Die Beste Zeit Nr 4.indd - Druckservice HP Nacke KG

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14 Sophie Basse, Andreas Möckel, Juliane Pempelfort

selber der Kontrolle unterliegt, durch den Maler Titorelli (Daniel Breitfelder), der sich anscheinend arrangiert hat oder wen auch immer. Alle sind subaltern. Josef K. muß sich, ohne inhaftiert zu werden, einer ominösen Gewalt unterwerfen, einem rätselhaften Gerichtsverfahren stellen, das nichts anderes als seine Schuld festzustellen hat. Denn dass er eine Schuld trägt, die Schuld, scheint völlig außer Frage zu stehen. Gültige Bühnenbearbeitung von Kafkas Roman Franz Kafkas genialischer, die Schlünde aller Abgründe der Angst vor willkürlicher staatlicher Autorität aufreißender Roman hat schon vor, besonders aber seit der prominent besetzten Verfi lmung durch Orson Welles aus dem Jahr 1962 diverse Film-, Opern- und Bühnenbearbeitungen erlebt, schreit jedoch immer noch nach einer über die Zeit gültigen Fassung für die Bühne, denn die Eindringlichkeit des beängstigenden Sujets ist geradezu wie für das Theater gemacht. Oder verlangt jede neue Zeit nach einer neuen Interpretation? Herbert Neubecker hat mit seiner Bearbeitung einen Weg in das Unheimliche der von Ängsten, Pressionen und heimlichen Mächten beherrschten Welt des Josef K. gefunden, der in Auslegung, Personifi zierung und direktem Bezug auf die Romanvorlage gültig und zeitlos erscheint, zugleich jeden Zuschauer mit dem eigenen Zwiespalt zwischen Aufbegehren und Unterwerfung, Lust und Schuld, Glauben und Atheismus konfrontiert. Eine (fast) schwarz-weiße Welt Am 9. April hatte Sybille Fabians Inszenierung für die Wuppertaler Bühnen in Zusammenarbeit mit dem Teo Otto Theater in Remscheid dort ihre wenn auch nicht ausverkaufte, jedoch sehr gut besuchte und mit allem Recht gefeierte Premiere. Man kann von einem grandiosen Gesamterfolg sprechen, denn sowohl Neubeckers Fassung als auch die von ihm gestaltete schwarz-weiße schräge Bühne, Fabians überwiegend schwarz-weiße Kostüme, die dramatischen Klang-Einspielungen, die Choreographie und jede Einzelleistung der außer Gregor Henze mehrfach besetzten Mitwirkenden muß als Perle bezeichnet werden. Farbe kommt durch die brillanten Akteure ins Spiel und blitzt gezielt nur gelegentlich in Form eines (zerquetschten) Apfels und der kommentierten Ausgabe von Schönfelders „Deutsche Gesetze“ auf. Wo alles gepanzert, verborgen, verschlossen ist, überraschen als Andeutung des harmlos Schönen und Begehrenswerten in dieser häßlichen Welt die kaum verhüllten göttlichen Brüste von Josef K.s Zimmernachbarin Frl. Bürstner (Juliane Pempelfort), der er über seine Verhaftung berichtet. Dialog: „Wie war es denn?“ – „Schrecklich!“ – „Das ist zu allgemein.“ Expressionismus und Silly Walks Zug um Zug läßt sich K. bei abnehmendem Aufbegehren in den Sog des mysteriösen Verfahrens ziehen, das immer deutlicher sein Leben bedroht. Der Alptraum der Wehrlosigkeit lähmt ihn, lähmt selbst den Zuschauer, der immer wieder von der Bühne aus als Teilnehmer an dem grausigen Tribunal, dann wieder als Mitangeklagter identifi ziert wird. Unbehaglich. Neubecker und Fabian haben den literarischen Expressionismus und bekannte expressionistische Filmbilder aus z.B. „Metropolis“, „Das Cabinet des Dr. Caligari“ hervorragend umgesetzt, dabei aber auch nicht mit listigen Anleihen bei Monty Python gespart. Maschinengeräusche und Choreographien erinnern an Fritz Lang, Zeitlupen des Schreitens an „The Ministry of Silly Walks“. Das Danton´sche Tribunal unter dem brüllenden Untersuchungsrichter (Andreas Möckel) drückt auch den Zuschauer tiefer in den Sitz. Man ahnt: hier gibt es kaum ein Entkommen. Ein Geniestreich. Erbarmungslos Josef K. erlebt entsetzt die Erbarmungslosigkeit des geheimnisvollen Systems an der gnadelosen Exekution seiner Wächter, an der Gewalt gegen die Frau des Gerichtsdieners (Anne-Catherine Studer). Sein Fragen nach dem Ende der Qual wird ihm vom Auskunftgeber (Lutz Wessel) zynisch beantwortet: „Nur was nicht aufhört weh zu tun, bleibt im Gedächtnis“. Nicht einmal der Geistliche (Thomas Braus), der durch den Glockenschlag der Kathedrale auf den Plan gerufen wird, ist bereit, ihm eine hoffnungsvolle Perspektive zu eröffnen, macht ihm im Gegenteil vor dem Hintergrund einer riesigen Thora-Rolle mit der Türhüter-Parabel das Unvermeidliche klar. Josef K. ringt bis zum letzten dramatischen Moment, auch mit der verzweifelten Suche nach der eigenen Identität („Wer bin ich denn? Wissen Sie, wer ich bin?“) –Das Schlussbild zeigt als Symbol der alles verschlingenden Macht eine riesige Tresortür. „Die Lüge wird zur Weltordnung gemacht“. Schmerzhafte Lehre - aber allzu wahr. Kafkas deprimierende Einsicht ist bis auf den Tag gültig. Eine hervorragende, unbedingt sehenswerte Inszenierung. Am 16. April feierte das Stück in Wuppertal seine zweite Premiere. Im Juni und Juli gibt es noch Aufführungstermine im Opernhaus. Nicht versäumen! Frank Becker Fotos: Joachim Dette Weitere Informationen unter: www.wuppertaler-buehnen.de 15

selber der Kontrolle unterliegt, durch den<br />

Maler Titorelli (Daniel Breitfelder), der<br />

sich anscheinend arrangiert hat oder wen<br />

auch immer. Alle sind subaltern. Josef K.<br />

muß sich, ohne inhaftiert zu werden, einer<br />

ominösen Gewalt unterwerfen, einem<br />

rätselhaften Gerichtsverfahren stellen, das<br />

nichts anderes als seine Schuld festzustellen<br />

hat. Denn dass er eine Schuld trägt,<br />

die Schuld, scheint völlig außer Frage zu<br />

stehen.<br />

Gültige Bühnenbearbeitung von<br />

Kafkas Roman<br />

Franz Kafkas genialischer, die Schlünde<br />

aller Abgründe der Angst vor willkürlicher<br />

staatlicher Autorität aufreißender<br />

Roman hat schon vor, besonders aber<br />

seit der prominent besetzten Verfi lmung<br />

durch Orson Welles aus dem Jahr 1962<br />

diverse Film-, Opern- und Bühnenbearbeitungen<br />

erlebt, schreit jedoch<br />

immer noch nach einer über die <strong>Zeit</strong><br />

gültigen Fassung für die Bühne, denn<br />

die Eindringlichkeit des beängstigenden<br />

Sujets ist geradezu wie für das Theater<br />

gemacht. Oder verlangt jede neue <strong>Zeit</strong><br />

nach einer neuen Interpretation? Herbert<br />

Neubecker hat mit seiner Bearbeitung<br />

einen Weg in das Unheimliche der<br />

von Ängsten, Pressionen und heimlichen<br />

Mächten beherrschten Welt des<br />

Josef K. gefunden, der in Auslegung,<br />

Personifi zierung und direktem Bezug<br />

auf die Romanvorlage gültig und zeitlos<br />

erscheint, zugleich jeden Zuschauer<br />

mit dem eigenen Zwiespalt zwischen<br />

Aufbegehren und Unterwerfung, Lust<br />

und Schuld, Glauben und Atheismus<br />

konfrontiert.<br />

Eine (fast) schwarz-weiße Welt<br />

Am 9. April hatte Sybille Fabians<br />

Inszenierung für die Wuppertaler<br />

Bühnen in Zusammenarbeit mit dem<br />

Teo Otto Theater in Remscheid dort<br />

ihre wenn auch nicht ausverkaufte,<br />

jedoch sehr gut besuchte und mit allem<br />

Recht gefeierte Premiere. Man kann<br />

von einem grandiosen Gesamterfolg<br />

sprechen, denn sowohl Neubeckers<br />

Fassung als auch die von ihm gestaltete<br />

schwarz-weiße schräge Bühne, Fabians<br />

überwiegend schwarz-weiße Kostüme,<br />

die dramatischen Klang-Einspielungen,<br />

die Choreographie und jede Einzelleistung<br />

der außer Gregor Henze mehrfach<br />

besetzten Mitwirkenden muß als Perle<br />

bezeichnet werden. Farbe kommt durch<br />

die brillanten Akteure ins Spiel und<br />

blitzt gezielt nur gelegentlich in Form<br />

eines (zerquetschten) Apfels und der<br />

kommentierten Ausgabe von Schönfelders<br />

„Deutsche Gesetze“ auf. Wo<br />

alles gepanzert, verborgen, verschlossen<br />

ist, überraschen als Andeutung des<br />

harmlos Schönen und Begehrenswerten<br />

in dieser häßlichen Welt die kaum<br />

verhüllten göttlichen Brüste von Josef<br />

K.s Zimmernachbarin Frl. Bürstner<br />

(Juliane Pempelfort), der er über seine<br />

Verhaftung berichtet. Dialog: „Wie war<br />

es denn?“ – „Schrecklich!“ – „Das ist zu<br />

allgemein.“<br />

Expressionismus und Silly Walks<br />

Zug um Zug läßt sich K. bei abnehmendem<br />

Aufbegehren in den Sog des<br />

mysteriösen Verfahrens ziehen, das immer<br />

deutlicher sein Leben bedroht. Der<br />

Alptraum der Wehrlosigkeit lähmt ihn,<br />

lähmt selbst den Zuschauer, der immer<br />

wieder von der Bühne aus als Teilnehmer<br />

an dem grausigen Tribunal, dann<br />

wieder als Mitangeklagter identifi ziert<br />

wird. Unbehaglich. Neubecker und Fabian<br />

haben den literarischen Expressionismus<br />

und bekannte expressionistische<br />

Filmbilder aus z.B. „Metropolis“, „Das<br />

Cabinet des Dr. Caligari“ hervorragend<br />

umgesetzt, dabei aber auch nicht mit<br />

listigen Anleihen bei Monty Python<br />

gespart. Maschinengeräusche und<br />

Choreographien erinnern an Fritz Lang,<br />

<strong>Zeit</strong>lupen des Schreitens an „The Ministry<br />

of Silly Walks“. Das Danton´sche<br />

Tribunal unter dem brüllenden Untersuchungsrichter<br />

(Andreas Möckel)<br />

drückt auch den Zuschauer tiefer in den<br />

Sitz. Man ahnt: hier gibt es kaum ein<br />

Entkommen. Ein Geniestreich.<br />

Erbarmungslos<br />

Josef K. erlebt entsetzt die Erbarmungslosigkeit<br />

des geheimnisvollen Systems<br />

an der gnadelosen Exekution seiner<br />

Wächter, an der Gewalt gegen die Frau<br />

des Gerichtsdieners (Anne-Catherine<br />

Studer). Sein Fragen nach dem Ende<br />

der Qual wird ihm vom Auskunftgeber<br />

(Lutz Wessel) zynisch beantwortet:<br />

„Nur was nicht aufhört weh zu tun,<br />

bleibt im Gedächtnis“. Nicht einmal<br />

der Geistliche (Thomas Braus), der<br />

durch den Glockenschlag der Kathedrale<br />

auf den Plan gerufen wird, ist bereit,<br />

ihm eine hoffnungsvolle Perspektive<br />

zu eröffnen, macht ihm im Gegenteil<br />

vor dem Hintergrund einer riesigen<br />

Thora-Rolle mit der Türhüter-Parabel<br />

das Unvermeidliche klar. Josef K. ringt<br />

bis zum letzten dramatischen Moment,<br />

auch mit der verzweifelten Suche nach<br />

der eigenen Identität („Wer bin ich<br />

denn? Wissen Sie, wer ich bin?“) –Das<br />

Schlussbild zeigt als Symbol der alles<br />

verschlingenden Macht eine riesige<br />

Tresortür.<br />

„<strong>Die</strong> Lüge wird zur Weltordnung gemacht“.<br />

Schmerzhafte Lehre - aber allzu<br />

wahr. Kafkas deprimierende Einsicht ist<br />

bis auf den Tag gültig. Eine hervorragende,<br />

unbedingt sehenswerte Inszenierung.<br />

Am 16. April feierte das Stück<br />

in Wuppertal seine zweite Premiere.<br />

Im Juni und Juli gibt es noch Aufführungstermine<br />

im Opernhaus. Nicht<br />

versäumen!<br />

Frank Becker<br />

Fotos: Joachim Dette<br />

Weitere Informationen unter:<br />

www.wuppertaler-buehnen.de<br />

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