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Die Beste Zeit Nr 4.indd - Druckservice HP Nacke KG

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nahezu allen Bereichen stellt jedoch selbst<br />

die offenere, nicht allein auf den Beruf<br />

bezogene Frage nach dem, was man denn<br />

so macht, ein gefährliches Mienenfeld dar,<br />

drohen Jobverlust und Arbeitslosigkeit doch<br />

Menschen aller Schichten und Altersstufen.<br />

Mit der mangelnden fi nanziellen und<br />

gesellschaftlichen Anerkennung oder der<br />

intellektuellen Unterforderung der Tätigkeit,<br />

mit der man recht oder schlecht den<br />

Lebensunterhalt zu verdienen versucht, geht<br />

unweigerlich die Abwertung des eigenen<br />

berufl ichen Tuns durch das Allerweltswort<br />

„machen“ einher. Längst nicht mehr trifft es<br />

nur die sogenannte Generation Praktikum,<br />

die sich nach dem Abschluss des Studiums,<br />

das heute standardmäßig mit Auslandsaufenthalten<br />

und ersten Erfahrungen in der<br />

Praxis des angestrebten Berufs einhergeht,<br />

von einem unbezahlten Arbeitseinsatz zum<br />

anderen hangeln.<br />

Aus jener Generation der Endzwanziger<br />

stammen jedoch die Protagonisten des<br />

Erzählbandes „Gesichertes“ von Hanna<br />

Lemke, die in 18 kurzen Geschichten von<br />

mehr oder weniger fl üchtigen Begegnungen<br />

berichtet, wie sie etwa auf Partys, zwischen<br />

Mitbewohnern in Zweck-WGs und zufällig<br />

gemeinsam im Zug Reisenden typisch sind,<br />

deren Wege sich kreuzen und dann wieder<br />

auseinander gehen. Das Debüt der 1981 in<br />

Wuppertal geborenen Schriftstellerin trifft<br />

damit das Lebensgefühl von jungen Erwachsenen<br />

heutiger <strong>Zeit</strong> sehr genau, doch ist das<br />

Buch auch für ältere Leser spannend, die<br />

nicht gerade neugierig darauf sind, die Welt<br />

noch einmal mit den Augen jener zu sehen,<br />

welche den größten Teil des Lebens noch<br />

vor sich haben. Denn was Lemke in ihrer<br />

sehr klaren, konzentrierten Sprache wie im<br />

oben zitierten Dialog zu fassen vermag, betrifft<br />

letztlich Menschen jeden Alters: Im Fokus<br />

der teils nur wenige Seiten umfassenden<br />

„Stories“ steht die Auswirkung fehlender,<br />

unklarer oder gescheiterter Lebensentwürfe<br />

auf zwischenmenschliche Beziehungen. <strong>Die</strong><br />

Instabilität von Identitäten, Beziehungen,<br />

Arbeits- und Wohnverhältnissen ist zu Beginn<br />

der Erwachsenenlebens zwar besonders<br />

virulent – und ihrer vermeintlich größeren<br />

Freiheit wegen vielleicht auch (noch)<br />

gewollt, sie betrifft in einer sich dramatisch<br />

wandelnden Gesellschaft wie der unsrigen<br />

jedoch eine breite Leserschaft. <strong>Die</strong> Frage, ob<br />

es das jetzt gewesen ist, was man da eigent-<br />

lich macht, stellt sich nicht nur mit 25, und<br />

die Erkenntnis, dass die Designerküche mit<br />

Mann und Kind kein Garant für Glück ist,<br />

kann auch noch mit 45 kommen. Tatsächlich<br />

geht es in „Gesichertes“ um eine<br />

existenzielle Unsicherheit, die dem Leben<br />

grundsätzlich zu eigen ist, im funktionierenden<br />

Sozialstaat der letzten Jahrzehnte<br />

jedoch, zumindest in berufl icher Hinsicht,<br />

beinahe in Vergessenheit geriet.<br />

In wenigen Worten das Wesentliche zu<br />

sagen und dennoch einen starken erzählerischen<br />

Sog zu erzeugen, macht das große<br />

literarische Talent Hanna Lemkes aus.<br />

Dabei sind es die Zwischentöne, auf die sich<br />

Lemke so gut versteht, um das Verhältnis<br />

der Protagonisten zueinander präzise zu<br />

charakterisieren, ohne das Eigentliche je zu<br />

benennen. In der Tradition amerikanischer<br />

Kurzgeschichten stehend, sind die Geschichten<br />

wie beiläufi g aus dem Leben gegriffen,<br />

obwohl sie im höchsten Maße konstruiert<br />

sind. „Ich habe immer geglaubt, meine<br />

Geschichten seien nicht erzählenswert“, gibt<br />

Lemke freimütig zu, „es war anstrengend,<br />

mich dazu durchzuringen, dass sie ihre<br />

Daseinsberechtigung haben.“ Dass dem<br />

so ist, belegen allein schon ihre sorgfältig<br />

komponierten ersten Sätze, mit denen<br />

Lemke direkt ins Herz der Geschichte führt<br />

und gekonnt die Neugier ihrer Leser weckt.<br />

So lakonisch und alltäglich die im Laufe der<br />

Erzählung dicht gewebten Dialoge zwischen<br />

den Protagonisten zunächst auch wirken,<br />

handelt es sich tatsächlich um höchst<br />

kunstvolle, doch niemals künstlich wirkende<br />

Wortwechsel, deren literarische Qualität<br />

gerade in ihrer Bruchstückhaftigkeit liegt.<br />

Akribisch feilt Lemke so lange an jedem<br />

einzelnen Satz, bis nichts hinzuzufügen<br />

noch wegzunehmen ist, um das Gemeinte<br />

treffend zum Ausdruck zu bringen. Der<br />

Grad der Konzentration, den die Autorin<br />

so erreicht, vergegenwärtigt die emotionale<br />

Komplexität menschlicher Beziehungen<br />

und lässt ihre Figuren ungeachtet der Kürze<br />

der Textform außerordentlich plastisch<br />

hervortreten. Trotz aller Reduktion steht<br />

Lemke auch dem Pathos nicht abweisend<br />

gegenüber, doch tritt es in wohltuend zurückhaltendem,<br />

manchmal auch ironischem<br />

Gewand auf.<br />

In dieser schriftstellerischen Reduktion<br />

belässt Hanna Lemke viel Raum für die ei-<br />

genen Deutungen ihrer Leser. <strong>Die</strong> wenigen,<br />

eindringlichen Sätze am Ende ihrer Erzählungen<br />

lassen den Ausgang des Geschehens<br />

meist offen, sie stellen einen neuen Anfang<br />

dar, aus dem jeder und jede eigene Schlüsse<br />

zur weiteren Entwicklung der Figuren ziehen<br />

kann. Selbst das Geschlecht des erzählenden<br />

Ichs ist – wie das einer von Hanna Lemkes<br />

Figuren – nicht eindeutig festgelegt, so dass<br />

selbst männliche Leser, wie die Kritik eines<br />

Rezensenten zeigt, sich mit der Erzählstimme<br />

identifi zieren können. Zwar entsprechen<br />

die Kurzgeschichten deutlich der Erfahrungswelt<br />

der in Berlin lebenden Lemke,<br />

doch handelt es sich keineswegs um eigene<br />

Erlebnisse oder Vorbilder aus dem Freundes-<br />

und Bekanntenkreis, die sie literarisch<br />

verarbeiten würde. Alle Situationen sind<br />

ausgedacht und entspringen ihrer Vorstellungskraft,<br />

auch wenn es sich um Themen<br />

handelt, über die sie viel nachdenkt. „Ich<br />

mag das Gefühl am Schreibtisch zu haben,<br />

dass mir alles gerade einfällt“, erläutert<br />

Lemke ihre Arbeitsweise. Den Geschichten<br />

liegen zwar Situationen, Stimmungen und<br />

Gefühle aus ihrem eigenen Erleben zugrunde,<br />

die sie sensibel registriert, um sie in eine<br />

literarische Form umzuwandeln, mit deren<br />

Erzählerin sie nicht vollständig identisch ist.<br />

Doch dem autobiographischen Schreiben<br />

steht sie kritisch gegenüber, weil dafür nur<br />

die Realität als Maßstab gilt, nicht aber<br />

die literarische Qualität des Textes selbst.<br />

Neben Anregungen aus dem Hauptstadtleben<br />

orientiert sich Lemke jedoch auch<br />

an literarischen Vorbildern. So stellen die<br />

reduzierten Kurzgeschichten des Schweizers<br />

Peter Stamm einen wichtigen Impuls für ihr<br />

Schaffen dar.<br />

So ungewöhnlich gefestigt der literarische<br />

Stil Hanna Lemkes schon jetzt erscheint,<br />

verlief ihr bisheriger Lebensweg nicht immer<br />

in gesicherten Bahnen. Nach dem Abitur am<br />

Wuppertaler Gymnasium Kothen ging sie<br />

zunächst nach Siegen, um an der dortigen<br />

Universität ein literaturwissenschaftliches<br />

Studium zu beginnen. Als sie dort an einer<br />

Schreibwerkstatt teilnahm, wurde ihr<br />

klar, dass ihre Leidenschaft dem eigenen<br />

Schreiben gilt. Sie brach das Studium<br />

ab und bewarb sich am renommierten<br />

Deutschen Literaturinstitut in Leipzig.<br />

Über das mühelose <strong>Beste</strong>hen der dortigen<br />

Aufnahmeprüfung freute sie sich riesig, und<br />

auch wenn das Studium dort nur „so la la“

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