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Die Beste Zeit Nr 4.indd - Druckservice HP Nacke KG

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zengraben“ (1923) und in der Radiermappe<br />

„Der Krieg“ (1924).<br />

Nach den Erfahrungen der Kriegshölle<br />

war Dix desillusioniert und nicht bereit,<br />

sich ideologisch einspannen zu lassen: „Ich<br />

schloss mich keinem politischen Programm<br />

an, ertrug wahrscheinlich diese Phrasen<br />

nicht. Wenn die nur kamen und uns was<br />

erzählen wollten, war es schon aus bei mir.“<br />

Er hatte die „Untiefen des Lebens“ gesehen,<br />

das dämonische Wesen des Menschen<br />

durchschaut und war zugleich überzeugt<br />

von der Kraft der menschlichen Instinkte.<br />

Mit seiner drastischen, expressiven Schilderung<br />

der Realität setzte er den bürgerlichen<br />

Wertvorstellungen das Vitalitätsprinzip des<br />

Hässlichen entgegen.<br />

In der Konfrontation mit dem Hässlichen<br />

offenbarte Dix die Zwiespältigkeit und<br />

existenzielle Spannung des Daseins. Im<br />

Hinterhofmilieu und im Nachtleben der<br />

Großstadt fand er eine Fülle von Anregungen<br />

für gesellschaftskritische Themen, u.<br />

a. für seine Bordellbilder. Auch begegnete<br />

er im Großstadtmilieu proletarischen<br />

Typen und Vertretern der Bohème, die<br />

ihn als Modelle für Porträts interessierten.<br />

Mit seziererischem Blick durchleuchtete<br />

Dix die von gesellschaftlichen Gegensätzen<br />

geprägten Verhältnisse der „goldenen<br />

Zwanziger“ und entwickelte hierbei eine<br />

besondere Vorliebe für die Darstellung<br />

des Dekadenten und Morbiden. Für seine<br />

sorgfältige und detaillierte, sogar überdeutliche<br />

Wiedergabe der stoffl ichen Erscheinung<br />

orientierte er sich an den alten<br />

Meistern Baldung Grien, Cranach, Dürer<br />

und Grünewald. Von ihnen übernahm er<br />

um 1925 auch die bis etwa 1945 beibehaltene<br />

Kombination aus Temperamalerei<br />

und Lasurtechnik.<br />

Nach Stationen in Düsseldorf und Berlin<br />

trat Dix 1927 eine Professur an der Akademie<br />

in Dresden an. So kam er in die Stadt<br />

zurück, wo er seine künstlerische Laufbahn<br />

1910-14 zunächst als Schüler an der<br />

Kunstgewerbeschule begonnen und dann<br />

1919-22 als Student an der Kunstakademie<br />

fortgesetzt hatte. 1933 wurde Dix von der<br />

nationalsozialistischen Regierung seines<br />

Lehramtes mit der Begründung enthoben,<br />

„dass sich unter seinen Bildern solche befi nden,<br />

die das sittliche Gefühl des deutschen<br />

Volkes aufs schwerste verletzen und andere,<br />

die geeignet sind, den Wehrwillen des deutschen<br />

Volkes zu beeinträchtigen.“ 1934<br />

erhielt er Ausstellungsverbot. Ende 1933<br />

zog Dix sich zunächst auf Schloss Randegg<br />

bei Singen im Hegau zurück, bevor er sich<br />

1936 in Hemmenhofen bei Radolfzell am<br />

Bodensee niederließ. Er behielt jedoch<br />

weiterhin ein privates Atelier in Dresden,<br />

das mit den dort befi ndlichen Bildern die<br />

Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs überstand.<br />

Bei den Aktionen der „entarteten<br />

Kunst“ 1937 und 1938 wurden zahlreiche<br />

Werke von Dix beschlagnahmt, ein Teil<br />

davon wurde 1939 im Hof der Feuerwache<br />

in Berlin verbrannt. Der „Schützengraben“,<br />

1937 als „gemalte Wehrsabotage“ in der<br />

Ausstellung der „Entarteten Kunst“ in<br />

München gezeigt, war 1939 vermutlich<br />

nicht von dem Autodafé betroffen, gilt<br />

jedoch seitdem als verschollen.<br />

Als Reaktion auf den Druck der politischen<br />

Ereignisse und die Verfolgung seiner<br />

Kunst vollzog Dix einen Wandel in der<br />

Wahl seiner Themen. Neben einzelnen<br />

religiös-allegorischen Kompositionen, wie<br />

dem im Dresdner Atelier zurückgelassenen<br />

Gemälde „<strong>Die</strong> sieben Todsünden“ (1933)<br />

mit Hitler als symbolischer Figur des<br />

Neides, schuf er, angeregt durch die malerischen<br />

Stimmungen am Bodensee, auf der<br />

Höri und im Hegau, zahlreiche Landschaftsbilder.<br />

Weitere Anregungen fand er<br />

bei Reisen ins böhmische Mittelgebirge<br />

und ins Riesengebirge. <strong>Die</strong> Komposition<br />

und die Malweise seiner Landschaftsbilder<br />

zeigen wiederum enge Anlehnungen an<br />

die altdeutschen Meister, an Albrecht Altdorfer<br />

und die Donauschule, sowie auch<br />

Anspielungen auf Caspar David Friedrich<br />

und die Malerei der deutschen Romantik.<br />

<strong>Die</strong> Hinwendung zur Landschaftsmalerei<br />

war für Dix keine freiwillige Entscheidung,<br />

sondern – mangels der Gelegenheit<br />

zu „Deutungen von Menschen“, die ihn<br />

mehr interessiert hätten – der Weg in die<br />

innere Emigration. Er sei in die Landschaft<br />

„verbannt“ worden, sagte er später:<br />

„Ein schönes Paradies. Zum Kotzen schön<br />

… <strong>Die</strong> Schönheit der Natur, in die ich<br />

verbannt bin; ich gehöre doch gar nicht<br />

dahin … ich müsste in der Großstadt sein.<br />

Ich stehe vor der Landschaft wie eine Kuh.“<br />

Mit Streifzügen durch die Natur und über<br />

zeichnerische Erkundungen mit Feder und<br />

Silberstift näherte er sich der Landschaft innerlich<br />

an. In seinen Gemälden verband er<br />

reale Landschaftsmotive mit Erfi ndungen<br />

der Phantasie. Dix wollte die Landschaft<br />

nicht abbilden, sondern strebte nach Steigerung<br />

und Überhöhung der Wirklichkeit.<br />

Darüber berichtet er 1939: „Ich scheue<br />

mich heute nicht, die Ufer des Bodensees<br />

mit Felsen und Gebirgen zu versehen, die<br />

es hier gar nicht geben kann. Aber schließlich<br />

ist der künstlerische Ausdruck das<br />

wesentliche, nicht die ‚Naturwahrheit‘.“<br />

Zu unserem Bild wurde Dix wohl im Wald<br />

von Hemmenhofen inspiriert. Neben dem<br />

„Wald am Morgen“ entstand im selben<br />

Jahr auch ein Bild „Wald am Abend“. <strong>Die</strong><br />

Reihe der Waldlandschaften hat Dix noch<br />

bis 1942 fortgesetzt. Bewusst hat er hierfür<br />

„starke dunkle Farben“ gewählt und dabei<br />

„das Grün aus dem Blau (Himmel) entwickelt“.<br />

Wie durch die Lupe betrachtet, sind<br />

Wurzeln, Äste, Blätter, Gräser und Farne in<br />

ihren Einzelheiten erfasst. Mit dem „Wald<br />

am Morgen“ malte Dix eine geheimnisvolle<br />

Landschaft, die zugleich verschlossen<br />

wirkt und Unheimliches zu bergen scheint.<br />

Tatsächlich schimmern durch die Linien<br />

und Konturen von Gräben und Felsen,<br />

von Astwerk, Laub und Wurzeln entfernt<br />

Erinnerungen an die bizarren Formationen<br />

der zerfetzten Leiber von toten Soldaten<br />

und der aufgewühlten Erde auf den<br />

Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs. Mit<br />

den Landschaftsbildern wollte Dix wohl<br />

nicht nur sein inneres Refugium gestalten,<br />

sondern durch die trügerische Idylle<br />

gleichzeitig auf die aktuelle Bedrohung der<br />

Welt hinweisen. Möglicherweise sah er in<br />

die Landschaft innere Bilder hinein: die<br />

paradiesische Natur als Schauplatz einer<br />

neuen Apokalypse – ein alptraumhaftes<br />

Szenarium.<br />

Neben den Phantasielandschaften hat<br />

Dix häufi ger Ansichten der Ortschaften<br />

Randegg, Hemmenhofen, Allensbach<br />

und Reichenau sowie den Blick über<br />

den Untersee auf das gegenüberliegende<br />

Schweizer Ufer mit den Dörfern Mammern,<br />

Steckborn und Berlingen gemalt.<br />

Kennzeichnend für seine Auffassung<br />

dieser Landschaftsansichten ist ebenfalls<br />

die geradezu unwirklich-romantische<br />

Stimmungshaftigkeit der Natur.<br />

„Wald am Morgen“ wurde dem Museum<br />

Anfang 2010 geschenkt. Es befand sich<br />

seit 1940 in Privatbesitz, zunächst in Köln,<br />

dann in Wülfrath, und war in dieser <strong>Zeit</strong><br />

nie öffentlich ausgestellt.<br />

Antje Birthälmer

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