<strong>Kulturen</strong> <strong>in</strong> <strong>Konflikt</strong>? Vom Umgang mit <strong>Konflikt</strong>en <strong>in</strong> <strong>in</strong>terkulturellen Beziehungen167Diese Dimensionen s<strong>in</strong>d me<strong>in</strong>es Erachtens positiv zu beurteilen: Sie reflektieren wesentlicheBereiche möglicher kultureller Verschiedenheit und deren Begreifen kann somitauch das gegenseitige Verständnis vertiefen.Hofstedes Studie ist e<strong>in</strong>e der breitest angelegten Datenauswertungen, die es aufdem Gebiet der Darstellung kultureller Unterschiede gibt. Positiv zu beurteilen ist vorallem se<strong>in</strong> Bemühen, die kulturellen Verzerrungen bei der Fragebogenentwicklung, dieaufgrund der mentalen Programmierung der WissenschafterInnen nicht zu vermeidens<strong>in</strong>d, mithilfe e<strong>in</strong>es <strong>in</strong>ternational zusammengesetzten ForscherInnenteams zu m<strong>in</strong>imieren.Weil se<strong>in</strong> Team jedoch »westlich« geprägt war, kam es dennoch zu Verzerrungen.Äußerst problematisch ersche<strong>in</strong>t mir die Studie aufgrund der Auswahl der Befragten.Da alle bei IBM angestellt waren und davon ausgegangen werden kann, dass esauch e<strong>in</strong>e bestimmte Firmenkultur gibt, s<strong>in</strong>d sie als RepräsentantInnen für e<strong>in</strong> gesamtesLand eher kritisch zu beurteilen.Kulturelle Unterschiede an nationalen Grenzen festzumachen, ist ebenfalls sehrproblematisch. Da Wissenschaft an bestimmte grundlegende Strukturen anknüpfenmuss, ist man jedoch nahezu verpflichtet, e<strong>in</strong>en Bezugsrahmen festzulegen. Das bedeutetbeispielsweise, dass klare Trennl<strong>in</strong>ien aufgrund von nationalen Grenzen, wie sieHofstede verwendet, <strong>in</strong> der empirischen Forschung zwar leichter zu verarbeiten s<strong>in</strong>d;sie s<strong>in</strong>d jedoch künstlich geschaffen und müssen stets kritisch reflektiert werden.Se<strong>in</strong>e Def<strong>in</strong>ition der mentalen Programmierung, die zwar für e<strong>in</strong>zelne zu »technisch«formuliert ist, ersche<strong>in</strong>t mir h<strong>in</strong>gegen für verschiedenste Untersuchungen (mitAnwendung unterschiedlicher Methoden) im Bereich Interkulturalität nützlich. Positivhervorzuheben s<strong>in</strong>d vor allem nachfolgende Studien, die von WissenschafterInnenmit e<strong>in</strong>er »nicht (nur) westlich geprägten« mentalen Programmierung durchgeführtwurden, wie etwa die Untersuchung der Ch<strong>in</strong>ese Culture Connection (1987).2.3 Gegenwärtige Ansätze, Diskussionen und Streitpunkte im Bereichvon KulturerfassungPr<strong>in</strong>zipiell kann man mittlerweile das Feld der Kulturerfassungsansätze folgendermaßenumschreiben: Es gibt unzählige Herangehensweisen, wie man Kultur erfassen und begreifenmöchte. Grundsätzlich können wir heute zwischen so genannten »etischen«und »emischen« Kulturerfassungsansätzen unterscheiden. 2 Während die etischen, dazuzählt etwa Hofstede, mehrere <strong>Kulturen</strong> mit Hilfe von universal geltenden Kategorien/Kriterien vergleichend untersuchen, und daraus Schlussfolgerungen ziehen, steht beiemischen Kulturerfassungsansätzen meist e<strong>in</strong>e Kultur im Mittelpunkt. »Der Forschendestrebt danach, die bestehenden Strukturen und Merkmale aufzudecken und zu lernen,sie mit der e<strong>in</strong>heimischen (meist impliziten) Logik zu verstehen« (Köppel 2002,32–33). Selbstverständlich gibt es auch hier Überschneidungen. So bemühen sich e<strong>in</strong>igeInterkulturalistInnen, etische und emische Herangehensweisen zu verb<strong>in</strong>den (sieheetwa Schwartz/ Bilsky 1987, 550–562).2 Die Wurzeln von »emisch« (bedeutungsentscheidend) und »etisch« (nicht dist<strong>in</strong>ktiv) liegen <strong>in</strong> derenglischen Sprache.www.sws-rundschau.atSWS-Rundschau (45. Jg.) Heft 2/2005: 160–184
168 Daniela <strong>Molzbichler</strong>Auf heftigste Kritik stoßen die Darstellungen von Hofstede bei Hansen. Er sprichtse<strong>in</strong>en Untersuchungen die S<strong>in</strong>nhaftigkeit für die <strong>in</strong>terkulturelle Forschung ab undzieht <strong>in</strong>sgesamt e<strong>in</strong>e negative Bilanz:»Alles <strong>in</strong> allem ist se<strong>in</strong> [Hofstedes] Buch für die moderne Kulturwissenschaft e<strong>in</strong>e Katastrophe.Er versündigt sich an allen Fortschritten, die seit den sechziger Jahren erzielt wurden,und ausgerechnet dieses Machwerk hat die Unbelehrbaren, die den Kulturbegriff für Unfughielten, belehrt. Jene Psychologen, Soziologen und Wirtschaftswissenschaftler, die nur empirischenAnalysen trauen, wurden durch Hofstedes Statistik davon überzeugt, dass Kultur aushard facts bestehe, die man messen und wiegen kann« (Hansen 2000, 285).Drechsel, Schmidt und Gölz bezeichnen derartige etische Modelle auch als »Conta<strong>in</strong>er-Theorien« und kritisieren vor allem, dass <strong>Kulturen</strong> als geschlossene E<strong>in</strong>heiten betrachtetwerden, die im Kern unveränderlich s<strong>in</strong>d. Sie plädieren für e<strong>in</strong>e breite Dimensionsvielfaltvon <strong>Kulturen</strong> und bezeichnen diese als »cultural web« (Drechsel/ Schmidt/ Gölz 2000).Me<strong>in</strong>es Erachtens ist Hofstedes Kulturerfassungsansatz kritisch zu betrachten, jedochauch als das zu <strong>in</strong>terpretieren, was er ist: E<strong>in</strong> künstliches Konstrukt, um e<strong>in</strong>en virtuellenRaum für e<strong>in</strong>en Vergleich von <strong>Kulturen</strong> zu schaffen, <strong>in</strong>dem man sich bewegenkann. Es handelt sich dabei um e<strong>in</strong> Gebilde, das uns erlaubt, unterschiedliche <strong>Kulturen</strong>– und <strong>in</strong> diesem Zusammenhang auch uns selbst – zu betrachten. E<strong>in</strong> derartigesKonstrukt bietet nicht mehr, aber auch nicht weniger.Auch die Kulturdimensionen von Hofstede wurden im Laufe der Zeit verändertund erweitert. Äußerst <strong>in</strong>teressant ist das Globe-Projekt als e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>novative Form derHofstedeschen Untersuchung. Dieses Projekt läuft zwar bereits seit 1993, ist aber nochziemlich unbekannt. Daran s<strong>in</strong>d mittlerweile 170 WissenschafterInnen aus derzeit 61Ländern beteiligt, die mit e<strong>in</strong>em geme<strong>in</strong>samen Konzept ihre jeweilige »Nationalkultur«untersuchen. Die Ergebnisse werden derzeit noch erarbeitet. Erwähnenswert sche<strong>in</strong>tvor allem das geme<strong>in</strong>same Konzept zu se<strong>in</strong>, wofür die Hofstedeschen Dimensionen dieAusgangspunkte darstellten. Innovativ am Globe-Projekt ist sicherlich, dass nicht nurdie neun weiterentwickelten Dimensionen untersucht, sondern auch der »Ist-Zustand«und der »Soll-Zustand« <strong>in</strong> den jeweiligen <strong>Kulturen</strong> beschrieben werden. Geme<strong>in</strong>t s<strong>in</strong>ddamit nicht nur die vorherrschenden Wertvorstellungen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gesellschaft oder <strong>in</strong>e<strong>in</strong>em Land, sondern auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Unternehmen, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Organisation usw. Es wirdsomit erhoben, wie die e<strong>in</strong>zelnen Befragten die aktuelle Situation <strong>in</strong> der Gesellschaftund <strong>in</strong> der Organisation, <strong>in</strong> der sie sich bef<strong>in</strong>den, e<strong>in</strong>schätzen und welche Wunschvorstellungensie <strong>in</strong> beiden Bereichen haben.Zusätzlich sei noch erwähnt, dass das Globe-Projekt bestimmte Länder und nationale<strong>Kulturen</strong> clustert, die genügend Geme<strong>in</strong>samkeiten aufweisen. E<strong>in</strong>e derartigeCluster-Region bilden beispielsweise Deutschland, Österreich, die deutschsprachigeSchweiz und die Niederlande. Ich denke, dass solche Verb<strong>in</strong>dungen immer mit Vorsichtzu erstellen und zu bewerten s<strong>in</strong>d, war jedoch von den Ergebnissen bee<strong>in</strong>druckt (Szaboetal. 2002, 55–68). So ergab e<strong>in</strong>e Befragung von über 900 Personen aus dem mittlerenManagement <strong>in</strong> diesen vier Ländern, dass die Mitbestimmung der ArbeitnehmerInnenvon ähnlich großer Bedeutung war – daher wurden bezogen auf dieses Thema die vierLänder <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Cluster-Region zusammengefasst.SWS-Rundschau (45. Jg.) Heft 2/2005: 160–184www.sws-rundschau.at