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Festival der Künste 2009 Acht Seiten Schwarz-Special Michel Comte

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22zett 2–09 / forschungraumbild laborDas Forschungsprojekt „Überschuss – Videogrammedes Experimentierens“ thematisiertden medialen Output in Laboratorien <strong>der</strong>Verhaltensbiologie. Das Helmhaus Zürichstellt die künstlerischen Resultate demnächstaus, und eine internationale Fachtagung amCollegium Helveticum, ETH Zürich diskutiertdie Videogramme im Kontext des Gebrauchsfilms.Hannes Rickli* über die Natur <strong>der</strong>Videogramme.Im Rahmen des am Institut für Gegenwartskünste angesiedeltenForschungsprojekts untersuchte eine Gruppe von Künstlern,Biologen, Wissenschaftsforschern und Bildwissenschaftlernwährend 18 Monaten audiovisuelle Medienprodukte,die flüchtig sind. Es handelt sich um Video- und Audioaufzeichnungenin wissenschaftlichen Versuchsanordnungen.Die Mess-, Steuer- o<strong>der</strong> Kontrollapparate, mit welchen siegeneriert werden, sind integrale Teile von Experimentalanlagen<strong>der</strong> Verhaltensbiologie. Es sind „technische Dinge“ desExperimentierens, wie <strong>der</strong> Wissenschaftshistoriker Hans-JörgRheinberger <strong>der</strong>artige Komponenten ineinan<strong>der</strong> verwobenerStrukturen empirischer Forschung nennt. Die durch den Medieneinsatzentstehenden Neben- und Abfallprodukte desForschungsprozesses werden im resultatorientierten Wissenschaftsbetriebnicht weiterverwertet und haben deshalb we<strong>der</strong>Ort noch Status, die sie <strong>der</strong> Aufmerksamkeit zuführen.Tag- und NachtwissenschaftDer französische Physiologe François Jacob hat auf eine Doppelgesichtigkeit<strong>der</strong> Wissenschaften hingewiesen, die sichbeson<strong>der</strong>s in frühen Phasen experimenteller Handlungenoffenbare. Die „Nachtwissenschaft [...] ist blindes Irren. Siezögert, stolpert, weicht zurück.“ Im Gegensatz zu <strong>der</strong> ihrnachfolgenden „Tagwissenschaft“, in <strong>der</strong> die experimentellgewonnenen Daten durch zunehmende Abstrahierung gereinigtwerden und sich in „majestätische[r] Ordnung […]wie ein Gemälde von Leonardo da Vinci o<strong>der</strong> eine Fuge vonBach“ 1 bewun<strong>der</strong>n lassen, zeigen die audiovisuellen Selbstregistrierungendas Nachtgeschehen des Labors in Gestendes Tastens, Probierens, „Bricollierens“. Sie sind angereichertmit Atmosphärischem, Spiegelungen, Reflexen, Unschärfen.Im Schatten <strong>der</strong> Objektivität entwickeln sich die Fragen <strong>der</strong>Forschenden an ihre Objekte in einem offenen Spiel und im1 François Jacob, Die Maus, die Fliege und <strong>der</strong> Mensch, München 1998(S. 164).Wi<strong>der</strong>streit zwischen Personen, Dingen, Apparaten, Materialienund Architekturen. In den Monitoren wächst unabsichtlichein Überschuss an Zeichen heran, <strong>der</strong> erst durch dieOperationen <strong>der</strong> Kunst sichtbar wird. Doch trotz aller Sorgfalt,die beim Herauslösen <strong>der</strong> Videosequenzen aus ihremursprünglichen Kontext angewendet wird, bleiben ihr Statusund ihre Deutungen ungewiss: Was wir vor uns haben, sindzwar bewegte Bil<strong>der</strong>, aber keine Filme. Es sind videografischeSignaturen, die sich we<strong>der</strong> an ein wissenschaftsinternes nochan irgendein an<strong>der</strong>es Publikum richten. Während die vielschichtigenInteraktionen zwischen Fotografie und Naturwissenschaftenhistorisch gut aufgearbeitet sind, beschäftigt sichdie Filmtheorie im deutschsprachigen Raum erst seit kurzerZeit intensiv mit dem „instrumentellen“ Film. Sie ist gegenwärtigdaran, eine „erste Topographie des ForschungsfeldesGebrauchsfilm“ 2 anzulegen – von Video ist dabei noch nichtdie Rede.AbsichtslosigkeitWie sind die Videobil<strong>der</strong> – aufgezeichnet in den FormatenU-matic, VHS o<strong>der</strong> S-VHS – begrifflich zu fassen, die nachjahrelanger Arbeit in einer Laborecke verstauben und zuletztdie Schwelle ihres Entstehungsortes im Entsorgungscontainerverlassen? Registrierungen, die niemand zu Gesicht bekommt,geschweige denn, dass sie je besprochen werden?Welche Bezeichnung gilt für die digitalen Figuren, die impostmagnetischen Zeitalter lediglich momentan im Monitoraufscheinen und zu <strong>der</strong>en Speicherung es keinen Anlassgibt? Nimmt man die Herstellungsbedingungen des hier untersuchtenmedialen Outputs <strong>der</strong> Laboratorien in den Blick,lässt er sich wohl am ehesten als Ansammlung von Spurenbestimmen. 3 Wesentliches Merkmal <strong>der</strong> Spur ist die Absichtslosigkeitihrer Entstehung. Audio- und Videoübertragungenauf Monitore geschehen einfach. Unbeabsichtigt sind dabeiauch die den funktionellen Mediengebrauch überschiessendeZeichenproduktion und <strong>der</strong>en ästhetische Effekte. Siesind <strong>der</strong> Wahrnehmung ihrer Produzenten nicht zugänglichund von diesen folglich auch nicht zu kontrollieren. Der Umstand,dass die Videobän<strong>der</strong> nichts mitteilen, son<strong>der</strong>n dasssich ein Geschehen ohne Adressaten einprägt, lässt mich, umden Bildmodus besser zu verstehen, an das Fotogramm denken.Dessen Entstehung entspringt nicht dem einem menschlichenAuge nachempfundenen Objektiv einer Kamera, son<strong>der</strong>nbeispielsweise <strong>der</strong> Durchleuchtung von Gegenständen,<strong>der</strong> Einwirkung chemischer Prozesse o<strong>der</strong> <strong>der</strong> physischen Berührungfotosensiblen Materials. Fotogramme entziehen sich<strong>der</strong> einfachen Lesbarkeit entlang von Ähnlichkeiten äussererFormen. Ihre Lektüre erzwingt den Einbezug von Dimensionen,die visuell nicht erkennbar sind, wie die Durchlässigkeitdes Materials für Strahlungen, Temperaturen o<strong>der</strong> chemischeProzesse. In Anlehnung an das Fotogramm bezeichne ichdie Sequenzen als Videogramme, was sie vom distanziertenSehbild weg in die Nähe eines taktilen Abdrucks rückt. Einsich ständig erneuern<strong>der</strong> Abdruck des Experimentalsystemsalso, <strong>der</strong> zudem das im Abdruck angelegte Spiel von Anwesenheitund Abwesenheit im Zeitmedium Video verdoppelt.Wird Video in den Aktionsräumen <strong>der</strong> Experimentalsystemeeingesetzt, um etwa die Gegenwart eines Ablaufs in möglichst2 Vinzenz Hediger, Editorial in: „montage AV“ . Zeitschrift für Theorie & Geschichteaudiovisueller Kommunikation (Gebrauchsfilm 1), 14/2, Berlin 2005(S. 5).3 Rheinberger beschreibt die Arbeit eines Experimentalsystems in Anlehnungan Wittgensteins „Sprachspiel“ als „Schreibspiel“ bzw. als „Spurenlegespiel“.Hans-Jörg Rheinberger, Experiment, Differenz, Schrift , Marburg1992 (S. 23).

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