Die Beste Zeit Nr 4.indd - Druckservice HP Nacke KG
Die Beste Zeit Nr 4.indd - Druckservice HP Nacke KG
Die Beste Zeit Nr 4.indd - Druckservice HP Nacke KG
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
30<br />
zengraben“ (1923) und in der Radiermappe<br />
„Der Krieg“ (1924).<br />
Nach den Erfahrungen der Kriegshölle<br />
war Dix desillusioniert und nicht bereit,<br />
sich ideologisch einspannen zu lassen: „Ich<br />
schloss mich keinem politischen Programm<br />
an, ertrug wahrscheinlich diese Phrasen<br />
nicht. Wenn die nur kamen und uns was<br />
erzählen wollten, war es schon aus bei mir.“<br />
Er hatte die „Untiefen des Lebens“ gesehen,<br />
das dämonische Wesen des Menschen<br />
durchschaut und war zugleich überzeugt<br />
von der Kraft der menschlichen Instinkte.<br />
Mit seiner drastischen, expressiven Schilderung<br />
der Realität setzte er den bürgerlichen<br />
Wertvorstellungen das Vitalitätsprinzip des<br />
Hässlichen entgegen.<br />
In der Konfrontation mit dem Hässlichen<br />
offenbarte Dix die Zwiespältigkeit und<br />
existenzielle Spannung des Daseins. Im<br />
Hinterhofmilieu und im Nachtleben der<br />
Großstadt fand er eine Fülle von Anregungen<br />
für gesellschaftskritische Themen, u.<br />
a. für seine Bordellbilder. Auch begegnete<br />
er im Großstadtmilieu proletarischen<br />
Typen und Vertretern der Bohème, die<br />
ihn als Modelle für Porträts interessierten.<br />
Mit seziererischem Blick durchleuchtete<br />
Dix die von gesellschaftlichen Gegensätzen<br />
geprägten Verhältnisse der „goldenen<br />
Zwanziger“ und entwickelte hierbei eine<br />
besondere Vorliebe für die Darstellung<br />
des Dekadenten und Morbiden. Für seine<br />
sorgfältige und detaillierte, sogar überdeutliche<br />
Wiedergabe der stoffl ichen Erscheinung<br />
orientierte er sich an den alten<br />
Meistern Baldung Grien, Cranach, Dürer<br />
und Grünewald. Von ihnen übernahm er<br />
um 1925 auch die bis etwa 1945 beibehaltene<br />
Kombination aus Temperamalerei<br />
und Lasurtechnik.<br />
Nach Stationen in Düsseldorf und Berlin<br />
trat Dix 1927 eine Professur an der Akademie<br />
in Dresden an. So kam er in die Stadt<br />
zurück, wo er seine künstlerische Laufbahn<br />
1910-14 zunächst als Schüler an der<br />
Kunstgewerbeschule begonnen und dann<br />
1919-22 als Student an der Kunstakademie<br />
fortgesetzt hatte. 1933 wurde Dix von der<br />
nationalsozialistischen Regierung seines<br />
Lehramtes mit der Begründung enthoben,<br />
„dass sich unter seinen Bildern solche befi nden,<br />
die das sittliche Gefühl des deutschen<br />
Volkes aufs schwerste verletzen und andere,<br />
die geeignet sind, den Wehrwillen des deutschen<br />
Volkes zu beeinträchtigen.“ 1934<br />
erhielt er Ausstellungsverbot. Ende 1933<br />
zog Dix sich zunächst auf Schloss Randegg<br />
bei Singen im Hegau zurück, bevor er sich<br />
1936 in Hemmenhofen bei Radolfzell am<br />
Bodensee niederließ. Er behielt jedoch<br />
weiterhin ein privates Atelier in Dresden,<br />
das mit den dort befi ndlichen Bildern die<br />
Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs überstand.<br />
Bei den Aktionen der „entarteten<br />
Kunst“ 1937 und 1938 wurden zahlreiche<br />
Werke von Dix beschlagnahmt, ein Teil<br />
davon wurde 1939 im Hof der Feuerwache<br />
in Berlin verbrannt. Der „Schützengraben“,<br />
1937 als „gemalte Wehrsabotage“ in der<br />
Ausstellung der „Entarteten Kunst“ in<br />
München gezeigt, war 1939 vermutlich<br />
nicht von dem Autodafé betroffen, gilt<br />
jedoch seitdem als verschollen.<br />
Als Reaktion auf den Druck der politischen<br />
Ereignisse und die Verfolgung seiner<br />
Kunst vollzog Dix einen Wandel in der<br />
Wahl seiner Themen. Neben einzelnen<br />
religiös-allegorischen Kompositionen, wie<br />
dem im Dresdner Atelier zurückgelassenen<br />
Gemälde „<strong>Die</strong> sieben Todsünden“ (1933)<br />
mit Hitler als symbolischer Figur des<br />
Neides, schuf er, angeregt durch die malerischen<br />
Stimmungen am Bodensee, auf der<br />
Höri und im Hegau, zahlreiche Landschaftsbilder.<br />
Weitere Anregungen fand er<br />
bei Reisen ins böhmische Mittelgebirge<br />
und ins Riesengebirge. <strong>Die</strong> Komposition<br />
und die Malweise seiner Landschaftsbilder<br />
zeigen wiederum enge Anlehnungen an<br />
die altdeutschen Meister, an Albrecht Altdorfer<br />
und die Donauschule, sowie auch<br />
Anspielungen auf Caspar David Friedrich<br />
und die Malerei der deutschen Romantik.<br />
<strong>Die</strong> Hinwendung zur Landschaftsmalerei<br />
war für Dix keine freiwillige Entscheidung,<br />
sondern – mangels der Gelegenheit<br />
zu „Deutungen von Menschen“, die ihn<br />
mehr interessiert hätten – der Weg in die<br />
innere Emigration. Er sei in die Landschaft<br />
„verbannt“ worden, sagte er später:<br />
„Ein schönes Paradies. Zum Kotzen schön<br />
… <strong>Die</strong> Schönheit der Natur, in die ich<br />
verbannt bin; ich gehöre doch gar nicht<br />
dahin … ich müsste in der Großstadt sein.<br />
Ich stehe vor der Landschaft wie eine Kuh.“<br />
Mit Streifzügen durch die Natur und über<br />
zeichnerische Erkundungen mit Feder und<br />
Silberstift näherte er sich der Landschaft innerlich<br />
an. In seinen Gemälden verband er<br />
reale Landschaftsmotive mit Erfi ndungen<br />
der Phantasie. Dix wollte die Landschaft<br />
nicht abbilden, sondern strebte nach Steigerung<br />
und Überhöhung der Wirklichkeit.<br />
Darüber berichtet er 1939: „Ich scheue<br />
mich heute nicht, die Ufer des Bodensees<br />
mit Felsen und Gebirgen zu versehen, die<br />
es hier gar nicht geben kann. Aber schließlich<br />
ist der künstlerische Ausdruck das<br />
wesentliche, nicht die ‚Naturwahrheit‘.“<br />
Zu unserem Bild wurde Dix wohl im Wald<br />
von Hemmenhofen inspiriert. Neben dem<br />
„Wald am Morgen“ entstand im selben<br />
Jahr auch ein Bild „Wald am Abend“. <strong>Die</strong><br />
Reihe der Waldlandschaften hat Dix noch<br />
bis 1942 fortgesetzt. Bewusst hat er hierfür<br />
„starke dunkle Farben“ gewählt und dabei<br />
„das Grün aus dem Blau (Himmel) entwickelt“.<br />
Wie durch die Lupe betrachtet, sind<br />
Wurzeln, Äste, Blätter, Gräser und Farne in<br />
ihren Einzelheiten erfasst. Mit dem „Wald<br />
am Morgen“ malte Dix eine geheimnisvolle<br />
Landschaft, die zugleich verschlossen<br />
wirkt und Unheimliches zu bergen scheint.<br />
Tatsächlich schimmern durch die Linien<br />
und Konturen von Gräben und Felsen,<br />
von Astwerk, Laub und Wurzeln entfernt<br />
Erinnerungen an die bizarren Formationen<br />
der zerfetzten Leiber von toten Soldaten<br />
und der aufgewühlten Erde auf den<br />
Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs. Mit<br />
den Landschaftsbildern wollte Dix wohl<br />
nicht nur sein inneres Refugium gestalten,<br />
sondern durch die trügerische Idylle<br />
gleichzeitig auf die aktuelle Bedrohung der<br />
Welt hinweisen. Möglicherweise sah er in<br />
die Landschaft innere Bilder hinein: die<br />
paradiesische Natur als Schauplatz einer<br />
neuen Apokalypse – ein alptraumhaftes<br />
Szenarium.<br />
Neben den Phantasielandschaften hat<br />
Dix häufi ger Ansichten der Ortschaften<br />
Randegg, Hemmenhofen, Allensbach<br />
und Reichenau sowie den Blick über<br />
den Untersee auf das gegenüberliegende<br />
Schweizer Ufer mit den Dörfern Mammern,<br />
Steckborn und Berlingen gemalt.<br />
Kennzeichnend für seine Auffassung<br />
dieser Landschaftsansichten ist ebenfalls<br />
die geradezu unwirklich-romantische<br />
Stimmungshaftigkeit der Natur.<br />
„Wald am Morgen“ wurde dem Museum<br />
Anfang 2010 geschenkt. Es befand sich<br />
seit 1940 in Privatbesitz, zunächst in Köln,<br />
dann in Wülfrath, und war in dieser <strong>Zeit</strong><br />
nie öffentlich ausgestellt.<br />
Antje Birthälmer