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Stadtwachstum und Stadtumbau in Oslo. Exkursion ... - BFAG-ARING

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NORDEN Bd. 16 S. 165-180 Bremen 2004<strong>Stadtwachstum</strong> <strong>und</strong> <strong>Stadtumbau</strong> <strong>in</strong> <strong>Oslo</strong>.<strong>Exkursion</strong> durch die <strong>in</strong>neren Bereiche der norwegischen HauptstadtvonJürgen Ar<strong>in</strong>g*1 Zielsetzung der <strong>Exkursion</strong>Norwegen wird im Allgeme<strong>in</strong>en wegen se<strong>in</strong>er Naturbereist <strong>und</strong> nicht wegen se<strong>in</strong>er Städte. Der Besucherfreut sich auf Fjell, Fjorde <strong>und</strong> das Licht desNordens. E<strong>in</strong>ige Städte - <strong>Oslo</strong>, Bergen, úles<strong>und</strong>,Trondheim - gehören zwar auch <strong>in</strong>s touristische Programm,doch ihnen gilt nicht das Haupt<strong>in</strong>teresseder Reisenden. Wer jedoch e<strong>in</strong>en Zugang zur modernennorwegischen Nation sucht, der sollte sich<strong>in</strong>tensiver mit <strong>Oslo</strong> beschäftigen.Das Werden <strong>und</strong> Wachsen der Hauptstadt spiegeltauf wenigen Quadratkilometern die Entwicklung vonStaat <strong>und</strong> Gesellschaft <strong>in</strong> Norwegen. Die nachfolgende<strong>Exkursion</strong>, für die man m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>enganzen Tag ansetzen sollte, führt durch das <strong>in</strong>nere<strong>Oslo</strong>. Vorbereitet wird die <strong>Exkursion</strong> durch e<strong>in</strong>enÜberblick zur Stadtentwicklung.2 E<strong>in</strong>führung zur <strong>Exkursion</strong> – Die Stadthistorie im Überblick2.1 VorgeschichteIm Jahre 2000 feierte <strong>Oslo</strong> se<strong>in</strong> 1000-jähriges Bestehen,denn um das Jahr 1000 n. Chr. entstandam Nordende des <strong>Oslo</strong>fjordes die erste stadtartigeBebauung. Dem aufmerksamen Beobachter fälltaber beim Betrachten des Stadtplans sofort auf,dass die Stadt ke<strong>in</strong>en mittelalterlichen Stadtkernbesitzt. Es fehlen die schmalen verw<strong>in</strong>kelten Straßen<strong>und</strong> die romanischen oder gotischen Kirchen,die im Allgeme<strong>in</strong>en den Kern gleich alter Städte prägen.Das mittelalterliche <strong>Oslo</strong> war e<strong>in</strong>e Kle<strong>in</strong>stadtmit ger<strong>in</strong>ger E<strong>in</strong>wohnerzahl. Die meisten Gebäudewaren aus Holz. E<strong>in</strong>ige ste<strong>in</strong>ernen Reste s<strong>in</strong>d beiAusgrabungen <strong>in</strong> den letzten Jahren freigelegt worden<strong>und</strong> können besichtigt werden. Diese Ausgrabungsergebnissef<strong>in</strong>det man aber nicht im heutigenZentrum, sondern e<strong>in</strong>ige Kilometer weiter östlichunterhalb des Ekebergs (den man von weitheram markanten viertürmigen Gebäude der ehemaligenSeemannsschule erkennen kann). Die mittelalterlicheKle<strong>in</strong>stadt zählte <strong>in</strong> ihren besten Jahrenzwischen 2.000 <strong>und</strong> 3.500 E<strong>in</strong>wohner, die Zahl g<strong>in</strong>gjedoch im auskl<strong>in</strong>genden Mittelalter aufgr<strong>und</strong> vonKrisen sogar wieder deutlich zurück. Im Jahre 1624brannte das Städtchen vollständig nieder <strong>und</strong> durfteauf Weisung des dänischen Königs Christian IV.nicht wieder aufgebaut werden. Stattdessen kames zu e<strong>in</strong>er Verlagerung <strong>und</strong> Neugründung. Dochdazu später mehr.2.2 Hier soll die Stadt liegen –Die Stadtgründung von Christian IV.Fragen wir uns zunächst, warum das mittelalterliche<strong>Oslo</strong> so kle<strong>in</strong> <strong>und</strong> unbedeutend war <strong>und</strong> warumsich dann im 17. Jahrh<strong>und</strong>ert der dänische Königvon Kopenhagen an den <strong>Oslo</strong>fjord bemühte, umdie Neuanlage der Stadt zu leiten. Die erste Frageist relativ leicht beantwortet. Das mittelalterliche<strong>Oslo</strong> lag „am Rande der Welt“, hatte e<strong>in</strong> extremdünn besiedeltes H<strong>in</strong>terland, <strong>und</strong> es hatte ökonomischwenig zu bieten. E<strong>in</strong> wichtiges Handelsgutim Mittelalter war Fisch, der als christliche Freitagsspeisenachgefragt wurde. Fisch gab es an der norwegischenWestküste, <strong>und</strong> die Hanse sorgte mitihrem Kontor <strong>in</strong> Bergen dafür, dass der Fisch nachMitteleuropa kam. Im Mittelalter waren deshalbBergen <strong>und</strong> Trondheim viel bedeutendere <strong>und</strong> auchurbanere Städte als <strong>Oslo</strong>.Im 16. Jahrh<strong>und</strong>ert veränderten sich die Rahmenbed<strong>in</strong>gungenerheblich. Norwegen wurde nach demZerfall der Kalmarer Union 1523 <strong>und</strong> der E<strong>in</strong>führungder Reformation 1536 zu e<strong>in</strong>em dänischenNebenland, ähnlich e<strong>in</strong>er Kolonie. Das Land erhielte<strong>in</strong>en dänischen Statthalter, <strong>und</strong> Dänisch wurde zurAmts-, Schul- <strong>und</strong> Kirchensprache. Damit verschobensich die adm<strong>in</strong>istrativen Bezugspunkte Norwegens<strong>in</strong> den Süden nach Kopenhagen. Gleichzeitigschuf der Zerfall der Union Grenzen <strong>und</strong> kriegerischeAuse<strong>in</strong>andersetzungen zwischen Dänemark*Dr. J. Ar<strong>in</strong>g, Klosterstr. 84, 53340 Meckenheim, E-Mail: Ar<strong>in</strong>g@t-onl<strong>in</strong>e.de


166 J. Ar<strong>in</strong>g Norden 16550000500000450000400000350000300000250000<strong>Oslo</strong><strong>Oslo</strong> u. Aker2000001500001000005000001800 1820 1840 1860 1880 1900 1920 1940 1960 1980 2000Abb. 1: Bevölkerungsentwicklung <strong>Oslo</strong> 1800 - 2003Anmerkung: Die Stadt <strong>Oslo</strong> hat im Laufe der Jahrzehnte immer wieder Teile der die Stadt umgebendenLandkommune Aker übernommen, bis es 1948 zu e<strong>in</strong>er vollständigen E<strong>in</strong>geme<strong>in</strong>dung kam.<strong>und</strong> Schweden um die Vorherrschaft im Ostseeraum(u. a. Krieg unter Frederik II. von 1563-1570).Norwegen musste vom dänischen König gesichertwerden, um nicht bei der erstbesten Gelegenheitan Schweden verloren zu werden. M<strong>in</strong>destensgenauso wichtig s<strong>in</strong>d jedoch ökonomische Gründe.Mit der Reformation g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> Europa die Nachfragenach Fisch als Fastenspeise drastisch zurück,<strong>und</strong> Westnorwegen verlor se<strong>in</strong>e Exportbasis.Gleichzeitig stieg aufgr<strong>und</strong> der ökonomischen Entwicklungen<strong>in</strong> Mitteleuropa die Nachfrage nach Holz,das Ostnorwegen liefern konnte. Es wurde <strong>in</strong>Romerike gefällt, <strong>in</strong> Sägemühlen zu Balken verarbeitet<strong>und</strong> zur Verschiffung an den <strong>Oslo</strong>fjord gebracht.Außerdem musste die Kirche mit der Reformationihre politische Machtstellung <strong>und</strong> ihreökonomische Basis (Klöster <strong>und</strong> Güter) an die weltlicheMacht abgeben. Abgaben <strong>und</strong> Steuern derbäuerlichen Bevölkerung <strong>in</strong> den ostnorwegischenTälern <strong>und</strong> <strong>in</strong> den (relativen) landwirtschaftlichenGunstgebieten um den <strong>Oslo</strong>fjord waren nun e<strong>in</strong>eSache des Königs. Fazit: Norwegen mochte arm,rückständig <strong>und</strong> dünn besiedelt se<strong>in</strong>. Trotzdem hattees aus e<strong>in</strong>er Kopenhagener Perspektive se<strong>in</strong>enWert. Da machte es S<strong>in</strong>n, diese Konstellation zusichern <strong>und</strong> zu fördern. Christian IV. tat also durchausgut daran, nach Norwegen zu reisen <strong>und</strong> sichum se<strong>in</strong>en Machtvorposten zu kümmern.Im <strong>in</strong>nersten Ende des <strong>Oslo</strong>fjordes gab es nebendem mittelalterlichen Handelsstädtchen auch e<strong>in</strong>ealte Burg auf e<strong>in</strong>er Landzunge, die Festung Akershusan der Bjørvika gegenüber von Alt-<strong>Oslo</strong>. DieseFestung war um 1300 unter dem norwegischenKönig Håkon V. entstanden. Später diente sie danndem dänischen König als Hof <strong>in</strong> Norwegen. Mit derNeugründung e<strong>in</strong>er Stadt unmittelbar nebenAkershus erreichte Christian IV. zwei Ziele. Die neueStadt vor der Festung konnte <strong>in</strong> die Verteidigungsanlagene<strong>in</strong>bezogen <strong>und</strong> so besser vor schwedischenAngriffen geschützt werden. Gleichzeitigkonnte der König se<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss auf die Stadt erhöhen.So nahm Christian IV. die Sache <strong>in</strong> die Hand<strong>und</strong> bestimmte, wo <strong>und</strong> wie neu gebaut werdensollte. Sowohl am Christiania torv wie auf demStortorv f<strong>in</strong>den sich Denkmäler, die den vielzitiertenAusspruch „hier soll die Stadt liegen“ (her skal byenligge) illustrieren. Konzipiert wurde e<strong>in</strong> Schachbrettmuster,mit sechs Nord-Süd-Straßen (se<strong>in</strong>erzeit„stræder“ genannt) <strong>und</strong> sechs Ost-West-Straßen(„gader“ genannt) <strong>in</strong> e<strong>in</strong>heitlicher Breite. In <strong>Oslo</strong>heißt dieser Bereich heute „Kvadraturen“. Er warim Norden durch den Ostabschnitt der heutigenKarl-Johans-Gate begrenzt. Im Stadtplan ist dieseKeimzelle des neuen <strong>Oslo</strong> unschwer zu erkennen.Für die Häuser bestand Baupflicht aus Ste<strong>in</strong>. Holzhäuserwaren nicht länger zugelassen. Das warnicht nur repräsentativer, sondern sollte vor allemdie Brandgefahr reduzieren. Das besondere Engagementdes Königs schlug sich auch <strong>in</strong> der Namensgebungfür die Neugründung nieder. Die Neue Stadtwurde „Christiania“ genannt.Bis 1814 war Christiania der dänische Vorposten <strong>in</strong>


Norden 16 <strong>Stadtwachstum</strong> <strong>und</strong> <strong>Stadtumbau</strong> <strong>in</strong> <strong>Oslo</strong>. 167Norwegen, von dem aus das Land verwaltet wurde.Gleichzeitig hatte die Stadt e<strong>in</strong>e gewisse wirtschaftlicheBedeutung als Exporthafen für Holz,weshalb im Bereich Bjørvika zunehmend Land aufgeschüttetwurde, um dort Hafenanlagen zu errichten.Im 17. <strong>und</strong> 18. Jahrh<strong>und</strong>ert entstanden proto<strong>in</strong>dustrielleProduktionsbetriebe (Mühlen, Sägemühlen,Papierfabriken, Brauereien, Werften). Damithatte es aber auch se<strong>in</strong> Bewenden. Für Kunst,Kultur <strong>und</strong> Wissenschaft war kaum Platz. Der wichtigstezentrale Ort für Norwegen war die dänischeHauptstadt Kopenhagen. Dort hatten Staat <strong>und</strong> Kircheihre Machtbasis, dort wurde die Beamtenschaftausgebildet, <strong>und</strong> dort gab es im 17. <strong>und</strong> 18. Jahrh<strong>und</strong>erte<strong>in</strong> reiches kulturelles Leben. Christianiah<strong>in</strong>gegen war Prov<strong>in</strong>z. Angesichts dieser Kolonialsituationgibt es <strong>in</strong> <strong>Oslo</strong> auch ke<strong>in</strong>e herausragendenBeispiele für Bau- <strong>und</strong> Kulturdenkmäler aus derdänischen Zeit. Die markantesten Gebäude aus derdänischen Epoche s<strong>in</strong>d die im Stile nordischer Renaissanceumgebaute Festung Akershus (mit demPrunksaal „Christian 4.s sal“) <strong>und</strong> der 1697 e<strong>in</strong>geweihteDom (<strong>Oslo</strong> domkirke).1814 ist für die moderne norwegische Nation <strong>und</strong>die Entwicklung der Stadt <strong>Oslo</strong> e<strong>in</strong> Schlüsseljahr.Dänemark gehörte zu den Verlierern bei den napoleonischenKriegen, <strong>und</strong> bei der europäischen Neuordnungauf dem Wiener Kongress wurde Norwegendem schwedischen Königreich zugeschlagen.Die Wirren dieser Transformationsphase nutzte diezu Beg<strong>in</strong>n des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts erstarkte Unabhängigkeitsbewegung<strong>in</strong> Norwegen durch die Schaffungeigener Fakten. Zeitgleich mit dem WienerKongress setzte sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Herrenhaus <strong>in</strong>Eidsvoll - d. h. auf dem Lande etwa 50 km nördlichder Hauptstadt - e<strong>in</strong>e Gruppe von Oberschichtaktivistenzusammen, die e<strong>in</strong>e Verfassung (Gr<strong>und</strong>lov)schrieb <strong>und</strong> die norwegische Unabhängigkeiterklärte. Damit gab es zwei konkurrierende Rechtstatbestände,nämlich die Angliederung der dänischenKolonie Norwegen an Schweden <strong>und</strong> dieNorwegische Unabhängigkeit. Kurzfristig standendie Zeichen auf Krieg zwischen Norwegen <strong>und</strong>Schweden, doch dann fand sich e<strong>in</strong> Kompromiss.Norwegen erhielt e<strong>in</strong>e Teilautonomie. Es wurde <strong>in</strong>nenpolitischselbstständig <strong>und</strong> außenpolitisch vonSchweden verwaltet. Damit war Norwegen von e<strong>in</strong>erKolonie zum Juniorpartner <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Doppelmonarchieaufgestiegen. Christiania erhielt e<strong>in</strong>eneue Rolle: „Hauptstadt“, <strong>und</strong> damit bekam dieStadtentwicklung im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert vollkommenneue Impulse, die das Weichbild der Stadt entscheidendgeprägt haben.Doch bevor nun auf die Stadtentwicklung der nächstenJahre e<strong>in</strong>gegangen wird, muss man noch e<strong>in</strong>malauf die vorangegange Phase e<strong>in</strong>gehen, die zwarformal abgeschlossen war, aber unterschwelligweiter wirkte. Für das norwegische Selbstverständniss<strong>in</strong>d die Jahre der dänischen Kolonialzeit bisheute e<strong>in</strong> Thema. Die damals lebenden Menschenrichteten sich e<strong>in</strong> zwischen Unterordnung <strong>und</strong> Integration.Letzteres galt besonders für die dünneOberschicht.Spätere Generationen suchten ihre Identität vor allemim Absetzen von der dänischen Periode <strong>und</strong>dem Aufzeigen e<strong>in</strong>er längeren L<strong>in</strong>ie eigenständigernorwegischer Kultur <strong>und</strong> Kont<strong>in</strong>uität. Der ausgeprägteNationalromantismus der Norweger, denman auch <strong>in</strong> der ornamentischen <strong>und</strong> skulpturellenAusgestaltung von Gebäuden der Stadt wieder f<strong>in</strong>det,ist Ausdruck dieser Bemühungen. Die Namenswahl„Haakon VII.“ des ersten Königs nach der Unabhängigkeit1905 f<strong>in</strong>det dar<strong>in</strong> ihre Erklärung. Undauch die Umbenennung von Christiania zu <strong>Oslo</strong> zuBeg<strong>in</strong>n des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts <strong>und</strong> auch die jüngere<strong>in</strong>tensive über re<strong>in</strong> historische Forschung h<strong>in</strong>ausgehendeBeschäftigung mit Gamlebyen (=Alt-<strong>Oslo</strong>)passen zu diesem Reaktionsmuster. Wer das neuzeitliche<strong>Oslo</strong> verstehen will, muss das Bemühender Emanzipation von der dänischen Kolonialzeit<strong>und</strong> der Konstruktion e<strong>in</strong>er Norwegischen Nationals geistesgeschichtlichen H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> beachten.2.3 Hauptstadt1814 war Christiania also zur Hauptstadt geworden,aber dem 10.000 E<strong>in</strong>wohner zählenden Städtchenfehlte alles, was e<strong>in</strong>e Hauptstadt ausmachte. Deswegenstanden die folgenden Jahrzehnte ganz imZeichen der Hauptstadtwerdung. Die ersten nationalenInstitutionen Parlament, Staatsverwaltung,Universität waren zwar <strong>in</strong> Provisorien untergebracht,aber alle<strong>in</strong> ihre Existenz gab der Stadt schon e<strong>in</strong>enWachstumsschub. Zusätzlich zog auch verarmteLandbevölkerung <strong>in</strong> der Hoffnung auf bessere Lebensbed<strong>in</strong>gungen<strong>in</strong> die Stadt. So wuchs Christianiabis 1850 auf etwa 30.000 E<strong>in</strong>wohner an (40.000 imGebiet des heutigen <strong>Oslo</strong>).Die bauliche Entwicklung jener Jahre prägt das heutigeBild der Stadt ganz entscheidend. Vorentscheidenddafür war 1822 der Entschluss, e<strong>in</strong>Schloss zu bauen. 1825 wurde der Gr<strong>und</strong>ste<strong>in</strong> aufBellevuehøyden, e<strong>in</strong>em Hügel westlich der Stadt,gelegt. Die Fertigstellung des Schlosses zog sichallerd<strong>in</strong>gs aufgr<strong>und</strong> von Geldmangel bis 1848 h<strong>in</strong>,<strong>und</strong> da war es auch e<strong>in</strong>e gegenüber den ursprünglichenPlanungen abgespeckte Variante geworden.Das Schloss wurde mit der alten Stadt seit den1830er-Jahren über e<strong>in</strong>e breite, schnurgerade Straßeverb<strong>und</strong>en, die zunächst Slottsgate hieß <strong>und</strong>1852 nach dem damaligen Unionskönig <strong>in</strong> Karl-Johans-Gate umbenannt wurde. An dieser neuenStraße <strong>und</strong> deren engstem Umfeld stellte sich derneue norwegische Staat auf. Hier f<strong>in</strong>den sich dasParlament (erbaut 1861-66), die alte Universität(1841-54), das Nationaltheater (eröffnet 1899), alsBühne für das öffentliche Leben das Grand Hotel(eröffnet 1874, Neubau 1911-13), sowie weitere Bürgerhäuser.Se<strong>in</strong>en weitläufigen Charakter erhält dasEnsemble durch den Eidsvoll Plass, der ab 1846


168 J. Ar<strong>in</strong>g Norden 16als Park angelegt wurde. Funktional war <strong>Oslo</strong> alsoschnell <strong>in</strong> die neue Hauptstadtrolle h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>geschlüpft,doch städtebaulich bedurfte es fast e<strong>in</strong>es Jahrh<strong>und</strong>erts,um das heute das Stadtzentrum prägendeBild zu schaffen.Könnte man die Zeit auf etwa 1840 zurückstellen,dann böte sich dem Besucher folgendes Bild: DerBereich der Quadratur gliche e<strong>in</strong>em Landstädtchenmit e<strong>in</strong>- <strong>und</strong> zweigeschossigen Häusern aus Ste<strong>in</strong>(ähnlich den Straßenzügen im städtischen Teil desNorwegischen Folkemuseums auf Bygdøy). VomEgertorget, dem höchsten Punkt der Karl-Johans-Gate neben dem Stort<strong>in</strong>g, hätte man nach Westene<strong>in</strong>en Blick auf e<strong>in</strong> halbfertiges Schloss <strong>und</strong> weitereBaustellen, die die zukünftige Hauptstadt erahnenlassen. Im Bereich des heutigen Rathausesträfe man auf e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>teilige vorstädtische Wohnbebauung,<strong>in</strong> der Arbeiter der Werften an derPipervika leben. Ähnlich sähe es aus, wenn mandie Stadt nach Osten <strong>in</strong> Richtung Vaterland, Grønland<strong>und</strong> Unterlauf des Akerselv verlässt (d. h. denBereich nördlich des heutigen Zentralbahnhofs).Weil diese Gebiete bei ihrer Bebauung außerhalbder Stadtgrenzen lagen, herrschte ke<strong>in</strong> Zwang zumBauen <strong>in</strong> Ste<strong>in</strong>. Deswegen dom<strong>in</strong>ierte hier e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>facheHolzbebauung ohne stadtplanerisches Konzept.Damit ist der ganze bebaute Bereich der gut25.000 E<strong>in</strong>wohner zählenden Stadt beschrieben.2.4 Industrieller Aufbruch <strong>und</strong> StadtexpansionDen nächsten Entwicklungsschub erhielt die Stadtdurch die um 1850 e<strong>in</strong>setzende Industrialisierung,<strong>in</strong> der die Technologien aus England <strong>und</strong> Kont<strong>in</strong>entaleuropazum E<strong>in</strong>satz kamen. Zunächst mit Wasserkraft<strong>und</strong> dann auf Dampfmasch<strong>in</strong>enbasis entstanden<strong>und</strong> wuchsen Fabriken. Den Anfang machtedie Textil<strong>in</strong>dustrie, später folgte Eisen- <strong>und</strong> Metallverarbeitung,<strong>und</strong> ab 1880/90 kam die elektrotechnischeEnergie h<strong>in</strong>zu. Als Folge dieser neuen Ökonomiewuchs schon bis 1875 die Bevölkerung <strong>in</strong>Christiania <strong>und</strong> den kurz darauf e<strong>in</strong>geme<strong>in</strong>detenVorstädten auf etwa 100.000 E<strong>in</strong>wohner, bis 1900auf etwa 230.000 E<strong>in</strong>wohner an. Dass Christianiazum Ausgangspunkt der Industrialisierung <strong>in</strong> Norwegenwurde, hat e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>fachen Gr<strong>und</strong>. Als größteStadt des Landes mit e<strong>in</strong>em vergleichsweise dichtbesiedelten landwirtschaftlichen Umland war hierder Markt für Industrieprodukte am größten. Gleichzeitigwar <strong>in</strong> der Hauptstadt h<strong>in</strong>reichend Investitionskapitalverfügbar. Die neuen Industriebetriebe ließensich entlang des Akerselv nieder, wo schon dasproto<strong>in</strong>dustrielle Gewerbe die Wasserkraft als Energiequellegenutzt hatte. Heute kann man entlangdes Akerselv die <strong>in</strong>dustrielle Keimzelle Norwegensmit ihrer Industriearchitektur erwandern. Am Oberlaufdes Flusses (Kjelsåsveien 143) wurde 1986 derNeubau des Norwegischen Technischen Museumseröffnet, <strong>in</strong> dem auch die Industriegeschichte amAkerselv gezeigt wird.Mit der Industrialisierung wurde Christiania auchmehr <strong>und</strong> mehr zu e<strong>in</strong>er Handelsstadt. Der traditionelleHolzexport hatte zwar an Bedeutung verloren,doch für die Industrien mussten die Rohstoff-, Zuliefer-<strong>und</strong> Absatzmärkte erschlossen werden.Deswegen entstanden zeitgleich auch vermehrtGroßhandelsunternehmen, die zusätzliche Arbeitsplätzeschufen <strong>und</strong> Kontorgebäude <strong>in</strong> der Stadt benötigten.Gleichzeitig wurden die Hafenanlagen erweitert,<strong>in</strong>dem Bjørvika Bispevika ausgebaut <strong>und</strong>Pivervika (vor dem heutigen Rathaus) dem Hafenzugeschlagen wurde. In diesem Rahmen begannab 1854 Akers mekaniske Verksted, die bis dah<strong>in</strong>am Akerselv kle<strong>in</strong>ere Masch<strong>in</strong>en <strong>und</strong> Pumpen hergestellthatte, mit der Produktion <strong>und</strong> Reparatur vonSchiffen. 128 Jahre später wurde der Betrieb e<strong>in</strong>gestellt<strong>und</strong> die ehemaligen Werkstatthallen <strong>in</strong> denneuen Büro-, Geschäfts-, Freizeit- <strong>und</strong> WohnkomplexAker Brygge <strong>in</strong>tegriert.Etwa zeitgleich mit dem Ausbau der Hafen- <strong>und</strong>Seeverb<strong>in</strong>dungen wurde landseitig die Verkehrs<strong>in</strong>frastrukturausgebaut. 1854 bestand Norwegenserste Eisenbahnverb<strong>in</strong>dung zwischen <strong>Oslo</strong> <strong>und</strong>Eidsvoll. Bezeichnenderweise wurden <strong>in</strong> Norwegenmit der Bahn zunächst nicht Städte verb<strong>und</strong>en, sonderne<strong>in</strong> landwirtschaftlich geprägter Produktions<strong>und</strong>Absatzraum erschlossen. In den Folgejahrenkamen weitere Strecken h<strong>in</strong>zu (Drammensbanen1872, Østfoldbanen 1879, Gjøvikbanen 1900), wodurchdie Erreichbarkeit der Hauptstadt weiter verbessertwurde. Christiania wurde bahntechnischzum Knoten zwischen dem Ausland (Schweden,Dänemark, Deutschland) <strong>und</strong> dem nationalen H<strong>in</strong>terland.Aus städtebaulichen <strong>und</strong> bahntechnischenGründen waren bis 1980 das Ostnetz (Østfold,Ostnorwegische Täler, Trondheim) <strong>und</strong> das Westnetz(Vestfold, Sørland, Hall<strong>in</strong>gdal, Bergen) getrennt.Erst dann wurden die beiden Netze mit e<strong>in</strong>emTunnel verb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> neben dem alten Ostbahnhofder neue Zentralbahnhof etabliert. Für <strong>Oslo</strong>war der Ostbahnhof immer der wichtigere Bahnhof.Als Standort wählte man bewusst e<strong>in</strong>en Ort,der günstig zum Stadtzentrum <strong>und</strong> zum Hafen ander Bjørvika lag, nämlich die Aufschüttungsflächenunmittelbar östlich der Kvadratur am unteren Endeder Karl-Johans-Gate. Das BahnhofsgebäudeØstbanehallen, das um 1880 e<strong>in</strong>en älteren Vorläuferbauersetzte, wird heute als Markthalle genutzt,die jedoch mit dem neuen Zentralbahnhofverb<strong>und</strong>en ist.Mit dem enormen Bevölkerungswachstum <strong>in</strong> derzweiten Hälfte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts entstand e<strong>in</strong>riesiger Wohnungsbedarf. Im Osten der Stadt,rechts <strong>und</strong> l<strong>in</strong>ks der Industrieachse am Akerselv,wuchsen Stadtteile mit Mietwohnungsblöcken. Soweitdie Gebäude im Stadtgebiet lagen, waren dieHäuser aus Ste<strong>in</strong> mit Decken <strong>und</strong> nichttragendenWänden aus Holzbalken. Außerhalb des Stadtgebietes<strong>und</strong> damit außerhalb des Ste<strong>in</strong>bauzwangesentstanden Häuser aus Holz. Der heute bekann-


Norden 16 <strong>Stadtwachstum</strong> <strong>und</strong> <strong>Stadtumbau</strong> <strong>in</strong> <strong>Oslo</strong>. 169teste gründerzeitliche Stadtteil mit Mietskasernenist Grünerløkka östlich des Akerselv. Das Gebietlag zu Beg<strong>in</strong>n der Industrialisierung vor der Stadt<strong>und</strong> befand sich im Privateigentum (Hans Grüner).Teile wurden parzelliert <strong>und</strong> mit Holzhäusern bebaut,von denen es nur noch sehr wenige Restegibt. Nach der E<strong>in</strong>geme<strong>in</strong>dung 1858 wurde der nördlicheTeil vom Handelsmann Thorvald Meyer übernommen,der das Gebiet e<strong>in</strong>er geordneten Entwicklungzuführte <strong>und</strong> vermarktete. Meyer baute Straßenaus, gab Gr<strong>und</strong>stücke für Park, Kirche <strong>und</strong>Schule an die Kommune <strong>und</strong> ließ den Rest äußerstdicht bebauen. Nach wenigen Jahren lebten hier20.000 Menschen, zwar <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em städtisch geordnetenUmfeld, doch <strong>in</strong>sgesamt <strong>in</strong> beengten <strong>und</strong>schlechten Wohnverhältnissen. Schon <strong>in</strong> den1930er-Jahren gab es Vorschläge zur Sanierungdes Geländes (zeitgleich mit den Sanierungen imBereich des heutigen Rathauses), <strong>und</strong> <strong>in</strong> den1970er-Jahren sah die Stadtplanung den flächenhaftenAbriss vor. Die erste Teilsanierung wecktejedoch großen Widerstand bei der Bevölkerung, <strong>und</strong>so wurde e<strong>in</strong>e behutsame Stadterneuerung e<strong>in</strong>geleitet.Man erhielt die Blockrandbebauung <strong>und</strong> modernisiertedie Gebäude. Grünerløkka mutierte b<strong>in</strong>nenweniger Jahre zu e<strong>in</strong>em äußerst beliebtenStadtteil <strong>und</strong> wurde gentrifiziert.Den Gegenpol zu Grünerløkka bildet Homansbyenim Westen der Stadt (Inkognitogata, Ocars Gate),wo sich <strong>in</strong> der Nachbarschaft des Schlosses e<strong>in</strong>attraktives Villenquartier für wohlhabende Kaufleute,Industrielle <strong>und</strong> Staatsbeamte errichten ließ.Auch hier vollzogen sich Planung <strong>und</strong> Entwicklungdes Gebietes <strong>in</strong> privater Regie. Die Brüder Homannhatten die Fläche 1853 erworben <strong>und</strong> begannen1858 mit der Entwicklung e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>heitlichen Gebietesmit <strong>in</strong>dividuellen Villen. Die Häuser wurdenbis 1862 vom Architekten G. A. Bull entworfen,danach bis 1868 von anderen renommierten Architekten.Dabei hatten sie e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>heitlichen Planzu folgen, der dem Gebiet trotz aller Individualitäte<strong>in</strong>e für die damalige Zeit ungewöhnliche gestalterischeE<strong>in</strong>heitlichkeit gab. Die Pr<strong>in</strong>zipien privaterEntwicklung wirkten sich <strong>in</strong> diesem Falle sehr positivauf die Stadt aus. Trotz se<strong>in</strong>er Attraktivität <strong>und</strong>se<strong>in</strong>es städtebaulichen Wertes drohte dem Gebiet<strong>in</strong> den 1960er- <strong>und</strong> 1970er-Jahren mehrfach e<strong>in</strong>Ende. Geplant waren unter anderem Abrissezugunsten e<strong>in</strong>es verdichteten Wohnungsbaus sowiezur Schaffung e<strong>in</strong>er Durchgangsstraße.Schließlich wurde der Stadtteil jedoch 1978 unterDenkmalschutz gestellt. In den Folgejahren nahmdie Beliebtheit des Stadtteils wieder zu, <strong>und</strong> zwarsowohl für das Wohnen wie auch für Büros <strong>in</strong> ungenutztenVillen.Die beiden genannten Stadtentwicklungen - Grünerløkka<strong>und</strong> Homansbyen - bilden nur e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>enAusschnitt aus dem enormen Bauprogramm, dasdie Stadt seit etwa 1850 enorm rasch expandierenließ. Aber es s<strong>in</strong>d zwei bemerkens- <strong>und</strong> besuchenswerteStadtteile, die e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> das Christianiades späten 19. Jahrh<strong>und</strong>erts geben <strong>und</strong> gleichzeitigdie extreme soziale Polarisierung zwischen <strong>Oslo</strong>-Ost <strong>und</strong> <strong>Oslo</strong>-West illustrieren. Obwohl <strong>in</strong> Luftl<strong>in</strong>ienur etwa 2 km vone<strong>in</strong>ander entfernt, repräsentiertendie Stadtteile vollkommen unterschiedliche sozialeWelten - Wohlstand <strong>und</strong> Geräumigkeit im Westen,Armut <strong>und</strong> Enge im Osten. Auch <strong>in</strong> den nachfolgendenAusbauphasen „weiter draußen“, die durchdie Anlage der Straßenbahnen (Pferdebahnen ab1875, elektrische Bahnen ab 1894) <strong>und</strong> die Vorstadtbahnen(Holmenkollenbahn, zunächst mit Straßenbahnprofilab 1899) möglich wurden, blieb dasWest-Ost-Muster erhalten. Im Westen f<strong>in</strong>det sichdie Villenbebauung von Holmenkollen, während imOsten immer neue Arbeiterquartiere bis h<strong>in</strong> zu denGroßsiedlungen der 60er-Jahre entstanden. Undauch die ausländischen Zuwanderer ballen sichheute im Osten, z. B. <strong>in</strong> Grønland nordöstlich desHauptbahnhofs.2.5 Sozialdemokratisierung <strong>und</strong>WohlfahrtsstaatGegen Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts nahmen die Unstimmigkeitenzwischen Norwegen <strong>und</strong> Schwedenzu, <strong>und</strong> im Jahre 1905 wurde schließlich die Unionmit Schweden aufgelöst. E<strong>in</strong> armes, aber nationalbewusstesLandes, das mehr <strong>und</strong> mehr zur fordistischenIndustrienation wurde <strong>und</strong> die Industriegesellschaftpolitisch gestalten musste, bildete denRahmen für die Stadtentwicklung der nächsten Jahrzehnte.E<strong>in</strong>erseits hielten die Industrialisierung <strong>und</strong>der Zuzug vom Lande <strong>in</strong> die Stadt an. Andererseitsprägten die Arbeiterbewegung <strong>und</strong> soziale Reformendie gesellschaftliche Entwicklung der erstenJahrzehnte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts.Der Selbstf<strong>in</strong>dungsprozess der jungen norwegischenNation markierte sich auch im Bemühen, historischeKont<strong>in</strong>uitäten <strong>in</strong>s Mittelalter <strong>und</strong> die Wik<strong>in</strong>gerzeitaufzuzeigen. In diesem S<strong>in</strong>ne wurde 1925Christiania <strong>in</strong> <strong>Oslo</strong> umbenannt oder <strong>in</strong> der norwegischenLesart rückbenannt. Dazu gehört auch dierückbezügliche ornamentale <strong>und</strong> skulpturale Ausschmückungmoderner Gebäude, wie z. B. des Rathauses.Städtebaulich schlugen sich die neuen Herausforderungen<strong>in</strong> umfassenden Wohnungsbauprogrammennieder, wobei sowohl der Neubau am Stadtrand(auch außerhalb der kommunalen Grenzen)wie auch die Sanierung von Slums <strong>und</strong> Schlichtwohngebietenangegangen wurden. Mengenmäßigdom<strong>in</strong>ierte zwar die Entwicklung am Stadtrand, dennfast das gesamte Bevölkerungswachstum <strong>Oslo</strong>s <strong>in</strong>der ersten Hälfte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts konzentriertesich auf die Kragenkommune Akershus, die dann1948 vollständig e<strong>in</strong>geme<strong>in</strong>det wurde. Aber für dieStadtentwicklung waren auch die Sanierung desheutigen Rathausbereiches <strong>und</strong> der Bau von politischen<strong>und</strong> kulturellen Gebäuden der Arbeiterschaft


170 J. Ar<strong>in</strong>g Norden 16im Bereich Torggata/Youngtorget von Bedeutung.Aufgr<strong>und</strong> der öffentlichen Armut, der wirtschaftlichenDepression der 30er-Jahre <strong>und</strong> der Besatzung <strong>in</strong>den Kriegsjahren zogen sich viele Entwicklungen,die schon um 1920 geplant waren, bis <strong>in</strong> die 1950er<strong>und</strong>frühen 1960er-Jahre h<strong>in</strong>. Die Sanierung desBereichs Pipervika/Rathaus ist hierfür e<strong>in</strong> gutes Beispiel.Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm der Staatmehr <strong>und</strong> mehr die Verantwortung für das Wohl desE<strong>in</strong>zelnen <strong>in</strong> der Gesellschaft. Unter der Führungder Arbeiderpartiet wurden die strengen wirtschaftlichenRestriktionen der Kriegsjahre zwar <strong>in</strong> den 50er-Jahren zurückgenommen, aber durch vielfältige Regulierungenwurde die Wirtschaft weiterh<strong>in</strong> <strong>in</strong>direktgesteuert. In Form von staatlichen Banken <strong>und</strong>Staatsbetrieben übernahm der Staat vielfach auchunternehmerische Aufgaben. Parallel wurde die norwegischeVariante des Wohlfahrtsstaates aufgebaut.Obwohl Norwegen im europäischen Vergleichweiterh<strong>in</strong> zu den ärmsten Ländern zählte, waren die50er- <strong>und</strong> 60er-Jahre von e<strong>in</strong>em stetigen Wirtschafts-<strong>und</strong> Wohlfahrtswachstum geprägt, das sichwiederum <strong>in</strong> politischer Stabilität <strong>und</strong> weitgehendergesellschaftlicher Zufriedenheit ausdrückte.Im Stadtbild von <strong>Oslo</strong> schlug sich die Aufbau- <strong>und</strong>Stabilisierungsphase <strong>in</strong> vielfältigen Neubauten fürstaatliche Behörden, staatstragenden Institutionen,Verbände <strong>und</strong> Hauptsitzen von Staatsbetrieben <strong>und</strong>Kulturbauten nieder. Im Halbkreis um die City – etwamarkiert durch den heutigen teils unterirdischenHenrik-Ibsen-R<strong>in</strong>g – entstanden die Neubauten derspäten 60er- <strong>und</strong> 70er-Jahre. Es dom<strong>in</strong>ierten großmaßstäbigeBauten mit viel Beton <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er ger<strong>in</strong>genSensibilität gegenüber den gewachsenen Stadtstrukturen(vgl. <strong>Exkursion</strong>sabschnitt 4). Wenn alleAbriss- <strong>und</strong> Neubauplanungen realisiert worden wären,sähe <strong>Oslo</strong> heute erheblich anders aus. AberGeldmangel <strong>und</strong> Widerstand aus der Bevölkerungließ manche großflächige Sanierungen scheitern<strong>und</strong> erzwang später kle<strong>in</strong>teiligere stadtverträglichereLösungen. Die bereits genannten BeispieleGrünerløkka <strong>und</strong> Homansbyen stehen für e<strong>in</strong> solchesUmdenken.2.6 Deregulierung <strong>und</strong> <strong>Stadtumbau</strong>In den späten 60er- <strong>und</strong> frühen 70er-Jahren stießdas Wirtschafts- <strong>und</strong> Gesellschaftsmodell der Nachkriegsjahrean Grenzen. Mit zunehmender Integrationder Wirtschaft <strong>in</strong> <strong>in</strong>ternationale Kontexte wurdeauch der Wettbewerb schärfer. Norwegens Handelsflotte,die Werft<strong>in</strong>dustrie <strong>und</strong> auch die verschiedenenenergiebasierten Gr<strong>und</strong>stoff<strong>in</strong>dustrien gerietenunter Konkurrenzdruck. Gleichzeitig verändertesich die Gesellschaft, z. B. durch die Studentenunruhen,Diskussionen über Frauenrechte, <strong>und</strong>natürlich auch die Friedens- <strong>und</strong> Umweltbewegung.Die Entwicklungsbed<strong>in</strong>gungen für Wirtschaft <strong>und</strong>Gesellschaft wandelten sich schnell <strong>und</strong> brachtendas bisherige Staats- <strong>und</strong> Wirtschaftssystem <strong>in</strong> dieDefensive. Fast zwei Jahrzehnte lang waren die E<strong>in</strong>wohnerzahlenvon <strong>Oslo</strong> rückläufig. Die Stadtschrumpfte auf etwa 450.000 E<strong>in</strong>wohner.So war <strong>Oslo</strong> Ende der 70er-Jahre im <strong>in</strong>ternationalenVergleich wenig attraktiv. E<strong>in</strong>erseits spürte manallerorten staatliche Regulierungen <strong>und</strong> Normierungen(z.B. bei der restriktiven Vergabe vonSchanklizenzen für Restaurants oder der ständigenPräsenz von Polizei <strong>in</strong> der abendlichen Fußgängerzone).Andererseits fehlte es an e<strong>in</strong>er nach vorneweisenden Vision. Das änderte sich aber gr<strong>und</strong>legendim Zuge der Deregulierung <strong>und</strong> Liberalisierungab 1982, die das Kreditwesen, Steuergesetze,Ladenschlusszeiten, Schanklizenzen u. a. m. berührte.Die neue politische Orientierung zog e<strong>in</strong>ene<strong>in</strong>zigartigen Konsum-, Gründer- <strong>und</strong> Bauboomnach sich <strong>und</strong> begünstigte im Raum <strong>Oslo</strong> die Transformationzur post<strong>in</strong>dustriellen Dienstleistungsökonomie.Seit Mitte der 80er-Jahre wächst die E<strong>in</strong>wohnerzahl<strong>in</strong> <strong>Oslo</strong> wieder <strong>und</strong> zwar <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ähnlichenTempo wie zur Zeit der Industrialisierung.Die Deregulierung <strong>und</strong> Liberalisierung wäre ohnee<strong>in</strong> neues Staatsverständnis kaum denkbar gewesen.Während der Staat <strong>in</strong> den Nachkriegsjahrzehnteneher e<strong>in</strong> distanziertes Verhältnis zur Privatwirtschaftpflegte <strong>und</strong> eher auf eigenes unternehmerischesHandeln setzte, wurde am Anfangder 80er-Jahre e<strong>in</strong> eher partnerschaftliches Verhältnisbetont. Für die städtische Planung lautet e<strong>in</strong>Credo nun PPP (public-private-partnership). ImZuge von Verhandlungsplanungen wurde auf öffentlicheVorgaben öfter verzichtet <strong>und</strong> stattdessen e<strong>in</strong>Aushandlungsprozess zwischen öffentlichen <strong>und</strong>privaten Interessen angestrebt. So entstand e<strong>in</strong>eneue Planungskultur. Mit der Implosion der ökonomischenBlase zu Ende der 80er-Jahre brach zwardas private Engagement kurzfristig vollständig e<strong>in</strong>,<strong>und</strong> es zeigten sich die Risiken des privatwirtschaftlichenEngagements, doch <strong>in</strong>zwischen haben sichdie Verhältnisse längst wieder stabilisiert.Die Transformation <strong>Oslo</strong>s <strong>in</strong> den letzten 25 Jahren,die aus e<strong>in</strong>er verschlafenen Stadt <strong>in</strong> der europäischenPeripherie e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>ternational wahrgenommeneMetropole machte, hat ihren baulichen Niedergang<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Vielzahl von Stadtentwicklungsprojekten<strong>und</strong> e<strong>in</strong>er umfassenden Hebung des Attraktivitäts-,E<strong>in</strong>kaufs- <strong>und</strong> Freizeitniveaus im ganzen <strong>in</strong>nerenBereich gef<strong>und</strong>en. Den Auftakt der vielenMaßnahmen machte das Vorzeigeprojekt der Yuppiezeit,das private waterfront-Development AkerBrygge. Aber dies wäre nur e<strong>in</strong> isoliertes Projektgeblieben, wenn nicht gleichzeitig erhebliche öffentlicheInvestitionen <strong>in</strong> Angriff genommen wordenwären. Zu nennen ist die Verlegung der Hauptverkehrsstraßen<strong>in</strong> Tunnellage <strong>und</strong> die Verknüpfungder westlichen <strong>und</strong> östlichen Bahnsysteme im Nahwieim Fernverkehr. Damit wurde die City e<strong>in</strong>erseitsentlastet <strong>und</strong> andererseits besser erschlossen. Viele


Norden 16 <strong>Stadtwachstum</strong> <strong>und</strong> <strong>Stadtumbau</strong> <strong>in</strong> <strong>Oslo</strong>. 171private Aufwertungs- <strong>und</strong> Neubaumaßnahmen warendie Folge, was man besonders deutlich an derAusweitung <strong>und</strong> Differenzierung der E<strong>in</strong>zelhandels<strong>und</strong>Bürostandorte sieht. Hier s<strong>in</strong>d neue Zentren<strong>und</strong> Passagen entstanden <strong>und</strong> unter dem Wettbewerbsdruckist auch die Qualität im Bereich Karl-Johans-Gate wieder besser geworden. Weitere öffentlicheMaßnahmen haben zu e<strong>in</strong>er Renaissanceder Kvadratur-Keimzelle, der waterfront am Rathausplatz,dem Miljøpark am Akerselv <strong>und</strong> der Sanierungim Bereich Vaterland/Zentralbahnhof geführt.Ungeachtet mancher Kritik <strong>und</strong> e<strong>in</strong>igen Fehlern,die bei e<strong>in</strong>em so massiven Umbau nicht ausbleiben,hat sich <strong>Oslo</strong> im letzten Vierteljahrh<strong>und</strong>ertäußerst attraktiv entwickelt.3 <strong>Exkursion</strong>sroute3.1 Teilabschnitt 1: Schwerpunkt Überblicke/Akershus FestungWir beg<strong>in</strong>nen die <strong>Exkursion</strong> auf der Ostseite derAkershus-Halb<strong>in</strong>sel beim Astrup Fearnley Museet,um uns e<strong>in</strong>en ersten räumlichen Überblick verschaffen.Der Blick geht nach Osten über die Bjørvika,wo man am gegenüberliegenden Ekeberg die markanteviertürmige ehemalige Seemannsschulesieht. Etwas weiter l<strong>in</strong>ks, an der E<strong>in</strong>mündung e<strong>in</strong>eskle<strong>in</strong>en Flusses <strong>in</strong> die Björvika/Bispevika, lag dasmittelalterliche <strong>Oslo</strong> (Gamlebyen). Von unseremStandpunkt ist dieser Platz nur wenige Kilometerentfernt. Da die Strandl<strong>in</strong>ie vor 1000 Jahren etwa 5m höher als heute lag, waren der Weg von der Festung<strong>und</strong> die Bucht zum mittelalterlichen <strong>Oslo</strong> vielweiter als heute.Die Bucht Bjørvika/Bispevika ist das „traditionelle“Hafengebiet der Stadt <strong>Oslo</strong>. Die zentrumsnahenKaianlagen der Bjørvika dienen jedoch nicht längerals Frachtschiffhafen bzw. Warenumschlagplatz.Hier prägen heute Fährschiffe <strong>und</strong> im Sommer auchKreuzfahrtschiffe das Bild. Seit Jahren läuft <strong>in</strong> <strong>Oslo</strong>e<strong>in</strong>e Hafendebatte, bei der es um die Frage geht,ob sich der Hafen weiter aus den zentrumsnahenBereichen zurückziehen soll, um die Flächen für urbanestädtische Nutzungen zu gew<strong>in</strong>nen (vergleichbarder Entwicklung auf Aker Brygge). Bereits <strong>in</strong>den 80er Jahren wurden die l<strong>in</strong>ks von uns liegendenmarkanten Lagergebäude (erbaut 1916-20) <strong>in</strong>Büros umgewandelt. Zu dieser Diskussion passtauch der Beschluss aus dem Jahre 1999, am <strong>in</strong>nerstenEnde der Bjørvika <strong>in</strong> Bahnhofsnähe e<strong>in</strong>neues Opernhaus zu bauen. Viele Fragen der Umnutzungs<strong>in</strong>d aber noch offen.Unmittelbar vor unserem Standort fließt (oder steht)der Verkehr auf e<strong>in</strong>er mehrspurigen Autobahn, dierechter Hand <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Tunnel führt. Dies ist die E<strong>in</strong>fahrtzu e<strong>in</strong>em zentralen Verkehrsbauwerk aus der<strong>Stadtumbau</strong>phase der 80er- <strong>und</strong> 90er-Jahre. DerFestungstunnel ist e<strong>in</strong> zentraler Teil des mautf<strong>in</strong>anziertenStraßenausbauprogramms, das denAutoverkehr auf e<strong>in</strong>e weitgehend <strong>in</strong> Tunnellage geführteUferautobahn <strong>und</strong> drei R<strong>in</strong>ge konzentriert.Wir gehen nun durch die Myntgata, biegen l<strong>in</strong>ks <strong>in</strong>die Kirkegata e<strong>in</strong>, gehen an Verwaltungsgebäudendes „militärischen Teils“ von Akershus vorbei <strong>und</strong>biegen dann über e<strong>in</strong>en weitläufigen Platz nachrechts ab. E<strong>in</strong>e Brücke über die Kongensgate führt<strong>in</strong> die Festung Akershus, wo e<strong>in</strong>ige Museen (z. B.die Festung mit Renaissancesaal <strong>und</strong> das Widerstandsmuseum)auch den touristischen Besuch lohnen.Wir beschränken uns aber auf e<strong>in</strong>en R<strong>und</strong>gangdurch die Anlage. Dazu wenden wir uns aufdem Festungsgelände zunächst nach l<strong>in</strong>ks, wo wirdann auf den Bastionen ankommen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en hervorragendenBlick auf den <strong>Oslo</strong>fjord haben. Diebee<strong>in</strong>druckende Lage <strong>Oslo</strong>s am <strong>in</strong>nersten Ende desFjordes wird hier besonders gut deutlich. Wir gehennun weiter an der Außenseite der Festungsgebäudeentlang, e<strong>in</strong>en Weg bergauf durch e<strong>in</strong>enTorbogen <strong>und</strong> kommen wieder <strong>in</strong> den Innenbereich.Wir halten uns l<strong>in</strong>ks <strong>und</strong> kommen auf die nach Westenorientierten Bastionen. Hier verschaffen wir unserneut e<strong>in</strong>en umfangreicheren Lageüberblick.Die Bucht im Vordergr<strong>und</strong> heißt Pipervika. Das markantesteGebäude an der Bucht ist das zweitürmigeRathaus, mit dessen Bau der ganze Bereich derehemaligen Vorstadt <strong>und</strong> des Hafenquartiersflächensaniert wurde. H<strong>in</strong>ter dem Rathaus erstrecktsich die heutige City von <strong>Oslo</strong>, die <strong>in</strong> etwa durch dieRaute Zentralbahnhof - Akershus Festn<strong>in</strong>g - Schloss -St. Olavs-Plass begrenzt wird.Weit oben am Berg erkennen wir die Holmenkollen-Skisprungschanze. Fast bis zu dieser Höhe erstrecktsich die Wohnbebauung von <strong>Oslo</strong>. Die Entwicklungdieser höher gelegenen Gebiete - im Westeneher bürgerliche Villen, im Osten mehr Etagenwohnungsbauwurde ab Beg<strong>in</strong>n des 20. Jahrh<strong>und</strong>ertsdurch den Bau der Vorstadtbahnen ermöglicht.Bis 1948 lagen diese Gebiete aber noch weitvor der Stadt. Erst dann wurde die umgebendeLandkommune Aker e<strong>in</strong>geme<strong>in</strong>det. H<strong>in</strong>ter e<strong>in</strong>er L<strong>in</strong>ie,die <strong>in</strong> etwa durch die Schanze angedeutet wird,beg<strong>in</strong>nt die Nordmarka, e<strong>in</strong> weitläufiges Wald- <strong>und</strong>Seengebiet, das heute vor allem der Naherholungdient. E<strong>in</strong>e planerisch festgelegte „Markagrenze“trennt potenziellen Siedlungsraum vom Freiraum.Konzentrieren wir uns zum Schluss wieder auf denVordergr<strong>und</strong>. Auf der gegenüberliegenden Seite derPipervika liegt Aker Brygge, der <strong>in</strong> den 80er-Jahrenentstandene Büro-, E<strong>in</strong>kaufs-, Wohn- <strong>und</strong> Freizeit -komplex. Dort wird unsere <strong>Exkursion</strong> später enden.Markant hebt sich bei Aker Brygge die ehemaligeMasch<strong>in</strong>enhalle von den umgebenden Neubauten ab.


172 J. Ar<strong>in</strong>g Norden 16Abb. 2:Karte der <strong>Exkursion</strong> zum <strong>Stadtwachstum</strong> <strong>und</strong> <strong>Stadtumbau</strong> <strong>in</strong> <strong>Oslo</strong>Wir verlassen nun die Bastion <strong>und</strong> das Geländeder Festung Akershus über kle<strong>in</strong>ere Wege <strong>in</strong> RichtungInnenstadt <strong>und</strong> kommen auf die Rådhusgata,wo wir uns je nach gewähltem „Abstieg“ rechts oderl<strong>in</strong>ks halten müssen, um zum Christiania Torv zukommen. Zur Vorbereitung der nächsten Etappebietet es sich aber an, <strong>in</strong>nerhalb der FestungAkershus das Høymagas<strong>in</strong>et aufzusuchen. Hierkann e<strong>in</strong> Stadtmodell besichtigt werden, dasChristiania im 17./18. Jahrh<strong>und</strong>ert zeigt. Die Öffnungszeitender „Scheune“ s<strong>in</strong>d allerd<strong>in</strong>gs im Vergleichzu vielen Museen ziemlich e<strong>in</strong>geschränkt.3.2 Teilabschnitt 2: Schwerpunkt „Kvadratur“Unmittelbar nördlich an die Festung Akershusschließt die Stadtgründung des dänischen KönigsChristian IV. an, die an ihrem regelmäßigen, schach-


Norden 16 <strong>Stadtwachstum</strong> <strong>und</strong> <strong>Stadtumbau</strong> <strong>in</strong> <strong>Oslo</strong>. 173e<strong>in</strong>wärts. Wir kommen durch den Bereich der Kvadratur,der gegen Ende des 19 Jahrh<strong>und</strong>erts <strong>und</strong>im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert fast durchgehend neu <strong>und</strong> damitviel höher bebaut wurde. So hat das Stadtquartierim Vergleich zur Gründungszeit e<strong>in</strong>en baulichviel dichteren Charakter bekommen. An vielen Tagendes Jahres, wenn die Sonne niedrig steht <strong>und</strong>Regen <strong>und</strong> W<strong>in</strong>d durch die schnurgeraden Straßenpfeifen, macht das Quartier e<strong>in</strong>en ziemlich ungemütlichenE<strong>in</strong>druck. Wohl auch deshalb ist es imLaufe der Jahre zu e<strong>in</strong>er City-Randlage geworden.Erst durch die Entlastung vom Straßenverkehr dankder Tunnelführung der E18 <strong>und</strong> der städtebaulichenAufwertungsaktivitäten <strong>in</strong> den späten 80er- <strong>und</strong>90er-Jahren wurde das Gebiet wieder attraktiver.Im Bereich der Domkirke treffen wir auf die Karl-Johans-Gate, die hier ursprünglich anders hieß <strong>und</strong>den nördlichen Rand der Kvadratur markiert. Blickenwir nach rechts, die Straße h<strong>in</strong>unter, so sehenwir am Ende die Østbanehallen, das ehemaligeBahnhofsgebäude für die östlichen Bahnen (erbaut1882). Zur Zeit der Stadtgründung konnte man beidiesem Blick noch aufs Wasser der Bjørvika schauen.Wo heute der Bahnhof liegt, war früher Meer.Die Flächen wurden erst später aufgeschüttet. Östlichder Kvadratur f<strong>in</strong>det sich e<strong>in</strong>e Straße mit demNamen Strandgate. Dieser Name hatte durchause<strong>in</strong>mal se<strong>in</strong>e Berechtigung. Hier im <strong>in</strong>nersten Bereichder Björvika g<strong>in</strong>gen die Handelsschiffe vor Anker,die vor allem im Holzexport tätig waren.Wir kreuzen nun die Karl-Johans-Gate <strong>und</strong> machene<strong>in</strong>en Abstecher zur Domkirke <strong>und</strong> zum Stortor.Trotz der Bestimmungen zum Brandschutz (Ste<strong>in</strong>hauszwang<strong>und</strong> relativ breite, rechtw<strong>in</strong>klige Straßen)war die Stadt im 17. Jahrh<strong>und</strong>ert nicht vor Brändengefeit, aber sie waren nicht mehr ganz so verheerend.Nach e<strong>in</strong>em großen Stadtbrand 1686 wurdebeschlossen, die Kirche am Christiania Torv <strong>und</strong>e<strong>in</strong>ige weitere Gebäude unmittelbar vor den Festungsmauernvon Akershus nicht wieder aufzubauen.Stattdessen zog man e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en Bereichnördlich der Stadtwälle <strong>in</strong> das Stadtgebiet e<strong>in</strong> <strong>und</strong>verlagerte dorth<strong>in</strong> den Markt (Stortorvet) <strong>und</strong> dieHauptkirche des seit dem frühen Mittelalter bestehenden<strong>Oslo</strong>er Bistums. 1697 wurde die neueDomkirke e<strong>in</strong>geweiht, die verglichen mit den großenDomen, Münstern <strong>und</strong> Stadtkirchen <strong>in</strong> Mitteleuropakle<strong>in</strong> <strong>und</strong> unauffällig ist. In gewisser Weiserepräsentiert dieser Bau recht gut die bescheidenenf<strong>in</strong>anziellen Mittel, die <strong>in</strong> Norwegen zu Beg<strong>in</strong>ndes 18. Jahrh<strong>und</strong>erts für öffentliche Bauprojekte zurVerfügung standen. Vor dem Dom bef<strong>in</strong>det sich derStortorv, der sowohl <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Funktion als Marktplatzwie im H<strong>in</strong>blick auf se<strong>in</strong> städtebauliches Ersche<strong>in</strong>ungsbildabsolut unspektakulär ist. Trotzdemgehört e<strong>in</strong> Abstecher auf den Stortorv zum Kernprogramme<strong>in</strong>es R<strong>und</strong>gangs durch das historische<strong>Oslo</strong>, weil hier seit 1880 e<strong>in</strong> Denkmal des Stadtgründerssteht, an dem Generationen von Schülernlernen mussten, wer die Stadt auf welche WeibrettförmigenGr<strong>und</strong>riss im Stadtbild unschwer auszumachenist. Am heute Christiania Torv genanntenPlatz befand sich e<strong>in</strong> Zentrum der Stadt. Hierwar zunächst der Marktplatz (der dann 1736 zumheutigen Stortorvet verlegt wurde), hier war e<strong>in</strong> öffentlicherBrunnen, hier befand sich der Pranger,<strong>und</strong> am Platz stand e<strong>in</strong>e Kirche <strong>und</strong> steht noch daserste Rathaus (Nedre Slottsgate 1), an dessenWand die Jahreszahl 1641 festgehalten ist. Dasmarkanteste Gebäude des Platzes ist jedoch e<strong>in</strong>zweigeschossiges Ziegelste<strong>in</strong>gebäude mit Giebelverzierungenaus dem Jahre 1626 (Rådhusgata 19).Dieses Gebäude wird Garnisjonssykehuset genannt,weil es zwischenzeitlich als Militärkrankenhausdiente. Mit se<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>- <strong>und</strong> zweigeschossigenGebäuden gibt Christiania Torv e<strong>in</strong>en ganz passablenE<strong>in</strong>druck vom kle<strong>in</strong>städtischen Charakter <strong>Oslo</strong>sim 17. Jahrh<strong>und</strong>ert. Das moderne <strong>Oslo</strong> besann sicherst <strong>in</strong> der <strong>Stadtumbau</strong>phase der 80er- <strong>und</strong> 90er-Jahre des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts wieder auf den Bereichder Kvadratur <strong>und</strong> den ersten Marktplatz. In denJahrzehnten zuvor war die Kvadratur eher zu e<strong>in</strong>emdüsteren Cityrandbereich geworden <strong>und</strong> derChristiania Torv stark verkehrsbelastet. In den 90er-Jahren wurde der Bereich saniert <strong>und</strong> als historischwertvoller Raum für die Stadt zurückgewonnen. DasDenkmal „Der Handschuh von Christian IV.“ wurde1997 errichtet. Es er<strong>in</strong>nert an die Gründung Christianiasim Jahre 1624 <strong>und</strong> das persönliche Engagementdes Königs, dem der Satz „Hier soll die Stadtliegen“ zugeschrieben wird.Wir folgen der Rådhusgata stadtauswärts <strong>und</strong> biegenan der Kongens Gate rechts e<strong>in</strong>. Hier passierenwir e<strong>in</strong> Gebäude von 1640 (Kongens Gate 1),das später als Waisenhaus genutzt wurde. Nachwenigen Metern biegen wir l<strong>in</strong>ks e<strong>in</strong> <strong>und</strong> queren denBankplassen, an dem wir das erste Gebäude derNorwegischen Staatsbank (Bankplassen 3, von1828), den repräsentativen Erweiterungsbau(Bankplassen 4, erbaut 1899-1906), <strong>und</strong> den modernenNeubau (e<strong>in</strong>geweiht 1986) f<strong>in</strong>den. NorgesBank hatte ursprünglich se<strong>in</strong>en Hauptsitz <strong>in</strong> Trondheim.Die ersten Gebäude <strong>in</strong> <strong>Oslo</strong> beherbergten nurFilialen. Erst 1897 wurde der Hauptsitz nach <strong>Oslo</strong>verlegt. Am Bankplassen bef<strong>in</strong>det sich auch dastraditionsreiche Engebret Café (gegründet 1857).Wir gehen nun weiter um den modernen Block derNorwegischen Bank durch die Revierstredet <strong>und</strong>dann l<strong>in</strong>ks <strong>in</strong> die Dronn<strong>in</strong>gens Gate, <strong>und</strong> kommenso wieder auf die Rådhusgate, der wir wieder stadte<strong>in</strong>wärtsfolgen. Auf der nun rechten Straßenseitepassieren wir zwei alte Hofkomplexe. Das rote GebäudeGarmannsgården (Rådhusgata 7) war derHofkomplex e<strong>in</strong>es wohlhabenden Landkommissars,der das Haus 1647 übernahm <strong>und</strong> umbaute. Späterdiente es auch als Rathaus. E<strong>in</strong> weiteres <strong>in</strong>teressantesObjekt aus der Gründungszeit ist derStattholdergården (Ecke Rådhusgata/Kirkegate).Über die Kirkegate gehen wir nun weiter stadt-


174 J. Ar<strong>in</strong>g Norden 16se gegründet hat. Unmittelbar nördlich des Stortorvetverläuft e<strong>in</strong>e Straße mit Namen Grensen, dennhier befand sich für lange Zeit die Stadtgrenze. Nochum 1840 gab es nördlich des Marktplatzes nur e<strong>in</strong>eHäuserreihe, <strong>und</strong> dah<strong>in</strong>ter war man schon im Grünen.Wir kehren zurück auf die Karl-Johans-Gate, wendenuns nach rechts, <strong>und</strong> folgen der leicht aufwärtsführenden Straße. Am höchsten Punkt (Egertorget)verändert die Straße ger<strong>in</strong>gfügig die Richtung <strong>und</strong>ganz extrem ihren Charakter. Hier kommen wir <strong>in</strong>den Bereich der hauptstadtbed<strong>in</strong>gten Stadterweiterungdes 19. Jahrh<strong>und</strong>erts.3.3 Teilabschnitt 3: Schwerpunkt „Hauptstadt<strong>und</strong> Bürgerstadt“Der Blick vom Egertorget nach Westen zählt zu denbeliebtesten Postkartenmotiven <strong>in</strong> <strong>Oslo</strong>. Mit derwestlichen Karl-Johans-Gate haben wir die wichtigstestadtprägende Achse vor uns. Hier f<strong>in</strong>den sichdie Schlüsselgebäude der norwegischen Staatswerdungim 19. Jahrh<strong>und</strong>ert, das Parlament (Stort<strong>in</strong>g),die erste Universität Norwegens, das Nationaltheater,die Nationalgalerie (<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Querstraße) <strong>und</strong>das Königsschloss. Den Rahmen für diese zentralenGebäude bilden repräsentative Bürger- <strong>und</strong>Geschäftshäuser sowie Parks. Die städtebaulicheWirkung der Achse wird durch die Topographieunterstrichen. Vom Egertorget verläuft die Karl-Johans-Gate zunächst abwärts, um dann wiederanzusteigen. So wird das die Achse abschließendeSchloss besonders hervorgehoben. Für die Wirkungist die Standortwahl bedeutender als die Architekturselbst. Aber nicht nur städtebaulich sondern auchim Gebrauch ist die westliche Karl-Johans-Gate vonbesonderer Bedeutung. Mit den rot-weiß-blauen Nationalfahnengeschmückt dient sie als Paraderauman nationalen Festtagen (wie dem Nationalfeiertag17. Mai) oder bei Ehrungen (wie z. B. bei der Friedensnobelpreisverleihungim Dezember).Wir gehen nun weiter über die Karl-Johans-Gatezum E<strong>in</strong>gangsbereich des Parlamentsgebäudes(Stort<strong>in</strong>g), das auf se<strong>in</strong>er Schauseite ebenfalls dieHanglage zur städtebaulichen Hervorhebung ausnutzt.Das mit gelbem Ziegelste<strong>in</strong> verblendete Gebäudewurde 1861-1866 erbaut. Zuvor hatte dasParlament ke<strong>in</strong> eigenes Gebäude <strong>und</strong> musste alsGast an anderen Orten logieren, u. a. e<strong>in</strong>ige Jahreim Festsaal der Universität. Angesichts des zentralistischenStaatsaufbaus <strong>in</strong> <strong>Oslo</strong> hat das nationaleParlament e<strong>in</strong>en entscheidenden E<strong>in</strong>fluss auf dieInvestitionen <strong>und</strong> damit die Entwicklung <strong>in</strong> den Regionen.Damit der Blick für das Land <strong>und</strong> die Peripherienicht verloren geht, sitzen die Abgeordnetennicht nach Parteien gruppiert sondern nach Regionen.Durch diese Sitzordnung s<strong>in</strong>d die Regionenim Parlament implizit mit vertreten. Überparteilicheregionale Gruppenbildungen s<strong>in</strong>d bei Abstimmungenmit regionalen Wirkungen durchaus üblich.Vom E<strong>in</strong>gangsbereich des Stort<strong>in</strong>ggebäudes schautman auf den Eidsvoll Plass, der nach dem Ort benanntist, an dem 1814 das norwegische Gr<strong>und</strong>gesetzerarbeitet wurde. Wir gehen an der Südseitedes Platzes entlang <strong>und</strong> kommen über die Rosenkrantz-Gatezurück zur Karl-Johans-Gate, der wirweiter <strong>in</strong> Richtung Schloss folgen. Auf der rechtenSeite liegen bürgerliche Wohnhäuser <strong>und</strong> Geschäftshäuser.Besondere Aufmerksamkeit verdientdas Grandhotel, das im ausgehenden 19. Jahrh<strong>und</strong>erte<strong>in</strong> wichtiger Treffplatz der norwegischenKünstlerelite (u. a. Ibsen <strong>und</strong> Munch) war. In e<strong>in</strong>emgroßen Wandgemälde aus den 30er-Jahren wirdan diese Historie er<strong>in</strong>nert. Beachtenswert <strong>in</strong> diesemBereich der Karl-Johans-Gate ist auch das GeschäftszentrumPaleet, das Ende der 80er-Jahremit rekonstruierten Fassaden neu entstand. Wirwerden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em späteren Teil der <strong>Exkursion</strong> hiernoch e<strong>in</strong>mal vorbeikommen <strong>und</strong> den Bereich unterdem Blickw<strong>in</strong>kel des jüngsten <strong>Stadtumbau</strong>s betrachten.Auf der gegenüberliegenden Seite der Prachtstraßesetzt sich der Park des Eidvoll Plass fort. Die <strong>in</strong> den50er-Jahren e<strong>in</strong>gebauten Spiegelteiche werden<strong>in</strong>zwischen im W<strong>in</strong>ter als beleuchtete Eislaufflächenbenutzt <strong>und</strong> dienen so der Belebung der Innenstadt.Mit der Roald-Am<strong>und</strong>sens-Gate/Universitetsgatekreuzen wir e<strong>in</strong>e weitere <strong>in</strong>teressante Blickachse,die durch den Bau des Rathauses entstand. Aufdiese Achse <strong>und</strong> das Rathaus werden wir ebenfallsspäter zurückkommen. Weiter geht es über die Karl-Johans-Gate vorbei am Nationaltheather (eröffnet1899), <strong>in</strong> dessen Fries die Namen der drei großenNationaldichter Björnson, Holberg <strong>und</strong> Ibsen verewigts<strong>in</strong>d. Gegenüber liegt das im klassizistischenStil 1841-1851 erbaute Hauptgebäude der Universität(erbaut 1841-1851). Die alten Universitätsgebäudemit der später h<strong>in</strong>zugefügten Aula, die mite<strong>in</strong>em großen Wandgemälde von Edvard Munchausgeschmückt wurden, dienen heute der juristischenFakultät sowie Repräsentations- <strong>und</strong> Festzwecken.E<strong>in</strong>e neue heutige Universität wurde seitden 30er-Jahren als Campus „Bl<strong>in</strong>dern“ e<strong>in</strong>ige Kilometernördlich des Zentrums entwickelt.Nun biegen wir l<strong>in</strong>ks ab <strong>und</strong> queren den Platz zwischender Rückseite des Theaters <strong>und</strong> dem E<strong>in</strong>gangzur T-Bahn-Station „Nationalteatret“. Wir kreuzendie Stort<strong>in</strong>gsgata <strong>und</strong> halten uns rechts <strong>in</strong> RichtungDrammensveien. Wir biegen <strong>in</strong> die zweite Straßel<strong>in</strong>ks e<strong>in</strong>, den Ruseløkkveien. Nach wenigenMetern geht es rechts e<strong>in</strong>e Treppe hoch, <strong>und</strong> mankommt auf den Platz des 7. Juni, der nach demDatum der Unionsauflösung mit Schweden (7. 6.1905) benannt ist. Zurück über die Treppe schautman durch die Håkon-VII.-Gate, die im 20. Jahrh<strong>und</strong>ertim Kontext mit der Sanierung des QuartiersPipervika <strong>und</strong> des Rathausbaus angelegt wurde.Dabei entstand e<strong>in</strong>e neue Sichtachse zwischendem Schloss <strong>und</strong> der Festung Akershus.


Norden 16 <strong>Stadtwachstum</strong> <strong>und</strong> <strong>Stadtumbau</strong> <strong>in</strong> <strong>Oslo</strong>. 175Auf dem Platz des 7. Juni f<strong>in</strong>det sich e<strong>in</strong>e Statuedes Königs Håkon VII., des ersten norwegischenKönigs nach der Unionsauflösung mit Schweden.Da es nach der langen Phase der Abhängigkeit vonDänemark <strong>und</strong> Schweden ke<strong>in</strong>en norwegischenAdel mehr gab, wurde e<strong>in</strong> dänischer Pr<strong>in</strong>z auf dennorwegischen Thron gerufen. Er nahm den NamenHåkon VII. an, um die neue Nation <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e historischeKont<strong>in</strong>uität zu stellen. Der NamensvorgängerHåkon VI. war der letzte König Norwegens im Mittelalter<strong>und</strong> starb 1380. Obwohl der aus dem Auslandstammende neue König Zeit se<strong>in</strong>es Lebenske<strong>in</strong> richtiges Norwegisch sprach sondern Dänisch,hat er enorm viel zur nationalen Identitätsbildungbeigetragen. Größtes Ansehen erwarb er sich imZweiten Weltkrieg, als er im Gegensatz zum damaligendänischen König sich nicht den deutschenBesatzern unterwarf, sondern nach England <strong>in</strong>s Exilflüchtete <strong>und</strong> dort zum Symbol e<strong>in</strong>es freien Norwegenswurde. Das Denkmal auf dem Platz er<strong>in</strong>nertan die Rückkehr des Königs 1945 <strong>in</strong>s befreite Norwegen.Die Statue bildet den König <strong>in</strong> der Haltungab, <strong>in</strong> der er vorn auf dem Schiff stehend <strong>in</strong> denHafen von <strong>Oslo</strong> e<strong>in</strong>lief <strong>und</strong> dort mit Begeisterungempfangen wurde.Wir queren nun den Drammensveien, gehen durchden Park zurück zur Zentralachse <strong>und</strong> wenden unsdem Schloss zu. Auf der Anhöhe mit Blick auf dieStadt f<strong>in</strong>det sich das Reiterstandbild des UnionskönigsKarl-Johan, auf dessen Wunsch oder Anweisunges überhaupt zu e<strong>in</strong>em Schlossbau <strong>in</strong> <strong>Oslo</strong>kam <strong>und</strong> der auch entscheidend E<strong>in</strong>fluss auf denStandort nahm. Das Schloss wurde <strong>in</strong> den Jahren1825-1848 im Empirestil erbaut. Aus Geldmangelzog sich der Bau lange h<strong>in</strong> <strong>und</strong> fiel letztlich deutlichkle<strong>in</strong>er aus als ursprünglich geplant. Der erste König,der das Schloss nutzte, war der UnionskönigOscar I., Nachfolger von König Karl-Johan. DauerhafterWohnsitz des Königs wurde das Schloss erstnach der Unionsauflösung 1905. Wie die Karl-Johans-Gate hat auch das Schloss e<strong>in</strong>e besonderesymbolische Bedeutung. Vom Balkon des Schlossesbeobachtet die Königsfamilie jedes Jahr denFestumzug zum 17. Mai. Vor dem Schloss zeigtendie Norweger 1991 ihre Trauer nach dem Tod vonKönig Olav V., <strong>in</strong>dem sie tausende Kerzen <strong>und</strong> Blumenim Schnee des Schlossplatzes aufstellten.Damals waren sie über sich selbst erstaunt ob ihres„katholischen Verhaltens“ im nüchternen nordischenStaatsprotestantismus. Auf dem Balkon zeigtesich nach der Beerdigung auch der neue KönigHarald <strong>und</strong> Tausende sangen spontan die Nationalhymne„Ja, vi elsker dette landet“ („Ja, wir liebendieses Land“). Wie Deutschland <strong>und</strong> Italien zähltNorwegen zu den verspäteten Nationen des 19.Jahrh<strong>und</strong>erts. Angesichts se<strong>in</strong>er ger<strong>in</strong>gen Größemusste es aber weniger aggressive Formen f<strong>in</strong>den,um se<strong>in</strong> Bedürfnis nach Nationalismus zu befriedigen.Das macht den norwegischen Nationalismus<strong>und</strong> die Selbstzufriedenheit der Norweger erträglich,wenn nicht gar liebenswert.Am Schloss mit se<strong>in</strong>en Wachen geht es nun rechtsvorbei. Durch den Schlosspark kommt man zu denbürgerlichen Wohnbereichen, die <strong>in</strong> der zweitenHälfte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts entwickelt wurden. InUranienborg <strong>und</strong> Homansbyen f<strong>in</strong>den wir e<strong>in</strong>e vielseitigeVillenarchitektur, deren Attraktivität für Wohnenoder Büronutzung hoch ist. Wir queren denParkveien, gehen <strong>in</strong> die Riddervolds Gate <strong>und</strong> biegenrechts <strong>in</strong> die Incognitogata e<strong>in</strong>. Am Ende biegenwir l<strong>in</strong>ks <strong>in</strong> den Hegdehaugsveien e<strong>in</strong> <strong>und</strong> dannwieder rechts <strong>in</strong> die Josef<strong>in</strong>es Gate. Am Ende derStraße sehen wir das Bislett Stadion, das über Jahrzehntefür Sommer- <strong>und</strong> W<strong>in</strong>tersportwettkämpfegenutzt wurde. Seit 1988 ist das Stadion jedochaußer Betrieb. Vor dem Stadion wenden wir unsrechts auf die Pilestredet <strong>und</strong> gehen wieder stadte<strong>in</strong>wärts.3.4 Teilabschnitt 4: Schwerpunkt „Wohlfahrtsstaat<strong>und</strong> Fordismus nach 1950“Wir kommen nun <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en City-Randbereich, derwesentlich im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert bebaut, aber <strong>in</strong> derzweiten Hälfte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts entscheidendergänzt <strong>und</strong> überformt wurde. Hier stehen viele größereGebäude, <strong>in</strong> denen sich der Wohlfahrtstaat<strong>und</strong> die Führungsebene der fordistischen Industriegesellschaftmanifestiert haben. Man stößt beimR<strong>und</strong>gang auf Regierungsstellen, leitende <strong>und</strong>nachgeordnete Behörden, Verwaltungen vonStaatsbetrieben, öffentliche Wohnungsbaugesellschaften,Interessenverbände <strong>und</strong> e<strong>in</strong>ige großeHotels. Angesichts des Ersche<strong>in</strong>ungsbildes vielerGebäude könnte man diesen City-Randbereichauch als „Betonr<strong>in</strong>g“ bezeichnen.Dabei ist der Begriff „R<strong>in</strong>g“ allerd<strong>in</strong>gs etwas irreführend,weil man dabei an e<strong>in</strong>e große Erschliessungsstraßedenkt. E<strong>in</strong>en solchen nördlichen City-Rand-R<strong>in</strong>g hat es <strong>in</strong> <strong>Oslo</strong> bis <strong>in</strong> die jüngste Vergangenheitnicht gegeben, weil es ke<strong>in</strong>e zu schleifendenBefestigungsanlagen gab. Vielmehr ist die Stadtvom Zentrum aus tortenstückartig entwickelt worden<strong>und</strong> die Querverb<strong>in</strong>dungen zwischen den Quartierens<strong>in</strong>d eher zufälliger <strong>und</strong> nachgeordneter Natur.Erst mit den Straßenausbaumaßnahmen um1990 entstand mit den Henrik-Ibsen-R<strong>in</strong>g (= R<strong>in</strong>g 1)e<strong>in</strong> nördlicher Innenstadtr<strong>in</strong>g, der allerd<strong>in</strong>gs zu großenTeilen <strong>in</strong> Tunneln geführt wird. Insgesamt machtder nördliche City-Randbereich mit se<strong>in</strong>er funktionalenMischung aus Verwaltung, e<strong>in</strong>fachem Wohnen<strong>und</strong> neuen Verkehrsbauwerken e<strong>in</strong>en ausgesprochenunstrukturierten <strong>und</strong> oft unwirtlichen E<strong>in</strong>druck.Obwohl unmittelbar an die Laufmeilen derTouristen angrenzend, verirrt sich hierh<strong>in</strong> nur seltene<strong>in</strong> Besucher.Wir folgen der Pilestredet stadte<strong>in</strong>wärts <strong>und</strong> treffennach kurzer Strecke l<strong>in</strong>ks auf den Neubaukomplex„Högskolen i <strong>Oslo</strong>“. Dabei handelt es sich um e<strong>in</strong>eFachhochschule mit berufsorientierten Studiengän-


176 J. Ar<strong>in</strong>g Norden 16gen, z. B. Ges<strong>und</strong>heitswesen, Krankenpflege, Lehrerausbildung,Journalistik, Bibliothekswesen <strong>und</strong>Kommunalverwaltung. Bis <strong>in</strong> die 1980er-Jahre befandsich auf dem Gelände Frydenl<strong>und</strong>s Bryggeri,e<strong>in</strong>e der bekannten Brauereien <strong>Oslo</strong>s. Im Zuge derStandortkonversion wurde e<strong>in</strong> Teil der alten Brauereigebäudebewahrt <strong>und</strong> <strong>in</strong> den Neubaukomplex<strong>in</strong>tegriert.Es geht nun <strong>in</strong> den Komplex h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, <strong>und</strong> wir folgender Mittelachse abwärts <strong>in</strong> Richtung Stadt. Am unterenEnde erreicht man die Stensberggata, der manrechts folgt, wobei man wieder die Pilestredet quert.An der Wellhavens Gate geht es l<strong>in</strong>ks ab <strong>in</strong> RichtungHollbergs Plass <strong>und</strong> dann weiter durch dieTull<strong>in</strong>s Gate bis zur St. Olavs-Gate, wo sich e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>erPlatz auftut. Das Quartier wird überragt vomSAS-Hotel, das 1975 unter dem Namen Scand<strong>in</strong>aviaHotel als Norwegens größtes Hotel mit 967 Betteneröffnet wurde. Nach dem Architekturwettbewerb1969 kam es zu öffentlichen Diskussionenüber die städtebaulichen Auswirkungen des Hochhauses.Angesichts der Nähe zum Schloss <strong>und</strong> derkle<strong>in</strong>teiligen Baustruktur <strong>in</strong> der Umgebung wurdedie Höhe dann auf die gebauten 21 Etagen reduziert.Trotzdem sprengt das Objekt, das mit se<strong>in</strong>enSockelgebäuden e<strong>in</strong>en ganzen Block e<strong>in</strong>nimmt, diebis dah<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>teiligen Dimensionen des Quartiers.Der St. Olavs-Gate folgen wir nun l<strong>in</strong>ks <strong>und</strong> treffenauf die typischen City-Randbereichsstrukturen mitBürogebäuden, kle<strong>in</strong>en Geschäften <strong>in</strong> den Erdgeschosszonen<strong>und</strong> auch e<strong>in</strong>igen der vielen Freikirchen,auf die Hans Magnus Enzensberger <strong>in</strong> se<strong>in</strong>emEssay „Norwegische Anachronismen“ po<strong>in</strong>tierte<strong>in</strong>gegangen ist. An der Kreuzung der Pilestredettreffen wir auf den öffentlichen Adm<strong>in</strong>istrationskomplexSt. Olavs Kvartalet, der das Wahrnehmungsbildvom Betonr<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>drucksvoll bestätigt.Wir gehen an dem Komplex entlang bis zu se<strong>in</strong>erNordspitze <strong>und</strong> kommen auf den kle<strong>in</strong>en St. OlavsPlass. Hier ergeben sich verschiedene <strong>in</strong>teressanteBlickachsen. Aufwärts nach Nordosten <strong>und</strong> Nordwestenzeichnet sich der Übergang zu den anschließendenWohnquartieren ab. Abwärts nach Südenblickt man auf das Rathaus. Der Versuch, das Rathauswie das Schloss <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e markante Blickachsezu stellen, ist offensichtlich. Allerd<strong>in</strong>gs ist die Wirkungnicht so bee<strong>in</strong>druckend.Vom St. Olavs-Plass führt der Weg nun abwärtszwischen den Adm<strong>in</strong>istrationsgebäuden h<strong>in</strong>durch.Am Pilestredet wechseln wir noch die Straßenseite<strong>und</strong> halten uns dann l<strong>in</strong>ks Richtung Tunnel. An dieserStelle wird die Wirkung der Straßenbaumaßnahmender 90e-Jahre besonders gut deutlich.E<strong>in</strong>erseits entstand e<strong>in</strong> nördlicher Cityrandr<strong>in</strong>g,andererseits s<strong>in</strong>d aber gerade die E<strong>in</strong>fahrtbereichezu den Tunnelabschnitten extrem unwirtlich.Vor dem Tunnel biegen wir nun rechts <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>eFußgängerstraße e<strong>in</strong> <strong>und</strong> kommen dann auf denHambros Plass, e<strong>in</strong>en typischen Platz des City-Randbereiches. Hier fällt das wuchtige Gebäude„<strong>Oslo</strong> T<strong>in</strong>ghus“ auf, das <strong>in</strong> den Jahren 1992-1994entstand. Das Gebäude beherbergt Gerichtssäle<strong>und</strong> Justizverwaltungen sowie e<strong>in</strong>en Trauungssaal.Der Kontrast am Hambross Plass zwischen denkle<strong>in</strong>teiligen älteren Gebäuden <strong>und</strong> dem Neubaudes T<strong>in</strong>ghuset ist gewaltig, markiert aber ganz plastischden aktuellen Modernisierungsprozess <strong>in</strong> denRandbereichen der City.Durch die Apotekergata geht es nun zur Akersgata,wo wir l<strong>in</strong>ks abbiegen <strong>und</strong> zum Komplex„Regjer<strong>in</strong>gkvaratalet“ kommen, <strong>in</strong> dem die meistennorwegischen M<strong>in</strong>isterien lokalisiert s<strong>in</strong>d. DerGesamtkomplex entstand <strong>in</strong> fünf Bauabschnittenvon 1958 bis 1996 <strong>und</strong> stellt so e<strong>in</strong> Ensemble mitvier Jahrzehnten Architekturgeschichte dar (R11958 / R2 1970 / R3 1978 / R4 1988 / R5 1996). Zuden markantesten Objekten im Regierungsviertelzählt aus dem zweiten Bauabschnitt der 1970 erbauteY-Block, e<strong>in</strong> teilweise aufgeständertes viergeschossigesGebäude mit strenger vertikalerFassadengliederung. Typisch für die Architektur beiöffentlichen Gebäuden dieser Zeit ist die funktionaleTrennung der Auto- <strong>und</strong> Fußgängerebene, derBeton als dom<strong>in</strong>ierendes Baumaterial <strong>und</strong> der großflächigemoderne Wandschmuck (hier entworfenvon Pablo Picasso).Nördlich des Y-Blockes biegen wir noch vor der Kirchenach rechts ab <strong>und</strong> gehen e<strong>in</strong>e Treppe hoch<strong>und</strong> dann zwischen Y-Block <strong>und</strong> DeichmannscherBibliothek h<strong>in</strong>durch. Sie ist die bekannteste öffentlicheBibliothek <strong>Oslo</strong>s, die schon 1785 als Stiftungentstand. Das Gebäude stammt aus den 1930er-Jahren.In der Gubbegata biegen wir l<strong>in</strong>ks ab <strong>und</strong> verlassenzunächst den City-Randbereich mit se<strong>in</strong>er heterogenenStruktur <strong>und</strong> den vielfältigen Gebäudenaus der Hochzeit des Fordismus <strong>und</strong> des Wohlfahrtsstaates,zu der auch das äußerst schlichteObos-Gebäude (<strong>Oslo</strong>er Wohnungsbaugesellschaft)zählt, das wir hier passieren. Auf kurze Distanz verändertsich nun der E<strong>in</strong>druck von der Stadt, weil wir<strong>in</strong> den Bereich der <strong>in</strong>dustriellen Keimzelle der Stadt<strong>und</strong> der (ehemaligen) Arbeiterquartiere vorstoßen.3.5 Teilabschnitt 5: Schwerpunkt „Industrie<strong>und</strong>Arbeiterstadt“Entlang des Flusses Akerselv entstanden im19. Jahrh<strong>und</strong>ert viele Industriebetriebe. In unmittelbarerNähe des Flusses wuchsen rechts <strong>und</strong> l<strong>in</strong>ksdie Arbeiterquartiere hervor, so z. B. <strong>in</strong> Fredensborg<strong>und</strong> Grünerlökka.Wir gehen nun zunächst zügig durch Fredensborg.Dazu folgen wir der Gubbebgate bis zum Fredensborgveien,folgen diesem abwärts <strong>und</strong> biegen rechts<strong>in</strong> die Rosteds Gate e<strong>in</strong>. An der Hausmannsgategeht es kurz nach l<strong>in</strong>ks <strong>und</strong> dann sofort wiederrechts <strong>in</strong> den Brenneriveien, an dem Mitte des19. Jahrh<strong>und</strong>erts verschiedene Industriebetriebe la-


Norden 16 <strong>Stadtwachstum</strong> <strong>und</strong> <strong>Stadtumbau</strong> <strong>in</strong> <strong>Oslo</strong>. 177gen, u. a. Baumwollweberei, Masch<strong>in</strong>enbau <strong>und</strong>Brauerei. Vom Brenneriveien führt e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Wegnach rechts h<strong>in</strong>unter zum Akerselv. Es geht übere<strong>in</strong>e Fußgängerbrücke an ehemaligen Industriegebäudenvorbei, die heute für Kulturzwecke, Büros<strong>und</strong> Ausstellungen genutzt werden. Die demVerlauf des Flusses angepassten Industriegebäudewurden 1899 fertiggestellt <strong>und</strong> <strong>in</strong> den letzten Jahrenfür neue Nutzungen hergerichtet <strong>und</strong> renoviert.Der Akerselv <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Umgebung machen heutee<strong>in</strong>en angenehmen E<strong>in</strong>druck. Am Ufer kann manherrlich <strong>in</strong> Ruhe spazieren, im Fluss lassen sichwieder Fische fangen, <strong>und</strong> am Oberlauf gibt esBadeplätze. Das war zu Zeiten der Industrialisierungganz anders. B<strong>in</strong>nen weniger Jahrzehnte wurdeab etwa 1850 aus e<strong>in</strong>em sauberen Lachsflusse<strong>in</strong>e <strong>in</strong>dustrielle Abwasserkloake, die den Fischenke<strong>in</strong>en Lebensraum mehr ließ. Erst seit Ende der1970er Jahre konnte die Wasserqualität durch denBau von Kläranlagen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Reduktion derVerschmutzungen sukzessive verbessert werden.Ab den 1980er Jahren setzte man wieder Fische <strong>in</strong>den Fluss e<strong>in</strong>. Aber noch von 1987 bis 1990 wurden50 Gifte<strong>in</strong>träge <strong>in</strong> den Akerselv gezählt, <strong>und</strong>1990 starben nach e<strong>in</strong>er Schwefelsäureverunre<strong>in</strong>igungalle Fische im Fluss. Der ökologischeDurchbruch für den Akerselv kam erst zu Beg<strong>in</strong>nder 1990er-Jahre mit der E<strong>in</strong>richtung e<strong>in</strong>esUmweltparks (Akerselv Miljöpark). Zum Umweltparkzählt e<strong>in</strong> 200-600 m breiter Streifen entlang desFlusses. Im Zusammenspiel von Behörden, Umweltorganisationen<strong>und</strong> Betrieben wurde die ökologischeQualität <strong>und</strong> der Erholungswert massiv verbessert.So konnte das ganze Areal zu e<strong>in</strong>em vieleKilometer langen Flusspark ausgebaut werden.Es geht nun flussaufwärts unter der Grünerbrua h<strong>in</strong>durch.Der Flussabschnitt oberhalb der Brückenennt sich Nedre Foss, d. h. Unterer Wasserfall.Hier entstand schon vor Jahrh<strong>und</strong>erten e<strong>in</strong>e ersteSägemühle, die die Wasserkraft ausnutzte.Insgesamt hat es am Fluss um 1820 <strong>in</strong>sgesamt 24solcher Anlagen gegeben. Nach 1850 wurde e<strong>in</strong>eSägemühle nach der anderen aufgegeben, <strong>und</strong>moderne Industrien nahmen den Platz e<strong>in</strong>. Dazuzählt z. B. der Industriebetrieb „Vulkan Jernstöberiog Mekaniske Verksted“ (1873), an dessen ehemaligemStandort auf der anderen Seite des Flussese<strong>in</strong> Gebäude für Konzerte, Ausstellungen <strong>und</strong>Theater entstand. Etwas weiter flussaufwärts, unmittelbarvor der úmot-Hängebrücke f<strong>in</strong>den sich dieGebäude der ehemaligen Segeltuchfabrik (1856).Christiania Seildugsfabrikk zählte um die Wendezum 20. Jahrh<strong>und</strong>ert mit etwa 1.000 Beschäftigtenzu den größten Industriebetrieben der Stadt. LangeZeit war die Fabrik nach dem Schloss das zweitgrößteGebäude der Stadt. Mit dem endgültigenNiedergang der gewerbsmäßigen Segelschifffahrtnach dem Zweiten Weltkrieg g<strong>in</strong>g die Nachfragenach Segeltuch zurück, sodass <strong>in</strong> den 1960er-Jahrendie Segeltuchfabrik ihren Betrieb e<strong>in</strong>stellenmusste. Mit der Kunsthochschule, die 2003 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>enNeubau neben der alten Fabrik e<strong>in</strong>gezogen ist,hat die post<strong>in</strong>dustrielle Umstrukturierung des Akerselv-Bandese<strong>in</strong>en weiteren Impuls erhalten.Von den umfangreichen Resten der IndustrieachseAkerselv haben wir auf dieser <strong>Exkursion</strong> nur e<strong>in</strong>enkle<strong>in</strong>en exemplarischen Teil gesehen. Man kannden Fluss viele Kilometer aufwärts wandern <strong>und</strong> sichso e<strong>in</strong>en umfassenden E<strong>in</strong>blick verschaffen. Wirverlassen hier aber den Fluss <strong>und</strong> wenden uns demehemaligen Industriearbeiterstadtteil Grünerlökkazu. Die Geschichte dieses Quartiers wurde bereitsim allgeme<strong>in</strong>en Teil des <strong>Exkursion</strong>sführers ausführlichbeschrieben, sodass nachfolgend nur e<strong>in</strong>e kurzeWegbeschreibung gegeben wird, die uns e<strong>in</strong>enE<strong>in</strong>druck von den ehemaligen Wohnverhältnissender Industriearbeiter <strong>und</strong> der Gentrifizierung derletzten Jahrzehnte vermittelt. In Grünerlökka gehenwir zunächst bis zur Hauptstraße, der Thorvald-Meyers-Gate. Im Gr<strong>und</strong>e können wir dieser Straßenun nach rechts stadte<strong>in</strong>wärts folgen, aber mankann auch um e<strong>in</strong>ige Blöcke gehen. An der KreuzungThorvald-Meyers-Gate/Nedre Gate können wirl<strong>in</strong>ks <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Block<strong>in</strong>nenbereich e<strong>in</strong>biegen. Hierkommen wir auf das Gelände der ehemaligen BrauereiSchou, die 1981 nach verschiedenen Fusionenaufgegeben wurde. Das Gelände wurde dann1982 bis 1988 für Büro- <strong>und</strong> Ausbildungsnutzungenumstrukturiert. Dabei wurde teils neugebaut <strong>und</strong>teils die alte Bausubstanz umgenutzt. Wir verlassendas Brauereigelände am Südtor durch das ehemaligeHaupttor, gehen e<strong>in</strong>ige Meter nach rechtsdie Thorvalds-Meyers-Gate aufwärts <strong>und</strong> biegendann l<strong>in</strong>ks <strong>in</strong> die Söndre Gate e<strong>in</strong>. Auf der AnkerBrua queren wir den Akerselv <strong>und</strong> verlassen Grünerlökka.Damit ist jedoch der Schwerpunkt „Industrie- <strong>und</strong>Arbeiterstadt“ noch nicht abgeschlossen. Wir gehennun nämlich nun geradewegs über die Torggatazunächst zum Arbeidersamfunnets Plass <strong>und</strong> dannweiter zum Youngstorget. In diesem Bereich derStadt hat sich das politische <strong>und</strong> kulturelle Zentrumder <strong>Oslo</strong>er Arbeiterklasse herausgebildet hat. In gewisserWeise f<strong>in</strong>det man hier die dritte politischeAchse der Stadt – neben der der Karl-Johans-Gate,an der sich der der Staat aufgestellt hat, <strong>und</strong> demBereich Fridjof-Nansens-Plass <strong>und</strong> Roald-Am<strong>und</strong>sens-Gate,an dem sich die Kommune <strong>in</strong> Szenegesetzt hat.Am Arbeidersamfunnets Plass f<strong>in</strong>det sich das Samfunnshuset(Haus der Gesellschaft), das man heuteschnell als schlichtes Allerweltsobjekt übersieht.Als es von 1934 bis 1941 für die <strong>Oslo</strong>er Arbeiterschafterbaut wurde, zählte es zu den modernsten<strong>und</strong> funktionalistischen Gebäuden <strong>in</strong> der Stadt.Anders als beim etwa zeitgleich konzipierten Rathauswurden hier ke<strong>in</strong>e nationalromantischen Elemente<strong>in</strong>tegriert <strong>und</strong> ke<strong>in</strong>e Ornamentik zugelassen.Das Samfunnshuset ist purer Funktionalismus imGeiste Le Corbusiers. Es beherbergte e<strong>in</strong>en Ver-


178 J. Ar<strong>in</strong>g Norden 16anstaltungssaal, Besprechungsräume <strong>und</strong> e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>o.Um diesen Kern s<strong>in</strong>d Büros, Geschäfte <strong>und</strong> Lokalegruppiert. Inzwischen ist die Zeit über dass KulturobjektSamfunnshuset h<strong>in</strong>weggegangen. Es passnicht zum Postfordismus. So wurde das Gebäude1997 von <strong>Oslo</strong> Arbeidersamfunn verkauft <strong>und</strong> zue<strong>in</strong>em gewöhnlichen Büro- <strong>und</strong> Geschäftsgebäude.Der Youngstorget wird auch als das „Wohnzimmer“der Arbeiterklasse bezeichnet. Hier hatte die norwegischeArbeiterpartei (Arbeiderpartiet) ihre Büros,die Zeitung der Arbeiterschaft (Arbeiderbladet)bis 1989 ihre Redaktion, die Gewerkschaften(Landsorganisasjon) ihren Hauptsitz, <strong>und</strong> hier befandsich bis 1959 das Volkstheater (Folketeatret),das nicht als Volksbühne sondern ursprünglich alsl<strong>in</strong>ke Alternative zum bürgerlichen Nationaltheaterzu sehen ist. Dom<strong>in</strong>iert wird der Youngstorget durchdas Folketeatret-Bygn<strong>in</strong>gen, <strong>in</strong> dem das Theater(heute die Oper), Büros <strong>und</strong> Geschäfte untergebrachts<strong>in</strong>d. Ursprünglich war im obersten Geschossauch e<strong>in</strong>e alkoholfreie Bar untergebracht, die sicherlichauch als ideologisches Symbol gedacht war.Das Volkstheater-Gebäude wurde Ende der 1930er-Jahren entworfen <strong>und</strong> 1958-1962 erbaut. Se<strong>in</strong>e politische<strong>und</strong> kulturelle Bedeutung für die Arbeiterklassehat der Youngstorget jedoch spätestens <strong>in</strong>den 80er-Jahren verloren. Die neo-liberale Wende,mit der auch <strong>in</strong> Norwegen der Übergang vomFordismus zum Postfordismus politisch flankiertwurde, hat <strong>in</strong> <strong>Oslo</strong> e<strong>in</strong>en strukturellen Umbruch e<strong>in</strong>geleitet,auf den im letzten <strong>Exkursion</strong>sabschnittnoch mehrfach h<strong>in</strong>gewiesen wird.Wir verlassen den Youngstorget durch die Passageim Volkstheater-Gebäude <strong>und</strong> gehen auf derStorgata nach l<strong>in</strong>ks <strong>und</strong> biegen kurz darauf rechts<strong>in</strong> die Brugata e<strong>in</strong>.3.6 Teilabschnitt 6: Schwerpunkt „Stadtsanierung<strong>und</strong> <strong>Stadtumbau</strong>“Im letzten Teil der <strong>Exkursion</strong> geht es wieder <strong>in</strong> dieCity. Während zum Beg<strong>in</strong>n der <strong>Exkursion</strong> derSchwerpunkt aber auf den frühen Phasen der Stadtentwicklunglag, steht nun der <strong>Stadtumbau</strong> im Focus.E<strong>in</strong>e Kehrseite e<strong>in</strong>es raschen <strong>Stadtwachstum</strong>ss<strong>in</strong>d städtebaulich ungeordnete Gebiete, wenn nichtgar Slums. E<strong>in</strong> Ergebnis des wirtschaftlichen Strukturwandelss<strong>in</strong>d dysfunktionale, untergenutzte Räume.Beides hat <strong>in</strong> <strong>Oslo</strong> an vielen Punkten zu Stadtsanierungs-<strong>und</strong> Umbaumaßnahmen geführt. Dasbegann bereits <strong>in</strong> den 1930er-Jahren im Bereichdes heutigen Rathauses. Es prägte jedoch vor allemdie Entwicklung der 1980er- <strong>und</strong> 1990er-Jahre.Aker Brygge <strong>und</strong> Vaterland s<strong>in</strong>d davon nur diebekanntesten Beispiele.In diesen Sanierungsbereich Vaterland führt nun die<strong>Exkursion</strong>sroute. Der Name des Stadtteils soll vomniederländischen „waterland“ stammen <strong>und</strong> daraufverweisen, dass hier e<strong>in</strong>mal das Meer bzw. feuchteUferbereiche lagen. 1839 wurde Vaterland zu <strong>Oslo</strong>e<strong>in</strong>geme<strong>in</strong>det <strong>und</strong> im Zuge der Industrialisierungrasch bebaut. Der funktionale Verfall setze nachdem Zweiten Weltkrieg e<strong>in</strong>. Während Grünerlökkaseit den 1970er-Jahren saniert <strong>und</strong> dann gentrifiziertwurde, entwickelten sich die Randbereiche von Vaterland<strong>und</strong> vor allem das dah<strong>in</strong>terliegende Grönlandzum Ausländerstadtteil. Hiervon gew<strong>in</strong>nt man schon<strong>in</strong> der kle<strong>in</strong>en Fußgängerstraße Brugata e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>druck.Das eigentliche Vaterland wurde aber seitMitte der 70er-Jahre schrittweise abgerissen <strong>und</strong>großmaßstäbig neu bebaut. Hier entstanden dasPostgirogebäude (1975), der Zentralbahnhof (ab1980), die Geschäftshaus <strong>Oslo</strong> City (1988), die Galeriezum Busbahnhof <strong>Oslo</strong> Galleri (1989), dieVeranstaltungshalle <strong>Oslo</strong> Spektrum (1990), dasHotelhochhaus Plaza (1990) <strong>und</strong> schließlich dasE<strong>in</strong>kaufszentrum Byporten am Bahnhof (1999).Wir gehen durch die Brugata <strong>und</strong> dann rechts <strong>in</strong>die Steners Gate. Der Weg führt um die VeranstaltungshalleSpectrum <strong>und</strong> dann e<strong>in</strong>e Ebene höher.Auf der Fußgängerebene machen wir e<strong>in</strong>en Abstecher<strong>in</strong> die Galleri <strong>Oslo</strong>. Der dadurch erreichbareBusbahnhof hat sich zwar funktional bewährt, dochdie Verkaufsräume der Galleri <strong>und</strong> auch die Büroswerden vom Markt nicht recht angenommen. Allerd<strong>in</strong>gskonnte durch den E<strong>in</strong>zug öffentlicher Verwaltungenzum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong>e gewisse Stabilisierung erreichtwerden. Vor dem E<strong>in</strong>gang der Galleri f<strong>in</strong>detman e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Bar mit dem bezeichnenden NamenCafe Fiasko. Auch so kann man Kritik an derStadtentwicklung ausdrücken. Von der Galleri gehtes über Fußgängerbrücken weiter zum Bahnhof.Wer möchte, kann von hier aus über e<strong>in</strong>e weitereFußgängerbrücke e<strong>in</strong>en Abstecher <strong>in</strong> das Geschäftshaus<strong>Oslo</strong> City machen. Ansonsten führt derWeg weiter durch den Zentralbahnhof auf denBahnhofsvorplatz.Wir gehen durch die Karl-Johans-Gate <strong>und</strong> biegenan der Dronn<strong>in</strong>gens-Gate rechts ab. Es geht weiterim Bogen um den Dom <strong>und</strong> dann auf Grensen, dieebenfalls e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>kaufsstraße ist. Am Prof.-Aschehougs-Plass folgen wir den Straßenbahnschienennach rechts <strong>in</strong> Pilestredet <strong>und</strong> kommennoch e<strong>in</strong>mal auf den Hambross Plass, wo wir schonvorher auf das T<strong>in</strong>ghuset aufmerksam wurden. DiesenPlatz sollten wir nun unter dem Thema <strong>Stadtumbau</strong>noch e<strong>in</strong>mal neu betrachten.Wir biegen <strong>in</strong> die Rosenkrantz Gate e<strong>in</strong> <strong>und</strong> dannrechts <strong>in</strong> Christian-IV.-Gate. Die nächste Querstraßeist die Universitetsgata, durch die wir auf dasRathaus blicken können. Das ist unser übernächstesZiel. An der Kreuzung mit der Karl-Johans-Gatesollte man aber noch e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>en kurzen Abstechernach l<strong>in</strong>ks machen. Hier f<strong>in</strong>det sich die E<strong>in</strong>kaufspassagePalleet. Der E<strong>in</strong>druck, hier e<strong>in</strong>e historischeFassade vor sich zu haben, täuscht. In den80er-Jahren wurden hier mehrere Häuser großflächigabgerissen <strong>und</strong> durch e<strong>in</strong>en Neubau ersetzt.Die Fassadenseite wurde jedoch kle<strong>in</strong>teilig im his-


Norden 16 <strong>Stadtwachstum</strong> <strong>und</strong> <strong>Stadtumbau</strong> <strong>in</strong> <strong>Oslo</strong>. 179torischen Stil nachempf<strong>und</strong>en. Beim Gang durchdie Passagen kann man den Unterschied zwischen<strong>in</strong>nerer Struktur <strong>und</strong> äußerem Ersche<strong>in</strong>ungsbilddeutlich erkennen.Wir gehen nun zurück zur Roald-Am<strong>und</strong>sens-Gate<strong>und</strong> dann <strong>in</strong> Richtung Rathaus. Schon unmittelbarh<strong>in</strong>ter der Stort<strong>in</strong>gsgata beg<strong>in</strong>nt der große SanierungsbereichPipervika, der von den 1920er- bis1960er-Jahren im Focus der Stadtentwicklungstand. Wie auch <strong>in</strong> Vaterland wurde hier e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>teiligeBebauung flächendeckend abgerissen <strong>und</strong>sukzessive durch e<strong>in</strong>en neuen Stadtraum mit Blockrandbebauungersetzt. Das Quartier wird vom Rathausdom<strong>in</strong>iert wird, aber man muss sich vor Augenhalten, dass auch die Roald-Am<strong>und</strong>sens-Gate,der Fridjof-Nansens-Platz, die Olav-V.-Gate, dieHaakon-VII.-Gate <strong>und</strong> die Dronn<strong>in</strong>g-Mauds-Gatezum Sanierungsbereich gehörten.Das Rathaus wurde 1950 nach e<strong>in</strong>er Projektierungs-<strong>und</strong> Bauzeit von nahezu 30 Jahren fertig gestellt.Es ist aus Beton gebaut <strong>und</strong> mit Ziegelste<strong>in</strong>verkleidet <strong>und</strong> umfasst etwa 40.000 qm Geschossfläche.Entsprechend se<strong>in</strong>er Funktion beherbergtes sowohl großzügige Repräsentationräume wieauch den Ratssaal <strong>und</strong> viele Büros. Die Idee fürdas heutige Rathaus stammt bereits aus den K<strong>in</strong>dertagendes 1905 unabhängig gewordenen Norwegens.Schon 1916 (!) wurde e<strong>in</strong> Architekturwettbewerbausgelobt, dessen Sieger Arneberg <strong>und</strong>Poulsen dann die Rathausplanung übertragen bekamen.Bis zum Baubeg<strong>in</strong>n <strong>in</strong> den 30er-Jahrenwurden die Pläne allerd<strong>in</strong>gs noch vielfach überarbeitet.Das Ersche<strong>in</strong>ungsbild des fertigen Rathauseslässt die unterschiedlichen Ansprüche deutlichwerden, die <strong>in</strong> dem jungen Staat an dieses repräsentativeBauprojekt <strong>in</strong> der Hauptstadt gestellt wurden.E<strong>in</strong>erseits sollte das Objekt modern se<strong>in</strong>.Schon beim Wettbewerb 1916 fiel hierfür e<strong>in</strong>e Vorentscheidungals e<strong>in</strong> konkurrierender Entwurf imStile des Historismus mit Z<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Turm nur aufden zweiten Platz kam. Beim letztlich gebautenRathaus repräsentieren aber die klaren kubischenFormen mit den beiden Türmen <strong>und</strong> dem flacherenZwischenbau deutlich e<strong>in</strong>e moderne Architekturauffassung.Insbesondere beim Blick von der Seeseitekommt dieser E<strong>in</strong>druck zum Tragen. Neben demAnspruch „modern“ zu se<strong>in</strong>, sollte das Gebäudeaber vor allem auch „norwegisch“ se<strong>in</strong>. Beim Versuch,zeitgenössische Architektur mit alten norwegischenStilelementen zu verknüpfen, hatte manbereits beim Aufbau der Jugendstilstadt úles<strong>und</strong>Erfahrungen gemacht. Und <strong>in</strong> ähnlicher Weise wurdebeim Rathaus die Moderne norwegisiert. So istdas Rathaus mit Skulpturen <strong>und</strong> Ornamenten geschmückt.Zum Fridjof-Nansens-Platz h<strong>in</strong> symbolisiertdas Gebäude sogar die norwegische Natur.Es wirkt wie e<strong>in</strong> Gebirge, aus dem e<strong>in</strong> Wasserfallherabstürzt <strong>und</strong> zu Tal fließt. Auch im Inneren spiegeltdie Ausschmückung des Rathauses die Ause<strong>in</strong>andersetzungmit der eigenen Nation <strong>in</strong> der erstenHälfte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts. E<strong>in</strong> Besuch desRathauses ist empfehlenswert, allerd<strong>in</strong>gs wenigerunter e<strong>in</strong>er kunstgeschichtlichen sondern unter e<strong>in</strong>erkulturgeschichtlichen Perspektive.Wir gehen nun auf die Seeseite des Rathauses <strong>und</strong>kommen auf den Rûdhusplassen <strong>und</strong> die davorliegendenKaianlagen mit Traditionsseglern <strong>und</strong>Ausflugschiffen. Lange Jahre ist der Platz bei weitemnicht so attraktiv gewesen. Zwischen Wasser<strong>und</strong> Rathaus verlief nämlich die E 18 als meistbefahreneDurchgangsstraße. Mit dem Ausbau desStraßenverkehrsnetzes <strong>in</strong> den 80er-Jahren verschwandder Autoverkehr im Tunnel. Damit konnteder Rathausplatz als attraktiver Stadtraum zurückgewonnenwerden. Gleichzeitig wurde die Hafengrenzeverlegt <strong>und</strong> das neue Stadtquartier AkerBrygge entwickelt.Wir gehen nun zu diesem Quartier, dessen Entstehungdurch die E<strong>in</strong>stellung der Werftaktivitäten vonAkers Mekaniske Werft 1982 möglich wurde. ImBauboom der 80er-Jahre (die Norweger sprechenimmer noch von der Yuppie-Zeit) wurde dann b<strong>in</strong>nenweniger Jahre e<strong>in</strong> neuer Stadtbereich mit Geschäften,Restaurants, Büros, Wohnungen <strong>und</strong>Kulture<strong>in</strong>richtungen erbaut. Die alten Werkstatthallenwurden <strong>in</strong> das Objekt <strong>in</strong>tegriert, <strong>und</strong> schon1985/86 wurden erste Teilabschnitte eröffnet. ImGegensatz zu dem zeitgleichen SanierungsvorhabenVaterland <strong>in</strong> öffentlicher Regie, wurde AkerBrygge privat geplant, entwickelt <strong>und</strong> vermarktet.Der konjunkturelle E<strong>in</strong>bruch am Ende der Yuppie-Jahre traf Aker Brygge aber genauso wie die öffentlichenVorhaben. Inzwischen ist das Quartieraber wirtschaftlich stabilisiert, doch e<strong>in</strong>e besondersattraktive E<strong>in</strong>kaufslage ist Aker Brygge nicht geworden.Ganz anders stellt sich die Freizeitqualität dar.Besonders im Sommer hat sich die Kail<strong>in</strong>ie desneuen Quartiers zu e<strong>in</strong>em äußerst beliebten Aufenthaltsraumfür Touristen <strong>und</strong> auch E<strong>in</strong>heimischeentwickelt. Von hier hat man e<strong>in</strong>en herrlichen Blickauf das Rathaus <strong>und</strong> Akershus Festn<strong>in</strong>g. So ist diee<strong>in</strong>st am Rande liegende Bucht Pipervika nun zue<strong>in</strong>em äußerst attraktiven stadtprägenden Raumder norwegischen Hauptstadt geworden. Mit diesemBlick endet die <strong>Exkursion</strong> durch die Innenbereichevon <strong>Oslo</strong>.


180 J. Ar<strong>in</strong>g Norden 164 Literatur<strong>ARING</strong>, J. & PRIEBS, A. (19..): Boom <strong>und</strong> Krise - Stadtentwicklung<strong>in</strong> <strong>Oslo</strong> 1980-1990. – Nordica II (= Schriftenreihe des AKNORDEN Bd. 10), S. 165-186.<strong>ARING</strong>, J. (1993): Der Mautr<strong>in</strong>g <strong>in</strong> <strong>Oslo</strong> - e<strong>in</strong>e Zwischenbilanz.– In: Internationales Verkehrswesen 7+8/1993, S. 411-413.ENZENSBERGER, H.-M. (1987): Norwegische Anachronismen.– In: Ach Europa. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt a. M., S. 235-314.GLÄßER, E., LINDEMANN, R. & VENZKE, J.-F. (Hrsg)(2003).: Nordeuropa. – Wissenschaftliche BuchgesellschaftDarmstadt, (dar<strong>in</strong>: S. 34 ff.)<strong>Oslo</strong> Byleksiko (2000). - Fjerde Utgave. Kunnskapsforlaget,<strong>Oslo</strong>.PETTERSEN, J. R. (2001): Bli kjent med <strong>Oslo</strong>. – Gyldendal-Verlag, <strong>Oslo</strong>.PRIEBS, A. (1994): Die Hafenanlagen <strong>in</strong> <strong>Oslo</strong>. – In: Die alteStadt 4/94, S. 300-317.TORSTENSON, J. F., METCLAF, M. F. & RASMUSSEN, T. F.(1985): Urbanization and Community Build<strong>in</strong>g <strong>in</strong> Modern Norway.– URBANA PRESS, <strong>Oslo</strong>.

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