Die Beste Zeit Nr 4.indd - Druckservice HP Nacke KG
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Tonfall, dem man das Vorherüberlegte<br />
anhörte, und so fordernd, dass es wie ein<br />
Befehl klang: »Gibt es auch noch etwas<br />
anderes als Kaffee und Bier!« »Ich schau<br />
mal«, sagte ich.<br />
Auf dem Weg zur Küche sah ich Holm in<br />
dem hinteren Zimmer auf dem Bett liegen,<br />
den Arm über das Gesicht gelegt. Im<br />
Kühlschrank fand ich kleine Flaschen mit<br />
roter Limonade, die ich den Mädchen<br />
mit Strohhalm servierte. Sie saßen ruhig<br />
auf ihren Stühlen. Es war, als würden sie<br />
so tun, als seien sie erwachsen; als würden<br />
sie es spielen, ohne es zu merken. Sie<br />
kicherten, als ich Holms Sonnenbrille<br />
aufsetzte, die viel zu groß war für mein<br />
Gesicht, und nachdem sie beide mit ihren<br />
Strohhalmen eine Weile auf den Böden<br />
der Limonadefl aschen herumgeschlürft<br />
hatten, sagte das kleinere Mädchen sehr<br />
laut: »Zahlen bitte!« »Ihr seid eingeladen«,<br />
sagte ich, und, weil ich mir nicht sicher<br />
war, ob sie wussten, was das hieß: »Ihr<br />
müsst nichts bezahlen.« Bevor sie gingen,<br />
fragte das kleinere Mädchen mich,<br />
ob sie die Flaschen behalten dürften. Ich<br />
nickte und sah ihnen hinterher, als sie,<br />
immer noch wie im Spiel, davongingen.<br />
Holm wachte seufzend auf. Er drehte sich<br />
weg von mir, zur Seite, ich legte mich<br />
neben ihn und presste mich an seinen<br />
Rücken. Es war kaum Platz und fast so,<br />
als müsse ich mich an Holm festhalten,<br />
um nicht herunterzufallen vom Bett. Ich<br />
atmete den süßlichen, dumpfen Geruch<br />
von Holms Schläfrigkeit ein, der sich vom<br />
Ansatz seiner Haare in die Kissen gelegt<br />
hatte, ich atmete tief, dann stand ich<br />
wieder auf und blieb stehen, vor seinem<br />
Bett, während Holm sich umdrehte, mich<br />
anschaute; er blieb liegen, er wusste überhaupt<br />
nicht, was er jetzt tun sollte oder<br />
sagen, das sah ich ihm an.<br />
Wir saßen weit voneinander entfernt an<br />
diesem Abend, und es war fast schon<br />
Nacht, wir saßen auf den Stühlen an den<br />
Tischen vor dem Laden. »Er springt über<br />
die Balkonbrüstung, als wäre das eine<br />
leichte Hürde«, sagte Holm. Im Laden<br />
brannte noch ein kleines Licht, ich trank<br />
rote Limonade. »Einfach so. Einfach<br />
so.« Holms Stimme war leise geworden.<br />
»Und das Schlimme daran war«, fuhr er<br />
fort, »oder vielleicht nicht das Schlimme,<br />
sondern einfach: der Punkt, dass man<br />
nicht verstanden hat, wann der Mann<br />
diese Entscheidung gefällt hat. Es war, als<br />
gäbe es diesen Moment gar nicht. Es war<br />
vielmehr so, als wäre ihm plötzlich etwas<br />
klar geworden. Wie eine Eingebung.« Er<br />
schwieg, dann sagte er noch: »Und das<br />
Schlimme, also das wirklich Schlimme an<br />
dem Film war, es war ein totaler Kitsch,<br />
am Ende schreibt der inzwischen erwachsene<br />
Sohn des Selbstmörders an seinen<br />
Adoptivvater, der übrigens der Bruder<br />
des Selbstmörders ist, eine Post karte, auf<br />
der steht: Du hattest recht, das Leben ist<br />
wirklich schön.«<br />
<strong>Die</strong> rote Limonade war bitter, sie<br />
schmeckte fast wie Campari. Im Nachhinein<br />
war ich erstaunt, dass die Nachbarschaftsmädchen<br />
sie so schnell ausgetrunken<br />
hatten. Ich meinte zu spüren,<br />
wie meine Zunge rauer wurde, bei jedem<br />
Schluck, ich meinte zu spüren, wie es<br />
Holm ging, wie er dort saß, mit seinen<br />
fettigen Haaren, seiner Müdigkeit, Holm,<br />
nie gut erholt, Holm, mit den dunklen<br />
Gedanken, und ich meinte zu wissen, was<br />
ich jetzt sagen sollte, aber er stand auf.<br />
»Du hast dir jetzt auch lang kein Geld<br />
mehr genommen «, sagte er. Er zog sein<br />
Portemonnaie aus der Hosentasche, und<br />
ich sah zu, wie er die Scheine auf den<br />
Tisch blätterte, Fünfziger, Zwanziger.<br />
»Das ist für dich«, sagte er, und als ich<br />
mich nicht bewegte, nahm er das Geld<br />
und reichte es mir. Und als ich mich immer<br />
noch nicht be wegte, kam er zu mir,<br />
packte meine Hand und drückte die<br />
Scheine hinein. »Das bekommst du«,<br />
sagte er. Er ließ meine Hand los, und wir<br />
sahen zu, wie sie ganz schlaff wurde und<br />
wie mein Arm hinuntersank und wie die<br />
Scheine zu Boden fi elen, zwischen unsere<br />
Füße, und wie sie dann, getrieben von<br />
einem leichten Wind, der ich weiß nicht<br />
woher kam, über den Bürgersteig wehten,<br />
bis auf die Höhe der Ladentür, und weiter,<br />
darüber hinaus.<br />
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