, es ist keinesfalls so gewesen, dasssämtliche Landflüchtlinge unmittelbar einen Arbeitsplatz gefun<strong>de</strong>n hätten. StarkerAbwan<strong>de</strong>rungsdruck hat nämlich in <strong>de</strong>r zweiten Hälfte <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rtsnicht nur ob <strong>de</strong>r Verän<strong>de</strong>rungen innerhalb <strong>de</strong>r <strong>Landwirtschaft</strong> bestan<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rnauch aufgrund <strong>de</strong>s rasanten Bevölkerungswachstums auf <strong>de</strong>m Land. Mit an<strong>de</strong>renWorten: Hätte es nicht die seitens <strong>de</strong>r beteiligten Staaten aktiv geför<strong>de</strong>rte Auswan<strong>de</strong>rungin die neue Welt (Nordamerika, Australien, Neuseeland etc.) gegeben, wärees in Europa zu ähnlich dramatischen Verwerfungen gekommen, wie sie heuteallenthalben im globalen Sü<strong>de</strong>n anzutreffen sind.b) Abwan<strong>de</strong>rungsdruck war nur die eine Seite <strong>de</strong>r Medaille – einschließlich dramatischerGeschehnisse wie z.B. in Irland im Zuge <strong>de</strong>r großen Hungersnot 1845-1849. Denn das Auswan<strong>de</strong>rungsgeschehen hat umgekehrt auch die Phantasie <strong>de</strong>rMigrantInnen enorm beflügelt. Eric Hobsbawm spricht etwa von einer Welt, „dieim günstigsten Fall voll unendlicher Hoffnung war und in <strong>de</strong>r angeblich das Geldauf <strong>de</strong>r Straße lag.“ 1 Ähnlich gelagerte Überlegungen sind hier zu Lan<strong>de</strong> anlässlich<strong>de</strong>r Debatte um die so genannte Autonomie <strong>de</strong>r Migration formuliert wor<strong>de</strong>n.These 3Die Industrialisierung <strong>de</strong>r <strong>Landwirtschaft</strong> ist in<strong>de</strong>ssen auf leisen Sohlen dahergekommen– ein Umstand, <strong>de</strong>r leicht in Vergessenheit gerät: Noch am Vorabend<strong>de</strong>s Zweitens Weltkriegs waren Großbritannien und Belgien die einzigen bei<strong>de</strong>nIndustrielän<strong>de</strong>r, in <strong>de</strong>nen weniger als 20 Prozent <strong>de</strong>r EinwohnerInnen mit <strong>Landwirtschaft</strong>bzw. Fischerei zu tun hatten. Demgegenüber waren in <strong>de</strong>n USA noch25, in Frankreich 40 und in Bulgarien 80 Prozent <strong>de</strong>r Bevölkerung landwirtschaftlichaktiv. Rapi<strong>de</strong> geän<strong>de</strong>rt hat sich dies erst ab ca. 1950: Ob in Japan, Algerieno<strong>de</strong>r Brasilien, überall ist es zu massiven Schrumpfungsprozessen gekommen. In<strong>de</strong>r BRD waren z.B. im Jahre 1950 5,35 Millionen Erwerbspersonen auf <strong>de</strong>mLan<strong>de</strong> tätig, 1960 waren es noch 3,6 Millionen und zu Beginn <strong>de</strong>r 1990er Jahresind es gera<strong>de</strong> einmal 230.000 gewesen. Das ist ein Sturz von ca. einem Viertel <strong>de</strong>rErwerbspersonen auf weniger als 1 Prozent. Einmal mehr ist es Eric Hobsbawm52 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


gewesen, <strong>de</strong>r diesen Vorgang – je<strong>de</strong>nfalls aus nördlicher Perspektive – trefflich auf<strong>de</strong>n Punkt gebracht hat: „Der dramatischste und weitestreichen<strong>de</strong> soziale Wan<strong>de</strong>lin <strong>de</strong>r zweiten Hälfte dieses Jahrhun<strong>de</strong>rts, <strong>de</strong>r uns für immer von <strong>de</strong>r Welt <strong>de</strong>rVergangenheit getrennt hat, war <strong>de</strong>r Untergang <strong>de</strong>s Bauerntums.“ 2These 4So beeindruckend diese Zahlen sein mögen, sie sollten nicht darüber hinwegtäuschen,dass immer noch knapp die Hälfte <strong>de</strong>r erwerbsfähigen Bevölkerung weltweit(je nach Zählung zwischen 1,3 und 1,7 Milliar<strong>de</strong>n Menschen) ganz o<strong>de</strong>r teilweisevon <strong>de</strong>r <strong>Landwirtschaft</strong> lebt – die große Mehrheit davon im subsaharischenAfrika, auf <strong>de</strong>m indischen Subkontinent, in Südostasien (Indonesien etc.) und inOstasien (China etc.). Entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Haken: Jahr für Jahr wer<strong>de</strong>n kleinbäuerlicheExistenzgrundlagen millionenfach zerschlagen – und das mit katastrophalen, ja unerträglichenKonsequenzen. Erwähnt sei nur, dass rund 80 Prozent <strong>de</strong>r jährlich 30Millionen Hungertoten Kleinbauern und -bäuerinnen, FischerInnen und Landlosesind. Verantwortlich hierfür ist ein Bün<strong>de</strong>l ganz unterschiedlicher Ursachen 3 :1. Seit <strong>de</strong>n frühen 1980er Jahren hat <strong>de</strong>r IWF im Rahmen seiner Strukturanpassungsprogrammezahlreiche Län<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s globalen Sü<strong>de</strong>ns zur Reduzierung vonLebensmittelsubventionen, zur weitgehen<strong>de</strong>n Aufgabe staatlicher Infrastrukturleistungenim landwirtschaftlichen Sektor (z.B. staatliche Vertriebsstrukturen, von<strong>de</strong>nen vor allem Kleinbauern und -bäuerinnen profitiert haben), zur umfassen<strong>de</strong>nÖffnung ihrer Agrarmärkte und zur Ausrichtung landwirtschaftlicher Produktionauf cash-crop-Exportprodukte wie z.B. Kakao, Zuckerrohr o<strong>de</strong>r Baumwollegezwungen (hinter Letzterem stand das Interesse, dass die betroffenen Län<strong>de</strong>r diefür ihre Schul<strong>de</strong>ntilgung erfor<strong>de</strong>rlichen Devisen verdienen mögen). Im Gegenzughaben die EU und die USA das genutzt, ihre systematisch erzeugten Agrar-Überschüsse loszuschlagen: Mittels Exportsubventionen wur<strong>de</strong>n die Märkte<strong>de</strong>r betreffen<strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>r mit Getrei<strong>de</strong>, Milchprodukten, Zucker, Fleisch etc. zuDumpingpreisen überschwemmt. Folge war, dass viele Kleinbauern und -bäuerinnen(auch aus an<strong>de</strong>ren Län<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s globalen Sü<strong>de</strong>ns) ihre Produkte nicht mehrabsetzen konnten und Pleite machten.2. Das im Rahmen <strong>de</strong>r WTO 1995 abgeschlossene Agrarabkommen hat die durch<strong>de</strong>n IWF hervorgebrachten Verhältnisse einerseits im globalen Maßstab verankert,an<strong>de</strong>rerseits vertieft und unumkehrbar gemacht. Ein einfaches Beispiel möge diesesZusammenspiel illustrieren: Zwischen 1990 und 2000 wur<strong>de</strong>n die Zölle auf landwirtschaftlicheProdukte in <strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s globalen Sü<strong>de</strong>ns von 30 Prozent auf18 Prozent gesenkt: Diese Reduzierungen waren zu 65 Prozent IWF-Vorgaben, zu25 Prozent <strong>de</strong>m WTO-Agrarabkommen und zu 10 Prozent an<strong>de</strong>ren Freihan<strong>de</strong>lsabkommengeschul<strong>de</strong>t.3. Sämtliche Phasen <strong>de</strong>r Agrar-Wertschöpfungskette sind von jeweils wenigentransnationalen Konzernen bestimmt – mit katastrophalen Auswirkungen für<strong>Globale</strong> <strong>Landwirtschaft</strong>, Migration & Mega-Cities53


25 Prozent <strong>de</strong>m WTO-Agrarabkommen und zu 10 Prozent an<strong>de</strong>ren Freihan<strong>de</strong>lsabkommengeschul<strong>de</strong>t.3. Sämtliche Phasen <strong>de</strong>r Agrar-Wertschöpfungskette sind von jeweils wenigentransnationalen Konzernen bestimmt – mit katastrophalen Auswirkungen fürdie kleinbäuerlichen ProduzentInnen: Die Saatgutkonzerne nutzen ihre Marktmacht,um immer höhere Preise für Saatgut durchzusetzen, so wie es das ebenfallsim WTO-Rahmen abgeschlossene TRIPS-Abkommen <strong>de</strong>n Saatgut-Konzernenzusätzlich ermöglicht, qua Patentrecht die Saatgut-Abhängigkeit <strong>de</strong>r ProduzentInnenpermanent zu vergrößern – einschließlich Biopiraterie und weiteren, meistgentechnologisch fundierten Schikanen. Die großen Zwischenhändler kaufen ausKosten- und an<strong>de</strong>ren Grün<strong>de</strong>n (Verpackungsstandards etc.) ihre Produkte überwiegendbei GroßproduzentInnen; Kleinbauern und -bäuerinnen haben <strong>de</strong>mgegenüberimmer weniger Möglichkeiten, ihre Produkte überhaupt zu vermarkten.Am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Wertschöpfungskette sitzen die Supermarktketten, sie zahlen <strong>de</strong>nZwischenhändlern immer weniger, was diese wie<strong>de</strong>rum <strong>de</strong>n ProduzentInnen vomPreis abziehen. Konsequenz hiervon ist, dass es zu einer immer stärkeren Umverteilungzwischen ProduzentInnen und <strong>de</strong>n nachgelagerten Instanzen in <strong>de</strong>r Agrar-Wertschöpfungskette kommt: So hat sich zwar <strong>de</strong>r Kaffee-Umsatz im weltweitenEinzelhan<strong>de</strong>l zwischen 1990 und 2003 verdoppelt, die Einnahmen <strong>de</strong>r kaffeeproduzieren<strong>de</strong>nLän<strong>de</strong>r hingegen halbiert.4. Durch gezielte Ausweitung <strong>de</strong>r auf Großplantagen betriebenen Exportproduktion(s.o.), Übertage-Goldabbau, Ölpipelines, Großstaudämme etc. – alles Maßnahmen,die nicht selten im Namen von IWF und Weltbank erfolgen – wer<strong>de</strong>nKleinbauern und -bäuerinnen systematisch von ihrem Land vertrieben. Ohnehinbestehen<strong>de</strong> Verteilungsungerechtigkeiten in Sachen Land wer<strong>de</strong>n dadurch verschärft,zumal IWF und Weltbank nichts unversucht lassen, umfassen<strong>de</strong> Landreformenaus prinzipiellen (d.h. politischen) Grün<strong>de</strong>n zu verhin<strong>de</strong>rn 4 .5. Schließlich sind es ähnlich gelagerte Prozesse wie beim Land, welche <strong>de</strong>n freienZugang zu (unbelastetem) Wasser zunehmend erschweren, mitunter verunmöglichen.These 5Es ist bereits angeklungen: Den freigesetzten Kleinbauern und -bäuerinnen imglobalen Sü<strong>de</strong>n steht gemeinhin we<strong>de</strong>r die städtische Fabrik noch die offiziell protegierte,d.h. legale Exit-Option ‚Auswan<strong>de</strong>rung’ zur Verfügung. Erfor<strong>de</strong>rlich sindvielmehr völlig eigene Überlebensstrategien 5 :1. Immer mehr Familien im globalen Sü<strong>de</strong>n bestreiten ihr Einkommen aus einemMix kleinbäuerlicher (Subsistenz-)Produktion einerseits sowie selbstständiger bzw.lohnabhängiger Beschäftigung im nicht-agrarischen Bereich an<strong>de</strong>rerseits. Dieübliche Re<strong>de</strong> von „Kleinbauern und -bäuerinnen“ ist mit an<strong>de</strong>ren Worten reichlichirreführend. Präziser (wenn auch unschöner) wäre es, von „Semiproletarisierung“54 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


These 6So dramatisch – zumin<strong>de</strong>st aus nördlicher Perspektive – die Verhältnisse in vielen<strong>de</strong>r so genannten Slum-Cities sein mögen, ihre Dämonisierung, ja Horrifizierungist schlichtweg irreführend. Denn Slums sind keineswegs bloße Orte <strong>de</strong>s Überlebens.Im Gegenteil: Sie sind immer auch (kulturelle) Laboratorien <strong>de</strong>s Wan<strong>de</strong>ls– und als solche dynamische Kristallisations- bzw. Anziehungspunkte! Darauf hatin jüngerer Zeit insbeson<strong>de</strong>re die afrikanische Stadtforschung hingewiesen – ohnehierbei allerdings das alte Vorurteil <strong>de</strong>s tumben bzw. rückschrittlichen Lan<strong>de</strong>s zubedienen 8 .These 7Landflucht in bzw. aus <strong>de</strong>r <strong>Peripherie</strong> hat also schon lange nichts mehr mit gesamtgesellschaftlicherEntwicklung, ja Industrialisierung zu tun (unbescha<strong>de</strong>t ten<strong>de</strong>nziellerAusnahmen wie z.B. China). In diesem Sinne ist es schlicht zynisch, dieVerteidigung kleinbäuerlicher <strong>Landwirtschaft</strong> als Nostalgie o<strong>de</strong>r Romantizismus zu<strong>de</strong>nunzieren – so wie das in Teilen <strong>de</strong>r (bewegungspolitischen) Linken immer nochüblich ist. Denn die von Kleinbauern und -bäuerinnen weltweit erhobene For<strong>de</strong>rungnach ungehin<strong>de</strong>rtem Zugang zu Land, Wasser und Saatgut – gebün<strong>de</strong>lt imSlogan <strong>de</strong>r „Ernährungssouveränität“ – ist in erster Linie die politische Re-Aktionauf eine hochgradig prekäre, immer wie<strong>de</strong>r tödliche Krisensituation! Ob undwelche ‚Entwicklungen’ in <strong>de</strong>n überwiegend agrarisch geprägten Gesellschaften <strong>de</strong>sglobalen Sü<strong>de</strong>ns auf <strong>de</strong>n Weg zu bringen sind, wird hingegen durch jene For<strong>de</strong>rungnicht aufgeworfen.These 8Und doch: Das Problem <strong>de</strong>r Entwicklung stellt sich durchaus, ganz gleich wiei<strong>de</strong>ologisch kontaminiert <strong>de</strong>r Begriff sein mag. Denn dass es zahlreiche Gemeinschaftengibt, die an ihren traditionellen, klein(st)bäuerlich fundierten Lebensstilenfesthalten wollen (und darin jedwe<strong>de</strong> Unterstützung verdienen), än<strong>de</strong>rt nichtsan <strong>de</strong>m Umstand, dass Landflucht genauso wie Slums-Cities Antworten auf dieFrage verlangen, welche emanzipatorisch ausgerichteten Wege überhaupt aus <strong>de</strong>nkolossalen Elendsdynamiken im globalen Sü<strong>de</strong>n führen könnten. Hierbei sollte essich von selbst verstehen, dass die Re<strong>de</strong> notwendiger ‚Entwicklung’ nicht nur aufdie <strong>Peripherie</strong>, son<strong>de</strong>rn auch die Industrielän<strong>de</strong>r gemünzt ist – wie am Beispiel <strong>de</strong>rlandwirtschaftlichen Produktion gezeigt wer<strong>de</strong>n kann: So begrüßenswert etwa dieMechanisierung landwirtschaftlicher Arbeitsabläufe durch Traktoren, Melkmaschinenund <strong>de</strong>r gleichen mehr ist (wäre doch ansonsten die zur Hälfte urbanisierteWeltbevölkerung gar nicht ernährbar), so wenig sollte irgen<strong>de</strong>in Zweifel daranbestehen, dass Pestizi<strong>de</strong>, Kunstdünger, Hybridsaatgut, Monokulturen, Massentier-56 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


Wo das Meer die Söhne verschlingtSelbsthilfe ist für viele Frauen im Senegal das Gebot <strong>de</strong>r Stun<strong>de</strong>Thiaroye-sur-mer. Der Name steht für eine Tragödie. Kein an<strong>de</strong>rer Ort im Senegalhat so viele Menschen auf <strong>de</strong>m Weg nach Europa verloren: Zwei Boote mit rund170 überwiegend jungen Männern aus <strong>de</strong>m früheren Fischerdorf sind nie an ihremZiel angekommen. Ihre Pirogen sind irgendwo in <strong>de</strong>r stürmischen See gekentert.Einer <strong>de</strong>r Verschollenen ist <strong>de</strong>r Sohn von Aram Laye. Wenn sie an die Kanaren<strong>de</strong>nkt, muss sie weinen. Die Inseln im Atlantik waren das Traumziel ihres Kin<strong>de</strong>s.An diesen Strän<strong>de</strong>n wollte er ankommen und aufbrechen in ein neues Leben. Eswar vor etwas mehr als einem Jahr, als <strong>de</strong>r 19-jährige an <strong>de</strong>r westafrikanischenKüste aufbrach. Im Morgengrauen stieg er in eine <strong>de</strong>r bunt bemalten Pirogen undfuhr los. Seit<strong>de</strong>m gilt das Holzboot mit rund achtzig jungen Männern an Bord alsverschollen.Anfangs ging Aram Laye je<strong>de</strong>n Morgen ans Meer. Starrte dorthin, wo das Wasserihren Sohn genommen hatte. „Ich dachte, ich wer<strong>de</strong> verrückt”, sagt die 36-Jährige.Jetzt wi<strong>de</strong>rsteht sie diesem inneren Zwang und trifft sich mit an<strong>de</strong>ren Frauen im„Collectif <strong>de</strong>s Femmes contre l’immigration clan<strong>de</strong>stine”, einem Verband gegendie illegalisierte Migration. Dort haben alle die gleichen Nöte. Sie alle haben einenSohn o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Ehemann verloren.Der Verlust be<strong>de</strong>utet für die Familien auch ökonomisch eine Katastrophe. Umdie Reise zu finanzieren, hatten sie ihr Land, ihr Werkzeug und ihren Schmuckverkauft. Plötzlich stehen sie vor <strong>de</strong>m Nichts. Doch das Leben muss weitergehen,und <strong>de</strong>shalb gibt es das Kollektiv. Die Kehrtwen<strong>de</strong> verdanken die Frauen <strong>de</strong>rGrün<strong>de</strong>rin <strong>de</strong>s Verbands, Yaye Bayam Diouf. Die energische Frau hat beinahe je<strong>de</strong>von ihnen persönlich aus <strong>de</strong>m Zustand ohnmächtiger Trauer herausgeholt.Selbstorganisation im Kollektiv und Unterstützung durch einen Top-RingerAlle vertrauen Diouf, <strong>de</strong>nn auch sie hat einen Sohn, ihren einzigen, bei einer <strong>de</strong>rÜberfahrten verloren. Zunächst ging die 48-Jährige ganz pragmatisch an die Sacheheran. Die Frauen brauchten Geld für ihren Lebensunterhalt. Selbsthilfe war dasGebot <strong>de</strong>r Stun<strong>de</strong>. Deshalb verkaufen sie jetzt Couscous und Saft aus Hibiskusblütenin <strong>de</strong>n Straßen. Die Zutaten wie Hirse und Früchte kaufen sie gemeinsam, je<strong>de</strong>von ihnen legt monatlich 1250 cFA, das sind knapp zwei Euro, in <strong>de</strong>n gemeinsamenTopf. Abends wird <strong>de</strong>r Lohn ausgezahlt: 1000 cFA bar auf die Hand. DerRest <strong>de</strong>s Gewinns wird angespart für Notfälle und Kleinkredite. Außer<strong>de</strong>m plant58 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


<strong>de</strong>r Verband, weitere Arbeitsplätze zu schaffen.Auch Aram Laye wur<strong>de</strong> finanziell unterstützt. Sie arbeitet nachmittags im Kollektivund freut sich, die an<strong>de</strong>ren Frauen zu treffen. Morgens verkauft sie Baignets,kleine Hefebällchen, die sie spät abends noch vorbereiten muss. „Das ist viel Arbeit,aber ich habe das Gefühl, mein Leben wie<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Hand zu haben.” Wennsie die Trauer überfällt, gibt es immer eine, die zuhört, die versteht.Wenn die Frauen ihre Körbe voller Essen auf <strong>de</strong>m Kopf durch die Straßen tragen,nutzen sie viele kleine Gelegenheiten, über ihr politisches Anliegen zu sprechen.Sie wollen an<strong>de</strong>re Männer von <strong>de</strong>r Reise mit <strong>de</strong>n kleinen Pirogen abhalten. „Wirhaben ja selbst unseren Söhnen die Tickets nach Europa gekauft”, sagt Aby Sambtraurig: „Einige sind ja auch dort angekommen, aber die meisten sind auf <strong>de</strong>r Reisegestorben. Als wir das begriffen, haben wir versucht, <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Frauen zu sagen,wir müssen diese Situation än<strong>de</strong>rn, wir können unsere Söhne nicht weiter auf <strong>de</strong>mMeer sterben lassen.”Innerhalb eines Jahres hat sich die Mitglie<strong>de</strong>rzahl <strong>de</strong>s Frauenkollektivs auf 550 verdreifacht.Alle in dieser Stadt sind betroffen. Die Mütter hatten sie schnell auf ihrerSeite. Was aber tun, um ihre Söhne zu behalten? Aby Samb, Generalsekretärin<strong>de</strong>s Verbands, lacht: „Es ist bei uns ja wie überall auf <strong>de</strong>r Welt, Kin<strong>de</strong>r gehen ihreeigenen Wege und hören irgendwann nicht mehr auf die Alten. Also versuchenwir, die Menschen auf unsere Seite zu ziehen, auf die sie hören.” Während <strong>de</strong>s Ramadanorganisierte das Kollektiv ein Treffen zwischen Imamen und Jugendlichen,<strong>de</strong>nn fast alle haben einen Marabout, einen islamischen Heiler, <strong>de</strong>m sie Vertrauenschenken. Bevor sich einer auf die Reise macht, fragt er ihn um Rat. Nach Ansicht<strong>de</strong>r Frauen kann <strong>de</strong>r Rat nur lauten: Steig nicht in das Boot.Für ihre Sache überzeugen konnten sie auch Baye Mandione Fall. „Kennen sie ihnnicht?”, fragt Aby Samb. „Er ist ein berühmter Ringer. Wir organisieren Wettkämpfeund versuchen durch Stars wie ihn, <strong>de</strong>n Jugendlichen zu erklären, dassman auch hier im Senegal eine Arbeit fin<strong>de</strong>n kann.” Ringkampf ist neben Fußballeine <strong>de</strong>r ganz großen Sportarten im Senegal. Am Ran<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Kämpfe diskutiertBaye Mandione mit seinen Fans. „Selbst wenn einer keine großen Chancen hat,ist das kein Grund, sein Leben zu riskieren”, erklärt ihnen <strong>de</strong>r 120-Kilo-Mann.Einige kann er überzeugen, wie <strong>de</strong>n 20-jährigen Fischer Gorgui: „Ich hatte meinGepäck bereits vorbereitet. Aber nach <strong>de</strong>r Diskussion habe ich mich entschie<strong>de</strong>nzu bleiben. Vielleicht habe ich ja auch hier eine Chance.”Ohne Arbeit keine PerspektiveAber die meisten jungen Männer, die am Strand für einen Job anstehen, wartenweiter auf einen Platz in einem <strong>de</strong>r Boote. Die Mütter können zwar moralischenDruck aufbauen, aber die finanzielle Situation ihrer erwachsenen Söhne und Töchterkönnen sie kaum verän<strong>de</strong>rn. Denn die bekommen keine regelmäßige Arbeitund sie wollen ihren Familien nicht auf <strong>de</strong>r Tasche liegen. Die ArbeitslosenquoteWo das Meer die Söhne verschlingt59


liegt bei 48 Prozent. In Thiaroye-sur-Mer haben viele Fabriken geschlossen, <strong>de</strong>rKüstenbo<strong>de</strong>n gibt für Landwirte kaum etwas her und das Meer, jahrhun<strong>de</strong>rtealteHaupteinnahmequelle, ist von europäischen und japanischen Fangflotten leergefischt.Um Arbeit zu fin<strong>de</strong>n, wollen die jungen Männer bis nach Europa. Wie MamadouTall. Der 22-jährige Fischer hatte die Chance ergriffen, als ihm ein freier Platz alsFahrer auf einem Boot angeboten wur<strong>de</strong>. Noch vor Marokko ent<strong>de</strong>ckte sie einHubschrauber <strong>de</strong>s Grenzschutzes. Kurz darauf wur<strong>de</strong>n sie von <strong>de</strong>r bewaffnetenKüstenwache aufgegriffen und zurückgeschickt. Mit einem Boot wür<strong>de</strong> er nichtnochmal fahren, auch weil seine Mutter ihm ins Gewissen gere<strong>de</strong>t hat. Jetzt hofftMamadou Tall auf ein Flugticket nach Europa. „Warum dürfen unsere Jungs nichtlegal einreisen? Warum können sie nicht dort Geld verdienen, wo sie wollen? Ihrkommt doch auch hierher und fischt unsere Meere leer”, ruft eine Händlerin, dieam Strand Fische verkauft.Es ist <strong>de</strong>r Strand, <strong>de</strong>n Aram Laye mei<strong>de</strong>t. Könnte ihr zweiter Sohn sicher nachEuropa fliegen, wie die Urlauber zu <strong>de</strong>n Kanaren, wäre sie beruhigt. Statt<strong>de</strong>ssenversucht sie ihn von seiner geplanten Reise abzuhalten: „Geh nicht”, habe ich ihmgesagt. „Ich überlebe das nicht, wenn du auch stirbst.”Haidy Damm/Medienkombinat Berlin60 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


<strong>Peripherie</strong> als schwarzes LochGesellschaftliche Entwicklungen in Mittelosteuropa seit 1989Ein erheblicher Teil <strong>de</strong>r SaisonarbeiterInnen in <strong>de</strong>r west- bzw. europäischen <strong>Landwirtschaft</strong>kommt aus Mittelosteuropa. Dieser Umstand ist allenthalben bekannt.Weniger bekannt ist jedoch, was dies mit <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n 1990er Jahren schocktherapeutischerfolgten Peripherisierung Mittelosteuropas zu tun hat. Wir dokumentieren<strong>de</strong>shalb an dieser Stelle Auszüge aus einem Artikel, welcher anlässlich einesNoBor<strong>de</strong>r-Camps vergangenen August in <strong>de</strong>r Ukraine erschienen ist. In Gänzekann <strong>de</strong>r Artikel auf www.pawschino.antira.info nachgelesen bzw. runtergela<strong>de</strong>nwer<strong>de</strong>n.Mittelosteuropa ist alles an<strong>de</strong>re als homogen – so viel steht fest. Vor allem dieUnterschie<strong>de</strong> zwischen <strong>de</strong>n EU-Beitrittslän<strong>de</strong>rn und <strong>de</strong>n übrigen Staaten wie <strong>de</strong>rUkraine o<strong>de</strong>r Russland sollten nicht aus <strong>de</strong>m Blick geraten. Dennoch lohnt es, diegemeinsamen Grundzüge <strong>de</strong>ssen herauszuarbeiten, was unter <strong>de</strong>m leicht verschraubtanmuten<strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>r Peripherisierung firmiert, vor allem im Hinblickdarauf, wie jener Prozess mit <strong>de</strong>r neoliberalen, mithin imperialen Restrukturierung<strong>de</strong>s globalen Kapitalismus verknüpft ist 1 .Konkret: Meist ist es das Epochenjahr 1989, welches als Beginn <strong>de</strong>s Übergangsvon <strong>de</strong>r Plan- zur Marktwirtschaft in Mittelosteuropa gilt. Das ist nicht falsch,gleichwohl droht eine allzu scharfe Zäsur <strong>de</strong>n Umstand zu vernebeln, dass dierealsozialistischen, im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) zusammengeschlossenenStaaten immer auch – zumin<strong>de</strong>st mit einem Bein – Teil <strong>de</strong>s kapitalistischenWeltmarktes geblieben sind: Einerseits über <strong>de</strong>n Warenhan<strong>de</strong>l sowiegemeinsame Produktionsketten (eine Tochter <strong>de</strong>s schweizerischen UnterwäscheherstellersTriumph hat etwa seit 1972 in Ungarn produzieren lassen), an<strong>de</strong>rerseitsüber die internationalen Kreditmärkte. Just auf diesen sind jedoch zahlreicheRWG-Län<strong>de</strong>r Anfang <strong>de</strong>r 1980er Jahre in die Schul<strong>de</strong>nfalle getappt – genauso wiegroße Teile insbeson<strong>de</strong>re Lateinamerikas. Exemplarisch angeführt sei Rumänien:Die Rücksichtslosigkeit, mit <strong>de</strong>r die dortige Bevölkerung ausgepresst wur<strong>de</strong>, hattenämlich nicht nur mit <strong>de</strong>r irrwitzigen und viel zitierten Politik <strong>de</strong>s Potentaten-Pärchen Ceausescu zu tun, son<strong>de</strong>rn auch mit <strong>de</strong>m Erfor<strong>de</strong>rnis, unter rigoroserAufsicht <strong>de</strong>s IWF Auslandsschul<strong>de</strong>n in Höhe von 10 Milliar<strong>de</strong>n Dollar abzutragen(eine Aufgabe, die bezeichnen<strong>de</strong>rweise 1989 zum Abschluss gekommen ist).Solche und ähnliche Verwicklungen sind in<strong>de</strong>ssen mehr als bloße Anekdoten. Sieerklären vielmehr, weshalb überall im Ostblock bereits im Laufe <strong>de</strong>r 1980er Jahre<strong>Peripherie</strong> als schwarzes Loch61


marktwirtschaftliche Konzepte auf <strong>de</strong>m Vormarsch waren. Hierzu gehörte auch dieEntstehung einer schmalen Schicht junger, überwiegend neoliberal ausgerichteterWirtschaftstechnokratInnen. Als zwischen 1989 und 1991 die realsozialistischenMachtapparate in rasen<strong>de</strong>m Tempo kollabierten, sind es nicht zuletzt jene Nachwuchska<strong>de</strong>rgewesen, welche als so genannte „Reformer“ in zentrale Positionen<strong>de</strong>s Staates gelangten. Mit Unterstützung internationaler Kreditgeber sowie einerüberwiegend pro-westlich gestimmten Bevölkerung sorgten sie dafür, dass <strong>de</strong>rÜbergang zu kapitalistischen Verhältnissen (mit wenigen Ausnahmen wie z.B.Slowenien) nicht abgefe<strong>de</strong>rt, son<strong>de</strong>rn schocktherapeutisch vollzogen wur<strong>de</strong> – eineEntwicklung, an <strong>de</strong>ren En<strong>de</strong> die soziale und ökonomische Peripherisierung Mittelosteuropasstand:a) Marktpreise & Enteignung von Sparguthaben: Die Subventionierung von(Grund-)Nahrungsmitteln, Heizkosten o<strong>de</strong>r öffentlichem Verkehr ist aus neoliberalerSicht Teufelszeug. Preise müssten sich vielmehr – so das Credo – freiam Markt bil<strong>de</strong>n können. Konsequenterweise wur<strong>de</strong>n nach 1989 Subventionenallenthalben gestrichen. Effekt sind aberwitzige Preisexplosionen gewesen: Polenetwa hat 1989/90 eine Hyperinflation von 600 Prozent erlebt, in <strong>de</strong>r Ukraine sinddie Preise 1992 sogar um 1200 Prozent gestiegen – freilich ohne Lohnanpassung.Nebenbei hat sich hierdurch das Vermögen <strong>de</strong>r kleinen SparerInnen gänzlich inLuft aufgelöst. Und das war durchaus gewollt, lag doch in <strong>de</strong>n riesigen – zu Zeitenrealsozialistischer Güterknappheit entstan<strong>de</strong>nen – Sparvermögen ein erheblichesInflationspotential 2 .b) Restriktive Haushaltspolitik: Ein neoliberal getrimmtes Staatswesen spart, woes nur kann – vor allem wenn es eine (künstlich ausgelöste) Hyperinflation wie<strong>de</strong>reinzufangen gilt. Im ohnehin ärmlichen Bulgarien ist beispielsweise die Zahl <strong>de</strong>rKrankenhausbetten zwischen 1989 und 2005 um 38 Prozent zurückgegangen –wer behan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n möchte, muss für Essen, Medikamente und Pflegekostenselber aufkommen. Dass dies bei einem monatlichen Durchschnittseinkommenvon gera<strong>de</strong> mal 163 Euro kaum zu bewerkstelligen ist, dürfte sich von selbst verstehen.c) Produktionseinbrüche, Arbeitslosigkeit & Verarmung: Im Zuge rascher undkompromissloser Marktöffnungen – und somit ungebremster Konkurrenz durchdie Weltmärkte – ist Mittelosteuropa von einer massiven Pleitewelle heimgesuchtwor<strong>de</strong>n. Insgesamt schrumpfte die industrielle Produktion in <strong>de</strong>n Ex-RGW-Staatenzwischen 1990 und 1993 um 40-70 Prozent. Dies wie<strong>de</strong>rum hat die Arbeitslosigkeitvon 0 Prozent auf rund 20 Prozent, teilweise 40 Prozent hochschnellenlassen, beson<strong>de</strong>rs betroffen waren bzw. sind Frauen. In Tschechien ist die Zahl <strong>de</strong>rbeschäftigten Personen zwischen 1990 und 2000 um 39 Prozent zurückgegangen.In Polen betrug die Arbeitslosigkeitsrate 2007 immer noch 15 Prozent, wobeiArbeitslosenunterstützung lediglich in <strong>de</strong>n ersten Monaten gewährt wird. Unterm62 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


Strich muss also von einem massiven Schub <strong>de</strong>r Verarmung gesprochen wer<strong>de</strong>n:In Russland lebten 1989 2 Millionen Menschen in Armut, Mitte <strong>de</strong>r 1990er Jahrewar diese Zahl auf 74 Millionen angewachsen. Beson<strong>de</strong>rs dramatisch ist das sogenannte Phänomen <strong>de</strong>s Transformationsto<strong>de</strong>s: Nach einer UNICEF-Studie sindim Jahr 1993 in Mittelosteuropa – inklusive Russland und <strong>de</strong>r Ukraine – 1,4 MillionenMenschen mehr gestorben als 1989. Zurückgeführt wur<strong>de</strong> das vor allem auf<strong>de</strong>n rasanten Anstieg von Herz-Kreislauferkrankungen und Krebs. Es überraschtalso nicht, dass Migration bis heute einer <strong>de</strong>r wenigen Hoffnungsanker gebliebenist. Zum Beispiel sollen seit 1994 ca. 12-14 Prozent <strong>de</strong>r UkrainerInnen das Landverlassen haben, in Rumänien und Bulgarien sind es etwa 10-12 Prozent gewesen.d) Privatisierung & westliche Konzerne: Kernstück <strong>de</strong>s Transformationsprozesseswar die Privatisierung staatseigener Betriebe. Diese hat sich fast flächen<strong>de</strong>ckendals gigantische und äußerst korrupte, ja räuberische Umverteilungsmaschine vonunten nach oben erwiesen. Mit <strong>de</strong>m Ergebnis, dass überall in Mittelosteuropa eineneue, mitunter grotesk reiche Elite entstan<strong>de</strong>n ist – darunter etliche Ka<strong>de</strong>r undGünstlinge <strong>de</strong>s untergegangenen Regimes. Dramatisch war nicht zuletzt <strong>de</strong>r Umstand,dass das kollektive bzw. öffentliche Vermögen gleichsam zu Schleu<strong>de</strong>rpreisenverschenkt wur<strong>de</strong>: In Russland etwa hat <strong>de</strong>r mittlerweile in Ungna<strong>de</strong> gefallene(Ex-)Oligarch Michail Chodorkowski <strong>de</strong>n Öl-Giganten Yukos für schlappe 309Millionen Dollar ersteigert, bereits einige Jahre später betrug <strong>de</strong>r jährliche Gewinnseines Unternehmens 3 Milliar<strong>de</strong>n Dollar. Und doch: Als wahre Gewinner müssendie westlichen, mithin europäischen Konzerne gelten. Sie haben Mittelosteuropaweitgehend unter sich aufgeteilt – zuweilen erst in <strong>de</strong>r zweiten Run<strong>de</strong> <strong>de</strong>sAus- bzw. Weiterverkaufs. Neben industrieller Fertigung stan<strong>de</strong>n insbeson<strong>de</strong>reinfrastrukturelle Sektoren wie Energie, Telekommunikation o<strong>de</strong>r das Bankenwesenhoch im Kurs. Das Ausmaß <strong>de</strong>r Eigentumsübertragung ist unter an<strong>de</strong>rem an <strong>de</strong>nAnteilen erkennbar, welche ausländische Unternehmen an <strong>de</strong>n Gesamtexporteneines Lan<strong>de</strong>s halten: Jener Anteil beträgt in Polen 60 Prozent, in Tschechien 70Prozent und in Ungarn 80 Prozent!e) Mittelosteuropa als verlängerte Werkbank: Durch Deindustrialisierung (s.o.)und Besitzerwechsel hat sich in Mittelosteuropa nicht nur die Zusammensetzung<strong>de</strong>r Produktion, son<strong>de</strong>rn auch <strong>de</strong>ren räumliche Verflechtung grundlegend geän<strong>de</strong>rt.Noch 1990 hat zum Beispiel Ungarn 60 Prozent seiner Exporte mit <strong>de</strong>ndamaligen RGW-Staaten abgewickelt – davon entfielen jeweils ein Viertel aufMaschinen & Transportausrüstungen, Nahrungsmittel & leben<strong>de</strong> Tiere, chemischeProdukte sowie sonstige Industriegüter. Demgegenüber gingen 2000 – also 4 Jahrevor Erweiterung <strong>de</strong>r EU – 75 Prozent <strong>de</strong>r ungarischen Exporte in EU-Län<strong>de</strong>r,wobei die Automobilindustrie mit über 60 Prozent <strong>de</strong>n Löwenanteil ausmachte.Hintergrund ist, dass transnationale Konzerne die arbeits- bzw. lohnintensivenSchritte ihrer Produktion seit <strong>de</strong>n frühen 1990er Jahren immer stärker in <strong>de</strong>nEx-RGW-Raum ausgelagert haben. Profitabel war bzw. ist das vor allem ob <strong>de</strong>s<strong>Peripherie</strong> als schwarzes Loch63


herrschen<strong>de</strong>n Lohngefälles in Europa: 2004 musste zum Beispiel in Deutschlanddurchschnittlich 27,60 Euro pro Arbeitsstun<strong>de</strong> aufgewen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n (inklusive <strong>de</strong>rso genannten Lohnnebenkosten), in Spanien 16,60 Euro, in Ungarn 4,55 Euround in <strong>de</strong>r Slowakei 3,30 Euro. Und doch: Seit die Löhne selbst in Mittelosteuropaleicht anziehen – zumin<strong>de</strong>st in <strong>de</strong>n städtischen Boomregionen – hat daswestliche Kapital begonnen, seine Fühler gen Osten auszustrecken, etwa in dieUkraine. Dass dort mit <strong>de</strong>n ArbeiterInnen alles an<strong>de</strong>re als zimperlich verfahrenwird, räumt ein Sprecher <strong>de</strong>s ukrainischen Ablegers von Phillips unumwun<strong>de</strong>n ein:„Da darf man sich keine sehr flexible Arbeit erwarten. In <strong>de</strong>m Unternehmen gehtes sehr militärisch zu. Aber die Qualität ist gut, und lohnintensive Tätigkeit lassenwir jetzt dort machen.“So krass die sozialen Verwerfungen in Mittelosteuropa sein mögen, <strong>de</strong>r kapitalistischeTransformationsprozess hat sich stets veritabler Unterstützung aus <strong>de</strong>rBevölkerung erfreut – und zwar nicht nur seitens <strong>de</strong>r Eliten bzw. <strong>de</strong>r neokapitalistischenGewinnlerInnen. Dennoch ist es aus min<strong>de</strong>stens 4 Grün<strong>de</strong>n äußerstunwahrscheinlich, dass Mittelosteuropa in absehbarer Zeit seinen peripherenStatus überwin<strong>de</strong>n kann – jene Position <strong>de</strong>r bloß selektiven Anbindung an dieInvestitions-, Absatz- und Produktionsbedürfnisse <strong>de</strong>s kapitalistischen Zentrums:Erstens gehen die Investitionen westlicher Konzerne in Mittelosteuropa – entgegenan<strong>de</strong>rs lauten<strong>de</strong>r Behauptungen – nur in homöopathischen Dosen mitregionalen Entwicklungsschüben einher, <strong>de</strong>n so genannten Trickle-down-Effekten.Statt<strong>de</strong>ssen wer<strong>de</strong>n sowohl die Produktionsanlagen als auch die hochwertigenEinzelkomponenten – etwa in <strong>de</strong>r Automobilindustrie – komplett importiert, d.h.in Mittelosteuropa wird vor allem ‚zusammengeschraubt’, sonst nichts. Zweitens:In<strong>de</strong>m die transnationalen Konzerne ihre Gewinne rückübertragen und obendreinkaum Steuern zahlen (letzteres wird in <strong>de</strong>r Regel als Investitionsanreiz gewährt),gehen <strong>de</strong>n mittelosteuropäischen Staaten sowohl Devisen als auch Steuereinnahmenin beträchtlichem Umfang durch die Lappen – bei<strong>de</strong>s ist jedoch eine wichtigeVoraussetzung für Industrie- und Infrastrukturpolitik. Drittens: Seit 1989 ist inMittelosteuropa jedwe<strong>de</strong> Form von Han<strong>de</strong>ls- und Investitionshemmnissen beseitigtwor<strong>de</strong>n. Neu gegrün<strong>de</strong>te Unternehmen sind folglich immer schon mit <strong>de</strong>rungleich produktiveren Konkurrenz aus <strong>de</strong>n dominanten Industrielän<strong>de</strong>rn konfrontiert,ein Problem, das auch Lateinamerika und Afrika schmerzlich bekanntist. Hinzu kommt viertens ein gigantischer, in <strong>de</strong>r Transformationsepoche auf 365Milliar<strong>de</strong>n Euro angewachsener Schul<strong>de</strong>nberg (<strong>de</strong>r EU-Beitrittslän<strong>de</strong>r) – was imübrigen <strong>de</strong>r Grund ist, weshalb <strong>de</strong>r IWF seit 1989 durchgängig seine Finger mitim Spiel hat. Der Zwang zu Zins- und Tilgungszahlungen sorgt in<strong>de</strong>s für einenständigen Abfluss finanzieller Ressourcen Richtung Westen – auch das ein Garantfür die dauerhafte Peripherisierung Mittelosteuropas.Bei aller Kritik, es wäre ein fundamentaler, gleichsam linkskeynsianisch motivierter64 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


Irrtum, wür<strong>de</strong> die Peripherisierung Mittelosteuropas zu einer Art Betriebsunfallkleingere<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n. Wer so argumentiert, verkennt die geoökonomische Dimension<strong>de</strong>s Transformationsprozesses völlig: Denn <strong>de</strong>r Kollaps <strong>de</strong>s Ostblocksist aus Sicht westlicher Konzerne vor allem <strong>de</strong>shalb ein Glücksfall gewesen, weiler die Möglichkeit eröffnet hat, jener Überakkumulations- bzw. Profitkrise etwasentgegenzusetzen, von welcher die Weltmärkte seit Anfang <strong>de</strong>r 1970er Jahreheimgesucht waren. Konkret: Im Osten konnte erstens überschüssiges Kapitalangelegt, zweitens eine neue Absatzwelt erschlossen und drittens konkurrenzlosbillig produziert wer<strong>de</strong>n. Dies wäre jedoch unmöglich gewesen, hätten die EU (imRahmen <strong>de</strong>r EU-Osterweitung) sowie <strong>de</strong>r IWF (im Rahmen <strong>de</strong>s Schul<strong>de</strong>nmanagements)nicht knallharten Druck ausgeübt – beispielsweise in<strong>de</strong>m sie die mittelosteuropäischenLän<strong>de</strong>r zur weitgehen<strong>de</strong>n Öffnung ihrer Agrar- und Lebensmittelmärktegezwungen haben, während umgekehrt <strong>de</strong>r Westen abgeschottet blieb. Dasaber verweist darauf, dass die militärische Intervention – wie etwa im Irak – imZeitalter <strong>de</strong>r Globalisierung nur die Spitze <strong>de</strong>s imperialistischen Eisbergs darstellt.Wesentlicher dürfte hingegen das Bestreben einer dauerhaften Peripherisierungganzer Weltregionen sein 3 . Denn erst die Existenz ungleicher sozio-ökonomischer„Entwicklungs“-Level o<strong>de</strong>r eines nicht-kapitalistischen Außen erlaubt die Etablierunggrenzüberschreiten<strong>de</strong>r Wertschöpfungsketten und somit eine stabile, d.h.profitträchtige Kapitalakkumulation.Gregor Samsa/NoLager Bremen123Vgl. zu Folgen<strong>de</strong>m insbeson<strong>de</strong>re: Hannes Hofbauer, EU-Osterweiterung, Wien 2007, PROKLA128, Peripherer Kapitalismus in Europa (September 2002), Naomi Klein, Die Schockstrategie,Frankfurt 2007 und Joseph Stieglitz, Die Schatten <strong>de</strong>r Globalisierung, München 2004Ist im Kapitalismus Geld ‚locker’ verfügbar, steigen die Preise gleichsam automatisch.Vgl. vor allem: David Harvey, Der neue Imperialismus, Hamburg 2005<strong>Peripherie</strong> als schwarzes Loch65


Fotoessay: SenegalHaidy Damm66 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


Fotoessay: Senegal67


68 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


Fotoessay: Senegal69


Fotoessay: Burkina FasoLeona Goldstein, www.zapanka.net(Rechte bei <strong>de</strong>r Fotografin)Demonstration in Ouagadougou gegen die durch Preiserhöhungen undSparpolitik erschwerten Lebensbedingungen70 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


Im Polizeipräsidium an <strong>de</strong>r Grenze zwischen <strong>de</strong>r Elfenbeinküste undBurkina Faso wer<strong>de</strong>n “VerbrecherInnenkarteien” ausgestelltFotoessay: Burkina Faso71


Kin<strong>de</strong>r im Flüchtlingslager “Hongkong” an <strong>de</strong>r Grenze von Burkina Fasound <strong>de</strong>r Elfenbeinküste72 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


Rückkehrflüchtlinge aus <strong>de</strong>r Elfenbeinküste im Flüchtlingslager “Hongkong”Fotoessay: Burkina Faso73


In Ouagadougou74 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


Demonstration zum 7.To<strong>de</strong>stag <strong>de</strong>s ermor<strong>de</strong>ten Journalisten Norbert ZongoFotoessay: Burkina Faso75


Fotoessay: AndalusienLisa BolyosSan Isidro <strong>de</strong> Níjar in <strong>de</strong>r südspanischen Provinz Andalusien: hier eröffnetedie SOC 2007 ein Gewerkschaftslokal76 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


Junge Männer kommen zum Eröffnungsfest <strong>de</strong>s SOC-LokalsFotoessay: Andalusien77


Zwei Männer stehen vor <strong>de</strong>n Cortijos, alten landwirtschaftlichen Gebäu<strong>de</strong>ninmitten <strong>de</strong>r Treibhäuser, in <strong>de</strong>nen sie ihre Unterkunft haben78 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


Im hinteren Teil <strong>de</strong>r Cortijos haben junge Marokkaner sich einen GebetsraumeingerichtetFotoessay: Andalusien79


Neue Treibhäuser in San Isidro <strong>de</strong> Nìjar: das Plastik muss alle paar Jahreerneuert wer<strong>de</strong>n80 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


Leerstehen<strong>de</strong> Häuser in <strong>de</strong>r Umgebung von NíjarFotoessay: Andalusien81


Treibhäuser am Fuß <strong>de</strong>r Alpujarras in <strong>de</strong>r Region Almería/Andalusien82 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


Vor <strong>de</strong>r Eröffnung <strong>de</strong>s SOC-Lokals in San Isidro <strong>de</strong> NíjarFotoessay: Andalusien83


84 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


3. Teil: STRATEGIEN DES WIDERSTANDS¡Tierra y Libertad!/Lisa Bolyos, Dieter Behr J „Revolución“ im Treibhaus/GreenpeaceDeutschland J Nervosität bei <strong>de</strong>r Plastiklobby/Nicholas Bell J Arbeitskämpfeim Gerichtssaal/Nicholas Bell J Contratos en origen/Nicholas Bell J„Das war ein Schwein...“/Interview: Cristina Brovia J Höfesterben und mo<strong>de</strong>rneSklaverei – Was tun?/Nicolas Duntze J Supermärkte und Globalisierung/ NoLagerBremen3. Teil: Strategien <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rstands85


¡Tierra y Libertad!Landbesetzungen und migrantische SelbstorganisationDie SOC-SAT kann auf eine über 30 jährige Geschichte <strong>de</strong>s Kampfes für dieRechte <strong>de</strong>r andalusischen LandarbeiterInnen zurückblicken. Die gewerkschaftlicheAktion in <strong>de</strong>n Gebieten Andalusiens, in <strong>de</strong>nen die Gewerkschaft traditionellverankert ist, unterschei<strong>de</strong>t sich allerdings beträchtlich von <strong>de</strong>rjenigen im <strong>Plastikmeer</strong>von Almería. Für die Solidaritätskampagne <strong>de</strong>s EBF ist es beson<strong>de</strong>rs wichtig,diese speziellen Bedingungen zu berücksichtigen.Die LandarbeiterInnengewerkschaft SOC ist eine rein andalusische Gewerkschaft,die für die Rechte <strong>de</strong>r TagelöhnerInnen („Jornaleros/as“) in <strong>de</strong>r <strong>Landwirtschaft</strong>eintritt. Die SOC ging aus <strong>de</strong>n „Comisiones Jornaleras“ (TagelöhnerInnenkommissionen)hervor, die in <strong>de</strong>n 1960er und 1970er Jahren entstan<strong>de</strong>n und am En<strong>de</strong><strong>de</strong>r Franco- Zeit mit ersten illegalen Aktionen in Erscheinung traten. Offiziellzugelassen wur<strong>de</strong> die SOC im August 1976, acht Monate nach Francos Tod.Das Programm <strong>de</strong>r SOC lässt sich mit <strong>de</strong>r einfachen For<strong>de</strong>rung „Land und Freiheit– Tierra y Libertad“ zusammenfassen. Traditionell verankert ist die Gewerkschaftin jenen Teilen Andalusiens, in <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Großgrundbesitz vorherrscht undwo in ausge<strong>de</strong>hnten Olivenhainen und Obstplantagen zahlreiche Arbeitskräftebenötigt wer<strong>de</strong>n.Einige <strong>de</strong>r Grün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r SOC waren Arbeiterpriester, die in christlichen Basisgemein<strong>de</strong>narbeiteten und <strong>de</strong>r lateinamerikanischen Befreiungstheologie nahe stan<strong>de</strong>n.Daneben versammelten sich Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r maoistischen Partido <strong>de</strong>l Trabajo(Arbeitspartei) und Anarcho-SyndikalistInnen in <strong>de</strong>n Reihen <strong>de</strong>r Gewerkschaft.Bekannt wur<strong>de</strong> die SOC in <strong>de</strong>n späten 1970er Jahren durch Aktionen wie Landbesetzungen,„Hungerstreiks gegen <strong>de</strong>n Hunger“ (an <strong>de</strong>nen manchmal bis zu tausendLeute teilnahmen), Sternmärsche, Streiks und Straßensperren, die alle darauf ausgerichtetwaren, <strong>de</strong>r For<strong>de</strong>rung nach einer umfassen<strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>nreform Nachdruckzu verleihen. Auf einigen in <strong>de</strong>n 1970er und 1980er Jahren besetzten Latifundiensind mittlerweile Kooperativen <strong>de</strong>r LandarbeiterInnen entstan<strong>de</strong>n.Die SOC ist Gründungsmitglied <strong>de</strong>r weltweiten KleinbäuerInnen- und Landlosenbewegung„Via Campesina“. Transnationale Solidarität war für die SOC seit je herein wichtiger Teil <strong>de</strong>s gewerkschaftlichen Selbstverständnisses.Im September 2007 schloss sich die SOC gemeinsam mit <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Gewerkschaft„Autonomia Obrera“, die hauptsächlich in Cadiz im Südwesten Andalusiens aktivist, zum Verband „SAT – Sindicato Andaluz <strong>de</strong> Trabajador@s“ zusammen. Zusammenzählt <strong>de</strong>r Gewerkschaftsverband ca. 25.000 Mitglie<strong>de</strong>r.86 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


In <strong>de</strong>r Gewächshausregion von Almeria hat die SOC-SAT erst im Jahr 2000 –nach <strong>de</strong>n rassistischen Ausschreitungen in El Ejido – seine Aktivitäten aufgenommen.Sie richtete zunächst ein Gewerkschaftsbüro in Almeria ein, das zu Beginnvon einem marokkanischen und einem senegalesischen Einwan<strong>de</strong>rer betreut wur<strong>de</strong>.Heute setzt sich die lokale Gewerkschaftsgruppe in Almeria aus 5 AktivistInnenzusammen. Entsprechend ihrer Herkunftslän<strong>de</strong>r können sie mit ArbeiterInnenauf spanisch, französisch und arabisch, außer<strong>de</strong>m in verschie<strong>de</strong>nen afrikanischenSprachen und auf englisch kommunizieren. Verglichen mit <strong>de</strong>n Gebieten Andalusiens,in <strong>de</strong>nen Großgrundbesitz vorherrscht und in <strong>de</strong>nen die SOC-SAT traditionellverankert ist, trifft die Gewerkschaft in Almeria auf gänzlich an<strong>de</strong>re Bedingungen:Viele ArbeiterInnen sind auf <strong>de</strong>r Durchreise und wollen sich verständlicherWeise nicht für ein längerfristiges gewerkschaftliches Engagement entschließen. AnLandbesetzungen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Aufbau von selbstverwalteten Kooperativen ist in dieserSituation kaum zu <strong>de</strong>nken. Viel wichtiger ist es, Bedingungen zu schaffen, in<strong>de</strong>nen sich die MigrantInnen organisieren können, um ihre unmittelbaren ArbeitsundLebensbedingungen im <strong>Plastikmeer</strong> zu verbessern.Seit <strong>de</strong>m Jahr 2004 ist <strong>de</strong>r Aufbau sozialer Zentren <strong>de</strong>shalb ein Arbeitsschwerpunkt<strong>de</strong>r SOC-SAT Almería. Diese Lokale sollen <strong>de</strong>n MigrantInnen als Infrastruktur,Beratungsstelle, Treffpunkte und Versammlungsorte dienen. Angesichts<strong>de</strong>r mehr als 90.000 ArbeiterInnen im „mar <strong>de</strong>l plastico“, in <strong>de</strong>m 24.000 Betriebewirtschaften, eine gewaltige Herausfor<strong>de</strong>rung, die Schritt für Schritt in Angriffgenommen wird. Das Europäische BürgerInnenforum lancierte in mehreren europäischenLän<strong>de</strong>rn eine Solidaritätskampagne, um die Einrichtung zweier Zentrenzu ermöglichen.Im Jahr 2005 gelang es, ein erstes Lokal in El Ejido zu eröffnen, im Frühjahr 2007konnte ein weiteres soziales Zentrum in San Isidro im Campo <strong>de</strong> Níjar seinen Betriebaufnehmen. Zu bei<strong>de</strong>n Anlässen fan<strong>de</strong>n mehrtägige Konferenzen statt, die dieAusbeutung <strong>de</strong>r ArbeiterInnen sowie die Umweltzerstörung durch die industrielle<strong>Landwirtschaft</strong> und mögliche Alternativen dazu zum Thema hatten. Die FotografinLisa Bolyos dokumentierte bei<strong>de</strong> Lokaleröffnungen in <strong>de</strong>r Fotoausstellung„Plastik/Meer.“. Auszüge daraus sind auch in dieser Broschüre zu sehen.Die sozialen Zentren tragen sich mittlerweile durch die Gewerkschaftsbeiträgeweitgehend selbst.Neben <strong>de</strong>r Unterstützung für <strong>de</strong>n Aufbau von Gewerkschaftslokalen ist ein weitereswichtiges Ziel <strong>de</strong>r europäischen Solidaritätskampagne <strong>de</strong>s EBF, eine breitegesellschaftliche Debatte über die Zusammenhänge von Migration, intensivemGemüse- und Obstbau und Rassismus bzw. Ausbeutung loszutreten. Die Auseinan<strong>de</strong>rsetzungmit diesem Themenkomplex soll zu weiteren Schritten <strong>de</strong>r Solidaritätmit ArbeitsmigrantInnen und zur Kritik an <strong>de</strong>n herrschen<strong>de</strong>n Verhältnissenführen.¡Tierra y Libertad!87


Beson<strong>de</strong>rs wichtig für die Kampagne <strong>de</strong>s EBF war, dass die Realität <strong>de</strong>r industriellen<strong>Landwirtschaft</strong> in breit rezipierten Dokumentarfilmen wie „We feed theworld“, „Unser täglich Brot“ o<strong>de</strong>r „Almería: Eldorado <strong>de</strong> plastique“ behan<strong>de</strong>ltwur<strong>de</strong>.Ein Teil <strong>de</strong>r KonsumentInnen ist heute darauf sensibilisiert, Lebensmittel zukaufen, die ökologisch produziert wur<strong>de</strong>n. Die sozialen Aspekte <strong>de</strong>r Herstellungbleiben dabei aber oft unberücksichtigt. Die Zusammenarbeit mit Bio-Verbän<strong>de</strong>nund KonsumentInnen-Organisationen sind <strong>de</strong>shalb ein weiterer wichtiger Bausteinin <strong>de</strong>r Solidaritätsarbeit <strong>de</strong>s EBF.Lisa Bolyos, Dieter Behr/Europäisches BürgerInnenforum88 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


„Revolución” im TreibhausPestizid-Kampagne von Greenpeace zeigt erste WirkungenJahrzehntelang wur<strong>de</strong> auf spanischen Obst- und Gemüseplantagen hemmungslosdie Giftspritze eingesetzt. Auf Druck von Umweltverbän<strong>de</strong>n, VerbraucherInnenund HändlerInnen beginnt nun ein Um<strong>de</strong>nken.Eigentlich sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, aber für Juan Luis Soler ist eseine kleine Revolution: Wir müssen gesun<strong>de</strong> Produkte erzeugen, sagt <strong>de</strong>r Mitarbeiter<strong>de</strong>r Erdbeerplantage Goldfinger in Villanueva <strong>de</strong> los Castillejos. Auf zweivon 27 Hektar bekämpft Soler das Ungeziefer neuerdings mit <strong>de</strong>ren natürlichenFein<strong>de</strong>n, setzt Insekten, Bakterien und Pilze aus. Wir haben die Zahl <strong>de</strong>r Spritzungenum mehr als die Hälfte reduziert, sagt er. Das Ergebnis: Erdbeeren mit wenigerRückstän<strong>de</strong>n.Die Goldfinger-Farm liegt in Huelva, neben <strong>de</strong>r Provinz Almería das wichtigsteObst- und Gemüse-Anbaugebiet Spaniens. Bislang war die Region bekannt fürPestizidskandale, exzessiven Düngemitteleinsatz und Wasserverschwendung, unterVerbraucherorganisationen galt sie als Synonym für rücksichtslose <strong>Landwirtschaft</strong>.Doch auf Druck <strong>de</strong>utscher Lebensmittelhändler, <strong>de</strong>n größten Abnehmern vonspanischem Obst und Gemüse, stellen immer mehr Bauern und Bäuerinnen aufumweltfreundlicheren Anbau um. Zwar ergibt eine biologische Kontrolle vonUngeziefer noch lange keine Bio-Produkte, auch weiterhin kommt beispielsweisegegen Pilzbefall die Giftspritze zum Einsatz – aber ein Anfang ist gemacht.In Huelva hat sich die biologisch kontrollierte Anbaufläche in nur einem Jahrverfünffacht, in Almería wer<strong>de</strong>n schon 2.000 Hektar mit Nützlingen geschützt(von 35.000 ha). „Bei Paprika rechnen wir damit, dass kommen<strong>de</strong>s Jahr fast dieHälfte <strong>de</strong>r Anbaufläche biologisch kontrolliert wird“, sagt Uwe Schwießelmannvon Coexphal, <strong>de</strong>r Vereinigung <strong>de</strong>r Hersteller und Exporteure in Almería. Dasentspreche etwa 14 Prozent <strong>de</strong>r Paprika-Anbaufläche.Die Blütezeit <strong>de</strong>r Region begann in <strong>de</strong>n 80er Jahren, als großzügige Subventionen<strong>de</strong>n Aufbau einer Agrarindustrie in <strong>de</strong>r einstigen Einö<strong>de</strong> ermöglichten. Nirgendwosonst in Europa scheint die Sonne so häufig wie hier, beste Voraussetzungen fürTomaten, Paprika o<strong>de</strong>r Tafeltrauben – bei künstlicher Bewässerung. Heute erwirtschaftenetwa 24.000 Farmen in Almería rund 1,7 Milliar<strong>de</strong>n Euro Jahresumsatz.Die Frischeregale fast aller europäischen Supermärkte wer<strong>de</strong>n von hier aus gefüllt.Die Kehrseite ist el mar <strong>de</strong>l plástico, das <strong>Plastikmeer</strong>. Auf einer Fläche so groß wieMünchen erstrecken sich weiße Gewächshäuser und Folientunnel, schäbigweißso weit das Auge reicht. Doch die Monokulturen unter Plastik sind beson<strong>de</strong>rs„Revolución“ im Treibhaus89


anfällig für Schädlinge. Deutsche Lebensmittelkontrollen belegen regelmäßig <strong>de</strong>nfreigiebigen Einsatz von Chemie: Im Jahr 2004 waren 58 Prozent aller überprüftenspanischen Paprika mit Pestizi<strong>de</strong>n belastet, bei Tomaten sogar 76 Prozent. Greenpeaceließ im Herbst vergangenen Jahres Obst und Gemüse testen – bei 93 Prozentfan<strong>de</strong>n sich Pestizidrückstän<strong>de</strong>, bei fast einem Drittel wur<strong>de</strong>n die Grenzwerteerreicht o<strong>de</strong>r gar überschritten. Am schlechtesten schnitten dabei die Ketten Lidlund Real ab. Nach Veröffentlichung <strong>de</strong>r Ergebnisse brachen die Umsätze ein. „Dastat uns weh“, sagte Lidl-Chef Klaus Gehrig <strong>de</strong>m Magazin Focus. Wochenlang warenTafeltrauben – bis auf Bio-Ware – ausgelistet, die Regale leer. Wegen anhalten<strong>de</strong>rPestizidprobleme bekommt Lidl einfach kaum saubere Ware, erklärt ManfredKrautter, Chemieexperte bei Greenpeace.Zurzeit reisen Supermarkt-VertreterInnen durch Almería und for<strong>de</strong>rn von ihrenLieferantInnen eine kräftige Reduzierung <strong>de</strong>r Giftduschen. E<strong>de</strong>ka zum Beispielverlangt nun für seine Hausmarke Rio Gran<strong>de</strong>, dass die gesetzlichen Grenzwertehöchstens zur Hälfte erreicht wer<strong>de</strong>n - wegen <strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>ren Sensibilität <strong>de</strong>r<strong>de</strong>utschen VerbraucherInnen, wie es in einem internen Schreiben heißt. DasFruchthan<strong>de</strong>lsmagazin schrieb kürzlich: Der Lebensmitteleinzelhan<strong>de</strong>l liest <strong>de</strong>nLieferantInnen gera<strong>de</strong> die Leviten. Doch haben Aldi, Lidl & Co. das Problem mitverschul<strong>de</strong>t, weil sie jahrelang nur nach Preis, nicht aber nach Qualität eingekaufthaben. Die Bauern und Bäuerinnen reagieren auf <strong>de</strong>n Druck von VerbraucherInnenund Han<strong>de</strong>lsketten. Die Provinzregierungen för<strong>de</strong>rn die Umstellung <strong>de</strong>r Produktion,aber einfach und billig ist sie nicht. Manche Gewächshäuser sind mehr als20 Jahre alt und müssen grundsaniert wer<strong>de</strong>n, bei vielen sind aufwendige Abdichtungennötig, damit die fliegen<strong>de</strong>n Fein<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Ungeziefers nicht entkommen.Mehr noch als <strong>de</strong>n VerbraucherInnen nützt <strong>de</strong>n PlantagenarbeiterInnen die Umstellung<strong>de</strong>r Produktion im Treibhaus – zumin<strong>de</strong>st in gesundheitlicher Hinsicht.Bislang arbeiten sie meist ohne Schutzkleidung und atmen die Pflanzenschutzmittelhoch konzentriert ein, sagt Shelina Islam von Amnesty International.Hautausschläge, Kopfschmerzen und Übelkeit sind die Folgen. Mehr als 80.000SaisonarbeiterInnen schuften in <strong>de</strong>n Treibhäusern, meist sind es MigrantInnen aus<strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s Maghreb, aus Subsahara-Afrika o<strong>de</strong>r Osteuropa. EinheitlicheStandards für die Arbeitsbedingungen gibt es bisher aber nicht. Und Druck indieser Frage machen <strong>de</strong>rzeit weniger <strong>de</strong>utsche Supermarktketten, son<strong>de</strong>rn Coopund Migros aus <strong>de</strong>r Schweiz – dies jedoch auch nur aufgrund vermehrter Interventionenkritischer KonsumentInnen.Der Artikel stammt von <strong>de</strong>r Greenpeace-Webseite (vgl. www.greenpeace.<strong>de</strong>) und wur<strong>de</strong> für diehiesige Veröffentlichung leicht bearbeitet (Rechte bei Greenpeace)90 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


Nervosität bei <strong>de</strong>r PlastiklobbySpanische Agrarunternehmen machen LandarbeiterInnengewerkschaft für Greenpeace-KampagneverantwortlichGreenpeace hat zwar mit seiner Kampagne gegen pestizidbelastetes Supermarkt-Gemüse einiges in Bewegung gebracht (vgl. vorstehen<strong>de</strong>r Artikel), gleichzeitig istjedoch auch <strong>de</strong>r Druck auf die andalusische LandarbeiterInnengewerkschaft SOC-SAT enorm gewachsen. Dies zeigt, dass soziale Rechte und Umwelt- bzw. Gesundheitsstandardsauf keinen Fall losgelöst voneinan<strong>de</strong>r behan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n dürfen.Die Wirtschaft <strong>de</strong>r Region Almería dreht sich ausschließlich um die „wun<strong>de</strong>rsame“Produktion von Gemüse in einer Wüste und die Bereiche, die damit zusammenhängen:Plastik, Konditionierung, Transporte. Je<strong>de</strong> Kritik wird als Angriff einerkonkurrieren<strong>de</strong>n Lobby aufgefasst, zum Beispiel <strong>de</strong>r marokkanischen o<strong>de</strong>r holländischen,die das spanische Mo<strong>de</strong>ll zerstören will. Das Europäische BürgerInnenforumwur<strong>de</strong> bereits <strong>de</strong>s „kommerziellen Terrorismus“ beschuldigt, als es seinenBericht über die Unruhen in El Ejido im Jahr 2000 veröffentlichte. Der SchriftstellerJuan Goytisolo wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> 1998 zur persona non grata erklärt.Jetzt ist die Reihe an Jawad Rhaleb, Regisseur <strong>de</strong>s Dokumentarfilms „El Ejido, dasGesetz <strong>de</strong>s Profits“ (2006), <strong>de</strong>r dieses Jahr unter an<strong>de</strong>rem von ARTE ausgestrahltwur<strong>de</strong>. Er berichtete uns im Juli 2007: „Aus <strong>de</strong>r spanischen Presse habe ich soebenerfahren, dass ich persona non grata bin. Ich habe ebenfalls per Telefon Drohungenerhalten. Ich wage nicht, mir auszumalen, was meine Darsteller an Ort und Stelleriskieren. Im Film gab es keine versteckte Kamera, es ist eine Dokumentation ausmeiner Sicht. Die LandwirtInnen stan<strong>de</strong>n vor <strong>de</strong>r Kamera und wussten, worauf siesich einließen“. Die Lokalpresse fiel regelrecht über <strong>de</strong>n Film her. Die Gemein<strong>de</strong>El Ejido „schließt es nicht aus, gerichtliche Schritte gegen <strong>de</strong>n Regisseur zu unternehmen“,die Bauerngewerkschaft COAG for<strong>de</strong>rt vom Präfekten von Almería, die<strong>Landwirtschaft</strong> <strong>de</strong>r Provinz zu verteidigen und die Jungbauernvereinigung Asajaschlägt vor, dass <strong>de</strong>r Regisseur <strong>de</strong>s belgischen Dokumentarfilms zur persona nongrata erklärt wer<strong>de</strong>. Der COAG zufolge ist dieser Film „Teil einer europäischenKampagne, um <strong>de</strong>m guten Ruf von Obst und Gemüse aus dieser Provinz zu scha<strong>de</strong>n“.Schon im Frühjahr beklagte Jorge Viseras, Vizebürgermeister von El Ejido undVerantwortlicher für <strong>Landwirtschaft</strong> und Umwelt die „neue Hetzkampagne inDeutschland“ von Greenpeace, das über Internet eine Reportage über Almería undNervosität bei <strong>de</strong>r Plastiklobby91


Arbeitsbedingungen und <strong>de</strong>r oft miserable Zustand <strong>de</strong>r Unterkünfte genannt; vorallem aber herrscht eine regelrechte Diskriminierung <strong>de</strong>r Saisonniers, was <strong>de</strong>n Sozialversicherungsschutzangeht. Sie erhalten kein Arbeitslosengeld für die Monate,in <strong>de</strong>nen sie ohne Beschäftigung sind, obwohl sie die gleichen Sozialversicherungsbeiträgeentrichten wie an<strong>de</strong>re ArbeiterInnen auch. Die Zeit, die ein ausländischerSaisonnier in Frankreich verbringt, wird nicht in seine Gesamtaufenthaltsdauerim Land miteinberechnet. Das be<strong>de</strong>utet, dass einE ArbeiterIn während 35 Jahrenje<strong>de</strong>s Jahr acht Monate in Frankreich arbeiten kann, ohne dadurch das Recht aufeinen Aufenthaltstitel o<strong>de</strong>r auf Familiennachzug zu erwerben.Die starke Abhängigkeitsbeziehung zwischen <strong>de</strong>m/<strong>de</strong>r SaisonarbeiterIn und <strong>de</strong>mPatron beruht darauf, dass es diesem obliegt, je<strong>de</strong>s Jahr von Neuem die Wie<strong>de</strong>rbeschäftigungseiner OMI-ArbeiterInnen einzureichen. Ist <strong>de</strong>r Chef – aus welchemGrund auch immer – mit einem seiner Beschäftigten nicht zufrie<strong>de</strong>n, braucht er<strong>de</strong>n Vertrag für das folgen<strong>de</strong> Jahr einfach nicht zu verlängern. Darüber hinausbesteht eine Art „schwarze Liste“, die sicherstellt, dass ArbeiterInnen, die For<strong>de</strong>rungenstellen, in <strong>de</strong>r Region keine Saisonbeschäftigung mehr erhalten wer<strong>de</strong>n.Diese Situation war <strong>de</strong>r Öffentlichkeit kaum bekannt, bis 2001 das Collectif <strong>de</strong>défense <strong>de</strong>s travailleurs étrangers dans l’agriculture (Kollektiv zur Verteidigungausländischer ArbeiterInnen in <strong>de</strong>r <strong>Landwirtschaft</strong>, CODETRAS) gegrün<strong>de</strong>twur<strong>de</strong>. Es entstand aus <strong>de</strong>m Zusammentreffen einiger Personen, die sich aus unterschiedlichenHintergrün<strong>de</strong>n für die Unterstützung ausländischer LandarbeiterInneneinsetzten. Mit dabei waren ausser<strong>de</strong>m einige LandarbeiterInnen selbst, diebeschlossen hatten, das Gesetz <strong>de</strong>s Schweigens zu brechen und die Ausbeutung anzuprangern,unter <strong>de</strong>r sie litten. Heute ist dieses Kollektiv eine in Europa zweifelloseinzigartige Struktur. Es vereint GewerkschafterInnen, SozialarbeiterInnen imländlichen Raum, MenschenrechtsaktivistInnen, VerteidigerInnen <strong>de</strong>r bäuerlichenKultur, AkteurInnen <strong>de</strong>r sozialen Bewegung in Europa, WissenschaftlerInnen….Das CODETRAS publizierte ein „Schwarzbuch“, das die verschie<strong>de</strong>nen Formenvon Missbräuchen, <strong>de</strong>nen die ArbeiterInnen unter OMI-Vertrag ausgesetzt sind,anhand von konkreten Beispielen beschreibt. Das Kollektiv erstellte außer<strong>de</strong>m einNetzwerk von AnwältInnen, die sich vor Gericht um die Akten von über zweihun<strong>de</strong>rtSaisonniers kümmern. Es han<strong>de</strong>lt sich natürlich einerseits um Wie<strong>de</strong>rgutmachungvon Unrecht, aber es geht auch um grundsätzliche Fragestellungen.Hier stellt sich beispielsweise die Frage: Was ist überhaupt eine Saisonarbeitskraft?Der OMI-Vertrag hat mit Saisonarbeit nichts zu tun. In Wirklichkeit wird <strong>de</strong>nbäuerlichen Unternehmern im französischen Departement Bouches-du-Rhône(BdR) die Möglichkeit, in „Ausnahmefällen“ <strong>de</strong>n Vertrag um zwei Monate zu94 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


verlängern, systematisch bewilligt. Die gesetzlich zugelassene wöchentliche Arbeitszeitwird regelmäßig überschritten. So leistet einE ArbeiterIn monatlich bis zudreihun<strong>de</strong>rt Arbeitsstun<strong>de</strong>n. Überstun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n we<strong>de</strong>r erfasst noch angemessenentlohnt.Das CODETRAS kämpft seit 2006 auf juristischer Ebene. Balua aït Balua, einMarokkaner, <strong>de</strong>r seit 23 Jahren im gleichen Betrieb arbeitete, verlor seine Stelle,weil das Unternehmen verkauft wur<strong>de</strong>. Er war <strong>de</strong>r erste, <strong>de</strong>r vor Gericht zu beweisenversuchte, dass dieser „ Saison“-vertrag in Wirklichkeit einer Vollstelle entsprach,mit allen dazugehörigen Rechten. Die unbezahlten Arbeitsstun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>nauf über 6.000 geschätzt und die Summe, die <strong>de</strong>r Arbeitgeber ihm schul<strong>de</strong>t, auffast 200.000€. Er verlangte vom Präfekt eine provisorische Aufenthaltsbewilligung,um die Prozesse auf Scha<strong>de</strong>nersatz vor <strong>de</strong>m Strafgericht und <strong>de</strong>m Arbeitsgerichtführen zu können. Der Präfekt lehnte dies ab.Am 13. September 2006 verordnete das Verwaltungsgericht (TA) von Marseille,dass <strong>de</strong>r Präfekt Balua eine Nie<strong>de</strong>rlassungserlaubnis für zehn Jahre ausstellen muss,was auch einer Arbeitsgenehmigung gleichkommt. Der Richter begrün<strong>de</strong>te seinenEntscheid damit, dass Balua „in Wirklichkeit ein Festangestellter war“ und dasssein Status eines Saisonarbeiters eigentlich nur „eine juristische Scheinform war,die sein Arbeitgeber und die Verwaltung seiner Stelle und seinem Aufenthalt inFrankreich geben wollten“.In einem ähnlichen Urteil vom 12. Juli 2007 wies das gleiche Verwaltungsgericht<strong>de</strong>n Präfekt an, Achmed Habib Chorfa eine einjährige Aufenthaltsbewilligung zuerteilen. Er arbeitete während zwölf Jahren mit einem OMI-Vertrag, <strong>de</strong>r je<strong>de</strong>s Jahrauf acht Monate verlängert wur<strong>de</strong>.Diese Urteile berufen sich auf einen Bericht <strong>de</strong>r Generalinspektion <strong>de</strong>r Ministerienfür <strong>Landwirtschaft</strong> und für Soziales aus <strong>de</strong>m Jahr 2001: die Verfehlungen <strong>de</strong>r Präfekturauf Druck <strong>de</strong>r ArbeitgeberInnen wur<strong>de</strong>n streng kritisiert 3 . Sie beruft sichdabei auf die von Frankreich unterzeichneten Abkommen mit <strong>de</strong>r InternationalenArbeitsorganisation (ILO), die gleiche Behandlung von französischen und ausländischenArbeitern garantieren.Im Sommer 2007 startete das CODETRAS die Operation „Régulomi“. Denn diebei<strong>de</strong>n Urteile eröffneten die Perspektive für zahlreiche SaisonarbeiterInnen, dieseit Jahren mit OMI- Verträgen mehr als sechs Monate auf französischem Bo<strong>de</strong>narbeiten, eine Aufenthaltsbewilligung als Angestellte zu erlangen. Das Kollektivschätzt, dass fast tausend „ OMIstInnen“ davon profitieren könnten. Eine ganzeReihe von Empfangsstrukturen wur<strong>de</strong>n organisiert: sechs Sozialstellen für Immi-Arbeitskämpfe im Gerichtssaal95


grantInnen im Departement beteiligten sich. Außer<strong>de</strong>m wur<strong>de</strong> eine Anlaufstelleam Mas <strong>de</strong> Granier, Hof von Longo Mai in St. Martin <strong>de</strong> Crau und Büro <strong>de</strong>sEuropäischen BürgerInnenforums, eingerichtet. Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Kollektivs halfenunentgeltlich mit.Zunächst hatte je<strong>de</strong>r Saisonnier, <strong>de</strong>r die erfor<strong>de</strong>rlichen Bedingungen erfüllte, beimPräfekt schriftlich die Erneuerung seiner Arbeitsgenehmigung und die Erteilungeiner dauerhaften, erneuerbaren Aufenthaltsgenehmigung eingefor<strong>de</strong>rt. Wie zuerwarten war, liess sich die Präfektur nicht herab, auf diese Briefe zu antworten (ImFebruar 2008 schätzte CODETRAS die Anzahl <strong>de</strong>r bei <strong>de</strong>r Präfektur eingegangenenBriefe auf 300), was formell gleichbe<strong>de</strong>utend mit einem negativen Bescheidist. Also mussten nun Akten angelegt wer<strong>de</strong>n, die ihnen erlaubten, in einenRechtsstreit vor <strong>de</strong>m Verwaltungsgericht einzutreten.Mehrere hun<strong>de</strong>rt marokkanische und tunesische ArbeiterInnen wur<strong>de</strong>n zu diesemZweck empfangen, davon 230 am Mas <strong>de</strong> Granier. Dieser Prozess beinhalteteviele Stun<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Erfassung von Daten, Lohnzetteln etc. Das Ergebnis: 290 Fällewur<strong>de</strong>n eröffnet, 170 wur<strong>de</strong>n ausgewählt, um vor Gericht Einspruch einzulegen,davon wie<strong>de</strong>rum wur<strong>de</strong>n 60 bereits <strong>de</strong>m Anwaltskollektiv übermittelt.Dass es ein langer und harter Kampf wer<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>, wur<strong>de</strong> am 14. Januar anhandvon zwei Entscheidungen <strong>de</strong>s Verwaltungsgerichtshofes in Marseille <strong>de</strong>utlich. DerGerichtshof gab <strong>de</strong>m Präfekt recht, <strong>de</strong>r Berufung gegen die Entscheidung <strong>de</strong>sVerwaltungsgerichts in <strong>de</strong>n Fällen Balua und Chorfa eingelegt hatte. Wie CODE-TRAS in einer Verlautbarung hervorhebt, ist „eine <strong>de</strong>rartige Verzerrung einesRechtsprinzips katastrophal, da sie die Nicht-Einhaltung <strong>de</strong>r Reglementierung alsstraflos durchgehen lässt, wenn sie zum Nachteil <strong>de</strong>r ausländischen ArbeiterInnen,aber zum Vorteil einer Agrarlobby ist...“Am 19. Februar 2008 reichten die Anwälte von CODETRAS in <strong>de</strong>r Operation„Régulomi“ kollektiv in <strong>de</strong>n ersten 23 Fällen Revision ein. In einem Schreibenvom 26. März erkannte das TA (tribunal administratif – Verwaltungsgericht) dieRichtigkeit <strong>de</strong>r Argumente <strong>de</strong>r ArbeiterInnen an. Laut <strong>de</strong>r Vizepräsi<strong>de</strong>ntin <strong>de</strong>sVerwaltungsgerichts, Catherine Dol, stellt die Verweigerung eines Aufenthaltstitelsund einer Arbeitsgenehmigung für diese Personen, „die <strong>de</strong>n Grossteil <strong>de</strong>s Jahres inFrankreich gearbeitet haben, eine Diskriminierung dar und beför<strong>de</strong>rt sie in eineSituation extremer Prekarität“, was die Anordung von Eilmaßnahmen rechtfertige.In Folge wur<strong>de</strong>n die 23 Ablehnungen <strong>de</strong>s Präfekts aufgehoben und das Verwaltungsgerichtbeschloss, ihnen eine provisorische Aufenthaltsbewilligung zu erteilen.Die Entscheidung <strong>de</strong>s TA wur<strong>de</strong> an die Haute autorité <strong>de</strong> lutte contre les discriminations(Oberste Behör<strong>de</strong> zur Bekämpfung <strong>de</strong>r Diskriminierungen, HALDE)96 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


weitergeleitet, die auf Auffor<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Kollektivs eine Stellungnahme zu dieserFrage vorbereitet.Die Präfektur hat darauf hingewiesen, dass es „sehr wahrscheinlich ist, dass sie <strong>de</strong>mMinisterium vorschlagen wird, Berufung einzulegen, insofern in vergleichbarenUmstän<strong>de</strong>n das Berufungsgericht im Januar 2008 ein gegenläufiges Urteil gefällthatte“.Der Fall schlägt immer höhere Wellen. Am 2. April 2008 veröffentlichte dieZeitung „Le Mon<strong>de</strong>“ einen langen Artikel mit <strong>de</strong>r Überschrift: „AusländischeSaisonarbeiter <strong>de</strong>s Bouches du Rhône wer<strong>de</strong>n als Vollbeschäftigte anerkannt“. DieZeitung zitiert einen <strong>de</strong>r 23 Arbeiter, Messaud Buzelmat, ein 44-jähriger Marokkaner,<strong>de</strong>r 27 Jahre für <strong>de</strong>n gleichen Unternehmer arbeitete. „Als Saisonarbeiter istman machtlos. Je<strong>de</strong>r weiß, dass <strong>de</strong>r Chef nicht verpflichtet ist, <strong>de</strong>n Arbeitsvertragfür das nächste Jahr zu erneuern. Ich kenne viele, die jahrelang hier geschuftet habenund heute in ihrem Kaff in Marokko leben. Man nutzt sich hier ab, und voneinem Tag zum an<strong>de</strong>rn sagt man uns, ihr könnt gehen.“Die nächste Etappe <strong>de</strong>r Auseinan<strong>de</strong>rsetzung: am 8. April legten die Anwälte vonNeuem in zwanzig Fällen Berufung ein…Gleichzeitig organisiert sich aber auch die Lobby <strong>de</strong>r Unternehmer. In Folge <strong>de</strong>rGesetzesän<strong>de</strong>rung, in <strong>de</strong>r die Dauer eines Saisonarbeitsvertrags auf sechs Monatebeschränkt wur<strong>de</strong>, erhielt die FDSEA (Verband <strong>de</strong>r Agrarunternehmen) das Zugeständnis,dass die verschie<strong>de</strong>nen Saisonverträge, die also sechs Monate dauern,sich überschnei<strong>de</strong>n können. Ein weiterer Beweis dafür, dass das Bedürfnis nachArbeitskräften in diesem Sektor keineswegs nur saisonal ist. „ Ich treffe AnfangFebruar ein. Zuerst arbeite ich in <strong>de</strong>n Salatkulturen, anschliessend kümmere ichmich um die Tomaten und schlussendlich bis En<strong>de</strong> September um <strong>de</strong>n Lauch“,erklärt Achmida Zaaraui <strong>de</strong>r «Le Mon<strong>de</strong>». Corinne Demichelis, seine Chefin, gibtzu, dass die SaisonarbeiterInnen „wesentlicher Bestandteil <strong>de</strong>s Personals sind, die<strong>de</strong>n Betrieb aufrechterhalten“.Der Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r FDSEA, Clau<strong>de</strong> Rossignol, warnt jedoch: „Wenn diese ImmigrantenVollzeitarbeitskräfte wer<strong>de</strong>n, wan<strong>de</strong>rn sie schlussendlich in an<strong>de</strong>re Arbeitssektorenab“ . Er hätte sich nicht klarer ausdrücken können: keinE ArbeiterIn wärebereit unter <strong>de</strong>n gleichen Bedingungen wie die NordafrikanerInnen zu schuften,angekettet an einen Vertrag, <strong>de</strong>r sie jeglichen Rechts beraubt.Nicholas Bell/Europäisches BürgerInnenforumArbeitskämpfe im Gerichtssaal97


123Benannt nach <strong>de</strong>r quasi-staatlichen Organisation Office <strong>de</strong>s Migrations Internationales (Amt fürInternationale Migration, OMI), die mit <strong>de</strong>r Vergabe und Verwaltung dieser Verträge beauftragt ist.Heute hängen diese Verträge von <strong>de</strong>r 2005 gegrün<strong>de</strong>ten Agence Nationale <strong>de</strong> l`Accueil <strong>de</strong>s Etrangerset <strong>de</strong>s Migrations (Nationale Agentur für die Aufnahme von Auslän<strong>de</strong>rInnen und MigrantInnen,ANAEM) ab. 2007 vergab Frankreich Saisonverträge an 19064 ausländische Arbeitskräfte, von<strong>de</strong>nen 18333 in <strong>de</strong>r <strong>Landwirtschaft</strong> tätig waren, von <strong>de</strong>nen wie<strong>de</strong>rum etwa 3500 im DepartmentBouches-du-Rhône arbeiteten (zu über 90 % MarokkanerInnen).In ihrem Immigrationsgesetz vom Juli 2006 hat die Regierung dieser Möglichkeit ein En<strong>de</strong> gesetzt.In Wirklichkeit hat die Verwaltung 2007 auch weiterhin Verträge auf acht Monate verlängert, diesePraxis 2008 jedoch eingestellt.Le Mon<strong>de</strong> Diplomatique, Juin 2005, „Trafics <strong>de</strong> main-d’œuvre couverts par l’Etat“ von PatrickHermann.98 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


Contratos en origenGewerkschaftliche Aktion in Südspanien gegen Saisonnier-VerträgeIn Spanien ist seit 2001 zu beobachten, dass immer mehr „contratos en origen“abgeschlossen wer<strong>de</strong>n. Dies ist eine Art von Saisonvertrag, welcher grosse Ähnlichkeitmit <strong>de</strong>m OMI-Vertragssystem in Frankreich hat.In <strong>de</strong>r Gegend um Huelva im Südwesten Andalusiens, die bekannt ist für ihreindustrielle Erdbeerproduktion, sind während <strong>de</strong>r Saison tausen<strong>de</strong> von ArbeiterInnen(hauptsächlich Frauen) beschäftigt. Noch vor einigen Jahren waren eshauptsächlich Polinnen und Rumäninnen, heute immer mehr Marokkanerinnen,die in ihren Heimatlän<strong>de</strong>rn nach ganz präzisen Kriterien ausgewählt wer<strong>de</strong>n. Mansucht junge Frauen, die an körperliche Arbeit gewöhnt sind (oft wer<strong>de</strong>n die Hän<strong>de</strong>„geprüft“), mit kleinen Kin<strong>de</strong>rn, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sie nachAblauf <strong>de</strong>s Arbeitsvertrags wie<strong>de</strong>r in ihre Län<strong>de</strong>r zurückkehren.Erst seit neuestem haben auch die Arbeitgeber im <strong>Plastikmeer</strong> von Almeria begonnen,ihre ArbeiterInnen direkt in ihren Heimatlän<strong>de</strong>rn zu rekrutieren und dieseArt von Verträgen abzuschließen. Seither haben wir die Möglichkeit, abzuschätzen,welche Missbrauchsmöglichkeiten diesem Vertragssystem anhaften.Nehmen wir das Beispiel von 75 Senegalesen, die im September 2007 angekommensind, rekrutiert von „Hortalizas <strong>de</strong>l Almanzora“ in Pulpi. Sie hatten einen Arbeitsvertragfür neun Monate. Vier Monate später waren vierzehn Arbeiter bereitsentlassen. Dies geschah auf illegale Art und Weise, wie selbst ihre Chefs zugebenmussten. Die Letzteren beschuldigten die Senegalesen eines „Mangels an Respektgegenüber ihren Vorgesetzten, sowie geringer Produktivität und mangeln<strong>de</strong>mInteresse an <strong>de</strong>r Arbeit“. Sie kündigten an, ihnen Flugtickets zu beschaffen, damitsie in ihr Land zurückgingen.Die ersten fünf unterschrieben in Unkenntnis ihrer Rechte und <strong>de</strong>r spanischenSprache die Entlassungsurkun<strong>de</strong>, merkten aber an, dass sie diese nicht lesenkonnten. Die zweite Gruppe entschied, sich dieser Behandlung zu wi<strong>de</strong>rsetzen. Sienahmen Kontakt mit <strong>de</strong>r SOC-SAT auf. Diese half ihnen, eine Klage gegen dasentsprechen<strong>de</strong> Unternehmen und gegen Coexphal 1 einzureichen.In ihrer Klage <strong>de</strong>ckten sie ständige Verletzungen <strong>de</strong>s Gesamtarbeitsvertrages auf.Der Vertrag schreibt z.B. einen Lohn von 43,12€ pro Tag vor, die Arbeiter erhiel-Contratos en origen99


ten jedoch niemals mehr als 30€. Der Arbeitsrhythmus war völlig unregelmäßig.Im Dezember wur<strong>de</strong>n lediglich neun Tage gearbeitet, wofür jeweils 157€ ausgezahltwur<strong>de</strong>n. In an<strong>de</strong>ren Phasen war das Arbeitspensum höllisch, die neun Arbeitersprachen außer<strong>de</strong>m von „Schikanen während <strong>de</strong>r Arbeit. Sie schrien uns an.“ 2Bei Arbeitsfehlern – beispielsweise, wenn ein Salat nicht so wie vorgeschrieben ineine Kiste gepackt wur<strong>de</strong> – drohte als Strafe, während drei Tagen am Verlassen <strong>de</strong>s„Cortijo“ 3 gehin<strong>de</strong>rt zu wer<strong>de</strong>n und selbstverständlich während dieser Zeit auchnichts zu verdienen.Die Unterbringung war inakzeptabel. „Sie leben zusammengepfercht in einemCortijo, ohne Heizung und 100 km vom Arbeitsort entfernt.“ 4 Dies obwohl imVertrag stand, dass die Arbeiter in einer Stadt untergebracht wer<strong>de</strong>n. Sie musstenum fünf Uhr morgens aufstehen um rechtzeitig zur Arbeit zu kommen. Spätabends im Cortijo musste dann erst für das Essen gesorgt wer<strong>de</strong>n.Für Spitou Mendy von <strong>de</strong>r SOC-SAT ist diese Isolierung kein Zufall. „Wenn mansie isoliert, lässt man sie im Ungewissen darüber, was los ist. Wenn MigrantInneneinan<strong>de</strong>r treffen, fin<strong>de</strong>t ein Gespräch statt, egal woher die Leute kommen. Sietauschen sich darüber aus, wie sie behan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n. Wenn das nicht <strong>de</strong>r Normentspricht, geht das herum wie ein Lauffeuer. Die Arbeitgeber haben kein Interessedaran, ein Bewusstsein für einen Arbeitskampf entstehen zu lassen.“ 5Hinzu kommt, dass bei einigen Unternehmen <strong>de</strong>n ArbeiterInnen bei <strong>de</strong>r Ankunftin Almería die Pässe weggenommen wur<strong>de</strong>n. Erst nach einem Streik, bei <strong>de</strong>m siezeigen konnten, dass sie keine Angst haben, bekamen sie die Pässe zurück. „Esmuss <strong>de</strong>n Leuten jegliche Lust genommen wer<strong>de</strong>n, abzuhauen. Deshalb wer<strong>de</strong>ndie Pässe einbehalten. So ist es <strong>de</strong>nn auch passiert. Sobald sie die Pässe wie<strong>de</strong>rhatten, sind neun von ihnen weggegangen. Sie sagen, sie ziehen die Freiheit unddie Illegalität diesen Arbeitsbedingungen vor.“ 6Ein weiterer Kritikpunkt war, dass <strong>de</strong>n Arbeitern, die bei „Hortalizas <strong>de</strong>l Almanzora“beschäftigt waren, 400€ ihres ersten Lohnes nicht ausgezahlt, son<strong>de</strong>rn für dasFlugticket beiseite gelegt wur<strong>de</strong>n. Dies, obwohl laut Vertrag <strong>de</strong>r Arbeitgeber fürdas Flugticket aufkommen muss.Auf einer Pressekonferenz am 8. Februar bedauerte die SOC-SAT, „dass dieVertragsabschlüsse im Heimatland, welche von <strong>de</strong>r Staatssekretärin für MigrationConsuela Rumi als Lösung dafür präsentiert wur<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r illegalen Einwan<strong>de</strong>rungund Marginalisierung ein En<strong>de</strong> zu bereiten, ein Reinfall sind.“ 7 Selbst die größteGewerkschaft <strong>de</strong>r Region, die CC.OO, welche auf <strong>de</strong>r Einführung dieses Vertragsystemsbestan<strong>de</strong>n hat, sieht sich gezwungen Missbräuche anzuprangern.Laut Spitou Mendy sind dies „mit <strong>de</strong>m Senegal die ersten Versuche. Dieses System100 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


ist für uns erniedrigend, <strong>de</strong>nn es <strong>de</strong>gradiert die ArbeiterInnen zu SklavInnen. ArbeiterInnen,die trotz solcher Bedingungen kommen, sind von <strong>de</strong>r Angst besessen,das nächste Mal nicht mehr eingela<strong>de</strong>n zu wer<strong>de</strong>n. Diese Verträge verbessern inkeiner Weise die Umstän<strong>de</strong> für diese Leute.“ 8Der Fall <strong>de</strong>r Senegalesen war <strong>de</strong>r erste von ArbeiterInnen mit „contratos en origen“,mit <strong>de</strong>m sich die SOC befasst hat. Es wird sicherlich nicht <strong>de</strong>r letzte sein...Die Gewerkschaft ist bereits von einer Gruppe von ca. dreissig MarokkanerInnenkontaktiert wor<strong>de</strong>n, die sich über schlechte Unterbringungen beschweren, gleichgefolgt von einer Gruppe von zehn ArbeiterInnen, untergebracht in einer kleinenGarage, in <strong>de</strong>r Betten, eine Dusche sowie die Küche auf kleinstem Raum ineinan<strong>de</strong>rgestapelt sind...Nicholas Bell/Europäisches BürgerInnenforum12345678„Cosecheros-Exportadores <strong>de</strong> Productores Hortifruticolas“. Unternehmervereinigung, welche dieRekrutierung ermöglichte.Interview in „Teleprensa“, 9.Februar 2008Altes verlassenes Gehöft, in <strong>de</strong>m ArbeiterInnen oft untergebracht sind.Interview in „Teleprensa“, 9.Februar 2008Auszug aus einem Interview mit <strong>de</strong>m südfranzösischen Radio Zinzine im März 2008ebendavgl. „Europapress“, 9. Februar 2008Auszug aus einem Interview mit <strong>de</strong>m südfranzösischen Radio Zinzine im März 2008Contratos en origen101


„Das war ein Schwein...“Von <strong>de</strong>r Erntearbeit zur Gewerkschaft: Magda erzählt ihre GeschichteMagda ist Polin. Sie war 21, als sie in Foggia in Süditalien ankam – das war imJahr 2001, vor <strong>de</strong>m Eintritt Polens in die EU. Sie kam für die Dauer <strong>de</strong>r Tomaten-Saison zum Arbeiten nach Italien. Für sie war es die Möglichkeit, ein Abenteuer zuerleben und etwas Geld zu verdienen. Aber die Dinge nahmen einen an<strong>de</strong>ren Lauf,als sie gedacht hatte...Ich bin mit meiner Schwester nach Foggia gefahren, um für eine Saison zu arbeiten.Ein Freund aus Polen hat uns diese Arbeit vermittelt. Wir haben uns nicht imgeringsten ausgemalt, was wir dann erlebt haben. Wir sind am Bahnhof angekommen,mit <strong>de</strong>m Bus einer polnischen Reisefirma. Unser Freund hätte dort auf unswarten sollen, aber er war nicht dort, als wir ankamen. Etwas später kam dann einan<strong>de</strong>rer polnischer Typ, <strong>de</strong>r uns angesprochen hat. Er kannte unsere Vornamen. Erfuhr uns dann zu unserem Arbeitsplatz. Es war schon Nacht, man konnte nichtssehen, aber die erste Sache, die mir aufgefallen ist, war, dass es rundherum rein garnichts gab. Nur Fel<strong>de</strong>r. Der Typ brachte uns in eine Baracke mit einem Zimmer,darin drei Betten, eine Küchenecke, aber we<strong>de</strong>r Toilette noch Ba<strong>de</strong>zimmer. Wirwaren dort zu viert: Der Typ vom Bahnhof, ein an<strong>de</strong>rer Pole, meine Schwesterund ich. Am nächsten Morgen haben wir mit <strong>de</strong>r Arbeit begonnen. Ich dachte,wir wären gekommen, um Tomaten zu ernten, aber diese Arbeit war bereits getan.Wir mussten die Fel<strong>de</strong>r säubern und danach die Artischocken und die Weinstöckemit Pestizi<strong>de</strong>n behan<strong>de</strong>ln. Der Eigentümer <strong>de</strong>s Betriebes arbeitete mit uns, ebenso<strong>de</strong>ssen Sohn.Sie fuhren alle 15 Tage für uns einkaufen. Wir bekamen Nu<strong>de</strong>ln, Kartoffeln, Brot,manchmal Wurst o<strong>de</strong>r Käse. Nach drei Wochen hatte ich bereits stark abgenommen.Ein einziges Mal wur<strong>de</strong>n wir ins Dorf mitgenommen. Ich hätte nicht sagenkönnen, an welchem Ort wir waren. Ich wür<strong>de</strong> dorthin auch nicht zurückfin<strong>de</strong>n.Nach <strong>de</strong>m ersten Arbeitsmonat haben wir nach unserem Lohn gefragt, aber <strong>de</strong>rBesitzer sagte uns, dass er uns erst am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r drei Monate, die wir bleibensollten, bezahlen wer<strong>de</strong>. Der polnische Typ vom Bahnhof meinte dann, das seidurchaus normal. Ich vertraute ihm. Damals verstand ich noch kein Italienisch.Und dann hat <strong>de</strong>r Sohn <strong>de</strong>s Unternehmers begonnen, gegenüber meiner Schwesterübergriffig zu wer<strong>de</strong>n. Das war ein Schwein... Wir waren bereits zwei Monate da,da nahm er uns bei<strong>de</strong> zum Strand mit, um <strong>de</strong>n Netten zu spielen. Das nächsteMal wollte er nur meine Schwester mitnehmen. Ich wollte nicht, dass sie mit ihmmitfährt. Er hat sich richtig aufgeregt. Einer <strong>de</strong>r polnischen Typen aus <strong>de</strong>r Baracke102 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


hat uns dann verteidigt. Es gab eine Schlägerei und daraufhin sind wir alle dreirausgeflogen, ohne bezahlt wor<strong>de</strong>n zu sein.Sieben Jahre sind vergangen. Dieses „Abenteuer“, das einen so schlechten Laufgenommen hat, ist schließlich gut ausgegangen. Magda lebt heute in Foggia, istverheiratet, hat zwei kleine Kin<strong>de</strong>r und arbeitet bei <strong>de</strong>r Gewerkschaft Confe<strong>de</strong>razioneGenerale Italiana <strong>de</strong>l Lavoro (CGIL), in einer Stelle zur Beratung vonMigrantInnen. Ihre Zukunft sieht sie in Italien. Manchmal erinnert sie sich zurückan das, was sie erlebt hat:Heute habe ich hier eine Familie. Meine Schwester ist auch mit einem Italienerverheiratet. Sie haben zwei Kin<strong>de</strong>r, ein drittes ist auf <strong>de</strong>m Weg. Meine Mutter un<strong>de</strong>ine jüngere Schwester sind auch nach Foggia gezogen. Unsere ganze Familie fin<strong>de</strong>tsich nun hier in Italien. Ich dachte niemals, dass ich hier bleiben wür<strong>de</strong>, als ich imJahr 2001 zum ersten Mal nach Italien kam. Ich dachte, ich wür<strong>de</strong> nur kommen,um auf Abenteuersuche zu gehen. Wenn ich heute darüber nach<strong>de</strong>nke, frage ichmich, wie naiv ich damals war. Manchmal erinnere ich mich mit meiner Schwesteran diese Zeit und wir fragen uns, was wir wohl damals im Kopf gehabt haben. Wirdachten nicht, dass uns etwas hätte passieren können. Heute wissen wir, dass wirauch Glück gehabt haben. Wenn man daran <strong>de</strong>nkt, was an<strong>de</strong>ren wi<strong>de</strong>rfahren ist,wenn man an all die Leute <strong>de</strong>nkt, die verschwun<strong>de</strong>n sind...Interview: Cristina Brovia/Volontärin <strong>de</strong>s Austauschprogramms „echanges et partenariats“„Das war ein Schwein...“103


Höfesterben und mo<strong>de</strong>rne Sklaverei – Was tun?Anmerkungen anlässlich einer DelegationsreiseDie aktuelle europäische Agrarpolitik hat verheeren<strong>de</strong> Auswirkungen für die Zukunft<strong>de</strong>s ländlichen Raums:- Alle fünf Minuten verschwin<strong>de</strong>t ein kleiner Bauernhof. Auf die kommen<strong>de</strong>nJahre hochgerechnet, be<strong>de</strong>utet das <strong>de</strong>n vorprogrammierten Verlust von Millionenkleinbäuerlicher Betriebe in Europa.- Das Heer <strong>de</strong>r rechtlosen ArbeitsmigrantInnen in <strong>de</strong>r <strong>Landwirtschaft</strong> wächst. Inmanchen Produktionsregionen sind zu Spitzenzeiten Zehntausen<strong>de</strong> unter prekärstenBedingungen beschäftigt und die Fälle von Missachtung <strong>de</strong>r fundamentalstenRechte <strong>de</strong>r Saisonniers nehmen besorgniserregend zu. Gleichzeitig regt sichvermehrt Wi<strong>de</strong>rstand <strong>de</strong>r Betroffenen in Form von Anzeigen gegen Übergriffe,arbeitsrechtlichen Klagen, Protesten, Streiks etc.Angesichts dieser Situation drängt sich die Notwendigkeit einer europaweitkoordinierten gewerkschaftlichen Aktion auf. In diesem Sinn haben die andalusischeLandarbeiterInnengewerkschaft SOC (Sindicato <strong>de</strong> Obrer@s <strong>de</strong>l Campo),<strong>de</strong>r französische Verband für kleinbäuerliche <strong>Landwirtschaft</strong>, ConfédérationPaysanne, und die Vereinigung “Amorce” (Impuls) – im Rahmen <strong>de</strong>s Netzwerks“Solidarisches Europa” – ein gemeinsames Programm für Informationsaustausch,Begegnung und Ausbildung ins Leben gerufen. Das Programm setzt sich zum Ziel,landwirtschaftliche SaisonarbeiterInnen, kleinbäuerliche Organisationen, Gewerkschaftenund NGOs zu vernetzen, die sich für die Grundrechte <strong>de</strong>r einen wie <strong>de</strong>ran<strong>de</strong>ren einsetzen.En<strong>de</strong> Februar 2008 bereiste eine Delegation Rumänien, an <strong>de</strong>r VertreterInnen <strong>de</strong>sSOC und <strong>de</strong>r Confédération Paysanne teilnahmen. In Rumänien gibt es bis heuterund fünf Millionen kleinbäuerliche Betriebe, die nur ein sehr kleines Einkommenabwerfen. Um ihren Lebensunterhalt zu sichern, verdingen sich viele Bäuerinnenund Bauern in <strong>de</strong>n industriellen landwirtschaftlichen Produktionsgebieten als Saisonniers.So arbeiten beispielsweise je<strong>de</strong>n Winter an die 30.000 rumänische Frauenin <strong>de</strong>r Erdbeerernte <strong>de</strong>r andalusischen Provinz Huelva.Vor diesem Hintergrund stellte sich die Delegation zwei Aufgaben: Einerseits, dieAuswirkungen <strong>de</strong>r “Gemeinsamen Agrarpolitik” (GAP) <strong>de</strong>r Europäischen Unionauf die ländlichen Regionen und die bäuerliche <strong>Landwirtschaft</strong> Rumäniens zuuntersuchen und an<strong>de</strong>rerseits die ArbeitsmigrantInnen – vor Ort, also direkt im104 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


Herkunftsland – über die Bedingungen, die sie in <strong>de</strong>r Saisonarbeit erwartet, aufzuklären.Die Delegation besuchte mehrere Dörfer in <strong>de</strong>r Region südlich von Bukarestund in Moldawien. Dadurch bot sich <strong>de</strong>n Mitglie<strong>de</strong>rn Gelegenheit, zahlreicheDorfbewohnerInnen und BäuerInnen zu treffen und mit ihnen ins Gespräch zukommen. Vorbereitet wur<strong>de</strong> die Reise in Zusammenarbeit mit drei Freiwilligen(Ana Florinca, Cristina Brovia und Emanuelle Hellio), die im Vorfeld – unter <strong>de</strong>rÄgi<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Vereinigung “Echanges et Partenariats” (Austausch und Partnerschaft)– vier Monate lang in drei verschie<strong>de</strong>nen Produktionsregionen bzw. Herkunftslän<strong>de</strong>rnrecherchiert hatten: Huelva (Andalusien, Südspanien), Apulien (Süditalien)und Rumänien.Aus <strong>de</strong>m einwöchigen Rumänienbesuch ergeben sich min<strong>de</strong>stens drei Hauptachsenfür zukünftige Aktionen. Oberste Priorität haben:- Die Durchführung von Informations- und Aufklärungskampagnen über Arbeitsbedingungenund Rechte <strong>de</strong>r Saisonniers in <strong>de</strong>r Intensivlandwirtschaft.- Der Aufbau von Kontaktnetzen zwischen ArbeitsmigrantInnen und GewerkschaftsvertreterInnenvor Ort als Voraussetzung für die Organisation <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rstan<strong>de</strong>s.- Die grundlegen<strong>de</strong> und aktive Kritik an <strong>de</strong>r europäischen Agrarpolitik, die aus<strong>de</strong>n ländlichen Gebieten Versuchslabors macht, in <strong>de</strong>nen die Rechte <strong>de</strong>r Bäuerinnenund Bauern ebenso mit Füßen getreten wer<strong>de</strong>n wie die <strong>de</strong>r LandarbeiterInnen.Für die Confédération Paysanne steht fest, dass <strong>de</strong>r Kampf für ein gesichertes Einkommen<strong>de</strong>r LandwirtInnen und <strong>de</strong>r für die Rechte <strong>de</strong>r ArbeitsmigrantInnen nurHand in Hand gehen kann und im Interesse aller Beteiligten ist: Bäuerinnen undBauern, Saisonarbeitskräfte und KonsumentInnen. Wir lehnen mit aller Entschie<strong>de</strong>nheitab, korrekte Preise für landwirtschaftliche Produkte auf Kosten <strong>de</strong>r Lohnabhängigenzu erzielen, das heißt, Lohndumping, die Aushöhlung <strong>de</strong>s Arbeitsrechtssowie gravieren<strong>de</strong> Verschlechterungen <strong>de</strong>r Arbeits- und Lebensbedingungenin Kauf zu nehmen. Um <strong>de</strong>r globalisierten neoliberalen Dampfwalze Einhalt zugebieten, gilt es die Kräfte, Synergien und Erfahrungen aus <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nenKämpfen zu bün<strong>de</strong>ln und die Solidarität zu globaliseren. Nur so kann es gelingen,auch für die Zukunft eine überlebensfähige, sozial und ökologisch nachhaltige<strong>Landwirtschaft</strong> zu erhalten.Auszüge aus einem Artikel von Nicolas Duntze vom französischen KleinbäuerInnenverband„Confe<strong>de</strong>ration Paysanne“ anlässlich einer Delegationsreise nach Rumänien im Februar 2008(Rechte beim Autor)Zusammengestellt von Kathi Hahn/Europäisches BürgerInnenforumHöfesterben und mo<strong>de</strong>rne Sklaverei - Was tun?105


Supermärkte und GlobalisierungVom Ausverkauf sozialer Rechte durch EU,Lidl & Co.NoLager Bremen plant zusammen mit mehreren Gruppen und Einzelpersonen aus<strong>de</strong>m antirassistischen, landwirtschaftlichen und klimapolitischen Spektrum eineKampagne rund um das Thema „Supermärkte und globale soziale Rechte“. DieAuftaktveranstaltung fin<strong>de</strong>t am 14.05.2008 in Bremen statt – als Gäste sind SpitouMendy (Senegal – SOC-SAT/südspanische LandarbeiterInnengewerkschaft),Agnes Schreie<strong>de</strong>r (ver.di/Hamburg – Lidl-Kampagne) und Werner Rätz (attac/AG„Genug für alle“) eingela<strong>de</strong>n. Die Flyer zu dieser Veranstaltung umreißt, worum esin <strong>de</strong>r Kampagne gehen soll – auch in Hinblick auf <strong>Landwirtschaft</strong> und Migration.Rund um <strong>de</strong>n Globus befin<strong>de</strong>n sich Supermärkte auf <strong>de</strong>m Vormarsch. BeiLebensmitteln sind es weltweit nur noch dreißig Supermarkt-Ketten, welche einDrittel <strong>de</strong>s gesamten Han<strong>de</strong>ls abwickeln! Garant <strong>de</strong>s Erfolgs sind in erster LinieDauertiefstpreise – durchgesetzt von global operieren<strong>de</strong>n Konzernen á la Wal-Mart, Tesco o<strong>de</strong>r Metro. Einziger Haken: Die viel gepriesene Billigware gibt esnicht zum Nulltarif. Vielmehr wäre sie ohne systematische Verletzung sozialerRechte und ohne Zerstörung ökologischer Ressourcen überhaupt nicht möglich.Hier zu Lan<strong>de</strong> sind es vor allem die schikanösen Arbeitsbedingungen bei Lidl,welche in <strong>de</strong>n letzten Jahren für Schlagzeilen gesorgt haben. Auch die regelrechteHyperausbeutung papierloser ArbeitsmigrantInnen in <strong>de</strong>r südspanischen Gemüseproduktionwar immer wie<strong>de</strong>r Thema. Noch zugespitzter ist die Situation inLän<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s globalen Sü<strong>de</strong>ns: Durch expandieren<strong>de</strong> Supermarkt-Ketten wer<strong>de</strong>ndort KleinhändlerInnen genauso wie Kleinbauern und -bäuerinnen millionenfachin <strong>de</strong>n Ruin getrieben. In <strong>de</strong>r Veranstaltung soll einerseits <strong>de</strong>r Frage nachgegangenwer<strong>de</strong>n, ob und wie Proteste zusammengebracht wer<strong>de</strong>n können – etwa die Lidl-Kampagne von ver.di mit <strong>de</strong>m Kampf papierloser LandarbeiterInnen in Südspanien.An<strong>de</strong>rerseits soll zur Sprache kommen, was wir überhaupt konsumieren undproduzieren möchten – und zu welchen Bedingungen. Dies wird nicht möglichsein, ohne <strong>de</strong>r Tatsache ins Auge zu sehen, dass viele Menschen finanziell gar keinean<strong>de</strong>re Möglichkeit haben, als in Supermärkten einzukaufen.Supermarkt-ABC...Stichwort Expansion: Seit <strong>de</strong>n späten 1980er Jahren sind Supermarkt-KettenSchritt für Schritt in die Riege <strong>de</strong>r mächtigsten Akteure im globalen Lebensmittelgeschäftaufgerückt. Hintergrund ist die Liberalisierung <strong>de</strong>r weltweiten106 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


Dienstleistungsmärkte – insbeson<strong>de</strong>re durch das WTO-DienstleistungsabkommenGATS und die EU-Osterweiterung. Erst hierdurch ist eine bis heute anhalten<strong>de</strong>Expansionswelle im Einzelhan<strong>de</strong>l ausgelöst wor<strong>de</strong>n. Der <strong>de</strong>rzeit zweitgrößte Supermarktkonzern– das französische Unternehmen Carrefour – ist etwa mit 12.000Geschäften in 29 Län<strong>de</strong>rn vertreten, sein im Ausland erzielter Umsatz beträgt53%. Am rasantesten ist das Supermarktwachstum bis heute in Osteuropa undLateinamerika, und auch Asien kann sich <strong>de</strong>m Sog bereits seit Jahren nicht mehrentziehen. Lediglich in Afrika spielen Supermärkte eine überwiegend marginaleRolle – <strong>de</strong>nnoch sollten erste Expansionsbestrebungen durch Supermarkt-Kettenaus Südafrika und Kenia nicht unterschätzt wer<strong>de</strong>n.Stichwort Verdrängung: Kehrseite <strong>de</strong>r Expansion sind massive Verdrängungsprozesse:Für einen Arbeitplatz bei Lidl fallen beispielsweise 3 Arbeitsplätze imübrigen Einzelhan<strong>de</strong>l weg, in Vietnam ersetzt eine Arbeitskraft im Supermarkt 4bis 5 StraßenhändlerInnen. Das stiftet nicht nur krasse Verarmungsdynamiken,vielmehr kommt es auch zur Verödung ganzer Stadtteile o<strong>de</strong>r Dörfer und somitzur Zerstörung von Nachbarschaftsnetzwerken – einschließlich <strong>de</strong>s Wegfalls wohnortnaherVersorgungsmöglichkeiten.Stichwort Preisdiktate: Mittels Marktmacht setzen Supermärkte ihre Zulieferermassiv unter Druck: Im Zuge eines zwischen mehreren englischen Supermärktenausgefochtenen Preiskrieges um Bananen sind zum Beispiel in Costa Rica die Tagelöhnefür ArbeiterInnen auf Bananenplantagen von 12-15 Pfund im Jahr 2000 auf7-8 Pfund drei Jähre später gefallen. Ähnlich dramatisch ist die Situation in Südspanien,woher ein Großteil <strong>de</strong>s in <strong>de</strong>utschen Supermärkten verkauften Gemüsesstammt: Papierlose ArbeitsmigrantInnenen erhalten dort für einen zehnstündigenArbeitstag gera<strong>de</strong> mal 20-30 Euro, ihre Behausungen ohne Wasser und Stromspotten je<strong>de</strong>r Beschreibung.Stichworte Qualitätsstandards: Insbeson<strong>de</strong>re im Sü<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Globus sind Kleinbauernund -bäuerinnen nicht in <strong>de</strong>r Lage, die von lokalen und nördlichen Supermärktenvorgegebenen „Qualitäts“standards zu erfüllen – was z.B. Farbe und Form<strong>de</strong>s Gemüses o<strong>de</strong>r Verpackungsrichtlinien betrifft. Sie wer<strong>de</strong>n folglich immerstärker durch große Plantagenbetriebe verdrängt.Stichwort Umweltzerstörung: Je größer und somit industrialisierter landwirtschaftlicheBetriebe sind, <strong>de</strong>sto beträchtlicher sind die Schä<strong>de</strong>n an Wasser, Bö<strong>de</strong>n undWäl<strong>de</strong>rn – inklusive klimaschädlicher Konsequenzen. Der in <strong>de</strong>r Öffentlichkeitviel diskutierte Einsatz von Pestizi<strong>de</strong>n ist also nur die Spitze <strong>de</strong>s (ökologischen)Eisbergs.Stichwort Arbeitsbedingungen: Auch die sozialen Rechte von Supermarkt-Angestelltenwer<strong>de</strong>n massiv torpediert – ganz gleich, ob es um Entlohnung, Mitbestimmungsrechte,Arbeitstempo o<strong>de</strong>r La<strong>de</strong>nöffnungszeiten geht. Das hat nicht zuletztdie Lidl-Kampagne von ver.di unmissverständlich <strong>de</strong>utlich gemacht.Supermärkte und Globalisierung107


Alte Wi<strong>de</strong>rsprüche – neue Bündnisse...Die kritische Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit Supermärkten ruft unweigerlich altbekannteFragestellungen auf <strong>de</strong>n Plan – etwa Debatten um Bedürfnisse, um Chancen undBegrenzungen von „Fair Tra<strong>de</strong>“ o<strong>de</strong>r um die Frage, wer es sich überhaupt leistenkann, <strong>de</strong>rlei Gedanken zu machen (geschweige <strong>de</strong>nn „fair“ und biologisch einzukaufen).In unseren Augen sind diese Fragestellungen allesamt notwendig und legitim,sie sollten allerdings nicht gegensätzlich diskutiert wer<strong>de</strong>n. Vielmehr begreifenwir Supermärkte als einen Kristallisationspunkt (selbstre<strong>de</strong>nd nicht <strong>de</strong>n einzigen),an <strong>de</strong>m Gewerkschaften, soziale Bewegungen, NGOs etc. von unterschiedlichenBlickwinkeln aus aktiv wer<strong>de</strong>n können.NoLager BremenZum Weiterlesen: vgl. Hinweise am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Rea<strong>de</strong>rs108 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


ANHANGAnhang109


Zum WeiterlesenAuswahl von Webseiten mit landwirtschaftspolitischem Fokushttp://www.forumcivique.org; Europäisches BürgerInnenforum (EBF). Deutsch,Französischhttp://www.soc-andalucia.com/; Andalusische LandarbeiterInnengewerkschaft.Spanischhttp://www.mujeresprogresistas-a.org; Frauenorganisation (u.a. Unterstützung vonMigrantInnen). Spanischhttp://www.g8-landwirtschaft.net; G8 & globale <strong>Landwirtschaft</strong>. Deutschhttp://www.confe<strong>de</strong>rationpaysanne.fr; Französische Kleinbauern und -bäuerinnen.Französischhttp://viacampesina.org; Weltweiter Zusammenschluss von Kleinbauern- undbäuerinnen sowie Landlosen. Englisch, Französisch, Spanischhttp://www.raslafraise.ch; Gegen Ausbeutung in <strong>de</strong>r Erdbeerproduktion. Deutsch,Französischhttp://www.umbruch-bildarchiv.<strong>de</strong>/bildarchiv/ereignis/plastikmeer_almeria.html;Fotogalerie mit Texten zu <strong>de</strong>n Lebens- und Arbeitsbedingungen von MigrantInnenim industriellen Gemüseanbau in <strong>de</strong>r Region Almeria/Südspanien. Deutschhttp://www.labournet.<strong>de</strong>/internationales/es/elejido; Artikelsammlung zu Gemüseanbauund Wi<strong>de</strong>rstand in Almeria. Deutschhttp://www.abl-ev.<strong>de</strong>; Arbeitsgemeinschaft bäuerliche <strong>Landwirtschaft</strong> e.V. (AbL).Mit wichtigen Links! Deutschhttp://www.attac.<strong>de</strong>/agrarnetz/cms/; Attac-Agrarnetz. Mit vielen Links! Deutsch,Englischhttp://www.gendreck-weg.<strong>de</strong>; Aktionsseite zu Feldbefreiungen. Deutschhttp://www.greenpeace.<strong>de</strong>; Mit interessanten Studien zu landwirtschaftspolitischenThemenstellungen. Deutsch110 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>


Auswahl von Webseiten mit antirassistischem FokusEine aktuelle Zusammenstellung zahlreicher antirassistischer Webseiten fin<strong>de</strong>t sichin <strong>de</strong>r Broschüre „G8, Flucht und Migration“. Sie kann unter http://nolager.<strong>de</strong>/blog/taxonomy/term/128 runtergela<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n.Auswahl von Webseiten und Texten zu Fragestellungen rund um Supermärktehttp://lidl.verdi.<strong>de</strong>/Initiative <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Dienstleistungsgewerkschaft ver.di gegen die ausbeuterischenArbeitsverhältnisse bei <strong>de</strong>r Discounter- Kette Lidl. Deutschwww.attac.<strong>de</strong>/lidl-kampagneBericht über die bereits abegschlossene Lidl- Kampagne von ATTAC. DeutschINKOTA-Brief 143 (März 2008) mit Schwerpunkt zu: „Supermärkte undDiscounter weltweit: Die hohen Kosten <strong>de</strong>r niedrigen Preise“. Bestellung undteilweiser free download unter: www.inkota.<strong>de</strong> (unter Medien)Supermärkte auf <strong>de</strong>m Vormarsch im Sü<strong>de</strong>n – Bedrohung für Kleinbauern. MaritaWiggerthale, 2007. Bestellung o<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r free download unter: www.eed.<strong>de</strong> (unterMediathek/ Neuerscheinungen)Grenzenlos billig? Globalisierung und Discountierung im Einzelhan<strong>de</strong>l. SarahBormann, Christina Deckwirth, Saskia Teepe, 2005. Free download unter: www.weed-online.org (unter Themen/Konzernkritik)Endstation La<strong>de</strong>ntheke. Einzelhan<strong>de</strong>l – Macht – Einkauf: Unter welchen BedingungenAnanas und Bananen produziert wer<strong>de</strong>n, die in Deutschland über die La<strong>de</strong>nthekegehen. Marita Wiggerthale, 2008. Free download unter: www.oxfam.<strong>de</strong>Auswahl von Büchern und Zeitschriften rund um <strong>Landwirtschaft</strong> und MigrationBittere Ernte – Die mo<strong>de</strong>rne Sklaverei in <strong>de</strong>r industriellen <strong>Landwirtschaft</strong> Europas.Hg.: Europäisches BürgerInnenforum, 2004.Das Buch informiert über die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Saisonniersund ErntehelferInnen in Spanien, Frankreich, <strong>de</strong>r Schweiz, <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n, Österreich,Deutschland und Polen. Weitere Artikel setzen sich mit <strong>de</strong>n Auswirkun-Anhang111


gen <strong>de</strong>r EU-Agrar- und Migrationspolitik auf die Situation <strong>de</strong>r LandarbeiterInnenauseinan<strong>de</strong>r. Außer<strong>de</strong>m wird die Rolle <strong>de</strong>r Großverteiler kritisch beleuchtet.Anatomie eines Pogroms - z.B. El Ejido. Hg.:Europäisches BürgerInnenforum,2000. Bericht einer Delegation <strong>de</strong>s Europäischen BürgerInnenforums über die rassistischenAusschreitungen vom Februar 2000 in Andalusien.Archipel – Zeitung <strong>de</strong>s Europäischen BürgerInnenforums. Jahresabonnement 11Nummern 32 Euro. Bestellungen unter eurocoop@swissonline.chWi<strong>de</strong>rstand ist fruchtbar – Analysen und Perspektiven für eine nicht-kapitalistische<strong>Landwirtschaft</strong>. Rea<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Aktionsbündnisses <strong>Globale</strong> <strong>Landwirtschaft</strong> zum g8-Gipfel 2007.Texte zu Flucht und Migration – Dokumentation und Diskussion zu <strong>de</strong>n Aktionstagengegen <strong>de</strong>n g8- Gipfel im Juni 2007. Hg.: G8- Büro im HessischenFlüchtlingsrat, 2007. Free Download: www.nolager.<strong>de</strong>La fresa amarga – La Situacion <strong>de</strong> l*s temporer*s <strong>de</strong> la fresa en Huelva. Hg.innen:CGT Andalucia, ACSUR, Atrapasuenos Editorial, SU, SOC. Sevilla, 2003.Who reaps the fruit? Critical Issues in the Fresh Fruit & Vegetable ChainMyriam Van<strong>de</strong>r Stichele, Sanne van <strong>de</strong>r Wal & Joris Ol<strong>de</strong>nzielHg.: Centre for Research on Multinational Corporations. Stichting On<strong>de</strong>rzoekMultinationale On<strong>de</strong>rnemingen. (SOMO, Amsterdam), 2006.J Feedback zur Broschüre, weitere Hinweise zu <strong>de</strong>n Links sowie Buchbestellungen, Unterstützungserklärungen,Infos zur Verwendung von Solidaritätsbeiträgen für die SOC-SAT bzw. I<strong>de</strong>en zugemeinsamen Veranstaltungen und Aktionen zum Thema sind je<strong>de</strong>rzeit willkommen und können anfolgen<strong>de</strong> Adresse gerichtet wer<strong>de</strong>n: plastik.meer@reflex.at112 <strong>Peripherie</strong> & <strong>Plastikmeer</strong>

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